Zur Psychopathologie des Alltagslebens (1901-002/1920)

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  • Diplomatische Umschrift, Lektorat
  • Diercks, Christine
  • Huber, Christian
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  • Stoxreiter, Daniel

Freud, Sigmund: Zur Psychopathologie des Alltagslebens (1901-002/1920). In: Andorfer, Peter; Blatow, Arkadi; Diercks, Christine; Huber, Christian; Kaufmann, Kira; Liepold, Sophie; Roedelius, Julian; Rohrwasser, Michael; Stoxreiter, Daniel (2022): Sigmund Freud Edition: Digitale Historisch-Kritische Gesamtausgabe, Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage, Wien. [3.4.2023], file:/home/runner/work/frd-static/frd-static/data/editions/plain/sfe-1901-002__1920.xml
§ 1

§ 2

§ 3

Zur

§ 4

“ Psychopathologi

§ 5

§ 6

Zur Psychopathologie des Alltagslebens

§ 7

(Über Vergessen, Versprechen, Vergreifen, Aberglaube und Irrtum)

§ 8

Von

§ 9

Prof. Dr. Sigm. Freud in Wien

§ 10

Sieben“, weiter vermehrte Auflage.

§ 11

"Nun ist die Luft von solchem Spuk so voll, Daß niemand weiß, wie er ihn meiden soll." Faust, II. Teil, V. Akt.

§ 12

1920

§ 13

Internationaler Psychoanalytischer Verlag Ges. m. b. H. Leipzig Wien Zürich

§ 14

§ 15

§ 16

Inhaltsangabe.

§ 17

II“

§ 18

I. Vergessen von Eigennamen ........... . . 1 n. Vergessen von fremdsprachigen Worten ..... . . . 10 III. Vergessen von Namen und Wortfolgen ......... 18 IV.Üthinflheib-undßeekerinnerungon „......52 V..DuVur-prwhen .............63 VI. Verlmnünfl Verwhuihun. . . . . . ....... 126 VII. VergmnvonEi-ndrllckendennlhen. ,......158 VIII.DuVeu-greifen........ ........ ..193 IX. Symptnm- und annlhbnmllungun ........ . . . 229 X.Inthar... ...... . ...... .....281. XI. Knmbinierto Fehlleiltungun . . ....... . . . .277

§ 19

XII. Defarmlninmu — anzllp- untl Aberglanhan.— Guißhbpunkte ..... . . . . . . . . ....... 288

§ 20

§ 21

I. VERGESSEN VON EIGENNAMEN.

§ 22

lm Jahrgang 1898 der Monatsschrift für Psychiatrie und Neurologie habe ich unter dem Titel „Zum psychischen Mechanismus der Vergeßlichkeit“ einen kleinen Aufsatz veröffentlicht, dessen Inhalt ich hier wiederholen und zum Ausgang für weitere Erörterungen nehmen werde. Ich habe dort den häufigen Fall des zeitweiligen Vergessens von Eigennamen an einem prägnanten Beispiel aus meiner Selbstbeobachtung der psychologischen Analyse unterzogen und bin zu dem Ergebnis gelangt, daß dieser gewöhnliche und praktisch nicht sehr bedeutsame Einzelvorfall von Versagen einer psychischen Funktion — des Erinnerns — eine Aufklärung zuläßt, welche weit über die gebräuchliche Verwertung des Phänomens hinausführt.

§ 23

Wenn ich nicht sehr irre, würde ein Psycholog, von dem man die Erklärung forderte, wie es zugehe, daß einem so oft ein Name nicht einfällt, den man doch zu kennen glaubt, sich begnügen zu antworten, daß Eigennamen dem Vergessen leichter unterliegen als andersartiger Gedächtnisinhalt. Er würde die plausiblen Gründe für solche Bevorzugung der Eigennamen anführen, eine anderweitige Bedingtheit des Vorgangs aber nicht vermuten.

§ 24

Für mich wurde zum Anlaß einer eingehenden Beschäftigung mit dem Phänomen des zeitweiligen Namenvergessens die Beobachtung gewisser Einzelheiten, die sich zwar nichtin allen Fällen, aber in einzelnen deutlich genug erkennen lassen. In solchen Fällen wird nämlich nicht nur vergessen, sondern auch falsch erinnert. Dem sich um den entfallenden Namen Bemühenden kommen andere — Ersatznamen — zum Bewußtsein, die zwar sofort als unrichtig erkannt werden, sich aber doch mit großer Zähigkeit immer wieder aufdrängen. Der Vorgang, der zur Reproduktion des gesuchten Namens führen soll, hat sich gleichsam verschoben und so zu einem unrichtigen Ersatz geführt. Meine Voraussetzung ist nun, daß diese Verschiebung nicht psychischer Willkür überlassen ist, sondern gesetzmäßige und berechenbare Bahnen einhält. Mit anderen Worten, ich vermute, daß der oder die Ersatznamen in einem aufspürbaren Zusammenhang mit dem gesuchten Namen stehen, und hoffe, wenn es mir gelingt, diesen Zusammenhang nachzuweisen, dann auch Licht über den Hergang des Namenvergessens zu verbreiten.

§ 25

In dem 1898 von mir zur Analyse gewählten Beispiel war es der Name des Meisters, welcher im Dom von Orvieto die großartigen Fresken von den „letzten Dingen“ geschaffen, den zu erinnern ich mich vergebens bemühte. Anstatt des gesuchten Namens — Signorelli — drängten sich mir zwei andere Namen von Malern auf — Botticelli und Boltraffio —, die mein Urteil sofort und entschieden als unrichtig abwies. Als mir der richtige Name von fremder Seite mitgeteilt wurde, erkannte ich ihn sogleich und ohne Schwanken. Die Untersuchung, durch welche Einflüsse und auf welchen Assoziationswegen sich die Reproduktion in solcher Weise — von Signorelli auf Botticelli und Boltraffio — verschoben hatte, führte zu folgenden Ergebnissen:

§ 26

a) Der Grund für das Entfallen des Namens Signorelli ist weder in einer Besonderheit dieses Namens selbst noch ineinem psychologischen Charakter des Zusammenhanges zu suchen, in welchen derselbe eingefügt war. Der vergessene Name war mir ebenso vertraut wie der eine der Ersatznamen — Botticelli — und ungleich vertrauter als der andere der Ersatznamen — Boltraffio —, von dessen Träger ich kaum etwas anderes anzugeben wüßte als seine Zugehörigkeit zur mailändischen Schule. Der Zusammenhang aber, in dem sich das Namervergessen ereignete, erscheint mir harmlos und führt zu keiner weiteren Aufklärung: Ich machte mit einem Fremden eine Wagenfahrt von Ragusa in Dalmatien nach einer Station der Herzegowina; wir kamen auf das Reisen in Italien zu sprechen, und ich fragte meinen Reisegefährten, ob er schon in Orvieto gewesen und dort die berühmten Fresken des *** besichtigt habe.

§ 27

b) Das Namenvergessen erklärt sich erst, wenn ich mich an das in jener Unterhaltung unmittelbar vorhergehende Thema erinnere, und gibt sich als eine Störung des neu auftauchenden Themas durch das vorhergehende zu erkennen. Kurz ehe ich an meinen Reisegefährten die Frage stellte, ob er schon in Orvieto gewesen, hatten wir uns über die Sitten der in Bosnien und in der Herzegowina lebenden Türken unterhalten. Ich hatte erzählt, was ich von einem unter diesen Leuten praktizierenden Kollegen gehört hatte, daß sie sich voll Vertrauen in den Arzt und voll Ergebung in das Schicksal zu zeigen pflegen. Wenn man ihnen ankündigen muß, daß es für den Kranken keine Hilfe gibt, so antworten sie:Herr, was ist da zu sagen? Ich weiß, wenn er zu retten wäre, hättest du ihn gerettet!“ — Erst in diesen Sätzen finden sich die Worte und Namen: Bosnien, Herzegowina, Herr vor, welche sich in eine Assoziationsreihe zwischen SignorelliBotticelli und Boltraffio einschalten lassen.

§ 28

c) Ich nehme an, daß der Gedankenreihe von den Sitten der Türken in Bosnien usw. die Fähigkeit, einen nächsten Gedanken zu stören, darum zukam, weil ich ihr meine Aufmerksamkeit entzogen hatte, ehe sie noch zu Ende gebracht war. Ich erinnere nämlich, daß ich eine zweite Anekdote erzählen wollte, die nahe bei der ersten in meinem Gedächtnis ruhte. Diese Türken schätzen den Sexualgenuß über alles und verfallen bei sexuellen Störungen in eine Verzweiflung, welche seltsam gegen ihre Resignation bei Todesgefahr absticht. Einer der Patienten meines Kollegen hatte ihm einmal gesagt: „Du weißt ja, Herr, wenn das nicht mehr geht, dann hat das Leben keinen Wert.“ Ich unterdrückte die Mitteilung dieses charakteristischen Zuges, weil ich das heikle Thema nicht im Gespräch mit einem Fremden berühren wollte. Ich tat aber noch mehr; ich lenkte meine Aufmerksamkeit auch von der Fortsetzung der Gedanken ab, die sich bei mir an das Thema „Tod und Sexualität“ hätten knüpfen können. Ich stand damals unter der Nachwirkung einer Nachricht, die ich wenige Wochen vorher während eines kurzen Aufenthaltes in Trafoi erhalten hatte. Ein Patient, mit dem ich mir viele Mühe gegeben, hatte wegen einer unheilbaren sexuellen Störung seinem Leben ein Ende gemacht. Ich weiß bestimmt, daß mir auf jener Reise in die Herzegowina dieses traurige Ereignis und alles, was damit zusammenhängt, nicht zur bewußten Erinnerung kam. Aber die Übereinstimmung TrafoiBoltraffio nötigt mich anzunehmen, daß damals diese Reminiszenz trotz der absichtlichen Ablenkung meiner Aufmerksamkeit in mir zur Wirksamkeit gebracht worden ist.

§ 29

d) Ich kann das Vergessen des Namens Signorelli nicht mehr als ein zufälliges Ereignis auffassen. Ich muß den Einfluß eines Motivs bei diesem Vorgang anerkennen. Es warenMotive, die mich veranlaßten, mich in der Mitteilung meiner Gedanken (über die Sitten der Türken usw.) zu unterbrechen, und die mich ferner beeinflußten, die daran sich knüpfenden Gedanken, die bis zur Nachricht in Trafoi geführt hätten, in mir vom Bewußtwerden auszuschließen. Ich wollte also etwas vergessen, ich hatte etwas verdrängt. Ich wollte allerdings etwas anderes vergessen als den Namen des Meisters von Orvieto; aber dieses andere brachte es zu stande, sich mit dessen Namen in assoziative Verbindung zu setzen, so daß mein Willensakt das Ziel verfehlte und ich das eine wider Willen vergaß, während ich das andere mit Absicht vergessen wollte. Die Abneigung, zu erinnern, richtete sich gegen den einen Inhalt; die Unfähigkeit, zu erinnern, trat an einem anderen hervor. Es wäre offenbar ein einfacherer Fall, wenn Abneigung und Unfähigkeit, zu erinnern, denselben Inhalt beträfen. — Die Ersatznamen erscheinen mir auch nicht mehr so völlig unberechtigt wie vor der Aufklärung; sie mahnen mich (nach Art eines Kompromisses) ebenso sehr an das, was ich vergessen, wie an das, was ich erinnern wollte, und zeigen mir, daß meine Absicht, etwas zu vergessen, weder ganz gelungen, noch ganz mißglückt ist.

§ 30

e) Sehr auffällig ist die Art der Verknüpfung, die sich zwischen dem gesuchten Namen und dem verdrängten Thema (von Tod und Sexualität usw., in dem die Namen Bosnien, Herzegowina, Trafoi vorkommen) hergestellt hat. Das hier eingeschaltete, aus der Abhandlung des Jahres 1898 wiederholte Schema sucht diese Verknüpfung anschaulich darzustellen.

§ 31

Der Name Signorelli ist dabei in zwei Stücke zerlegt worden. Das eine Silbenpaar ist in einem der Ersatznamen unverändert wiedergekehrt (elli), das andere hat durch die Übersetzung Signor — Herr mehrfache und verschiedenartige Beziehungen zu den im verdrängten Thema enthaltenen Namen gewonnen, ist aber dadurch für die Reproduktion verloren gegangen. Sein Ersatz hat so stattgefunden, als ob eine Verschiebung längs der Namenverbindung „Herzegowina und Bosnien“ vorgenommen wäre, ohne Rücksicht auf den Sinn und auf die akustische Abgrenzung der Silben zu nehmen. Die Namen sind also bei diesem Vorgang ähnlich behandelt worden wie die Schriftbilder eines Satzes, der in ein Bilderrätsel (Rebus) umgewandelt werden soll. Von dem ganzen Hergang, der anstatt des Namens Signorelli auf solchen Wegen die Ersatznamen geschaffen hat, ist dem Bewußtsein keine Kunde gegeben worden. Eine Beziehung zwischen dem Thema, in dem der Name Signorelli vorkam, und dem zeitlich ihm vorangehenden verdrängten Thema, welche über diese Wiederkehr gleicher Silben (oder vielmehr Buchstabenfolgen) hinausginge, scheint zunächst nicht auffindbar zu sein.

§ 32

Es ist vielleicht nicht überflüssig zu bemerken, daß die von den Psychologen angenommenen Bedingungen der Reproduktion und des Vergessens, die in gewissen Relationen und Dispositionen gesucht werden, durch die vorstehende Aufklärung einen Widerspruch nicht erfahren. Wir haben nur für gewisse Fälle zu all den längst anerkannten Momenten, die das Vergessen eines Namens bewirken können, noch ein Motiv hinzugefügt und überdies den Mechanismus des Fehlerinnerns klargelegt. Jene Dispositionen sind auch für unseren Fall unentbehrlich, um die Möglichkeit zu schaffen, daß das verdrängte Element sich assoziativ des gesuchten Namens bemächtige und es mit sich in die Verdrängung nehme. Bei einem anderen Namen mit günstigeren Reproduktionsbedingungen wäre dies vielleicht nicht geschehen. Es ist ja wahrscheinlich, daß ein unterdrücktes Element allemal bestrebt ist, sich irgendwo anders zur Geltung zu bringen, diesen Erfolg aber nur dort erreicht, wo ihm geeignete Bedingungen entgegenkommen. Andere Male gelingt die Unterdrückung ohne Funktionsstörung, oder, wie wir mit Recht sagen können, ohne Symptome.

§ 33

Die Zusammenfassung der Bedingungen für das Vergessen eines Namens mit Fehlerinnern ergibt also: 1. eine gewisse Disposition zum Vergessen desselben, 2. einen kurz vorher abgelaufenen Unterdrückungsvorgang, 3. die Möglichkeit, eine äußerliche Assoziation zwischen dem betreffenden Namen und dem vorher unterdrückten Element herzustellen. Letztere Bedingung wird man wahrscheinlich nicht sehr hoch veranschlagen müssen, da bei den geringen Ansprüchen an die Assoziation eine solche in den allermeisten Fällen durchzusetzen sein dürfte. Eine andere und tiefer reichende Frage ist es, ob eine solche äußerliche Assoziation wirklich die ge—nügende Bedingung dafür sein kann, daß das verdrängte Element die Reproduktion des gesuchten Namens störe, ob nicht doch notwendig ein intimerer Zusammenhang der beiden Themata erforderlich wird. Bei oberflächlicher Betrachtung würde man letztere Forderung abweisen wollen und das zeitliche Aneinanderstoßen bei völlig disparatem Inhalt für genügend halten. Bei eingehender Untersuchung findet man aber immer häufiger, daß die beiden durch eine äußerliche Assoziation verknüpften Elemente (das verdrängte und das neue) außerdem einen inhaltlichen Zusammenhang besitzen, und auch in dem Beispiel Signorelli läßt sich ein solcher erweisen.

§ 34

Der Wert der Einsicht, die wir bei der Analyse des Beispiels Signorelli gewonnen haben, hängt natürlich davon ab, ob wir diesen Fall für ein typisches oder für ein vereinzeltes Vorkommnis erklären wollen. Ich muß nun behaupten, daß das Namenvergessen mit Fehlerinnern ungemein häufig so zugeht, wie wir es im Falle: Signorelli aufgelöst haben. Fast allemal, da ich dies Phänomen bei mir selbst beobachten konnte, war ich auch im stande, es mir in der vorerwähnten Weise als durch Verdrängung motiviert zu erklären. Ich muß auch noch einen anderen Gesichtspunkt zu Gunsten der typischen Natur unserer Analyse geltend machen. Ich glaube, daß man nicht berechtigt ist, die Fälle von Namenvergessen mit Fehlerinnern prinzipiell von solchen zu trennen, in denen sich unrichtige Ersatznamen nicht eingestellt haben. Diese Ersatznamen kommen in einer Anzahl von Fällen spontan; in anderen Fällen, wo sie nicht spontan aufgetaucht sind, kann man sie durch Anstrengung der Aufmerksamkeit zum Auftauchen zwingen, und sie zeigen dann die nämlichen Beziehungen zum verdrängten Element und zum gesuchten Namen, wie wenn sie spontan gekommen wären. Für das Bewußtwerden des Ersatznamens scheinen zwei Momente maßgebend zu sein, erstens die Bemühung der Aufmerksamkeit, zweitens eine innere Bedingung, die am psychischen Material haftet. Ich könnte letztere in der größeren oder geringeren Leichtigkeit suchen, mit welcher sich die benötigte äußerliche Assoziation zwischen den beiden Elementen herstellt. Ein guter Teil der Fälle von Namenvergessen ohne Fehlerinnern schließt sich so den Fällen mit Ersatznamenbildung an, für welche der Mechanismus des Beispiels Signorelli gilt. Ich werde aber mich gewiß nicht der Behauptung erkühnen, daß alle Fälle von Namenvergessen in die nämliche Gruppe einzureihen seien. Es gibt ohne Zweifel Fälle von Namenvergessen, die weit einfacher zugehen. Wir werden den Sachverhalt wohl vorsichtig genug dargestellt haben, wenn wir aussprechen: Neben dem einfachen Vergessen von Eigennamen kommt auch ein Vergessen vor, welches durch Verdrängung motiviert ist.

§ 35

II.

§ 36

VERGESSEN VON FREMDSPRACHIGEN WORTEN.

§ 37

Der gebräuchliche Sprachschatz unserer eigenen Sprache scheint innerhalb der Breite normaler Funktion gegen das Vergessen geschützt. Anders steht es bekanntlich mit den Vokabeln einer fremden Sprache. Die Disposition zum Vergessen derselben ist für alle Redeteile vorhanden, und ein erster Grad von Funktionsstörung zeigt sich in der Ungleichmäßigkeit unserer Verfügung über den fremden Sprachschatz, je nach unserem Allgemeinbefinden und dem Grade unserer Ermüdung. Dieses Vergessen geht in einer Reihe von Fällen nach demselben Mechanismus vor sich, den uns das Beispiel Signorelli enthüllt hat. Ich werde zum Beweise hiefür eine einzige, aber durch wertvolle Eigentümlichkeiten ausgezeichnete Analyse mitteilen, die den Fall des Vergessens eines nicht substantivischen Wortes aus einem lateinischen Zitat betrifft. Man gestatte mir, den kleinen Vorfall breit und anschaulich vorzutragen.

§ 38

Im letzten Sommer erneuerte ich — wiederum auf der Ferienreise — die Bekanntschaft eines jungen Mannes von akademischer Bildung, der, wie ich bald merkte, mit einigen meiner psychologischen Publikationen vertraut war. Wir waren im Gespräch — ich weiß nicht mehr wie — auf die soziale Lage des Volksstammes gekommen, dem wir beide angehören, und er, der Ehrgeizige, erging sich in Bedauerndarüber, daß seine Generation, wie er sich äußerte, zur Verkümmerung bestimmt sei, ihre Talente nicht entwickeln und ihre Bedürfnisse nicht befriedigen könne. Er schloß seine leidenschaftlich bewegte Rede mit dem bekannten Vergilschen Vers, in dem die unglückliche Dido ihre Rache an Aeneas der Nachwelt überträgt: Exoriare...., vielmehr er wollte so schließen, denn er brachte das Zitat nicht zu stande und suchte eine offenkundige Lücke der Erinnerung durch Umstellung von Worten zu verdecken: Exoriar(e) ex nostris ossibus ultor! Endlich sagte er geärgert: „Bitte, machen Sie nicht ein so spöttisches Gesicht, als ob Sie sich an meiner Verlegenheit weiden würden, und helfen Sie mir lieber. An dem Vers fehlt etwas. Wie heißt er eigentlich vollständig?“

§ 39

Gerne, erwiderte ich und zitierte, wie es richtig lautet:

§ 40

"Exoriar(e) aliquis nostris ex ossibus ultor!"

§ 41

„Zu dumm, ein solches Wort zu vergessen. Übrigens von Ihnen hört man ja, daß man nichts ohne Grund vergißt. Ich wäre doch zu neugierig zu erfahren, wie ich zum Vergessen dieses unbestimmten Pronomen aliquis komme.“

§ 42

Ich nahm diese Herausforderung bereitwilligst an, da ich einen Beitrag zu meiner Sammlung erhoffte. Ich sagte also: Das können wir gleich haben. Ich muß sie nur bitten, mir aufrichtig und kritiklos alles mitzuteilen, was Ihnen einfällt, wenn Sie ohne bestimmte Absicht Ihre Aufmerksamkeit auf das vergessene Wort richten**.

§ 43

„Gut, da komme ich also auf den lächerlichen Einfall, mir das Wort in folgender Art zu zerteilen: a und liquis.“

* Dies ist der allgemeine Weg, um Vorstellungselemente, die sich verbergen, dem Bewußtsein zuzuführen. Vgl. meine „Traumdeutung“, p. 69. (5. Aufl., p. 71.) § 44

Was soll das? — „Weiß ich nicht.“ — Was fällt Ihnen weiter dazu ein? — „Das setzt sich so fort: Reliquien LiquidationFlüssigkeitFluid. Wissen Sie jetzt schon etwas?“

§ 45

Nein, noch lange nicht. Aber fahren Sie fort.

§ 46

„Ich denke“, fuhr er höhnisch lachend fort, „an Simon von Trient, dessen Reliquien ich vor zwei Jahren in einer Kirche in Trient gesehen habe. Ich denke an die Blutbeschuldigung, die gerade jetzt wieder gegen die Juden erhoben wird, und an die Schrift von Kleinpaul, der in all diesen angeblichen Opfern Inkarnationen, sozusagen Neuauflagen, des Heilands sieht.“

§ 47

Der Einfall ist nicht ganz ohne Zusammenhang mit dem Thema, über das wir uns unterhielten, ehe Ihnen das lateinische Wort entfiel.

§ 48

„Richtig. Ich denke ferner an einen Zeitungsartikel in einem italienischen Journal, den ich kürzlich gelesen. Ich glaube, er war überschrieben: Was der hl. Augustinus über die Frauen sagt. Was machen Sie damit?“

§ 49

Ich warte.

§ 50

„Also jetzt kommt etwas, was ganz gewiß außer Zusammenhang mit unserem Thema steht.“

§ 51

Enthalten Sie sich gefälligst jeder Kritik und —

§ 52

„Ich weiß schon. Ich erinnere mich eines prächtigen alten Herrn, den ich vorige Woche auf der Reise getroffen. Ein wahres Original. Er sieht aus wie ein großer Raubvogel. Er heißt, wenn Sie es wissen wollen, Benedikt.“

§ 53

Doch wenigstens eine Aneinanderreihung von Heiligen und Kirchenvätern: Der heilige Simon, St. Augustinus, St. Benediktus. Ein Kirchenvater hieß, glaube ich,Origines. Drei dieser Namen sind übrigens auch Vornamen wie Paul im Namen Kleinpaul.

§ 54

„Jetzt fällt mit der heilige Januarius ein und sein Blutwunder — ich finde, das geht mechanisch so weiter.“

§ 55

Lassen Sie das; der heilige Januarius und der heilige Augustinus haben beide mit dem Kalender zu tun. Wollen Sie mich nicht an das Blutwunder erinnern?

§ 56

„Das werden Sie doch kennen! In einer Kirche zu Neapel wird in einer Phiole das Blut des heiligen Januarius aufbewahrt, welches durch ein Wunder an einem bestimmten Festtag wieder flüssig wird. Das Volk hält viel auf dieses Wunder und wird sehr aufgeregt, wenn es sich verzögert, wie es einmal zur Zeit einer französischen Okkupation geschah. Da nahm der kommandierende General — oder irre ich mich? war es Garibaldi? — den geistlichen Herrn beiseite und bedeutete ihm mit einer sehr verständlichen Gebärde auf die draußen aufgestellten Soldaten, er hoffe, das Wunder werde sich sehr bald vollziehen. Und es vollzog sich wirklich. . .“

§ 57

Nun und weiter? Warum stocken Sie?

§ 58

„Jetzt ist mir allerdings etwas eingefallen. . . . das ist aber zu intim für die Mitteilung. . . . Ich sehe übrigens keinen Zusammenhang und keine Nötigung, es zu erzählen.“

§ 59

Für den Zusammenhang würde ich sorgen. Ich kann Sie ja nicht zwingen zu erzählen, was Ihnen unangenehm ist; dann verlangen Sie aber auch nicht von mir zu wissen, auf welchem Wege Sie jenes Wort „aliquis“ vergessen haben.

§ 60

„Wirklich? Glauben Sie? Also ich habe plötzlich an eine Dame gedacht, von der ich leicht eine Nachricht bekommen könnte, die uns beiden recht unangenehm wäre.“

§ 61

Daß ihr die Periode ausgeblieben ist?

§ 62

„Wie können Sie das erraten?“

§ 63

Das ist nicht mehr schwierig. Sie haben mich genügend darauf vorbereitet. Denken Sie an die Kalenderheiligen, an das Flüssigwerden des Blutes zu einem bestimmten Tage, den Aufruhr, wenn das Ereignis nicht eintritt, die deutliche Drohung, daß das Wunder vor sich gehen muß, sonst. . . . Sie haben ja das Wunder des heiligen Januarius zu einer prächtigen Anspielung auf die Periode der Frau verarbeitet.

§ 64

„Ohne daß ich es gewußt hätte. Und Sie meinen wirklich, wegen dieser ängstlichen Erwartung hätte ich das Wörtchen ,aliquis‘ nicht reproduzieren können?“

§ 65

Das scheint mir unzweifelhaft. Erinnern Sie sich doch an Ihre Zerlegung in a—liquis und an die Assoziationen: Reliquien, Liquidation, Flüssigkeit. Soll ich noch den als Kind hingeopferten heiligen Simon, auf den Sie von den Reliquien her kamen, in den Zusammenhang einflechten?

§ 66

„Tun Sie das lieber nicht. Ich hoffe, Sie nehmen diese Gedanken, wenn ich sie wirklich gehabt habe, nicht für Ernst. Ich will Ihnen dafür gestehen, daß die Dame Italienerin ist, in deren Gesellschaft ich auch Neapel besucht habe. Kann das aber nicht alles Zufall sein?"

§ 67

Ich muß es Ihrer eigenen Beurteilung überlassen, ob Sie sich alle diese Zusammenhänge durch die Annahme eines Zufalls aufklären können. Ich sage Ihnen aber, jeder ähnliche Fall, den Sie analysieren wollen, wird Sie auf ebenso merkwürdige „Zufälle“ führen.

§ 68

Ich habe mehrere Gründe, diese kleine Analyse, für deren Überlassung ich meinem damaligen Reisegenossen Dank schulde, zu schätzen. Erstens, weil mir in diesem Falle gestattet war, aus einer Quelle zu schöpfen, die mir sonst versagt ist. Ich bin zumeist genötigt, die Beispiele von psychischer Funktionsstörung im täglichen Leben, die ich hier zusammenstelle, meiner Selbstbeobachtung zu entnehmen. Das weit reichere Material, das mir meine neurotischen Patienten liefern, suche ich zu vermeiden, weil ich den Einwand fürchten muß, die betreffenden Phänomene seien eben Erfolge und Äußerungen der Neurose. Es hat also besonderen Wert für meine Zwecke, wenn sich eine nervengesunde fremde Person zum Objekt einer solchen Untersuchung erbietet. In anderer Hinsicht wird mir diese Analyse bedeutungsvoll, indem sie einen Fall von Wortvergessen ohne Ersatzerinnern beleuchtet und meinen vorhin aufgestellten Satz bestätigt, daß das Auftauchen oder Ausbleiben von unrichtigen Ersatzerinnerungen eine wesentliche Unterscheidung nicht begründen kann**.

* Feinere Beobachtung schränkt den Gegensatz zwischen der Analyse: Signorelli und der: aliquis betreffs der Ersatzerinnerungen um einiges ein. Auch hier scheint nämlich das Vergessen von einer Ersatzbildung begleitet zu sein. Als ich an meinen Partner nachträglich die Frage stellte, ob ihm bei seinen Bemühungen, das fehlende Wort zu erinnern, nicht irgend etwas zum Ersatz eingefallen sei, berichtete er, daß er zunächst die Versuchung verspürt habe, ein ab in den Vers zu bringen: nostris ab ossibus (vielleicht das unverknüpfte Stück von a-liquis) und dann, daß sich ihm das Exoriare besonders deutlich und hartnäckig aufgedrängt habe. Als Skeptiker setzte er hinzu, offenbar weil es das erste Wort des Verses war. Als ich ihn hat, doch auf die Assoziationen von Exoriare aus zu achten, gab er mir Exorzismus an. Ich kann mir also sehr wohl denken, daß die Verstärkung von Exoriare in der Reproduktion eigentlich den Wert einer solchen Ersatzbildung hatte. Dieselbe wäre über die Assoziation: Exorzismus von den Namen der Heiligen her erfolgt. Indes sind dies Feinheiten, auf die man keinen Wert zu legen braucht. — Es erscheint nun aber wohl möglich, daß das Auftreten irgend einer Art von Ersatzerinnerung ein konstantes, vielleicht auch nur ein charakteristisches und verräterisches Zeichen des tendenziösen, durch Verdrängung motivierten Vergessens ist. Diese Ersatzbildung beständeauch dort, wo das Auftauchen unrichtiger Ersatznamen ausbleibt, in der Verstärkung eines Elementes, welches dem vergessenen benachbart ist. Im Falle: Signorelli war z. B., solange mir der Name des Malers unzugänglich blieb, die visuelle Erinnerung an den Zyklus von Fresken und an sein in der Ecke eines Bildes angebrachtes Selbstporträt überdeutlich, jedenfalls weit intensiver, als visuelle Erinnerungsspuren sonst bei mir auftreten. In einem anderen Falle, der gleichfalls in der Abhandlung von 1898 mitgeteilt ist, hatte ich von der Adresse eines mir unbequemen Besuches in einer fremden Stadt den Straßennamen hoffnungslos vergessen, die Hausnummer aber wie zum Spott — überdeutlich gemerkt, während sonst das Erinnern von Zahlen mir die größte Schwierigkeit bereitet. § 69

Der Hauptwert des Beispiels: aliquis ist aber in einem anderen seiner Unterschiede von dem Falle: Signorelli gelegen. Im letzteren Beispiel wird die Reproduktion des Namens gestört durch die Nachwirkung eines Gedankenganges, der kurz vorher begonnen und abgebrochen wurde, dessen Inhalt aber in keinem deutlichen Zusammenhang mit dem neuen Thema stand, in dem der Name Signorelli enthalten war. Zwischen dem verdrängten und dem Thema des vergessenen Namens bestand bloß die Beziehung der zeitlichen Kontiguität; dieselbe reichte hin, damit sich die beiden durch eine äußerIiche Assoziation in Verbindung setzen konnten**. Im Beispiel: aliquis hingegen ist von einem solchen unabhängigen verdrängten Thema, welches unmittelbar vorher das bewußte Denken beschäftigt hätte und nun als Störung nachklänge, nichts zu merken. Die Störung der Reproduktion erfolgt hier aus dem Innern des angeschlagenen Themas heraus, indem sichunbewußt ein Widerspruch gegen die im Zitat dargestellte Wunschidee erhebt. Man muß sich den Hergang in folgender Art konstruieren: Der Redner hat bedauert, daß die gegenwärtige Generation seines Volkes in ihren Rechten verkürzt wird; eine neue Generation, weissagt er wie Dido, wird die Rache an den Bedrängten übernehmen. Er hat also den Wunsch nach Nachkommenschaft ausgesprochen. In diesem Moment fährt ihm ein widersprechender Gedanke dazwischen. „Wünschest du dir Nachkommenschaft wirklich so lebhaft? Das ist nicht wahr. In welche Verlegenheit kämest du, wenn du jetzt die Nachricht erhieltest, daß du von der einen Seite, die du kennst, Nachkommen zu erwarten hast? Nein, keine Nachkommenschaft, — wiewohl wir sie für die Rache brauchen.“ Dieser Widerspruch bringt sich nun zur Geltung, indem er genau wie im Beispiel: Signorelli eine äußerliche Assoziation zwischen einem seiner Vorstellungselemente und einem Element des beanstandeten Wunsches herstellt, und zwar diesmal auf eine höchst gewaltsame Weise durch einen gekünstelt erscheinenden Assoziationsumweg. Eine zweite wesentliche Übereinstimmung mit dem Beispiel Signorelli ergibt sich daraus, daß der Widerspruch aus verdrängten Quellen stammt und von Gedanken ausgeht, welche eine Abwendung der Aufmerksamkeit hervorrufen würden. — Soviel über die Verschiedenheit und über die innere Verwandtschaft der beiden Paradigmata des Namenvergessens. Wir haben einen zweiten Mechanismus des Vergessens kennen gelernt, die Störung eines Gedankens durch einen aus dem Verdrängten kommenden inneren Widerspruch. Wir werden diesem Vorgang, der uns als der leichter verständliche erscheint, im Laufe dieser Erörterungen noch wiederholt begegnen.

* Ich möchte für das Fehlen eines inneren Zusammenhanges zwischen den beiden Gedankenkreisen im Falle Signorelli nicht mit voller Überzeugung einstehen. Bei sorgfältiger Verfolgung der verdrängten Gedanken über das Thema von Tod und Sexualleben stößt man doch auf eine Idee, die sich mit dem Thema der Fresken von Orvieto nahe berührt. § 70

III.

§ 71

VERGESSEN VON NAMEN UND WORTFOLGEN.

§ 72

Erfahrungen, wie die eben erwähnte, über den Hergang des Vergessens eines Stückes aus einer fremdsprachigen Wortfolge können die Wißbegierde rege machen, ob denn das Vergessen von Wortfolgen in der Muttersprache eine wesentlich andere Aufklärung erfordere. Man pflegt zwar nicht verwundert zu sein, wenn man eine auswendig gelernte Formel oder ein Gedicht nach einiger Zeit nur ungetreu, mit Abänderungen und Lücken reproduzieren kann. Da aber dieses Vergessen das im Zusammenhang Erlernte nicht gleichmäßig betrifft, sondern wiederum einzelne Stücke daraus loszubröckeln scheint, könnte es sich der Mühe verlohnen, einzelne Beispiele von solcher fehlerhaft gewordenen Reproduktion analytisch zu untersuchen.

§ 73

Ein jüngerer Kollege, der im Gespräche mit mir die Vermutung äußerte, das Vergessen von Gedichten in der Muttersprache könnte wohl ähnlich motiviert sein wie das Vergessen einzelner Elemente in einer fremdsprachigen Wortfolge, erbot sich zugleich zum Untersuchungsobjekt. Ich fragte ihn, an welchem Gedichte er die Probe machen wolle, und er wählte „Die Braut von Korinth“, welches Gedicht er sehr liebe und wenigstens strophenweise auswendig zu kennen glaube. Zu Beginn der Reproduktion traf sich ihm eine eigentlich auffällige Unsicherheit, „Heißt es: ,Von Korinthus nach Athengezogen‘,“ fragte er, „oder ,Nach Korinthus von Athen gezogen‘.“ Auch ich war einen Moment lange schwankend, bis ich lachend bemerkte, daß der Titel des Gedichtes „Die Braut von Korinth“ ja keinen Zweifel darüber lasse, welchen Weg der Jüngling ziehe. Die Reproduktion der ersten Strophe ging dann glatt oder wenigstens ohne auffällige Verfälschung vor sich. Nach der ersten Zeile der zweiten Strophe schien der Kollege eine Weile zu suchen; er setzte bald fort und rezitierte also:

§ 74

"Aber wird er auch willkommen scheinen, Jetzt, wo jeder Tag was Neues bringt? Denn er ist noch Heide mit den Seinen Und sie sind Christen und — getauft."

§ 75

Ich hatte schon vorher wie befremdet aufgehorcht; nach dem Schlusse der letzten Zeile waren wir beide einig, daß hier eine Entstellung stattgefunden habe. Da es uns aber nicht gelang, dieselbe zu korrigieren, eilten wir zur Bibliothek, um Goethes Gedichte zur Hand zu nehmen, und fanden zu unserer Überraschung, daß die zweite Zeile dieser Strophe einen völlig anderen Wortlaut habe, der vom Gedächtnis des Kollegen gleichsam herausgeworfen und durch etwas anscheinend fremdes ersetzt worden war. Es hieß richtig:

§ 76

"Aber wird er auch willkommen scheinen, Wenn er teuer nicht die Gunst erkauft."

§ 77

Auf „erkauft“ reimte „getauft“, und es schien mir sonderbar, daß die Konstellation: Heide, Christen und getauft, ihn bei der Wiederherstellung des Textes so wenig gefördert hatte.

§ 78

Können Sie sich erklären, fragte ich den Kollegen, daß Sie in dem Ihnen angeblich so wohl vertrauten Gedichte die Zeile so vollständig gestrichen haben, und haben Sie eineAhnung, aus welchem Zusammenhang Sie den Ersatz holen konnten?

§ 79

Er war im stande, Aufklärung zu geben, obwohl er es offenbar nicht sehr gerne tat. „Die Zeile: Jetzt, wo jeder Tag was Neues bringt, kommt mir bekannt vor; ich muß diese Worte vor kurzem mit Bezug auf meine Praxis gebraucht haben, mit deren Aufschwung ich, wie Sie wissen, gegenwärtig sehr zufrieden bin. Wie dieser Satz aber dahinein gehört? Ich wüßte einen Zusammenhang. Die Zeile ,wenn er teuer nicht die Gunst erkauft‘ war mir offenbar nicht angenehm. Es hängt das mit einer Bewerbung zusammen, die ein erstes Mal abgeschlagen worden ist, und die ich jetzt mit Rücksicht auf meine sehr gebesserte materielle Lege zu wiederholen gedenke. Ich kann Ihnen nicht mehr sagen, aber es kann mir doch gewiß nicht lieb sein, wenn ich jetzt angenommen werde, mich daran zu erinnern, daß eine Art von Berechnung damals wie nun den Ausschlag gegeben hat.“

§ 80

Das erschien mir einleuchtend, auch ohne daß ich die näheren Umstände zu wissen brauchte. Aber ich fragte weiter: Wie kommen Sie überhaupt dazu, sich und Ihre privaten Verhältnisse in den Text der „Braut von Korinth“ zu mengen? Bestehen vielleicht in Ihrem Falle solche Unterschiede der Religionsbekenntnisse, wie sie im Gedichte zur Bedeutung kommen?

§ 81

( "Keimt ein Glaube neu, wird oft Lieb’ und Treu wie ein böses Unkraut ausgerauft." )

§ 82

Ich hatte nicht richtig geraten, aber es war merkwürdig zu erfahren, wie die eine wohlgezielte Frage den Mann plötzlich hellsehend machte, so daß er mir als Antwort bringen konnte, was ihm sicherlich bis dahin selbst unbekannt geblieben war.Er sah mich mit einem gequälten und auch unwilligen Blick an, murmelte eine spätere Stelle des Gedichtes vor sich hin:

§ 83

"Sieh sie an genau" ** "!" "Morgen ist sie grau."

§ 84

und fügte kurz hinzu: Sie ist etwas älter als ich. Um ihm nicht noch mehr Pein zu bereiten, brach ich die Erkundigung ab. Die Aufklärung erschien mir zureichend. Aber es war gewiß überraschend, daß die Bemühung, eine harmlose Fehlleistung des Gedächtnisses auf ihren Grund zurückzuführen, an so ferne liegende, intime und mit peinlichem Affekt besetzte Angelegenheiten des Untersuchten rühren mußte.

§ 85

Ein anderes Beispiel vom Vergessen in der Wortfolge eines bekannten Gedichtes will ich nach C. G. Jung**** und mit den Worten des Autors anführen.

§ 86

"Ein Herr will das bekannte Gedicht rezitieren: ,Ein Fichtenbaum steht einsam usw.‘ In der Zeile: ,Ihn schläfert‘ bleibt er rettungslos stecken, er hat ,mit weißer Decke‘ total vergessen. Dieses Vergessen in einem so bekannten Vers schien mir auffallend, und ich ließ ihn nun reproduzieren, was ihm zu ,mit weißer Decke‘ einfiel. Es entstand folgende Reihe: ,Man denkt bei weißer Decke an ein Totentuch — ein Lein-" "tuch, mit dem man einen Toten zudeckt — (Pause) — jetzt fällt mir ein naher Freund ein — sein Bruder ist jüngst ganz plötzlich gestorben — er soll an einem Herzschlag gestorben sein — er war eben auch sehr korpulent — mein Freund ist auch korpulent und ich habe schon gedacht, es könnte ihm auch so gehen — er gibt sich wahrscheinlich zu wenig Bewegung — als ich von dem Todesfall hörte, ist mir plötzlich angst geworden, es könnte mir auch so gehen, da wir in unserer Familie sowieso Neigung zur Fettsucht haben, und auch mein Großvater an einem Herzschlag gestorben ist; ich finde mich auch zu korpulent und habe deshalb in diesen Tagen mit einer Entfettungskur begonnen.‘"

* Der Kollege hat übrigens die schöne Stelle des Gedichtes sowohl in ihrem Wortlaut wie nach ihrer Anwendung etwas abgeändert. Das gespenstische Mädchen sagt seinem Bräutigam: "Meine Kette hab’ ich dir gegeben; Deine Locke nehm’ ich mit mir fort. Sieh sie an genau! Morgen bist du grau, Und nur braun erscheinst du wieder dort." ** C. G. Jung, Über die Psychologie der Dementia praecox. 1907, Seite 64. § 87

"Der Herr hat sich also unbewußt sofort mit dem Fichtenbaum identifiziert," “ bemerkt Jung, „ "der vom weißen Leichentuch umhüllt ist."

§ 88

Das nachstehende Beispiel von Vergessen einer Wortfolge, das ich meinem Freunde S. Ferenczi in Budapest verdanke, bezieht sich, anders als die vorigen, auf eine selbstgeprägte Rede, nicht auf einen vom Dichter übernommenen Satz. Es mag uns auch den nicht ganz gewöhnlichen Fall vorführen, daß sich das Vergessen in den Dienst unserer Besonnenheit stellt, wenn ihr die Gefahr droht, einem augenblicklichen Gelüste zu erliegen. Die Fehlleistung gelangt so zu einer nützlichen Funktion. Wenn wir wieder ernüchtert sind, geben wir dann jener inneren Strömung Recht, welche sich vorhin nur durch ein Versagen — ein Vergessen, eine psychische Impotenz — äußern konnte.

§ 89

„In einer Gesellschaft fällt das Wort ,Tout comprendre c’est tout pardonner‘. Ich bemerke dazu, daß der erste Teil des Satzes genügt; das ,Pardonnieren‘ sei eine Überhebung,man überlasse das Gott und den Geistlichen. Ein Anwesender findet diese Bemerkung sehr gut; das macht mich verwegen und — wahrscheinlich um die gute Meinung des wohlwollenden Kritikers zu sichern — sage ich, daß mir unlängst etwas Besseres eingefallen sei. Wie ich es aber erzählen will — fällt es mir nicht ein. — Ich ziehe mich sofort zurück und schreibe die Deckeinfälle auf. — Zuerst kommt der Name des Freundes und der Straße in Budapest, die die Zeugen der Geburt jenes (gesuchten) Einfalles waren; dann der Name eines anderen Freundes, Max, den wir gewöhnlich Maxi nennen. Das führt mich zum Worte Maxime und zur Erinnerung, daß es sich damals (wie im eingangs erwähnten Falle) um die Abänderung einer bekannten Maxime handelte. Seltsamerweise fällt mir dazu nicht eine Maxime, sondern folgendes ein: ,Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde‘ und dessen veränderte Fassung ,der Mensch schuf Gott nach dem seinigen‘. Daraufhin taucht sofort die Erinnerung an das Gesuchte auf:

§ 90

„Mein Freund sagte damals zu mir in der Andrássystraße: ,Nichts Menschliches ist mir fremd‘, worauf ich — auf die psychoanalytischen Erfahrungen anspielend — sagte: ,Du solltest weitergehen und bekennen, daß dir nichts Tierisches fremd ist‘.“

§ 91

„Nachdem ich aber endlich die Erinnerung an das Gesuchte hatte, konnte ich es in der Gesellschaft, in der ich mich gerade befand, erst recht nicht erzählen. Die junge Gattin des Freundes, den ich an die Animalität des Unbewußten erinnert hatte, war auch unter den Anwesenden, und ich mußte wissen, daß sie zur Kenntnisnahme solcher unerfreulicher Einsichten gar nicht vorbereitet war. Durch das Vergessen ist mir eine Reihe unangenehmer Fragen ihrerseits und eine aussichtsloseDiskussion erspart worden, und gerade das muß das Motiv der ,temporären Amnesie‘ gewesen sein.“

§ 92

„Es ist interessant, daß sich als Deckeinfall ein Satz einstellte, in dem die Gottheit zu einer menschlichen Erfindung degradiert wird, während im gesuchten Satze auf das Tierische im Menschen hingewiesen wurde. Also die Capitis diminutio ist das Gemeinsame. Das Ganze ist offenbar nur die Fortsetzung des durch das Gespräch angeregten Gedankenganges über das Verstehen und Verzeihen.“

§ 93

„Daß sich in diesem Falle das Gesuchte so rasch einstellte, verdanke ich vielleicht auch dem Umstand, daß ich mich aus der Gesellschaft, in der es zensuriert war, sofort in ein menschenleeres Zimmer zurückzog.“

§ 94

Ich habe seither zahlreiche andere Analysen in Fällen von Vergessen oder fehlerhafter Reproduktion einer Wortfolge angestellt und bin durch das übereinstimmende Ergebnis dieser Untersuchungen der Annahme geneigt worden, daß der in den Beispielen „aliquis“ und „Braut von Korinth“ nachgewiesene Mechanismus des Vergessens fast allgemeine Gültigkeit hat. Es ist meist nicht sehr bequem, solche Analysen mitzuteilen, da sie wie die vorstehend erwähnten stets zu intimen und für den Analysierten peinlichen Dingen hinleiten; ich werde die Zahl solcher Beispiele darum auch nicht weiter vermehren. Gemeinsam bleibt all diesen Fällen ohne Unterschied des Materials, daß das Vergessene oder Entstellte auf irgend einem assoziativen Wege mit einem unbewußten Gedankeninhalt in Verbindung gebracht wird, von welchem die als Vergessen sichtbar gewordene Wirkung ausgeht.

§ 95

Ich wende mich nun wiederum zu dem Vergessen von Namen, wovon wir bisher weder die Kasuistik noch die Motive erschöpfend betrachtet haben. Da ich gerade diese Art von Fehlleistung bei mir zuzeiten reichlich beobachten kann, bin ich um Beispiele hiefür nicht verlegen. Die leisen Migränen, an denen ich noch immer leide, pflegen sich Stunden vorher durch Namenvergessen anzukündigen, und auf der Höhe des Zustandes, während dessen ich die Arbeit aufzugeben nicht genötigt bin, bleiben mir häufig alle Eigennamen aus. Nun könnten gerade Fälle wie der meinige zu einer prinzipiellen Einwendung gegen unsere analytischen Bemühungen Anlaß geben. Soll man aus solchen Beobachtungen nicht folgern müssen, daß die Verursachung der Vergeßlichkeit und speziell des Namenvergessens in Zirkulations- und allgemeinen Funktionsstörungen des Großhirns gelegen ist, und sich darum psychologische Erklärungsversuche für diese Phänomene ersparen? Ich meine keineswegs; das hieße den in allen Fällen gleichartigen Mechanismus eines Vorgangs mit dessen variabeln und nicht notwendig erforderlichen Begünstigungen verwechseln. An Stelle einer Auseinandersetzung will ich aber ein Gleichnis zur Erledigung des Einwandes bringen.

§ 96

Nehmen wir an, ich sei so unvorsichtig gewesen, zur Nachtzeit in einer menschenleeren Gegend der Großstadt spazieren zu gehen, werde überfallen und meiner Uhr und Börse beraubt. An der nächsten Polizeiwachstelle erstatte ich dann die Meldung mit den Worten: Ich bin in dieser und jener Straße gewesen, dort haben Einsamkeit und Dunkelheit mir Uhr und Börse weggenommen. Obwohl ich in diesen Worten nichts gesagt hätte, was nicht richtig wäre, liefe ich doch Gefahr, nach dem Wortlaut meiner Meldung für nicht ganz richtig im Kopfe gehalten zu werden. Der Sachverhalt kann in korrekter Weise nur so beschrieben werden, daß, von der Einsamkeit des Ortes begünstigt, unter dem Schutze der Dunkelheit un- bekannte Täter mich meiner Kostbarkeiten beraubt haben.Nun denn, der Sachverhalt beim Namenvergessen braucht kein anderer zu sein; durch Ermüdung, Zirkulationsstörung und Intoxikation begünstigt, raubt mir eine unbekannte psychische Macht die Verfügung über die meinem Gedächtnis zustehenden Eigennamen, dieselbe Macht, welche in anderen Fällen dasselbe Versagen des Gedächtnisses bei voller Gesundheit und Leistungsfähigkeit zu stande bringen kann.

§ 97

Wenn ich die an mir selbst beobachteten Fälle von Namenvergessen analysiere, so finde ich fast regelmäßig, daß der vorenthaltene Name eine Beziehung zu einem Thema hat, welches meine Person nahe angeht, und starke, oft peinliche Affekte in mir hervorzurufen vermag. Nach der bequemen und empfehlenswerten Übung der Züricher Schule (Bleuler, Jung, Riklin) kann ich dasselbe auch in der Form ausdrücken: Der entzogene Name habe einen „persönlichen Komplex“ in mir gestreift. Die Beziehung des Namens zu meiner Person ist eine unerwartete, meist durch oberflächliche Assoziation (Wortzweideutigkeit, Gleichklang) vermittelte; sie kann allgemein als eine Seitenbeziehung gekennzeichnet werden. Einige einfache Beispiele werden die Natur derselben am besten erläutern:

§ 98

a) Ein Patient bittet mich, ihm einen Kurort an der Riviera zu empfehlen. Ich weiß einen solchen Ort ganz nahe bei Genua, erinnere auch den Namen des deutschen Kollegen, der dort praktiziert, aber den Ort selbst kann ich nicht nennen, so gut ich ihn auch zu kennen glaube. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als den Patienten warten zu heißen und mich rasch an die Frauen meiner Familie zu wenden. „Wie heißt doch der Ort neben Genua, wo Dr. N. seine kleine Anstalt hat, in der die und jene Frau solange in Behandlung war?“ „Natürlich, gerade du mußtest diesen Namen vergessen. Nervi heißt er.“ Mit Nerven habe ich allerdings genug zu tun.

§ 99

b) Ein anderer spricht von einer nahen Sommerfrische und behauptet, es gebe dort außer den zwei bekannten ein drittes Wirtshaus, an welches sich für ihn eine gewisse Erinnerung knüpft; den Namen werde er mir sogleich sagen. Ich bestreite die Existenz dieses dritten Wirtshauses und berufe mich darauf, daß ich sieben Sommer hindurch in jenem Orte gewohnt habe, ihn also besser kennen muß als er. Durch den Widerspruch gereizt, hat er sich aber schon des Namens bemächtigt. Das Gasthaus heißt: der Hochwartner. Da muß ich freilich nachgeben, ja ich muß bekennen, daß ich sieben Sommer lang in der nächsten Nähe dieses von mir verleugneten Wirtshauses gewohnt habe. Warum sollte ich hier Namen und Sache vergessen haben? Ich meine, weil der Name gar zu deutlich an den eines Wiener Fachkollegen anklingt, wiederum den „professionellen“ Komplex in mir anrührt.

§ 100

c) Ein andermal, im Begriffe auf dem Bahnhof von Reichenhall eine Fahrkarte zu lösen, will mir der sonst sehr vertraute Name der nächsten großen Bahnstation, die ich schon so oft passiert habe, nicht einfallen. Ich muß ihn allen Ernstes auf dem Fahrplan suchen. Er lautet: Rosenheim. Dann weiß ich aber sofort, durch welche Assoziation er mir abhanden gekommen ist. Eine Stunde vorher hatte ich meine Schwester in ihrem Wohnorte ganz nahe bei Reichenhall besucht; meine Schwester heißt Rosa, also auch ein Rosenheim. Diesen Namen hat mir der „Familienkomplex“ weggenommen.

§ 101

d) Das geradezu räuberische Wirken des „Familienkomplexes“ kann ich dann in einer ganzen Anzahl von Beispielen verfolgen.

§ 102

Eines Tages kam ein junger Mann in meine Ordination, jüngerer Bruder einer Patientin, den ich ungezählte Male gesehen hatte, und dessen Person ich mit dem Vornamen zu bezeichnen gewohnt war. Als ich dann von seinem Besuch erzählen wollte, hatte ich seinen, wie ich wußte, keineswegs ungewöhnlichen Vornamen vergessen und konnte ihn durch keine Hilfe zurückrufen. Ich ging dann auf die Straße, um Firmenschilder zu lesen, und erkannte den Namen, sowie er mir das erstemal entgegentrat. Die Analyse belehrte mich darüber, daß ich zwischen dem Besucher und meinem eigenen Bruder eine Parallele gezogen hatte, die in der verdrängten Frage gipfeln wollte: Hätte sich mein Bruder im gleichen Falle ähnlich oder vielmehr entgegengesetzt benommen? Die äußerliche Verbindung zwischen den Gedanken über die fremde und über die eigene Familie war durch den Zufall ermöglicht worden, daß die Mütter hier und dort den gleichen Vornamen: Amalia tragen. Ich verstand dann auch nachträglich die Ersatznamen: Daniel und Franz, die sich mir aufgedrängt hatten, ohne mich aufzuklären. Es sind dies, wie auch Amalia, Namen aus den Räubern von Schiller, an welche sich ein Scherz des Wiener Spaziergängers Daniel Spitzer knüpft.

§ 103

e) Ein andermal kann ich den Namen eines Patienten nicht finden, der zu meinen Jugendbeziehungen gehört. Die Analyse führt über einen langen Umweg, ehe sie mir den gesuchten Namen liefert. Der Patient hatte die Angst geäußert, das Augenlicht zu verlieren; dies rief die Erinnerung an einen jungen Mann wach, der durch einen Schuß blind geworden war; daran knüpfte sich wieder das Bild eines anderen Jünglings, der sich angeschossen hatte, und dieser letztere trug denselben Namen wie der erste Patient, obwohl er nicht mit ihm verwandt war. Den Namen fand ich aber erst, nachdem mirdie Übertragung einer ängstlichen Erwartung von diesen beiden juvenilen Fällen auf eine Person meiner eigenen Familie bewußt geworden war

§ 104

Ein beständiger Strom von „Eigenbeziehung“ geht so durch mein Denken, von dem ich für gewöhnlich keine Kunde erhalte, der sich mir aber durch solches Namenvergessen verrät. Es ist, als wäre ich genötigt, alles, was ich über fremde Personen höre, mit der eigenen Person zu vergleichen, als ob meine persönlichen Komplexe bei jeder Kenntnisnahme von anderen rege würden. Dies kann unmöglich eine individuelle Eigenheit meiner Person sein; es muß vielmehr einen Hinweis auf die Art, wie wir überhaupt „Anderes“ verstehen, enthalten. Ich habe Gründe anzunehmen, daß es bei anderen Individuen ganz ähnlich zugeht wie bei mir.

§ 105

Das Schönste dieser Art hat mir als eigenes Erlebnis ein Herr Lederer berichtet. Er traf auf seiner Hochzeitsreise in Venedig mit einem ihm oberflächlich bekannten Herrn zusammen, den er seiner jungen Frau vorstellen mußte. Da er aber den Namen des Fremden vergessen hatte, half er sich das erstemal mit einem unverständlichen Gemurmel. Als er dann dem Herrn, wie in Venedig unausweichlich, ein zweitesmal begegnete, nahm er ihn beiseite und bat ihn, ihm doch aus der Verlegenheit zu helfen, indem er ihm seinen Namen sage, den er leider vergessen habe. Die Antwort des Fremden zeugte von überlegener Menschenkenntnis: Ich glaube es gern, daß Sie sich meinen Namen nicht gemerkt haben. Ich heiße wie Sie: Lederer! — Man kann sich einer leicht unangenehmen Empfindung nicht erwehren, wenn man seinen eigenen Namen bei einem Fremden wiederfindet. Ich verspürte sie unlängst recht deutlich, als sich mir in der ärztlichen Sprechstunde ein Herr S. Freud vorstellte. Übrigens nehme ich Notiz von derVersicherung eines meiner Kritiker, daß er sich in diesem Punkte entgegengesetzt wie ich verhalte.

§ 106

f) Die Wirksamkeit der Eigenbeziehung erkennt man auch in folgendem, von Jung** mitgeteilten Beispiel:

§ 107

"Ein Herr Y verliebte sich erfolglos in eine Dame, welche bald darauf einen Herrn X heiratete. Trotzdem nun Herr Y den Herrn X schon seit geraumer Zeit kennt und sogar in geschäftlichen Verbindungen mit ihm steht, vergißt er immer und immer wieder dessen Namen, so daß er sich mehreremal bei anderen Leuten danach erkundigen mußte, als er mit Herrn X korrespondieren wollte."

§ 108

Indes ist die Motivierung des Vergessens in diesem Falle durchsichtiger als in den vorigen, welche unter der Konstellation der Eigenbeziehung stehen. Das Vergessen scheint hier direkte Folge der Abneigung des Herrn Y gegen seinen glücklicheren Rivalen; er will nichts von ihm wissen; „nicht gedacht soll seiner werden“.

§ 109

g) Das Motiv zum Vergessen eines Namens kann auch ein feineres sein, in einem sozusagen „sublimierten“ Groll gegen dessen Träger bestehen. So schreibt ein Fräulein I. v. K. aus Budapest:

§ 110

„Ich habe mir eine kleine Theorie zurechtgelegt. Ich habe nämlich beobachtet, daß Menschen, die Talent zur Malerei, für Musik keinen Sinn haben, und umgekehrt. Vor einiger Zeit sprach ich hierüber mit jemandem, indem ich sagte: ,Meine Beobachtung hat bisher immer zugetroffen, einen Fall ausgenommen.‘ Als ich mich an den Namen dieser Person erinnern wollte, hatte ich ihn hoffnungslos vergessen, trotzdem ich wußte, daß sein Träger einer meiner intimsten Bekannten ist. Als ich nach einigen Tagen den Namen zufällig nennen hörte, wußte ich natürlich sofort, daß vom Zerstörer meiner Theorie die Rede war. Der Groll, den ich unbewußt gegen ihn hegte, äußerte sich durch das Vergessen seines mir sonst so geläufigen Namens.“

* Dementia praecox, S. 52. § 111

h) Auf etwas anderem Wege führte die Eigenbeziehung zum Vergessen eines Namens in dem folgenden von Ferenczi mitgeteilten Falle, dessen Analyse besonders durch die Aufklärung der Ersatzeinfälle (wie Botticelli — Boltraffio zu Signorelli) lehrreich wird.

§ 112

„Einer Dame, die etwas von Psychoanalyse gehört hat, will der Name des Psychiaters Jung nicht einfallen.“

§ 113

„Dafür stellen sich folgende Einfälle ein: Kl. (ein Name)WildeNietzscheHauptmann.“

§ 114

„Ich sage ihr den Namen nicht und fordere sie auf, an jeden einzelnen Einfall frei zu assoziieren.“

§ 115

„Bei Kl. denkt sie sofort an Frau Kl., und daß sie eine gezierte, affektierte Person sei, die aber für ihr Alter sehr gut aussehe. ,Sie wird nicht alt.‘ Als gemeinsamen Oberbegriff von Wilde und Nietzsche nennt sie ,Geisteskrankheit‘. Dann sagt sie spöttisch: ,Sie Freudianer werden so lange die Ursachen der Geisteskrankheiten suchen, bis sie selbst geisteskrank werden.‘ Dann: ,lch kann Wilde und Nietzsche nicht ausstehen. Ich verstehe sie nicht. Ich höre, sie waren beide homosexuell; Wilde hat sich mit jungen Leuten abgegeben.‘ (Trotzdem sie in diesem Satze den richtigen Namen — allerdings ungarisch — schon ausgesprochen hat, kann sie sich seiner immer noch nicht erinnern.)“

§ 116

„Zu Hauptmann fällt ihr Halbe, dann Jugend ein, und jetzt erst, nachdem ich ihre Aufmerksamkeit auf das Wort Jugend lenke, weiß sie, daß sie den Namen Jung gesucht hat.“

§ 117

„Allerdings hat diese Dame, die im Alter von 39 Jahren den Gatten verlor und keine Aussicht hat, sich wieder zu verheiraten, Grund genug, der Erinnerung an alles, was an Jugend oder Alter gemahnt, auszuweichen. Auffallend ist die rein inhaltliche Assoziierung der Deckeinfälle zu dem gesuchten Namen und das Fehlen von Klangassoziationen.“

§ 118

i) Noch anders und sehr fein motiviert ist ein Beispiel von Namenvergessen, welches sich der Betreffende selbst aufgeklärt hat:

§ 119

„Als ich Prüfung aus Philosophie als Nebengegenstand machte, wurde ich vom Examinator nach der Lehre Epikurs gefragt, und dann weiter, ob ich wisse, wer dessen Lehre in späteren Jahrhunderten wieder aufgenommen habe. Ich antwortete mit dem Namen Pierre Gassendi, den ich gerade zwei Tage vorher im Café als Schüler Epikurs hatte nennen hören. Auf die erstaunte Frage, woher ich das wisse, gab ich kühn die Antwort, daß ich mich seit langem für Gassendi interessiert habe. Daraus ergab sich ein magna cum laude fürs Zeugnis, aber leider auch für später eine hartnäckige Neigung, den Namen Gassendi zu vergessen. Ich glaube, mein schlechtes Gewissen ist schuld daran, wenn ich diesen Namen allen Bemühungen zum Trotz jetzt nicht behalten kann. Ich hätte ihn ja auch damals nicht wissen sollen.“

§ 120

Will man die Intensität der Abneigung gegen die Erinnerung an diese Prüfungsepisode bei unserem Gewährsmann richtig würdigen, so muß man erfahren haben, wie hoch er seinen Doktortitel anschlägt, und für wieviel anderes ihm dieser Ersatz bieten muß.

§ 121

j) Ich schalte hier noch ein Beispiel von Vergessen eines Städtenamens ein, welches vielleicht nicht so einfach ist wie die vorher angeführten, aber jedem mit solchen Untersuchungen Vertrauteren glaubwürdig und wertvoll erscheinen wird. Der Name einer italienischen Stadt entzieht sich der Erinnerung infolge seiner weitgehenden Klangähnlichkeit mit einem weiblichen Vornamen, an den sich vielerlei affektvolle, in der Mitteilung wohl nicht erschöpfend ausgeführte Erinnerungen knüpfen. S. Ferenczi (Budapest), der diesen Fall von Vergessen an sich selbst beobachtete, hat ihn behandelt, wie man einen Traum oder eine neurotische Idee analysiert, und dies gewiß mit Recht.

§ 122

„Ich war heute bei einer befreundeten Familie; es kamen oberitalienische Städte zur Sprache. Da erwähnt jemand, daß diese den österreichischen Einfluß noch erkennen lassen. Man zitiert einige dieser Städte; auch ich will eine nennen, ihr Name fällt mir aber nicht ein, obzwar ich weiß, daß ich dort zwei sehr angenehme Tage verlebte, was nicht gut zu Freuds Theorie des Vergessens stimmt. — Statt des gesuchten Städtenamens drängen sich mir folgende Einfälle auf: ,Capua‘ — ,Brescia‘ — ,Der Löwe von Brescia‘.“

§ 123

„Diesen ,Löwen‘ sehe ich in Gestalt einer Marmorstatue wie gegenständlich vor mir stehen, merke aber sofort, daß er weniger dem Löwen auf dem Freiheitsdenkmal zu Brescia (das ich nur im Bilde gesehen habe), als jenem anderen marmornen Löwen ähnelt, den ich am Grabdenkmal der in den Tuilerien gefallenen Schweizer Garde in Luzern gesehen habe, und dessen Reproduktion en miniature auf meinem Bücherschrank steht. Endlich fällt mir der gesuchte Name doch ein: es ist Verona.‘“

§ 124

„Ich weiß auch sofort, wer an dieser Amnesie schuld war. Niemand anderer als eine frühere Bedienstete der Familie, bei der ich gerade zu Gaste war. Sie hieß Veronika, auf ungarisch Verona, und war mir wegen ihrer abstoßenden Physiognomie wie auch wegen ihrer heiseren, kreischenden Stimme und unleidlichen Konfidenz (wozu sie sich durch die lange Dienstzeit berechtigt glaubte) sehr antipathisch. Auch die tyrannische Art, wie sie seinerzeit die Kinder des Hauses behandelte, war mir unausstehlich. Nun wußte ich auch, was die Ersatzeinfälle bedeuteten.“

§ 125

„An Capua assoziiere ich sofort caput mortuum. Ich verglich Veronikas Kopf sehr oft mit einem Totenschädel. — Das ungarische Wort kapzsi (geldgierig) gab sicher auch eine Determinierung für die Verschiebung her. Natürlich finde ich auch jene viel direkteren Assoziationswege, die Capua und Verona als geographische Begriffe und als italienische Worte mit gleichem Rhythmus miteinander verbinden.“

§ 126

„Das gleiche gilt von Brescia; aber auch hier finden sich verschlungenere Seitenwege der Ideenverknüpfung.“

§ 127

„Meine Antipathie war seinerzeit so heftig, daß ich Veronika förmlich ekelhaft fand und mehreremal mein Erstaunen darüber äußerte, daß sie doch ein Liebesleben haben und geliebt werden konnte; ,sie zu küssen‘ — sagte ich — ,muß ja einen Brechreiz hervorrufen.‘ Und doch war sie sicher längst in Beziehung zu bringen zur Idee der gefallenen Schweizer Garde.“

§ 128

Brescia wird, wenigstens hier in Ungarn, nicht mit dem Löwen, sondern einem anderen wilden Tier zusammen sehr oft genannt. Der bestgehaßte Name in diesem Lande wie auch in Oberitalien ist der des Generals Haynau, der kurzweg die Hyäne von Brescia genannt wird. Vom gehaßten Tyrannen Haynau führt also der eine Gedankenfaden über Brescia zur Stadt Verona, der andere über die Idee des Totengräbertieres mit der heiseren Stimme (der das Auftauchen eines Grabdenkmals mitbestimmt) zum Totenschädel undzum unangenehmen Organ der durch mein Unbewußtes so arg beschimpften Veronika, die seinerzeit in diesem Hause beinahe so tyrannisch gehaust hat wie der österreichische General nach den ungarischen und italienischen Freiheitskämpfen.“

§ 129

„An Luzern knüpft sich der Gedanke an den Sommer, den Veronika mit ihrer Dienstherrschaft am Vierwaldstätter See in der Nähe von Luzern verbrachte; an die „Schweizer Garde“ wiederum die Erinnerung, daß sie nicht nur die Kinder, sondern auch die erwachsenen Mitglieder der Familie zu tyrannisieren verstand und sich in der Rolle der Garde-Dame gefiel.“

§ 130

„Ich bemerke ausdrücklich, daß diese meine Antipathie gegen V. — bewußt — zu den längst überwundenen Dingen gehört. Sie hat sich inzwischen äußerlich wie in ihren Manieren sehr zu ihrem Vorteil verändert, und ich kann ihr (wozu ich allerdings selten Gelegenheit habe) mit aufrichtiger Freundlichkeit begegnen. Mein Unbewußtes hält, wie gewöhnlich, zäher an den Eindrücken fest, es ist ,nachträglich‘ und nachtragend.“

§ 131

„Die Tuilerien sind eine Anspielung auf eine zweite Persönlichkeit, eine ältere französische Dame, die die Frauen des Hauses bei vielen Anlässen tatsächlich ,gardiert‘ hat, und die von groß und klein geachtet — wohl ein wenig auch gefürchtet wird. Ich war eine Zeitlang ihr élève in französischer Konversation. Zum Worte ,élève‘ fällt mir noch ein, daß, als ich beim Schwager meines heutigen Gastgebers in Nordböhmen auf Besuch war, ich viel darüber lachen mußte, daß die dortige Landbevölkerung die Eleven der dortigen Forstakademie ,Löwen‘ nannte. Auch diese lustige Erinnerung mag an der Verschiebung von der Hyäne zum Löwen beteiligt gewesen sein.“

§ 132

k) Auch das nachstehende Beispiel** kann zeigen, wie ein zurzeit die Person beherrschender Eigenkomplex ein Namenvergessen an weit abliegender Stelle hervorruft:

§ 133

„Zwei Männer, ein älterer und ein jüngerer, die vor sechs Monaten gemeinsam in Sizilien gereist sind, tauschen Erinnerungen an jene schönen und inhaltreichen Tage aus. ,Wie hat nur der Ort geheißen,‘ fragt der Jüngere, ,an dem wir übernachtet haben, um die Partie nach Selinunt zu machen? Calatafimi, nicht wahr?“ — Der Ältere weist dies zurück: ,Gewiß nicht, aber ich habe den Namen ebenfalls vergessen, obwohl ich mich an alle Einzelheiten des Aufenthaltes dort sehr gut erinnere. Es reicht bei mir hin, daß ich merke, ein anderer habe einen Namen vergessen; sogleich wird auch bei mir das Vergessen induziert. Wollen wir den Namen nicht suchen? Mir fällt aber kein anderer ein als Caltanisetta, der doch gewiß nicht der richtige ist.‘ — ,Nein,‘ sagt der Jüngere, ,der Name fängt mit w an oder es kommt ein w darin vor.‘ — ,Ein w gibt es doch im Italienischen nicht,“ mahnt der Ältere. — ,Ich meinte ja auch nur ein v und habe nur w gesagt, weil ich’s von meiner Muttersprache her so gewohnt bin.‘ — Der Ältere sträubt sich gegen das v. Er meint: ,Ich glaube, ich habe überhaupt schon viele sizilianische Namen vergessen; es wäre an der Zeit, Versuche zu machen. Wie heißt z. B. der hochgelegene Ort, der im Altertum Enna geheißen hat? — Ah, ich weiß schon: Castrogiovanni.‘ — Im nächsten Moment hat der Jüngere auch den verlorenen Namen wiedergefunden. Er ruft: Castelvetrano und freut sich, das behauptete v nachweisen zu können. Der Ältere vermißt noch eine Weile das Bekanntheitsgefühl; nachdem er aber den Namen akzeptiert hat, soll er Auskunft darüber geben, weshalb erihm entfallen war. Er meint: ,Offenbar weil die zweite Hälfte vetrano an — Veteran anklingt. Ich weiß schon, daß ich nicht gern ans Altern denke und in sonderbarer Weise reagiere, wenn ich daran gemahnt werde. So z. B. habe ich unlängst einem hochgeschätzten Freund in der merkwürdigsten Einkleidung vorgehalten, daß er ,längst über die Jahre der Jugend hinaus sei‘, weil dieser früher einmal mitten unter den schmeichelhaftesten Äußerungen über mich auch behauptete: ,Ich sei kein junger Mann mehr.‘ Daß sich der Widerstand bei mir gegen die zweite Hälfte des Namens Castelvetrano gerichtet hat, geht ja auch daraus hervor, daß der Anlaut desselben in dem Ersatznamen Caltanisetta wiedergekehrt war.‘ — ,Und der Name Caltanisetta selbst?‘ fragt der Jüngere. — ,Der ist mir immer wie ein Kosenamen für ein junges Weib erschienen,‘ gesteht der Ältere ein.“

* Zentralblatt für Psychoanalyse l, 9, 1911. § 134

„Einige Zeit später setzt er hinzu: ,Der Name für Enna war ja auch ein Ersatzname. Und nun fällt mir auf, daß dieser mit Hilfe einer Rationalisierung vordringende Namen Castrogiovanni genau so an giovane — jung anklingt, wie der verlorene Name Castelvetrano an Veteran — alt.‘“

§ 135

„Der Ältere glaubt so für sein Namenvergessen Rechenschaft gegeben zu haben. Aus welchem Motiv der Jüngere zum gleichen Ausfallsphänomen gekommen war, wurde nicht untersucht.“

§ 136

Neben den Motiven des Namenvergessens verdient auch der Mechanismus desselben unser Interesse. In einer großen Reihe von Fällen wird ein Name vergessen, nicht weil er selbst solche Motive wachruft, sondern weil er durch Gleichklang und Lautähnlichkeit an einen anderen streift, gegen den sich diese Motive richten. Man versteht, daß durch solche Lockerung der Bedingungen eine außerordentliche Erleichterung für dasZustandekommen des Phänomens geschaffen wird. So in den folgenden Beispielen:

§ 137

l) Ed. Hitschmann (Zwei Fälle von Namenvergessen. Internat. Zeitschr. f. Psychoanalyse, I, 1913).

§ 138

"II. „Herr N. will die Buchhandlungsfirma ,Gilhofer und Ranschburg‘ jemandem angeben. Es fällt ihm aber trotz allen Nachdenkens nur der Name Ranschburg ein, trotzdem ihm die Firma sonst sehr geläufig ist. Mit einer leichten Unbefriedigung darüber nach Hause kommend, ist ihm die Sache wichtig genug, um den anscheinend bereits schlafenden Bruder nach der ersten Hälfte des Firmanamens zu fragen. Derselbe nennt ihn anstandslos. Darauf fällt Herrn N. sofort zu ,Gilhofer‘ das Wort ,Gallhof‘ ein. Zum ,Gallhof‘ hatte er einige Monate vorher in Gesellschaft eines anziehenden Mädchens einen erinnerungsreichen Spaziergang gemacht. Das Mädchen hatte ihm als Andenken einen Gegenstand geschenkt, auf dem geschrieben steht: ,Zur Erinnerung an die schönen Gallhofer Stunden.‘ In den letzten Tagen vor dem Namenvergessen wurde dieser Gegenstand, scheinbar zufällig, beim raschen Zuschieben der Lade durch N. stark beschädigt, was er — mit dem Sinne von Symptomhandlungen vertraut — nicht ohne Schuldgefühl konstatierte. Er war in diesen Tagen in etwas ambivalenter Stimmung zu der Dame, die er zwar liebte, deren Ehewunsch er aber zaudernd gegenüberstand."

§ 139

m) Dr. Hanns Sachs:

§ 140

„In einem Gespräche über Genua und seine nächste Umgebung will ein junger Mann auch den Ort Pegli nennen, kann den Namen aber erst mit Mühe, durch angestrengtes Nachdenken, erinnern. Im Nachhausegehen denkt er an das peinliche Entgleiten dieses ihm sonst vertrauten Namens und wird dabei auf das ganz ähnlich klingende Wort Peli geführt. Erweiß, daß eine Südsee-Insel so heißt, deren Bewohner ein paar merkwürdige Gebräuche bewahrt haben. Er hat darüber vor kurzem in einem ethnologischen Werke gelesen und sich damals vorgenommen, diese Mitteilungen für eine eigene Hypothese zu verwerten. Dann fällt ihm ein, daß Peli auch der Schauplatz eines Romans ist, den er mit Interesse und Vergnügen gelesen hat, nämlich von ,Van Zantens glücklichste Zeit‘ von Laurids Bruun. — Die Gedanken, die ihn an diesem Tage fast unaufhörlich beschäftigt hatten, knüpften sich an einen Brief, den er am selben Morgen von einer ihm sehr teuren Dame erhalten hatte; dieser Brief läßt ihn befürchten, daß er auf ein verabredetes Zusammentreffen werde verzichten müssen. Nachdem er den ganzen Tag in übelster Laune zugebracht hatte, war er am Abend mit dem Vorsatz ausgegangen, sich nicht länger mit dem ärgerlichen Gedanken abzuplagen, sondern die ihm in Aussicht stehende und von ihm äußerst hoch geschätzte Geselligkeit möglichst ungetrübt zu genießen. Es ist klar, daß durch das Wort Pegli sein Vorsatz arg gefährdet werden konnte, da dieses mit Peli lautlich so eng zusammenhängt; Peli aber, da es durch das ethnologische Interesse die Ich-Beziehung gewonnen hatte, verkörpert nicht nur Van Zantens, sondern auch seine eigene ,glücklichste Zeit‘ und deshalb auch die Befürchtungen und Sorgen, die er tagsüber genährt hatte. Es ist charakteristisch, daß diese einfache Deutung erst gelang, nachdem ein zweiter Brief die Zweifel in eine fröhliche Gewißheit baldigen Wiedersehens umgewandelt hatte.“

§ 141

Erinnert man sich bei diesem Beispiel an das ihm sozusagen benachbarte, in welchem der Ort Nervi nicht erinnert werden kann (S. 26), so sieht man, wie sich der Doppelsinn eines Wortes durch die Klangähnlichkeit zweier Worte ersetzen läßt.n) Als 1915 der Krieg mit Italien ausbrach, konnte ich an mir die Beobachtung machen, daß meinem Gedächtnis plötzlich eine ganze Anzahl von Namen italienischer Örtlichkeiten entzogen war, über die ich sonst leicht verfügt hatte. Wie so viele andere Deutsche hatte ich es mir zur Gewohnheit gemacht, einen Teil der Ferien auf italienischem Boden zuzubringen, und konnte nicht daran zweifeln, daß dies massenhafte Namenvergessen der Ausdruck der begreiflichen Verfeindung mit Italien war, die nun an die Stelle der früheren Vorliebe trat. Neben diesem direkt motivierten Namenvergessen machte sich aber auch ein indirektes bemerkbar, welches auf denselben Einfluß zurückzuführen war. Ich neigte auch dazu, nicht italienische Ortsnamen zu vergessen, und fand bei der Untersuchung dieser Vorfälle, daß diese Namen irgendwie durch entfernten Anklang mit den verpönten feindlichen zusammenhingen. So quälte ich mich eines Tages mit dem Erinnern des mährischen Städtenamens Bisenz. Als er mir endlich einfiel, wußte ich sofort, daß dieses Vergessen auf Rechnung des Palazzo Bisenzi in Orvieto zu setzen sei. In diesem Palazzo befindet sich das Hotel Belle Arti, wo ich bei jedem meiner Aufenthalte in Orvieto gewohnt hatte. Die liebsten Erinnerungen waren natürlich durch die veränderte Gefühlseinstellung am stärksten geschädigt worden.

§ 142

Es ist auch zweckmäßig, daß wir uns durch einige Beispiele daran mahnen lassen, in den Dienst wie verschiedener Absichten sich die Fehlleistung des Namenvergessens stellen kann.

§ 143

o) A. J. Storfer (Zur Psychopathologie des Alltags. Internat. Zeitschrift f. ärztl. Psychoanalyse, II, 1914).

§ 144

"1. Namenvergessen zur Sicherung eines Vorsatzvergessens."

§ 145

"„Eine Basler Dame wird eines Morgens verständigt, daß ihre Jugendfreundin Selma X aus Berlin, die eben auf ihrer Hochzeitsreise begriffen ist, auf der Durchreise in Basel angekommen ist; die Berliner Freundin soll nur einen Tag in Basel bleiben, und die Baslerin eilt daher sofort ins Hotel. Als die Freundinnen auseinandergehen, verabreden sie, nachmittags wieder zusammenzukommen und bis zur Abreise der Berlinerin beisammen zu bleiben."

§ 146

"Nachmittags vergißt die Baslerin das Rendezvous. Die Determination dieses Vergessens ist mir nicht bekannt, doch sind ja gerade in dieser Situation (Zusammentreffen mit einer eben verheirateten Jugendfreundin) mehrerlei typische Konstellationen möglich, die eine Hemmung gegen die Wiederholung der Zusammenkunft bedingen können. Das Interessante an diesem Falle ist eine fernere Fehlleistung, die eine unbewußte Sicherung der ersten darstellt. Zur Zeit, da sie wieder mit der Freundin aus Berlin zusammenkommen sollte, befand sich die Baslerin an einem anderen Orte in Gesellschaft. Es kam auf die vor kurzem erfolgte Heirat der Wiener Opernsängerin Kurz die Rede. Die Basler Dame äußerte sich in kritischer Weise (!) über diese Ehe, als sie aber den Namen der Sängerin aussprechen wollte, fiel ihr zu ihrer größten Verlegenheit der Vorname nicht ein. (Bekanntlich neigt man gerade bei einsilbigen Familiennamen besonders dazu, den Vornamen mitzunennen.) Die Basler Dame ärgerte sich um so mehr über die Gedächtnisschwäche, als sie die Sängerin Kurz oft singen gehört hatte und der (ganze) Name ihr sonst geläufig war. Ohne daß vorher jemand anderer" "den entfallenen Vornamen genannt hätte, nahm das Gespräch eine andere Wendung."

§ 147

"Am Abend desselben Tages befindet sich unsere Basler Dame in einer mit der nachmittägigen zum Teil identischen Gesellschaft. Es kommt zufällig wieder auf die Ehe der Wiener Sängerin die Rede und die Dame nennt ohne jede Schwierigkeit den Namen ,Selma Kurz‘. Dem folgt auch gleich ihr Ausruf : ,Ach, jetzt fällt mir ein: ich habe ganz vergessen, daß ich heute nachmittag eine Verabredung mit meiner Freundin Selma hatte.‘ Ein Blick auf die Uhr zeigte, daß die Freundin schon abgereist sein mußte."

§ 148

Wir sind vielleicht noch nicht vorbereitet, dieses schöne Beispiel nach all seinen Beziehungen zu würdigen. Einfacher ist das nachfolgende, in dem zwar nicht ein Name, aber ein fremdsprachliches Wort aus einem in der Situation liegenden Motiv vergessen wird. Wir bemerken schon, daß wir dieselben Vorgänge behandeln, ob sie sich nun auf Eigennamen, Vornamen, fremdsprachliche Worte oder Wortfolgen beziehen.

§ 149

Hier vergißt ein junger Mann das englische Wort für Gold, das mit dem deutschen identisch ist, um Anlaß zu einer ihm erwünschten Handlung zu finden.

§ 150

p) Hanns Sachs:

§ 151

„Ein junger Mann lernt in der gemeinsamen Pension eine Engländerin kennen, die ihm gefällt. Als er sich am ersten Abend ihrer Bekanntschaft in ihrer Muttersprache, die er so ziemlich beherrscht, mit ihr unterhält und dabei das englische Wort für ,Gold‘ verwenden will, fällt ihm trotz angestrengten Suchens das Vokabel nicht ein. Dagegen drängen sich ihm als Ersatzworte das französische ,or‘, das lateinische ,aurum‘ und das griechische ,chrysos‘ hartnäckig auf, so daß er nur mit Mühe im stande ist, sie abzuweisen, obgleich er bestimmt weiß,daß sie mit dem gesuchten Worte keine Verwandtschaft haben. Er findet schließlich keinen anderen Weg, sich verständlich zu machen, als den, einen goldenen Ring, den die Dame an der Hand trägt, zu berühren; sehr beschämt erfährt er nun von ihr, daß das langgesuchte Wort für Gold genau so laute wie das deutsche, nämlich gold. Der hohe Wert einer solchen, durch das Vergessen herbeigeführten Berührung liegt nicht bloß in der unanstößigen Befriedigung des Ergreifungs- oder Berührungstriebes, die ja auch bei anderen, von Verliebten eifrig ausgenutzten Anlässen möglich ist, sondern noch viel mehr darin, daß sie eine Aufklärung über die Aussichten der Bewerbung ermöglicht. Das Unbewußte der Dame wird, besonders wenn es dem Gesprächspartner gegenüber sympathisch eingestellt ist, den hinter der harmlosen Maske verborgenen erotischen Zweck des Vergessens erraten; die Art und Weise, wie sie die Berührung aufnimmt und die Motivierung gelten läßt, kann so ein beiden Teilen unbewußtes, aber sehr bedeutungsvolles Mittel der Verständigung über die Chancen des eben begonnenen Flirts werden.“

§ 152

q) Ich teile noch nach J. Stärcke eine interessante Beobachtung von Vergessen und Wiederauffinden eines Eigennamens mit, die sich dadurch auszeichnet, daß mit dem Namenvergessen die Fälschung der Wortfolge eines Gedichtes wie im Beispiel der „Braut von Korinth“ verbunden ist. (Aus der holländischen Ausgabe dieses Buches unter dem Titel: De invloed van ons onbewuste in ons dagelijksche leven, Amsterdam 1916, deutsch abgedruckt in Intern. Zeitschrift für ärztliche Psychoanalyse, IV, 1916.)

§ 153

"4. Ein Fall von Namenvergessen und falsch"

§ 154

"Erinnern."

§ 155

"„Ein alter Jurist und Sprachgelehrter, Z., erzählt in Gesellschaft, daß er in seiner Studentenzeit in Deutschland einen Studenten gekannt hat, der außerordentlich dumm war, und über dessen Dummheit er manche Anekdote zu erzählen weiß. Er kann sich aber an den Namen dieses Studenten nicht erinnern, glaubt, daß dieser Name mit W anfängt, nimmt dies aber später wieder zurück. Er erinnert sich, daß dieser dumme Student später Weinhändler geworden ist. Dann erzählt er wieder eine Anekdote von der Dummheit desselben Studenten, verwundert sich noch einmal darüber, daß sein Name ihm nicht einfällt, und sagt dann: ,Er war ein solcher Esel, daß ich noch nicht begreife, daß ich ihm mit Wiederholen Lateinisch habe eintrichtern können.‘ Einen Augenblick später erinnert er sich, daß der gesuchte Name ausgeht auf ...man. Jetzt fragen wir ihn, ob ihm ein anderer Name, der auf man ausgeht, einfällt, und er sagt: ,Erdmann‘. — ,Wer ist denn das?‘ — ,Das war auch ein Student aus dieser Zeit.‘ — Seine Tochter bemerkt aber, daß es auch einen Professor Erdmann gibt. Bei genauerer Erörterung zeigt sich, daß dieser Professor Erdmann vor kurzem eine von Z. eingesandte Arbeit nur in verkürzter Form in eine von ihm redigierte Zeitschrift hat aufnehmen lassen und zum Teil damit nicht einverstanden war, usw., und daß Z. das als ziemlich unangenehm empfunden hat. (Überdies vernahm ich später, daß Z. in früheren Jahren wohl einmal die Aussicht gehabt hat, Professor in demselben Fache zu werden, worin jetzt Professor E. doziert, und daß dieser Name also auch in dieser Hinsicht vielleicht eine empfindliche Seite berührt.)"

§ 156

"Jetzt fällt ihm plötzlich der Name des dummen Studenten" "ein: ,Lindeman!‘ Weil er sich schon früher erinnert hatte, daß der Name auf ...man ausgeht, war also ,Linde‘ noch länger verdrängt geblieben. Auf die Frage, was ihm bei ,Linde einfällt, sagt er zuerst: ,Dabei fällt mir gar nichts ein.‘ Auf mein Drängen, daß ihm bei diesem Worte doch wohl etwas einfallen wird, sagt er, indem er aufwärts blickt und mit der Hand eine Gebärde in der Luft macht: ,Nun ja, eine Linde, das ist ein schöner Baum.‘ Weiter will ihm dabei nichts einfallen. Alle schweigen und jedermann verfolgt seine Lektüre und andere Beschäftigung, bis Z. einige Augenblicke später in träumerischem Tone folgendes zitiert:"

§ 157

",Steht er mit festen Gefügigen Knochen Auf der Erde, So reicht er nicht auf, Nur mit der Linde Oder der Rebe Sich zu vergleichen.‘"

§ 158

"Ich stieß einen Triumphschrei aus: ,Da haben wir den Erdmann,‘ sagte ich. ,Jener Mann, der ,auf der Erde steht‘, das ist also der Erde-Mann oder Erdmann, kann nicht aufreichen, sich mit der Linde (Lindeman) oder der Rebe (Weinhändler) zu vergleichen. Mit anderen Worten: jener Lindeman, der dumme Student, der später Weinhändler geworden ist, war schon ein Esel, aber der Erdmann ist ein noch viel größerer Esel, kann sich mit diesem Lindeman noch nicht vergleichen.‘ — Eine solche im Unbewußten gehaltene Hohnoder Schmährede ist etwas sehr Gewöhnliches, darum kam es mir vor, daß die Hauptursache des Namenvergessens jetzt wohl gefunden war."

§ 159

"Ich fragte jetzt, aus welchem Gedichte die zitierten Zeilen stammten. Z. sagte, daß es ein Gedicht von Goethe sei, er glaubte, daß es anfängt:"

§ 160

"Edel sei der Mensch Hilfreich und gut!"

§ 161

"und daß weiter auch darin vorkommt:"

§ 162

"Und hebt er sich aufwärts, So spielen mit ihm die Winde."

§ 163

"Am nächsten Tage suchte ich dieses Gedicht von Goethe auf, und es zeigte sich, daß der Fall noch hübscher (aber auch komplizierter) war, als er erst zu sein schien."

§ 164

"a) Die ersten zitierten Zeilen lauten (vgl. oben):"

§ 165

"Steht er mit festen Markigen Knochen"

§ 166

"Gefügige Knochen wäre eine ziemlich fremdartige Kombination. Darauf will ich aber nicht näher eingehen."

§ 167

"b) Die folgenden Zeilen dieser Strophe lauten (vgl. oben):"

§ 168

"Auf der wohlbegründeten Dauernden Erde, Reicht er nicht auf, Nur mit der Eiche Oder der Rebe Sich zu vergleichen."

§ 169

"Es kommt also im ganzen Gedicht keine Linde vor! Der Wechsel von Linde statt Eiche hat (in seinem Unbewußten) nur stattgefunden, um das Wortspiel ,Erde—Linde—Rebe‘ zu ermöglichen."

§ 170

"c) Dieses Gedicht heißt: ,Grenzen der Menschheit‘ und enthält eine Vergleichung zwischen der Allmacht der Götter und" "der geringen Macht des Menschen. Das Gedicht, dessen Anfang lautet:"

§ 171

"Edel sei der Mensch, Hilfreich und gut!"

§ 172

"ist aber ein anderes Gedicht, das einige Seiten weiter steht. Es heißt: ,Das Göttliche‘, und enthält ebenso Gedanken über Götter und Menschen. Weil hierauf nicht näher eingegangen worden ist, kann ich höchstens vermuten, daß auch Gedanken über Leben und Tod, über das Zeitliche und das Ewige und über das eigene schwache Leben und den künftigen Tod beim Entstehen dieses Falles eine Rolle gespielt haben."

§ 173

In manchen dieser Beispiele werden alle Feinheiten der psychoanalytischen Technik in Anspruch genommen, um ein Namenvergessen aufzuklären. Wer mehr von solcher Arbeit kennen lernen will, den verweise ich auf eine Mitteilung von E. Jones (London), die aus dem Englischen übersetzt ist**.

§ 174

Ferenczi hat bemerkt, daß das Namenvergessen auch als hysterisches Symptom auftreten kann. Es zeigt dann einen Mechanismus, der sich von dem der Fehlleistung weit entfernt. Wie diese Unterscheidung gemeint ist, soll aus seiner Mitteilung ersichtlich werden:

§ 175

„Ich habe jetzt eine Patientin, ein alterndes Fräulein, in Behandlung, der auch die gebräuchlichsten und ihr bestbekannten Eigennamen nicht einfallen wollen, obwohl sie sonst ein gutes Gedächtnis hat. Bei der Analyse stellte sich heraus, daß sie durch dieses Symptom ihre Unwissenheit dokumentieren will. Diese demonstrative Hervorkehrung ihrer Ignoranz ist aber eigentlich ein Vorwurf gegen ihre Eltern, die ihrkeine höhere Schulbildung zu teil werden ließen. Auch ihr quälender Zwang zum Reinemachen (,Hausfrauenpsychose‘) entspringt zum Teil aus derselben Quelle. Sie will damit ungefähr sagen: Ihr habt einen Dienstboten aus mir gemacht.“

* Analyse eines Falles von Namenvergessen. Zentralblatt für Psychoanalyse, Jahrg. II, Heft 2, 1911. § 176

Ich könnte die Beispiele von Namenvergessen vermehren und die Diskussion derselben sehr viel weiter führen, wenn ich nicht vermeiden wollte, fast alle Gesichtspunkte, die für spätere Themata in Betracht kommen, schon hier beim ersten zu erörtern. Doch darf ich mir gestatten, die Ergebnisse der hier mitgeteilten Analysen in einigen Sätzen zusammenzufassen:

§ 177

Der Mechanismus des Namenvergessens (richtiger: des Entfallens, zeitweiligen Vergessens) besteht in der Störung der intendierten Reproduktion des Namens durch eine fremde und derzeit nicht bewußte Gedankenfolge. Zwischen dem gestörten Namen und dem störenden Komplex besteht entweder ein Zusammenhang von vornherein, oder ein solcher hat sich, oft auf gekünstelt erscheinenden Wegen, durch oberflächliche (äußerliche) Assoziationen hergestellt.

§ 178

Unter den störenden Komplexen erweisen sich die der Eigenbeziehung (die persönlichen, familiären, beruflichen) als die wirksamsten.

§ 179

Ein Name, der infolge von Mehrdeutigkeit mehreren Gedankenkreisen (Komplexen) angehört, wird häufig im Zusammenhange der einen Gedankenfolge durch seine Zugehörigkeit zum anderen, stärkeren Komplex gestört.

§ 180

Unter den Motiven dieser Störungen leuchtet die Absicht hervor, die Erweckung von Unlust durch Erinnern zu vermeiden.

§ 181

Man kann im allgemeinen zwei Hauptfälle des Namenvergessens unterscheiden, wenn der Name selbst an Unangenehmes rührt, oder wenn er mit anderem in Verbindung gebracht ist, dem solche Wirkung zukäme, so daß Namen um ihrer selbstwillen oder wegen ihrer näheren oder entfernteren Assoziationsbeziehungen in der Reproduktion gestört werden können.

§ 182

Ein Überblick dieser allgemeinen Sätze läßt uns verstehen, daß das zeitweilige Namenvergessen als die häufigste unserer Fehlleistungen zur Beobachtung kommt.

§ 183

Wir sind indes weit davon entfernt, alle Eigentümlichkeiten dieses Phänomens verzeichnet zu haben. Ich will noch darauf hinweisen, daß das Namenvergessen in hohem Grade ansteckend ist. In einem Gespräche zweier Personen reicht es oft hin, daß die eine äußere, sie habe diesen oder jenen Namen vergessen, um ihn auch bei der zweiten Person entfallen zu lassen. Doch stellt sich dort, wo das Vergessen induziert ist, der vergessene Name leichter wieder ein. Dies „kollektive“ Vergessen, streng genommen ein Phänomen der Massenpsychologie, ist noch nicht Gegenstand der analytischen Untersuchung geworden. In einem einzigen, aber besonders schönen, Fall hat Th. Reik eine gute Erklärung dieses merkwürdigen Vorkommens geben können**.

§ 184

"In einer kleinen Gesellschaft von Akademikern, in der sich auch zwei Studentinnen der Philosophie befanden, sprach man von den zahlreichen Fragen, welche der Ursprung des Christentums der Kulturgeschichte und Religionswissenschaft aufgibt. Die eine der jungen Damen, welche sich am Gespräch beteiligte, erinnerte sich, in einem englischen Roman, den sie kürzlich gelesen hatte, ein anziehendes Bild der vielen religiösen Strömungen, welche jene Zeit bewegten, gefunden zu haben. Sie fügte hinzu, in dem Roman werde das ganze Leben Christi von der Geburt bis zu seinem Tode geschildert, doch wollte ihr der Name der Dichtung nicht einfallen (die visuelle" "Erinnerung an den Umschlag des Buches und an das typographische Bild des Titels war überdeutlich). Auch drei von den anwesenden Herren behaupteten, den Roman zu kennen, und bemerkten, daß auch ihnen sonderbarerweise der Name nicht zur Verfügung stehe." “ .....

*) Th. Reik, Über kollektives Vergessen. Internat. Zeitschrift für Psychoanalyse, VI, 1920. § 185

Nur die junge Dame unterzog sich der Analyse zur Aufklärung dieses Namenvergessens. Der Titel des Buches lautete: Ben Hur (von Lewis Wallace). Ihre Ersatzeinfälle waren: Ecce homo — homo sum — quo vadis? gewesen. Das Mädchen verstand selbst, daß sie den Namen vergessen, "weil er einen Ausdruck enthält, den ich und jedes andere junge Mädchen — noch dazu in Gesellschaft junger Leute — nicht gern gebrauchen wird" “. Diese Erklärung fand durch die sehr interessante Analyse eine weitere Vertiefung. In dem einmal berührten Zusammenhang hat ja auch die Übersetzung von homo: Mensch, eine anrüchige Bedeutung. Reik schließt nun: Die junge Dame behandelt das Wort so, als ob sie sich mit dem Aussprechen jenes verdächtigen Titels vor jungen Männern zu den Wünschen bekannt hätte, die sie als ihrer Persönlichkeit nicht gemäß und als peinlich abgewiesen hat. Kürzer gesagt: unbewußt setzt sie das Aussprechen von „Ben Hur“ einem sexuellen Angebot gleich und ihr Vergessen entspricht demnach der Abwehr einer unbewußten Versuchung dieser Art. Wir haben Grund zur Annahme, daß ähnliche unbewußte Vorgänge das Vergessen der jungen Männer bedingt haben. Ihr Unbewußtes hat das Vergessen des Mädchens in seiner wirklichen Bedeutung erfaßt und es..... gleichsam gedeutet...... Das Vergessen der Männer stellt eine Rücksicht auf solch abweisendes Verhalten dar. ..... Es ist so, als hätte ihnen ihre Gesprächspartnerin durch ihre plötzliche Gedächtnisschwäche einendeutlichen Wink gegeben, den die Männer unbewußt wohl verstanden hätten.

§ 186

Es kommt auch ein fortgesetztes Namenvergessen vor, bei dem ganze Ketten von Namen dem Gedächtnis entzogen werden. Hascht man, um einen entfallenen Namen wiederzufinden, nach anderen, mit denen jener in fester Verbindung steht, so entfliehen nicht selten auch diese neuen als Anhalt aufgesuchten Namen. Das Vergessen springt so von einem Namen zum anderen über, wie um die Existenz eines nicht leicht zu beseitigenden Hindernisses zu beweisen.

§ 187

IV.

§ 188

ÜBER KINDHEITS- UND DECKERINNERUNGEN.

§ 189

In einer zweiten Abhandlung (1899 in der Monatsschrift für Psychiatrie und Neurologie veröffentlicht) habe ich die tendenziöse Natur unseres Erinnerns an unvermuteter Stelle nachweisen können. Ich bin von der auffälligen Tatsache ausgegangen, daß die frühesten Kindheitserinnerungen einer Person häufig bewahrt zu haben scheinen, was gleichgültig und nebensächlich ist, während von wichtigen, eindrucksvollen und affektreichen Eindrücken dieser Zeit (häufig, gewiß nicht allgemein!) sich im Gedächtnis der Erwachsenen keine Spur vorfindet. Da es bekannt ist, daß das Gedächtnis unter den ihm dargebotenen Eindrücken eine Auswahl trifft, stände man hier vor der Annahme, daß diese Auswahl im Kindesalter nach ganz anderen Prinzipien vor sich geht als zur Zeit der intellektuellen Reife. Eingehende Untersuchung weist aber nach, daß diese Annahme überflüssig ist. Die indifferenten Kindheitserinnerungen verdanken ihre Existenz einem Verschiebungsvorgang; sie sind der Ersatz in der Reproduktion für andere wirklich bedeutsame Eindrücke, deren Erinnerung sich durch psychische Analyse aus ihnen entwickeln läßt, deren direkte Reproduktion aber durch einen Widerstand gehindert ist. Da sie ihre Erhaltung nicht dem eigenen Inhalt, sondern einer assoziativen Beziehung ihres Inhalts zu einem anderen,verdrängten, verdanken, haben sie auf den Namen „Deckerinnerungen“, mit welchem ich sie ausgezeichnet habe, begründeten Anspruch.

§ 190

Die Mannigfaltigkeiten in den Beziehungen und Bedeutungen der Deckerinnerungen habe ich in dem erwähnten Aufsatz nur gestreift, keineswegs erschöpft. An dem dort ausführlich analysierten Beispiel habe ich eine Besonderheit der zeitlichen Relation zwischen der Deckerinnerung und dem durch sie gedeckten Inhalt besonders hervorgehoben. Der Inhalt der Deckerinnerung gehörte dort nämlich einem der ersten Kinderjahre an, während die durch sie im Gedächtnis vertretenen Gedankenerlebnisse, die fast unbewußt geblieben waren, in späte Jahre des Betreffenden fielen. Ich nannte diese Art der Verschiebung eine rückgreifende oder rückläufige. Vielleicht noch häufiger begegnet man dem entgegengesetzten Verhältnis, daß ein indifferenter Eindruck der jüngsten Zeit sich als Deckerinnerung im Gedächtnis festsetzt, der diese Auszeichnung nur der Verknüpfung mit einem früheren Erlebnis verdankt, gegen dessen direkte Reproduktion sich Widerstände erheben. Dies wären vorgreifende oder vorgeschobene Deckerinnerungen. Das Wesentliche, was das Gedächtnis bekümmert, liegt hier der Zeit nach hinter der Deckerinnerung. Endlich wird der dritte noch mögliche Fall nicht vermißt, daß die Deckerinnerung nicht nur durch ihren Inhalt, sondern auch durch Kontinguität in der Zeit mit dem von ihr gedeckten Eindruck verknüpft ist, also die gleichzeitige oder anstoßende Deckerinnerung.

§ 191

Ein wie großer Teil unseres Gedächtnisschatzes in die Kategorie der Deckerinnerungen gehört, und welche Rolle bei verschiedenen neurotischen Denkvorgängen diesen zufällt, das sind Probleme, in deren Würdigung ich weder dort eingegangen bin, noch hier eintreten werde. Es kommt mir nur darauf an, die Gleichartigkeit zwischen dem Vergessen von Eigennamen mit Fehlerinnern und der Bildung der Deckerinnerungen hervorzuheben.

§ 192

Auf den ersten Anblick sind die Verschiedenheiten der beiden Phänomene weit auffälliger als ihre etwaigen Analogien. Dort handelt es sich um Eigennamen, hier um komplette Eindrücke, um entweder in der Realität oder in Gedanken Erlebtes; dort um ein manifestes Versagen der Erinnerungsfunktion, hier um eine Erinnerungsleistung, die uns befremdend erscheint; dort um eine momentane Störung — denn der eben vergessene Name kann vorher hundertmal richtig reproduziert worden sein und es von morgen an wieder werden —, hier um dauernden Besitz ohne Ausfall, denn die indifferenten Kindheitserinnerungen scheinen uns durch ein langes Stück unseres Lebens begleiten zu können. Das Rätsel scheint in diesen beiden Fällen ganz anders orientiert zu sein. Dort ist es das Vergessen, hier das Erhaltensein, was unsere wissenschaftliche Neugierde rege macht. Nach einiger Vertiefung merkt man, daß trotz der Verschiedenheit im psychischen Material und in der Zeitdauer der beiden Phänomene die Übereinstimmungen weit überwiegen. Es handelt sich hier wie dort um das Fehlgehen des Erinnerns; es wird nicht das vom Gedächtnis reproduziert, was korrekterweise reproduziert werden sollte, sondern etwas anderes zum Ersatz. Dem Falle des Namenvergessens fehlt nicht die Gedächtnisleistung in der Form der Ersatznamen. Der Fall der Deckerinnerungsbildung beruht auf dem Vergessen von anderen, wichtigeren Eindrücken. In beiden Fällen gibt uns eine intellektuelle Empfindung Kunde von der Einmengung einer Störung, nur jedesmal in anderer Form. Beim Namenvergessen wissen wir,daß die Ersatznamen falsch sind; bei den Deckerinnerungen verwundern wir uns, daß wir sie überhaupt besitzen. Wenn dann die psychologische Analyse nachweist, daß die Ersatzbildung in beiden Fällen auf die nämliche Weise durch Verschiebung längs einer oberflächlichen Assoziation zu stande gekommen ist, so tragen gerade die Verschiedenheiten im Material, in der Zeitdauer und in der Zentrierung der beiden Phänomene dazu bei, unsere Erwartung zu steigern, daß wir etwas Wichtiges und Allgemeingültiges aufgefunden haben. Dieses Allgemeine würde lauten, daß das Versagen und Irregehen der reproduzierenden Funktion weit häufiger, als wir vermuten, auf die Einmengung eines parteiischen Faktors, einer Tendenz hinweist, welche die eine Erinnerung begünstigt, während sie einer anderen entgegenzuarbeiten bemüht ist.

§ 193

Das Thema der Kindheitserinnerungen erscheint mir so bedeutsam und interessant, daß ich ihm noch einige Bemerkungen widmen möchte, die über die bisherigen Gesichtspunkte hinausgehen.

§ 194

Wie weit zurück in die Kindheit reichen die Erinnerungen? Es sind mir einige Untersuchungen über diese Frage bekannt, so von V. et C. Henri** und Potwin****; dieselben ergeben, daß große individuelle Verschiedenheiten bei den Untersuchten bestehen, indem einzelne ihre erste Erinnerung in den sechsten Lebensmonat verlegen, andere von ihrem Leben bis zum vollendeten sechsten, ja achten Lebensjahr nichts wissen. Aber womit hängen diese Verschiedenheiten im Verhalten der Kindheitserinnerungen zusammen, und welche Bedeutung kommtihnen zu? Es ist offenbar nicht ausreichend, das Material für diese Fragen durch Sammelerkundigung herbeizuschaffen; es bedarf dann noch einer Bearbeitung desselben, an der die auskunftgebende Person beteiligt sein muß.

* Enquête sur les premiers souvenirs de l’enfance. L’année psychologique, Ill, 1897. **** Study of early memories. Psycholog. Review, 1901. § 195

Ich meine, wir nehmen die Tatsache der infantilen Amnesie, des Ausfalls der Erinnerungen für die ersten Jahre unseres Lebens viel zu gleichmütig hin und versäumen es, ein seltsames Rätsel in ihr zu finden. Wir vergessen, welch hoher intellektueller Leistungen und wie komplizierter Gefühlsregungen ein Kind von etwa vier Jahren fähig ist, und sollten uns geradezu verwundern, daß das Gedächtnis späterer Jahre von diesen seelischen Vorgängen in der Regel so wenig bewahrt hat, zumal da wir allen Grund zur Annahme haben, daß diese selben vergessenen Kindheitsleistungen nicht etwa spurlos an der Entwicklung der Person abgeglitten sind, sondern einen für alle späteren Zeiten bestimmenden Einfluß ausgeübt haben. Und trotz dieser unvergleichlichen Wirksamkeit sind sie vergessen worden! Es weist dies auf ganz speziell geartete Bedingungen des Erinnerns (im Sinne der bewußten Reproduktion) hin, die sich unserer Erkenntnis bisher entzogen haben. Es ist sehr wohl möglich, daß das Kindheitsvergessen uns den Schlüssel zum Verständnis jener Amnesien liefern kann, die nach unseren neueren Erkenntnissen der Bildung aller neurotischen Symptome zu Grunde liegen.

§ 196

Von den erhaltenen Kindheitserinnerungen erscheinen uns einige gut begreiflich, andere befremdend oder unverständlich. Es ist nicht schwer, einige Irrtümer in betreff beider Arten zu berichtigen. Unterzieht man die erhaltenen Erinnerungen eines Menschen einer analytischen Prüfung, so kann man leicht feststellen, daß eine Gewähr für die Richtigkeit derselben nicht be—steht. Einige der Erinnerungsbilder sind sicherlich gefälscht, unvollständig oder zeitlich und räumlich verschoben. Die Angaben der untersuchten Personen wie, ihre erste Erinnerung rühre etwa aus dem zweiten Lebensjahr her, sind offenbar unverläßlich. Es gelingt bald auch Motive zu finden, welche die Entstellung und Verschiebung des Erlebten verständlich machen, aber auch beweisen, daß nicht einfache Gedächtnisuntreue die Ursache dieser Erinnerungsfehler sein kann. Starke Mächte aus der späteren Lebenszeit haben die Erinnerungsfähigkeit der Kindheitserlebnisse gemodelt, dieselben Mächte wahrscheinlich. an denen es liegt, daß wir uns allgemein dem Verständnis unserer Kindheitsjahre so weit entfremdet haben.

§ 197

Das Erinnern der Erwachsenen geht bekanntlich an verschiedenem psychischen Material vor sich. Die einen erinnern in Gesichtsbildern, ihre Erinnerungen haben visuellen Charakter; andere Individuen können kaum die dürftigsten Umrisse des Erlebten in der Erinnerung reproduzieren; man nennt solche Personen „Auditifs“ und „Moteurs“ im Gegensatz zu den „Visuels“ nach Charcots Vorschlag. Im Träumen verschwinden diese Unterschiede, wir träumen alle in vorwiegenden Gesichtsbildern. Aber ebenso bildet sich diese Entwicklung für die Kindheitserinnerungen zurück; diese sind plastisch visuell auch bei jenen Personen, deren späteres Erinnern des visuellen Elements entbehren muß. Das visuelle Erinnern bewahrt somit den Typus des infantilen Erinnerns. Bei mir sind die frühesten Kindheitserinnerungen die einzigen von visuellem Charakter; es sind geradezu plastisch herausgearbeitete Szenen, nur den Darstellungen auf der Bühne vergleichbar. In diesen Szenen aus der Kindheit, ob sie sich nun als wahr oder als verfälscht erweisen, sieht man regelmäßigauch die eigene kindliche Person in ihren Umrissen und mit ihrer Kleidung. Dieser Umstand muß Befremden erregen; erwachsene Visuelle sehen nicht mehr ihre Person in ihren Erinnerungen an spätere Erlebnisse**. Es widerspricht auch allen unseren Erfahrungen anzunehmen, daß die Aufmerksamkeit des Kindes bei seinen Erlebnissen auf sich selbst anstatt ausschließlich auf die äußeren Endrücke gerichtet wäre. Man wird so von verschiedenen Seiten her zur Vermutung gedrängt, daß wir in den sogenannten frühesten Kindheitserinnerungen nicht die wirkliche Erinnerungsspur, sondern eine spätere Bearbeitung derselben besitzen, eine Bearbeitung, welche die Einflüsse mannigfacher späterer psychischer Mächte erfahren haben mag. Die „Kindheitserinnerungen“ der Individuen rücken so ganz allgemein zur Bedeutung von „Deckerinnerungen“ vor und gewinnen dabei eine bemerkenswerte Analogie mit den in Sagen und Mythen niedergelegten Kindheitserinnerungen der Völker,

§ 198

Wer eine Anzahl von Personen mit der Methode der Psychoanalyse seelisch untersucht hat, hat bei dieser Arbeit reichlich Beispiele von Deckerinnerungen jeder Art gesammelt. Die Mitteilung dieser Beispiele wird aber gerade durch die vorhin erörterte Natur der Beziehungen der Kindheitserinnerungen zum späteren Leben außerordentlich erschwert; um eine Kindheitserinnerung als Deckerinnerung würdigen zu lassen, müßte man oft die ganze Lebensgeschichte der betreffenden Person zur Darstellung bringen. Es ist nur selten, wie im nachstehenden hübschen Beispiel, möglich, eine einzelne Kindheitserinnerung aus ihrem Zusammenhang für die Mitteilung herauszuheben.

§ 199

Ein 24jähriger Mann hat folgendes Bild aus seinem fünftenLebensjahr bewahrt. Er sitzt im Garten eines Sommerhauses auf einem Stühlchen neben der Tante, die bemüht ist, ihm die Kenntnisse der Buchstaben beizubringen. Die Unterscheidung von m und n bereitet ihm Schwierigkeiten, und er bittet die Tante, ihm doch zu sagen, woran man erkennt, was das eine und was das andere ist. Die Tante macht ihn aufmerksam, daß das m doch um ein ganzes Stück, um den dritten Strich, mehr habe als das n. — Es fand sich kein Anlaß, die Zuverlässigkeit dieser Kindheitserinnerung zu bestreiten; ihre Bedeutung hatte sie aber erst später erworben, als sie sich geeignet zeigte, die symbolische Vertretung für eine andere Wißbegierde des Knaben zu übernehmen. Denn, so wie er damals den Unterschied zwischen m und n wissen wollte, so bemühte er sich später, den Unterschied zwischen Knaben und Mädchen zu erfahren, und wäre gewiß einverstanden gewesen, daß gerade diese Tante seine Lehrmeisterin werde. Er fand dann auch heraus, daß der Unterschied ein ähnlicher sei, daß der Bub wiederum ein ganzes Stück mehr habe als das Mädchen, und zur Zeit dieser Erkenntnis weckte er die Erinnerung an die entsprechende kindliche Wißbegierde.

* Ich behaupte dies nach einigen von mir eingeholten Erkundigungen. § 200

Ein anderes Beispiel aus späteren Kindheitsjahren: Ein in seinem Liebesleben arg gehemmter Mann, jetzt über 40 Jahre alt, ist das älteste von neun Kindern. Bei der Geburt des jüngsten Geschwisterchens war er 15 Jahre, er behauptet aber steif und fest, daß er niemals eine Gravidität der Mutter bemerkt hatte. Unter dem Drucke meines Unglaubens stellt sich bei ihm die Erinnerung ein, er habe einmal im Alter von elf oder zwölf Jahren gesehen, daß die Mutter sich vor dem Spiegel hastig den Rock aufband. Dazu ergänzt er jetzt zwanglos, sie sei von der Straße gekommen und von unerwarteten Wehen befallen worden. DasAufbinden des Rockes ist aber eine Deckerinnerung für die Entbindung. Der Verwendung solcher „Wortbrücken“ werden wir in noch anderen Fällen begegnen.

§ 201

An einem einzigen Beispiel möchte ich noch zeigen, welchen Sinn eine Kindheitserinnerung durch analytische Bearbeitung gewinnen kann, die vorher keinen Sinn zu enthalten schien. Als ich in meinem 43. Jahr begann, mein Interesse den Resten der Erinnerung an die eigene Kindheit zuzuwenden, fiel mir eine Szene auf, die mit seit langem — wie ich meinte, seit jeher — von Zeit zu Zeit zum Bewußtsein gekommen war, und die nach guten Merkzeichen vor das vollendete dritte Lebensjahr verlegt werden durfte. Ich sah mich fordernd und heulend vor einem Kasten stehen, dessen Tür mein um 20 Jahre älterer Halbbruder geöffnet hielt, und dann trat plötzlich meine Mutter, schön und schlank, wie von der Straße zurückkehrend ins Zimmer. In diese Worte hatte ich die plastisch gesehene Szene gefaßt, mit der ich sonst nichts anzufangen wußte. Ob mein Bruder den Kasten — in der ersten Übersetzung des Bildes hieß es „Schrank“ — öffnen oder schließen wollte, warum ich dabei weinte, und was die Ankunft der Mutter damit zu tun habe, das alles war mir dunkel; ich war versucht, mir die Erklärung zu geben, daß es sich um die Erinnerung an eine Hänselei des älteren Bruders handle, die durch die Mutter unterbrochen wurde. Solche Mißverständnisse einer im Gedächtnis bewahrten Kindheitsszene sind nichts Seltenes; man erinnert sich einer Situation, aber dieselbe ist nicht zentriert, man weiß nicht, auf welches Element derselben der psychische Akzent zu setzen ist. Analytische Bemühung führte mich zu einer ganz unerwarteten Auffassung des Bildes. Ich hatte die Mutter vermißt, war auf den Verdacht gekommen, daß sie in diesem Schrank oder Kasten eingesperrt sei, und forderte darum den Bruder auf, den Kasten aufzusperren. Als er mir willfahrte und ich mich überzeugte, die Mutter sei nicht im Kasten, fing ich zu schreien an; dies ist der von der Erinnerung festgehaltene Moment, auf den alsbald das meine Sorge oder Sehnsucht beschwichtigende Erscheinen der Mutter folgte. Wie kam aber das Kind zu der Idee, die abwesende Mutter im Kasten zu suchen? Gleichzeitige Träume wiesen dunkel auf eine Kinderfrau hin, von welcher noch andere Reminiszenzen erhalten waren, wie z. B. daß sie mich gewissenhaft anzuhalten pflegte, ihr die kleinen Münzen abzuliefern, die ich als Geschenke erhalten hatte, ein Detail, des selbst wieder auf den Wert einer Deckerinnerung für Späteres Anspruch machen kann. So beschloß ich denn, mir diesmal die Deutungsaufgabe zu erleichtern, und meine jetzt alte Mutter nach jener Kinderfrau zu befragen. Ich erfuhr allerlei, darunter, daß die kluge aber unredliche Person während des Wochenbettes der Mutter große Hausdiebstähle verübt hatte und auf Betreiben meines Halbbruders dem Gerichte übergeben worden war. Diese Auskunft gab mir das Verständnis der Kinderszene wie durch eine Art von Erleuchtung. Das plötzliche Verschwinden der Kinderfrau war mir nicht gleichgültig gewesen; ich hatte mich gerade an diesen Bruder mit der Frage gewendet, wo sie sei, wahrscheinlich, weil ich gemerkt hatte, daß ihm eine Rolle bei ihrem Verschwinden zukomme, und er hatte ausweichend und wortspielerisch, wie seine Art immer war, geantwortet: sie ist „eingekastelt“. Diese Antwort verstand ich nun nach kindlicher Weise, ließ aber zu fragen ab, weil nichts mehr zu erfahren war. Als mir nun kurze Zeit darauf die Mutter abging, argwöhnte ich, der schlimme Bruder habe mit ihr dasselbe angestellt wie mit der Kinderfrau, und nötigte ihn, mir den

§ 202

V.

§ 203

DAS VERSPRECHEN.

§ 204

Wenn das gebräuchliche Material unserer Rede in der Muttersprache gegen das Vergessen geschützt erscheint, so unterliegt dessen Anwendung um so häufiger einer anderen Störung, die als „Versprechen“ bekannt ist. Das beim normalen Menschen beobachtete Versprechen macht den Eindruck der Vorstufe für die unter pathologischen Bedingungen auftretenden sogenannten „Paraphasien“.

§ 205

Ich befinde mich hier ausnahmsweise in der Lage, eine Vorarbeit würdigen zu können. Im Jahre 1895 haben Meringer und C. Mayer eine Studie über „Versprechen und Verlesen“ publiziert, deren Gesichtspunkte fernab von den meinigen liegen. Der eine der Autoren, der im Texte das Wort führt, ist nämlich Sprachforscher und ist von linguistischen Interessen zur Untersuchung veranlaßt worden, den Regeln nachzugehen, nach denen man sich verspricht. Er hoffte, aus diesen Regeln auf das Vorhandensein „eines gewissen geistigen Mechanismus“ schließen zu können, „in welchem die Laute eines Wortes, eines Satzes, und auch die Worte untereinander in ganz eigentümlicher Weise verbunden und verknüpft sind“ (S. 10).

§ 206

Die Autoren gruppieren die von ihnen gesammelten Beispiele des „Versprechens“ zunächst nach rein deskriptiven Gesichtspunkten als Vertauschungen (z. B. die Milo von Venus anstatt Venus von Milo), Vorklänge oder Antizipationen (z. B. es war mir auf der Schwest... auf der Brust so schwer), Nachklänge, Postpositionen (z. B. „Ich fordere Sie auf, auf das Wohl unseres Chefs aufzustoßen“ für anzustoßen), Kontaminationen (z. B. „Er setzt sich auf den Hinterkopf“ aus: „Er setzt sich einen Kopf auf“ und: „Er stellt sich auf die Hinterbeine“), Substitutionen (z. B. „Ich gebe die Präparate in den Briefkasten“ statt Brütkasten), zu welchen Hauptkategorien noch einige minder wichtige (oder für unsere Zwecke minder bedeutsame) hinzugefügt werden. Es macht bei dieser Gruppierung keinen Unterschied, ob die Umstellung, Entstellung, Verschmelzung usw. einzelne Laute des Wortes, Silben oder ganze Worte des intendierten Satzes betrifft.

§ 207

Zur Erklärung der beobachteten Arten des Versprechens stellt Meringer eine verschiedene psychische Wertigkeit der Sprachlaute auf. Wenn wir den ersten Laut eines Wortes, das erste Wort eines Satzes innervieren, wendet sich der Erregungsvorgang bereits den späteren Lauten, den folgenden Worten, zu, und soweit diese Innervationen miteinander gleichzeitig sind, können sie einander abändernd beeinflussen. Die Erregung des psychisch intensiveren Lautes klingt vor oder hallt nach und stört so den minderwertigen Innervationsvorgang. Es handelt sich nun darum zu bestimmen, welche die höchstwertigen Laute eines Wortes sind. Meringer meint: „Wenn man wissen will, welchem Laute eines Wortes die höchste Intensität zukommt, so beobachte man sich beim Suchen nach einem vergessenen Wort, z. B. einem Namen. Was zuerst wieder ins Bewußtsein kommt, hatte jedenfalls die größte Intensität vor dem Vergessen (S. 160). Die hochwertigen Laute sind also der Anlaut der Wurzelsilbe und der Wortanlaut und der oder die betonten Vokale“ (S. 162).

§ 208

Ich kann nicht umhin, hier einen Widerspruch zu erheben. Ob der Anlaut des Namens zu den höchstwertigen Elementen des Wortes gehöre oder nicht, es ist gewiß nicht richtig, daß er im Falle des Wortvergessens zuerst wieder ins Bewußtsein tritt; die obige Regel ist also unbrauchbar. Wenn man sich bei der Suche nach einem vergessenen Namen beobachtet, so wird man verhältnismäßig häufig die Überzeugung äußern müssen, er fange mit einem bestimmten Buchstaben an. Diese Überzeugung erweist sich nun ebenso oft als unbegründet wie als begründet. Ja, ich möchte behaupten, man proklamiert in der Mehrzahl der Fälle einen falschen Anlaut. Auch in unserem Beispiel: Signorelli ist bei dem Ersatznamen der Anlaut und sind die wesentlichen Silben verloren gegangen; gerade das minderwertige Silbenpaar elli ist im Ersatznamen Botticelli dem Bewußtsein wiedergekehrt. Wie wenig die Ersatznamen den Anlaut des entfallenen Namens respektieren, mag z. B. folgender Fall lehren: Eines Tages ist es mir unmöglich, den Namen des kleinen Landes zu erinnern, dessen Hauptort Monte Carlo ist. Die Ersatznamen für ihn lauten:

§ 209

Piemont, Albanien, Montevideo, Colico.

§ 210

Für Albanien tritt bald Montenegro ein, und dann fällt mir auf, daß die Silbe Mont (Mon ausgesprochen) doch allen Ersatznamen bis auf den letzten zukommt. Es wird mir so erleichtert, vom Namen des Fürsten Albert aus das vergessene Monaco aufzufinden. Colico ahmt die Silbenfolge und Rhythmik des vergessenen Namens ungefähr nach.

§ 211

Wenn man der Vermutung Raum gibt, daß ein ähnlicher Mechanismus wie der fürs Namenvergessen nachgewiesene auch an den Erscheinungen des Versprechens Anteil haben könne, sowird man zu einer tiefer begründeten Beurteilung der Fälle von Versprechen geführt. Die Störung in der Rede, welche sich als Versprechen kundgibt, kann erstens verursacht sein durch den Einfluß eines anderen Bestandteils derselben Rede, also durch das Vorklingen oder Nachhallen, oder durch eine zweite Fassung innerhalb des Satzes oder des Zusammenhanges, den auszusprechen man intendiert — hieher gehören alle oben Meringer und Mayer entlehnten Beispiele —: zweitens aber könnte die Störung analog dem Vorgang im Falle Signorelli zu stande kommen durch Einflüsse außerhalb dieses Wortes, Satzes oder Zusammenhanges, von Elementen her, die auszusprechen man nicht intendiert, und von deren Erregung man erst durch eben die Störung Kenntnis erhält. In der Gleichzeitigkeit der Erregung läge das Gemeinsame, in der Stellung innerhalb oder außerhalb desselben Satzes oder Zusammenhanges das Unterscheidende für die beiden Entstehungsarten des Versprechens. Der Unterschied erscheint zunächst nicht so groß, als er für gewisse Folgerungen aus der Symptomatologie des Versprechens in Betracht kommt. Es ist aber klar, daß man nur im ersteren Falle Aussicht hat, aus den Erscheinungen des Versprechens Schlüsse auf einen Mechanismus zu ziehen, der Laute und Worte zur gegenseitigen Beeinflussung ihrer Artikulation miteinander verknüpft, also Schlüsse, wie sie der Sprachforscher aus dem Studium des Versprechens zu gewinnen hoffte. Im Falle der Störung durch Einflüsse außerhalb des nämlichen Satzes oder Redezusammenhanges würde es sich vor allem darum handeln, die störenden Elemente kennen zu lernen, und dann entstände die Frage, ob auch der Mechanismus dieser Störung die zu vermutenden Gesetze der Sprachbildung verraten kann.

§ 212

Man darf nicht behaupten, daß Meringer und Mayerdie Möglichkeit der Sprechstörung durch „komplizierte psychische Einflüsse“, durch Elemente außerhalb desselben Wortes, Satzes oder derselben Redefolge übersehen haben. Sie mußten ja bemerken, daß die Theorie der psychischen Ungleichwertigkeit der Laute streng genommen nur für die Aufklärung der Lautstörungen, sowie der Vor- und Nachklänge ausreicht. Wo sich die Wortstörungen nicht auf Lautstörungen reduzieren lassen, z. B. bei den Substitutionen und Kontaminationen von Worten, haben auch sie unbedenklich die Ursache des Versprechens außerhalb des intendierten Zusammenhanges gesucht und diesen Sachverhalt durch schöne Beispiele erwiesen. Ich zitiere folgende Stellen:

§ 213

(S. 62.) „ "Ru. erzählt von Vorgängen, die er in seinem Innern für ,Schweinereien‘ erklärt. Er sucht aber nach einer milden Form und beginnt: ,Dann aber sind Tatsachen zum Vorschwein gekommen. . .‘ Mayer und ich waren anwesend und Ru. bestätigte, daß er ,Schweinereien‘ gedacht hatte. Daß sich dieses gedachte Wort bei ,Vorschein‘ verriet und plötzlich wirksam wurde, findet in der Ähnlichkeit der Wörter seine genügende Erklärung." “ —

§ 214

(S. 73.) „ "Auch bei den Substitutionen spielen wie bei den Kontaminationen und in wahrscheinlich viel höherem Grade die ,schwebenden‘ oder ,vagierenden‘ Sprachbilder eine große Rolle. Sie sind, wenn auch unter der Schwelle des Bewußtseins, so doch noch in wirksamer Nähe, können leicht durch eine Ähnlichkeit des zu sprechenden Komplexes herangezogen werden und führen dann eine Entgleisung herbei oder kreuzen den Zug der Wörter. Die ,schwebenden‘ oder ,vagierenden‘ Sprachbilder sind, wie gesagt, oft die Nachzügler von kürzlich abgelaufenen Sprachprozessen (Nachklänge)."

§ 215

(S. 97.) „ "Eine Entgleisung ist auch durch Ähnlichkeit mög-" "lich, wenn ein anderes ähnliches Wort nahe unter der Bewußtseinsschwelle liegt, ohne daß es gesprochen zu werden bestimmt wäre. Das ist der Fall bei den Substitutionen. — So hoffe ich, daß man beim Nachprüfen meine Regeln wird bestätigen müssen. Aber dazu ist notwendig, daß man (wenn ein anderer spricht) sich Klarheit darüber verschafft, an was alles der Sprecher gedacht hat**. Hier ein lehrreicher Fall. Klassendirektor Li. sagte in unserer Gesellschaft: ,Die Frau würde mir Furcht einlagen.‘ Ich wurde stutzig, denn das l schien mir unerklärlich. Ich erlaube mir, den Sprecher auf seinen Fehler ,einlagen‘ für ,einjagen‘ aufmerksam zu machen, worauf er sofort antwortete: ,Ja, das kommt daher, weil ich dachte: ich wäre nicht in der Lage‘ usw."

§ 216

"Ein anderer Fall. Ich frage R. v. Schid., wie es seinem kranken Pferd gehe. Er antwortete: ,Ja, das draut.. dauert vielleicht noch einen Monat.‘ Das ,draut‘ mit einem r war mir unverständlich, denn das r von dauert konnte unmöglich so gewirkt haben. Ich machte also R. v. S. aufmerksam, worauf er erklärte, er habe gedacht, ,das ist eine traurige Geschichte‘. Der Sprecher hatte also zwei Antworten im Sinne und diese vermengten sich."

§ 217

Es ist wohl unverkennbar, wie nahe die Rücksichtnahme auf die „vagierenden“ Sprachbilder, die unter der Schwelle des Bewußtseins stehen und nicht zum Gesprochenwerden bestimmt sind, und die Forderung, sich zu erkundigen, an was der Sprecher alles gedacht habe, an die Verhältnisse bei unseren „Analysen“ herankommen. Auch wir suchen unbewußtes Material, und zwar auf dem nämlichen Wege, nur daß wir von den Einfällen des Befragten bis zur Auffindung desstörenden Elements einen längeren Weg durch eine komplexe Assoziationsreihe zurückzulegen haben.

* Von mir hervorgehoben. § 218

Ich weile noch bei einem anderen interessanten Verhalten, für das die Beispiele Meringers Zeugnis ablegen. Nach der Einsicht des Autors selbst ist es irgend eine Ähnlichkeit eines Wortes im intendierten Satze mit einem anderen nicht intendierten, welche dem letzteren gestattet, sich durch die Verursachung einer Entstellung, Mischbildung, Kompromißbildung (Kontamination) im Bewußtsein zur Geltung zu bringen:

§ 219

lagen, dauert, Vorschein.

§ 220

jagen, traurig, ..schwein.

§ 221

Nun habe ich in meiner Schrift über die „Traumdeutung“** dargetan, welchen Anteil die Verdichtungsarbeit an der Entstehung des sogenannten manifesten Trauminhalts aus den latenten Traumgedanken hat. Irgend eine Ähnlichkeit der Dinge oder der Wortvorstellungen zwischen zwei Elementen des unbewußten Materials wird da zum Anlaß genommen, um ein Drittes, eine Misch- oder Kompromißvorstellung zu schaffen, welche im Trauminhalt ihre beiden Komponenten vertritt, und die infolge dieses Ursprungs so häufig mit widersprechenden Einzelbestimmungen ausgestattet ist. Die Bildung von Substitutionen und Kontaminationen beim Versprechen ist somit ein Beginn jener Verdichtungsarbeit, die wir in eifrigster Tätigkeit am Aufbau des Traumes beteiligt finden.

§ 222

In einem kleinen, für weitere Kreise bestimmten Aufsatz (Neue Freie Presse vom 23. Aug. 1900: „Wie man sich versprechen kann“) hat Meringer eine besondere praktische Bedeutung für gewisse Fälle von Wortvertauschungen in Anspruch genommen, für solche nämlich, in denen man ein Wort durchsein Gegenteil dem Sinne nach ersetzt. „ "Man erinnert sich wohl noch der Art, wie vor einiger Zeit der Präsident des österreichischen Abgeordnetenhauses die Sitzung eröffnete: ,Hohes Haus! Ich konstatiere die Anwesenheit von so und soviel Herren und erkläre somit die Sitzung für geschlossen! Die allgemeine Heiterkeit machte ihn erst aufmerksam und er verbesserte den Fehler. Im vorliegenden Falle wird die Erklärung wohl diese sein, daß der Präsident sich wünschte, er wäre schon in der Lage, die Sitzung, von der wenig Gutes zu erwarten stand, zu schließen, aber — eine häufige Erscheinung — der Nebengedanke setzte sich wenigstens teilweise durch, und das Resultat war ,geschlossen‘ für ,eröffnet‘, also das Gegenteil dessen, was zu sprechen beabsichtigt war. Aber vielfältige Beobachtung hat mich belehrt, daß man gegensätzliche Worte überhaupt sehr häufig miteinander vertauscht; sie sind eben schon in unserem Sprachbewußtsein assoziiert, liegen hart nebeneinander und werden leicht irrtümlich aufgerufen."

* Die Traumdeutung. Leipzig und Wien, 1900, 5. Aufl. 1919. § 223

Nicht in allen Fällen von Gegensatzvertauschung wird es so leicht, wie hier im Beispiel des Präsidenten, wahrscheinlich zu machen, daß das Versprechen infolge eines Widerspruchs geschieht, der sich im Innern des Redners gegen den geäußerten Satz erhebt. Wir haben den analogen Mechanismus in der Analyse des Beispiels: aliquis gefunden; dort äußerte sich der innere Widerspruch im Vergessen eines Wortes anstatt in seiner Ersetzung durch das Gegenteil. Wir wollen aber zur Ausgleichung des Unterschiedes bemerken, daß das Wörtchen aliquis eines ähnlichen Gegensatzes, wie ihn „schließen“ und „eröffnen“ ergibt, eigentlich nicht fähig ist, und daß „eröffnen“ als gebräuchlicher Bestandteil des Redeschatzes dem Vergessen nicht unterworfen sein kann.

§ 224

Zeigen uns die letzten Beispiele von Meringer und Mayer, daß die Sprechstörung ebensowohl durch den Einfluß vor- und nachklingender Laute und Worte desselben Satzes entstehen kann, die zum Ausgesprochenwerden bestimmt sind, wie durch die Einwirkung von Worten außerhalb des intendierten Satzes, deren Erregung sich sonst nicht verraten hätte, so werden wir zunächst erfahren wollen, ob man die beiden Klassen von Versprechen scharf sondern, und wie man ein Beispiel der einen von einem Falle der anderen Klasse unterscheiden kann. An dieser Stelle der Erörterung muß man aber der Äußerungen Wundts gedenken, der in seiner eben erscheinenden umfassenden Bearbeitung der Entwicklungsgesetze der Sprache (Völkerpsychologie, 1. Band, 1. Teil, S. 371 u. ff., 1900) auch die Erscheinungen des Versprechens behandelt. Was bei diesen Erscheinungen und anderen, ihnen verwandten, niemals fehlt, das sind nach Wundt gewisse psychische Einflüsse. „ "Dahin gehört zunächst als positive Bedingung der ungehemmte Fluß der von den gesprochenen Lauten angeregten Laut- und Wortassoziationen. Ihm tritt der Wegfall oder der Nachlaß der diesen Lauf hemmenden Wirkungen des Willens und der auch hier als Willensfunktion sich betätigenden Aufmerksamkeit als negatives Moment zur Seite. Ob jenes Spiel der Assoziation darin sich äußert, daß ein kommender Laut antizipiert oder die vorausgegangenen reproduziert, oder ein gewohnheitsmäßig eingeübter zwischen andere eingeschaltet wird, oder endlich darin, daß ganz andere Worte, die mit den gesprochenen Lauten in assoziativer Beziehung stehen, auf diese herüberwirken — alles dies bezeichnet nur Unterschiede in der Richtung und allenfalls in dem Spielraum der stattfindenden Assoziationen, nicht in der allgemeinen Natur derselben. Auch kann es in" "manchen Fällen zweifelhaft sein, welcher Form man eine bestimmte Störung zuzurechnen, oder ob man sie nicht mit größerem Rechte nach dem Prinzip der Komplikation der Ursachen** auf ein Zusammentreffen mehrerer Motive zurückzuführen habe." “ (S. 380 und 381.)

§ 225

Ich halte diese Bemerkungen Wundts für vollberechtigt und sehr instruktiv. Vielleicht könnte man mit größerer Entschiedenheit als Wundt betonen, daß den positiv begünstigende Moment der Sprechfehler — der ungehemmte Fluß der Assoziationen — und das negative — der Nachlaß der hemmenden Aufmerksamkeit — regelmäßig miteinander zur Wirkung gelangen, so daß beide Momente nur zu verschiedenen Bestimmungen des nämlichen Vorganges werden. Mit dem Nachlaß der hemmenden Aufmerksamkeit tritt eben der ungehemmte Fluß der Assoziationen in Tätigkeit; noch unzweifelheiter ausgedrückt: durch diesen Nachlaß.

§ 226

Unter den Beispielen von Versprechen, die ich selbst gesammelt, finde ich kaum eines, bei dem ich die Sprechstörung einzig und allein auf das, was Wundt "Kontaktwirkung der Laute" “ nennt, zurückführen müßte. Fast regelmäßig entdecke ich überdies einen störenden Einfluß von etwas außerhalb der intendierten Rede, und das Störende ist entweder ein einzelner, unbewußt gebliebener Gedanke, der sich durch das Versprechen kundgibt und oft erst durch eingehende Analyse zum Bewußtsein gefördert werden kann, oder es ist ein allgemeineres psychisches Motiv, welches sich gegen die ganze Rede richtet.

§ 227

Beispiel a): Ich will gegen meine Tochter, die beim Einbeißen in einen Apfel ein garstiges Gesicht geschnitten hat, zitieren:

* Von mir hervorgehoben. § 228

"Der Affe gar possierlich ist, Zumal wenn er vom Apfel frißt."

§ 229

Ich beginne aber: Der Apfe... Dies scheint eine Kontamination von „Affe“ und „Apfel“ (Kompromißbildung) oder kann auch als Antizipation des vorbereiteten „Apfel“ aufgefaßt werden. Der genauere Sachverhalt ist aber der: Ich hatte das Zitat schon einmal begonnen und mich das erstemal dabei nicht versprochen. Ich versprach mich erst bei der Wiederholung, die sich als notwendig ergab, weil die Angesprochene, von anderer Seite mit Beschlag belegt, nicht zuhörte. Diese Wiederholung, die mit ihr verbundene Ungeduld, des Satzes ledig zu werden, muß ich in die Motivierung des Sprechfehlers, der sich als eine Verdichtungsleistung darstellt, mit einrechnen.

§ 230

b) Meine Tochter sagt: Ich schreibe der Frau Schresinger... Die Frau heißt Schlesinger. Dieser Sprechfehler hängt wohl mit einer Tendenz zur Erleichterung der Artikulation zusammen, denn das l ist nach wiederholtem r schwer auszusprechen. Ich muß aber hinzufügen, daß sich dieses Versprechen bei meiner Tochter ereignete, nachdem ich ihr wenige Minuten zuvor „Apfe“ anstatt „Affe“ vorgesagt hatte. Nun ist das Versprechen in hohem Maße ansteckend, ähnlich wie das Namenvergessen, bei dem Meringer und Mayer diese Eigentümlichkeit bemerkt haben. Einen Grund für diese psychische Kontagiosität weiß ich nicht anzugeben.

§ 231

c) „Ich klappe zusammen wie ein Tassenmescher Taschenmesser“, sagt eine Patientin zu Beginn der Behandlungsstunde, die Laute vertauschend, wobei ihr wieder die Artikulationsschwierigkeit („Wiener Weiber Wäscherinnen waschen weiße Wäsche“ — „Fischflosse“ und ähnliche Prüfworte) zur Entschuldigung dienen kann. Auf den Sprechfehler aufmerksam gemacht, erwidert sie prompt: „Ja, das ist nur,weil Sie heute ,Ernscht‘ gesagt haben.“ Ich hatte sie wirklich mit der Rede empfangen: „Heute wird es also Ernst“ (weil es die letzte Stunde vor dem Urlaub werden sollte) und hatte das „Ernst“ scherzhaft zu „Ernscht“ verbreitert. Im Laufe der Stunde verspricht sie sich immer wieder von neuem, und ich merke endlich, daß sie mich nicht bloß imitiert, sondern daß sie einen besonderen Grund hat, im Unbewußten bei dem Worte Ernst als Namen zu verweilen**.

§ 232

d) „Ich bin so verschnupft, ich kann nicht durch die Ase natmen — Nase atmen“ — passiert derselben Patientin ein andermal. Sie weiß sofort, wie sie zu diesem Sprechfehler kommt. „Ich steige jeden Tag in der Hasenauerstraße in die Tramway, und heute früh ist mir während des Wartens auf den Wagen eingefallen, wenn ich eine Französin wäre, würde ich Asenauer aussprechen, denn die Franzosen lassen das H im Anlaut immer weg.“ Sie bringt dann eine Reihe von Reminiszenzen an Franzosen, die sie kennen gelernt hat, und langt nach weitläufigen Umwegen bei der Erinnerung an, daß sie als 14jähriges Mädchen in dem kleinen Stück „Kurmärker und Picarde“ die Picarde gespielt und damals gebrochen Deutsch gesprochen hat. Die Zufälligkeit, daß in ihrem Logierhaus ein Gast aus Paris angekommen ist, hat die ganze Reihe von Erinnerungen wachgerufen. Die Lautvertauschung istalso Folge der Störung durch einen unbewußten Gedanken aus einem ganz fremden Zusammenhang.

* Sie stand nämlich, wie sich zeigte, unter dem Einfluß von unbewußten Gedanken über Schwangerschaft und Kinderverhütung. Mit den Worten: „zusammengeklappt wie ein Taschenmesser“, welche sie bewußt als Klage vorbrachte, wollte sie die Haltung des Kindes im Mutterleibe beschreiben. Das Wort „Ernst“ in meiner Anrede hatte sie an den Namen (S. Ernst) der bekannten Wiener Firma in der Kärntnerstraße gemahnt, welche sich als Verkaufsstätte von Schutzmitteln gegen die Konzeption zu annoncieren pflegt. § 233

e) Ähnlich ist der Mechanismus des Versprechens bei einer anderen Patientin, die mitten in der Reproduktion einer längst verschollenen Kindererinnerung von ihrem Gedächtnis verlassen wird. An welche Körperstelle die vorwitzige und lüsterne Hand des anderen gegriffen hat, will ihr das Gedächtnis nicht mitteilen. Sie macht unmittelbar darauf einen Besuch bei einer Freundin und unterhält sich mit ihr über Sommerwohnungen. Gefragt, wo denn ihr Häuschen in M. gelegen sei, antwortet sie: an der Berglende anstatt Berglehne.

§ 234

f) Eine andere Patientin, die ich nach Abbruch der Stunde frage, wie es ihrem Onkel geht, antwortet: „Ich weiß nicht, ich sehe ihn jetzt nur in flagranti.“ Am nächsten Tage beginnt sie: „Ich habe mich recht geschämt, Ihnen eine so dumme Antwort gegeben zu haben. Sie müssen mich natürlich für eine ganz ungebildete Person halten, die beständig Fremdwörter verwechselt. Ich wollte sagen: en passant.“ Wir wußten damals noch nicht, woher sie die unrichtig angewendeten Fremdworte genommen hatte. In derselben Sitzung aber brachte sie als Fortsetzung des vortägigen Themas eine Reminiszenz, in welcher das Ertapptwerden in flagranti die Hauptrolle spielte. Der Sprechfehler am Tage vorher hatte also die damals noch nicht bewußt gewordene Erinnerung antizipiert.

§ 235

g) Gegen eine andere muß ich an einer gewissen Stelle der Analyse die Vermutung aussprechen, daß sie sich zu der Zeit, von welcher wir eben handeln, ihrer Familie geschämt und ihrem Vater einen uns noch unbekannten Vorwurf gemacht habe. Sie erinnert sich nicht daran, erklärt es übrigens für unwahrscheinlich. Sie setzt aber das Gespräch mit Bemerkungen über ihre Familie fort: „Man muß ihnen das eine lassen: Es

§ 236

sind doch besondere Menschen, sie haben alle Geiz — ich wollte sagen Geist.“ Das war auch denn wirklich der Vorwurf, den sie aus ihrem Gedächtnis verdrängt hatte. Daß sich in dem Versprechen gerade jene Idee durchdrängt, die man zurückhalten will, ist ein häufiges Vorkommnis (vgl. den Fall von Meringer: zum Vorschwein gekommen). Der Unterschied liegt nur darin, daß die Person bei Meringer etwas zurückhalten will, was ihr bewußt ist, während meine Patientin das Zurückgehaltene nicht weiß, oder wie man auch sagen kann, nicht weiß, daß sie etwas, und was sie zurückhält.

§ 237

h) Auf absichtliche Zurückhaltung geht auch das nachstehende Beispiel von Versprechen zurück. Ich treffe einmal in den Dolomiten mit zwei Damen zusammen, die als Touristinnen verkleidet sind. Ich begleite sie ein Stück weit, und wir besprechen die Genüsse, aber auch die Beschwerden der touristischen Lebensweise. Die eine der Damen gibt zu, daß diese Art, den Tag zu verbringen, manches Unbequeme hat. Es ist wahr, sagt sie, daß es gar nicht angenehm ist, wenn man so in der Sonne den ganzen Tag marschiert hat, und Bluse und Hemd ganz durchgeschwitzt sind. In diesem Satze hat sie einmal eine kleine Stockung zu überwinden. Denn setzt sie fort: Wenn man aber dann nach Hose kommt und sich umkleiden kann... Ich meine, es bedurfte keines Examens, um dieses Versprechen aufzuklären. Die Dame hatte offenbar die Absicht gehabt, die Aufzählung vollständiger zu halten und zu sagen: Bluse, Hemd und Hose. Dies dritte Wäschestück zu nennen, unterdrückte sie dann aus Gründen der Wohlanständigkeit. Aber im nächsten, inhaltlich unabhängigen Satz setzte sich das unterdrückte Wort als Verunstaltung des ähnlichen Wortes „nach Hause“ wider ihren Willen durch.

§ 238

i) „Wenn Sie Teppiche kaufen wollen, so gehen Sie nur zuKaufmann in der Matthäusgasse. Ich glaube, ich kann Sie dort auch empfehlen,“ sagt mir eine Dame. Ich wiederhole: „Also bei Matthäus.... bei Kaufmann will ich sagen.“ Es sieht aus wie Folge von Zerstreutheit, wenn ich den einen Namen an Stelle des anderen wiederhole. Die Rede der Dame hat mich auch wirklich zerstreut gemacht, denn sie hat meine Aufmerksamkeit auf anderes gelenkt, was mir weit wichtiger ist als Teppiche. In der Matthäusgasse steht nämlich das Haus, in dem meine Frau als Braut gewohnt hatte. Der Eingang des Hauses war in einer anderen Gasse, und nun merke ich, daß ich deren Namen vergessen habe und ihn mir erst auf einem Umweg bewußt machen muß. Der Name Matthäus, bei dem ich verweile, ist mir also ein Ersatzname für den vergessenen Namen der Straße. Er eignet sich besser dazu als der Name Kaufmann, denn Matthäus ist ausschließlich ein Personenname, was Kaufmann nicht ist, und die vergessene Straße heißt auch nach einem Personennamen: Radetzky.

§ 239

k) Folgenden Fall könnte ich ebensogut bei den später zu besprechenden „Irrtümern“ unterbringen, führe ihn aber hier an, weil die Lautbeziehungen, auf Grund deren die Wortersetzung erfolgt, ganz besonders deutlich sind. Eine Patientin erzählt mir ihren Traum: Ein Kind hat beschlossen, sich durch einen Schlangenbiß zu töten. Es führt den Beschluß aus. Sie sieht zu, wie es sich in Krämpfen windet usw. Sie soll nun die Tagesanknüpfung für diesen Traum finden. Sie erinnert sofort, daß sie gestern abends eine populäre Vorlesung über erste Hilfe bei Schlangenbissen mitangehört hat. Wenn ein Erwachsener und ein Kind gleichzeitig gebissen worden sind, so soll man zuerst die Wunde des Kindes behandeln. Sie erinnert auch, welche Vorschriften für die Behandlung der Vortragende gegeben hat. Es käme sehr vieldarauf an, hatte er auch geäußert, von welcher Art man gebissen worden ist. Hier unterbreche ich sie und frage: Hat er denn nicht gesagt, daß wir nur sehr wenige giftige Arten in unserer Gegend haben, und welche die gefürchteten sind? „Ja, er hat die Klapperschlange hervorgehoben.“ Mein Lachen macht sie dann aufmerksam, daß sie etwas Unrichtiges gesagt hat. Sie korrigiert jetzt aber nicht etwa den Namen, sondern sie nimmt ihre Aussage zurück. „Ja so, die kommt ja bei uns nicht vor, er hat von der Viper gesprochen. Wie gerate ich nur auf die Klapperschlange?” Ich vermutete, durch die Einmengung der Gedanken, die sich hinter ihrem Traum verborgen hatten. Der Selbstmord durch Schlangenbiß kann kaum etwas anderes sein, als eine Anspielung auf die schöne Kleopatra. Die weitgehende Lautähnlichkeit der beiden Worte, die Übereinstimmung in den Buchstaben Kl..p..r in der nämlichen Reihenfolge und in dem betonten a sind nicht zu verkennen. Die gute Beziehung zwischen den Namen Klapperschlange und Kleopatra erzeugt bei ihr eine momentane Einschränkung des Urteils, derzufolge sie in der Behauptung, der Vortragende habe sein Publikum in Wien in der Behandlung von Klapperschlangenbissen unterwiesen, keinen Anstoß nimmt. Sie weiß sonst so gut wie ich, daß diese Schlange nicht zur Fauna unserer Heimat gehört. Wir wollen es ihr nicht verübeln, daß sie an die Versetzung der Klapperschlange nach Ägypten ebensowenig Bedenken knüpfte, denn wir sind gewohnt, alles Außereuropäische, Exotische zusammenzuwerfen, und ich selbst mußte mich einen Moment besinnen, ehe ich die Behauptung aufstellte, daß die Klapperschlange nur der neuen Welt angehört.

§ 240

Weitere Bestätigungen ergeben sich bei Fortsetzung der Analyse. Die Träumerin hat gestern zum erstenmal die inder Nähe ihrer Wohnung aufgestellte Antoniusgruppe von Straßer besichtigt. Dies war also der zweite Traumanlaß (der erste der Vortrag über Schlangenbisse). In der Fortsetzung ihres Traumes wiegte sie ein Kind in ihren Armen, zu welcher Szene ihr das Gretchen einfällt. Weitere Einfälle bringen Reminiszenzen an „Arria und Messalina“. Das Auftauchen so vieler Namen von Theaterstücken in den Traumgedanken läßt bereits vermuten, daß bei der Träumerin in früheren Jahren eine geheim gehaltene Schwärmerei für den Beruf der Schauspielerin bestand. Der Anfang des Traumes: „Ein Kind hat beschlossen, sein Leben durch einen Schlangenbiß zu enden“, bedeutet wirklich nichts anderes als: Sie hat sich als Kind vorgenommen, einmal eine berühmte Schauspielerin zu werden. Von dem Namen Messalina zweigt endlich der Gedankenweg ab, der zu dem wesentlichen Inhalt dieses Traumes führt. Gewisse Vorfälle der letzten Zeit haben in ihr die Besorgnis erweckt, daß ihr einziger Bruder eine nicht standesgemäße Ehe mit einer Nicht-Arierin, eine Mésalliance eingehen könnte.

§ 241

l) Ein völlig hamloses oder vielleicht uns nicht genügend in seinen Motiven aufgeklärtes Beispiel will ich hier wiedergeben, weil es einen durchsichtigen Mechanismus erkennen läßt:

§ 242

Ein in Italien reisender Deutscher bedarf eines Riemens, um seinen schadhaft gewordenen Koffer zu umschnüren. Das Wörterbuch liefert ihm für Riemen das italienische Wort coreggia. Dieses Wort werde ich mir leicht merken, meint er, indem ich an den Maler (Correggio) denke. Er geht dann in einen Laden und verlangt: una ribera.

§ 243

Es war ihm anscheinend nicht gelungen, das deutsche Wort in seinem Gedächtnis durch das italienische zu ersetzen, aber seine Bemühung war doch nicht gänzlich ohne Erfolg geblieben. Er wußte, daß er sich an den Namen eines Malers halten müsse, und so geriet er nicht auf jenen Malernamen, der an das italienische Wort anklingt, sondern an einen anderen, der sich dem deutschen Worte Riemen annähert. Ich hätte dieses Beispiel natürlich ebensowohl beim Namenvergessen wie hier beim Versprechen unterbringen können.

§ 244

Als ich Erfahrungen von Versprechen für die erste Auflage dieser Schrift sammelte, ging ich so vor, daß ich alle Fälle, die ich beobachten konnte, darunter also auch die minder eindrucksvollen, der Analyse unterzog. Seither haben manche andere sich der amüsanten Mühe, Versprechen zu sammeln und zu analysieren, unterzogen und mich so in den Stand gesetzt, Auswahl aus einem reicheren Material zu schöpfen.

§ 245

m) Ein junger Mann sagt zu seiner Schwester: Mit den D. bin ich jetzt ganz zerfallen, ich grüße sie nicht mehr. Sie antwortet: Überhaupt eine saubere Lippschaft. Sie wollte sagen: Sippschaft, aber sie drängte noch zweierlei in dem Sprechirrtum zusammen, daß ihr Bruder einst selbst mit der Tochter dieser Familie einen Flirt begonnen hatte, und daß es von dieser hieß, sie habe sich in letzter Zeit in eine ernsthafte unerlaubte Liebschaft eingelassen.

§ 246

n) Ein junger Mann spricht eine Dame auf der Straße mit den Worten an: „Wenn Sie gestatten, mein Fräulein, möchte ich Sie begleit-digen.“ Er dachte offenbar, er möchte sie gern begleiten, fürchtete aber, sie mit dem Antrag zu beleidigen. Daß diese beiden einander widerstreitenden Gefühlsregungen in einem Worte — eben dem Versprechen — Ausdruck fanden, weist darauf hin, daß die eigentlichen Absichten des jungen Mannes jedenfalls nicht die lautersten waren und ihm dieser Dame gegenüber selbst beleidigend erscheinen mußten. Während er aber gerade dies vor ihr zuverbergen sucht, spielt ihm das Unbewußte den Streich, seine eigentliche Absicht zu verraten, wodurch er aber anderseits der Dame gleichsam die konventionelle Antwort: „Ja, was glauben Sie denn von mir, wie können Sie mich denn so beleidigen“ vorwegnimmt. (Mitgeteilt von O. Rank.)

§ 247

o) Eine Anzahl von Beispielen entnehme ich einem Aufsatz von W. Stekel aus dem „Berliner Tageblatt“ vom 4. Jänner 1904, betitelt „Unbewußte Geständnisse“.

§ 248

"Ein unangenehmes Stück meiner unbewußten Gedanken enthüllt das folgende Beispiel. Ich schicke voraus, daß ich in meiner Eigenschaft als Arzt niemals auf meinen Erwerb bedacht bin und immer nur das Interesse des Kranken im Auge habe, was ja eine selbstverständliche Sache ist. Ich befinde mich bei einer Kranken, der ich nach schwerer Krankheit in einem Rekonvaleszentenstadium meinen ärztlichen Beistand leiste. Wir haben schwere Tage und Nächte mitgemacht. Ich bin glücklich, sie besser zu finden, male ihr die Wonnen eines Aufenthaltes in Abbazzia aus und gebrauche dabei den Nachsatz: ,wenn Sie, was ich hoffe, das Bett bald nicht verlassen werden —‘. Offenbar entsprang das einem egoistischen Motiv des Unbewußten, diese wohlhabende Kranke noch länger behandeln zu dürfen, einem Wunsche, der meinem wachen Bewußtsein vollkommen fremd ist und den ich mit Entrüstung zurückweisen würde."

§ 249

p) Ein anderes Beispiel (W. Stekel). „Meine Frau nimmt eine Französin für die Nachmittage auf und will, nachdem man sich über die Bedingungen geeinigt hatte, ihre Zeugnisse zurückbehalten. Die Französin bittet, sie behalten zu dürfen, mit der Motivierung: Je cherche encore pour les arprès-midis, pardon, pour les avant-midis. Offenbar hatte sie die Absicht, sich noch anderweitig umzusehen und vielleicht bessere Bedingungen zu erhalten — eine Absicht, die sie auch ausgeführt hat.“

§ 250

q) „Ich soll einer Frau die Leviten lesen, und ihr Mann, auf dessen Bitte das geschieht, steht lauschend hinter der Tür. Am Ende meiner Predigt, die einen sichtlichen Eindruck gemacht hatte, sagte ich: ,Küss’ die Hand, gnädiger Herr!‘ Dem Kundigen hatte ich damit verraten, daß die Worte an die Adresse des Herrn gerichtet waren, daß ich sie um seinetwillen gesprochen hatte.“

§ 251

r) Dr. Stekel berichtet von sich selbst, daß er zu einer Zeit zwei Patienten aus Triest in Behandlung gehabt habe, die er immer verkehrt zu begrüßen pflegte. „Guten Morgen, Herr Peloni,“ sagte ich zu Askoli, — „Guten Morgen, Herr Askoli,“ zu Peloni. Er war anfangs geneigt, dieser Verwechslung keine tiefere Motivierung zuzuschreiben, sondern sie durch die mehrfachen Gemeinsamkeiten der beiden Herren zu erklären. Er ließ sich aber leicht überzeugen, daß die Namenvertauschung hier einer Art Prahlerei entsprach, indem er durch sie jeden seiner italienischen Patienten wissen lassen konnte, er sei nicht der einzige Triestiner, der nach Wien gekommen sei, um seinen ärztlichen Rat zu suchen.

§ 252

s) Dr. Stekel selbst in einer stürmischen Generalversammlung: Wir streiten (schreiten) nun zu Punkt 4 der Tagesordnung.

§ 253

t) Ein Professor in seiner Antrittsvorlesung: „Ich bin nicht geneigt (geeignet), die Verdienste meines sehr geschätzten Vorgängers zu schildern.“

§ 254

u) Dr. Stekel zu einer Dame, bei welcher er Basedowsche Krankheit vermutet: „Sie sind um einen Kropf (Kopf) größer als Ihre Schwester.“

§ 255

v) Dr. Stekel berichtet: Jemand will das Verhältnis zweier Freunde schildern, von denen einer als Jude charakterisiert werden soll. Er sagt: Sie lebten zusammen wie Kastor und Pollak. Das war durchaus kein Witz, der Redner hatte das Versprechen selbst nicht bemerkt und wurde erst von mir darauf aufmerksam gemacht.

§ 256

w) Gelegentlich ersetzt ein Versprechen eine ausführliche Charakteristik. Eine junge Dame, die das Regiment im Hause führt, erzählt mir von ihrem leidenden Manne, er sei beim Arzt gewesen, um ihn nach der ihm zuträglichen Diät zu befragen. Der Arzt habe aber gesagt, darauf käme es nicht an. „Er kann essen und trinken, was ich will.“

§ 257

Die folgenden zwei Beispiele von Th. Reik: (Internation. Zeitschr. f. Psychoanalyse, III, 1915) stammen aus Situationen, in denen sich Versprechen besonders leicht ereignen, weil in ihnen mehr zurückgehalten wird, als gesagt werden kann.

§ 258

x) Ein Herr spricht einer jungen Dame, deren Gatte kürzlich gestorben ist, sein Beileid aus und setzt hinzu: „Sie werden Trost finden, indem Sie sich völlig Ihren Kindern widwen.“ Der unterdrückte Gedanke wies auf andersartigen Trost hin: eine junge schöne Witwe wird bald neue Sexualfreuden genießen.

§ 259

y) Derselbe Herr unterhält sich mit derselben Dame in einer Abendgesellschaft über die großen Vorbereitungen, welche in Berlin zum Osterfeste getroffen werden, und fragt: „Haben Sie heute die Auslage bei Wertheim gesehen? Sie ist ganz dekolletiert.“ Er hatte seiner Bewunderung über die Dekolletage der schönen Frau nicht laut Ausdruck geben dürfen, und nun setzte sich der verpönte Gedanke durch, indem er die Dekoration einer Warenauslage in eine Dekolletage ver wandelte, wobei das Wort Auslage unbewußt doppelsinnig verwendet wurde.

§ 260

Dieselbe Bedingung trifft auch für eine Beobachtung zu, über welche Hanns Sachs ausführliche Rechenschaft zu geben versucht:

§ 261

z) „Eine Dame erzählt mir von einem gemeinsamen Bekannten, er sei, als sie ihn das letztemal sah, so elegant angezogen gewesen wie immer, besonders habe er hervorragend schöne, braune Halbschuhe getragen. Auf meine Frage, wo sie ihn denn getroffen habe, berichtete sie: ,Er hat an meiner Haustür geläutet und ich hab’ ihn durch die heruntergelassenen Rouleaux gesehen. Ich habe aber weder geöffnet noch sonst ein Lebenszeichen gegeben, denn ich wollte nicht, daß er es erfährt, daß ich schon in der Stadt bin.‘ Ich denke mir beim Zuhören, daß sie mir dabei etwas verschweigt, am wahrscheinlichsten wohl, daß sie deswegen nicht geöffnet habe, weil sie nicht allein und nicht in der Toilette war, um Besuche zu empfangen, und frage ein wenig ironisch: ,Also durch die geschlossenen Jalousien hindurch haben Sie seine Hausschuhe — seine Halbschuhe bewundern können?‘ In ,Hausschuhe‘ kommt der von der Äußerung abgehaltene Gedanke an ihr Hauskleid zum Ausdruck. Das Wort ,Halb‘ wurde anderseits wieder deswegen zu beseitigen versucht, weil gerade in diesem Worte der Kern der verpönten Antwort: ,Sie sagen mir nur die halbe Wahrheit und verschweigen, daß Sie halb angezogen waren‘ enthalten ist. Befördert wurde das Versprechen auch dadurch, daß wir unmittelbar vorher von dem Eheleben des betreffenden Herrn, von seinem ,häuslichen Glück‘ gesprochen hatten, was wohl die Verschiebung auf seine Person mitdeterminierte. Schließlich muß ich gestehen, daß vielleicht mein Neid mitgewirkt hat, wenn ich diesen eleganten Herrnin Hausschuhen auf der Straße stehen ließ; ich selbst habe mir erst vor kurzem braune Halbschuhe gekauft, die keineswegs mehr ,hervorragend schön‘ sind.“

§ 262

Kriegszeiten wie die gegenwärtigen bringen eine Reihe von Versprechen hervor, deren Verständnis wenig Schwierigkeiten macht.

§ 263

α) „Bei welcher Waffe befindet sich Ihr Herr Sohn?“ wird eine Dame gefragt. Sie antwortet: „Bei den 42er Mördern.“

§ 264

β) Leutnant Henrik Haiman schreibt aus dem Felde**: Ich werde aus der Lektüre eines fesselnden Buches herausgerissen, um für einen Moment den Aufklärungstelephonisten zu vertreten. Auf die Leitungsprobe der Geschützstation reagiere ich mit: Kontrolle richtig, Ruhe. Reglementmäßig sollte es lauten: Kontrolle richtig, Schluß. Meine Abweichung erklärt sich durch den Ärger über die Störung im Lesen.

§ 265

γ) Ein Feldwebel instruiert die Mannschaft, ihre Adressen genau nach Hause anzugeben, damit die Gespeckstücke nicht verlorengehen.

§ 266

δ) Das nachstehende, hervorragend schöne und durch seinen tieftraurigen Hintergrund bedeutsame Beispiel verdanke ich der Mitteilung von Dr. L. Czeszer, der während seines Aufenthaltes in der neutralen Schweiz zu Kriegszeiten diese Beobachtung gemacht und sie erschöpfend analysiert hat. Ich gebe seine Zuschrift mit unwesentlichen Auslassungen im folgenden wieder:

§ 267

„Ich gestatte mir, einen Fall von ,Versprechen‘ mitzuteilen, der Herrn Professor M. N. in O. bei einem seiner im eben verflossenen Sommersemester abgehaltenen Vorträge über die Psychologie der Empfindungen unterlief. Ich muß voraussenden, daß diese Vorlesungen in der Aula der Universität unter großem Zudrang der französischen internierten Kriegsgefangenen und im übrigen der meist aus entschieden ententefreundlich gesinnten Französisch-Schweizern bestehenden Studentenschaft gehalten wurden. In O. wird, wie in Frankreich selbst, das Wort Boche jetzt allgemein und ausschließlich zur Bezeichnung der Deutschen gebraucht. Bei öffentlichen Kundgebungen aber, sowie bei Vorlesungen u. dgl. bestreben sich höhere Beamte, Professoren und sonst verantwortliche Personen, aus Neutralitätsgründen das ominöse Wort zu vermeiden.

* Intern. Zeitschr. für Psychoanalyse, IV, 1916/17. § 268

Professor N. nun war gerade im Zuge, die praktische Bedeutung der Affekte zu besprechen, und beabsichtigte, ein Beispiel zu zitieren für die zielbewußte Ausbeutung eines Affekts, um eine an sich uninteressante Muskelarbeit mit Lustgefühlen zu laden und so intensiver zu gestalten. Er erzählte also, natürlich in französischer Sprache, die gerade damals von hiesigen Blättern aus einem alldeutschen Blatte abgedruckte Geschichte von einem deutschen Schulmeister, der seine Schüler im Garten arbeiten ließ und, um sie zu intensiverer Arbeit anzufeuern, sie aufforderte, sich vorzustellen, daß sie statt jeder Erdscholle einen französischen Schädel einschlügen. Beim Vortrag seiner Geschichte sagte N. natürlich jedesmal, wo von Deutschen die Rede war, ganz korrekt Allemand und nicht Boche. Doch als es zur Pointe der Geschichte kam, trug er die Worte des Schulmeisters folgenderweise vor: Imaginez vous, qu’en chaque moche vous écrasez le crâne d’un Français. Also statt motte — moche!

§ 269

Sieht man da nicht förmlich, wie der korrekte Gelehrte vom Anfang der Erzählung sich zusammennimmt, um ja nicht der Gewohnheit und vielleicht auch der Versuchung nachzugeben und das sogar durch einen Bundeserlaß ausdrücklich verpönteWort von dem Katheder der Universitätsaula fallen zu lassen! Und gerade im Augenblick, wo er glücklich das letztemal ganz korrekt ,instititeur allemand‘ gesagt hat und innerlich aufatmend zum unverfänglichen Schlusse eilt, klammert sich die mühsam zurückgedrängte Vokabel an den Gleichklang des Wortes motte und — das Unheil ist geschehen. Die Angst vor der politischen Taktlosigkeit, vielleicht eine zurückgedrängte Lust, das gewohnte und von allen erwartete Wort doch zu gebrauchen, sowie der Unwillen des geborenen Republikaners und Demokraten gegen jeden Zwang in der freien Meinungsäußerung interferieren mit der auf die korrekte Wiedergabe des Beispiels gerichteten Hauptabsicht. Die interferierende Tendenz ist dem Redner bekannt und er hat, wie nicht anders anzunehmen ist, mittelbar vor dem Versprechen an sie gedacht.

§ 270

Sein Versprechen hat Professor N. nicht bemerkt, wenigstens hat er es nicht verbessert, was man doch meist geradezu automatisch tut. Dagegen wurde der Lapsus von der meist französischen Zuhörerschaft mit wahrer Genugtuung aufgenommen und wirkte vollkommen wie ein beabsichtigter Wortwitz. Ich aber folgte diesem anscheinend harmlosen Vorgang mit wahrer innerer Erregung. Denn wenn ich mir auch aus naheliegenden Gründen versagen mußte, dem Professor die sich nach psychoanalytischer Methode aufdrängenden Fragen zu stellen, so war doch dieses Versprechen für mich ein schlagender Beweis für die Richtigkeit Ihrer Lehre von der Determinierung der Fehlhandlungen und den tiefen Analogien und Zusammenhängen zwischen dem Versprechen und dem Witz.“

§ 271

ε) Unter den betrübenden Eindrücken der Kriegszeit entstand auch das Versprechen, welches ein heimgekehrter österreichischer Offizier, Oblt. T., berichtet:

§ 272

„Während mehrerer Monate meiner italienischen Kriegsgefangenschaft waren wir, eine Zahl von 200 Offizieren, in einer engen Villa untergebracht. In dieser Zeit starb einer unserer Kameraden an der Grippe. Der Eindruck, der durch diesen Vorfall hervorgerufen wurde, war naturgemäß ein tiefgehender; denn die Verhältnisse, in denen wir uns befanden, das Fehlen ärztlichen Beistands, die Hilflosigkeit unserer damaligen Existenz ließen ein Umsichgreifen der Seuche mehr denn wahrscheinlich werden. — Wir hatten den Toten in einem Kellerraume aufgebahrt. Am Abend, als ich mit einem Freunde einen Rundgang um unser Haus angetreten hatte, äußerten wir beide den Wunsch, die Leiche zu sehen. Mir als dem Voranschreitenden bot sich beim Eintritt in den Keller ein Anblick, der mich heftig erschrecken ließ; denn ich war nicht vorbereitet gewesen, die Bahre so nahe beim Eingang aufgestellt zu finden und aus solcher Nähe in das durch spielende Kerzenlichter in Unruhe versetzte Antlitz schauen zu müssen. Noch unter diesem nachwirkenden Bilde setzten wir dann den Rundgang fort. An einer Stelle, von wo sich dem Auge die Ansicht des im vollen Mondenscheine schwimmenden Parkes, einer hellbestrahlten Wiese und dahintergelegter, leichter Nebelschleier zeigte, gab ich der damit verknüpften Vorstellung Ausdruck, einen Reigen Elfen unter dem Saume der anschließenden Kiefern tanzen zu sehen.

§ 273

Am folgenden Nachmittag begruben wir den toten Gefährten. Der Weg von unserem Kerker bis zum Friedhof des kleinen, benachbarten Ortes war für uns gleicherweise bitter und entwürdigend; denn halbwüchsige, johlende Burschen, eine spöttische, höhnende Bevölkerung, derbe, schreiende Lärmer hatten diesen Anlaß benützt, um unverhohlen ihren von Neugierde und Haß gemischten Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Die Empfindung, selbst in diesem wehrlosen Zustand nicht ungekränkt bleiben zu können, der Abscheu vor der bekundeten Roheit beherrschten mich bis zum Abend mit Erbitterung. Zur gleichen Stunde wie tagszuvor, in der nämlichen Begleitung begingen wir auch diesmal den Kiesweg rund um das Wohnhaus; und an dem Kellergitter vorüberkommend, hinter dem die Leiche gelegen hatte, überfiel mich die Erinnerung des Eindrucks, den ihr Anblick in mir hinterlassen hatte. An der Stelle, von der sich mir dann wiederum der erhellte Park darbot, unter dem gleichen Vollmondlichte, hielt ich an und äußerte zu meinem Begleiter: ,Wir könnten uns hier ins Grab — — Gras setzen und eine Serenade sinken!‘ — Erst beim zweiten Versprechen wurde ich aufmerksam; das erstemal hatte ich verbessert, ohne des Sinnes im Fehler bewußt geworden zu sein. Nun überlegte ich und reihte aneinander: ,ins Grab — sinken!‘ Blitzartig folgten diese Bilder: im Mondschein tanzende, schwebende Elfen; der aufgebahrte Kamerad, der erweckte Eindruck; einzelne Szenen vom Begräbnis, die Empfindung des gehabten Ekels und der gestörten Trauer; Erinnerung an einzelne Gespräche über die aufgetretene Seuche, Furchtäußerungen mehrerer Offiziere. Später entsann ich mich des Umstandes, daß es der Todestag meines Vaters sei, was für mich meines sonst sehr schlechten Datengedächtnisses wegen auffallend wurde.

§ 274

Beim nachherigen Überdenken wurde mir klar: das Zusammentreffen äußerer Bedingungen zwischen beiden Abenden, die gleiche Stunde, Beleuchtung, der nämliche Ort und Begleiter. Ich erinnerte mich des Unbehagens, das ich empfunden hatte, als die Besorgnis einer Ausbreitung der Grippe erörtert wurde; aber zugleich auch des inneren Verbotes, mich Furcht anwandeln zu lassen. Auch die Wortstellung: ,wirkönnten ins Grab sinken‘ wurde mit darauf in ihrer Bedeutung bewußt, wie ich auch die Überzeugung gewann, nur die zuerst stattgehabte Korrektur von ,Grab‘ in ,Gras‘, die noch ohne Deutlichkeit geschehen war, habe auch das zweite Versprechen: ,singen‘ in ,sinken‘ zur Folge gehabt, um dem unterdrückten Komplex endgültige Wirkung zu sichern.

§ 275

Ich füge bei, daß ich zu jener Zeit an beängstigenden Träumen litt, in denen ich eine mir sehr nahestehende Angehörige wiederholt krank, einmal selbst tot sah. Ich hatte noch knapp vor meiner Gefangennehme die Nachricht erhalten, daß die Grippe gerade in der Heimat dieser Angehörigen mit besonderer Heftigkeit wüte, hatte ihr auch meine lebhaften Befürchtungen geäußert. Seither war ich ohne Verbindung geblieben. Monate später empfing ich die Kunde, daß sie zwei Wochen vor dem geschilderten Ereignis ein Opfer der Epidemie geworden sei! —“

§ 276

ζ) Das nachstehende Beispiel von Versprechen beleuchtet blitzähnlich einen der schmerzlichen Konflikte, die das Los des Arztes sind. Ein wahrscheinlich dem Tode verfallener Mann, dessen Diagnose aber noch nicht feststeht, ist nach Wien gekommen, um hier die Lösung seines Knotens abzuwarten, und hat einen Jugendfreund, der ein bekannter Arzt geworden ist, gebeten, seine Behandlung zu übernehmen, worauf dieser nicht ohne Widerstreben schließlich einging. Der Kranke soll in einer Heilanstalt Aufenthalt nehmen und der Arzt schlägt das Sanatorium „Hera“ vor. Das ist doch eine Anstalt nur für bestimmte Zwecke (eine Entbindungsanstalt), wendet der Kranke ein. O nein, ereifert sich der Arzt: In der „Hera“ kann man jeden Patienten umbringen — unterbringen, meine ich. Er sträubt sich dann heftig gegen die Deutung seines Versprechens. „Du wirst doch nicht glauben,daß ich feindselige Impulse gegen dich habe?“ Eine Viertelstunde später sagt er zu der ihn hinausbegleitenden Dame, die die Pflege des Kranken übernommen hat: „Ich kann nichts finden und glaube ja noch immer nicht daran. Aber wenn es so sein sollte, bin ich für eine tüchtige Dosis Morphium, und dann ist Ruhe.“ Es kommt heraus, daß der Freund ihm die Bedingung gestellt hat, daß er seine Leiden durch ein Medikament abkürze, sobald es feststeht, daß ihm nicht mehr zu helfen ist. Der Arzt hatte also wirklich die Aufgabe übernommen, den Freund umzubringen.

§ 277

η) Auf ein ganz besonders lehrreiches Beispiel von Versprechen möchte ich nicht verzichten, obwohl es sich nach Angabe meines Gewährsmannes vor etwa 20 Jahren zugetragen hat. „Eine Dame äußerte einmal in einer Gesellschaft — man hört es den Worten an, daß sie im Eifer und unter dem Drucke allerlei geheimer Regungen zu stande gekommen sind: Ja, eine Frau muß schön sein, wenn sie den Männern gefallen soll. Da hat es ein Mann viel besser; wenn er nur seine fünf geraden Glieder hat, mehr braucht er nicht! Dieses Beispiel gestattet uns einen guten Einblick in den intimen Mechanismus eines Versprechens durch Verdichtung oder einer Kontamination (vgl. S. 64). Es liegt nahe, anzunehmen, daß hier zwei sinnähnliche Redeweisen verschmolzen sind:

§ 278

wenn er seine vier geraden Glieder hat wenn er seine fünf Sinne beisammen hat.

§ 279

Oder aber das Element gerade ist das Gemeinsame zweier Redeintentionen gewesen, die gelautet haben:

§ 280

wenn er nur seine geraden Glieder hat alle fünf gerade sein lassen.

§ 281

Es hindert uns auch nichts anzunehmen, daß beide Redensarten, die von den fünf Sinnen und die von den geraden fünfmitgewirkt haben, um in den Satz von den geraden Gliedern zunächst eine Zahl und dann die geheimsinnige fünf anstatt der simpeln vier einzuführen. Diese Verschmelzung wäre aber gewiß nicht erfolgt, wenn sie nicht in der als Versprechen resultierenden Form einen eigenen guten Sinn hätte, den einer zynischen Wahrheit, wie sie von einer Frau allerdings nicht ohne Bemäntelung bekannt werden darf. — Endlich wollen wir nicht versäumen, aufmerksam zu machen, daß die Rede der Dame ihrem Wortlaut nach ebensowohl einen vortrefflichen Witz wie ein lustiges Versprechen bedeuten kann. Es hängt nur davon ab, ob sie diese Worte mit bewußter Absicht oder — mit unbewußter Absicht gesprochen hat. Das Benehmen der Rednerin in unserem Falle widerlegte allerdings die bewußte Absicht und schloß den Witz aus.“

§ 282

Die Annäherung eines Versprechens an einen Witz kann so weit gehen wie in dem von O. Rank mitgeteilten Falle, in dem die Urheberin des Versprechens es schließlich selbst als Witz belacht (Internat. Zeitschr. f. Psychoanalyse, I, 1913):

§ 283

θ) „ "Ein jung verheirateter Ehemann, dem seine um ihr mädchenhaftes Aussehen besorgte Frau den häufigen Geschlechtsverkehr nur ungern gestattet, erzählt mir folgende, nachträglich auch ihn und seine Frau höchst belustigende Geschichte: Nach einer Nacht, in welcher er das Abstinenzgebot seiner Frau wieder einmal übertreten hat, rasiert er sich morgens in ihrem gemeinsamen Schlafzimmer und benützt dabei — wie schon öfter aus Bequemlichkeit — die auf dem Nachtkästchen liegende Puderquaste seiner noch ruhenden Gattin. Die um ihren Teint äußerst besorgte Dame hatte ihm auch dies schon mehrmals verwiesen und ruft ihm darum geärgert zu: ,Du puderst mich ja schon wieder mit deiner Quaste!‘ Durch des Mannes Gelächter auf ihr Versprechen auf-" "merksam gemacht (sie wollte sagen: du puderst dich schon wieder mit meiner Quaste), lacht sie schließlich belustigt mit (,pudern‘ ist ein jedem Wiener geläufiger Ausdruck für koitieren, die Quaste als phallisches Symbol kaum zweifelhaft)."

§ 284

Die Verwandtschaft zwischen Witz und Versprechen bekundet sich auch darin, daß das Versprechen oft nichts anderes ist als eine Verkürzung:

§ 285

ι) Ein junges Mädchen hat nach dem Verlassen der Schule den herrschenden Zeitströmungen Rechnung getragen, indem sie sich zum Studium der Medizin inskribierte. Nach wenigen Semestern hatte sie die Medizin mit der Chemie vertauscht. Von dieser Schwenkung erzählt sie einige Jahre später in folgender Rede: Ich hab’ mich ja im allgemeinen beim Sezieren nicht gegraust, aber wie ich einmal an einer Leiche die Nägel von den Fingern abziehen sollte, da habe ich die Lust an der ganzen Chemie verloren.

§ 286

κ) Ich reihe hier einen anderen Fall von Versprechen an, dessen Deutung wenig Kunst erfordert. „Der Professor bemüht sich in der Anatomie um die Erklärung der Nasenhöhle, eines bekanntlich sehr schwierigen Abschnittes der Eingeweidelehre. Auf seine Frage, ob die Hörer seine Ausführungen erfaßt haben, wird ein allgemeines ,Ja‘ vernehmlich. Darauf bemerkt der bekannt selbstbewußte Professor: Ich glaube kaum, denn die Leute, welche die Nasenhöhle verstehen, kann man selbst in einer Millionenstadt wie Wien an einem Finger, pardon, an den Fingern einer Hand wollte ich sagen, abzählen.“

§ 287

λ) Derselbe Anatom ein andermal: „Beim weiblichen Genitale hat man trotz vieler Versuchungen — pardon, Versuche...“

§ 288

μ) Herrn Dr. Alf. Robitsek in Wien verdanke ich den Hinweis auf zwei von einem altfranzösischen Autor bemerkteFälle von Versprechen, die ich unübersetzt wiedergeben werde.

§ 289

Brantôme (1527—1614) Vies des Dames galantes, Discours second: „ "Si ay-je cogneu une très belle et honneste dame de par le monde, qui, devisant avec un honneste gentilhomme de la cour des affaires de la guerre durant ces civiles, elle luy dit: ,J’ay ouy dire que le roy a faiet rompre tous les c... de ce pays là. Elle vouloit dire les ponts. Pensez que, venant de coucher d’avec son mary, ou songeant à son amant, elle avoit encor ce nom frais en la bouche; et le gentilhomme s’en eschauffer en amours d’elle pour ce mot.‘"

§ 290

"Une autre dame que j´ai cogneue, entretenant une autre grand dame plus qu’elle, et luy louant et exaltant ses beautez, elle luy dit après: ,Non, madame, ce que je vous en dis: ce n’est point pour vous adultérer; voulant dire adulater, comme elle le rhabilla ainsi: pensez qu’elle songeoit à adultérer.‘"

§ 291

Bei dem psychotherapeutischen Verfahren, dessen ich mich zur Auflösung und Beseitigung neurotischer Symptome bediene, ist sehr häufig die Aufgabe gestellt, aus den wie zufällig vorgebrachten Reden und Einfällen des Patienten einen Gedankeninhalt aufzuspüren, der zwar sich zu verbergen bemüht ist, aber doch nicht umhin kann, sich in mannigfaltigster Weise unabsichtlich zu verraten. Dabei leistet oft das Versprechen die wertvollsten Dienste, wie ich an den überzeugendsten und anderseits sonderbarsten Beispielen dartun könnte. Die Patienten sprechen z. B. von ihrer Tante und nennen sie konsequent, ohne das Versprechen zu bemerken, „meine Mutter“, oder bezeichnen ihren Mann als ihren „Bruder“. Sie machen mich auf diese Weise aufmerksam, daß sie diese Personen miteinander „identifiziert“, in eine Reihe gebracht haben, welche fürihr Gefühlsleben die Wiederkehr desselben Typus bedeutet. Oder: ein junger Mann von 20 Jahren stellt sich mir in der Sprechstunde mit den Worten vor: Ich bin der Vater des N. N., den sie behandelt haben. — Pardon, ich will sagen, der Bruder; er ist ja um vier Jahre älter als ich. Ich verstehe, daß er durch dieses Versprechen ausdrücken will, daß er wie der Bruder durch die Schuld des Vaters erkrankt sei, wie der Bruder Heilung verlange, daß aber der Vater derjenige ist, dem die Heilung am dringlichsten wäre. Andere Male reicht eine ungewöhnlich klingende Wortfügung, eine gezwungen erscheinende Ausdrucksweise hin, um den Anteil eines verdrängten Gedankens an der anders motivierten Rede des Patienten aufzudecken.

§ 292

In groben wie in solchen feineren Redestörungen, die sich eben noch dem „Versprechen“ subsumieren lassen, finde ich also nicht den Einfluß von Kontaktwirkungen der Laute, sondern den von Gedanken außerhalb der Redeintention maßgebend für die Entstehung des Versprechens und hinreichend zur Aufhellung des zu stande gekommenen Sprechfehlers. Die Gesetze, nach denen die Laute verändernd aufeinander einwirken, möchte ich nicht anzweifeln; sie scheinen mir aber nicht wirksam genug, um für sich allein die korrekte Ausführung der Rede zu stören. In den Fällen, die ich genauer studiert und durchschaut habe, stellen sie bloß den vorgebildeten Mechanismus dar, dessen sich ein ferner gelegenes psychisches Motiv bequemerweise bedient, ohne sich aber an den Machtbereich dieser Beziehungen zu binden. In einer großen Reihe von Substitutionen wird beim Versprechen von solchen Lautgesetzen völlig abgesehen. Ich befinde mich hiebei in voller Übereinstimmung mit Wundt, der gleichfalls die Bedingungen des Versprechens als zusammengesetzte und weit über die Kontaktwirkungen der Laute hinausgehende vermutet.

§ 293

Wenn ich diese „entfernteren psychischen Einflüsse“ nach Wundts Ausdruck für gesichert halte, so weiß ich anderseits von keiner Abhaltung um auch zuzugeben, daß bei beschleunigter Rede und einigermaßen abgelenkter Aufmerksamkeit die Bedingungen fürs Versprechen sich leicht auf das von Meringer und Mayer bestimmte Maß einschränken können. Bei einem Teile der von diesen Autoren gesammelten Beispiele ist wohl eine kompliziertere Auflösung wahrscheinlicher. Ich greife etwa den vorhin angeführten Fall heraus:

§ 294

Es war mir auf der Schwest... Brust so schwer.

§ 295

Geht es hier wohl so einfach zu, daß das schwe das gleichwertige Bru als Vorklang verdrängt? Es ist kaum abzuweisen, daß die Laute schwe außerdem durch eine besondere Relation zu dieser Vordringlichkeit befähigt werden. Diese könnte dann keine andere sein als die Assoziation: SchwesterBruder, etwa noch: Brust der Schwester, die zu anderen Gedankenkreisen hinüberleitet. Dieser hinter der Szene unsichtbare Helfer verleiht dem sonst harmlosen schwe die Macht, deren Erfolg sich als Sprechfehler äußert.

§ 296

Für anderes Versprechen läßt sich annehmen, daß der Anklang an obszöne Worte und Bedeutungen das eigentlich Störende ist. Die absichtliche Entstehung und Verzerrung der Worte und Redensarten, die bei unartigen Menschen so beliebt ist, bezweckt nichts anderes, als beim harmlosen Anlaß an das Verpönte zu mahnen, und diese Spielerei ist so häufig, daß es nicht wunderbar wäre, wenn sie sich auch unabsichtlich und wider Willen durchsetzen sollte. Beispiele wie: Eischeißweibchen für Eiweißscheibchen, Apopos Fritz für Apropos, Lokuskapitäl für Lotuskapitäl usw., vielleicht noch die Alabüsterbachse (Alabasterbüchse) der hl. Magdalena gehören wohl in diese Kategorie**. — „Ich fordere Sie auf, auf das Wohl unseres Chefs aufzustoßen,“ ist kaum etwas anderes als eine unabsichtliche Parodie als Nachklang einer beabsichtigten. Wenn ich der Chef wäre, zu dessen Feierlichkeit der Festredner diesen Lapsus beigetragen hätte, würde ich wohl daran denken, wie klug die Römer gehandelt haben, als sie den Soldaten des triumphierenden lmperators gestatteten, den inneren Einspruch gegen den Gefeierten in Spottliedern laut zu äußern. — Meringer erzählt von sich selbst, daß er zu einer Person, die als die älteste der Gesellschaft mit dem vertraulichen Ehrennamen „Senexl“ oder „altes Senexl“ angesprochen wurde, einmal gesagt habe: „Prost, Senex altesl!“ Er erschrak selbst über diesen Fehler (S. 50). Wir können uns vielleicht seinen Affekt deuten, wenn wir daran mahnen, wie nahe „Altesl“ an den Schimpf „alter Esel“ kommt. Auf die Verletzung der Ehrfurcht vor dem Alter (d. i., auf die Kindheit reduziert: vor dem Vater) sind große innere Strafen gesetzt.

§ 297

Ich hoffe, die Leser werden den Wertunterschied dieser Deutungen, die sich durch nichts beweisen lassen, und der Beispiele, die ich selbst gesammelt und durch Analysen erläutert habe, nicht vernachlässigen. Wenn ich aber im stillen immer noch an der Erwartung festhalte, auch die scheinbar einfachen Fälle von Versprechen würden sich auf Störung durch eine halb unterdrückte Idee außerhalb des intendierten Zusammenhanges zurückführen lassen, so verlockt mich dazu eine sehr beachtenswerte Bemerkung von Meringer. Dieser Autor sagt, es ist merkwürdig, daß niemand sich versprochen haben will. Es gibt sehr gescheite und ehrliche Menschen, welche beleidigt sind, wenn man ihnen sagt, sie hätten sich versprochen. Ich getraue mich nicht, diese Behauptung so allgemein zu nehmen, wie sie durch das „niemand“ von Meringer hingestellt wird. Die Spur Affekt aber, die am Nachweis des Versprechens hängt und offenbar von der Natur des Schämens ist, hat ihre Bedeutung. Sie ist gleichzusetzen dem Ärger, wenn wir einen vergessenen Namen nicht erinnern, und der Verwunderung über die Haltbarkeit einer scheinbar belanglosen Erinnerung und weist allemal auf die Beteiligung eines Motivs am Zustandekommen der Störung hin.

* Bei einer meiner Patientinnen setzte sich das Versprechen als Symptom so lange fort, bis es auf den Kinderstreich, das Wort ruinieren durch urinieren zu ersetzen, zurückgeführt war. § 298

Das Verdrehen von Namen entspricht einer Schmähung, wenn es absichtlich geschieht, und dürfte in einer ganzen Reihe von Fällen, wo es als unabsichtliches Versprechen auftritt, dieselbe Bedeutung haben. Jene Person, die nach Mayers Bericht einmal „Freuder“ sagte anstatt Freud, weil sie kurz darauf den Namen „Breuer“ vorbrachte (S. 38), ein andermal von einer Freuer-Breudschen Methode (S. 28) sprach, war wohl ein Fachgenosse und von dieser Methode nicht sonderlich entzückt. Einen gewiß nicht anders aufzuklärenden Fall von Namenentstellung werde ich weiter unten beim Verschreiben mitteilen**.

* Man kann auch bemerken, daß gerade Aristokraten besonders häufig die Namen von Ärzten, die sie konsultiert haben, entstellen, und darf daraus schließen, daß sie dieselben innerlich gering schätzen, trotz der Höflichkeit, mit welcher sie ihnen zu begegnen pflegen. — Ich zitiere hier einige treffende Bemerkungen über das Namenvergessen aus der englischen Bearbeitung unseres Themas durch Prof. E. Jones, damals inToronto (The Psychopathology of Everyday Life. American J. of Psychology Oct. 1911): "Wenige Leute können sich einer Anwandlung von Ärger erwehren, wenn sie finden, daß man ihren Namen vergessen hat, besonders dann, wenn sie von der betreffenden Person gehofft oder erwartet hatten, sie würde den Namen behalten haben. Sie sagen sich sofort ohne Überlegung, daß die Person den Namen nicht vergessen hätte, wenn man einen stärkeren Eindruck bei ihr hinterlassen hätte; denn der Name ist ein wesentlicher Bestandteil der Persönlichkeit. Anderseits gibt es wenig Dinge, die schmeichelhafter empfunden werden, als wenn man von einer hohen Persönlichkeit, wo man es nicht erwartet hätte, mit seinem Namen angeredet wird. Napoleon, ein Meister in der Kunst, Menschen zu behandeln, gab während des unglücklichen Feldzuges von 1814 eine erstaunliche Probe seines Gedächtnisses nach dieser Richtung. Als er sich in einer Stadt bei Graonne befand, erinnerte er sich, daß er deren Bürgermeister De Bussy etwa 20 Jahre vorher in einem bestimmten Regiment kennen gelernt hatte; die Folge war, daß der entzückte De Bussy sich seinem Dienst mit schrankenloser Hingebung widmete. Dementsprechend gibt es" § 299

ln diesen Fällen mengt sich als störendes Moment eine Kritik ein, welche beiseite gelassen werden soll, weil sie gerade in dem Zeitpunkt der Intention des Redners nicht entspricht.

§ 300

Umgekehrt muß die Namenersetzung, die Aneignung des fremden Namens, die Identifizierung mittels des Namenversprechens, eine Anerkennung bedeuten, die im Augenblick aus irgend welchen Gründen im Hintergrunde verbleiben soll. Ein Erlebnis dieser Art erzählt S. Ferenczi aus seinen Schuljahren:

§ 301

„In der ersten Gymnasialklasse habe ich (zum erstenmal in meinem Leben) öffentlich (d. h. vor der ganzen Klasse) ein Gedicht rezitieren müssen. Ich war gut vorbereitet und war bestürzt, gleich beim Beginne durch eine Lachsalve gestört zu werden. Der Professor erklärte mir dann diesen sonderbaren Empfang: ich sagte nämlich den Titel des Gedichtes ,Aus derFerne‘ ganz richtig, nannte aber als Autor nicht den wirklichen Dichter, sondern — mich selber. Der Name des Dichters ist Alexander (Sándor) Petöfi. Die Gleichheit des Vornamens mit meinem eigenen begünstigte die Verwechslung; die eigentliche Ursache derselben aber war sicherlich die, daß ich mich damals in meinen geheimen Wünschen mit dem gefeierten Dichterhelden identifizierte. Ich hegte für ihn auch bewußt eine an Anbetung grenzende Liebe und Hochachtung. Natürlich steckt auch der ganze leidige Ambitionskomplex hinter dieser Fehlleistung.“

§ 302

Eine ähnliche Identifizierung mittels des vertauschten Namens wurde mir von einem jungen Arzt berichtet, der sich zaghaft und verehrungsvoll dem berühmten Virchow mit den Worten vorstellte: Dr. Virchow. Der Professor wendete sich erstaunt zu ihm und fragte: Ah, heißen Sie auch Virchow?Ich weiß nicht, wie der junge Ehrgeizige das Versprechen rechtfertigte, ob er die anmutende Ausrede fand, er sei sich so klein neben dem großen Namen vorgekommen, daß ihm sein eigener entschwinden mußte, oder ob er den Mut hatte zu gestehen, er hoffe auch noch einmal ein so großer Mann wie Virchow zu werden, der Herr Geheimrat möge ihn darum nicht so geringschätzig behandeln. Einer dieser beiden Gedanken — oder vielleicht gleichzeitig beide — mag den jungen Mann bei seiner Vorstellung in Verwirrung gebracht haben.

§ 303

Aus höchst persönlichen Motiven muß ich es in der Schwebe lassen, ob eine ähnliche Deutung auch auf den nun anzuführenden Fall anwendbar ist. Auf dem internationalen Kongreß in Amsterdam 1907 war die von mir vertretene Hysterielehre Gegenstand einer lebhaften Diskussion. Einer meiner energischesten Gegner soll sich in seiner Brandrede gegen mich wiederholt in der Weise versprochen haben, daß er sich an meine Stelle setzte und in meinem Namen sprach. Er sagte z. B.: Breuer und ich haben bekanntlich nachgewiesen, während er nur zu sagen beabsichtigten konnte: Breuer und Freud. Der Name dieses Gegners zeigt nicht die leiseste Klangähnlichkeit mit dem meinigen. Wir werden durch dieses Beispiel wie durch viele andere Fälle von Namenvertauschung beim Versprechen daran gemahnt, daß das Versprechen jener Erleichterung, die ihm der Gleichklang gewährt, völlig entbehren und sich nur auf verdeckte inhaltliche Beziehungen gestützt durchsetzen kann.

§ 304

In anderen und weit bedeutsameren Fällen ist es Selbstkritik, innerer Widerspruch gegen die eigene Äußerung, was zum Versprechen, ja zum Ersatz des Intendierten durch seinen Gegensatz nötigt. Man merkt dann mit Erstaunen, wie der Wortlaut einer Beteuerung die Absicht derselben aufhebt, undwie der Sprechfehler die innere Unaufrichtigkeit bloßgelegt hat**. Das Versprechen wird hier zu einem mimischen Ausdrucksmittel, freilich oftmals für den Ausdruck dessen, was man nicht sagen wollte, zu einem Mittel des Selbstverrates. So z. B. wenn ein Mann, der in seinen Beziehungen zum Weibe den sogenannten normalen Verkehr nicht bevorzugt, in ein Gespräch über ein für kokett erklärtes Mädchen mit den Worten einfällt: Im Umgang mit mir würde sie sich das Koëttieren schon abgewöhnen. Kein Zweifel, daß es nur das andere Wort koitieren sein kann, dessen Einwirkung auf das intendierte kokettieren solche Abänderung zuzuschreiben ist. Oder im folgenden Falle: „Wir haben einen Onkel, der schon seit Monaten sehr beleidigt ist, weil wir ihn nie besuchen. Den Umzug in eine neue Wohnung nehmen wir zum Anlaß, um nach langer Zeit einmal bei ihm zu erscheinen. Er freut sich anscheinend sehr mit uns und sagt beim Abschied so recht gefühlvoll: ,Von nun an hoffe ich euch noch seltener zu sehen als bisher.‘“

§ 305

Die zufällige Gunst des Sprachmaterials läßt oft Beispiele von Versprechen entstehen, denen die geradezu niederschmetternde Wirkung einer Enthüllung oder der volle komische Effekt eines Witzes zukommt.

§ 306

So in nachstehendem von Dr. Reitler beobachteten und mitgeteilten Falle:

§ 307

„,Diesen neuen, reizenden Hut haben Sie wohl sich selbst aufgepatzt?‘ sagte eine Dame in bewunderndem Tone zu einer anderen.“

§ 308

„Die Fortsetzung des beabsichtigten Lobes mußte nunmehr unterbleiben; denn die im stillen geübte Kritik, der Hutaufputz sei eine ,Patzerei‘, hatte sich denn doch viel zu deutlich in dem unliebsamen Versprechen geäußert, als daß irgend welche Phrasen konventioneller Bewunderung noch glaubwürdig erschienen wären.“Milder, aber doch auch unzweideutig ist die Kritik in folgendem Beispiel:„Eine Dame machte bei einer Bekannten einen Besuch und wurde durch die wortreichen, weitschweifigen Erörterungen der Betreffenden sehr ungeduldig und müde. Endlich gelang es ihr, aufzubrechen, sich zu verabschieden, als sie, von der sie ins Vorzimmer begleitenden Bekannten mit einem neuerlichen Wortschwall aufgehalten wurde und nun, schon im Weggehen begriffen, vor der Tür stehen und neuerdings zuhören mußte. Endlich unterbrach sie sie mit der Frage: ,Sind Sie im Vorzimmer zu Hause?‘ Erst an der erstaunten Miene bemerkte sie ihr Versprechen. Sie wollte, durch das lange Stehen im Vorzimmer ermüdet, das Gespräch mit der Frage: ,Sind Sie Vormittag zu Hause?‘ abbrechen und verriet so ihre Ungeduld über den neuerlichen Aufenthalt.“Einer Mahnung zur Selbstbesinnung entspricht das nächste von Dr. Max Graf erlebte Beispiel:„In der Generalversammlung des Journalistenvereines ,Concordia‘ hält ein junges, stets geldbedürftiges Mitglied eine heftige Oppositionsrede und sagt in seiner Erregung: ,Die Herren Vorschußmitglieder‘ (anstatt Vorstands- oder Ausschußmitglieder). Dieselben haben das Recht, Darlehen zu bewilligen, und auch der junge Redner hat ein Darlehensgesuch eingebracht.“An dem Beispiel „Vorschwein“ haben wir gesehen, daß ein Versprechen leicht zu stande kommt, wenn man sich be

* Durch solches Versprechen brandmarkt z. B. Anzengruber im „G’wissenswurm“ den heuchlerischen Erbschleicher. § 309

Ein Photograph, der sich vorgenommen hat, im Verkehr mit seinen ungeschickten Angestellten der Zoologie auszuweichen, sagt zu einem Lehrling, der eine große, ganz volle Schale ausgießen will und dabei natürlich die Hälfte auf den Boden schüttet: „Aber Mensch, schöpsen Sie doch zuerst etwas davon ab!“ Und bald darauf zu einer Gehilfin, die durch ihre Unvorsichtigkeit ein Dutzend wertvoller Platten gefährdet hat, im Fluß einer längeren Brandrede: „Aber sind Sie denn so hornverbrannt...“

§ 310

Das nachstehende Beispiel zeigt einen ernsthaften Fall von Selbstverrat durch Versprechen. Einige Nebenumstände berechtigen seine vollständige Wiedergabe aus der Mitteilung von A. A. Brill im Zentralbl. f. Psychoanalyse, II. Jahrg., 1**.

§ 311

"Eines Abends gingen Dr. Frink und ich spazieren und besprachen einige Angelegenheiten der New Yorker Psychoanalytischen Gesellschaft. Wir begegneten einem Kollegen, Herrn Dr. E., den ich seit Jahren nicht gesehen hatte, und von dessen Privatleben ich nichts wußte. — Wir freuten uns sehr, uns wieder zu treffen, und gingen auf meine Aufforderung in ein Kaffeehaus, wo wir uns zwei Stunden lang angeregt unterhielten. Er schien von mir Näheres zu wissen, denn nach der gewöhnlichen Begrüßung erkundigte er sich nach meinem kleinen Kinde und erklärte mir, daß er von Zeit zu Zeit über mich von einem gemeinsamen Freunde höre und sich für meine Tätigkeit interessiere, nachdem er darüber in den medizinischen Zeitschriften gelesen hatte. — Auf meine Frage, ob er verheiratet sei, gab er eine verneinende Auskunft und fügte hinzu: ,Wozu soll ein Mensch wie ich heiraten?‘"

* Im Zentralbl. für Psych. irrtümlicherweise E. Jones zugeschrieben. § 312

"Beim Verlassen des Kaffeehauses wandte er sich plötzlich an mich: ,Ich möchte wissen, was Sie in folgendem Falle tun würden: Ich kenne eine Krankenpflegerin, die als Mitschuldige in einen Ehescheidungsprozeß verwickelt war. Die Ehefrau klagte ihren Mann auf Scheidung und bezeichnete die Pflegerin als Mitschuldige und er bekam die Scheidung**.‘ — Ich unterbrach ihn, ,Sie wollen sagen, sie bekam die Scheidung.‘ — Er verbesserte sofort: ,Natürlich, sie bekam die Scheidung,‘ und erzählte weiter, daß die Pflegerin sich derart über den Prozeß und Skandal aufgeregt habe, daß sie zu trinken begann, schwer nervös wurde usw., und fragte mich um meinen Rat, wie er sie behandeln solle."

§ 313

"Sobald ich den Fehler korrigiert hatte, bat ich ihn ihn zu erklären, aber ich bekam die gewöhnlichen erstaunten Antworten: ob es nicht eines jeden Menschen gutes Recht sei, sich zu versprechen, daß das nur ein Zufall sei, nichts dahinter zu suchen sei usw. Ich erwiderte, daß jedes Fehlsprechen begründet sein müsse, und daß ich versucht wäre zu glauben, daß er selbst der Held der Geschichte sei, wenn er mir nicht früher mitgeteilt hätte, daß er unvermählt sei, denn dann wäre das Versprechen durch den Wunsch erklärt, seine Frau und nicht er hätte den Prozeß verlieren sollen, damit er nicht (nach unserem Eherecht) Alimente zu zahlen brauche und in der Stadt New York wieder heiraten könne. Er lehnte meine Vermutung hartnäckig ab, bestärkte sie aber gleichzeitig durch eine übertriebene Affektreaktion, deutliche Zeichen von Erregung und danach Gelächter. Auf meinen Appell, die Wahrheit im Interesse der wissenschaftlichen Klarstellung zu sagen," "bekam ich die Antwort: ,Wenn Sie nicht eine Lüge hören wollen, müssen Sie an mein Junggesellentum glauben, und daher ist Ihre psychoanalytische Erklärung durchaus falsch.‘ — Er fügte noch hinzu, daß solch ein Mensch, der jede Kleinigkeit beachte, direkt gefährlich sei. Plötzlich fiel ihm ein anderes Rendezvous ein, und er verabschiedete sich."

* "Nach unseren Gesetzen wird die Ehescheidung nur ausgesprochen, wenn bewiesen wird, daß der eine Teil die Ehe gebrochen hat, und zwar wird die Scheidung nur dem betrogenen Teile bewilligt." § 314

"Wir beide, Dr. Frink und ich, waren dennoch von meiner Auflösung seines Versprechens überzeugt, und ich beschloß, durch Erkundigung den Beweis oder Gegenbeweis zu erhalten. — Einige Tage später besuchte ich einen Nachbar, einen alten Freund des Dr. R., der mir vollinhaltlich meine Erklärung bestätigen konnte. Der Prozeß hatte vor wenigen Wochen stattgefunden und die Pflegerin war als Mitschuldige vorgeladen worden. — Dr. R. ist jetzt von der Richtigkeit der Freudschen Mechanismen fest überzeugt."

§ 315

Der Selbstverrat ist ebenso unzweifelhaft in folgendem von O. Rank mitgeteilten Falle:

§ 316

„Ein Vater, der keinerlei patriotisches Gefühl besitzt und seine Kinder auch von diesem ihm überflüssig erscheinenden Empfinden frei erziehen will, tadelt seine Söhne wegen ihrer Teilnahme an einer patriotischen Kundgebung und weist ihre Berufung auf das gleiche Verhalten des Onkels mit den Worten zurück: ,Gerade dem sollt ihr nicht nacheifern; der ist ja ein Idiot.‘ Das über diesen ungewohnten Ton des Vaters erstaunte Gesicht der Kinder macht ihn aufmerksam, daß er sich versprochen habe, und entschuldigend bemerkt er: Ich wollte natürlich sagen: Patriot.“

§ 317

Als Selbstverrat wird auch von der Partnerin des Gesprächs ein Versprechen gedeutet, das J. Stärcke (l. c.) berichtet, und zu dem er eine treffende, wenn auch die Aufgabe der Deutung überschreitende Bemerkung hinzufügt.

§ 318

„Eine Zahnärztin hatte mit ihrer Schwester verabredet, daß sie bei ihr einmal nachsehen würde, ob sie zwischen zwei Backenzähnen wohl Kontakt hätte (d. h. ob die Backenzähne mit ihren Seitenflächen einander berühren, so daß keine Nahrungsreste dazwischen bleiben können). Ihre Schwester beklagte sich jetzt darüber, daß sie auf diese Untersuchung so lange warten mußte, und sagte im Scherze: ,Jetzt behandelt sie wohl eine Kollegin, aber ihre Schwester muß noch immer warten.‘ — Die Zahnärztin untersucht sie jetzt, findet wirklich ein kleines Loch in dem einen Backenzahn, und sagt: ,Ich dachte nicht, daß es so schlimm war; ich dachte, daß du nur kein Kontant hättest.... kein Kontakt hättest.‘ — ,Siehst du wohl,‘ rief ihre Schwester lachend, ,daß es nur wegen deiner Habsucht ist, daß du mich soviel länger warten läßt als deine zahlenden Patienten?!‘“ —

§ 319

„(Ich darf selbstverständlich meine eigenen Einfälle nicht den ihrigen hinzufügen oder daraus Schlüsse ziehen, aber beim Vernehmen dieser Versprechung ging mein Gedankengang sofort dahin, daß diese zwei lieben und geistreichen jungen Frauen unverheiratet sind und auch sehr wenig mit jungen Männern umgehen, und ich fragte mich selbst, ob sie mehr Kontakt mit jungen Leuten haben würden, wenn sie mehr Kontant hätten.)“

§ 320

Den Wert eines Selbstverrates hat auch nachstehendes, von Th. Reik (l. c.) mitgeteiltes Versprechen:

§ 321

„Ein junges Mädchen sollte einem ihr unsympathischen jungen Manne verlobt werden. Um die beiden jungen Leute einander näherzubringen, verabredeten deren Eltern eine Zusammenkunft, der auch Braut und Bräutigam in spe beiwohnten. Das junge Mädchen besaß Selbstüberwindung genug,ihren Freier, der sich sehr galant gegen sie benahm, ihre Abneigung nicht merken zu lassen. Doch auf die Frage ihrer Mutter, wie ihr der junge Mann gefiele, antwortete sie höflich: ,Gut. Er ist sehr liebenswidrig!‘“

§ 322

Nicht minder aber ein anderes, das O. Rank (lnternat. Zeitschrift für Psychoanalyse) als „witziges Versprechen“ beschreibt.

§ 323

"Einer verheirateten Frau, die gern Anekdoten hört und von der man behauptet, daß sie auch außerehelichen Werbungen nicht abhold sei, wenn sie durch entsprechende Geschenke unterstützt werden, erzählt ein junger Mann, der sich auch um ihre Gunst bewirbt, nicht ohne Absicht folgende altbekannte Geschichte. Von zwei Geschäftsfreunden bemüht sich der eine um die Gunst der etwas spröden Frau seines Kompagnons; schließlich will sie ihm diese gegen ein Geschenk von 1000 Gulden gewähren. Als nun ihr Mann verreisen will, borgt sich sein Kompagnon von ihm 1000 Gulden aus und verspricht, sie noch am nächsten Tage seiner Frau zurückzustellen. Natürlich gibt er dann diesen Betrag als vermeintlichen Liebeslohn der Frau, die sich schließlich noch entdeckt glaubt, als ihr zurückgekehrter Mann die 1000 Gulden verlangt, und zum Schaden noch den Schimpf hat. — Als der junge Mann in der Erzählung dieser Geschichte bei der Stelle angelangt war, wo der Verführer zum Kompagnon sagt: ,Ich werde das Geld morgen deiner Frau zurückgeben‘, unterbrach ihn seine Zuhörerin mit den vielsagenden Worten: ,Sagen Sie, haben Sie mir das nicht schon — zurückgegeben? Ah, pardon, ich wollte sagen — erzählt?‘ — Sie könnte ihre Bereitwilligkeit, sich unter denselben Bedingungen hinzugeben, kaum deutlicher kundgeben, ohne sie direkt auszusprechen."

§ 324

Einen schönen Fall von solchem Selbstverrat mit harmlosem Ausgang berichtet V. Tausk (Internat. Zeitschr. für Psychoanalyse, IV, 1916) unter nachstehendem Titel:

§ 325

"Der Glauben der Väter."

§ 326

"Da meine Braut Christin war“, erzählte Herr A., „und nicht zum Judentum übertreten wollte, mußte ich selbst vom Judentum zum Christentum übertreten, um heiraten zu können. Ich wechselte die Konfession nicht ohne inneren Widerstand, aber das Ziel schien mir den Konfessionswechsel zu rechtfertigen, und dies um so eher, als ich nur eine äußere Zugehörigkeit zum Judentum, keine religiöse Überzeugung, da ich eine solche nicht besaß, abzulegen hatte. Ich habe mich trotzdem später immer zum Judentum bekannt, und wenige meiner Bekannten wissen, daß ich getauft bin."

§ 327

"Aus dieser Ehe entstammen zwei Söhne, die christlich getauft wurden. Als die Knaben entsprechend herangewachsen waren, erfuhren sie von ihrer jüdischen Abstammung, damit sie sich nicht, durch antisemitische Einflüsse der Schule bestimmt, aus diesem überflüssigen Grunde gegen den Vater kehrten."

§ 328

"Vor einigen Jahren wohnte ich mit den Kindern, die damals die Volksschule besuchten, zur Sommerfrische in D. bei einer Lehrerfamilie. Als wir eines Tages mit unseren, übrigens freundlichen, Wirtsleuten bei der Jause saßen, machte die Frau des Hauses, da sie von der jüdischen Herkunft ihrer Sommerpartei nichts ahnte, einige recht scharfe Ausfälle gegen die Juden. Ich hätte nun tapfer die Situation deklarieren sollen, um meinen Söhnen das Beispiel vom ,Mut der Überzeugung‘ zu geben, fürchtete aber die unerquicklichen Auseinandersetzungen, die einem solchen Bekenntnis zu folgen pflegen. Außerdem bangte mir davor, die gute Unterkunft, die wir gefunden hatten, eventuell verlassen zu müssen und" "mir und meinen Kindern so die ohnehin kurz bemessene Erholungszeit zu verderben, falls unsere Wirtsleute ihr Benehmen gegen uns, weil wir Juden waren, in unfreundlicher Weise verändern sollten."

§ 329

"Da ich jedoch erwarten durfte, daß meine Knaben in freimütiger Weise und unbefangen die folgenschwere Wahrheit verraten würden, wenn sie noch länger dem Gespräche beiwohnten, wollte ich sie aus der Gesellschaft entfernen, indem ich sie in den Garten schickte."

§ 330

",Geht in den Garten, Juden —‘ sagte ich und korrigierte schnell: ,Jungen‘. Womit ich also durch eine Fehlleistung meinem ,Mut der Überzeugung‘ zum Ausdruck verhalf. Die anderen hatten zwar aus diesem Versprechen keine Konsequenzen gezogen, weil sie ihm keine Bedeutung zumaßen, ich aber mußte die Lehre ziehen, daß der ,Glauben der Väter‘ sich nicht ungestraft verleugnen läßt, wenn man ein Sohn ist und Söhne hat."

§ 331

Keineswegs harmlos wirkt folgender Fall von Versprechen, den ich nicht mitteilen würde, wenn ihn nicht der Gerichtsbeamte selbst während des Verhörs für diese Sammlung aufgezeichnet hätte:

§ 332

Ein des Einbruchs beschuldigter Volkswehrmann sagt aus: Ich wurde seither aus dieser militärischen Diebsstellung noch nicht entlassen, gehöre also derzeit noch der Volkswehr an.

§ 333

Erheiternd wirkt das Versprechen, wenn es als Mittel benützt wird, um während eines Widerspruches zu bestätigen, was dem Arzte in der psychoanalytischen Arbeit sehr willkommen sein mag. Bei einem meiner Patienten, hatte ich einst einen Traum zu deuten, in welchem der Name Jauner vorkam. Der Träumer kannte eine Person dieses Namens, es ließ sichaber nicht finden, weshalb diese Person in den Zusammenhang des Traumes aufgenommen war, und darum wagte ich die Vermutung, es könne bloß wegen des Namens, der an den Schimpf Gauner anklinge, geschehen sein. Der Patient widersprach rasch und energisch, versprach sich aber dabei und bestätigte meine Vermutung, indem er sich der Ersetzung ein zweitesmal bediente. Seine Antwort lautete: Das erscheint mir doch zu jewagt. Als ich ihn auf das Versprechen aufmerksam machte, gab er meiner Deutung nach.

§ 334

Wenn im ernsthaften Wortstreit ein solches Versprechen, welches die Redeabsicht in ihr Gegenteil verkehrt, sich dem einen der beiden Streiter ereignet, so setzt es ihn sofort in Nachteil gegen den anderen, der es selten versäumt, sich seiner verbesserten Position zu bedienen.

§ 335

Es wird dabei klar, daß die Menschen ganz allgemein dem Versprechen wie anderen Fehlleistungen dieselbe Deutung geben, wie ich sie in diesem Buche vertrete, auch wenn sie sich in der Theorie nicht für diese Auffassung einsetzen, und wenn sie für ihre eigene Person nicht geneigt sind, auf die mit der Duldung der Fehlleistungen verbundene Bequemlichkeit zu verzichten. Die Heiterkeit und der Hohn, die solches Fehlgehen der Rede im entscheidenden Moment mit Gewißheit hervorrufen, zeugen gegen die angeblich allgemein zugelassene Konvention, ein Versprechen sei ein Lapsus linguae und psychologisch bedeutungslos. Es war kein geringerer als der deutsche Reichskanzler Fürst Bülow, der durch solchen Einspruch die Situation zu retten versuchte, als ihm der Wortlaut seiner Verteidigungsrede für seinen Kaiser (Nov. 1907) durch ein Versprechen ins Gegenteil umschlug.

§ 336

„Was nun die Gegenwart, die neue Zeit Kaiser Wilhelms II., angeht, so kann ich nur wiederholen, was ich voreinem Jahre gesagt habe, daß es unbillig und ungerecht wäre, von einem Ring verantwortlicher Ratgeber um unseren Kaiser zu sprechen.... (Lebhafte Zurufe: Unverantwortlicher), unverantwortlicher Ratgeber zu sprechen. Verzeihen Sie den Lapsus linguae.“ (Heiterkeit.)

§ 337

Indes, der Satz des Fürsten Bülow war durch die Häufung der Negationen einigermaßen undurchsichtig ausgefallen; die Sympathie für den Redner und die Rücksicht auf seine schwierige Stellung wirkten dahin, daß dies Versprechen nicht weiter gegen ihn ausgenützt wurde. Schlimmer erging es ein Jahr später an demselben Orte einem anderen, der zu einer rückhaltlosen Kundgebung an den Kaiser auffordern wollte und dabei durch ein böses Versprechen an andere in seiner loyalen Brust wohnende Gefühle gemahnt wurde:

§ 338

Lattmann (Dtsch.-nat.): Wir stellen uns bei der Frage der Adresse auf den Boden der Geschäftsordnung des Reichstags. Danach hat der Reichstag das Recht, eine solche Adresse an den Kaiser einzureichen. Wir glauben, daß der einheitliche Gedanke und der Wunsch des deutschen Volkes dahin geht, eine einheitliche Kundgebung auch in dieser Angelegenheit zu erreichen, und wenn wir das in einer Form tun können, die den monarchischen Gefühlen durchaus Rechnung trägt, so sollen wir das auch rückgratlos tun. (Stürmische Heiterkeit, die minutenlang anhält.) Meine Herren, es hieß nicht rückgratlos, sondern rückhaltlos (Heiterkeit), und solche rückhaltlose Äußerung des Volkes, das wollen wir hoffen, nimmt auch unser Kaiser in dieser schweren Zeit entgegen.“

§ 339

Der „Vorwärts“ vom 2. November 1908 versäumte es nicht, die psychologische Bedeutung dieses Versprechens aufzuzeigen:

§ 340

Rückgratlos vor dem Kaiserthron.“

§ 341

„Nie ist wohl je in einem Parlament von einem Abgeordneten in unfreiwilliger Selbstbezichtigung seine und der Parlamentsmehrheit Haltung gegenüber dem Monarchen so treffend gekennzeichnet worden, wie das dem Antisemiten Lattmann gelang, als er am zweiten Tage der Interpellation mit feierlichem Pathos in das Bekenntnis entgleiste, er und seine Freunde wollten dem Kaiser rückgratlos ihre Meinung sagen.

§ 342

Stürmische Heiterkeit auf allen Seiten erstickte die weiteren Worte des Unglücklichen, der es noch für notwendig hielt, ausdrücklich entschuldigend zu stammeln, er meine eigentlich ,rückhaltlos‘.“

§ 343

Ein schönes Beispiel von Versprechen, welches nicht so sehr den Verrat des Redners als die Orientierung des außer der Szene stehenden Hörers bezweckt, findet sich im Wallenstein (Piccolomini, I. Aufzug, 5. Auftritt) und zeigt uns, daß der Dichter, der sich hier dieses Mittels bedient, Mechanismus und Sinn des Versprechens wohl gekannt hat. Max Piccolomini hat in der vorhergehenden Szene aufs leidenschaftlichste für den Herzog Partei genommen und dabei von den Segnungen des Friedens geschwärmt, die sich ihm auf seiner Reise enthüllt, während er die Tochter Wallensteins ins Lager begleitete. Er läßt seinen Vater und den Abgesandten des Hofes, Questenberg, in voller Bestürzung zurück. Und nun geht der fünfte Auftritt weiter:

§ 344

"Questenberg: O weh uns! Steht es so? Freund, und wir lassen ihn in diesem Wahn Dahingehen, rufen ihn nicht gleich Zurück, daß wir die Augen auf der Stelle Ihm öffnen?" "Octavio (aus einem tiefen Nachdenken zu sich kommend): Mir hat er sie jetzt geöffnet, Und mehr erblick’ ich, als mich freut. Questenberg: Was ist Freund? Octavio: Fluch über diese Reise! Questenberg: Wieso? Was ist es? Octavio: Kommen Sie! Ich muß Sogleich die unglückselige Spur verfolgen, Mit meinen Augen sehen — kommen Sie — (will ihn fortführen). Questenberg: Was denn? Wohin? Octavio (pressiert): Zu ihr! Questenberg: Zu — Octavio (korrigiert sich): Zum Herzog! Gehen wir!" usw.

§ 345

Dies kleine Versprechen: Zu ihr anstatt: Zu ihm soll uns verraten, daß der Vater das Motiv der Parteinahme seines Sohnes durchschaut hat, während der Höfling klagt: "„daß er in lauter Rätseln zu ihm rede" “.

§ 346

Ein anderes Beispiel von poetischer Verwertung des Versprechens hat Otto Rank bei Shakespeare entdeckt. Ich zitiere Ranks Mitteilung nach dem Zentralblatt für Psychoanalyse, I, 3:

§ 347

"Ein dichterisch überaus fein motiviertes und technisch glänzend verwertetes Versprechen, welches wie das von Freud im Wallenstein aufgezeigte (Zur Psychopathologie des Alltagslebens, 2. Aufl., S. 48) verrät, daß die Dinhter Mechanismus und Sinn dieser Fehlleistung wohl kennen und deren Verständnis auch beim Zuhörer voraussetzen, findet sich in ShakespearesKaufmann von Venedig“ (III. Aufzug, 2. Szene). Die durch den Willen ihres Vaters an die Wahl" "eines Gatten durch das Los gefesselte Porzia ist bisher allen ihren unliebsamen Freiern durch das Glück des Zufalls entronnen. Da sie endlich in Bassanio den Bewerber gefunden hat, dem sie wirklich zugetan ist, muß sie fürchten, daß auch er das falsche Los ziehen werde. Sie möchte ihm nun am liebsten sagen, daß er auch in diesem Fall ihrer Liebe sicher sein könne, ist aber durch ihr Gelübde daran gehindert. In diesem inneren Zwiespalt läßt sie der Dichter zu dem willkommenen Freier sagen:"

§ 348

"Ich bitt’ Euch, wartet; ein, zwei Tage noch, Bevor Ihr wagt: denn wählt Ihr falsch, so büße Ich Euern Umgang ein; darum verzieht. Ein Etwas sagt mir (doch es ist nicht Liebe), Ich möcht’ Euch nicht verlieren; — — — — — — Ich könnt’ Euch leiten Zur rechten Wahl, dann bräch’ ich meinen Eid; Das will ich nicht; so könnt Ihr mich verfehlen. Doch wenn Ihr’s tut, macht Ihr mich sündlich wünschen, Ich hätt’ ihn nur gebrochen. O, der Augen, Die mich so übersehn und mich geteilt! Halb bin ich Euer, die andre Hälfte Euer — Mein wollt ich sagen; doch wenn mein, dann Euer, Und so ganz Euer. (Nach der Übersetzung von Schlegel und Tieck.)"

§ 349

"Gerade das, was sie ihm also bloß leise andeuten möchte, weil sie es eigentlich ihm überhaupt verschweigen sollte, daß sie nämlich schon vor der Wahl ganz die Seine sei und ihn liebe, das läßt der Dichter mit bewundernswertem psychologischen Feingefühl in dem Versprechen sich offen durchdrängen und weiß durch diesen Kunstgriff die unerträgliche Ungewißheit" "des Liebenden sowie die gleichgestimmte Spannung des Zuhörers über den Ausgang der Wahl zu beruhigen."

§ 350

Bei dem Interesse, welche solche Parteinahme der großen Dichter für unsere Auffassung des Versprechens verdient, halte ich es für gerechtfertigt, ein drittes solches Beispiel anzuführen, welches von E. Jones mitgeteilt worden ist**:

§ 351

"Otto Rank macht in einem unlängst publizierten Aufsatz**** auf ein schönes Beispiel au[merksnan, in welchem Shakespeare eine seiner Gestalten, die Porzia, ein ,Versprechen‘ begehen läßt, durch welches ihre geheimen Gedanken einem aufmerksamen Hörer offenbar werden. Ich habe die Absicht, ein ähnliches Beispiel aus ,The Egoist‘, dem Meisterwerke des größten englischen Romanschriftstellers, George Meredith, zu erzählen. Die Handlung des Romans ist kurz folgende: Sir Willoughby Patterne, ein von seinem Kreise sehr bewunderter Aristokrat, verlobt sich mit einer Miß Konstantia Durham. Sie entdeckt in ihm einen intensiven Egoismus, den er jedoch vor der Welt geschickt verbirgt, und geht, um der Heirat zu entrinnen, mit einem Kapitän namens Oxford durch. Einige Jahre später verlobt er sich mit einer Miß Klara Middleton. Der größte Teil des Buches ist nun mit der ausführlichen Beschreibung des Konfliktes erfüllt, der in Klara Middletons Seele entsteht, als sie in ihrem Verlobten denselben hervorstechenden Charakterzug entdeckt. Äußere Umstände und ihr Ehrbegriff fesseln sie an ihr gegebenes Wort, während ihr Bräutigam ihr immer verächtlicher erscheint. Teilweise macht sie Vernon Whitford, dessen Vetter und Sekretär (den sie zuletzt auch heiratet), zum Vertrauten. Er jedoch" "hält sich aus Loyalität Patterne gegenüber und aus anderen Motiven zurück."

* Ein Beispiel von literarischer Verwertung des Versprechens. Zentralblatt für Psychoanalyse, I, 10. ** Zentralbl. für Psych., I, Heft 3, S. 109. § 352

"In einem Monolog über ihren Kummer spricht Klara folgendermaßen: ,Wenn doch ein edler Mann mich sehen könnte, wie ich bin, und es nicht zu gering erachtete, mir zu helfen! Oh! befreit zu werden aus diesem Kerker von Dornen und Gestrüpp. Ich kann mir allein meinen Weg nicht bahnen. Ich bin ein Feigling. Ein Fingerzeig** — ich glaube, er würde mich verändern. Zu einem Kameraden könnt’ ich fliehn, blutig zerrissen und umbraust von Verachtung und Geschrei . . . Konstantia begegnete einem Soldaten. Vielleicht betete sie, und ihr Gebet ward erhört. Sie tat nicht recht. Aber, oh, wie lieb’ ich sie darum. Sein Name war Harry Oxford . . . Sie schwankte nicht, sie riß die Ketten, sie ging offen zu dem andern über. Tapferes Mädchen, wie denkst du über mich? Ich aber habe keinen Harry Whitford, ich bin allein.‘ — —"

§ 353

"Die plötzliche Erkenntnis, daß sie einen anderen Namen für Oxford gebraucht habe, traf sie wie ein Faustschlag und übergoß sie mit flammender Röte."

§ 354

"Die Tatsache, daß die Namen beider Männer mit ,ford endigen, erleichtert das Verwechseln der beiden offensichtlich und würde von vielen als ein hinreichender Grund dafür angesehen werden. Der wahre tieferliegende Grund jedoch ist von dem Dichter klar ausgeführt."

§ 355

"An einer anderen Stelle kommt dasselbe Versprechen wieder vor. Es folgt ihm jene spontane Unschlüssigkeit und jener plötzliche Wechsel des Themas, mit denen uns die" "Psychoanalyse und Jungs Werk über die Assoziationen vertraut machen, und die nur eintreten, wenn ein halbbewußter Komplex berührt wird. Patterne sagt in patronisierendem Tone von Whitford: ,Falscher Alarm! Der gute alte Vernon ist gar nicht imstande, etwas Ungewöhnliches zu tun.‘ Klara antwortet: ,Wenn aber nun Oxford — Whitford . . . da — Ihre Schwäne kommen gerade den See durchsegelnd; wie schön sie aussehen, wenn sie indigniert sind! Was ich Sie eben fragen wollte. Männer, die Zeugen einer offensichtlichen Bewunderung für jemand anderen sind, werden wohl natürlicherweise entmutigt?‘ Sir Willoughby traf eine plötzliche Erleuchtung, er richtete sich steif auf."

* Anmerkung des Übersetzers: Ich wollte ursprünglich das Orginal „beckoning of a finger“ mit „leiser Wink“ übersetzen, bis mir klar wurde, daß ich durch Unterschlagung des Wortes „Finger“ den Satz einer psychologischen Feinheit beraube. § 356

"Noch an einer anderen Stelle verrät Klara durch ein anderes Versprechen ihren geheimen Wunsch nach einer innigeren Verbindung mit Vernon Whitford. Zu einem Burschen sprechend, sagt sie: ,Sage abends dem Mr. Vernon — sage abends dem Mr. Whitford . . . . usw‘.**"

§ 357

Die hier vertretene Auffassung des Versprechens hält übrigens der Probe an dem Kleinsten stand. Ich habe wiederholt zeigen können, daß die geringfügigsten und naheliegendsten Fälle von Redeirrung ihren guten Sinn haben und die nämliche Lösung zulassen wie die auffälligeren Beispiele. Eine Patientin, die ganz gegen meinen Willen, aber mit starkem eigenen Vorsatz einen kurzen Ausflug nach Budapest unternimmt, rechtfertigt sich vor mir, sie gehe ja nur für drei Tage dahin, verspricht sich aber und sagt: nur für drei Wochen. Sieverrät, daß sie mir zum Trotze lieber drei Wochen als drei Tage in jener Gesellschaft bleiben will, die ich als unpassend für sie erachte. — Ich soll mich eines Abends entschuldigen, daß ich meine Frau nicht vom Theater abgeholt, und sage: Ich war zehn Minuten nach 10 Uhr beim Theater. Man korrigiert mich: Du willst sagen: vor 10 Uhr. Natürlich wollte ich vor 10 Uhr sagen. Nach 10 Uhr wäre ja keine Entschuldigung. Man hatte mir gesagt, auf dem Theaterzettel stehe: Ende vor 10 Uhr. Als ich beim Theater anlangte, fand ich das Vestibül verdunkelt und das Theater entleert. Die Vorstellung war eben früher zu Ende gewesen, und meine Frau hatte nicht auf mich gewartet. Als ich auf die Uhr sah, fehlten noch fünf Minuten zu 10 Uhr. Ich nahm mir aber vor, meinen Fall zu Hause günstiger darzustellen und zu sagen, es hätten noch zehn Minuten zur zehnten Stunde gefehlt. Leider verdarb mir das Versprechen die Absicht und stellte meine Unaufrichtigkeit bloß, indem es mich selbst mehr bekennen ließ, als ich zu bekennen hatte.

* Andere Beispiele von Versprechen, die nach des Dichters Absicht als sinnvoll, meist als Selbstverrat, aufgefaßt werden sollen, finden sich bei Shakespeare in Richard II. (II, 2), bei Schiller im Don Carlos (II, 8, Versprechen der Eboli). Es wäre gewiß ein leichtes, diese Liste zu vervollständigen. § 358

Man gelangt von hier aus zu jenen Redestörungen, die nicht mehr als Versprechen beschrieben werden, weil sie nicht das einzelne Wort, sondern Rhythmus und Ausführung der ganzen Rede beeinträchtigen, wie z. B. das Stammeln und Stottern der Verlegenheit. Aber hier wie dort ist es der innere Konflikt, der uns durch die Störung der Rede verraten wird. Ich glaube wirklich nicht, daß jemand sich versprechen würde in der Audienz bei Seiner Majestät, in einer ernstgemeinten Liebeswerbung, in einer Verteidigungsrede um Ehre und Namen vor den Geschworenen, kurz in all den Fällen, in denen man ganz dabei ist, wie wir so bezeichnend sagen. Selbst bis in die Schätzung des Stils, den ein Autor schreibt, dürfen wir und sind wir gewöhnt, das Erklärungsprinzip zu tragen, welcheswir bei der Ableitung des einzelnen Sprachfehlers nicht entbehren können. Eine klare und unzweideutige Schreibweise belehrt uns, daß der Autor hier mit sich einig ist, und wo wir gezwungenen und gewundenen Ausdruck finden, der, wie so richtig gesagt wird, nach mehr als einem Scheine schielt, da können wir den Anteil eines nicht genugsam erledigten, komplizierenden Gedankens erkennen oder die erstickte Stimme der Selbstkritik des Autors heraushören**.

§ 359

Seit dem ersten Erscheinen dieses Buches haben fremdsprachige Freunde und Kollegen begonnen, dem Versprechen, das sie in den Ländern ihrer Zunge beobachten konnten, ihre Aufmerksamkeit zuzuwenden. Sie haben, wie zu erwarten stand, gefunden, daß die Gesetze der Fehlleistung vom Sprachmaterial unabhängig sind, und haben dieselben Deutungen vorgenommen, die hier an Beispielen von Deutsch redenden Personen erläutert wurden. Ich führe nur ein Beispiel anstatt ungezählter vieler an:

§ 360

Dr. A. A. Brill (New York) berichtet von sich: " A friend described to me a nervous patient and wished to know whether I could benefit him. I remarked, I believe that in time I could remove all his symptoms by psycho-analysis because it is a durable case wishing to say „curable“!" (A contribution to the Psychopathology of Everyday Life aus Psychotherapy vol. III, Nr. 1, 1909.)

§ 361

Schließlich will ich für diejenigen Leser, die eine gewisse Anstrengung nicht scheuen und denen die Psychoanalyse nicht fremd ist, ein Beispiel anfügen, aus dem zu ersehen ist, inwelche seelischen Tiefen auch die Verfolgung eines Versprechens führen kann.

* "Ce qu’on conçoit bien S’annonce clairement Et les mots pour le dire Arrivent aisément" . Boileau, Art poétique. § 362

L. Jekels (Intern. Zeitschr. für Psychoanlyse, I, 1913).

§ 363

"Am 11. Dezember werde ich von einer mir befreundeten Dame in polnischer Sprache etwas herausfordernd und übermütig mit den Worten apostrophiert: ,Warum habe ich heute gesagt, daß ich zwölf Finger habe?’"

§ 364

"Sie reproduziert nun über meine Aufforderung die Szene, in der die Bemerkung gefallen ist. Sie habe sich angeschickt, mit der Tochter auszugehen, um einen Besuch zu machen, habe ihre Tochter, eine in Remission befindliche Dementia praecox, aufgefordert, die Bluse zu wechseln, was diese im anstoßenden Zimmer auch getan hat. Als die Tochter wieder eintrat, fand sie die Mutter mit dem Reinigen der Nägel beschäftigt; und da entwickelte sich folgendes Gespräch:"

§ 365

"Tochter: ,No siehst du, ich bin schon fertig und du noch nicht!‘"

§ 366

"Mutter: ,Du hast ja aber auch nur eine Bluse und ich zwölf Nägel."

§ 367

"Tochter: ,Was?‘"

§ 368

"Mutter (ungeduldig): .No natürlich, ich habe ja doch zwölf Finger.‘"

§ 369

"Die Frage eines die Erzählung mitanhörenden Kollegen, was ihr zu zwölf einfalle, wird ebenso prompt wie bestimmt beantwortet: ,Zwölf ist für mich kein Datum (von Bedeutung).‘"

§ 370

"Zu Finger wird unter einem leichten Zögern die Assozialion geliefert: ,ln der Familie meines Mannes kamen sechs Finger an den Füßen (im Polnischen gibt es keinen eigenen Ausdruck für Zehe) vor. Als unsere Kinder zur Welt kamen, wurden sie sofort darauf untersucht, ob sie nicht sechs Fin-"

§ 371

"ger haben.‘ Aus äußeren Ursachen wurde an diesem Abend die Analyse nicht fortgesetzt."

§ 372

"Am nächsten Morgen, dem 12. Dezember, besucht mich die Dame und erzählt mir sichtlich erregt: ,Denken Sie, was mir passiert ist; seit etwa 20 Jahren gratuliere ich dem alten Onkel meines Mannes zu seinem Geburtstag, der heute fällig ist, schreibe ihm immer am 11. einen Brief; und diesmal habe ich es vergessen und mußte soeben telegraphieren.‘"

§ 373

"Ich erinnere mich und die Dame, mit welcher Bestimmtheit sie am gestrigen Abend die Frage des Kollegen nach den zwölf, die doch eigentlich sehr geeignet war, ihr den Geburtstag in Erinnerung zu bringen, abgetan hat mit der Bemerkung, der Zwölfte sei für sie kein Datum von Bedeutung."

§ 374

"Nun gesteht sie, dieser Onkel ihres Mannes sei ein Erbonkel, auf dasen Erbschaft sie eigentlich immer gerechnet habe, ganz besonders in ihrer jetzigen bedrängten finanziellen Lage."

§ 375

"So sei er, respektive sein Tod, ihr sofort in den Sinn gekommen, als ihr vor einigen Tagen eine Bekannte aus Karten prophezeit habe, sie werde viel Geld bekommen. Es schoß ihr sofort durch den Kopf, der Onkel sei der einzige, von dem sie, respektive ihre Kinder, Geld erhalten könnten; auch erinnerte sie sich bei dieser Szene augenblicklich, daß schon die Frau dieses Onkels versprochen habe, die Kinder der Erzählerin testamentarisch zu bedenken; nun ist sie aber ohne Testament gestorben; vielleicht hat sie ihrem Manne den bezüglichen Auftrag gegeben."

§ 376

"Der Todeswunsch gegen den Onkel muß offenbar sehr intensiv aufgetreten sein, wenn sie der ihr prophezeienden Dame gesagt hat: ,Sie verleiten die Leute dazu, andere umzubringen.‘"

§ 377

"In diesen vier oder fünf Tagen, die zwischen der Prophe-" "zeiung und dem Geburtstage des Onkels lagen, suchte sie stets in den im Wohnorte des Onkels erscheinenden Blättern die auf seinen Tod bezügliche Parte."

§ 378

"Kein Wunder somit, daß bei so intensivem Wunsche nach seinem Tode, die Tatsache und das Datum seines demnächst zu feiernden Geburtstages so stark unterdrückt wurden, daß es nicht bloß zum Vergessen eines sonst seit Jahren ausgeführten Vorsatzes gekommen ist, sondern auch, daß sie nicht einmal durch die Frage des Kollegen ins Bewußtsein gebracht wurden."

§ 379

"In dem Lapsus ,zwölf Finger‘ hat sich nun die unterdrückte Zwölf durchgesetzt und hat die Fehlleistung mitbestimmt."

§ 380

"Ich meine mitbestimmt, denn die auffällige Assoziation zu ,Finger‘ läßt uns noch weitere Motivierungen ahnen; sie erklärt uns auch, warum der Zwölfer gerade diese so harmlose Redensart von den zehn Fingern verfälscht hat."

§ 381

"Der Einfall lautete: ,In der Familie meines Mannes kamen sechs Finger an den Füßen vor.‘"

§ 382

"Sechs Zehen sind Merkmale einer gewissen Abnormität, somit sechs Finger ein abnormes Kind und"

§ 383

"zwölf Finger zwei abnorme Kinder."

§ 384

"Und tatsächlich traf dies in diesem Falle zu."

§ 385

"Die in sehr jungem Alter verheiratete Frau hatte als einzige Erbschaft nach ihrem Manne, der stets als exzentrischer, abnormer Mensch galt und sich nach kurzer Ehe das Leben nahm, zwei Kinder, die wiederholt von Ärzten als väterlicherseits schwer hereditär belastet und abnorm bezeichnet wurden."

§ 386

"Die ältere Tochter ist nach einem schweren katatonen Anfall vor kurzem nach Hause zurückgekehrt; bald nachher erkrankte auch die jüngere, in der Pubertät befindliche Tochter an einer schweren Neurose."

§ 387

"Daß die Abnormität der Kinder hier zusammengestellt wird" "mit dem Sterbewunsche gegen den Onkel und sich mit diesem ungleich stärker unterdrückten und psychisch valenteren Element verdichtet, läßt uns als zweite Determinierung dieses Versprechens den Todeswunsch gegen die abnormen Kinder annehmen."

§ 388

"Die prävalierende Bedeutung des Zwölfers als Sterbewunsch erhellt aber schon daraus, daß in der Vorstellung der Erzählenden der Geburtstag des Onkels sehr innig assoziiert war mit dem Todesbegriffe. Denn ihr Mann hat sich am 13. das Leben genommen, also einen Tag nach dem Geburtstag ebendesselben Onkels, dessen Frau zu der jungen Witwe gesagt hatte: ,Gestern gratulierte er noch so herzlich und lieb, — und heute!‘"

§ 389

"Ferner will ich noch hinzufügen, daß die Dame auch genug reale Gründe hatte, den Kindern den Tod zu wünschen, von denen sie gar keine Freude erfuhr, sondern nur Kummer und arge Einschränkungen ihrer Selbstbestimmung zu leiden hatte, und denen zuliebe sie auf jegliches Liebesglück verzichtet hatte."

§ 390

"Auch diesmal war sie außerordentlich bemüht, jeglichen Anlaß zur Verstimmung der Tochter, mit der sie zu Besuch ging, zu vermeiden; und man kann sich vorstellen, welchen Aufwand an Geduld und Selbstverleugnung bei einer Dementia praecox dies verlangt, und wie viele Wutregungen dabei unterdrückt werden müssen."

§ 391

"Demzufolge würde der Sinn der Fehlleistung lauten:"

§ 392

"Der Onkel soll sterben, diese abnormen Kinder sollen sterben (sozusagen diese ganze abnorme Familie), und ich soll das Geld von ihnen haben."

§ 393

"Diese Fehlleistung besitzt nach meiner Ansicht mehrere Merkmale einer ungewöhnlichen Struktur, und zwar:"

§ 394

"1. Das Vorhandensein von zwei Determinanten, die in einem Element verdichtet sind."

§ 395

"2. Das Vorhandensein der zwei Determinanten spiegelt sich in der Doppelung des Versprechens (zwölf Nägel, zwölf Finger)."

§ 396

"3. Auffällig ist, daß die eine Bedeutung des Zwölfers, nämlich die die Abnormität der Kinder ausdrückenden zwölf Finger, eine indirekte Darstellung repräsentiert; die psychische Abnormität wird hier durch die physische, das Oberste durch das Unterste dargestellt."

§ 397

VI.

§ 398

VERLESEN UND VERSCHREIBEN.

§ 399

Daß für die Fehler im Lesen und Schreiben die nämlichen Gesichtspunkte und Bemerkungen Geltung haben wie für die Sprechfehler, ist bei der inneren Verwandtschaft dieser Funktionen nicht zu verwundern. Ich werde mich hier darauf beschränken, einige sorgfältig analysierte Beispiele mitzuteilen, und keinen Versuch unternehmen, das Ganze der Erscheinungen zu umfassen.

§ 400

A. Verlesen.

§ 401

a) Ich durchblättere im Kaffeehaus eine Nummer der „Leipziger Illustrierten“, die ich schräg vor mir halte, und lese als Unterschrift eines sich über die Seite erstreckenden Bildes: Eine Hochzeitsfeier in der Odyssee. Aufmerksam geworden und verwundert rücke ich mir das Blatt zurecht und korrigiere jetzt: Eine Hochzeitsfeier an der Ostsee. Wie komme ich zu diesem unsinnigen Lesefehler? Meine Gedanken lenken sich sofort auf ein Buch von Ruths „Experimentaluntersuchungen über Musikphantome usw.“, das mich in der letzten Zeit viel beschäftigt hat, weil es nahe an die von mir behandelten psychologischen Probleme streift. Der Autor verspricht für nächste Zeit ein Werk, welches „Analyse und Grundgesetze der Traumphänomene“ heißen wird. Kein Wunder, daß ich, der ich eben eine „Traumdeutung“ veröffentlichthabe, mit größter Spannung diesem Buche entgegensehe. In der Schrift Ruths über Musikphantome fand ich vorn im Inhaltsverzeichnis die Ankündigung des ausführlichen induktiven Nachweises, daß die althellenischen Mythen und Sagen ihre Hauptwurzeln in Schlummer- und Musikphantomen, in Traumphänomenen und auch in Delirien haben. Ich schlug damals sofort im Texte nach, um herauszufinden, ob er auch um die Zurückführung der Szene, wie Odysseus vor Nausikaa erscheint, auf den gemeinen Nacktheitstraum wisse. Mich hatte ein Freund auf die schöne Stelle in G. Kellers „Grünem Heinrich“ aufmerksam gemacht, welche diese Episode der Odyssee als Objektivierung der Träume des fern von der Heimat irrenden Schiffers aufklärt, und ich hatte die Beziehung zum Exhibitionstraum der Nacktheit hinzugefügt (5. Aufl., S. 170). Bei Ruths entdeckte ich nichts davon. Mich beschäftigen in diesem Falle offenbar Prioritätsgedanken.

§ 402

b) Wie kam ich dazu, eines Tages aus der Zeitung zu lesen:Im Faß durch Europa“, anstatt zu Fuß? Diese Auflösung bereitete mir lange Zeit Schwierigkeiten. Die nächsten Einfälle deuteten allerdings: Es müsse das Faß des Diogenes gemeint sein, und in einer Kunstgeschichte hatte ich unlängst etwas über die Kunst zur Zeit Alexanders gelesen. Es lag dann nahe, an die bekannte Rede Alexanders zu denken: Wenn ich nicht Alexander wäre, möchte ich Diogenes sein. Auch schwebte mir etwas von einem gewissen Hermann Zeitung vor, der in eine Kiste verpackt sich auf Reisen begehen hatte. Aber weiter wollte sich der Zusammenhang nicht herstellen, und es gelang mir nicht, die Seite in der Kunstgeschichte wieder aufzuschlagen, auf welcher mir jene Bemerkung ins Auge gefallen war. Erst Monate später fiel mir das beiseite geworfene Rätsel plötzlich wieder ein, und diesmal zugleichmit seiner Lösung. Ich erinnerte mich an die Bemerkung in einem Zeitungsartikel, was für sonderbare Arten der Beförderung die Leute jetzt wählten, um nach Paris zur Weltausstellung zu kommen, und dort war auch, wie ich glaube, scherzhaft mitgeteilt worden, daß irgend ein Herr die Absicht habe, sich von einem anderen Herrn in einem Faß nach Paris rollen zu lassen. Natürlich hätten diese Leute kein anderes Motiv, als durch solche Torheiten Aufsehen zu machen. Hermann Zeitung war in der Tat der Name desjenigen Mannes, der für solche außergewöhnliche Beförderung das erste Beispiel gegeben hatte. Dann fiel mir ein, daß ich einmal einen Patienten behandelt, dessen krankhafte Angst vor der Zeitung sich als Reaktion gegen den krankhaften Ehrgeiz auflöste, sich gedruckt und als berühmt in der Zeitung erwähnt zu sehen. Der mazedonische Alexander war gewiß einer der ehrgeizigsten Männer, die je gelebt. Er klagte ja, daß er keinen Homer finden werde, der seine Taten besinge. Aber wie konnte ich nur nicht daran denken, daß ein anderer Alexander mir näher stehe, daß Alexander der Name meines jüngeren Bruders ist! Ich fand nun sofort den anstößigen und der Verdrängung bedürftigen Gedanken in betreff dieses Alexenders und die aktuelle Veranlassung für ihn. Mein Bruder ist Sachverständiger in Dingen, die Tarife und Transporte angehen, und sollte zu einer gewissen Zeit für seine Lehrtätigkeit an einer kommerziellen Hochschule den Titel Professor erhalten. Für die gleiche Beförderung war ich an der Universität seit mehreren Jahren vorgeschlagen, ohne sie erreicht zu haben. Unsere Mutter äußerte damals ihr Befremden darüber, daß ihr kleiner Sohn eher Professor werden sollte als ihr großer. So stand es zur Zeit, als ich die Lösung für jenen Leseirrtum nicht finden konnte. Dann erhoben sich

§ 403

Der Doppelsinn des Wortes „Beförderung“ ist in diesem Falle die Assoziationsbrücke zwischen den zwei Komplexen, dem unwichtigen, der durch die Zeitungsnotiz angeregt wird, und dem interessanteren, aber anstößigen, der sich hier als Störung des zu Lesenden geltend machen darf. Man ersieht aus diesem Beispiel, daß es nicht immer leicht wird, Vorkommnisse wie diesen Lesefehler aufzuklären. Gelegentlich ist man auch genötigt, die Lösung des Rätsels auf eine günstigere Zeit zu verschieben. Je schwieriger sich aber die Lösungsarbeit erweist, desto sicherer darf man erwarten, daß der endlich aufgedeckte störende Gedanke von unserem bewußten Denken als fremdartig und gegensätzlich beurteilt werden wird.

§ 404

c) Ich erhalte eines Tages einen Brief aus der Nähe Wiens, der mir eine erschütternde Nachricht mitteilt. Ich rufe auch sofort meine Frau an und fordere sie zur Teilnahme daran auf, daß die arme Wilhelm M. so schwer erkrankt und von den Ärzten aufgegeben ist. An den Worten, in welche ich mein Bedauern kleide, muß aber etwas falsch geklungen haben, denn meine Frau wird mißtrauisch, verlangt den Brief zu sehen und äußert als ihre Überzeugung, so könne es nicht darin stehen, denn niemand nenne eine Frau nach dem Namen des Mannes, und überdies sei der Korrespondentin der Vorname der Frau sehr wohl bekannt. Ich verteidige meine Behauptung hartnäckig und verweise auf die so gebräuchlichen Visitkarten, auf denen eine Frau sich selbst mit dem Vornamen des Mannes bezeichnet. Ich muß endlich den Brief zur Hand nehmen, und wir lesen darin tatsächlich „der arme W. M.“, ja sogar, was ich ganz übersehen hatte: „der arme Dr. W. M.“. Mein Versehen bedeutet also einen sozusagen krampfhaften Versuch, die traurige Neuigkeit von dem Manne auf die Frau zu überwälzen. Der zwischen Artikel, Beiwort und Name eingeschobene Titel paßt schlecht zu der Forderung, es müßte die Frau gemeint sein. Darum wurde er auch beim Lesen beseitigt. Das Motiv dieser Verfälschung war aber nicht, daß mir die Frau weniger sympathisch wäre als der Mann, sondern das Schicksal des armen Mannes hatte meine Besorgnisse um eine andere, mir nahe stehende Person rege gemacht, welche eineder mir bekannten Krankheitsbedingungen mit diesem Falle gemeinsam hatte.

§ 405

d) Ärgerlich und lächerlich ist mir ein Verlesen, dem ich sehr häufig unterliege, wenn ich in den Ferien in den Straßen einer fremden Stadt spaziere. Ich lese dann jede Ladentafel, die dem irgendwie entgegenkommt, als Antiquitäten. Hierin äußert sich die Abenteuerlust des Sammlers.

§ 406

e) Bleuler erzählt in seinem bedeutsamen Buche „Affektivität, Suggestibilität, Paranoia“ (1906), S. 121: „ "Beim Lesen hatte ich einmal das intellektuelle Gefühl, zwei Zeilen weiter unten meinen Namen zu sehen. Zu meinem Erstaunen finde ich nur das Wort ,Blutkörperchen‘. Unter vielen Tausenden von mir analysierten Verlesungen des peripheren wie des zentralen Gesichtsfeldes ist dieses der krasseste Fall. Wenn ich etwa meinen Namen zu sehen glaubte, so war das Wort, das dazu Anlaß gab, meist viel ähnlicher meinem Namen, in den meisten Fällen mußten geradezu alle Buchstaben des Namens in der Nähe vorhanden sein, bis mir ein solcher Irrtum begegnen konnte. In diesem Falle ließ sich aber der Beziehungswahn und die Illusion sehr leicht begründen: Was ich gerade las, war das Ende einer Bemerkung über eine Art schlechten Stils von wissenschaftlichen Arbeiten, von der ich mich nicht frei fühlte."

§ 407

f) H. Sachs: „An dem, was die Leute frappiert, geht er in seiner Steifleinenheit vorüber.“ Dies Wort fiel mir aber auf und ich entdeckte bei näherem Hinsehen, daß es Stilfeinheit hieß. Die Stelle fand sich in einer überschwenglich lobenden Auslassung eines von mir verehrten Autors über einen Historiker, der mir unsympathisch ist, weil er das ,DeutschProfessorenhafte‘ zu stark hervorkehrt.“

§ 408

g) Über einen Fall von Verlesen im Betriebe der philologischen Wissenschaft berichtet Dr. Marcell Eibenschütz imZentralbl. für Psychoanalyse, I, 5/6. „ "Ich beschäftige mich mit der Überlieferung des ,Buches der Märtyrer‘, eines mittelhochdeutschen Legendenwerkes, das ich in den ,Deutschen Texten des Mittelalters‘, herausgegeben von der Preußischen Akademie der Wissenschaften, edieren soll. Über das bisher noch ungedruckte Werk war recht wenig bekannt; es bestand eine einzige Abhandlung darüber von J. Haupt ,Über das mittelhochdeutsche Buch der Märtyrer‘, Wiener Sitzungsberichte, 1867, 70. Bd., S. 101 ff. — Haupt legte seiner Arbeit nicht eine alte Handschrift zu Grunde, sondern eine aus neuerer Zeit (19. Jahrhundert) stammende Abschrift der Haupthandschrift C (Klosterneuburg), eine Abschrift, die in der Hofbibliothek aufbewahrt wird. Am Ende dieser Abschrift steht folgende Subskription:"

§ 409

"Anno Domini MDCCCL in vigilia exaltacionis sancte crucis ceptus est iste liber et in vigilia pasce anni subsequentis finitus cum adiutorio omnipotentis per me Hartmanum de Krasna tunc temporis ecclesie niwenburgensis custodem."

§ 410

"Haupt teilt nun in seiner Abhandlung diese Subscriptio mit, in der Meinung, daß sie vom Schreiber von C selbst herrühre, und läßt C, mit konsequenter Verlesung der römisch geschriebenen Jahreszahl 1850, im Jahre 1350 geschrieben sein, trotzdem daß er die Subscriptio vollständig richtig kopiert hat, trotzdem daß sie in der Abhandlung am angeführten Orte vollständig richtig (nämlich MDCCCL) abgedruckt ist."

§ 411

"Die Mitteilung Haupts bildete für mich eine Quelle von Verlegenheiten. Zunächst stand ich als blutjunger Anfänger in der gelehrten Wissenschaft ganz unter der Autorität Haupts und las lange Zeit aus der vollkommen klar und richtig gedruckt vor mir liegenden Subscriptio wie Haupt 1350 statt 1850; doch in der von mir benutzten Haupthandschrift C war keine" "Spur irgend einer Subscriptio zu finden, es stellte sich ferner heraus, daß im ganzen 14. Jahrhundert zu Klosterneuburg kein Mönch namens Hartmann gelebt hatte. Und als endlich der Schleier von meinen Augen sank, da hatte ich auch schen den ganzen Sachverhalt erraten, und die weiteren Nachforschungen bestätigen meine Vermutung: die vielgenannte Subscriptio steht nämlich nur in der von Haupt benutzten Abschrift und rührt von ihrem Schreiber her, P. Hartman Zeibig, geb. zu Krasna in Mähren, Augustinerchorherr zu Klosterneuburg, der im Jahre 1850 als Kirchenschatzmeister des Stiftes die Handschrift C abgeschrieben und sich am Ende seiner Abschrift in altertümlicher Weise selbst nennt. Die mittelalterliche Diktion und die alte Orthographie der Subscriptio haben wohl bei dem Wunsche Haupts, über das von ihm behandelte Werk möglichst viel mitteilen zu können, also auch die Handschrift C zu datieren, mitgeholfen, daß er immer statt 1850 1350 las. (Motiv der Fehlhandlung.)"

§ 412

h) In den „Witzigen und Satirischen Einfällen“ von Lichtenberg findet sich eine Bemerkung, die wohl einer Beobachtung entstammt und fast die ganze Theorie des Verlesens enthält: Er las immer Agamemnon statt „angenommen“, so sehr hatte er den Homer gelesen.

§ 413

In einer übergroßen Anzahl von Fällen ist es nämlich die Bereitschaft des Lesers, die den Text verändert und etwas, worauf er eingestellt oder womit er beschäftigt ist, in ihn hineinliest. Der Text selbst braucht dem Verlesen nur dadurch entgegenzukommen, daß er irgend eine Ähnlichkeit im Wortbild bietet, die der Leser in seinem Sinne verändern kann. Flüchtiges Hinschauen, besonders mit unkorrigiertem Auge, erleichtert ohne Zweifel die Möglichkeit einer solchen Illusion, ist aber keineswegs eine notwendige Bedingung für sie.

§ 414

i) Ich glaube die Kriegszeit, die bei uns allen gewisse feste und langanhaltende Präokkupationen schafft, hat keine andere Fehlleistung so sehr begünstigt wie gerade das Verlesen. Ich konnte eine große Anzahl von solchen Beobachtungen machen, von denen ich leider nur einige wenige bewahrt habe. Eines Tages greife ich nach einem der Mittags- oder Abendblätter und finde darin groß gedruckt: Der Friede von Görz. Aber nein, es heißt ja nur: Die Feinde vor Görz. Wer gerade zwei Söhne als Kämpfer auf diesem Kriegsschauplatze hat, mag sich leicht so verlesen. Ein anderer findet in einem gewissen Zusammenhange eine alte Brotkarte erwähnt, die er bei besserer Aufmerksamkeit gegen alte Brokate eintauschen muß. Es ist immerhin mitteilenswert, daß er sich in einem Hause, wo er oft gern gesehener Gast ist, bei der Hausfrau durch die Abtretung von Brotkarten beliebt zu machen pflegt. Ein Ingenieur, dessen Ausrüstung der im Tunnel während des Baues herrschenden Feuchtigkeit nie lang gewachsen ist, liest zu seinem Erstaunen in einer Annonce Gegenstände aus „Schundleder“ angepriesen. Aber Händler sind selten so aufrichtig; was da zum Kaufe empfohlen wird, ist Seehundleder.

§ 415

Der Beruf oder die gegenwärtige Situation des Lesers bestimmt auch das Ergebnis seines Verlesens. Ein Philologe, der wegen seiner letzten trefflichen Arbeiten im Streite mit seinen Fachgenossen liegt, liest „Sprachstrategie“ anstatt Schachstrategie. Ein Mann, der in einer fremden Stadt spazieren geht, gerade um die Stunde, auf welche seine durch eine Kur hergestellte Darmtätigkeit reguliert ist, liest auf einem großen Schilde im ersten Stock eines hohen Warenhauses: „Klosethaus“; seiner Befriedigung darüber mengt sich doch ein Befremden über die ungewöhnliche Unterbringung der wohltätigen Anstalt bei. Im nächsten Moment istdie Befriedigung doch geschwunden, denn die Tafelaufschrift heißt richtiger: Korsethaus.

§ 416

j) In einer zweiten Gruppe von Fällen ist der Anteil des Textes am Verlesen ein bei weitem größerer. Er enthält etwas, was die Abwehr des Lesers rege macht, eine ihm peinliche Mitteilung oder Zumutung, und erfährt darum durch das Verlesen eine Korrektur im Sinne der Abweisung oder Wunscherfüllung. Es ist dann natürlich unabweisbar anzunehmen, daß der Text zunächst richtig aufgenommen und beurteilt wurde, ehe er diese Korrektur erfuhr, wenngleich das Bewußtsein von dieser ersten Lesung nichts erfahren hat. Das Beispiel c auf den vorstehenden Seiten ist von dieser Art; ein anderes von höchster Aktualität teile ich hier nach Dr. M. Eitingon (z. Z. im Kriegsspital in Igló, Internat. Zeitschr. f. Psychoanalyse, II, 1915) mit.

§ 417

"Leutnant X., der sich mit einer kriegstraumatischen Neurose in unserem Spital befindet, liest mir eines Tages den Schlußvers der letzten Strophe eines Gedichtes des so früh gefallenen Dichters Walter Heymann** in sichtlicher Ergriffenheit folgendermaßen vor:"

§ 418

",Wo aber steht’s geschrieben, frag’ ich, daß von allen Ich übrig bleiben soll, ein andrer für mich fallen? Wer immer von euch fällt, der stirbt gewiß für mich; Und ich soll übrig bleiben! warum denn nicht?‘"

§ 419

"Durch mein Befremden aufmerksam gemacht, liest er dann, etwas betreten, richtig:"

§ 420

",Und ich soll übrig bleiben? warum denn ich?‘"

§ 421

"Dem Fall X. verdanke ich einigen analytischen Einblick in das psychische Material dieser ,Traumatischen Neurosen des" "Krieges‘, und da war es mir möglich, trotz der unserer Art zu arbeiten so wenig günstigen Verhältnisse eines Kriegslazaretts mit starkem Belag und wenig Ärzten, ein wenig über die als ,Ursache‘ hochbewerteten Granatexplosionen hinauszusehen."

* W. Heymann: Kriegsgedichte und Feldpostbriefe, p. 11: „Den Ausziehenden.“ § 422

"Es bestanden auch in diesem Falle die schweren Tremores, die den ausgesprochenen Fällen dieser Neurosen eine auf den ersten Blick frappante Ähnlichkeit verleihen, Ängstlichkeit, Weinerlichkeit, Neigung zu Wutanfällen mit konvulsiven, infantilmotorischen Entäußerungen und zu Erbrechen (,bei geringsten Aufregungen‘)."

§ 423

"Gerade des letzteren Symptoms Psychogeneität, zunächst im Dienste sekundären Krankheitsgewinnes, mußte sich jedem aufdrängen: Das Erscheinen des Spitalskommandanten, der von Zeit zu Zeit die Genesenden sich ansieht, auf der Abteilung, die Phrase eines Bekannten auf der Straße: ,Sie schauen ja prächtig aus, sind gewiß schon gesund,‘ genügen zur prompten Auslösung eines Brechanfalls."

§ 424

",Gesund... wieder einrücken... warum denn ich?...‘"

§ 425

k) Andere Fälle von „Kriegs“-Verlesen hat Dr. Hanns Sachs (Wien) in der Internat. Zeitschrift für Psychoanalyse, IV, 1916/17, mitgeteilt:

§ 426

I.

§ 427

"Ein naher Bekannter hatte mir wiederholt erklärt, er werde, wenn die Reihe an ihn komme, keinen Gebrauch von seiner, durch ein Diplom bestätigten Fachausbildung machen, sondern auf den dadurch begründeten Anspruch auf entsprechende Verwendung im Hinterlande verzichten und zum Frontdienst einrücken. Kurz bevor der Termin wirklich herankam, teilte er mir eines Tages in knappster Form, ohne weitere Begründung mit, er habe die Nachweise seiner Fachbildung an" "zuständiger Stelle vorgelegt und werde infolgedessen demnächst seine Zuteilung für eine industrielle Tätigkeit erhalten. Am nächsten Tage trafen wir uns in einem Amtslokal. Ich stand gerade vor einem Pulte und schrieb; er trat heran, sah mir eine Weile über die Schulter und sagte dann: Ach, das Wort da oben heißt ,Druckbogen‘ — ich habe es für ,Drückeberger‘ gelesen."

§ 428

II.

§ 429

"In der Tramway sitzend, dachte ich darüber nach, daß manche meiner Jugendfreunde, die immer als zart und schwächlich gegolten hatten, jetzt die allerhärtesten Strapazen zu ertragen im stande sind, denen ich ganz bestimmt erliegen würde. Mitten in diesem unerfreulichen Gedankenzuge las ich im Vorüberfahren mit halber Aufmerksamkeit die großen schwarzen Lettern einer Firmatafel: ,Eisenkonstitution‘. Einen Augenblick später fiel mir ein, daß dieses Wort für eine Geschäftsaufschrift nicht recht passe; mich rasch umdrehend, erhaschte ich noch einen Blick auf die Inschrift und sah, daß sie richtig ,Eisenkonstruktion‘ laute."

§ 430

III.

§ 431

"In den Abendblättern stand die inzwischen als unrichtig erkannte Reuterdepesche, daß Hughes zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt sei. Anschließend daran erschien ein kurzer Lebenslauf des angeblich Gewählten und in diesem stieß ich auf die Mitteilung, daß Hughes in Bonn Universitätsstudien absolviert habe. Es schien mir sonderbar, daß dieses Umstandes in den wochenlangen Zeitungsdebatten, die dem Wahltag vorangegangen waren, keine Erwähnung geschehen war. Nochmalige Überprüfung ergab denn auch, daß" "nur von der ,Brown‘-Universität die Rede war. Dieser krasse Fall, bei dem für das Zustandekommen des Verlesens eine ziemlich große Gewaltsamkeit notwendig war, erklärt sich außer aus der Flüchtigkeit bei der Zeitungslektüre vor allem daraus, daß mir die Sympathie des neuen Präsidenten für die Mittelmächte als Grundlage künftiger guter Beziehungen nicht bloß aus politischen, sondern auch darüber hinaus aus persönlichen Gründen wünschenswert schien."

§ 432

B. Verschreiben.

§ 433

a) Auf einem Blatte, welches kurze tägliche Aufzeichnungen meist von geschäftlichem Interesse enthält, finde ich zu meiner Überraschung mitten unter den richtigen Daten des Monats September eingeschlossen das verschriebene Datum „Donnerstag, den 20. Okt.“. Es ist nicht schwierig, diese Antizipation aufzuklären, und zwar als Ausdruck eines Wunsches. Ich bin wenige Tage vorher frisch von der Ferienreise zurückgekehrt und fühle mich bereit für ausgiebige ärztliche Beschäftigung, aber die Anzahl der Patienten ist noch gering. Bei meiner Ankunft fand ich einen Brief von einer Kranken vor, die sich für den 20. Oktober ankündigte. Als ich die gleiche Tageszahl im September niederschrieb, kann ich wohl gedacht haben: Die X. sollte doch schon da sein; wie schade um den vollen Monat! und in diesem Gedanken rückte ich das Datum vor. Der störende Gedanke ist in diesem Falle kaum ein änstößiger zu nennen; dafür weiß ich auch sofort die Auflösung des Schreibfehlers, nachdem ich ihn erst bemerkt habe. Ein ganz analoges und ähnlich motiviertes Verschreiben wiederhole ich dann im Herbst des nächsten Jahres. — E. Jones hat ähnliche Verschreibungen im Datum studiert und sie in den meisten Fällen leicht als motivierte erkannt.

§ 434

b) Ich erhalte die Korrektur meines Beitrags zum Jahresbericht für Neurologie und Psychiatrie und muß natürlich mit besonderer Sorgfalt die Autornamen revidieren, die, weil verschiedenen Nationen angehörig, dem Setzer die größten Schwierigkeiten zu bereiten pflegen. Manchen fremd klingenden Namen finde ich wirklich noch zu korrigieren, aber einen einzigen Namen hat merkwürdigerweise der Setzer gegen mein Manuskript verbessert, und zwar mit vollem Rechte. Ich hatte nämlich Buckrhard geschrieben, während der Setzer Burckhard erriet. Ich hatte die Abhandlung eines Geburtshelfers über den Einfluß der Geburt auf die Entstehung der Kinderlähmungen selbst als verdienstlich gelobt, wüßte auch nichts gegen deren Autor zu sagen, aber den gleichen Namen wie er trägt auch ein Schriftsteller in Wien, der mich durch eine unverständige Kritik über meine „Traumdeutung“ geärgert hat. Es ist gerade so, als hätte ich mir bei der Niederschrift des Namens Burckhard, der den Geburtshelfer bezeichnete, etwas Arges über den anderen B., den Schriftsteller, gedacht, denn Namenverdrehen bedeutet häufig genug, wie ich schon beim Versprechen erwähnt habe, Schmähung**.

§ 435

c) Diese Behauptung wird sehr schön durch eine Selbstbeobachtung von A. J. Storfer bekräftigt, in welcher der Autor mit rühmenswerter Offenheit die Motive klarlegt, dieihn den Namen eines vermeintlichen Konkurrenten falsch erinnern und dann entstellt niederschreiben hießen (Internat. Zeitschrift für Psychoanalyse, II, 1914).

* Vgl. etwa die Stelle im Julius Cäsar, III, 3: "Cinna. Ehrlich, mein Name ist Cinna." "Bürger. Reißt ihn in Stücke! er ist ein Verschworener." "Cinna. Ich bin Cinna der Poet! Ich bin nicht Cinna der Verschworene." "Bürger. Es tut nichts; sein Name ist Cinna, reißt ihm den Namen aus dem Herzen und laßt ihn laufen." § 436

"Eine hartnäckige Namenverunglimpfung."

§ 437

"Im Dezember 1910 sah ich im Schaufenster einer Züricher Buchhandlung das damals neue Buch von Dr. Eduard Hitschmann über die Freudsche Neurosenlehre. Ich arbeitete damals gerade am Manuskript eines Vortrags, den ich demnächst in einem akademischen Verein über die Grundzüge der Freudschen Psychologie halten sollte. In der damals schon niedergeschriebenen Einleitung des Vortrags hatte ich auf die historische Entwicklung der Freudschen Psychologie aus Forschungen auf einem angewandten Gebiete, auf gewisse, daraus folgende Schwierigkeiten einer zusammenfassenden Darstellung der Grundzüge hingewiesen, und darauf, daß noch keine allgemeine Darstellung bestehe. Als ich das Buch (des mir bis dahin unbekannten Autors) im Schaufenster sah, dachte ich zunächst nicht daran, es zu kaufen. Einige Tage nachher beschloß ich aber, es zu tun. Das Buch war nicht mehr im Schaufenster. Ich nannte dem Buchhändler das vor kurzem erschienene Buch; als Autor nannte ich ,Dr. Eduard Hartmann‘. Der Buchhändler verbesserte: ,Sie meinen wohl Hitschmann‘, und brachte mir das Buch."

§ 438

"Das unbewußte Motiv der Fehlleistung war naheliegend. Ich hatte es mir gewissermaßen zum Verdienst angerechnet, die Grundzüge der psychoanalytischen Lehren zusammengefaßt zu haben und habe offenbar das Buch Hitschmanns als Minderer meines Verdienstes mit Neid und Ärger angesehen. Die Abänderung des Namens sei ein Akt der unbewußten Feindseligkeit," "sagte ich mir nach der ,Psychopathologie des Alltags‘. Mit dieser Erklärung gab ich mich damals zufrieden."

§ 439

"Einige Wochen später notierte ich mir jene Fehlleistung. Bei dieser Gelegenheit warf ich auch die Frage auf, warum ich Eduard Hitschmann gerade in Eduard Hartmann umgeändert hatte. Sollte mich bloß die Namensähnlichkeit auf den Namen des bekannten Philosophen geführt haben? Meine erste Assoziation war die Erinnerung an einen Ausspruch, den ich einmal von Professor Hugo Meltzl, einem begeisterten Schopenhauerverehrer, gehört hatte und der ungefähr so lautete: ,Eduard v. Hartmann ist der verhunzte, der auf seine linke Seite umgestülpte Schopenhauer‘. Die affektive Tendenz, durch die das Ersatzgebilde für den vergessenen Namen determiniert war, war also: ,Ach, an diesem Hitschmann und seiner zusammenfassenden Darstellung wird wohl nicht viel daran sein; er verhält sich wohl zu Freud wie Hartmann zu Schopenhauer.‘"

§ 440

"Ich hatte also diesen Fall eines determinierten Vergessens mit Ersatzeinfall niedergeschrieben."

§ 441

"Nach einem halben Jahre kann mir das Blatt, auf dem ich die Aufzeichnung gemacht hatte, in die Hand. Da bemerkte ich, daß ich statt Hitschmann durchwegs Hintschmann geschrieben hatte."

§ 442

d) Ein anscheinend ernsterer Fall von Verschreiben, den ich vielleicht mit ebensoviel Recht dem „Vergreifen“ einordnen könnte: Ich habe die Absicht, mir aus der Postsparkasse die Summe von 300 Kronen kommen zu lassen, die ich einem zum Kurgebrauch abwesenden Verwandten schicken will. Ich bemerke dabei, daß mein Konto auf 4380 K lautet und nehme mir vor, es jetzt auf die runde Summe von 4000 K herunterzusetzen, die in der nächsten Zeit nicht angegriffen werden soll. Nachdem ich den Scheck ordnungsmäßig ausgeschrieben und dieder Zahl entsprechenden Ziffern ausgeschnitten habe, merke ich plötzlich, daß ich nicht 380 K, wie ich wollte, sondern gerade 438 bestellt habe, und erschrecke über die Unzuverlässigkeit meines Tuns. Den Schreck erkenne ich bald als unberechtigt; ich bin ja jetzt nicht ärmer geworden, als ich vorher war. Aber ich muß eine ganze Weile darüber nachsinnen, welcher Einfluß hier meine erste Intention gestört hat, ohne sich meinem Bewußtsein anzukündigen. Ich gerate zuerst auf falsche Wege, will die beiden Zahlen, 380 und 438, voneinander abziehen, weiß aber dann nicht, was ich mit der Differenz anfangen soll. Endlich zeigt mir ein plötzlicher Einfall den wahren Zusammenhang. 438 entspricht ja zehn Prozent des ganzen Kontos von 4380 K! 10% Rabatt hat man aber beim Buchhändler. Ich besinne mich, daß ich vor wenigen Tagen eine Anzahl medizinischer Werke, die ihr Interesse für mich verloren haben, ausgesucht, um sie dem Buchhändler gerade für 300 K anzubieten. Er fand die Forderung zu hoch und versprach, in den nächsten Tagen endgültige Antwort zu sagen. Wenn er mein Angebot annimmt, so hat er mir gerade die Summe ersetzt, welche ich für den Kranken verausgaben soll. Es ist nicht zu verkennen, daß es mir um diese Ausgabe leid tut. Der Affekt bei der Wahrnehmung meines Irrtums läßt sich besser verstehen als Furcht, durch solche Ausgaben arm zu werden. Aber beides, das Bedauern wegen dieser Ausgabe und die an sie geknüpfte Verarmungsangst, sind meinem Bewußtsein völlig fremd; ich habe das Bedauern nicht verspürt, als ich jene Summe zusagte, und fände die Motivierung desselben lächerlich. Ich würde mir eine solche Regung wahrscheinlich gar nicht zutrauen, wenn ich nicht durch die Übung in Psychoanalysen bei Patienten mit dem Verdrängten im Seelenleben ziemlich vertraut wäre,

§ 443

e) Nach W. Stekel zitiere ich folgenden Fall, für dessen Authentizität ich gleichfalls einstehen kann : „Ein geradezu unglaubliches Beispiel im Verschreiben und Verlesen ist in der Redaktion eines verbreiteten Wochenblattes vorgekommen. Die betreffende Leitung wurde öffentlich als ,käuflich‘ bezeichnet; es galt, einen Artikel der Abwehr und Verteidigung zu schreiben. Das geschah auch — mit großer Wärme und großem Pathos. Der Chefredakteur des Blattes las den Artikel, der Verfasser selbstverständlich mehrmals im Manuskript, dann noch im Bürstenabzug, alle waren sehr befriedigt. Plötzlich meldet sich der Korrektor und macht auf einen kleinen Fehler aufmerksam, der der Aufmerksamkeit aller entgangen war. Dort stand es ja deutlich: Unsere Leser werden uns das Zeugnis ausstellen, daß wir immer in eigennützigster Weise für das Wohl der Allgemeinheit eingetreten sind. Selbstverständlich sollte es uneigennützigster Weise heißen. Aber die wahren Gedanken brachen mit elementarer Gewalt durch die pathetische Rede.“

§ 444

f) Einer Leserin des „Pester Lloyd“, Frau Kata Levy in Budapest, ist kürzlich eine ähnlich unbeabsichtigte Aufrichtigkeit in einer Äußerung aufgefallen, die sich das Blatt am 11. Oktober 1918 aus Wien hatte telegraphieren lassen:

§ 445

„Als zweifellos darf auf Grund des absoluten Vertrauensverhältnisses, das während des ganzen Krieges zwischen uns und dem deutschen Verbündeten geherrscht hat, vorausgesetztwerden, daß die beiden Mächte in jedem Falle zu einer einmütigen Entschließung gelangen würden. Es ist überflüssig, noch ausdrücklich zu erwähnen, daß auch in der gegenwärtigen Phase ein reges und lückenhaftes Zusammenarbeiten der verbündeten Diplomatien stattfindet.“

* Es ist dies jener Traum, den ich in einer kurzen Abhandlung: „Über den Traum“, Nr. VIII der „Grenzfragen des Nerven- und Seelenlebens“, herausgegeben von Löwenfeld und Kurella, 1901, zum Paradigma genommen habe. § 446

Nur wenige Wochen später konnte man sich über dieses „Vertrauensverhältnis“ freimütiger äußern, brauchte man nicht mehr zum Verschreiben (oder Verdrucken) zu flüchten.

§ 447

g) Ein in Europa weilender Amerikaner, der seine Frau in schlechtem Einvernehmen verlassen hat, glaubt, daß er sich nun mit ihr versöhnen könne, und fordert sie auf, ihm zu einem bestimmten Termin über den Ozean nachzukommen: „Es wäre schön,“ schreibt er, „wenn Du wie ich mit der Mauretania fahren könntest.“ Das Blatt, auf dem dieser Satz steht, getraut er sich dann aber nicht abzuschicken. Er zieht es vor, es neu zu schreiben. Denn er will nicht, daß sie die Korrektur bemerke, die an dem Namen des Schiffes notwendig geworden war. Er hatte nämlich anfänglich Lusitania geschrieben.

§ 448

Dies Verschreiben bedarf keiner Erläuterung, es ist ohne weiteres deutbar. Doch läßt die Gunst des Zufalls noch einiges hinzufügen: Seine Frau war vor dem Kriege zum erstenmal nach Europa gefahren, nach dem Tode ihrer einzigen Schwester. Wenn ich nicht irre, ist die Mauretania das überlebende Schwesterschiff der während des Krieges versenkten Lusitania.

§ 449

h) Ein Arzt hat ein Kind untersucht und schreibt nun ein Rezept für dasselbe nieder, in welchem Alcohol vorkommt. Die Mutter belästigt ihn während dieser Tätigkeit mit törichten und überflüssigen Fragen. Er nimmt sich innerlich fest vor, sich jetzt darüber nicht zu ärgern, führt diesen Vorsatzauch durch, hat sich aber während der Störung verschrieben. Auf dem Rezept steht anstatt Alcohol zu lesen Achol**.

§ 450

Der stofflichen Verwandtschaft wegen reihe ich hier einen Fall an, den E. Jones von A. A. Brill berichtet. Letzterer hatte sich, obwohl sonst völlig abstinent, von einem Freunde verleiten lassen, etwas Wein zu trinken. Am nächsten Morgen gab ihm ein heftiger Kopfschmerz Anlaß, diese Nachgiebigkeit zu bedauern. Er hatte den Namen einer Patientin niederzuschreiben, die Ethel hieß, und schrieb anstatt dessen Ethyl**. Es kam dabei wohl auch in Betracht, daß die betreffende Dame selbst mehr zu trinken pflegte, als ihr gut tat.

§ 451

Da ein Verschreiben des Arztes beim Rezeptieren eine Bedeutung beansprucht, die weit über den sonstigen praktischen Wert der Fehlleistungen hinausgeht, bediene ich mich des Anlasses, um die einzige bis jetzt publizierte Analyse von solchem ärztlichen Verschreiben ausführlich mitzuteilen (Internationale Zeitschrift für Psychoanalyse, I, 1913).

§ 452

Ein wiederholter Fall von Verschreiben bei der Rezeptierung.

§ 453

Von Dr. Ed. Hitschmann.

§ 454

"Ein Kollege erzählte mir, es sei ihm im Laufe der Jahre mehrmals passiert, daß er sich beim Verschreiben eines bestimmten Medikaments für weibliche Patienten vorgeschrittenen Alters irrte. Zweimal verschrieb er die zehnfache Dosis und mußte nachher, da ihm dies plötzlich einfiel, unter größter Angst, der Patientin geschadet zu haben und selbst in größte Unannehmlichkeit zu kommen, eiligst die Zurückziehung des Rezepts anstreben. Diese sonderbare Symptomhandlung ver-" "dient durch genauere Darstellung der einzelnen Fälle und durch Analyse klargelegt zu werden."

* Etwa: Keine Galle. ** Äthylalkohol. § 455

"1. Fall: Der Arzt verschreibt einer an der Schwelle des Greisenalters stehenden armen Frau gegen spastische Obstipation zehnfach zu starke Belladonna-Zäpfchen. Er verläßt das Ambulatorium und etwa eine Stunde später fällt ihm zu Hause, während er Zeitung liest und frühstückt, plötzlich sein Irrtum ein; es überfällt ihn Angst, er eilt zunächst ins Ambulatorium zurück, um die Adresse der Patientin zu requirieren, und von dort in ihre weit entlegene Wohnung. Er findet das alte Weiblein noch mit unausgeführtem Rezept, worüber er höchst erfreut und beruhigt heimkehrt. Er entschuldigt sich vor sich selbst nicht ohne Berechtigung damit, daß ihm der gesprächige Chef der Ambulanz während der Rezeptur über die Schulter geschaut und ihn gestört hatte."

§ 456

"2. Fall: Der Arzt muß sich aus seiner Ordination von einer koketten und pikant schönen Patientin losreißen, um ein älteres Fräulein ärztlich aufzusuchen. Er benützt ein Automobil, da er nicht viel Zeit für diesen Besuch übrig hat; denn er soll um eine bestimmte Stunde, nahe von ihrer Wohnung, ein geliebtes junges Mädchen heimlich treffen. Auch hier ergibt sich die Indikation für Belladonna wegen analoger Beschwerden wie im ersten Falle. Es wird wieder der Fehler begangen, das Medikament zehnfach zu stark zu rezeptieren. Die Patientin bringt einiges nicht zum Gegenstand gehörige Interessante vor, der Arzt aber verrät Ungeduld, wenn er sie auch mit Worten verleugnet, und verläßt die Patientin, so daß er reichlich zurecht zum Rendezvous erscheint. Etwa zwölf Stunden nachher, gegen sieben Uhr morgens, erwacht der Arzt; der Einfall seines Verschreibens und Angst treten fast gleichzeitig in sein Bewußtsein, und er sendet rasch zu der" "Kranken, in der Hoffnung, daß das Medikament noch nicht aus der Apotheke geholt sei, und bittet um Rückstellung des Rezepts, um es zu revidieren. Er erhält jedoch das bereits ausgeführte Rezept zurück und begibt sich mit einer gewissen stoischen Resignation und dem Optimismus des Erfahrenen in die Apotheke, wo ihn der Provisor damit beruhigt, daß er selbstverständlich (oder vielleicht auch durch ein Versehen?) das Medikament in einer geringeren Dosis verabreicht habe."

§ 457

"3. Fall: Der Arzt will seiner greisen Tante, Schwester seiner Mutter, die Mischung von Tinct. belladonnnae und Tinct. opii in harmloser Dosis verschreiben. Das Rezept wird sofort durch das Mädchen in die Apotheke getragen. Ganz kurze Zeit später fällt dem Arzt ein, daß er anstatt tinctura ,extractum‘ geschrieben habe, und gleich darauf telephoniert der Apotheker, über diesen Irrtum interpellierend. Der Arzt entschuldigt sich mit der erlogenen Ausrede, er hätte das Rezept noch nicht vollendet gehabt, es sei ihm durch die unerwartet rasche Wegnehmung des Rezepts vom Tische die Schuld abgenommen."

§ 458

"Die auffällig gemeinsamen Punkte dieser drei Irrtümer in der Verschreibung sind darin gelegen, daß es dem Arzte nur bei diesem einen Medikament bisher passiert ist, daß es sich jedesmal um eine weibliche Patientin im vorgeschrittenen Alter handelte und daß die Dosis immer zu stark war. Bei der kurzen Analyse stellte es sich heraus, daß das Verhältnis des Arztes zur Mutter von entscheidender Bedeutung sein mußte. Es fiel ihm nämlich ein, daß er einmal — und zwar höchstwahrscheinlich vor diesen Symptomhandlungen — seiner gleichfalls greisen Mutter dasselbe Rezept verschrieben hatte, und zwar in der Dosis von 0·03, obwohl die gewöhnliche 0·02 ihm geläufiger war, um ihr radikal zu helfen, wie er sich" "dachte. Die Reaktion der zarten Mutter auf dieses Medikament war Kopfkongestion und unangenehme Trockenheit im Rachen. Sie beklagte sich darüber mit einer halb scherzhaften Anspielung auf die gefährlichen Ordinationen, die von einem Sohne ausgehen können. Auch sonst hat die Mutter, übrigens Arztenstochter, gegen gelegentlich vom ärztlichen Sohne empfohlene Medikamente ähnlich ablehnende, halb scherzhafte Einwendungen erhoben und vom Vergiften gesprochen."

§ 459

"Soweit Referent die Beziehungen dieses Sohnes zu seiner Mutter durchschaut, ist er zwar ein instinktiv liebevolles Kind, aber in der geistigen Schätzung der Mutter und im persönlichen Respekt keineswegs übertrieben. Mit dem um ein Jahr jüngeren Bruder und der Mutter in gemeinsamem Haushalt lebend, empfindet er dieses Zusammensein seit Jahren für seine erotische Freiheit als Hemmung, wobei wir allerdings aus psychoanalytischer Erfahrung wissen, daß solche Begründungen zum Vorwand für inneres Gebundensein gern mißbraucht werden. Der Arzt akzeptierte die Analyse unter ziemlicher Befriedigung über die Aufklärung und meinte lächelnd, das Wort Belladonna = schöne Frau könnte auch eine erotische Beziehung bedeuten. Er hat das Medikament früher gelegentlich auch selbst verwendet."

§ 460

Ich möchte urteilen, daß solche ernsthafte Fehlleistungen auf keinem anderen Wege zu stande kommen als die harmlosen, die wir sonst untersuchen.

§ 461

i) Für ganz besonders harmlos wird man das nachstehende, von S. Ferenczi berichtete Verschreiben halten. Man kann es als Verdichtungsleistung infolge von Ungeduld deuten (vgl. das Versprechen: Der Apfe, S. 73) und wird diese Auffassung verteidigen dürfen, bis nicht etwa eine eingehende Analyse des Vorfalls ein stärkeres störendes Moment nachgewiesen hätte:

§ 462

Hiezu paßt die Anektode“ — schreibe ich einmal in mein Notizbuch. Natürlich meinte ich Anekdote, und zwar von einem zu Tode verurteilten Zigeuner, der sich die Gnade erbat, selber den Baum zu wählen, auf den er gehängt werden soll. (Er fand trotz eifrigen Suchens keinen passenden Baum.)

§ 463

j) Andere Male kann im Gegensatz hiezu der unscheinbarste Schreibfehler gefährlichen geheimen Sinn zum Ausdruck bringen. Ein Anonymus berichtet:

§ 464

„Ich schließe einen Brief mit den Worten: ,Herzlichste Grüße an Ihre Frau Gemahlin und ihren Sohn.‘ Knapp bevor ich das Blatt ins Kuvert stecke, bemerke ich den Irrtum im Anfangsbuchstaben bei ,ihren Sohn‘ und verbessere ihn. Auf dem Heimweg von dem letzten Besuche bei diesem Ehepaar hatte meine Begleiterin bemerkt, der Sohn sehe einem Hausfreund frappant ähnlich und sei auch sicher sein Kind.“

§ 465

k) Eine Dame richtet an ihre Schwester einige beglückwünschende Zeilen zum Einzug in deren neue und geräumige Wohnung. Eine dabei anwesende Freundin bemerkt, daß die Schreiberin eine falsche Adresse auf den Brief gesetzt hat, und zwar nicht die der eben verlassenen Wohnung, sondern die der ersten, längst aufgegebenen, welche die Schwester als eben verheiratete Frau bezogen hatte. Sie macht die Schreiberin darauf aufmerksam. Sie haben Recht, muß diese zugeben, aber wie komme ich darauf? Warum habe ich das getan? Die Freundin meint: Wahrscheinlich gönnen Sie ihr die schöne große Wohnung nicht, die sie jetzt bekommen soll, während Sie sich selbst im Raum beengt fühlen, und versetzen sie darum in die erste Wohnung zurück, in der sie es auch nicht besser hatte. — Gewiß gönne ich ihr die neue Wohnung nicht, gesteht dieandere ehrlich zu. Sie setzt dann fort: Wie schade, daß man bei diesen Dingen immer so gemein ist!

§ 466

l) E. Jones teilt folgendes, ihm von A. A. Brill überlassene Beispiel vom Verschreiben mit: Ein Patient richtete an Dr. Brill ein Schreiben, in welchem er sich bemühte, seine Nervosität auf die Sorge und Erregung über den Geschäftsgang während einer Baumwollkrise zurückzuführen. In diesem Schreiben hieß es: my trouble is all due to that damned frigid wave; there is’nt even any seed. Er meinte mit „wave“ natürlich eine Welle, Strömung auf dem Geldmarkt; in Wirklichkeit schrieb er aber nicht wave, sondern wife. Auf dem Grunde seines Herzens ruhten Vorwürfe gegen seine Frau, wegen ihrer ehelichen Kälte und ihrer Kinderlosigkeit, und er war nicht weit entfernt von der Erkenntnis, daß die ihm aufgezwungene Entbehrung einen großen Anteil an der Verursachung seines Leidens habe.

§ 467

m) Dr. R. Wagner erzählt von sich im Zentralblatt für Psychoanalyse, I, 12:

§ 468

"Beim Durchlesen eines alten Kollegienheftes fand ich, daß mir in der Geschwindigkeit des Mitschreibens ein kleiner Lapsus unterlaufen war. Statt ,Epithel‘ hatte ich nämlich ,Edithel‘ geschrieben. Mit Betonung der ersten Silbe gibt das das Diminutivum eines Mädchennamens. Die retrospektive Analyse ist einfach genug. Zur Zeit des Verschreibens war die Bekanntschaft zwischen mir und der Trägerin dieses Namens nur eine ganz oberflächliche, und erst viel später wurde daraus ein intimer Verkehr. Das Verschreiben ist also ein hübscher Beweis für den Durchbruch der unbewußten Neigung zu einer Zeit, wo ich selbst eigentlich davon noch keine Ahnung hatte, und die gewählte Form des Diminutivums charakterisiert gleichzeitig die begleitenden Gefühle."

§ 469

n) Frau Dr. v. Hug-Hellmuth, Beiträge zum Kapitel „Verschreiben und Verlesen“, Zentralbl. f. Psychoanalyse, II, 5: "Ein Arzt verordnet einer Patientin Levitico- statt Levicowasser. Dieser Irrtum, der einem Apotheker willkommenen Anlaß zu abfälligen Bemerkungen gegeben hatte, kann leicht einer milderen Auffassung begegnen, wenn man nach den möglichen Beweggründen aus dem Unbewußten forscht und ihnen, sind sie auch nur subjektive Annahme eines diesem Arzte Fernstehenden, eine gewisse Wahrscheinlichkeit nicht von vornherein abspricht: Dieser Arzt erfreute sich, trotzdem er seinen Patienten ihre wenig rationelle Ernährung in ziemlich derben Worten vorhielt, ihnen sozusagen die Leviten las, starken Zuspruchs, so daß sein Wartezimmer vor und in der Ordinationsstunde dicht besetzt war, was den Wunsch des Arztes rechtfertigte, das Ankleiden der absolvierten Patienten möge sich möglichst rasch, vite, vite vollziehen. Wie ich mich richtig zu erinnern glaubte, war seine Gattin aus Frankreich gebürtig, was die etwas kühn scheinende Annahme, daß er sich bei seinem Wunsche nach größerer Geschwindigkeit seiner Patienten gerade der französischen Sprache bediente, einigermaßen rechtfertigt. Übrigens ist es eine bei vielen Personen anzutreffende Gewohnheit, solch Wünschen in fremder Sprache Worte zu verleihen, wie mein eigener Vater uns Kinder bei Spaziergängen gern durch den Zuruf ,Avanti gioventù‘ oder ,Marchez au pas‘ zur Eile drängte, dagegen wieder ein schon recht bejahrter Arzt, bei dem ich als junges Mädchen wegen eines Halsübels in Behandlung stand, meine ihm allzu raschen Bewegungen durch ein beschwichtigendes ,Piano, piano‘ zu hemmen suchte. So erscheint es mir recht gut denkbar, daß auch jener Arzt dieser Gewohnheit huldigte; und so ,verschreibt‘ er Levitico- — statt Levicowasser."

§ 470

Andere Beispiele aus der Jugenderinnerung der Verfasserin ebendaselbst (frazösisch statt französisch — Verschreiben des Namens Karl).

§ 471

o) Ein Verschreiben, das sich inhaltlich mit einem bekannten schlechten Witz deckt, bei dem aber die Witzabsicht sicherlich ausgeschlossen war, danke ich der Mitteilung eines Herrn J. G., von dem ein anderer Beitrag bereits Erwähnung gefunden hat:

§ 472

„Als Patient eines (Lungen-) Sanatoriums erfahre ich zu meinem Bedauern, daß bei einem nahen Verwandten dieselbe Krankheit konstatiert wurde, die mich zur Aufsuchung einer Heilanstalt genötigt hat.

§ 473

In einem Briefe lege ich nun meinem Verwandten nahe, zu einem Spezialisten zu gehen, einem bekannten Professor, bei dem ich selbst in Behandlung stehe, und von dessen medizinischer Autorität ich überzeugt bin, während ich anderseits allen Grund habe, seine Unhöflichkeit zu beklagen; denn der betreffende Professor hat mir — erst kurze Zeit vorher — die Ausstellung eines Zeugnisses verweigert, das für mich von großer Wichtigkeit war.

§ 474

In der Antwort auf meinen Brief werde ich von meinem Verwandten auf einen Schreibfehler aufmerksam gemacht, der mich, da ich seine Ursache augenblicklich erkannte, außerordentlich erheiterte.

§ 475

Ich hatte in meinem Schreiben folgenden Passus verwendet:

§ 476

,. . . . übrigens rate ich Dir, ohne Verzögerung Prof. X. zu insultieren.‘ Natürlich hatte ich konsultieren schreiben wollen.

§ 477

Es bedarf vielleicht des Hinweises darauf, daß meine Latein- und Französischkenntnisse die Erklärung ausschalten,daß es sich um einen aus Unwissenheit resultierenden Fehler handelte.“

§ 478

Auslassungen im Schreiben haben natürlich Anspruch auf dieselbe Beurteilung wie Verschreibungen. Im Zentralblatt für Psychoanalyse, I, 12, hat Jur. Dr. B. Dattner ein merkwürdiges Beispiel einer „historischen Fehlleistung“ mitgeteilt. In einem der Gesetzesartikel über finanzielle Verpflichtungen der beiden Staaten, welche in dem Ausgleich zwischen Österreich und Ungarn im Jahre 1867 vereinbart wurden, ist das Wort effektiv in der ungarischen Übersetzung weggeblieben, und Dattner macht es wahrscheinlich, daß die unbewußte Strömung der ungarischen Gesetzesredaktoren, Österreich möglichst wenig Vorteile zuzugestehen, an dieser Auslassung beteiligt gewesen sei.

§ 479

Wir haben auch allen Grund anzunehmen, daß die so häufigen Wiederholungen derselben Worte beim Schreiben und Abschreiben — Perseverationen — gleichfalls nicht bedeutungslos sind. Setzt der Schreiber dasselbe Wort, das er bereits geschrieben hat, noch ein zweites Mal hin, so zeigt er damit wohl, daß er von diesem Worte nicht so leicht losgekommen ist, daß er an dieser Stelle mehr hätte äußern können, was er aber unterlassen hat, oder ähnliches. Die Perseveration beim Abschreiben scheint die Äußerung eines „auch, auch ich“ zu ersetzen. Ich habe lange gerichtsärztliche Gutachten in der Hand gehabt, welche Perseverationen von seiten des Abschreibers an besonders ausgezeichneten Stellen aufwiesen, und hätte sie gern so gedeutet, als ob der seiner unpersönlichen Rolle Überdrüssige die Glosse einfügen würde: Ganz mein Fall, oder ganz so wie bei uns.

§ 480

Es steht ferner nichts im Wege, die Druckfehler als „Verschreibungen“ des Setzers zu behandeln und sie als größtenteilsmotiviert aufzufassen. Eine systematische Sammlung solcher Fehlleistungen, die recht amüsant und lehrreich ausfallen könnte, habe ich nicht angelegt. Jones hat in seiner hier mehrfach erwähnten Arbeit den „Misprints“ einen besonderen Absatz gewidmet. Auch die Entstellungen in Telegrammen lassen sich gelegentlich als Verschreibungen des Telegraphisten verstehen. In den Sommerferien trifft mich ein Telegramm meines Verlages, dessen Text mir unbegreiflich ist. Es lautet:

§ 481

Vorräte erhalten, Einladung X. dringend. Die Lösung des Rätsels geht von dem darin erwähnten Namen X. aus. X. ist doch der Autor, zu dessen Buch ich eine Einleitung schreiben soll. Aus dieser Einleitung ist die Einladung geworden. Dann darf ich mich aber erinnern, daß ich vor einigen Tagen eine Vorrede zu einem anderen Buch an den Verlag abgeschickt habe, deren Eintreffen mir also so bestätigt wird. Der richtige Text hat sehr wahrscheinlich so geheißen:

§ 482

Vorrede erhalten, Einleitung X. dringend. Wir dürfen annehmen, daß er einer Bearbeitung durch den Hungerkomplex des Telegraphisten zum Opfer gefallen ist, wobei übrigens die beiden Hälften des Satzes in innigeren Zusammenhang gebracht wurden, als vom Absender beabsichtigt war. Nebstbei ein schönes Beispiel von „sekundärer Bearbeitung“, wie sie in den meisten Träumen nachweisbar ist**.

§ 483

Gelegentlich sind von Anderen Druckfehler aufgezeigt worden, denen man eine Tendenz nicht leicht streitig machen kann, so von Storfer (im Zentralblatt für Psychoanalyse, II, 1914: „Der politische Druckfehlerteufel“) und ibid. III, 1915, die kleine Notiz, die ich hier abdrucke:

* Vgl. Traumdeutung, fünfte Auflage, 1919, Abschnitt über die Traumarbeit, i. § 484

"Ein politischer Druckfehler"

§ 485

"findet sich in der Nummer des ,März‘ vom 25. April d. J. In einem Briefe aus Argyrokastron wurden Äußerungen von Zographos, dem Führer der aufständischen Epiroten in Albanien (oder wenn man will: dem Präsidenten der unabhängigen Regierung des Epirus) wiedergegeben. U. a. heißt es: ,Glauben Sie mir; ein autonomer Epirus läge im ureigensten Interesse des Fürsten Wied. Auf ihn könnte er sich stürzen. . .‘ Daß die Annahme der Stütze, die ihm die Epiroten anbieten, seinen Sturz bedeuten würde, weiß wohl der Fürst von Albanien auch ohne jenen fatalen Druckfehler." “ (Mitgeteilt von A. J. Storfer.)

§ 486

Ich las selbst vor kurzem in einer unserer Wiener Tages— zeitungen einen Aufsatz „die Bukowina unter rumänischer Herrschaft“, dessen Überschrift man zum mindesten als verfrüht erklären durfte, denn damals hatten sich die Rumänen noch nicht zu ihrer Feindseligkeit bekannt. Es hätte nach dem Inhalt unzweifelhaft russisch anstatt rumänisch heißen müssen, aber auch dem Zensor scheint die Zusammenstellung so wenig befremdend gewesen zu sein, daß er selbst diesen Druckfehler übersah.

§ 487

Wundt gibt eine bemerkenswerte Begründung für die leicht zu bestätigende Tatsache, daß wir uns leichter verschreiben als versprechen (l. c. S. 374). „ "Im Verlaufe der normalen Rede ist fortwährend die Hemmungsfunktion des Willens dahin gerichtet, Vorstellungsverlauf und Artikulationsbewegung miteinander in Einklang zu bringen. Wird die den Vorstellungen folgende Ausdrucksbewegung durch mechanische Ursachen verlangsamt wie beim Schreiben. . ., so treten daher solche Antizipationen besonders leicht ein."

§ 488

Die Beobachtung der Bedingungen, unter denen das Verlesen auftritt, gibt Anlaß zu einem Zweifel, den ich nicht unerwähnt lassen möchte, weil er nach meiner Schätzung der Ausgangspunkt einer fruchtbaren Untersuchung werden kann. Es ist jedermann bekannt, wie häufig beim Vorlesen die Aufmerksamkeit des Lesenden den Text verläßt und sich eigenen Gedanken zuwendet. Die Folge dieses Abschweifens der Aufmerksamkeit ist nicht selten, daß er überhaupt nicht anzugeben weiß, was er gelesen hat, wenn man ihn im Vorlesen unterbricht und befragt. Er hat dann wie automatisch gelesen, aber er hat fast immer richtig vorgelesen. Ich glaube nicht, daß die Lesefehler sich unter solchen Bedingungen merklich vermehren. Von einer ganzen Reihe von Funktionen sind wir auch gewohnt anzunehmen, daß sie automatisch, also von kaum bewußter Aufmerksamkeit begleitet, am exaktesten vollzogen werden. Daraus scheint zu folgen, daß die Aufmerksamkeitsbedingung der Sprech-, Lese- und Schreibfehler anders zu bestimmen ist, als sie bei Wundt lautet (Wegfall oder Nachlaß der Aufmerksamkeit). Die Beispiele, die wir der Analyse unterzogen haben, gaben uns eigentlich nicht das Recht, eine quantitative Verminderung der Aufmerksamkeit anzunehmen; wir fanden, was vielleicht nicht ganz dasselbe ist, eine Störung der Aufmerksamkeit durch einen fremden, Anspruch erhebenden Gedanken**.

* Zwischen „Verschreiben“ und „Vergessen“ darf man den Fall einschalten, daß jemand eine Unterschrift anzubringen vergißt. Ein nicht unterschriebener Scheck ist soviel wie ein vergessener. Für die Bedeutung eines solchen Vergessens will ich eine Stelle aus einem Roman anführen, die Dr. H. Sachs aufgefallen ist: „Ein sehr lehrreiches und durchsichtiges Beispiel, mit welcher Sicherheit die Dichter den Mechanismus der Fehl- und Symptomhandlungen im Sinne der Psychoanalyse zu verwenden wissen, enthält der Roman von John Galsworthy: ,The Island Pharisees.‘ Im Mittelpunkte steht dasSchwanken eines jungen Mannes, der dem reichen Mittelstand angehört, zwischen tiefem sozialen Mitgefühl und den gesellschaftlichen Konventionen seiner Klasse. Im XXVI. Kapitel wird geschildert, wie er auf einen Brief eines jungen Vagabunden reagiert, den er, durch seine originelle Lebensauffassung angezogen, einigemal unterstützt hatte. Der Brief enthält keine direkte Bitte um Geld, aber die Schilderung einer großen Notlage, die keine andere Deutung zuläßt. Der Empfänger weist zunächst den Gedanken von sich, das Geld an einen Unverbesserlichen wegzuwerfen, statt damit wohltätige Anstalten zu unterstützen. ,Eine helfende Hand, ein Stück von sich selbst, ein kameradschaftliches Nicken einem Mitgeschöpf zu geben, ohne Rücksicht auf einen Anspruch, nur weil es ihm eben schlecht ging, welch ein sentimentaler Unsinn! Irgendwo muß der Scheidestrich gezogen werden!‘ Aber während er diese Schlußfolgerung vor sich hinmurmelte, fühlte er, wie seine Aufrichtigkeit Einspruch erhob: ,Schwindler! Du willst dein Geld behalten, das ist alles!‘Er schreibt daraufhin einen freundlichen Brief, der mit den Worten endigt: „Ich schließe einen Scheck bei. Aufrichtig Ihr Richard Shelton.“„Bevor er noch den Scheck geschrieben hatte, lenkte eine Motte, die um die Kerze schwirrte, seine Aufmerksamkeit ab; er ging daran, sie zu fangen und im Freien loszulassen, darüber vergaß er aber, daß der Scheck nicht in den Brief eingeschlossen war.“ Der Brief wird auch wirklich, so wie er ist, befördert.Das Vergessen ist aber noch feiner motiviert als durch die Durchsetzung der scheinbar überwundenen selbstsüchtigen Tendenz, sich die Ausgabe zu ersparen.Shelton fühlt sich auf dem Landsitz seiner künftigen Schwiegereltern mitten zwischen seiner Braut, ihrer Familie und deren Gästen vereinsamt; durch seine Fehlhandlung wird angedeutet, daß er sich nach seinem Schützling sehnt, der durch seine Vergangenheit und Lebensauffassung den vollsten Gegensatz zu der ihn umgebenden tadellosen, nach ein und derselben Konvention gleichförmig abgestempelten Umgebung bildet. Tatsächlich kommt dieser, der ohne die Unterstützung sich auf seinem Posten nicht mehr halten kann, einige Tage nachher an, um sich Aufklärung über die Gründe der Abwesenheit des angekündigten Schecks zu verschaffen.“ § 489

VII.

§ 490

VERGESSEN VON EINDRÜCKEN UND VORSÄTZEN.

§ 491

Wenn jemand geneigt sein sollte, den Stand unserer gegenwärtigen Kenntnis vom Seelenleben zu überschätzen, so brauchte man ihn nur an die Gedächtnisfunktion zu mahnen, um ihn zur Bescheidenheit zu zwingen. Keine psychologische Theorie hat es noch vermocht, von dem fundamentalen Phänomen des Erinnerns und Vergessens im Zusammenhange Rechenschaft zu geben; ja, die vollständige Zergliederung dessen, was man als tatsächlich beobachten kann, ist noch kaum in Angriff genommen. Vielleicht ist uns heute das Vergessen rätselhafter geworden als das Erinnern, seitdem uns das Studium des Traumes und pathologischer Ereignisse gelehrt hat, daß auch das plötzlich wieder im Bewußtsein auftauchen kann, was wir für längst vergessen geschätzt haben.

§ 492

Wir sind allerdings im Besitze einiger weniger Gesichtspunkte, für welche wir allgemeine Anerkennung erwarten. Wir nehmen an, daß das Vergessen ein spontaner Vorgang ist, dem man einen gewissen zeitlichen Ablauf zuschreiben kann. Wir heben hervor, daß beim Vergessen eine gewisse Auswahl unter den dargebotenen Eindrücken stattfindet und ebenso unter den Einzelheiten eines jeden Eindrucks oder Erlebnisses. Wir kennen einige der Bedingungen für die Haltbarkeit im Gedächtnis und für die Erweckbarkeit dessen, was sonst vergessen würde. Bei unzähligen Anlässen im täglichen Leben können wir aber bemerken, wie unvollständig und unbefriedigend unsere Erkenntnis ist. Man höre zu, wie zwei Personen, die gemeinsam äußere Eindrücke empfangen, z. B. eine Reise miteinander gemacht haben, eine Zeitlang später ihre Erinnerungen austauschen. Was dem einen fest im Gedächtnis geblieben ist, das hat der andere oft vergessen, als ob es nicht geschehen wäre, und zwar ohne daß man ein Recht zur Behauptung hätte, der Eindruck sei für den einen psychisch bedeutsamer gewesen als für den anderen. Eine ganze Anzahl der die Auswahl fürs Gedächtnis bestimmenden Momente entzieht sich offenbar noch unserer Kenntnis.

§ 493

In der Absicht, zur Kenntnis der Bedingungen des Vergessens einen kleinen Beitrag zu liefern, pflege ich die Fälle, in denen mir das Vergessen selbst widerfährt, einer psychologischen Analyse zu unterziehen. Ich beschäftige mich in der Regel nur mit einer gewissen Gruppe dieser Fälle, mit jenen nämlich, in denen das Vergessen mich in Erstaunen setzt, weil ich nach meiner Erwartung das Betreffende wissen sollte. Ich will noch bemerken, daß ich zur Vergeßlichkeit im allgemeinen (für Erlebtes, nicht für Gelerntes!) nicht neige, und daß ich durch eine kurze Periode meiner Jugend auch außergewöhnlicher Gedächtnisleistungen nicht unfähig war. In meiner Schulknabenzeit war es mir selbstverständlich, die Seite des Buches, die ich gelesen hatte, auswendig hersagen zu können, und kurz vor der Universität war ich im stande, populäre Vorträge wissenschaftlichen lnhalts unmittelbar nachher fast wortgetreu niederzuschreiben. In der Spannung vor dem letzten medizinischen Rigorosum muß ich noch Gebrauch von dem Reste dieser Fähigkeit gemacht haben, denn ich gab in einigen Gegenständen den Prüfern wie automatisch Antworten, die sich getreu mit dem Texte des Lehrbuches deckten, welchen ich doch nur einmal in der größten Hast durchflogen hatte.

§ 494

Die Verfügung über den Gedächtnisschatz ist seither bei mir immer schlechter geworden, doch habe ich mich bis in die letzte Zeit hinein überzeugt, daß ich mit Hilfe eines Kunstgriffes weit mehr erinnern kann, als ich mir sonst zutraue. Wenn z. B. ein Patient in der Sprechstunde sich darauf beruft, daß ich ihn schon einmal gesehen habe, und ich mich weder an die Tatsache noch an den Zeitpunkt erinnern kann, so helfe ich mir, indem ich rate, d. h. mir rasch eine Zahl von Jahren, von der Gegenwart an gerechnet, einfallen lasse. Wo Aufschreibungen oder die sichere Angabe des Patienten eine Kontrolle meines Einfalls ermöglichen, da zeigt es sich, daß ich selten um mehr als ein Halbjahr bei über zehn Jahren geirrt habe**. Ähnlich, wenn ich einen entfernteren Bekannten treffe, den ich aus Höflichkeit nach seinen kleinen Kindern frage. Erzählt er von den Fortschritten derselben, so suche ich mir einfallen zu lassen, wie alt das Kind jetzt ist, kontrolliere durch die Auskunft des Vaters und gehe höchstens um einen Monat, bei älteren Kindern um ein Vierteljahr fehl, obwohl ich nicht angeben kann, welche Anhaltspunkte ich für diese Schätzung hatte. Ich bin zuletzt so kühn geworden, daß ich meine Schätzung immer spontan vorbringe, und laufe dabei nicht Gefahr, den Vater durch die Bloßstellung meiner Unwissenheit über seinen Sprößling zu kränken. Ich erweitere so mein bewußtes Erinnern durch Anrufen meines jedenfalls weit reichhaltigeren unbewußten Gedächtnisses.

§ 495

Ich werde also über auffällige Beispiele von Vergessen, die ich zumeist an mir selbst beobachtet, berichten. Ich unterscheide Vergessen von Eindrücken und Erlebnissen, also von Wissen, und Vergessen von Vorsätzen, also Unterlassungen. Daseinförmige Ergebnis der ganzen Reihe von Beobachtungen kann ich voranstellen: In allen Fällen erwies sich das Vergessen als begründet durch ein Unlustmotiv.

* Gewöhnlich pflegen dann im Laufe der Besprechung die Einzelheiten des damaligen ersten Besuches bewußt aufzutauchen. § 496

A. Vergessen von Eindrücken und Kenntnissen.

§ 497

a) Im Sommer gab mir meine Frau einen an sich harmlosen Anlaß zu heftigem Ärger. Wir saßen an der Table d’hôte einem Herrn aus Wien gegenüber, den ich kannte, und der sich wohl auch an mich zu erinnern wußte. Ich hatte aber meine Gründe, die Bekanntschaft nicht zu erneuern. Meine Frau, die nur den ansehnlichen Namen ihres Gegenüber gehört hatte, verriet zu sehr, daß sie seinem Gespräch mit den Nachbarn zuhörte, denn sie wandte sich von Zeit zu Zeit an mich mit Fragen, die den dort gesponnenen Faden aufnahmen. Ich wurde ungeduldig und endlich gereizt. Wenige Wochen später führte ich bei einer Verwandten Klage über dieses Verhalten meiner Frau. Ich war aber nicht im stande, auch nur ein Wort von der Unterhaltung jenes Herrn zu erinnern. Da ich sonst eher nachtragend bin und keine Einzelheit eines Vorfalls, der mich geärgert hat, vergessen kann, ist meine Amnesie in diesem Falle wohl durch Rücksichten auf die Person der Ehefrau motiviert. Ähnlich erging es mir erst vor kurzem wieder. Ich wollte mich gegen einen intim Bekannten über eine Äußerung meiner Frau lustig machen, die erst vor wenigen Stunden gefallen war, fand mich aber in diesem Vorsatz durch den bemerkenswerten Umstand gehindert, daß ich die betreffende Äußerung spurlos vergessen hatte. Ich mußte erst meine Frau bitten, mich an dieselbe zu erinnern. Es ist leicht zu verstehen, daß dies mein Vergessen analog zu fassen ist der typischen Urteilsstörung, welcher wir unterliegen, wenn es sich um unsere nächsten Angehörigen handelt.

§ 498

b) Ich hatte es übernommen, einer fremd in Wien angekommenen Dame eine kleine eiserne Handkassette zur Aufbewahrung ihrer Dokumente und Gelder zu besorgen. Als ich mich dazu erbot, schwebte mir mit ungewöhnlicher visueller Lebhaftigkeit das Bild einer Auslage in der Inneren Stadt vor, in welcher ich solche Kassen gesehen haben mußte. Ich konnte mich zwar an den Namen der Straße nicht erinnern, fühlte mich aber sicher, daß ich den Laden auf einem Spaziergang durch die Stadt auffinden werde, denn meine Erinnerung sagte mir, daß ich unzähligemal an ihm vorübergegangen sei. Zu meinem Ärger gelang es mir aber nicht, diese Auslage mit den Kassetten aufzufinden, obwohl ich die Innere Stadt nach allen Richtungen durchstreifte. Es blieb mir nichts anderes übrig, meinte ich, als mir aus einem Adressenkalender die Kassenfabrikanten herauszusuchen, um dann auf einem zweiten Rundgang die gesuchte Auslage zu identifizieren. Es bedurfte aber nicht soviel; unter den im Kalender angezeigten Adressen befand sich eine, die sich mir sofort als die vergessene enthüllte. Es war richtig, daß ich ungezählte Male an dem Auslagefenster vorübergegangen war, jedesmal nämlich, wenn ich die Familie M. besucht hatte, die seit langen Jahren in dem nämlichen Hause wohnt. Seitdem dieser intime Verkehr einer völligen Entfremdung gewichen war, pflegte ich, ohne mir von den Gründen Rechenschaft zu geben, auch die Gegend und das Haus zu meiden. Auf jenem Spaziergang durch die Stadt hatte ich, als ich die Kassetten in der Auslage suchte, jede Straße in der Umgebung begangen, dieser einen aber war ich, als ob ein Verbot darauf läge, ausgewichen. Das Unlustmotiv, welches in diesem Falle meine Unorientiertheit verschuldete, ist greifbar. Der Mechanismus des Vergessens ist aber nicht mehr so einfach wie im vorigen Beispiel. Meine Abneigung gilt natürlich nicht dem Kassenfabrikanten, sondern einem

§ 499

c) Ich werde von dem Bureau B. & R. bestellt, einen ihrer Beamten ärztlich zu besuchen. Auf dem Wege zu dessen Wohnung beschäftigt mich die Idee, ich müßte schon wiederholt in dem Hause gewesen sein, in welchem sich die Firma befindet. Es ist mir, als ob mir die Tafel derselben in einem niedrigen Stockwerk aufgefallen wäre, während ich in einem höheren einen ärztlichen Besuch zu machen hatte. Ich kann mich aber weder daran erinnern, welches dieses Haus ist, noch wen ich dort besucht habe. Obwohl die ganze Angelegenheit gleichgültig und bedeutungslos ist, beschäftige ich mich doch mit ihr und erfahre endlich auf dem gewöhnlichen Umweg, indem ich meine Einfälle dazu sammle, daß sich einen Stock über den Lokalitäten der Firma B. & R. die Pension Fischer befindet, in welcher ich häufig Patienten besucht habe. Ich kenne jetzt auch das Haus, welches die Bureaus und die Pension beherbergt. Rätselhaft ist mir noch, welches Motiv bei diesem Vergessen im Spiele war. Ich finde nichts für die Erinnerung Anstößiges in der Firma selbst oder an Pension Fischer oder an den Patienten, die dort wohnten. Ich vermute auch, daß es sich um nichts sehr Peinliches handeln kann; sonst wäre es mir kaum gelungen, mich des Vergessenen auf einem Umweg wieder zu bemächtigen, ohne, wie im vorigen Beispiel, äußere Hilfsmittel heranzuziehen. Es fällt mir endlich ein, daß mich eben vorhin, als ich den Weg zu dem neuen Patienten antrat, ein Herr auf der Straße gegrüßt hat, den ich Mühe hatte zu erkennen. Ich hatte diesen Mann vor Monaten in einem anscheinend schweren Zustand gesehen und die Diagnose der progressiven Paralyse über ihn verhängt, dann aber gehört, daß er hergestellt sei, so daß mein Urteil unrichtig gewesen wäre. Wenn nicht etwa hier eine der Remissionen vorliegt, die sich auch bei Dementia paralytica finden, so daß meine Diagnose doch noch gerechtfertigt wäre! Von dieser Begegnung ging der Einfluß aus, der mich an die Nachbarschaft der Bureaus von B. & R. vergessen ließ, und mein Interesse, die Lösung des Vergessenen zu finden, war von diesem Fall strittiger Diagnostik her übertragen. Die assoziative Verknüpfung aber wurde bei geringem inneren Zusammenhang — der wider Erwarten Genesene war auch Beamter eines großen Bureaus, welches mir Kranke zuzuweisen pflegte — durch eine Namensgleichheit besorgt. Der Arzt, mit welchem gemeinsam ich den fraglichen Paralytiker gesehen hatte, hieß auch Fischer, wie die in dem Hause befindliche, vom Vergessen betroffene Pension.

§ 500

d) Ein Ding verlegen heißt ja nichts anderes als vergessen, wohin man es gelegt hat, und wie die meisten mit Schriften und Büchern hantierenden Personen bin ich auf meinem Schreibtisch wohl orientiert und weiß das Gesuchte mit einem Griffe hervorzuholen. Was anderen als Unordnung erscheint, ist für mich historisch gewordene Ordnung. Warum habe ich aber unlängst einen Bücherkatalog, der mir zugeschickt wurde,so verlegt, daß er unauffindbar geblieben ist? Ich hatte doch die Absicht, ein Buch, das ich darin angezeigt fand, „Über die Sprache“, zu bestellen, weil es von einem Autor herrührt, dessen geistreich belebten Stil ich liebe, dessen Einsicht in der Psychologie und dessen Kenntnisse in der Kulturhistorie ich zu schätzen weiß. Ich meine, gerade darum habe ich den Katalog verlegt. Ich pflege nämlich Bücher dieses Autors zur Aufklärung unter meinen Bekannten zu verleihen, und vor wenigen Tagen hat mir jemand bei der Rückstellung gesagt: „Der Stil erinnert mich ganz an den Ihrigen, und auch die Art zu denken ist dieselbe.“ Der Redner wußte nicht, an was er mit dieser Bemerkung rührte. Vor Jahren, als ich noch jünger und anschlußbedürftiger war, hat mir ungefähr das Nämliche ein älterer Kollege gesagt, dem ich die Schriften eines bekannten medizinischen Autors angepriesen hatte. „Ganz Ihr Stil und Ihre Art.“ So beeinflußt hatte ich diesem Autor einen um näheren Verkehr werbenden Brief geschrieben, wurde aber durch eine kühle Antwort in meine Schranken zurückgewiesen. Vielleicht verbergen sich außerdem noch frühere abschreckende Erfahrungen hinter dieser letzten, denn ich habe den verlegten Katalog nicht wiedergefunden und bin durch dieses Vorzeichen wirklich abgehalten worden, das angezeigte Buch zu bestellen, obwohl ein wirkliches Hindernis durch das Verschwinden des Katalogs nicht geschaffen worden ist. Ich habe ja die Namen des Buches und des Autors im Gedächtnis behalten**.

§ 501

e) Ein anderer Fall von Verlegen verdient wegen der Bedingungen, unter denen das Verlegte wiedergefunden wurde, unser Interesse. Ein jüngerer Mann erzählt mir: „Es gab vor einigen Jahren Mißverständnisse in meiner Ehe, ich fand meineFrau zu kühl, und obwohl ich ihre vortrefflichen Eigenschaften gern anerkannte, lebten wir ohne Zärtlichkeit nebeneinander. Eines Tages brachte sie mir von einem Spaziergang ein Buch mit, das sie gekauft hatte, weil es mich interessieren dürfte. Ich dankte für dieses Zeichen von ,Aufmerksamkeit‘, versprach das Buch zu lesen, legte es mir zurecht und fand es nicht wieder. Monate vergingen so, in denen ich mich gelegentlich an dies verschollene Buch erinnerte und es auch vergeblich aufzufinden versuchte. Etwa ein halbes Jahr später erkrankte meine, getrennt von uns wohnende, geliebte Mutter. Meine Frau verließ das Haus, um ihre Schwiegermutter zu pflegen. Der Zustand der Kranken wurde ernst und gab meiner Frau Gelegenheit, sich von ihren besten Seiten zu zeigen. Eines Abends komme ich begeistert von der Leistung meiner Frau und dankerfüllt gegen sie nach Hause. Ich trete zu meinem Schreibtisch, öffne ohne bestimmte Absicht, aber wie mit somnambuler Sicherheit, eine bestimmte Lade desselben und zu oberst in ihr finde ich das so lange vermißte, das verlegte Buch.“

* Für vielerlei Zufälligkeiten, die man seit Th. Vischer der „Tücke des Objekts“ zuschreibt, möchte ich ähnliche Erklärungen vorschlagen. § 502

Einen Fall von Verlegen, der in dem letzten Charakter mit diesem zusammentrifft, in der merkwürdigen Sicherheit des Wiederfindens, wenn das Motiv des Verlegens erloschen ist, erzählt J. Stärcke (l. c.).

§ 503

"Ein junges Mädchen hatte einen Lappen, aus welchem sie einen Kragen anfertigen wollte, im Zuschneiden verdorben. Nun mußte die Näherin kommen und versuchen, es noch zurechtzubringen. Als die Näherin gekommen war und das Mädchen den zerschnittenen Kragen aus der Schublade, in die sie ihn gelegt zu haben glaubte, zum Vorschein holen wollte, konnte sie ihn nicht finden. Sie warf das Unterste zu oberst, aber sie fand ihn nicht. Als sie nun im Zorne sich setzte und sich abfragte, warum er plötzlich verschwunden war und ob sie ihn vielleicht nicht" "finden wollte, überlegte sie, daß sie sich natürlich vor der Näherin schämte, weil sie etwas so Einfaches wie einen Kragen doch noch verdorben hatte. Als sie das bedacht hatte, stand sie auf, ging auf einen anderen Schrank zu und brachte daraus beim ersten Griff den zerschnittenen Kragen zum Vorschein."

§ 504

f) Das nachstehende Beispiel von „Verlegen“ entspricht einem Typus, der jedem Psychoanalytiker bekannt geworden ist. Ich darf angeben, der Patient, der dieses Verlegen produzierte, hat den Schlüssel dazu selbst gefunden:

§ 505

„Ein in psychoanalytischer Behandlung stehender Patient, bei dem die sommerliche Unterbrechung der Kur in eine Periode des Widerstandes und schlechten Befindens fällt, legt abends beim Entkleiden seinen Schlüsselbund, wie er meint, auf den gewohnten Platz. Dann erinnert er sich, daß er für die Abreise am nächsten Tag, dem letzten der Kur, an dem auch das Honorar fällig wird, noch einige Gegenstände aus dem Schreibtisch nehmen will, wo er auch das Geld verwahrt hat. Aber die Schlüssel sind — verschwunden. Er beginnt seine kleine Wohnung systematisch, aber in steigender Erregung abzusuchen — ohne Erfolg. Da er das ,Verlegen‘ der Schlüssel als Symptomhandlung, also als beabsichtigt, erkennt, weckt er seinen Diener, um mit Hilfe einer ,unbefangenen‘ Person weiterzusuchen. Nach einer weiteren Stunde gibt er das Suchen auf und fürchtet, daß er die Schlüssel verloren habe. Am nächsten Morgen bestellt er beim Fabrikanten der Schreibtischkasse neue Schlüssel, die in aller Eile angefertigt werden. Zwei Bekannte, die ihn im Wagen nach Hause begleitet haben, wollen sich erinnern, etwas auf den Boden klirren gehört zu haben, als er aus dem Wagen stieg. Er ist überzeugt, daß ihm die Schlüssel aus der Tasche gefallen sind. Abends präsentierte ihm der Diener triumphierend die Schlüssel. Sie lagen

§ 506

153 vn. meanssnn VON mmom mm vomrznrz.

§ 507

zwischen einem dicken Buche und einer dünnen Broschüre (einer Arbeit eines meiner Schüler), die er zur Lektüre für die Ferien mitnehmen wollte, so geschickt hingelegt, daß niemand sie dort vermutet hätte. Es war ihm dann unmöglich, die Lage der Schlüssel so unsichth nachzuahmen. Die unbewußte Ge— schicklichkeit, mit der ein Gegenstand infolge von geheimen aber starken Motiven verlegt wird. erinnert ganz an die ,somns;mbule Sicherheit}. Das Motiv we.r natürlich Unmut über die Unterbrechung der Kur und die geheime Wut, bei so schlechtem Befinden ein hohes Honorar zahlen zu müssen.“

§ 508

9) Ein Mann, erzählt A. A. Brill, wurde von seiner Frau gedrängt, an einer gwellschaftlichen Veranstaltung teilzuneh— men, die ihm im Grunde sehr gleichgültig war. Er gab ihren Bitten endlich nach und begann seinen Festanzug aus dem Koffer zu nehmen, unterbrach sich aber darin und beschloß sich zuerst zu rasieren. Als‘ er damit fertig geworden war, kehrte er zum Koffer zurück, fand. ihn aber zugeklappt, und der Schlüssel war nicht aufzufinden, Ein Schlosser war nicht aufzutreiben, da. es Sonntag abends war, und so mußten die beiden sich in der Gesellschaft entschuldigen lassen. Als der Koffer am nächsten Morgen geöffnet wurde, fand sich der Schlüssel drinnen. Der Mann hatte ihn in der Zerstreutheit in den Koffer fallen lassen und diesen ins Schloß geworfen. Er gab mir zwar die Versicherung, daß er ganz ohne Wissen und Absicht so getan habe, aber wir wissen, daß er nicht in die Gesellschaft gehen wollte. Das Verlegen des Schlüssels emangelte also nicht eines Motive.

§ 509

E. Jones beobachtete an sich selbst, daß er jedesmal die Pfeife zu verlegen pflegte, nachdem er zuviel geraucht hatte und sich darum unwohl fühlte. Die Pfeife fand sich dann an

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§ 511

vn. vnncnssmn vor! nmnnümmn UND vonsxmn. 169

§ 512

allen möglichen Stellen, wo sie nicht hingehörte und. wo sie für gewöhnlich nicht aufbewahrt wurde.

§ 513

h) Einen harmlosen Fall mit eingesta.ndener Motivierung berichtet Dora M ü 119 r (Intematibnale Zeitschrift fiir Psychoanalyse, III, 1915).

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1. Fräulein Erna A. erzählt zwei Tage vor Weihnachten:

§ 515

„Denken Sie, gestern abends nahm ieh aus meinem Pfefferkuchenpaket und aß; ich denke dabei, daß ieh Fräulein S, (der Gesellschafterin ihrer Mutter), wenn sie mir Gutena.cht sagen. komme, davon anbieten müsse, ich hatte keine rechte Lust. dazu, nahm mir aber trotzdem vor, ‘es zu tun. Wie sie nachher kam und ich nach meinem Tischchen hin die Hand ansetreckte, um das Paket zu nehmen, fand ich es dort nicht. Ich suchte dnth und. fand es eingeschlossen in meinem Schranke. Da, hatte ich das Paket ohne es zu wissen hineingestellt.“ Eine Analyse war überflüssig, die Erzählen-in war sich selbst über den Zusammenhang klar. Die eben verdräng Regung, das Gebäck für sich allein behalten zu wollen, war gleichwohl in automatischer Handlung durchgedmngen, um freilich in diesem Falle durch die nachfolgende bewußte Handlung wieder rückgängig gemacht zu werden.

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5) H. Suche schildert, wie er sich einmal durch ein solches Verlegen der Verpflichtung zu arbeiten entzogen hat.

§ 517

„Vergangenen Sonntag nachmittags schwankte ich eine Weile, ob ich arbeiten oder einen Spaziergang mit dmnschließendem Besuche machen solle, entschloß mich aber nach einigem Kampfe für das erstere. Nach etwa. einer Stunde bemerkte ich, daß ich mit; meinem l’apiervomt zu Ende sei. Ich wußte, daß ich irgendwo in einer Lade schon seit Jahren ein Bündel Papier aufbewahrt habe, suchte aber danach vergeblich in meinem Schreibtisch und an anderen Stellen, wo ich es zu

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§ 519

170 VII. vermessen von mmmflcnm UND vonsxrzm.

§ 520

finden vermutete, obgleich ich mir große Mühe gab und in allen möglichen alten Büchern, Broschüren, Briefscha.ften u. dgl. herumwiihlte. So sah ich mich doch genötigt, die Arbeit einzustellen und fortzugehen. Als ich lebende nach Hause kam, setzte ich mich auf das Sofa. und sah in Gedanken, halb abwesend auf den gegenüberstehenden Bücherschrenk. Da fiel mir eine Lade in die Augen und ich erinnerte, daß ich ihren Inhalt schon lange nicht durchgernustert habe. Ich ging also hin und öffnete sie. Zu Oberst lag eine Ledenneppe und in dieser unbeschriebenes Papier. Aber erst als ich es hemnegenommen hatte und im Begriffe stand, es in der Schreibtischlade zu verwehren, fiel mir ein, daß dies ja dasselbe Papier sei, das ich nachmittags yergehlich gesucht hatte. Ich muß hiezu noch bemerken, daß ich, obgleich sonst nicht eparsam, mit Papier sehr vorsichtig umgehe und jedes verwendbare Bestehen s.uihebe. Diese von einem Triebe gespeistc Gewohnheit war es oifenbar,die mich zur sofortigen Korrektur des Vergessens vemnla„ßte, sobald das aktuelle Motiv dafür verschwinden war.“

§ 521

Wenn man die Fälle von Verlegen übersieht, wird ee wirklich schwer anzunehmen, daß ein Verlegen jemals anders als infolge einer unbewu.ßten Absicht erfolgt.

§ 522

j} Im Sommer des Jahres 1901 erklärte ich einmal einem Freunde, mit dem ich damals in regen: Gedenkenausteusch über vvissensoha.ftliohe Fragen stand: Diese neumtiachen Probleme sind nur dann zu lösen, wenn wir uns ganz und voll auf den Boden der Annahme einer ursprünglichen Bisexuelitit des Individuums stellen. Ich erhielt zur Antwort: „Das habe ich dir schon vor zweieinhalb Jahren in Br. gesagt, als wir jenen Abenßspaziergaug machten. Du wolltest damals nichts davon hören.“ Es ist nun schmerzlioh, so zum Aufgaben seiner

§ 523

§ 524

VII. VEBBE98EN VON ml.)me UND VORBÄTZEN‘. 171

§ 525

Originalität aufgefordert zu werden. Ich konnte mich an ein solchen Gespräch und. an diese Eröffnung meines Freundes nicht erinnern. Einer von uns beiden mußte sich da täuschen; nach dem Prinzip der Frage uni prodest'l mußte ich das sein. Ich habe im Laufe der nächsten Woche in der Tel; alles so erinnert, wie mein Freund es in mir erwecken wollte; ich weiß selbst., was ich damals zur Antwort gab: Dabei halte icli noch nicht, ich will mich daran! nicht'einlsssen. ”Aber icli bin“ seither um ein Stück toleranber geworden, wenn ich irgendwo in der medizinischen literatur auf eine der wenigen Ideen stoße, mit denen man meinen Namen verknüpfen kann, und wenn ich dabei die Erwähnung meines Namens vermisse. Ausstellungen an seiner Ehefrau — Freimdschaft, die ins Gegenteil umgachlagen hat * Irrtum in ärztlicher Diagnostik —— Zurückweisung durch Gleichstrebende — Entlehnung von Ideen: es ist wohl kaum zufällig, daß eine Anzahl von Beispielen des Vergessens, die ohne Auswahl gesammelt. werden sind, zu ihrer Auflösung dee Eingehens auf so peinliche Themata, bedürfen, Ich vermute vielmehr, daß jeder andere, der sein eigenes Vergessen einer Priifung nach den Motiven unterziehen will, eine ähnliche Musterkarte von Widerwärtigkei'cßn aufzeichnen können wird. Die Neigung zum _'Vergiae'en des Unangenelnnen scheint mir ganz allgemein zu sein; die Fähigkeit dazu ist wohl bei den verschiedenen Personen verschieden gut ausgebildet. Manches Ableugnen1 das uns in der ärztlichen Tätigkeit begegnet, ist. wahrscheinlich auf Vergessen zu— rückzuführen“. Unsere Auffassung eines solchen Vergessene

§ 526

* Wenn mu sich bei einem Menschen erkundigt, ob er vor 10 oder 15 Jnhren wine lueüsche Infektion durchgemnht. hat, Verglßfi nun zu leicht Gum. am der Beklagte diesen Kmnkheitsnufe'll psychisch gun! nndm bchnndelt hat all etwn einen nkllten Rhoumüsmus. — In den Anamnn9n,

§ 527

§ 528

172 vu. ummsm von Emulillcllmn mm VORSÄ'I‘ZEN.

§ 529

beschränkt den Unterschied zwischen. dem und jenem Benehmen allerdings auf rein psychologische Verhältnisse und ge— stattet uns, in beiden Rea.ktionsweisen den Ausdruck desselben

§ 530

welche Eltern über ihre neurotiseh erkrankten Töchter geben, ist du Anteil des Vergeflllena von dem des Verhergens kaum je mit Sicherheit zu sondern, weil alles, was der späteren Verheirutuug des Welten: im Wege steht, von rien Eltern systematisch beseitigt, d. h. verdrängt wird. -— Ein Mann, der vor kurzem seine geliebte Fr.-hu an einer Lungene.ifektiuu verloren, teilt mir nachstehenden Fall von Irreführung der äntlluhen Erkundigllng mit, der nur auf solches Vergessen rurriekfiihrhur ist: „Als die Pleuritiu meiner Binnen Frau nach vielen Wochen noch nicht weichen wollte, wurdc DL P. als Konsilia.rius berufen. Bßi der Aufnßhlne 'dßr Anamnese stellte er die lichen Fragen, 11. er euch, ab in der Familie meiner Frau etwa Lungenkmnkheiben wrgekommnn seien. Meine Frau meinte und 8.ucll ich erinnerte mich nicht. Bei der Verabaohiedung des Dr. P. kommt das Gespräeh wie zufällig nur Ausflüge, und meine Frau sagt: Ja, auch hie Lengeridnrf, wo mein „mer Bruder bl> graben liegt, ist eine weite Reise. Dieser Bruder war var etwa 15 J'Lhreu nach mehrjährigem tuberkulöaan Leidm gestorben. Meine Fnu hntts ihn sehr geliebt und mir oft von ihm geepmehen. Ja; es fiel mir ein, dell sie selneneit, als die Pleuritis festgestellt wurde, sehr besorgt war und trübsinnig meinte: Auch mein Bruder is f. an der-Lunge gestorben. Nun aber war die Erinnerung daran es sehr verdrängt dell sie euch nach dem vorhin angeführten Ausspl'lml'l über den Ausflug nach L, keino Veranlassung fand, ihre Ankunft über Erkrankungen in ihnr Emilie zu korrigieren. Mir selbat fiel das Vergessen in demselben Moment wieder ein, wu eis von Lungmerf sprach.“ — Ein völlig analoge: Erlabnia adult E. Jones in der hier bereits mehrmals Erwähan Arbeit. Ein Ant, dann Elm m einer dingnustisch unklaren Unterleibserkrunkung litt, bemarkta in ihr wie tröatmd: „Es ist doch gut, dn.fl in deiner F&mil.ie kein Fall von Tuberkulose vorgekomulen ist? Die Frau antwortete rufe iußmte übarnacht: „Hunt du denn vergessen, daß meine Mutter an Tuberkulose gestorben ist, und da!! meine Sollweater von ihrer Tuben kulnee nicht eher hergestellt wurde, 9.1- his die Ärzte sie aufgegeben l.ßttenl“

§ 531

§ 532

VII. WISSEN VON FINDEÜCKEN UND VOREÄTZEN. 173

§ 533

Motivs zu sehen. Von all den zahlreichen Beispielen der Verleugnnng unangenehmer Erinnerungen, die ich bei Angehörigen von Kranken gesehen habe, ist mir eines als besonders seltsam im Gedächtnis geblieben. Eine Mutter informierte mich über die Kinderja,hre ihres nervenkranken, in der Pubertät befindlichen Selma und erzählte dabei, daß er wie seine Geschwister bis in späte Jahre an Bettnäeeen gelitten habe, was im für eine neurotisehsa Krankengeschiehbe nicht hedeutungslos ist. Einige Wochen später, als sie sich Auskunft über den Stand der Be— handlung holen wollte, hatte ich Anlaß, sie auf die Zeichen konstitutioneller Kmnkheitaveranlagung bei dem jungen Marine aufmerksam zu machen, unri berief mich hiebei auf das annmnestisch erhobene Bettniieeen. Zu meinem Erstaunen bestritt sie die Tatsache sowohl für dies als auch fiir die anderen Kinder, fragte mich, woher ich das wissen könne, und hörte endlich von mir, daß sie selbst es mir vor kurzer Zeit erzählt habe, was also von ihr vergessen werden war'.

§ 534

' In den Tagen, während ich mit der Niederschrift dieser Seiten beschäftigt war, ist mir folgender, im unglaublicher Fall von Vergersen widerfnhren: Ich revl(llere m l. Jl.nnsr moin mtliehes Buch, um meine Hononmohmlngcn menden “ können, Bhaßa dabei im Juni an! den Namen n...1 nnd km mh um eine an ihm gehörig. Penn; nicht erhmm-n. Mein Befremden winth indem ieh beim Weiterblitlßrn heuer-ke. daß ich rien nu in einem Bmwrium behmdelt, und M ich ihn durch Wochen täglich besucht hn.bu, Einen Kranken, mit dem man sich unbersolchen Bedingungen beschäftigt, vergißt mnn nl. Am nicht. mb kann sechs Monaten. Sollte an ein Mann, ein Paralytiker, ein Fall ohne Interesse gewesen nein, frage ich mich? Endlich bei dem Vermerk über an] empfmgene Honorar kommt um all die Kenntnil wiedar, die nich der Erlnnerung entziehen wenn M.,.l wn.r ein 14jihrigss Mädnhsn gewann, der merkwürdiglte Full meiner letzten Jahre, welcher mir eine Lehre hlnmhnnn, die ich kann: je vergessen werde, und denen Ausgang mir die peinliehmn Stunden bereitet hnh Du Kind erkmnktc an unxweideu

§ 535

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174 vu. vmwmu von mmmzvamu mm voneimm.

§ 537

Man findet also auch bei gesunden, nicht neumtisollen Menschen reichlich Anzeichen dafür, daß sich der Erinnerung an peinliche Eindrücke, der Vorstellung peinlicher Gedanken, ein Widerstand entgegensetzt'. Die volle Bedeutung dieser Tatsache läßt sich aber erst ermessen, wenn man in die Psychologie neuroti.scher Personen eingehli, Man ist genötigt, ein solches elementares Abwehrbesbreben gegen Vorstellungen, welche Unlustexnpfindungen erwecken können, ein Bestreben, das sich nur dem Fluchtreflex bei Schmßmeizen in die Seite stellen läßt, zu einem der Hanptpfeiler des Mechav nismus zu machen, welcher die hysl,en'sollen Symptome trägt. Man möge gegen die Annahme einer solchen Äbwehrtendeuz

§ 538

tiger Hyrterie, die lich „ich unter meinen Händen ranulr und gründlich besser!». Nach diem Dosierung wurde mir das Kind von den llan nntrogen; el klagte noch über nbdnrnlnnle Schmerzen, denen die llanpt„ rolle im Symptombild der Hysterie zugefa.llen wir. Zwei Homme spiter wu er an Serien der Unberleibad.rüsen gestm'ben. Die Byrtnrin, rn der du Kind noblblwi prädirponiut war, lintte die Tumorbildlmg mr provorimnden Ursache genommen, na ich hatte, von den Fax-menden, aber llnrmlolen Enoheimmgen der Hysterie gefesselt, vielleicht din unter. Anlßlclleu der rolileiulrenden nnd nnheilvol.len Erkrankung übernahm.

§ 539

' A. riok l.rt kürzlich (an Peycllologiu der Vergmnnr bei Geir'mund Nummern, Archiv für Kriminal-Anthropologle nnd Kriminrlirtik von 11. Groß) eine Beihl ron Autumn runninrengest.llt, dio dnn Bram-i nil.lrtim rm auf du Gedichtni; würdigen und _ mehr oder minder dnntlloli _ den Beitrag rnnrlrennnn, dan du Abwehrlzeah-eben gegen Unlnrt nm Vergman leistet. Keim von uns nllen hat aber du rund-nur und nein! plyelmloglmlle Begründung In enellöpfend und mgleich lo eindrucksvoll darstellen können wie Nie hs che in einem seiner Apbo< rinnen (Jul-weite von Gut und Böse, ll. llrnptntiic3, 68): „l)rs,linbu ich „„in. „gt moin ,Gedielatniil', ,Das kann ich ninht getnn linbrn, „gt main Stnlr und bleibt nnerhlnlioh. Endlich _ gibt da.! Ged,iolrtnii nach.“

§ 540

§ 541

vn. mm von monchm mm vonsmrm. 175

§ 542

nicht einwenden, daß wir es_im Gegenteil häufig genug unmöglich finden, peinliohe Erinnerungen, die uns verfolgen, los zu werden und peinliche Affektregungen wie Reue, Gewissensvorwiirfe zu verseheuohen. Es wird ja nicht. behauptet, daß diese Abwehrtendenz sich überall durchzusetezn vermag, dal] sie nicht im Spiele der psychischen Kräfte auf Faktoren stoßen kann, welche zu anderen Zwecken das Entgegengeeetzte snstreben und ihr zum Trotze zu stamie bringen. Als das architektonische Prinzip des seelischen Apparnta läßt sich die Sehichtung, der Aufbau aus einander überlegernden Instanzen erra.ten, und es ist sehr wohl möglich, daß dies Abwehrbestreben einer niedrigen psychischen Instanz angehört, von höheren Instanzen aber gehemmt wird. Es spricht jedenfalls für die Existenz und Mächtigkeit dieser Tendenz zur Abwehr, wenn wir Vorgänge wie die iu unseren Beispielen von Vergessen auf sie zurüokfiihren können. Wir sehen, daß manches um seiner selbst willen vergessen wird; wo dies nicht möglich ist, verschiebt die Abwehrtendeuy. ihr Ziel und bringt wenigstens etwas anderes, minder Bedeutnames, zum Vergessen, was in assozia,tive Verknüpfung mit dem eigentlich Anstößigen. geraten ist.

§ 543

Der hier entwickelte Gesichtspunkt, daB peinliehe Erinne— rungen mit besonderer Leichtigkeit dern motivierten Vergessen verfallen, verdiente auf mehrere Gebiete bezogen zu werden, in denen er heute noch keine oder eine zu geringe Beachtung gefunden hat. So erscheint er mir noch immer nicht genügend scharf betont bei der Würdigung von Zeugenaussagen vor Gericht ‘, wobei man offenbar der unter Eidstellung des zeugen einen allzu großen purifizierenden Einfluß auf dessen psychi— sches Kräftespiel zutra.ut. Daß man bei der Entstehung der

§ 544

' Vgl. um. Groß, Kriminnlpsyclmlugle, 1898.

§ 545

§ 546

176 ‘ vu. VEEGESSEN VON EINDRÜCKHV UND VOMTZEN.

§ 547

Traditionen \mri der Sagcngeschichte eines Volkes‘ einem solchen Motiv, das dem Nationalgefühl Peiuliche aus der Erinnerung auszumerzen, Rechnung tragen muß, wird allgemein zugestanden. Vielleicht würde sich bei genauerer Verfolgung eine vollständige Analogie herausstellen zwischen der Art, wie Völkeruadjtimen und wie die Kindheitserinnerungen des einzelnen Individuum gebildet werden. Der große Darwin hat aus seiner Einsicht in dies Unlustmotiv den Vergessens eine „goldene Regel“ für den wissenschaftliohen Arbeiter gezogen *. Ganz ähnlich wie beim Namenvergessen kann auch beim Vergessen von Eindrücken Fehlerinnern eintreten, das dort, wo es Glanben findet, als Erinnerungstä schung bezeichnet wird. Die Erinnerungstäuschung in pathologischen Fällen —— in der Paranoia. spielt sie gelad@zu die Rolle eines konstituierenden Moments bei der Wahnbildung —— hat eine ausgedehnte Lite— ratur wachgerufen, in welcher ich durchgängig den Hinwexs auf eine Motivierung derselben vennisse. Da, auch dieses ' Dnrwin über das Vergessen In der Aubuhiugraphie Dnr< win! findet sich folgende Stelle, welche seine wimnnchuft.liclze Ehrlichkeit und seinen psychologischen Scharfsinn übernengend widanapiegelt: „I ind, during many years, followed n. golden wie, mmely, um whenevur a, published fB/CL, a, new ohnervn.tion or thought eamu ums me, Which was opposed in my general msn1fl, La ma.lm n. memnrandnm of it whithont fail und ab once; for I had found by experiolwe ohne auch mm nnd thoughts were far mom ßpß (o esßape from the memory man fnvonmbla one-.“ Ernest Jones. „Viele Jahre hindurch befoigße ion eine goideno Regel. Fand ich nämlich eine venäffenf,liohtn Tamm, eine neue Beobachtung oder einen Gedanken, welcher einem meiner allgemeinen Ergebnisse' Widerspruch, su notierte ich denselben sofort möglith wungemu. Dann die Erfahrung hntte mich gelehrt, m mlohe Tatsachen und Eriüxrnngßn dem Godl‘whb nlue leichter enhchwinden als die un; genehmen.“ (Übersetzung dßl Zen< "1111113“ für Psychoanalyse.)

§ 548

§ 549

vn. vnsemsm von msncxnn mm voneinnn. 177

§ 550

Thema. der Neurosenpsyehologie angehört, entzieht es sich in unserem Zusammenhange der Behandlung. Ich werde dafür ein sonderbares Beispiel einer eigenen Exinnenmgstäusehnng mitteilen, bei dem die Motivierun.g durch unhewußtes verdrängtee Material und die Art und Weise der Verknüng mit demselben deutlich genug kenntlieh werden.

§ 551

Als ich die späteren Abschnitte meines Buch‘% über Traumdeutung schrieb, be£and ich mich in einer Sommerh-isehe ohne Zugang zu Bibliothekar und. thsehla.gebiichem und war genötigt, rnit Vorbehalt späterer Korrektur, allerlei Beziehungen und Zitate dus dem Gedächtnis in das Manuskript einzuträgen. Beim Abschnitt über das Tagträumen fiel mir die ausgezeichnete Figur des armen Buchhalter-s im „Nabab“ von Alph. Daudet ein, mit welcher der Dichter wahr'e‘eheinlich seine eigene Träumerei geschildert hat. Ich glaubte mich an eine der Phantasien, die dieser Mann — Mr. Jocelyn nannte ich ihn — anf seinen Speziergä.ngen durch die Straßen von Paris a-usbrütet, deutlich zu erinnern und begann sie aus dem Ge— dächtnis zu reproduzieren. Wie also Herr Jocelyn auf der Straße sich kühn einem durchgehenden Pferde entgegenwirft, es zum Stehen bringt„ der Wageumh‘lsg sich öffnet,» me hehe Persönliehkeit- dem Coupé entsteigt, Herrn Joeétyn an Hand drückt und ihm sagt: „Sie sind mein Retter, Einen verdunke ich mein Leben. Was. kann ich für Sie tun 1“

§ 552

Etwaige Ungenauigkeiten in der Wiedergabe dieser Phantasie, tröstete ich mich, würden sich leicht zu Hause verbessern lassen, wenn ich das Buch zur Hand nähme. Als'ich dann aber den „Nabah“ durchblätterte, um die dnlckbereite Stelle meines Manuskripts zu vergleichen, fand ich zu meiner größten Beschämung und Bestürzung nichts von einer soléhen Träumerei des Herrn Jooelyn darin, je der arme Buchhalter trug

§ 553

rund, Pnyulawplhelofle e.- .nmg-l-h-u. vn. Aufl. 12

§ 554

§ 555

178 vu. verarsan von nm1>uucmm mm vom-run.

§ 556

gar nicht diesen Namen, sondern hieß Mr. Joyeuse. Dieser zweite Irrtum gab dann bald den Schlüssel zur Klärung des ersten, der Erinnerungstäuschung. J uyeux (wovon der Name die feminine Form darstellt): so und nicht anders müßte ich meinen eigenen Namen: Freud ins Französische übersetzen. Woher konnte also die fälschlieh erinnerte Phantasie sein, die ich Daudet zugeschrieben hatte'.7 Sie konnte nur ein eigenes Produkt sein, ein Tagtraum, den ich selbst gemacht und der mit nicht bewußt geworden, oder der mir einst bewußt gewesen, und den ich seither gründlich vergessen habe. Vielleicht daß ich ihn selbst in Paris gemacht, wo ich oft genug einsa.m und voll Sehnsucht durch die Straßen spaziert bin, eines Helfers und Protektors sehr bedürftig, bis Meister Charcct mich dann in seinen Verkehr zog. Don Dichter des „Nabab“ habe ich dann wiederholt im Hause Chareots gesehen. Das Ärgerliche an der Sache ist nur, daß ich kaum irgend einem anderen Vorstellungskreise so ieindselig gegerr überstehe wie dem des Protegiertwerdens. Was man in unserem Vaterlande davon sieht. verdirbt einem alle Lust daran, und meinem Charakter sagt die Situation des Protektionskiudes überhaupt wenig zu. Ich habe immer ungewöhnlich viel Neigung dazu verspiirt, „selbst der brave Mann zu sein". Und gerade ich mußte dann an solche, übrigens nie erfüllte, T%träume gemahnt werden, Außerdem ist' der Vorfall auch ein gutes Beispiel dafür, wie die zurückgehaltene — in der Paranoia siegreich hervorbreehende — Beziehung zum eigenen Ich uns in der objektiven Erfassung der Dinge stört und verwirrt. Ein anderer Fall von Erinnerungetäuschung, der sich befriedjgend aufklären ließ, mahnt an die später zu besprechende „fausse réconnaissanee“: Ich hatte einem meiner Patienten, einem ebrgeizigen und befähigten Menue, erzählt, daß ein

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§ 558

VII. VEEGEBEN VON EIN‘DKÜGKEN UND VORSÄ'IZEN. 179

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junger Student sich kürzlich durch eine interessante Arbeit „Der Künstler, Versuch einer Semalpsycholog'ie“ in den Kreis meiner Schüler eingeführt habe. Als diese Schrift eineinviertel Jahr später gedruckt verlag, behauptete mein Patient, sich mit Sicherheit daran erinnern zu können, daß er die Ankündigung derselben bereits vor meiner ersten Mitteilung (einen Monat oder ein halbes Jahr vorher) irgendwo, etwa in einer Buchhändlerameige, gelesen habe. Es sei ihm diese Notiz auch damals gleich in den Sinn gekommen und er konstatierte überdies, daß der Autor den Titel _verändert habe, da es nicht mehr „Versuch“, sondern „Ansätze zu einer Sexualpsychologie“ heiße. Sorgfältigc Erkundigung beim Autor und Vergleichnng aller Zeitangaben zeigten indes, daß mein Patient etwas Unmögliches erinnern wollte. Von jener Schrift war nirgends eine Anzeige vor dem Drucke erschienen, am wenigsten aber eineinviertel Jahr vor ihrer Drucklegung. Als ich eine Deutung dieser Erinnerungstänsehnng unterließ, brachte derselbe Mann eine gleichwertige Erneueng derselben zu stande. Er meinte, vor kurrzem eine Schrift über „Agoraphobie" in dem Auslagefenster einer Buchhandlung bemerkt zu haben, und suchte der— selben nun durch Nai:l1i„onehmrg rin sllen Yerlsgelraée,logen hnbhs.ft zu werden. Ich konnte ihn dann an!klären,«wsirhm diese Bemühung erfolglos bleiben mußte. Die Schrift über Agoraphobie bestand erst in seiner Phantasie als unbewullter Vorsatz und sollte von ihm selbst abgefaßt werden. Sein Ehr— geiz, es jenem jungen Menne gleichzutun und durch eine solche wissenschaftliche Arbeit zum Schüler zu werden, hatte ihn zu jener ersten wie zur wiederholten Erinnemngstäusohnng ger führt. Er besann sich dann auch, daß die Buchhändler-anzeige, welche ihm zu diesem falschen Erkennen gedient hatte, sich auf ein Werk, betitelt: „Genesis, das Gesetl der Zeugung“, 12!

§ 560

§ 561

180 _VII VEBGEBSEN VON ENDEÜGKEN 'D'N'D VORSÄTZEN.

§ 562

bezog. Die von ihm erwähnte Abänderung ‘dea Titels kam aber auf meine Rechnung, denn ich wußte mich selbst zu erinnern, daß ich diese Ungenauigkeit in der Wiedergabe des Titels „Versuch — anstatt: Ansätze“ begangen hatte.

§ 563

B. Das Vergessen von Vorsitzen.

§ 564

Keine andere Gruppe von Phänomenen eignet sich besser zum Beweis der These, daß die Geringfiigigkeit der Aufmerksamkeit für sich allein nicht him-siehe, die Fehlleiatung zu er— klären, als die des Vergessens von Vorsätzen. Ein Vorsatz ist ein Impuls zur Handlung, der bereite Billigung gefunden hat, dessen Ausführung aber auf einen geeigneten Zeitpunkt verschoben wurde. Nun kann in dem so geschaffenen Intervall allerdings eine derartige Veränderung in den Motiven eintreten, daß der Vorsatz nicht zur Ausführung gelangt, aber dann wird er nicht vergessen, sondern revidiert und aufgehoben. Das Vergess‘en von Vorsätzen, dem wir alltäglich und in allen möglichen Situationen unterliegen, pflegen wir uns nicht durch eine Neuerung in der Motivengleiohung zu erklären, sondern lassen es gemeinhin unerklärt, oder wir suchen eine psychologische Erklärung in der Annahme, gegen die Zeit der Ausführung hin habe sich die erforderliche Aufiuerksaankeit für die Handlung nicht mehr bereit gefunden, die doch für das Zustandekommen des Vorsatzes unerläßliohe Bedingung war, damals also für die nämliche Handlung zur Verfügung stand. Die Beobuhtung unseres normalen Verhaltens gegen Vorsätze läßt uns diesen Erklärungsversueh als willkürlich abweisen. Wenn ich des Morgens einen Vorsatz fasse, der abends ausgeführt werden soll, so kann ich im Laufe des Tages einigem-el an ihn gemahnt werden. Er braucht aber tagsüber überhaupt nicht mehr beWußt zu werden. Wenn

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§ 566

VU. WISSEN VON mxücxnu UNI) VOBSÄTmN. 181

§ 567

sich die Zeit der Ausführung nähert, fällt er mir plötzlich ein und verenla.ßt mich, die zur vergwetztuen Handlung nötigen Vorbereitungen zu treffen. Wenn ich auf einen Spaziergang einen Brief mil-nehme, welcher nach befördert werden soll, so brauche ich ihn als normales und nicht nervöses Individuum keineswegs die ganze Strecke über in der Hand zu tragen und unterdessen nach einem Briefkasten mzuepähen, in den ich ihn werte, sondern ich‘ pflege ihn in die Taäehe zu stecken, meiner Wege zu gehen, meine Gedanken frei sehweifen zu lassen, und ich rechne dera_uf, daß einer der nächsten Brief-, kästen meine Aufmerksamkeit erregen und mieh' veranlassen wird, in die Tasche zu greifen und den Brief hervorzuziehen. Das normale Verhalten beim gefa.ßten Vorsatz 'deckt sich voll-‘ kommen mit dem experimentell zu erzeugenden Benehmen von Personen, denen man eine sogenannte „posthypnotisehe Suggestion auf lange Sicht“ in der Hypnose eingegeben hat. ". Man ist gewöhnt, das Phänomen in folgender Art zu beschreiben: Der suggerierbe Vorsatz eeh1ummert in den betreffenden?erh eonen, bis die Zeit seiner Ausführung herannahh. Denn wacht er auf und treibt zur Handlung.

§ 568

In zweierlei Lebenslagen gibt nieht eneli der Laie Rechenschaft davon, daß das Vergessen in bezug auf Vorsä.tze keines-' wegs den Anspruch erheben darf, als ein nicht weiter‘zun'iuk-i fiihrbea'es Elementmphänornen zu gelten, sondern zum Schluß auf uneingestandene Motive berechtigt. Ich meine: im Liebesverhä.ltnis und in der Militärebhängigkeit. Ein Liebhaber, der das Rendezvous versäumt hat, wird sich vergeblich bei seiner Dame entschuldigen, er habe leider ganz vergessen. Sie wird nicht versäumen, “ihm zu antworten: „Vor einem Jahre hättest

§ 569

- Vgl. Bernheim. Nm Studien über Bypnodlmun, Buggostinn und Ysyehnthenpie, nm.

§ 570

§ 571

182 VII. Vmemsm VON EINDR'UCKEN UND vonei'l‘znrx.

§ 572

du es nicht vergessen. Es liegt dir eben nichts mehr an mir.“ Selbst wenn er nach der oben erwähnten paychologischen Erklärung griffe und sein Vergessen durch gehäufte Geschäfte entschuldigen wollte, Würde er nur erreichen, da.ß die Dame —— so scharfsichtig geworden wie der Arzt in der Psycho— analyse — zur Antwort gäbe: „Wie merkwürdig, daß sich solche geschäftliche Störungen früher nicht ereignet haben.“ Gewiß will auch die Dame die Möglichkeit des Vergessens nicht in Abrede stellen; sie meint nur, und nicht mit Unrecht, uns dem nnabsichtlichen Vergessen sei ungefähr der nämliche Schluß auf ein gewisses Nichtwollen zu ziehen wie aus der bewußten Ausflucht.

§ 573

Ähnlich wird im militärischen Dienstverhältnis der Unterschied zwischen der Unterlassung durch Vergessen und der infolge von Absicht prinzipiell, und zwar mit Recht, vernachlässigt. Der Soldat darf an nichts vergessen, was der militärische Menst von ihm fordert. Wenn er doch daran vergißt, obwohl ihm die Forderung bekannt ist, so geht dies so zu, daß sich den Motiven, die auf Erfüllung der militärischen Forderung dringen, andere Gegennmtive entgegenstellen. Der Einjährige etwa, der sich beim Rapport entschuldigen wollte, er habe vergessen, seine Knöpfe blank zu putzen, ist der Strafe sicher. -Aber diese Strafe ist geringfügig zu nennen im Vergleiche zu jener, der er sich aussetzte, wenn er das Motiv seiner Unterlassung sich und seinen Vorgesetzten eingestehen würde: „Der elende Gamaschendienst ist mir ganz zuwider.“ Wegen dieser Strafersparnis, aus ökonomischen Gründen gleichsam, bedient er sich des Vergessens als Ausrede, oder es kommt als Kompmmiß zu stande.

§ 574

Frausndienst wie Militärdienst erheben den Anspruch, daß alles zu ihnen gehörige dem Vergessen entriiokt sein müsse,

§ 575

§ 576

VII. VERE_EN VON ENDRÜCKEN UNI) VORSÄ'I'LE'N. 183

§ 577

und erwecken so die Meinung, Vergessen sei zulässig bei unwichtigen Dingen, während es bei wichtigen Dingen ein Anzeichen davon sei, daß man sie wie unwichtige behandeln wolle, ihnen also die Wichtigkeit abspreehe *. Der Gesichts— punkt der psychischen Wertschätzung ist hier in der Tat nicht abzuweisen. Kein Mensch vergißt Handlungen auszuführen, die ihm selbst wichtig erscheinen, ohne sich dem Verdachte geistiger Störung auszusetzen Unsere Untersuehung kann sich eine nur auf daß Vergessen von mehr oder minder niehensäch— lichen Vorsä.tzen erstrecken; für ganz und gar gleichgültig werden wir keinen Vorsatz erachten, denn in diesem Falle-wäre er wohl gewiß nicht gefällt werden.

§ 578

Ich habe nun wie bei den früheren Funktionestötnngen die bei mir selbst beobachteten Fälle von Unterlassung durch Vergessen gesammelt und aufzuklären gesucht und hiebei ganz allgemein gefunden, daß sie auf Einmangung unbekannter und uneingmtimdener Motive « oder, wie man sagen kann, auf einen Gegenwillen — zurückzuführen waren. In einer Reihe dieser Fälle befand ich mich in einer dem Dienstverhältnisue ähnlichen Lage, unter einem Zwange, gegen welchen ich es nicht ganz aufgegeben hatte, mich zu stuäuben; ec Mielrdunfl1Ver4 gessen gegen ihn demonstrierte. Dazu gehört, daß ich beson= ders leicht vergesse, zu Geburtstagen, Jubiläen, Hochzeite£eiern und Standeserhöhungen zu gratulieren. Ich nehme es

§ 579

' in dem Schnquiel „Cisar und Kleopatm." von B, sh" qnilt sich du- von Ägypten seheidende Gäu: eine Weile mit der Idee, er habe noch etwas mrgehnht, was er jetzt ver-genen. Endlich stellt sich heraus, wenn am: vergessen hatte: von Klenpu.tm Abschied in nehmenl Durch diesen kleinen zu.; soll vermchnnlieht werden _ iibrigen: im vollen Gtgtnutz m historiaehen Wahrheit _, wie wenig sich Chat am der kleinen ägyptischen Prinzessin gemwht hatte.

§ 580

(Nach E, Jones 1. c., s. 485.)

§ 581

§ 582

134 VII. vnksmsns von EINDRÜCKEN UND vossmzzu.

§ 583

mir immer wieder vor und überzenge mich immer mehr, da.ß es mir nicht gelingen will. Ich bin jetzt im Begriffe, darauf zu verzichten, und den Motiven, die sich sträuben, mit Bewußtsein recht zu geben. In einem Ubergangsstadium habe ich einen Freund, der mich hat, auch für ihn ein Glückwunschtelegra.mm zum bestimmten Termin zu besorgen, vorher gesagt, ich würde an beide vergessen, und es“ war nicht zu verwun— dern, daß die Prophezeiung wahr wurde. Es hängt nämlich mit schmerzhchen Iebenserfahmngen zusammen, daß ich nicht im stande bin, Anteilnahme zu äußern, wo diese Äußerung notwendigerweise übertrieben ausfallen muß, da, für den geringen Betrag meiner Ergriffenheit der entsprechende Aus— druck nicht zulässig ist, Seitdem ich erkannt, daß ich' oft vorgebliche Sympathie bei anderen für echte genommen habe, befinde ich mich in einer Aufiehnung gegen diese Konventionen der Mitgefühlsbezeignng, deren soziale Nützlichkeit ich anderseits einsehe. Kondolenzen bei Todesfällen sind von dieser zwiespältigen Behandlung ausgenommen; wenn ich mich zu ihnen entschlossen habe, versäume ich sie auch nicht. Wo meine Gefühlsbetätigung mit gesellschaftlicher Pflicht nichts mehr zu tun hat, da, findet sie ihren Ausdruck auch niemals durch Vergessen gehemmt.

§ 584

Von einem solchen Vergessen, in dem der zunächst unterdrückte Vorsatz als „Gegenwille“ durchbra.ch und eine unerquickliche Situation zur Folge hatte, berichtet Oblt. T. aus der Kriegsgefangenschaft.

§ 585

„Ein Fall von ,Uliersehen‘.

§ 586

„Der Bangälteste eines Lagers kriegsgefangener Offiziere wird von einem seiner Kameraden beleidigt. Er will, um Wei— terungeu zu entgehen, von dem einzigen ihm zur Verfügung

§ 587

§ 588

VII. VERGLBBE'N VON mR'Ü'CKEN UND VORSÄ’I‘ZEN. 185

§ 589

stehenden Gewaltmittel Gebrauch machen und letzteren ent— fernen und in ein. anderes Lager versetzen lnnsen, Erst über Anrate-n mehrerer Freunde entsohließt er sich, gegen seinen geheimen Wunsch, hieyon Abstand zu nehmen ’und den Ehrenweg, der aber vielerlei Umnnehmliehkeiten im Gefolge haben , mußte, gleich zu beschreiben

§ 590

Am niinflinhen Vomitta.g hat dieser Kommandant die Liste der Offiziere unter Kontrolle eines Wanh‘urgans vorzu— lessn. Fehler waren ihm, der seine Gefährten schon durcli längere Zeit kannte, darin bisher nicht unterhufen. Heute — überliest er den Namen seines Beleidigers, so daß dieser, als alle Kameraden bereits nbgetleten waren, allein am Platze zurückbleiben muß, bis sich der Irrtum geklärt hat. Der übersehene Name stand in voller Deutliehkeit in der Mitte eines Blattes. '

§ 591

Dieser Vorfall wurde von der einen Seite als beabsichtigte Kränkung ausgelegt ; von der anderen als peinlicher und zur Fehldeutung geeigneter Zufall angesehen. Doch gewann der Urheber späterhin, nach Kenntnisnahme von Freude ,Psychopnthologie‘ ein richtiges Umu'm Stattgefundenen.“

§ 592

Ähnlich erkläm sich &urßh den Widsrstreit einer konven-'tionellen Pflicht und einer nicht eingestandensn inneren Schät— zung die Fälle, in denen man wl‘lundlungm auszuführen vergißt, die man einem anderen zu seinen Gunsten auszuführen versprochen hat. Hier trifft es dann regelmäßig zu, daß nur der Gönner an die entschuldigende Kraft des Vergessens glaubt, während der Bittsteller sich ohne Zweifel die richtige Antwort gibt: Er hat kein Interesse daran, sonst hätte er es nicht vergessen. Es gibt Menschen, die man als allgemein vergeßlich bezeichnet und darum in ähnlicher Weise als entschuldigt gelten läßt wie

§ 593

§ 594

186 VII. vmmssm VON mnückm um) vonskrzzx.

§ 595

etwa den Kutzsichtigen, wenn er auf der Straße nicht grüßt ’. Diese Personen vergessen alle kleinen Versprechungen, die sie gegeben, lassen alle Aufträge unausgeführt, die sie empfangen haben, erweisen sich also in kleinen Dingen als unverläßiich und erheben dabei die Forderung, daß man ihnen diese kleineren Verstöße nicht übelnehmen, r]. h. nicht durch ihren Charakter erklären, sondern auf organische Eigentümliehkeit zurückführen solle ". Ich gehöre selbst nicht zu diesen Leuten und habe keine Gelegenheit gehabt, die Handlungen einer solchen Person zu analysieren, um durch die Auswahl des Vergessens die Motivierimg desselben anfzndecken. Ich kann

§ 596

. qusn ninii mit ihm feineren Ventindnis für nnbewutte seelische Vargängu in der Regel eher geneigt, es als Beleidigung anzusehen, wenn man sie auf der Strelle nicht erkennt, den nicht grüßt, als an die min!liegenden Erklärungen zu denken, du.li der Sünmige kunsichtig sei oder in Gedanken venunlmn sie nicht bemerkt hnbs. Sie suhiiuiien, mini bitte ,io schon bemerkt, wenn man sich „etwa: aus ihnen machen wiirde“.

§ 597

" S. Fereneli berichtet von lich, ein]! er selbst ein „Zemtrellter“ gewesen ist und leinen Bekannten durch die Häufigkeit und Sonderbuhit seiner Fehlhnndlungen auffällig war. Die Z-ichen die»: „7Antreutheit“ sind aber fast völlig gesehwnnden, seitdem er die psychonnnlytisahe Behandlung vun Kranken zu üben begann und sich genülrigt an, auch der Analyse seines eigenen Ich: Aufmerksamkeit mzuwenden. Man verzichtet, meint er, auf die Fehihund1nngsn, wenn man seine eigene Vemntworilichkeit um so viele! nuzndehnen lernt. Er niit daher mit Recht die Zerltrentheit fiir oinan Zmßnd, der von unbewußten Komplexen nbhingig und durch die Psyoholnllyss heilbar ist, Eines Tage! aber "und er unter dem Seiblvorwuri'e, bei einem Patienten einen Kumtfehler in der r.,unounniyse begangen zu haben. An diesem Tage steutsn sich Illu seine früheren „Zerrstlentheitsn“ wieder ein. Er stolperte mehrmnll im Gehen auf der straße (Darstellung jenes „fnnx pas" in der Behnndlung), vergnls seine Briefkaehe zu Hause, wußte auf der Trambahn einen Kremer weniger mhlen, hatte leine Kleidungutücke niuht ordentlich lugelmöpi't

§ 598

u. dgl.

§ 599

§ 600

vn. vsnerssm von menücxsn mm vorsxrznn. 137

§ 601

mich aber der Vermutung per analogiam nicht erwehren, ds.ß hier ein ungewöhnlich großes Maß von nicht eingestandener Geringsehätzung des Anderen das Motiv ist, welches das kon— stitutionelle Moment für seine Zwecke a.nsbeutet *.

§ 602

Bei anderen Fällen sind die Motive des Vergessens weniger leicht eufzufinden und erregen, wenn gefunden, ein größeres Beiremden. So merkte ich in friiheren Jahren; dal} ich bei einer größeren Anzahl von Krankenbeamhen nie an einen anderen Besuch vergesse als bei einem Gmtispatienten oder bei einem Kollegen. Aus Besehiim'ung hierüber hatte ich mir angcwöhnt, die Besuche des Tages schon 'am Morgen als Vorsatz zu notieren. Ich weiß nicht, ob andere Ärzte auf dem nämlichen Wege zu der gleiehen Übung gekommen sind, Aber man gewinnt so eine Ahnung davon, was den sogenannten Neurastheniker veranlaßt, die Mitteilungen, die er dem Arzt machen will, auf dem berüchtian „Zettel" zu notieren. Angeblich fehlt es ihm an Zutranen zur Reproduktionsleistung seines Gedächtnisses. Das ist gewiß richtig, aber die Szene geht zumeist so vor sich: Der Kranke hat seine versehiedenen Beschwerden und Anfragen höchst lengatmig vorgebreoht. Nachdem er fertig geworden ist, macht er einen Moment Pause, darauf zieht er den Zettel hervor und sagt entschuldigend: Iclihalie mir etwas gutgeschrieben, weil ich mir so gar nichts merke. In der Regel findet er auf dem Zettel nichts Neues, Er wiederholt jeden Punkt und beantwortet ihn selbst: Ja., danach habe ich schon gefragt, Er demonstriert mit dem Zettel wahrscheinlich nur eines seiner Symptome, die Häufigkeit, mit der seine Vorsätze durch Einmengung dunkler Motive gestört werden.

§ 603

« n. Jones bemerkt him: 0ften the resiflhume is of a genernl order. Thu: . im, man forget: to post mm; enzrusted to him — to his slight

§ 604

nnnoynnee _ by his wife, just a.! hs my „im-get" to earry out her simyping ordern.

§ 605

§ 606

188 VII. vmmzeem von EINDRUOKEN um) VOBSÄTZEN.

§ 607

Ich rühre ferner an Leiden, an welchen auch der größe» Teil der mir bekannten Gesunden krankt, wenn ich’ zugesteh'é} daß ich besonders in früheren Jahren .sehr leicht und für lange Zeit vergeesen habe, entlehnte Bücher zurückzugeben, oder daß es mir besonders leicht begegnet ist, Zahlungen durch Vergessen aufmsehieben. Unlä.ngst verließ ich eines Morgens die Tabaktra.fik, in welcher ich meinen täglichen Zigarreneinkulf gemacht hatte, ohne ihn zu bezahlen. Es war eine höchst harmlose Unterlassung, denn ich bin dort bekmnt und konnte-daher erwarten, am nächsten Tag an die Schuld gemzhnt zu werden. Aber die kleine Versäumnis', der Versuch; Schulden zu machen, steht gewiß nicht außer Zusammenhang mit den Budgeterwigungen, die mich den Vortag über beschäftigt hatten. In bezug auf das Thema von Geld und Besitz lassen sich die Spuren eines zwiespä,ltigen Verhaltens auch bei den meisten soge— riannten anständigen Menschen leicht nachweisen. Die primitive Gier des Säuglings, der sich aller Objekte zu bemäch'— tigen sucht (um sie zum Munde zu führen), zeigt sieh vielleicht allgemein als nur unvollständig durch Kultur und Erziehung überwunden',

§ 608

' Der Einheit des Thum “liebe darf ich hier die galvth Ein— teilung durchbreehen und dem eben Gunsten muhlieflen, w in bmg Au.f Geldauxhen dal Gedichtuil der Nenneben eine besondere Puteiliohhel't neigt. Erinnuungißulohungw, etwa baum _beuhlt zu lahm, um. wie ich-von mir «line weiß. on: uhr hutniaklg. Wo der gawinnsilchflgon' Ablißht &ble'ißl von den grnßcn Intemun der Lehenlfllhrnng, und dlhm’ eigentlich zum Gehen, frelnt Liu! gelunn wird wie beim Klrtempiel, ,„im die ehrlichlton Männer zu hmmm, Erinnmngn- und manlehlexn und finden sich Inlblt, ohne Mht n wisun wie, in kleine Bo— Lriigereian verwickelt. Auf Jobben Fnihlihn beruht nicht zum mindultan der paychileh nrfrlmhende cm;-arm du Spialu. Du Sprichwort. an man beim Spiel den Ohnnktor dl- Hausbau erkennt, int muguben,

§ 609

§ 610

m vnmmsnu von mntrcxnu mm vossmm. 189

§ 611

Ich fürchte, ich bin mit allen bishen'gen Beispielen einfach bana] geworden. Es kann mir aber doch nur recht sein, wenn ich auf Dinge sboße, die jedermann _bekannt sind, und die jeder in der näliiliche‘n Weise versteht, da ich bloß vorhabe, das Alltägliche zu sammeln und wie‘sensohafllich‘ zu verwerten. Ich“ sehe nicht ein, weshalb de.ereisheit, die Niederschlag der . gemeinen Lebenserfiahrung ist, die Aufnahme unher die Erwerbungen der Wissenschaft. versagt sein sollte. Nicht die Verschiedenheit der Objekte, sondern die strengen Meflmde bei der Feststellung und das Streben nach weitrei5henflelu Zusammenhang machen den wesentlichen Charakter der wissen— schaftlichen Arbeit aus.

§ 612

Für die Vorsä.tze von einigem Belang haben wir allgemein gefunden, daß sie dann vergessen werden, wenn sich dunkle Motive gegen sie erheben. Bei noch weniger wichtigen Vorsitzen erkennt. man als zweiten Mechanismus des "Vergessens, daß ein Gegenwille sicli von wo anders her 'nnf den Vorsatz überträgt, nachdem zwischen jenem anderen und. dem Inhalt des Vorsatzes wenn nun liinlnfiigen will: den nnberd.riickten Gimrnkisr. _ Wenn es nna.bsichiliohe Rechsniehler bei Z=hlkellnsrn noch gibt, In unterliegen sie offenbar darselhun Bnmlhmg. — Im Knnfmnmuhnde kann nun häufig eine gewisse Zögerung in der Vetuugl.bnng vun Gsldlulmnen. bei der Bezahlung von Rechnungen u. dgl. benbwheen, die dem Eigner keinen Gewinn bringt, sondern nur psychologisch m verstehen ist als eine Äußerung des Gegenwille'ns, Grid vun rin1u zu tun. — Brill bemerkt. hierüber mit epigtamnmtischez Schärfe: We a.re more epb to misia.y letters con— taining bills Chan checkt — Mit den intimten und. nm wenigsten klax gewordenen Regnngen ningo er immun, wenn gerade anen eine ba ronduro Unlnsb zeigen, den Ani rn hannriexen. Sie haben gewöhnlich ihr Portemonnaie vergessen, können dumm in der Ordinnfion nicht nhlon, vergeuen dann regelmlßig, du Honorar vom Hure nur im schicken, und um er an durch, am nnm sie umsonst _ „um ihrer schönen Augen willen" — behandelt hat, Sie zahlen gleichsam mit_ihtem Anhünk.

§ 613

§ 614

190 vn. vermessen VON EINDRÜCKEN mm vonexrzm

§ 615

eine äußerliche Assoziation hergestellt werden ist. l-Iiezu gehört folgendes Beispiel: Ich lege Wert auf schönes Löschpa.pier und. nehme mir vor, auf meinem heutigen Nachmittagsweg' in die Innere Stadt neues einzukaufen. Aber an vier aufein— anderfolgenden Tagen vergesse ich dem, bis ich mich befrage, welchen Grund diese Unterlassung hat. Ich finde ihn dann leicht, nachdem ich mich besonnen habe, daß ich zwar „Lösclh papier" zu schreiben, aber „Fließpapier“ zu sagen gewohnt bin, „Fließ“ ist der Name eines Freundes in Berlin, der mir in den nämlichen Tagen Anlaß zu einem quälenden, besorgten Gedanken gegeben hatte. Diesen Gedanken kann ich nicht los werden, aber die Abwehmeigung (vgl S. 174) äußert sich, indem sie sich mittels der Wortgleichheit auf den indifferenten und darum wenig resistean Vorsatz überträgt.

§ 616

Direkter Gegenwille und entfernten Motivierung treffen in folgendem Falle von Aufschub zusammen: In der Sammlung „Grenzfragen des Nerven- und Seelenlebens“ hatte ich eine kurze Abhandlung über den Traum geschrieben, welche den Inhalt. meiner „Traumdeutung“ resümiert. Bergmann in Wiesbaden sendet eine Korrektur und bittet um umgebende Erledigung, weil er das Heft noch vor Weihnachten ausgeben wilL Ich mache die Korrektur noch in der Nacht und lege sie auf meinen Schreibtisch, um sie am nächsten Morgen mitzu— nehmen. Am Morgen vergesse ich daran, erinnere mich erst naßhmittags beim Anblick des Kreuzbandes auf meinem Schreibtisch. Ebenso vergesse ich die Korrektur am Nanlk mittag, am Abend und am nächsten Morgen, bis ich mich auf» raffe und am Nachmittag des zweiten Tages die Korrektur zu einem Briefkasten trage, verwundert, was der Grund dieser Verzögerung sein mag. Ich will sie oflenbax nicht absenden, aber ich finde nicht, warum. Auf demelben Spaziergang trete

§ 617

§ 618

m vnecmsnu vor! mnücm mm voneirznu, 191

§ 619

ich aber bei meinem Wiener Verleger, der auch das Traumbuch publiziert hat, ein, mache eine Bestellung und sage dann, wie von einem plötzlichen Einfa.ll getrieben: „Sie wissen doch, daß ich den ,Traum‘ ein zweites Mal geschrieben habe?“ _ „Ah, da würde ich doch bitten.“ — „Beruhigen Sie sich, nur ein kurzer Aufsatz für die Löwenfeld-Kurellescbe Sammlung.“ Es war ihm aber doch nicht recht; er besorgte, der Vortrag wiirde dem Absatz des Buches schaden. Ich widersprach und fragte endlich: „Wenn ich mich friiher an Sie ge— wendet hätte, würden Sie mir die Publikation untersagt haben?“ — „Nein, das keineswega.“ Ich glaube selbst, daß ich in meinem vollen Recht gehandelt und nichts anderes getan habe, als was allgemein üblich ist; doch scheint es mir gewiß, daß ein ähnliches Bedenken, wie es der Verleger äußerte, das Motiv meiner Zögerung war, die Korrektur abzueenden. Dies Bedenken geht auf eine frühere Gelegenheit zurück, bei welcher ein anderer Verleger Schwierigkeiten erhob, als ich, wie unvermeidlich, einige Blätter Text aus einer friiheren, in anderem Verlage erschienenen Arbeit über zerehrale Kinderlä.hmung unverändert in die Bearbeitung desselben Themen im Handbuch von Nothna.gel hinübernahm. Dort findet aber der Vorwurf abermals keine Anerkennung; ich hatte auch da.mals meinen ersten Verleger (identisch mit dem der „Traumdeutung“) loyal von meiner Absicht verständigt. Wenn aber diese Erinnerungsreihe noch weiter zurückgeht, so rückt sie mir einen noch früheren Anlaß vor, den einer Übersetzung aus dem Französischen, bei welchem ich wirklich die bei einer Publiku— tion in Betracht kommenden Eigentumsrechte verletzt habe, Ich hatte dem übersetzten Text Anmerkungen beigefügt, ohne für diese Anmerkungen die Erlaubnis des Autors nachgesucht zu haben, und habe einige Jahre später Grund zur Annahme

§ 620

§ 621

192 VI]. mm VON EINDRÜCDIN UND VORÄÄ'I‘Z‘EN.

§ 622

bekommen, daß der Autor mit dieser Eigenmächtigkeit unzufrieden war.

§ 623

Es gibt ein SprichWOrfi, welches die populäre Kenntnis verrät, daß das Vergessen von Vorsitzen nichts Zufälliges ist. „Was man einmal zu tun vergessen hat, das vergißt ms;n dann noch öfter.“

§ 624

Ja, man kann sich mitunter des Eindruaks‘ nicht erweliren, daß alles, was man über das Vergessen und die Fehlhnndlungen iiberhaupt. sagen kann, den Menschen uhnedies wie etwas Selbstverstä.ndliches bekannt ist. Wunderbar genug, daß es doch notwendig ist, ihnen dies so Wohlbekannte vers Bewußtsein zu rückenl Wie oft; habe ich sagen gehört: Gib mir diesen Auftrag nicht, ich wurde gewiß an ihn vergessen. Das Eintreffen dieser Vorhersagung hatte dann sicherlich nichts Mystisehesa.n sich. Der so sprach, verspürte in sich den Vorsatz, den Auf— trag nicht auszuführen, und weigerte sich nur, sich zu ihm zu bekennen,

§ 625

Das Vergessen von Vorsätzen erfährt übrigens eine gute Beleuchtung durch etwas, was man als „Fassen von falschen Vorsätzen“ bezeichnen könnte. Ich hatte einmal einem jungen Autor verspmchen, ein Referat über sein kleines Opus zu schreiben, schob es aber wegen innerer, mir nicht unbekannter Widerstände auf, bis ich mich eines Tages durch sein Drängen bewegen ließ zu versprechen, daß es noch am selben Abend geschehen werde. Ich hatte auch die ernste Absicht, so zu tun, aber ich hatte vergessen, daß die Abfassung eines uns,ufschieb« baren Gutachtens für den nimlichen Abend angesetzt Wax, Nachdem ich so meinen Vorsatz als falsch erkannt hatte, gab ich den Kampf gegen meine Widerstände auf und sagte dem Autor eb,

§ 626

§ 627

VIII.

§ 628

DAS VERGREIFEN.

§ 629

Der oben erwähnten Arbeit von Meringer und Mayer entnehme ich noch die Stelle (S. 98):

§ 630

"Die Sprechfehler stehen nicht ganz allein da. Sie entsprechen den Fehlern, die bei anderen Tätigkeiten den Menschen sich oft einstellen und ziemlich töricht ,Vergeßlichkeiten‘ genannt werden."

§ 631

Ich bin also keinesfalls der erste, der Sinn und Absicht hinter den kleinen Funktionsstörungen des täglichen Lebens Gesunder vermutet**.

§ 632

Wenn die Fehler beim Sprechen, das ja eine motorische Leistung ist, eine solche Auffassung zugelassen haben, so liegt es nahe, auf die Fehler unserer sonstigen motorischen Verrichtungen die nämliche Erwartung zu übertragen. Ich habe hier zwei Gruppen von Fällen gebildet; alle die Fälle, in denen der Fehleffekt das Wesentliche scheint, also die Abirrung von der Intention, bezeichne ich als „Vergreifen“, die anderen, in denen eher die ganze Handlung unzweckmäßig erscheint, benenne ich „Symptom- und Zufallshandlungen“. Die Scheidung ist aber wiederum nicht reinlich durchzuführen; wir

* Eine zweite Publikation Meringers hat mir später gezeigt, wie sehr ich diesem Autor unrecht tat, als ich ihm solches Verständnis zumutete. § 633

194 VI“ DAS VERBREIFER

§ 634

kommen ja wohl zur Einsicht, dal} alle in dieser Abhandlung gebrauchten Einteilungen nur deskriptiv bedeutsame sind und der inneren Einheit des Erscheinungsgebietes widersprechen.

§ 635

Das psychologische Verständnis des „Vergreifens“ erfährt offenbar keine besondere Förderung, wenn wir es der Ann.: und. speziell der „kortikalen Ata.xie“ subsumieren. Versuchen wir lieber, die einzelnen Beispiele auf ihre jeweiligen Bedingungen zurückzuführen. Ich werde wiederum Selbstbeobachtungen hiezu verwenden, zu denen sich die Anlässe bei mir nicht beennders häufig finden.

§ 636

im) In früheren Jahren, als ich Hausbesuche bei Patienten noch häufiger machte als gegenwärtig, geschah es mir oft, daß ich, vor der Tür, an die ich anklopfen oder Hintenl sollte, angekommen, die Schlüssel meiner eigenen Wohnung aus der Tasche zog, um — sie dann fast beschämt wieder einzustecken. Wenn iohmir zusammenstelle, bei welchen Patienten dies der Fall war, so muß ich annehmen, die Fehlhnndlung _ Schlüssel herausziehen anstatt läutet. — bedeutete eine Huldigung fiir das Haus, wo ich in diesen Miflgriff verfiel. Sie war äquiva.lent dem Gedanken: „Hier bin ich wie zu Hause“, denn sie trug sich nur zu, wo ich den Kranken liebgewonnen hatte. (An meiner eigenen Wohnungstiir läutete ich natürlich niemals.)

§ 637

Die Fehlhandlung war also eine symbolische Darstellung eines doch eigentlich nicht für ernsthafte, bewußte Annahme bestinmiten Gedanken, denn in der Realität weiß der Nerven» arzt genau, daß der Kranke ihm nur so lange anhänglich bleibt, als er noch Vorteil von ihm erwartet, und dsl! er selbst nur zum Zwecke der psychischen Hilfeleistung ein übermäßig warmes Interesse für seine Patienten bei sich gewähren läßt.

§ 638

Daß das sinnvoll fehlerhafte Hnnticren mit dem Schlüssel

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§ 640

vm. DAS vnmnnrmn. 195

§ 641

keineswegs eine Besonderheit meiner Person ist, geht aus zahlreichen Selbstbethtnngen anderer hervor,

§ 642

Eine fast identische Wiederholung meiner Erfahrungen be—‘ schreibt A. Maeder (Contrib. &. In. psychopathologe de la. vie quotidienne, Arch, de Psychol., VI, 1906): Il est arrivé ä. cha»cun de sortir son tmussean, en mivemt e. la. parte rl’un ami particuliérement cher, de se eurprendre pour ainsi dir-e, en train d’onvrir avec se. clé comme chez sui. C’est un retard, puisqu’il faut sonner malgré tout, mais c’est une preuve qu’on se sent — ou qu’on voudre.it so sentir — comme chez soi, aupres (le oet smi.

§ 643

E. Jones (L e., p. 509): The use of keys is & fertile source of occurrences of this kind of which two examples may be given. 1; 1 am disturbed in the midst tt some engrossing work at home by having to go to the hospital to carry out some mutine work, I am very apt to find myself trying to open the door of my ]aboratory there with the key of my desk at home, although the tv'm keys are quite nn]ike each other. The mistake unoonsciously demonstrates where I would rather be at the moment.

§ 644

Some years ago I was eating in & sub1n‘dmßte position s.t & certain institution, the {mut door of which was kept looked, so that it wa.s necessary to ring for admissicn. On several acces— sions I found. myself making serious attempts to open the door with my house key. Each one of the permanent visiting stoff, of which I aspirod to be a. member, was provided with 3. key to avoid the tmnble of having to wait at the door. My mietskee thus expressed my desire to be on a similar footing, and to be quite „at home“ there.

§ 645

Ähnlich berichtet Dr. Hanns Sachs (Wien): Ich trage stets zwei Schlüssel bei mir, von den'en der eine die Tür zur

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IB“

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§ 648

196 m. DAS VERGREIFEN.

§ 649

Kanzlei, der andere die zu meiner Wohnung öffnet. Leicht verwechsele sind sie durchaus nicht, da. der Kanzleischliissel mindestens dreimal so groß ist wie der Wohnungsschliissel. Überdies trage ich den ersteren in der Hosentasche, den anderen in der Weste. Trotzdem geschah es öfters, daß ich vor der Tür stehend bemerkte, daß ich auf der Treppe den falschen Schlüssel vorbereitet hatte. Ich besehloß, einen statistischen Versuch zu machen; da ich ja täglich ungefähr in derselben Gemütsverfsssung vor den beiden Türen stehe, mußte auch die Verwechslnng.der beiden Schlüssel, wenn anders sie psychisch determiniert sein sollte, eine regelmäßige Tendenz zeigen. Die Beobachtung bei späteren Fällen ergab dann, daß ich regelmäßig den Wohnungsechliissel vor der Kanzleiti'u‘ herausna.hm, nur ein einziges Mal war das Umgekehrte der Fall: ich kann ermiidet nach Hause, wo, wie ich wußte, ein Gast meiner war— tete. Vor der Tür machte ich einen Versuch, sie mit dem natürlich viel zu großen Kanzleischliissel nufzusperren.

§ 650

b) In einem bestimmten Hause, wo ich seit sechs Jahren zweimal täglich zu festgesetzten Zeiten vor einer Tür im zweiten Stock auf Einla.ß warte, ist es mir während dieses langen Zeitraumes zweimal (mit einem kurzen Intervall) geschehen, daß ich um einen Stock höher gegangen bin, also mich „verstiegen“ habe. Das eine Mal befand ich mich in einem ehrgeizigen Tagtta-um, der mich „höher und immer höher stei— gen" ließ. Ich iiberhörte damals sogar, daß sich die fragliohe Tür geöffnet hatte, als ich den Fuß auf die ersten Stufen des dritten Stockwerks setzte. Das andere Mal ging ich wiederum „in Gedanken versunken“ zu weit; als ich es bemerkte, umkehrte und die mich behen'sehende Phantasie zu erhasehen suchte, fand ich, daß ich mich über eine (phantasierte) Kritik meiner Schriften ärgerte, in welcher mir der Vorwurf ge

§ 651

§ 652

VIII. DAS VEBGREIFEN. [97

§ 653

macht wurde, daß ich immer „zu weit ginge“, und in die ich nun den wenig respektvollen Ausdruck „v e r s t i e g e n“ einzusetzen hatte.

§ 654

0) Auf meinem Schreibtisch liegen seit. vielen Jahren nebeneinander ein Reflexhnmmer und eine Stimmgabel. Eines Tages eile ich nach Schluß der Sprechstunde fort., weil ich einen bestimmten Siadtbalmzng erreichen will, stecke bei vollem Tages— licht anstatt des Hammers die Stimmga,bel in die Rocktasche und. werde durch die Schwere des die Tasche hers,bziehenden Gegenstandes auf meinen Mißgriff aufmerksam gemacht. Wer sich über so kleine Vorkommnisse Gedanken zu machen nicht gewohnt ist, wird ohne Zweifel den Fehlgriff durch die Eile des Moments erklären und entschuldigen. Ich habe es trotzdem vorgenogen, mir die Frage zu. stellen, warum ich eigentlich die Stimmgabel anstatt des Hammers genommen. Die Eilfertigkeit hätte ebensowohl ein Motiv sein können, den Griff richtig aus— zuführen, um nicht Zeit mit der Korrektur zu Versäumen.

§ 655

Wer hat zuletzt nach der Stimmgabel gegriffen? lautet die Frage, die sich mir da eufdrä.ngt. Das.war vor wenigen Tagen ein idiotisches Kind, bei dem ich die Aufmerksamkeit auf Sinneseindriicke prii£te, und das durch die Stimmgabel so gefesselt wurde, daß ich sie ihm nur schwer entreißen konnte. Soll dns also heißen, ich sei ein Idict’l Allerdings scheint es so, denn der nächste Einst1, der sich an Hammer assoziiert, lautet „0 11 u m e :“ (hebliiisch: Esel).

§ 656

Was soll aber dieses Geschimpfe'l Man muß hier die Situa; tion befragen'. lub eilc zu einer Konsultation in einem Orte an der Westbahnstrecke, zu einer Kranken, die nach der brieflich mitgeteilten Anamnese vor Monaten vom Balkon herubgestürzt ist und seither nicht gehen kann. Der Arzt, der mich einlädt, schreibt, er wisse trotzdem nicht, ob _cs sich um Rückenmarks—

§ 657

§ 658

198 VIII. ms vnmnmm.

§ 659

Verletzung oder um traumatische Neurose —— Hysterie —handle. Da soll ich nun entscheiden. Da. wäre also eine Mahnung am Platze, in der heiklen Differentialdiagnose besonders vorsichtig zu sein. Die Kollegen meinen ohnedies, man diagno— stiziere viel zu leichtsinnig Hysterie, wo es sich um ernstere Dinge handle. Aber die Besohimpfung ist noch nicht gerecht— fertigtl Ja., es kommt hinzu, daß die kleine Bahnstation der nämliche Ort ist, an dem ich vor Jahren einen jungen Mann gesehen, der seit einer Gemütsbewegung nicht ordentlich gehen konnte. Ich diagnostizierte damals Hysterie und nahm den Kranken später in psychische Behandlung, und dann stellte es sich heraus, daß ich freilich nicht unriohtig diagnostiziert hatte, aber auch nicht richtig Eine ganze Anzahl der Sym— ptome des Kranken war hysterisch gewesen, und diese schwanden auch prompt im Laufe der Behandlung. Aber hinter diesen wurde nun ein für die Therapie unantastharer Rest sichtbar, der sich nur auf eine multiple Sklerose beziehen ließ. Die den Kranken nach mir sehen, hatten es leicht, die organische Af{aktion zu erkennen; ich hätte kaum anders vorgehen und anders urteilen können, aber der Eindruck war doch der eines schweren Irrtums; das Versprechen der Heilung, das ich ihm gegeben hatte, war natürlich nicht zu halten. Der Mißgriff nach der Stimmgubel anstatt nach dem Hammer ließ sich also so in Worte übersetzen: Du Trottel, du Esel, nimm dich diesmal zusammen, daß du nicht wieder eine Hysterie diagnostizierst, wo eine unheilba.re Krankheit vorliegt, wie bei dem armen Mann an demselben Ort vor Jahren! Und zum Glück für diese kleine Analyse, wenn auch zum Unglück für meine Stimmung, war dieser selbe Mann mit schwerer spastischer Lähmung wenige Tage vorher und einen Tag nach dem idiotisohen Kind in meiner Sprechstunde gewesen.

§ 660

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vm ms vmnmwsrz. 199

§ 662

Man merkt, es ist diesmal die Stimme der Selbstkritik, die sich durch das Fehlgreifen vernehmlich macht Zu solcher Ver— wendung als Seibstvorwurf ist der Fehlgriff ganz besonders geeignet, Der Mißgriff hier will den Miligriff, den man anderswo begangen hat, darstellen.

§ 663

rl) Selbstverständlich kann das Fehlgreifen auch einer ganzen Reihe anderer dunkler Absichten dienen. Hier ein erstes Beispiel: Es kommt sehr selten vor, daß ieh' etwas zerschlage. Ich bin nicht besonders geschickt, aber infolge der anatomischen Integrität meiner Newmnskelappmte sind Gründe für so ungcschickte Bewegungen mit unerwünscth Erfolge bei mir offenbar nicht gegeben. Ich weiß abo kein Objekt in meinem Hause zu erinnern, dessengleichen ich je zersehlegen hätte. Ich war durch die Enge in meinem Studien-zimmer oft genötigt, in den unhequemsten Stellungen mit einer Anzahl von antiken Ton- und Steinsaehen, von denen ich eine kleine Sammlung habe, zu hantiaren, so daß Zuschauer die Besorgnis ausdrückten, ich würde etwas herunterschleudern und mrschla.gen. Es ist aber niemals geschehen. Warum habe ich also einmal den mannernen Deckel meines einfachen Tmtengefäßea zu Boden geworfen, so daß er mhraßhl ,

§ 664

Mein Tintenzeng besteht aus einer Platte von Untetsberget Marmor, die für die Aufnahme des gläsernen Tintenfäßchens ausgehöhlt ist; das Tintenia.ß trägt einen Deckel mit Knopf aus demselben Stein. Ein Kranz von Bronzestatuetten und Termkottafigürchen ist hinter diesem Tintenzeug aufgestellt. Ich setze mich an den Tisch, um zu schreiben, mache mit der Hand, welche den Federatiel hält, eine merkwürdig ungeschickte, ausfshrende Bewegung und werte so den Deckel des Tintenfasses, der bereits auf dein Tische lag, zu Boden. Die Erklärung ist nicht schwer zu finden. Einige Stunden vorher

§ 665

§ 666

200 ml. DAB vmenmnu.

§ 667

war meine Sehwester im Zimmer gewesen, um sich einige neue ErWerbnngen anzusehen. Sie fand sie sehr schön und äußerte dann: „Jetzt sieht dein Schreibtisch Wirklich hübsch aus, nur das Tintenzeug paßt nicht dazu. Du mußt ein schöneres haben.“ Ich begleite die Schwester hinaus und kam erst nach Stunden zurück. Dann aber habe ich, wie es scheint, an dem verurteian Tintenzeug die Exekutian vollzogen. Schloß ich etwa. aus den Worten der Schwester, da.!) sie sich vorgenommen habe, mich zur nächsten festlichen Gelegenheit mit einem sehöneren Tintenzeug zu beschenken, und zerschlug das unschöne alte, um sie zur Verwirklichung ihrer angedeuteten Absicht zu nötige“ Wenn dem so ist, so war meine schlew dernde Bewegung nur scheinbar ungeschiekt; in Wirklichkeit war sie höchst geschickt und zielbewußt und verstand es, allen wertvolleren, in der Nähe befindlichen Objekten schonend auszuweichen.

§ 668

Ich glaube wirklich, daß man diese Beurteilung fiir eine ganze Reihe von anscheinend zufällig ungeschickten Bewegungen annehmen muß. Es ist richtig, daß diese etwas Gewaltsames, Sehleuderndes, wie Spestisch-Ataktisches zur Schau tragen, aber sie erweisen sich als von einer Intention beherrscht und treffen ihr Ziel mit einer Sicherheit, die man den bewußt willkürlichen Bewegungen nicht allgemein nachriihmen kann. Beide Charaktere, die Gewaltsamkeit wie die Treffsicherheit, haben sie übrigens mit den motorischen Äußerungen der hysterischen Neurose und zum Teile auch mit den motorischen Leistungen des Somnambulismus gemeinsam, was was wohl hier wie dort auf die nämliche unbekannte Modifikation des I.nnervatiensvorganges hinweist.

§ 669

. Auch eine von Frau Lou Andreas-Salomé mitgeteilte Selbstbeobeßhtung kann überzeugend dumm, wie eine hart

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§ 671

vn1 DAB VERGREEFEN. 201

§ 672

nä.ekig iestgelmltene „Ungeschicklichkeit“ in sehr geschickter Weise uneingestandenen Absichten dient.

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„Genau von der Zeit an, wo die Milch seltene und kostbare Ware geworden war, geschah es mir, zu meinem ständigen Schrecken und Ärgernis, sie beständig überkochen zu lassen. Umsonst mühte ich mich, dessen Herr zu. werden, obwohl ich durchaus nicht sagen kann, daß ich mich bei sonstigen Gelegenheiten zerstreut cder»unashtsnm bewiesen hätte. Eher hätte das Ursache gehabt nach dem Tode ’meines lieben weißen Tetriers (der so herechtigterweise wie nur je ein Mensch ,Freund‘ [russisch Drujok] hieß). Aber — siehe da! — niemals“ seitdem ist die Milch auch nur um ein Tröpfchen überkouht. Mein nächster Gedanke darüber lautete: ,Wie gut ist das, da. das auf Herdpls,tte oder Fußboden sich Ergießende nun nicht einmal Verwendung fändel‘ —— Und gleichzeitig sah ich meinen ,Freund‘ vor mir, wie er gespannt dasa.ß, die Kochprozedmzu beobachten: den Kopf etwas schiefgeneigt und mit dem Schwanzende schon erwartungst wedelnd, — rnit getrostel‘ Sicherheit des sich vollr.iehenden prächtigen Unglück: ge, wärtig, Damit war freilich alles klar, und auch dies: daß er mir noch mehr lieb gewesen war, als ich selbst wußte.“

§ 674

Es ist mir in den Beinen Jahren, seitdemich solché Beobachtungen sammle, noch einigeme,l geschehen, daß ich Gegen— stände von gewissem Werte serschlagen oder zerhrochen habe, aber die Untersuchung dieser Fälle hat _mich überzeugt, daß es niemals ein Erfolg des Zufalls oder meiner absichtslosen Ungeschicklichkeit war. So habe ich eines Morgens, als ich im; Bsdekostiim, die Füße mit Strohps.ntoffeln bekleidet, durch ein Zimmer ging, einem plötzlichen Impuls folgend, einen der Pan« wifel vom Fuß weg gegen die Wand geschleudert, so daß er eine hübsche kleine Venus von Marmor von ihrer Konsole her-_

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202 VIII. ms VERGREIFEN,

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unterhalte. Während sie in Stücke ging, zitierte ich ganz ungerührt die Verse von Busch:

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Ach! die Venus ist perdü * Klickeradomsl — von Medici!

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Dieses tolle Treiben und meine Ruhe bei dem Schaden finden ihre Aufklärung in der damaligen Situation. Wir hatten eine schwer Kranke in der Familie, an deren Genesung ich im stillen bereits verzweifelt hatte An jenem Morgen hatte ich von einer großen Besserung erfahren; ich weiß, daß ich mir gesagt hatte: also bleibt sie doch am Leben. Dann diente mein Anfall von Zerstörungswut zum Ausdruck einer denkbaren Stimmung gegen das Schicksal und gestattete mir, eine „Opferhandlung“ zu vollziehen, gleichsam als hätte ich gelobt, wenn sie gesund wird, bringe ich dies oder jenes zum Opfer! Daß ich für dieses Opfer die Venus von Medici ausgesucht, sollte gewiß nichts anderes als eine gelante Huldigung fiir die Genesende sein; unbegteiflich bleibt mir aber auch diesmal, daß ich so rasch entschlossen, so geschickt gezielt und kein anderes der in so großer Nähe befindlichen Objekte getroffen habe.

§ 683

Ein anderes Zerbreehen, für das ich mich wiederum des der Hand entfa.hrenden Federstiels bedient habe, hatte gleichfalls die Bedeutung eines Opfers, aber diesmal eines Bittopfers zur Abwandung. Ich hatte mir einmal darin gefallen, einem treuen und verdienten Freunde einen Vorwurf zu machen, der sich auf die Deutung gewisser Zeichen aus seinem Unbe

§ 684

'! wußten, auf nichts anderes, stützte. Er nahm es übel auf und ! schrieb mir einen Brief, in dem er mich bat, meine Freunde ”nicht psychoanalytisch zu behandeln. Ich mußte ihm recht 'geben und beechwichtigte ihn durch meine Antwort. Während

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vm. DAS VERGREIFEN. 203

§ 687

ich diesen Brief schrieb, hatte ich meine neueste Erwerbung, ein prächtig glasiettes ägyptisches Figiirchen, vor mir stehen. Ich zerschlug es auf die beschriebene Weise und wußte dann sofort, daß ich dies Unheil angerichtet, um ein größeres abzuwenden, Zum Glück ließ sich beides —— die Freundschaft wie die Figur — so lehnen, daß man den Sprung nicht merken würde.

§ 688

Ein drittes Zerbrechen stand in weniger ernsthaftem Zusammenhang; es war nur eine maskierte „Exekution“, um den Ausdruck von Th. Viecher („Auch einer“) zu gebrauchen, an einem Objekt, des sich meines Gefalles nicht mehr erfreute. Ich hatte eine Zeitlang einen Stock mit Silbergriff getragen; als die dünne Silberplatte einmal ohne mein Verschulden beschädigt werden war, wurde sie schlecht repariert. Bald nachdem der Stock zurückgekommen war, benützte ich den Griff, um im Ubermut naeh dem Beine eines meiner Kleinen zu angeln. Dabei brach er natürlich entzwei und ich war von ihm befreit.

§ 689

Der Gleichmnt, mit dem man in all diesen Fällen den entstandenen Schaden aufnimmt, darf wohl als Beweis für das Bestehen einer unbewußten Absicht bei der Ausfühng in Anspruch genommen werden. , , . ,

§ 690

Gelegentlich stößt man, wenn man den Begrüdungen einer so geringfügigen Fehlleistung nanhforscht, wie es das Zerbrcchen eines Gegenstandes ist, auf Zusammenhänge, die tief in die Vorgeschichte eines Menschen hineinfiihren und iiberdies an der gegenwärtigen Situation desselben haften. Nachstehende Analyse von L. J ekels (Internat. Zeitschr. f. Psychoanalyse, I, 1913) soll hiefür ein Beispiel geben.

§ 691

„Ein Arzt befindet sich im Besitze einer, wenn auch nicht kostbaren, so doch sehr hübschen irdenen Blumenvase. Dieselbe wurde ihm seinerzeit nebst vielen anderen, darunter auch

§ 692

§ 693

204 VIII. DAS VERGRE'IFEN.

§ 694

kostbaren, Gegenständen von einer (verheirateten) Patientin geschenkt. Als bei derselben die Psychose _manifest wurde, hat; er all die Geschenke den Angehörigen der Patientin zurückerstattet —— bis auf eine weit weniger kosßpielige Vase, von der er sich nicht trennen konnte, angeblich wegen ihrer Schönheit.

§ 695

Doch kostete diese Unterschlagung den sonst so sla11—' pulös_en Menschen einen gewissen inneren Kempf, wer er sich doch der Ungehörigkeit dieser Handlung vollkommen bewußt und half sich bloß über seine Gewissenshisse mit. dem Vorhalt hinweg, die Vase habe eigentlich keinen Materinlwert, sei schWerer einzupa.cken {usw.

§ 696

Als er nun einige Monate später im Begriffe war, den ihm streitig gemachten Restbetrag für die Behandlung dieser Pit— tientin durch einen Rechtsanwalt rekle,misren und eintreiben zu lassen, meldeten sich die Selbstverwürfe wieder; flüchtig befiel ihn auch die Angst, die vermeintliche Unterschlnguiig könnte von den Angehörigen entdeckt und ihm im Strafverfahren entgegengehs.ltcn werden.

§ 697

Besonders jedoch das erste Moment war eine Weile hin— durch so stark, daß er schon daran dachte, auf eine etwa, hundertrnnl höhere Forderung zu verzichten ; quasi als EntSchädigung für den unterschlagenen Gegenstand —, er überwand jedoch alsbald diesen Gedanken, indem er ihn als: absurd beiseite schob.

§ 698

Während dieser Stimmung passiert es ihm nun, daß er, der sonst außerordentlich selten etwas zetbn'cht und seinen Muskeleppera.t gut beherrscht, beim Erneuem des Wassers in der Vase dieselbe durch eine organisch mit dieser Handlung gar nicht zusammenhängende, sonderbar ,ungeschickte‘ Bewegung vom Tische wirft, so daß sie etwa. in fünf oder sechs größere Stücke zerbricht. Und dies, nachdem er am Abend zuvor, nur nach

§ 699

§ 700

VIH. DAB vnmmmr . 205

§ 701

vorherigen starken Zögern, sich entschlossen hatte, gerade diese Vase hlumengefüllt vor die geladenen Gäste auf den Tisch des Speiseziminers zu stellen, und nachdem er knapp vor (im Zerbrechen an sie gedacht, sie in seinem Wohnzimmer angstvoll vermißi; und eigenhändig aus dem anderen Zimmer geholt hat!

§ 702

Als er nun nach' der anfänglichen Bestiimung die Stücke anisammelt, und gerade als er durch Zusammenpassen derselben konsta,tiert, es werde noch inöglich sein, die Vase test lückenlos zu rekonstruiemn, da. — gleiten ihm die zwei oder drei größeren Bruchstücke aus den Händen; sie zerstieben in tausend Splitter und mit ihnen auch jegliche Hoffnung auf diese Yase.

§ 703

Fraglos hatte diese Fehlleistnng die ektiielle Tendenz, dem 'Arnte das Verfolgen seines Rechtes zu ermöglichen, indem dieselbe das hsseitigte, was er zurückbehalten hatte und was ihn einigermaßen behinderte, das zu verlangen, was man ihm zurückbehslten hatte.

§ 704

Doch außer dieser direkten, besitzt für jeden Psychoanalytiker diese Fehlleistnng noch eine weitere, ung li tie

§ 705

iere und wichtigere symbolische Deberininierung; ist doch Vase ein unzweifelhnftes Symbol der Frau.

§ 706

Der Held dieser kleinen Geschichte hatte seine schöne, junge und hsißgeliebts Frau auf tragische Weise verloren; er verfiel in eine Neurose, deren Gmndnote war, er sei an dem Unglück !schuld (,er habe eine schöne Vase serbrschen‘).

§ 707

Auch fand er kein Verhältnis mehr zu den Frauen und hatte Abneigung vor der Ehe und vor dauernden Liebeebesiehungen, die im Unbewußten als Untreue gegen seine verstorbene Fran gewertet, im Bewußten aber damit rntionalisisrt wurde, er bringe

§ 708

§ 709

206 VIII. DAS VERGREIFEM

§ 710

den Frauen Unglück, es könnte sich eine seinetwegen töten usw. (Da, durfte er natürlich die Vase nicht dauernd behalten!)

§ 711

Bei Seiner starken Libido ist es nun nicht verwunderlich‘, daß ihm als die sdäquatesten die ihrer Natur nach doch passageren Beziehungen zu verheirateten Frauen vorschwebteu (daher Zurückhalten der Vase eines anderen).

§ 712

Eine schöne Bestätigung für diese Symbolik findet sich in nachstehenden zwei Momenten: Infolge der Neurose unterzog er sich der psychoanalytischen Behandlung.

§ 713

Im Verlaufe der Sitzung, in der er von dem Zerbrechen der ,irclenen‘ Vase erzählte, kam er viel später wieder einmal auf sein Verhältnis zu den Frauen zu sprechen und meinte, er sei bis zur Unsinnigkeit anspruchsvoll; eo verlange er z. B. von den Frauen ,unirdjsche Schönheit). Doch eine sehr deutliche Betonung, daß er noch an seiner (verstorbenen i, e. unirdischen) Frau hänge und von ,irdischer Schönheit‘ ‘nichts wissen wolle; daher das Zerblechen der ,irdenen‘ (irdischen) Vase.

§ 714

Und genau zur Zeit, als er in der Übertragung die Phantasie bildete, die Tochter seines Arztes zu heiraten, — ds. verehrte er demselben eine — Vase, quasi als Andeutung, nach welcher Richtung ihm die Revanche erwünscht wäre.

§ 715

Voraussichtlich läßt sich die symbolische Bedeutung der Fehlleistung noch mannigfaltig variieren, z.B. die Vase nicht füllen wollen usw. Interessanter erscheint mir jedoch die Erwägung, daß das Vorhandensein iron mehreren, mindestens zweien, wahrscheinlich auch getrennt aus dem Vor- und Unbewußten wirksamen Motiven, sich in der Doppelung der Fehlleistung — Umstoßcn und Entgleiten der Vase — vviderspiegelt,“

§ 716

c) Das Fallenlassen von Objekten, Umwerfen, Zerschlageu derselben scheint sehr häufig zum Ausdruck unbewuflter Gedankengänge verwendet zu werden, wie man gelegentlich durch

§ 717

§ 718

vn1. DAS vnnmrnmnn. 207

§ 719

Analyse beweisen kann1 häufiger aber aus den abergläubisch oder scherzha.tt daran geknüpften Deutungen im 'Volksmunde erraten möchte. Es ist. bekannt, welche Deutungen sich an das Ausschüth von Salz, Umwerfen eines Weinglasee, Stecken— bleiben eines zu Boden gefallenen Messers u. dgl. knüpfen. Welches Anrecht auf Beachtung solche abergläubisehe Deutungen haben, werde ich erst an späterer Stelle erörtern.; hieher gehört nur die Bemerkung, daß die einzelne ungeschickte Venichtung keineswegs einen konstanten Sinn hat, sondern je nach Umständen sich dieser oder jener Absicht als Darstellnngsrnittel bietet.

§ 720

Vor kurzem gab es in meinem Hause eine Zeit, in der ungewöhnlich viel Glas und Porzellangeschirr zerbrochen wurde; ich selbst trug mehreres zum Schaden bei. Allein die_kleine psychische Endemie war leicht eufzuklären; es waren die Tage vor der Vermä.hlung meiner ältesten Tochter. Bei solchen Feiern pflegte man sonst mit Absicht ein Gerät zu zerbrechen und ein glückbringendes Wort dazu zu sagen. Diese Sitte mag die Bedeutung eines Opfers und noch anderen symbolischen Sinn haben.

§ 721

Wenn dienende Personen nerbrechliche Gegenstände durch Fallenlessen vernichten, so wird man an eine psychologische Erklärung hiefiir gewiß nicht in erster Linie denken, doch ist auch dabei ein Beitrag dunkler Motive nicht unwahrschein— lich. Nichts liegt dem Ungebildeten ferner als die Schätzung der Kunst und der Kunstwerke. Eine dumpfe Feindseligkeit gegen deren Erzeugnisse beherrscht unser dienendes Volk, zu— mal wenn die Gegenstände, deren Wert sie nicht einsehen, eine Quelle von Arbeitssnforderung für sie werden. Leute ven derselben Bildungsstufe und Herkunft zeichnen sich dagegen in wissenschsltlichen Instituten oft durch große Geschick—

§ 722

§ 723

208 VIII. DAB VERGBE'IFEN.

§ 724

lichkeit und Verläßlichkeit in der Handhabung heikler Objekte aus, wenn sie erst begonnen haben, sich mit ihrem Herrn zu identifizieren und sich zum wesentlichen Personal des Institute zu rechnen.

§ 725

Ich schalte hier die Mitteilung eines jungen Techniken ein, welche Einblick in den Mechanismus einer Sachbeschädigung gestattet.

§ 726

„Vor einiger Zeit arbeitete ich mit mehreren Kollegen im Inboratorium der Hochschule an einer Reihe komplizierter Elastizitätsversuche, eine Arbeit, die wir freiwillig übernom— men hatten, die aber begann, mehr Zeit zu“ beanspruchen, als wir erwartet hatten. Als ich eines Tages wieder mit meinem Kollegen F. ins Lalmra.torium ging, äußerte dieser, wie unangenehm es ihm gerade heute sei, so viel Zeit zu verlieren, er hätte zu Hause so viel anderes zu tun; ich konnte ihm nur beistimmen und äußerte noch halb soherzhaft, auf einen Vorfall der vergangenen Woche anspielend: ,Hoffentlich wird wieder die Maschine Versagen, so daß wir die Arbeit abbrechen und früher weggehen können 1‘

§ 727

Bei der Arbeitsteilung trifft es sich, daß Kollege F. dns Ventil der Presse zu steuern bekommt, 'd. h. er hat die Druckfliissigkeit aus dem Akkumulatnr durch vorsichtiges Öffnen des Ventils langsam in den Zylinder der hydraulischen Presse einzulassen; der Leiter des Versuches steht beim Manometer und ruft, wenn der richtige Druck erreicht ist, ein lautes ,Halt‘. Auf dimes Kommando fallt Fr das Ventil und dreht es mit aller Kraft —- nach links (alle Ventile werden ausnahmslos nach rechts geschlossen 1). Dadurch wird plötzlich der volle Druck des Akkumulators in der Presse wirksam, worauf die Rohrleitung nicht eingerichtet ist, so daß sofort eine Rohrverhindung platzt — ein ganz harmloser Maschinendefekt, der uns

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vm, ms vmxnrms. 209

§ 730

jedoch zwingt, für heute die Arbeit einzustellen und nach Hause zu gehen.

§ 731

Charakteristisch ist übrigens, daß einige Zeit nachher, als wir diesen Vorfall besprechen, Freund F. sich an meine von mir-,mit Sicherheit erinnerte Äußerung absolut nicht erinnern wollte.“

§ 732

Sich selbst fallen lassen, einen Fehltritt machen, ausgleiten, braucht gleichfalls nicht immer als Nin’mtälliges Fehlschlngen motorischer Aktion gedeutet zu werden. Der sprachliche Doppelsinn dieser Ausdrücke weist bereits auf die Art von verhaltenen Phantasien hin, die sich durch solches Aufgeben des Körpergleichgewichtes darstellen können. Ich erinnere mich an eine Annhl von leichteren nervösen Erkrankungen bei Frauen und Mädchen, die nach einem Falle ohne Verletzung aufgetreten waren und als traumatische Hysterie zufolge des Sehr-ecke beim Falle a.nfgefa.ßt wurden. Ich bekam schon damals den Eindruck, als ob die Dinge anders zusammenhingen, als wäre das Fallen bereits eine Veranstaltung der Neurose und ein Ausdruck derselben unbewußten Phantasien sexuelle: Inhalts gewesen, die man als 'die bewegenden Kräfte hinter den Symptomen vermuten darf; Sollte desseD>e nicht auch ein Sprichwort sagen wollen, welches mim: „,—Wenn eine Jungfrau fällt, fällt sie auf den Rücken?“

§ 733

Zum Vergreifen kann man auch den Fall rechnen, daß jemand einem Bettler anstatt einer Kupfer- oder kleinen Silbermünne ein Goldstück gibt Die Auflösung solcher Fehlgriffe ist leicht; es sind Opferhandlungen, bestimmt, das Schicksal zu erweichen, Unheil abauwehren u. dgl. Hat man die zärtliche Mutter oder Tante unmittelbar vor-dem Spaziergang, auf dem sie sich so widerwillig gmßmiitig erleng eine Besorgnis

§ 734

,rund, man-mm a- An.-„um vn. m. 14

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§ 736

210 VIII. ms vnsnsnrsns.

§ 737

über die Gesundheit eines Kindes äußern gehört, “so kann man an dem Sinne des angeblich unliebsamen Zufalls nicht mehr zweifeln. Auf solche Art ermöglichen unsere Fehlleistungen die Ausübung aller jener hemmen und abergläubischeu Ge. bräuohe, die wegen des Sträubens unserer unglä,ubig gt:wordenen Vernunft das Licht des Bewußtseins scheuen miissen. '

§ 738

f) Daß zufällige Aktionen eigentlich absichtlich sind, wird auf keinem anderen Gebiete eher Glauben finden als auf dem der sexuellen Betätigung, Wo die Grenze zwischen beiderlei Arten sich wirklich zu verwischen scheint. Daß eine scheinbar ungeschickte Bewegung höchst raffiniert zu sexuellen Zwei;ken ansgeniitzt werden kann, davon habe ich vor einigen Jahren an mir selbst ein schönes Beispiel erlebt. Ich traf in einem befreundeten Hause ein als Gast angelsngtes junges Mädchen, Welches ein längst fiir erloschen gehsltenes Wohlgefallen bei mir erregte und mich darum heiter, gesprächig und zuvorkommend stimmte. Ich habe damals auch nachgeforscht, auf welchen Bahnen dies zuging; ein Jahr vorher hatte dasselbe Mädchen mich kühl gelassen. Als nun der Onkel des Mädchens, ein sehr alter Herr, ins Zimmer trat, sprengen wir beide auf, um ihm einen in der Ecke stehenden Stuhl zu bringen. Sie war behender als ich, wohl auch dem Objekt näher; so hatte sie sich zuerst des Sessels bemächtigt und tzug,ihn mit der Lehne nach rückwärts, beide Hände auf die Sesselränder gelegt, vor sich hin. Indem ich später hinzutrnt

§ 739

-und den Anspruch, den Sessel zu tragen, doch nicht nufgab', _

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stand ich plötzlich dicht hinter ihr, hatte beide Arme von rückwärts um sie geschlung-en, und die Hände trafen sich einen Moment lang vor ihrem Schoß. Ich löste natürlich die Situation ebenso rasch, als sie entstanden war. Es schien auch

§ 741

§ 742

vm. ms vunennmr. zu

§ 743

keinem aufzuiallen, wie geschickt ich diese ungeschickte Bewegung ausgebeth hatte.

§ 744

Gelegentlich habe ich' mir auch sagen müssen, daß das ärgerliche, ungesohickte Ausweichen auf der Straße, wobei man durch einige Sekunden hin und her, aber doch stets nach der nämlichen Seite wie der oder die andere, Schritte macht, bis endlich beide vor einander stehen bleiben, daß auch dieses „den Weg Vertreten“ ein una.fl;ig provozierendes Benehmen früherer Jahre wiederholt und sexuelle Absichten unter der Maske der Ungeschicklichkeit verfolgt. Aus meinen Psycho— analysen Neurotisoher weiß ich, daß die sogenannte Naivitä,t junger Leute und Kinder häufig nur solch eine Maske ist, um das Umständige unheirrt durch Genieren aussprechen oder tun zu können.

§ 745

Ganz ähnliche Beobachtungen hat W. Stekel von seiner eigenen Person mitgeteilt . „Ich trete 1n ein Haus ein und reiche der Dame des Hauses meine Rechte. Merkwürdigerweise löse ich dabei die Schleife, die ihr loses Morgenkleid zusammenhä1t. Ich bin mit keiner unehrbareu Absicht bewußt, und doch habe ich diese ungesobjckte Bev'veg‘ungmit der Geschicklichkeit eines Eskamoteurs volllzmehtäé; „ _

§ 746

Ich habe schon wiederholt Pmben dafiirgéberi höuiuät, daß die Dichter Fehlleistungen ebenso als sinnvoll und motiviert a.ufiassen, wie. wir es hier vertreten. Es wird uns darum nicht verwundern, an einem neuen Beispiel zu ersehen, wie ein Dichter auch eine ungesehiukte Bewegung bedeutungsvoll macht und zum Vorzeichen späterer Begebenheiten werden läßt.

§ 747

In Theodor Fontanes Roman: „L’Adnltera.“ heißt es (Bd. II, S. 64 der gesammelten Werke, Verlag S. Fischer): „ „und Melanie sprang auf und warf ihrem Gatten, wie zur Begrüßung, einen der großen Bälle zu. Aber sie hatte nicht

§ 748

140

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§ 750

212 vm. DAS vnnermmnu.

§ 751

richtig_gezielt, der Ball ging eeitwä.rts und Rnbehn fing ihn auf.“ Bei der Heimkehr von dem Auefluge, der diese kleine Episode gebmht hat, findet ein Gespräch zwischen Melanie und Rubehn statt, das die erste Andentung einer keimenden Neigung verrät. Diese Neigung wächst zur Leidenschaft, so daß Melanie schließlich ihren Gatten verläßt, um dem geliebten Marine ganz nnzugehören. (Mitgeteilt von H. Suche.)

§ 752

9) Die Effekte, die durch das FehIg-reifen normaler Men— schen zu stunde kommen, sind. in der Regel von hermlosester Art. Gerade darum wird sich ein besonderes Interesse an die Frage knüpfen, ob Fehlgriffe von erheblicher Tragweite, die von bedeutsamen Folgen begleitet sein können, wie z. B. die des Arztes oder Apotheken; meh' irgend einer Richtung unter unsere Gesichtspunkte fallen.

§ 753

Da ich sehr selten in die Lage komme, ärztliche Eingriffe vorzunehmen, hehe ich nur über ein Beispiel von ärztlichen Vergreifen aus eigener Erfahrung zu berichlm. Bei einer sehr alten Dame, die ich seit Jahren zweimal täglich besuche, beschränkt sich meine ärztliche Tätigkeit beim Morgenbeeuoh auf Iwei Akte: ich träufle ihr ein paar Tropfen Angenwneser ins Auge und gebe ihr eine Morphinminjektion. Zwei Fläschchen, ein. blaues fiir das Kollyrinm und ein weißes fiir die Morphin— löe'ung, sind regelmäßig vorbereitet. Während. der beiden Verrichtungen besehäftigen sich meine Gedanken wohl meist mit etwas anderem; das hat sich eben schon an oft wiederholt, daß die Aufinerksamheit sich wie frei benimmt. Eines Morgens bemerkte ioh, daB derAutomal; falsch gearbeitet hatte, deeTzopf— röhrchen hatte ins weiße anstatt ine blaue Fläschchen. einge— tauoht und nicht Kollyrium, sondern Morphin ins‘ Auge geträufelt. Ich euch:-ak heftig und beruhigte mich dann durch die Uberlegung, daß einige Tropfen einer zweiprouentigen

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§ 755

vn]. ms vmennm. 213

§ 756

Mar-phinlösung auch im Bindehailtsaek kein Unheil anzun'ehten vermögen. Die Sohreokampfind'ung war offenbar s.nderswoher abzuleiten. _

§ 757

Bei demVersuoh‘e, den kleinen Fehlgriff zu analysieren, fiel mir zunächst die Phrase ein: „sich an der Alten vergreifen“, die den kurzen Weg zur Lösung weisen konnte. Ich stand unter dem Eindruck eines Tranmes, den mir am Abend vorher ein junger Mann erzählt hat“, dessen Inhalt sich nur am! den sexuellen Verkehr mit der eigenen Mutter deuten ließ'. Die Sonderberkeit, daß die Sage keinen Anstoß an dem Alter der Königin Jokaste nimmt, schien mir gut zu dem Ergebnis zu stimmen, daß es sieh bei der Verliebtheit in die eigene Mutter niemals um deren gegenwärtige Person handelt, sondern um ihr jugendliches Erinnerungsbild uns den Kinderjahren. Solche lnkongruenzen stellen sich immer heraus, wo eine zwischen zwei Zeiten sehwa.ukende Phantasie bewußt gemacht und dadurch ein eine bestimmte Zeit gebunden wird. In Gedanken solcher Art versunken, kann ich zu meiner iiber neunzigjährigen Patientin, und ich muß wohl auf dem Wege gewesen sein, den allgemein menschlichen Charakter der Odipusiabel als das Korrelat des Verhängnisses, das sich in den Orakeln ,äußert, ;zu erfassen, denn ich vergrifi mich dann „bei oder im der Alten". Inden dies Vergreifen war wiederum hamloe; ich hatte von den beiden möglichen Irrtümern, die Morphinlösung fürs Auge zu verwenden oder das Angenwuser zur Injektion zu nehmen, den bei weitem ha.rmloseren gewählt. Es bleibt immer noch die Frage, ob man bei Fehlg'riifen, die schweren Schaden

§ 758

- Del Odipultrnumes, wie ich ihn zu nennen pflege, weil er den s„mn..a1 um Verständnis der Enge von König 0dlpus enthält. Im rm des mm.. in die Beziehung int einen solchen Traum der Johacto in den Mund gelegt. (vg. „Treumdoutnng", s. 182. 7. Aufl., 5. 183.)

§ 759

§ 760

214 VIH. DAS mmmmm.

§ 761

stiftexi können, in ähnlicher Weise wie bei den hier behandelten eine unbewqu Absicht in Erwägung ziehen darf.

§ 762

Hier läßt mich denn, wie zu erwarten steht, das Material im Stiche, und ich bleibe auf Vermutungen und Annäherungen angewiesen. Es ist bekannt, daß bei den schwereren Fällen von Psychoneumse Selbstbesehädigungen gelegentlich als Krankheitssymptome auftreten, und daB der Ausgang des psychischen Konflikts in Selbstmord bei ihnen niemals auszuschließen ist. Ich habe nun erfahren und werde es eines Tages durch gut uufgeklä.rte Beispiele belegen, daß viele scheinbar zufällige Schädigungen, die solche Kranke treffen, eigentlich Selbstbeschädig1mgen sind, indem eine beständig lauernde Tendenz zur Selbstbestrafung, die sich sonst als Selbstverwurf äußert, oder ihren Beitrag zur Symptombildung stellt, eine zufällig gehobene äußere Situation geschickt ausniitzt, oder ihr etwa noch bis mEneiohung des gewünschten schädigenden Effekte nachhilft. Solche Vorkommnisse sind auch bei mittelschweren Fällen keineswegs selten, und sie venaten den Anteil der unbewußten Absicht durch eine Reihe von besonderen Zügen, z, B. durch die auffällige Fassung, welche die Kranken bei dem angeblichen Unglücksfalle bewahren*.

§ 763

Aus meiner ärztlichen Erfahrung will ich anstatt vieler nur ein einziges Beispiel ausführlich berichten: Eine junge Frau bricht sich bei einem ngenunfall die Knochen des einen Unter— schenkels, so daB sie fiir Wochen bettlä.gsrig wird, fällt dabei

§ 764

. m» Selbstbesohidignng, die nicht „: volle Selbstvernichtung hinlielt, hat in unserem gegenwäxfigen Kultumxsfdmd überhaupt keine andere Wahl, als sich hinter der Znfil.ligkeit zu verbergen, oder sich durch Simulation einer spontanen Erkranklmg durchzusetzen. Früher einmal war sie ein gebräuchlichen Zeichen der Trauer; zu anderen Zeiten konnto sie Ideen der Frömmigkeit und Weltsntssgung Ausdruck geben.

§ 765

§ 766

vm, ms menumm. 215

§ 767

durch den Mangel an Sehmerzensäußerungen und die Ruhe auf, mit. der sie ihr Ungemach erträgt. Dieser Unfall leitet eine lange und schwere neurotische Erkrankung ein, von der sie endlich duroh Psychoanalyse hergestellt wird. In der Behandlung erfahre ich die Nebenumstä.nde des Unfalls sowie ge'wisse Ein— drücke, die ihm voransgegangen sind. Die junge Frau befand sich mit. ihrem sehr eifersiichtigen Manne auf dem Gute einer verheirateten Schwester in Gesellseha.ft ihrer zahlreichen übrigen Geschwister und deren Männer und Frauen. Eines Abends gab sie in diesem intimen Kreise eine Vorstellung in einer ihrer Künste, sie tanzte kunstgerechß Canca.n unter großem Beifall der Verwandten, aber zur geringen Befriedigung ihres Mannes, der ihr nachher zuzischelte: Du hast dich wieder benommen wie eine Birne. Das Wort. traf ; wir wollen es dahingesualk. sein lassen, ob gerade wegen der Tanzpmduktion. Sie schlief die Nacht unruhig, am nächsten Vormittag begehrte sie eine Ausfahrt zu machen. Aber sie wählte die Pferde selbst., refüsierbe das eine Paar und verlangte ein anderes. Die jüngste Schwester wollte ihren Säugling mit seiner Anime im Wagen mitfahren lassen; dem vvidersetzte sie sich energisch. Auf der Fahrt zeigbasiesich nervig mahnte (len Kutscher, daß die Pferde sehen würden, und als die unruhigen Tiere wirklich einen Augenblick Schwierigkeiten machten, sprang sie im Schrecken aus dem Wagen und brach sich den Fuß, während die im Wagen Verb1iebenen heil davonkamen. Kann man nach der Aufdeckung dieser Einzelheiten kaum mehr bezweifeln, daß dieser Unfall eigentlich eine Veranstaltung war, so wollen wir doch nicht versäumen, die Geschicklichkeit zu bewundern, welche den Zufall nötigte, die Strafe so passend für die Schuld auszuteilen. Denn nun war ihr das 0ancantanzen für längere Zeit unmöglich gemacht.

§ 768

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216 VI". DAS WMREIF'EN,

§ 770

Von eigenen Selbetbeschädigungen weiß ich in ruhigen Zeiten wenig zu berichten, aber ich finde mich solcher unter amßercrdentlichen Bedingungen nicht unfähig. Wenn eines der Mitglieder meiner Familie sich beklagt, jetzt habe es sich auf die Zunge gebissen, die Finger gequetsoht usw., so erfolgt anstatt der erhofften Teilnahme von meiner Seite die Frage: Wozu hast du das getan? Aber ich habe mir selbst aufs“ sehmerzhafteste den Daumen eingeklemmt, nachdem ein jugendlicher Patient in der Behandlungsetunde die (natürlich nicht ernsthaft zu nehmende) Absicht bekannt hatte, meine älteste Tochter zu heirntmi, während ich wußte, daß sie sich gerade im Sanatorium in äußerste: Lebensgefahr befand.

§ 771

Einer meiner Knaben1 dessen lebha.fm Temperament der Krankenpflege Schwierigkeiten zu bereiten pflegte, hatte eines Morgens einen Zomanfell gehabt, weil man ihm zugenmtet hatte, den Vormittag im Bette zuzubringen, und gedroht sich‘ umznbringen, wie es ihm aus der Zeitan bekannt geworden war. Abends zeigte er mir eine Beule, die er sich durch Anstoßen an die Türklinke an der Seite des Brustkorbs zugezogen hatte. Auf meine iranische Frage, wozu er das getan und was er damit gewollt habe, antwortete das 11jährige Kind wie erleuehtet: Das war mein Selbstmordversuch, mit dem ich in der Früh ged.mht habe. Ich glaube übrigens nicht, daß meine AnschaMungen über die Selbetbeschädjgung meinen Kindern damals zugänglich waren.

§ 772

we: im das Vorkommen von halb' absichtlioher Selbstb‘eschügung — wenn der ungesohickte Ausdruck gestattet ist — glaubt, der wird dadurch vorbereitet, anzunehmen, daß es außer dem bewußt absichtlichen Selbstmord auch halb absicht— 1iehe Selbstvernichtung —- mit nnbewußter Absicht — gibt., die eine Inbensbedrohung geschickt auszunützen und sie als zu

§ 773

§ 774

VIII DAS vnnummm. 217

§ 775

fällige Vemngli'mkung zu mideren weiß. Eine solche braucht keineswegs selten zu sein. Denn die deenz zur Selbstverniehtung ist bei sehr viel mehr Menschen in einer gewissen Stärke vorhanden, als bei denen sie sich durchsetzt; die Selbstbeschädigungen sind in der Regel ein Kompromiß zwischen diesem Trieb und den ihm noch entgegenwixkenden Kräften und. auch wo es wirklich zum Selbstmord kommt, da. ist die Neigung _dn.zu eine lange Zeit vorher in geringerer Stärke oder ale un— bewußie und nnberd:rüekte Tendenz vorhanden gewesen. Auch die bewufibe Selbstmordabs'icht wült ihre Zeit, Mittel und. Gelegenheit; es ist ganz im Einklang damit, wenn die unbewnßte einen Anlaß abwaxbet, der einen Teil der Verursachung iin.f sieh nehmen und sie durch Inanspruchnahme der Abwehrkräfte der Person von ihrer Bedrüokung frei machen kann“. Es find. keineswegs mäßige Erwägungen, die ich da. #orhringe; mir ist mehr als ein Fall von anscheinend zufäl

§ 776

— Der Fall ist dann schließlich kein anderer sin der des sexuellen Attentnbs Auf eine Frau, bei dem der Angriff dns Manne- ninht durch ein volle Muskniin-nft r1sr Wsibsr n.tgewehrt werden hun, weil ihm ein Teil dir nnbe'vmßten ]hgungen der Angugriflem Erden-nd. sntgugrmknrnmt. Mm ragt 1. wohl. im nur. gie-,tier. nimm ei. Kain (in, m; nun br-nsbt dnnn nur nnob notirnndutiirdiuetlirmnnghinmnfßgur. Insofern ist der gsi.trrichs Richtersprnch des Sßneho Ptnlm den er als Gonvernsnr sni seiner Inlel mut, psychologissir nngernnirt (Don Quijote, 11. Teil, Knp. xmr). Eine Frau mit einen Mimn vor den monm, der sie angeblich gevnlteun ihrer Ehre bersnbt hat. Seuche entschädigt sie durch die volle Geldbörse, die er dem Angekisgten abnime und gibt diesem nach dem Abgenge der Frau die Erlenbnil, inr naehmeilen und ihr die Börse wieder in enheißen. Sis kommen beide ringend wieder, nnd dio Erin rühmh lich, im der Bösswicirt nicht im st.-mis gewesen lei, lieh asr 35rss rn berniniitigm Duni Sanchez „Hiiitert du deine nm lulh rs mli,hnflz verteidigt wie diese Böue, 10 mw lie dir der Mann nicht neben können.“

§ 777

§ 778

218 VII]. DAB VEBGREIF'EN.

§ 779

ligem Verunglücken (zu Pferde oder aus dem Wagen) bekannt geworden, dessen nähere Umstände den Verdacht auf unbewußt zugelassenen Selbstmord rechtfertigen Da. stürzt z. B. Während eines Offizierswettrennens ein Offizier vom Pferde nnd verletzt sich so schwer, «ia-ß er mehrere Tage nachher er— liegt. Sein Benehmen, nachdem er zu sich gekommen, ist in manchen Stücken auffällig. Noch bemerkenswerter ist sein Benehmen vorher gewesen. Er ist tief ver—stimmt durch den, Tod. seiner geliebten Mutter, wird von Weinlaämpfen in der Gesellschaft seiner Kameraden befallen, er äußert Mbensüberdu?-5 gegen seine verhnnten Freunde, will den Dienst quittieren, um an einem Kriege in Afrika. Anteil zu nehmen, der ihn sonst nicht berührt'; friiher ein schneidiger Reiter, weicht er jetzt dem Reiten ans, wo es nur möglich ist. Vor dem Wettrennen endlich, dem er sich nicht entziehen kann, äußert er eine trübe Ahnung; wir werden uns bei unserer Auffassung nicht mehr verwundem, daß diese Ahnung Recht behielt. Man wird mir entgegenhalten, es sei ja ohne weiteres verständlich, daß ein Mensch in solch nervöser Depression das Tier nicht zu meistern versteht wie in gesunden Tagen. Ich bin ganz einverstanden; nnr möchte ich den Mechanismus dieser moto— rischen Hemmung durch die „Nervosität“ in der hier betonten Selbstvemiehtungsahsicht suchen.

§ 780

S. Ferenczi in Budapest hat mir die Analyse eines Fallßs,von angeblich Zufälliger Schußverletzung, den er für einen unbewußten Selbstmordversuch erkürt, zur Veröffent

§ 781

' Dell die Situation des Schlachtfeldes eine lalehe ist, wie sie der bewußten Selbstmordßbsicht entgegenhammt, dia doch den direkten Weg scheut, ist einllsuchtend. Vgl. im „Wnllenstein" die Warte des „im. disahen Heuptins.nnes über den Tod des Max Piccolomini: „Man sagt, er wollte sterben.“

§ 782

§ 783

vm. ms vnncummz, 219

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liohung überlessen. Ich kann mich mit seiner Auffassung nur einverstanden erklären:

§ 785

„J. AG., 22jähriger Tischlergeselle, suchte mich am 18. Jän— ner 1908 auf, Er wollte von mir erfahren, ob die Kugel, die ihm am 20. März 1907 in die linke Schlä.fe eindrang, operativ entfernt werden könne oder müsse. Von zeitweise auftretenden, nicht allzu heftigen Kopfschmerzen abgesehen1 fühlt er sich ganz gesund, auch die objektive Untersuehung ergibt außer der charakteristischen, pulvergeschwä.rzten Suhußna.rbe an der linken Schlä.ie gar nichts, so daß ich die Operation widemte. Über die Umstände des Falles befragt, erklärt er, sich zufällig verletzt zu haben. Er spielte mit dern Revolver des Bruders, glaubte, daß er nicht geladen ist, drückte ihn mit der linken Hund am die linke Sehlä;fe (er ist nicht Linkshänder), legte den Finger an den Hahn, und der Schuß ging los. Drei Patronen waren in der sechsläufigen Schußwaffe. Ich frage ihn: wie er auf die Idee kam, den Revolver zu sich zu nehmen. Er erwidert, daß es zur Zeit seiner Asseutierung war; den Abend zuvor nahm er die Wa.er ine Wirtshaus mit, weil er Schlägereien befürchtete. Bei der Musterung wurde er wegen Krampiadem für untsnglich' erkläria wur“u,ber_er sich sehr sehämte. Er ging nach Hanse, spile rnit dern Revolver, hatte aber nicht die Absichß sich wehe zu tun; da. kam es zum Unfall. Auf die weitere Frage, wie er sonst mit seinem Schicksal zufrieden gewesen sei, antwortete er mit einem Seufzer und erzählte seine Liebesgeschichte mit einem Mädchen, das ihn auch liebte und ihn trotzdem verließ; sie wanderte rein aus Geldgier nach Amerika. aus. Er wollte ihr nach, dochd.ie Eltern hinderten ihn daran. Seine Geliebte reiste am %, Jänner 1907, also zwei Monate vor dem Unglücksfalle, eb. Trotz all dieser Verdachtsrnomente behmte der Patient db

§ 786

§ 787

220 vw. ms vnmnnnmm.

§ 788

bei, daß der Schuß ein ,Unfall‘ war. Ich aber bin fest überzeugt, dn.ß die Nachlä.seigkeit, sich von der Indung der Waffe vor dem Spielen nicht überzeugt zu haben, wie auch die Selbstbeschä.digung psychisch bestimmt war. Er war noch ganz unter dem deprimierenden Eindruck der unglücklichen Liebschnft und wollte offenbar beim Militär ,vergessen‘. Als ihm auch‘ diese Hoffnung genommen wurde, kann. es zum Spiele mit, der Schußwaffe, d: h. zum nnbemlßten Selbetmordversneh. Da-ß er den Revolver nicht in der rechten, sondern in der linken Hand hielt, spricht entschieden dafür, daß er wirklich nur ,spielte‘, d.h. bewußt keinen £elbstmard begehen wollte.“

§ 789

Eine andere, mir vom Beobachter überlassene Analyse einer an:cheinend zufi,lligen Selbstbeschädigung bringt das Sprichwort in Erinnerung: „Wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein“ *.

§ 790

„qu X aus gutem bürgerlichen Milieu ist verheiratet und. hat drei Kinder. Sie ist zwar nervös, aber brauchte nie eine energisobe Behandlung, da sie dem Leben doch genügend ge— wachsen ist. Eines Tages zog sie sich in folgender Weise eine momentan ziemlich imponierende, aber vorübergehende Entstehung ihres Gesichtes zu.

§ 791

In einer Straße, welche zurecht gemacht wurde, stolperte sie über einen Steinhaufen und kam mit dem Gesichte in Berührung mit einer Hausmauer. Das ganze Gesicht war geschrame die Augenlider wurden blau und ödematös, und ds. sie 'Anget bekam, es möchte mit ihren Augen etwas passieren, ließ sie den Arzt rufen. Nachdem sie deswegen beruhigt war, fragte ich: ,Aber warum sind Sie eigentlich so gefallen?‘ Sie

§ 792

— sammmm wegen Abormu von D:. J. n. G. un Emden, Hug (Holland). &anth für Plyclmumlyse, n. 12.

§ 793

§ 794

vm. ms mamm. 221

§ 795

erwiderte, daß sie gerade zuvor ihren Mann, der seit einigen Monaten eine Gelenksuffektion hatte, wodurch er schlecht zu Fuß war, gewarnt hatte, in dieser" Straße gut eufzupassen, und sie hatte ja. schon öfters die Erfahrung gemacht, daß in derartigen Fällen merkwürdigerweiee ihr selber desjenige passierte, wogegen sie eine andere Person gewarnt hatte.

§ 796

Ich war mit dieser Determiniecrung ihres'Unfalls nicht zu. frieden und fragte, ob sie nicht vielleicht etwas mehr zu erzählen wußte. Ju; gerade vor dem Unfall hatte sie in einem Laden von der entgegengesetzten Seite der Straße ein hübsches Bild gesehen, das sie sich ganz plötzlich als Schmuck für die Kinderstube wünschte und darum sofort kaufen wollte: da ging sie geradeaus auf den Laden zu, ohne auf die Straße zu achten, stolperte über den Steinhaufen und fiel mit ihrem Gesichte gegen die Eensmeuer, ohne auch nur den leisesten Versuch zu machen, sich mit den Händen zu sohütuen. Der Vorsatz, das Bild zu kaufen, war gleich vergessen, und sie ging eilig.st nach Hanse.

§ 797

,Aber warum haben Sie nicht besser zugeschant’l‘ fragte ich. . '

§ 798

,Ja; aritworteté sie, ,es war vielleith übeh' eine Stiefel Wegen der Geschichte, welche ich Ihnen schon im Vertmuen erzählt habe,. ,Het diese Geschichte Sie dann noch immer so gequält'l‘

§ 799

,Ja. —- nachher habe ich es sehr bedauert, mich selbst boshaft, verbrecherisch und unmomliseh gefunden, aber ich war damals fast verrückt vor Nervosität}

§ 800

Es hatte sich um einen Ahortus gehandelt, welchen sie mit Einverständnis ihres Mannes, da. sie beide wegen ihrer pekuniären Verhälmisae'vqn mehr Kindersegen verschont bleiben

§ 801

§ 802

222 VIII DAB ‘VERGREIFEN.

§ 803

wollten, 'von einer Kurpfuscherin hatte einleiten und von einem Spezialant hatte zu Ende bringen lassen.

§ 804

,0fters mache ich mir den Vorwurf : aber du hast doch dein Kind töten lassen, und ich hatte Angst, daß so etwas duch nicht ohne Strafe bleiben könnte. Jetzt, da Sie mir versichert haben, daß mit den Augen nichts Schlimmes vorliegt, hin ich ganz beruhigt: ich bin nun sowieso schon genügend gestrsft.‘

§ 805

Dieser Unfall war also eine Selbstbestrnhmg einerseits, um fiir ihre Untet zu hüßen, anderseits aber, um einer vielleicht viel größeren unbekannten Strafe, vor welcher sie monatelang fortwährend Angst hatte, zu entgehen.

§ 806

In dem Augenblick, als sie auf den Inden losstiirzte, um sich das Bild zu kaufen, war die Erinnerung an die ganze Geschichte mit all ihren Befürchtungen, welche sich schon wäh» rend der Warnung ihres Mannes in ihrem Unbewußten ziemlich stark regte, überwältigend geworden und hätte vielleicht in einem etwa derartigen Wortlaut Ausdruck finden können:

§ 807

Aber wofür brauchst du einen Schmuck für die Kinder— stube, du hast dein Kind umbringcn lassen! Du bist eine Mörder-in! Die große Strafe naht ganz gewißl

§ 808

Dieser Gedanke wurde nicht bewußt, aber statt dessen be> nützte sie in diesem, ich möchte sagen psychologischen Mo— ment die Situation, um dan Steinhaufen, der ihr dafiir geeignet schien, in unsnf£ä,lliger Weise für die Selbstbestrafung zu ver» wenden; deswegen streckte sie beim Fallen auch nicht einniai die Hände ans und darum him. es auch nicht zu einem heftigen Erschziecken. Die zweite, wahrscheinlich geringere Deterruinierung ihres Unfalls ist wohl die Selbstbestrafung wegen des unbewußten Beseitigungswunsches gegen ihren, allerdings in dieser Affäre mitschuldigen Mann. Dieser Wunsch hatte sich durch die vollkommen überflüssige Wmnung verraten, in der

§ 809

§ 810

mr. DAS VERG_FEN. 223

§ 811

Straße mit dem Sfeinheufen ja. gut aufzupsssen, da. der Mann, eben weil er schlecht zu Fuß war, sehr vorsichtig ging'.“

§ 812

Wenn man die näheren Umstände des Falles erwähnt; wird man auch geneigt sein, J. Stärke (1. o.) recht zu geben, wenn er eine anscheinend zufällige Selbstbeschädigung durch Verbrennung als „Opferhandlung“ auffnßt.

§ 813

„Eine Dame, deren Schwiegersohn nach Deutschland abreisen mußte, um dort in Militärdimt zu gehen, verbri'rhfe sich den. M unter folgenden Umständen. Ihre Tochter erwartete bald die Niederkunft, und die Gedanken an die Kriegsgeiahren stimmten selbstverständlieh die ganze Familie nicht sehr munter. Am Tage vor der Abreise hatte sie ihren Schwiegersohn und ihre Tochter zum Essen eingeladen. Sie bereitete selber in der Küche das Essen, nanhdem sie zuerst, sonderbsr genug, ihre hohen Sehnürstiefel mit. Pla„ttfußsohlen, auf denen sie bequem gehen kann und die sie auch zu Hause gewöhnlich trägt, mit einem Paar zu großer, oben offener Pantoffeln ihres Mannes vertauscht hatte. Als sie eine große Pfanne kochender Suppe vom Feuer nahm, ließ sie diese fallen und verbrühte sich dadurch ziemlich ernst einen Fuß, zumal den sus£üßken, der vom offenen rmwmu mm gennum wurde. — Selbstverständlich' wurde dieser Unfall von jederwenn auf Rechnung ihrer begreifliehen ,Nervosität‘ geschrieben. Die ersten Tage nach diesem Brandopfer war sie mit heißen Gegenständen sehr vorsichtig, wodurch sie aber nicht

§ 814

- m Korrespondent schreibt zum Thom. der „Selbstbestminng durch Fehlleistungen“: Wenn man darauf Mhtet, wie sich die Leute In! der sms. benehmen, hat man Gelegenheit zu komuusmn, wie oft den. ua»nem, die _ wie schon üblieh _ den vorübergehenden Freuen mhseheuan, ein kleiner Wahn passiert. Bl]d venn.neht “Mr — ml! ebene! Erde — den Fuß, bald rennt er ein Llheme an oder ver-lobt lich auf andere Art

§ 815

§ 816

224 VIII. DAB VERGREIFEN.

§ 817

gehindert wurde, sich wenige Tage später den einen Puls mit heißer Brühe zu verbriihen.“

§ 818

Wenn so ein Witten gegen die eigene Integrität und das eigene Leben hinter anscheinend zufällige: Ungesohickliehkeit und motorischer Unzulänglichkeit verborgen sein kann, so braucht man keinen großen Schritt mehr zu tun, um die Ubertragung der nämlichen Auffassung anf Fehlgtifie möglich zu finden, welche Leben und Gesundheit anderer emstlich in Gefahr bringen. Was ich an Belegen für die Triftigkeit dieser Auffassung verbringen kann, ist der Erfahrung an Neurotikern entnommen, deckt sich 5150 nicht völlig mit dem Erfordernis. Ich werde über einen Fall berichten, in dem mich nicht eigentlich ein Fehlgrif‘f, sondern, was man eher eine Symptomoder Zufallshnndlung nennen kann, auf die Spur brachte, welche dann die Lösung des Konflikts bei dem Patienten ermöglichte. Ich übernahm es einmal, die Ehe einen sehr intelligenten Mannes zu bessem, dessen Mißhelligkeiten mit seiner ihn uärtlich liebenden jungen Fran sich gewiß a,u.f reale Begründungen berufen konnten, aber, wie er selbst zngab, durch diese nicht voll erklärt wurden. Er beschäftigte sich unablässig mit dem Gedanken der Scheidung, den er dann wieder verwari, weil er seine beiden kleinen Kinder zärtlich liebte. Trotzdem kann er immer wieder auf den Vorsatz zurück und versuchte dabei kein Mittel, um sich die Situation erträglich zu gestu-lten. Solohes Nichtfertigwcrden mit einem Konflikt gilt mir als Beweis dafiir, daß sich unbewnßte und. verdxängte Mo— tive zur Verstärkung der miteinander streitenden bewußten be— reit gefunden haben, und ich untemehme es in solchen Fällen, den Konflikt durch psychische Analyse zu beenden. Der Mann erzählte mir eines Tages von einem kleinen Vorfall, der ihn aufs äußerste erseh1eokt hatte. Er „hetzte“ mit seinem älteren

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§ 820

vm. ms vnmmsmv. 225

§ 821

Kinde, dem weitaus geliebteren, hob es hoch und. ließ es nieder und einmal an solcher Stelle und so hack, daß das Kind mit dem Scheitel fast an den schwer hembhä.ngenden Gasluster angesteßen wäre. Fast, aber doch eigentlich nicht oder gerade eben noch! Dem Kinde war nichts geschehen, aber es wurde vor Schreck schwindlig. Der Vater blieb entsetzt mit dem: Rinde im Arme stehen, die. Mutter bekam einen hysterischen Anfall. Die besondere Geschicklichkeit dieser unvorsichtigen Bewegung, die Heftigkeit der Reaktion bei den Eltern legten es mir nahe, in dieser Zufälligkeit eine Symptomhandlung zu suchen, welche eine böse Absicht gegen das geliebte Kind zum Ausdruck bringen sollte. Den Widerspruch gegen die aktuelle Zärtlichkeit dieses Vaters zu seinem Kinde konnte ich aufheben, wenn iflh den Impuls zur Schädigung in die Zeit zurückverlegte, da. dieses Kind das einzige und so klein gewesen war, daß sich der Vater noch nicht zärtlich für dasselbe zu interessieren brauchte. Dann hatte ich es leicht anzunehmen, daß der von seiner Fran wenig befriedigte Mann damals den Gedanken gehabt oder den Vorsatz gefa.ßtz Wenn dieses kleine Wesen, an dem mir gar nichts liegt, stirbt, dann bin_ich frei und kann mich von der Frau‘schaiden lassen. Ein,Wunsoh nach dem Tode dieses jetzt so geliebten Wesens mußte also unbewußt weiterbestehen. Von hier ab war der Weg zur unbewußten Fixierung di®es Wunsches leicht zu finden. Eine mächtige Determinierung ergab sich wirklich aus der Kindheitserinnerung des Patienten, daß der Tod eines kleinen Bruders, den die Mutter der Nachlässigkeit des Vaters zur Last legte, zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen den Eltern mit Seheidungsandmhung geführt hatte. Der weitere Verlauf der Ehe meines Patienten bestätigte meine Kombination auch durch den therapeutischen Erfolg. !r-ufl, mm;-w a.. m...-m..., vn, um 15

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§ 823

226 vm. DAS V'ERGREIFEN.

§ 824

J. Stärcke (l. c.) hat ein Beispiel dafür gegeben1 daß Dichter kein Bedenken tragen, ein Vergreifen an die Stelle einer absichtlichen Handlung zu setzen und es somit zur Quelle der schwersten Konsequenzen zu machen:

§ 825

„In einer der Skizzen von Heyermans* kommt ein Bei— spiel von Vergreifeu oder, genauer gesagt, Fehlgreifen vor, das vom Autor als dramatisches Motiv angewandt wird.

§ 826

Es ist die Skizze ,Tom und Teddie‘. — Von einemTa.ucher— paar * das in einem Spezialitätentheater auftritt, längere Zeit unterm Wasser bleibt und dort Kunststiicke ausführt in einem eisernen Bassin mit gläsemen Wänden — hält die Frau es seit kurzem mit einem anderen Mann, einem Dresseur. Der Mann— Ta.ucher hat sie gerade vor der Vorstellung zusammen im Ankleidezimmer erfappt. Stille Szene, drohende Blicke und der Taucher sagt: ,Nachherl‘ — Die Vorstellung fängt an. ,_ Der Taucher wird das schwierigste Kunststiick machen, er bleibt ,zwei und eine halbe Minute in einer herrnetisch geschlossenen Kiste unterm Wasser". — Sie hatten dieses Kunststück schon öfters gemacht, die Kiste wurde dann geschlossen, und ,Teddie zeigt dem Publikum, das auf seinen Uhren die Zeit kontrollierte, den Schlüssel‘. Sie ließ auch absichtlich den Schlüssel ein paar-mal ins Bassiu fallen und tauchte dann eilig danach, um nicht zu spät zu sein, wenn der Koffer geöffnet werden mußte.

§ 827

An diesem Abend des 31. Jänner wurde Tom wie gewöhnlich‘ von den kleinen Fingern des munter-frischen Weibchen9. eingesperrt. Er lächelte hinter dem Guokloch — sie spielte mit ,dem Schlüssel und wartete auf sein warnendes Zeichen. Zwischen den Kulissen stand der Dresseur mit seinem tadellosen Freak, seiner weißen Krawatte, seiner Reitpeitsche. Um ihre

§ 828

' Hermann Eeyermans, Sohntsan van Samuel Falkland, rs. Bull» del, Amsterdam, H. J. W. Becht, 1914,

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§ 830

VIII. DAS VEBGBFJFEN. 227

§ 831

Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, pfiff er ganz kurz, der Dritte. Sie schaute hin1 leichte und mit der ungeachickten Gebärde von jemand, dessen Aufmerksamkeit ubgelenkt wird, warf sie den Schlüssel so Wild in die Höhe, daß er genau zwei Minuten zwanzig Sekunden1 gut gezählt, neben den Bassin, zwischen dem das Fußgestell verdeekenden Flaggentuoh fiel. Keiner hatte es gesehen. Keiner konnte es sehen. Vom Saal aus gesehen, war die optische Täuschung so, daß jedermann den Schlüssel ins Wasser gleiten sah — und keiner der Theaterhelfer merkte es, weil das Flaggentneh rien Laut milderte.

§ 832

Laehend, ohne an za.uclern, kletterte Teddie über den Rand des Bassins. Lachend — er hielt es wohl aus — kam sie die Leiter herunter. Lachend verschwand sie unter dem Fußgestell, um dort zu suchen, und als sie den Schlüssel nicht. sofort fand, büekte sie sich mit. einer Mimik zum Stehlen, mit einem Ausdruck a.uf ihrem Gesichte, als ob sie sagte: ,O jemine, wie das doch lästig istl‘ an der Varderseite des Flaggentuches.

§ 833

Unterdessen machte Tom seine drolligen Grimassen hinter dem Gnoklooh, wie wenn auch er unruhig würde. Man sah‘ das Weiß seines falschen Gebinse_s, das Kamen seiner Lippen unter dem Flachsschnurrbart, die komischen Atemhlzäen, die man auch beim Apfean gesehen hatte. Man sa.h das Grabsen und Wählen seiner bleiehen Knöehelfinger und man/ lachte, so wie man diesen Abend schon öfter gelacht hatte.

§ 834

Zwei Minuten und aehtundfünfzig Sekunden...

§ 835

Drei Minuten sieben Sekunden... zwölf Sekunden...

§ 836

Bravo! Bravo! Bravo]...

§ 837

Da entstand eine Bestürzung im Saale und ein Schatten mit. den Füßen, weil auch die Knechte und der Dresseur zu suchen anfingen und der Vorhang fiel, bevor der Deckel auf— gehoben war.

§ 838

15‘

§ 839

§ 840

228 VDI. DAS VERGREIFEN .

§ 841

Sechs englische Tänmrinnen traten auf —- dann der Mann mit den Ponys, Hunden und Affen. Und so weiter.

§ 842

Erst am nächsten Morgen vema.hm das Publikum, daß ein Unglück geschehen war, daß Teddie 8.19 Witwe auf der Welt zurückhlieb . . .“

§ 843

Aus dem Zitierben geht hervor, wie vorzüglich dieser Künstler selber das Wesen der Symptomhß.ndlung verstanden haben muß, um uns so treffend die tiefere Ursache der tödlichen Ungeachickljchkeit vormiühren.“

§ 844

§ 845

IX.

§ 846

SYMPTOM- UND ZUFALLSHANDLUNGEN.

§ 847

Die bisher beschriebenen Handlungen, in denen wir die Ausführung einer unbewußten Absicht erkannten, traten als Störungen anderer beabsichtigter Handlungen auf und deckten sich mit dem Vorwand der Ungeschicklichkeit. Die Zufallshandlungen, von denen jetzt die Rede sein soll, unterscheiden sich von denen des Vergreifens nur dadurch, daß sie die Anlehnung an eine bewußte Intention verschmähen und also des Vorwandes nicht bedürfen. Sie treten für sich auf und werden zugelassen, weil man Zweck und Absicht bei ihnen nicht vermutet. Man führt sie aus, „ohne sich etwas bei ihnen zu denken“, nur „rein zufällig“, „wie um die Hände zu beschäftigen“, und man rechnet darauf, daß solche Auskunft der Nachforschung nach der Bedeutung der Handlung ein Ende bereiten wird. Um sich dieser Ausnahmsstellung erfreuen zu können, müssen diese Handlungen, die nicht mehr die Entschuldigung der Ungeschicklichkeit in Anspruch nehmen, bestimmte Bedingungen erfüllen; sie müssen unauffällig und ihre Effekte müssen geringfügig sein.

§ 848

Ich habe eine große Anzahl solcher Zufallshandlungen bei mir und anderen gesammelt, und meine nach gründlicher Untersuchung der einzelnen Beispiele, daß sie eher den Namen von Symptomhandlungen verdienen. Sie bringen etwas zum

§ 849

250 IX. BYMPTOM- UND ZUFAXJBHANDLUNGEW.

§ 850

Ausdruck, was der Täter selbst nicht in ihnen vermutet und was er in der Regel nicht mitzuteilen, sondern fiir sich zu be— halten beabsichtigt. Sie spielen also ganz so wie alle anderen bisher betrachteten Phänomene die Rolle von Symptomen.

§ 851

Die reichste Ausbeute an solchen Zufalls- oder Symptomhandlungen erhält man allerdings bei der psychoanslytiechen Behandlung der Neurotiker. Ich kann es mir nicht versagen, an zwei Beispielen dieser Herkunft. zu zeigen1 wie Weit und wie fein die Determinienmg dieser unscheinba.ren Vorkommnisse durch unhewußte Gedanken getrieben ist. Die Grenze der Symptomlhandlungen gegen das Vergreifen ist so wenig scharf, daß ich diese Beispiele auch im vorigen Abschnitt hätte unterbringen können.

§ 852

a) Eine junge Frau erzählt als Einfall während der -Sitz1mg, daß sie sich gestern beim Nägelsehneiden „ins Fleisch geschnitten, während sie das feine H.ä,utchen im Nagelbett abzutragen bemüht war“. Das ist so wenig interessant, daß man sich verwundert fragt, wozu es überhaupt erinnert und erwähnt wird1 und auf die Vermutung gerät, man habe es mit einer Symptomhandlung zu tun. Es war auch wirklich der Ringfinger, an dem das kleine Ungesohick verfiel, der Finger, an dem man den Ehering trägt, Es war überdies ihr Healizeitstsg, was ‘der Verletzung des feinen Häutchens einen ganz bestimmten, leicht im erratenden Sinn verleiht. Sie erzählt auch gleichzeitig einen Traum, der auf die Ungesohicklichkeit ihres Mannes und auf ihre Anästhesie als Frau anspielt. Warum war es aber der Ringfinger der linken Hand, an dem sie sich verletzte, da man doch den Ehering an der rechten Hand trägt? Ihr Mann ist Jurist, „Doktor der Rechte“, und ihre geheime Neigung hatte als Mädchen einem Arzt (scher-z

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§ 854

1x. smrou- mm zursnmnmnmuomr. 231

§ 855

haft: „Doktor der Linke“) gehört. Eine Ehe zur linken Hand hat auch ihre bestimmte Bedeutung.

§ 856

b) Eine unverheimbete junge Dame erzählt: „Ich habe ge— stern ganz unnbsiohtlieh eine Hundertguldennote in zwei Stücke gerissen und die Hälfte davon einer mich besuchenden Dame gegeben. Soll das auch eine Symptomhnndlung sein?“ Die genauere Erforschung deckt folgende Einzelheiten auf. Die Hundertgifldennotei Sie widmet einen Teil ihrer Zeit und ihres Vermögens wohltätigen Werken. Gemeinsam mit einer anderen Dame sorgt sie für die Erziehung eines verwa.isteu Kindes, Die 100 Gulden sind der ihr zugeschickte Beitrag jener Dame, den sie in ein Kuvert einsehloß und vorläufig auf ihren Schleibtiech niederlegte.

§ 857

Die Besucherin war eine angesehene Dame, der sie bei einer anderen Wohltätigkeitsaktion beieteht. Diese Dame wollte eine Reihe Namen von Personen notieren, an die man sich um Unterstützung wenden könnte. Es fehlte an Papier, da griff meine Patientin nach dem Kuvert auf ihrem Schreibtisch und riß es, ohne sich an seinen Inhalt zu besinnen, in zwei Stücke, von denen sie eines selbst behielt, nmein Duplikat der Namenliste zu haben, das Andere ihrehßesudne.rin übergab. ,Man bemerke die Humloaigkeit dieses unzwedanäßigen Vorgehen. Eine Hundertguldennote erleidet. bekanntlich keine Einbuße an ihrem Werte, wenn sie zerrissen wird, falls sie sich aus den Bißstüeken vollständig zusammensetzen läßt. Daß die Dame das Stück Papier nicht wegwerfen wiirde, war durch die Wich— tigkeit der darauf stehenden Namen verbürgt, und ebensowenig litt es einen Zweifel, dal} sie den wertvollen Inhalt zurück— stellen wiirde, sobald sie ihn bemerkt hätte.

§ 858

Welchen unbewnßtcn Gedanken sollte aber diese Zufallshandlung, die sich durch ein Vergessen ermöglichte, Ausdruck

§ 859

§ 860

252 [X. BYMOII- UND ZUF'ALIBHAN'DLUNGEN.

§ 861

geben’l Die besuchende Dame hatte eine ganz bestimmte Beziehung zu unserer Kur. Es war dieselbe, die mich seinerzeit dem leidenden Mädchen als Arzt empfohlen, und wenn ich nicht irre, hält sich meine Patientin zum Danke für diesen Bat verpflichtet. Soll die halbierte Hundertguldennote etwa. ein Honorar für diese Vermittlung darstellenl Das bliebe noch recht beiremdlieh.

§ 862

Es kommt aber anderes Material hinzu. Eines Tages vorher hatte eine Vermittlerin ganz anderer Art bei einer Verwandten angefragt, ob das gnädige Fräulein wohl die Bekanntschaft eines gewissen Herrn machen wolle, und am- Morgen, einige Stunden vor dem Besuche der Dame, war der Werbebrief des Freiers eingetroffen, der viel Anlaß zur Heiterkeit gegeben hatte. Als nun die Dame das'Gesp1-änh mit einer Erkundigung nach dem Befinden meiner Patientin eröffnete, konnte diese wohl gedacht haben: „Den richtigen Arzt hast du mir zwar empfehlen, wenn du mir aber zum richtigen Menue (und dahinter: zu einem Kinde) verhelfen könntest„wäre ich dir doch denkbaren“ Von diesem verdrängt gehaltenen Gedanken aus flossen ihr die beiden Vermittler-innen in eins zusammen, und sie überreichte der Besucherin das Honorar, das ihre Phantasie der anderen zu geben bereit war. Völlig verbindlich wird. diese Lösung, wenn ich hinzufüge, daß ich ihr erst am Abend vorher von solchen Zuiells- oder Symptomhnndlungen erzählt hatte. Sie bediente sich denn der nächsten Gelegenheit, um etwas Analoges zu produzieren.

§ 863

Eine Gruppierung der so überaus häufigen Zufalls- und Symptomhnndlungen könnte man vornehmen, je nachdem sie gewohnheitsmäßig, regelmäßig unter gewissen Umständen, oder vereinzelt erfolgen. Die ersteren (wie das Spielen mit der Uhrkette, das Zwirbeln am Berta usw.), die fast zur Che

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§ 865

xx. srmon- mm zurursnssnmymru. 253

§ 866

mkteristik der betreffenden Personen dienen können, streifen an die mannigfaltigen Tikbewegungen und. verdienen wohl im Zusammenhange mit. letzteren behandelt zu werden. Zur zweiten Gruppe rechne ich das Spielen, wenn man einen Stock, das Kriteeln, wenn man einen Bleistift in der Hand hält, das Klimpem mit Münzen in der Tasche, das Kneten von Teig und ander-im plastischen Stoffen, allerlei Hantierungen an seiner Gewandung u. dgl. mehr. Unter diwen spielenden Beschäftigungen verbergen sich während der psychischen Behandlung regelmäßig Sinn und. Bedeutung, denen ein anderer Ausdruck versagt ist. Gewöhnlich weiß die betreffende Person nichts davon, daß sie dergleichen_tut, oder daß sie gewisse Modifikzn tionen an ihm gewöhnlichen Tändeln vorgenommen hat, und sie über—sieht und überhört auch die Effekte dieser Handlungen. Sie hört z. B. das Geräusch nicht, das sie beim Klimpern mit Geldstiicken hervorbringt, und benimmt sich wie erstaunt und ungläubig, wenn man sie duran aufmerksam macht. Ebenso ist alles, was man, oft ohne es zu merken, mit seinen Kleidem vornimmt, bedeutungsvoll und der Beachtung des Arztes wert. Jede Veränderung des gewohnten Aufzugs, jede kleine Naßhlissigkeit; wie etwa. ein nicht whiießméer Knvpf, jede Spur von Entblößung will etwas besagen, was der Eigentümer der Kleidung nicht direkt sagen will, meist gar nicht, zu sagen weiß. Die Deutungen dieser kleinen Zufalls— handlungen sowie die Beweise für diese Deutungen ergeben sich jedesmal mit zumichender Sicherheit aus den. Begleitumständen während der Sitzung, alus dem eben behandelten Thema und aus den Einfällen, die sich einstellen, wenn man die Auf— merksamkeit auf die anscheinende Zufälligkeit lenkt. Wegen dieses Zusammenhenges unterlasse ich es, meine Behauptungen durch Mitteilung von Beispielen mit Analyse zu unter

§ 867

§ 868

234 xx. smou- mm zunusmnnusem.

§ 869

stützen; ich erwä.hne diese Dinge aber, weil ich glaube, daß sie bei normalen Menschen dieselbe Bedeutung haben wie bei meinen Patienten.

§ 870

Ich kann es mir nicht Versagen, an wenigstens einem Beispiel zu zeigen, wie innig eine gewohnheitsgemäß ausgeführte Symbolha.ndlung mit dem Intimsben und Wichtigsten im Leben eines Gesunden verknüpft sein kann“:

§ 871

„Wie Professor Freud uns gelehrt hat, spielt die Symbolik im kindlichen Leben des Normalen eine größere Rolle, als man nach früheren psychoanalytischen Erfahrungen erwartete: im Hinblick darauf mag die folgende kume Analyse von einigem Interesse sein, insbesondere wegen ihrer medizinischen Ausblicke.

§ 872

Ein Arzt stieß bei der Wiedereinrich‘tung seiner Möbel in einem neuen Heim auf ein ,einfaches‘ hölzernes Stethosknp. Nachdem er einen Augenblick nachgedacht hatte, wo er es denn eigentlich unterbringen solle, fühlte er sich gedrängt, es seitlich auf seinen Schreibtisch zu stellen, und zwar so, de.ß es genau zwischen seinem Stuhl und dem, worin seine Patienten zu sitzen pflegten, zu stehen kam. Die Handlung als solche war aus zwei Gründen ein wenig seltsam Erstens braucht er überhaupt nicht oft ein Stethoskop (er ist nämlich Neurologe), und sobald er eines nötig hat, benützt er ein doppeltes für beide Ohren Zweitens waren alle seine medizinischen Apparate und Instrumente in Schubkästen untergebracht, mit alleiniger Ausnahme dieses einen. Gleichwohl dachte er nicht mehr an die Sache, bis ihn eines Tages eine Patientin, die noch nie ein ,einfaches‘ Stethoskop gesehen hatte, fragte, was das sei. Er

§ 873

« Beitrug zur Symbolik im Alltag von Ernest Jones, Toronto. Aus dem Englischen übersetzt von Otto Rank, Wien. Zentralblatt für Plyßl.l0< Analyse, 1, s, 1911.

§ 874

§ 875

IX. BYMPTOM- UND ZUFALLSÜANDLUNGEN, 235

§ 876

sagte es ihr, und sie fragte, warum er es gerade hieher gestellt habe, won-int er schlegfertig erwiderte, daß dieser Platz ebensogut wäre wie jeder andere. Dies machte ihn jedoch stutzig und er begann nachzudenken. ob dieser Handlung nicht irgend eine unbewußbe Motiv‘ierung zu Grunde liege, und vertraut mit der psychoanalytisohen Methode beschloii er, die Sache zu erforschen. '

§ 877

Als erste Erinnerung fiel ihm die Tatsaßhe ein, aus als Student der Medizin die Gewohnheit seines Spitslarztes auf ihn Eindruck gemacht hatte, der immerwä.hrend ein einfaches Stethoskop bei seinen Besuchen in den Krankensälen in der Hand gehalten hatte, obgleich er es niemals benützte. Er hatte diesen Arzt sehr bewundert und war ihm außerordentlich mr— getan. Später, als er selbst die Spitalpram's ausübte, nahm er die gleiche Gewohnheit an und hätte sich unbehe.glioh gefühlt, wenn er durch ein Versehen sein Zimmer verlassen hätte, ohne das Instrument in der Hand zu schwingen. Die Nutzlosigkeit dieser Gewohnheit zeigte sich jedoch nicht nur in der Tat„ sache, daß das einzige Stethoskop, welches er in Wirklichkeit benutzte, einen fiir beide Ohren war, das er in der Tasche trug, sondern auch“ darin, dsl} sie fortgesetst ,mes—, als er an! “de-& chirurgischen Abteilung war und iiberhaupt kein Stethoskdp mehr —branehte. Die Bedeutung dieser Beohaehtungen wird sogleich klar, wenn wir auf die phallische Natur dieser symbolischen Handlung hinweisen.

§ 878

Als nächstes erinnerte er die Tatsache, daß ihn als kleinen Jungen die Gewohnheit seines Hansarzt.es frappiert hatte ein einfaches Stethoskop im Innern seines Hutes zu tragen; er fand es interessant, daß der Doktor sein Heuptinstrument immer zur Hand habe, wenn er Patienten besuchen ging, und daß er nur den Hut (d. i. einen Teil seiner Kleidung) abmehrnen und ,es

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§ 880

236 [X. SWI'OM- UND ZUFALLBHAN'DLUNGEN.

§ 881

hemuszuziehen‘ hatte, Er war als kleines Kind diesem Arzte überaus anhänglich gewesen und konnte kürzlich durch Selbst— analyse aufdecken, da.!) er im Alter von dreieinhalb Jahrenleine doppelte Phantasie in betreff der Geburt einer jüngeren Schwester gehabt hatte: nämlich, daß sie das Kind war erstens“ von ihm selbst und seiner Mutter, zweitens vom Doktor und ihm selbst. In dieser Phantasie spielte er also sowohl die männliche wie die weibliche Rolle. Er erinnerte ferner, im Alter von sechs Jahren von demselben Arzt untersucht werden zu sein, und entsinnt sich deutlich der wollüstigen Empfindung, als er den Kopf des Doktors, der ihm‘ das Stethoskop an die Brust drückte, in seiner Nähe fühlte, sowie der rhythmisch hin- und hergehenden Atmungsbewegung. Im Alter von drei Jahren hatte er ein chmnisches Brustiibel gehabt und mußte wiederholt untersucht werden sein, wenn er des auch tatsächlich nicht mehr erinnern konnte.

§ 882

Im Alter von acht Jahren machte die Mitteilung eines älteren Knaben Eindruck auf ihn, der ihm sagte, es sei Sitte des Arztes, mit seinen Patientinnen zu Bette zu gehen. Es gab sicherlich in Wahrheit einen Grund zu diesem Gerüchte, und auf ,alle Fälle waren die Frauen der Nachbarschaft, einschließlich seiner eigenen Mutter, dem jungen und netten Arzte sehr zugetsn. Der Analysierte selbst hatte bei verschiedenen Gelegenheiten sexuelle Versuchungen in bezug auf seine Patientinnen erfahren, hatte sich zweimal in solche verliebt und schließlich eine geheiratet. Es ist kaum zweifelhaft, daß seine unbewußte Identifizierung mit dem Doktor der hauptsächliebste Grund war, der ihn bewog, den Beruf des Medininers zu ergreifen. Aus anderen Analysen läßt sich vermuten, daß dies sicherlich das häufigste Motiv ist (obgleich es schwer ist zu bestimmen, wie häufig). Im vorliegenden Felle war es

§ 883

§ 884

IX. SYMY1‘OH- mm ZUFAILSHANDL'UNGEN. 237

§ 885

zweifach bedingt: erstens durch die bei mehreren Gelegenheiten erwiesene Überlegenheit des Arztes dem Vater gegen— über, auf den der Sohn sehr eifersüchtig war, und zweitens durch des Doktors Kenntnis verbotener Dinge und Gelegen— heiten m sexueller Befriedigung.

§ 886

Dann -kam ein bereits nnderwä.rts veröffentlichter Traum' von deutlich homosexuell-musochistischer Natur; in welchem ein Mann, der eine Ersatnfigur dei Antßs‘ist, den Träume: mit einem ,Schwert‘ angriff. Das Schwert erinnerte ihn an eine Geschichte in der Völsung-Nibelungen-Sage, wo Sigurd ein hlcßes Schwert zwischen sich und. die schlafende Brünhilde legt. Die gleiche Geschichte kommt in der Arthus-Bage vor, die unser Mann ebenfalls genau kennt.

§ 887

Der Sinn der Symptcmhandlung wird nun klar. Der Arzt hatte den einfache Stethoskop zwischen sich und seine Patientinnen gestellt, genau so wie Sigurd sein Schwert zwischen Sich und die Frau legte, die er nicht berühren durfte. Die Handlung war eine Kompromißbildung; sie diente zweierlei Begungen: in seiner Einbildung dem unterdrückten Wunsche nachzugeben, mit irgend einer mimenden Patientin in sexuelle Beziehungen zu treten, ihn aber zugleich zu erhmem, daB dieseransch‘ nicht verwirklicht werden konnte. Es war sozusagen ein Zauber gegen die Anfechtungen der Versuchung.

§ 888

Ich möchte hinzufügen, daß auf den Knaben die Stelle aus Lord Lyttons Richelieu gmßen Eindruck machte:

§ 889

,Beneath the rule of men entirely great The pen is mightier than the sword‘”,

§ 890

— „Freud’s Thcury of Drna.ml“, America Journ. el Plychol;, April um), 1). am, a:. 1

§ 891

-— Vgl. man-„„ „! wear my yen u othen do their swurd“.

§ 892

§ 893

238 IX Sm!— WD “IMMER

§ 894

daß er ein. fruchtba.rer Schriftsteller geworden ist und eine außergewöhnlich große Füllfeder benützt. Als ich ihn fragte, wem er dies nötig habe, erwiderte er charakteristischerweiss: ,Ich habe soviel nuszudrücksn.‘

§ 895

Diese Analyse mahnt uns wieder einmal daran, welch weit— reichende Einblicke in das Seelenleben uns die ,hsrmloseu‘ und ,sinnlosen‘ Handlungen gewähren, und wie frühzeitig im Leben die Tendenz zur Symbolisienmg entwickelt ist.“

§ 896

Ich kann noch etwa. aus meiner psychothempeutisehen Erfahrung einen Fall erzählen, in dem die mit einem Klumpen Brotkmme spielende Hand eine beredte Aussage eblegte. Mein Pdtiecnt war ein noch nicht 13fährigei; seit fast zwei Jahren schwer hysterischer Knabe, den ich endlich in psychoanslytische Behandlung nahm, nachdem ein längerer Aufenthalt in einer Wssserheilnnstalt sich erfolglos erwiesen hatte. Er mußte nach meiner Voraussetzung sexuelle Erfahrungen gemacht haben und seiner Altersstu.fe entsprechend von sexuellen Fre; gen gequält sein; ich hiitete mich aber, ihm mit, Aufklärungen zu Hilfe zu kommen, weil ich wieder einmal.eine Probe auf meine Voraussetzungen anstellen wollte. Ich“ durfte also neu— gierig sein, anf welchem Wege sich das Gesuchte bei ihm andeuten würde. Da. fiel es mir auf, daß er eines Tages irgend etwas zwisehen den Fingern der rechten Hand rollte, damit in die Tasche fuhr, dort weiter spielte, es wieder hervorzog usw. Ich fragte nicht, was er in der Hand habe; er zeigte es mir > aber, indem er plötzlich die Hand öfl‘nete. Es war Brotkrume, die zu einem Klumpen zusammengeknetet war. In der nächsten Sitzung brachte er wieder einen solchen Klumpen mit, ionnte aber aus ihm, während wir das Gespräch führten, mit. unglaub— licher Raschheit und bei geschlossenen Augen Figuren, die mein. Interesse erregten. Es waren unzweifslha,ft Männchen

§ 897

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H. srm‘on— UND ZUFALIEHANDLUNGEN. 259

§ 899

mit Kopf, zwei Armen, uwei Beinen, wie die rohesten prä,historischen Idole, und einem Fortsntz zwisehen beiden Beinen, den er in eine Lange Spitze ausmg. Kaum daß dieser gefertigt war, knetete er the Männchen wieder zusammen; später ließ er es bestehen, wg aber einen ebensolchen Fortsetz an der Rückenfläohe und an andelen Stellen aus, um die Bedeutung des ersten zu verhüllen. Ich wellte ihm zeigen, wie ich ihn verstanden hatte, ihm aber dabei die Aneilneht benehmen, daß er sich bei dieser menschenforlnenden Tätigkeit nichts gedacht habe. In dieser Absicht fi'a,gte ich ihn plötzlich, ob er sich an die Geschichte jenes römischen Königs erinnere, der dem Abgesendten seines Sohnes eine psnbomimisohe Antwort im Garten gegeben. Der Knabe wollte sich nicht an das erinnern, was er doch vor so viel kürzerer Zeit als ich gelernt haben mußte. {Er fragte, ob da.! die Geschichte von dem Sklaven sei, auf dessen gletttuierten Schädel man die Antwort geschrieben habe, Nein, das gehört in die griechische Geschichte, sagte ich und erzählte: Der König anqninins Superbus hatte seinen Sohn Sextns vemnla.ßt, sich in eine feindliche letinisohe Stadt einzusehleiohen. Der Sohn, der sich unterdes Anhang in dieser Stadt verscbaiit hatte, schickte einen Boten an den König mit der Frage, was nun weiter geschehen solle. Der König gab keine Antwort, sondern ging in seinen Guten, ließ sich dort die Frage wiederholen und schlug schweigend die größten und schönsten Mohnköpfe sh. Dem Boten blieb nichts übrig als dieses dem Sextns zu berichten, der den Vater verstand und es sich angelegen sein ließ, die angesehensten Bürger der Stadt durch Mord zu beseitigen.

§ 900

Während ich redete, hielt der Knabe in seinem Kneten inne, und als ich mich anschickte zu erzählen, was der König in seinem Garten tat, schon bei den ,Worten „schlug sohweigend“,

§ 901

§ 902

240 IX. srumu- UND ZDFAHBELNNJUFEW.

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hatte er mit einer blitnsclinellen Bewegung seinem Männchen den Kopf abgerissen Er hatte mich also verstanden und gemerkt, daß er von mir verstanden werden war. ich konnte ihn nun direkt befragen, gab ihm die Auskünfte, um die es ihm zu tun war, und wir hatten binnen kurzem der Neurose ein Ende gemacht.

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. Die Symptomhiandlungen, die mm in fast unemehöpflioh'er Reiohhnltigkeit bei Gesunden wie bei Kranken beobnohten kann, verdienen unser Interesse aus mehr als einem Grunde. Dem Amts dienen sie oft als ,wertvolle Winke zur Orientierung in neuen oder ihm wenig bekannten Verhältnissen, dem—Mensuhsnbeobachter verraten sie oft alles; und mitunter selbst mehr7 als er zu wissen wünscht. Wer mit ihrer Würdigung vertraut ist, darf sich gelegentlich wie der König Salome vorkommen, der nach der orientalischen Sage die Spraßhe— der Tiere verstand. Eines Tages sollte ich einen mir fremden jungen Menu im Hause seiner Mutter ärztlich untersuchen. ,Meer mir entgegenth fiel mir ein großer Eiweißfleok, kenntlich an seinen eigentiimlieh' starren Rändern, auf seiner Hose auf., Der junge Mann entschuldigte sich nach kurzer Verlegenheit, er habe sich heiser gefühlt und darum ein rohes Ei getrunken, von dem wahrscheinlich etwas schlüpt'riges Eiweiß auf seine Kleidung herabgeronnen sei, und konnte nur Bestä— tigung auf die Eiersohsle hinweisen, die noch auf einem Tellerohen,im Zimmer zu sehen war. Somit wei der suepekte Fleck in harmloser Weise aufgeklärt; als aber die Mutter uns allein gelassen hatte, dankte ich ihm, daß er mir die Diagnose so sehr erleichtert habe, und nahm ohne weiteres sein Geständnis, daß er unter den Beschwerden der Masturbation leidé„_ zur Grundlage unserer Unterhaltung. Ein anderes Ms.! machte ich einen Besuch bei einer ebenso reichen wie geizigen und nör—

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mamma m msnmmnnwm’mv. zu

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riechen Dame, die dem. Anzte die Aufgabe zu stellen pflegte, sich durch ein Heer von Klagen durchznubeiten, ehe man zinsimpeln Begründung ihrer Zustände gelangte. Als ich eintmt, saß sie bei einem Tischehen damit beschäftigt, Silbergulden in Häufehen zu sohiehtan, und während sie sich erhob, Wurf sie einige der Geldstl'iakß zu Boden. Ich half ihr beim Aufklauben derselben, mterbmh sie bald inder Schilderung ihres Elends und fragte: Hat Sie also der ven-nehme Schwiegersohn um suvielGeld gebracht? Sie antwortete mit erbitlm'ter Verneinung, um die kürneete Zeit nachher die klägliche Geeehiehte von der Aufregung über die Verschwendung des Schwiegersohnes zu ernählen, hat mich aber allerdings seither nicht wieder gerufen. Ich kann nicht behanpten, dal} man sich immer Freunde unter denen wirbt, denen man die Bedeutung ihrer Symptnmhenfllungen mitteilt. ' '

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Ein anderes „Eingeetindnia durch Fehlhandlunig“ berichtet Dr. J. E. G. ven Emden (Heng):_.‘„ßeim mm in einem kleinen Restaurant in Berlin beheupteße der Kellner, daß der Preis einer bestimmten Speise — des Krieges wegen — um 10 Pfennig erhöht wortlen war; meine Bemerkung, warum das auf der Preisliste nicht angezeigt werden war, beantwortete er mit. der Erwidurung, daß dies o!fenbe.r eine Unterlassung sein müßte, daß es aber gewiß so war! Beim Einsteeken des Ilet-rages war er ungeschickt und ließ ein Zehnpiennigs-tiiek gerade fiir mich auf den Tisch niedei'inllenll

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,Jetzt weiß ich aber sicher, daß Sie mir zuviel gerechnet haben, wollen Sie, daß ich mich an der Kasse erkundige'l‘

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,Bitte, gestatten Sie„. einen Moment...‘ und fort war er schon.

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Belbetverstäudlioh gönnte ich ihm den Rückzug und, naeh— dem er zwei Minuben später sich entschuldigte, unbegreiflioher

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Fund. Emapmm»h n. Ann-,mw, vu. Aufl. 18

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242 [X. BWPTOM- mm ZUE‘ALLBHAHDIÄTNGEN.

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weise mit einer anderen Speise im Irrtum gewesen zu sein, die zehn Pfennig-e als Belohnung für seinen Beitrag zur Psychopsthologie des Alltagslebens“

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Wer seine Nebenmensohen während des Essens beobachten will, wird die schönsten und lehneichsten Symptomhandlungen an ihnen feststellen können.

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So erzählt“ Dr. Hanns Sachs:

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„Ich war zufällig zugegsn, als ein älteres Ehepaar meiner Verwandtschaft das Abendessen einnehm. Die Dame war magenleidend und. mußte sehr strenge Diät halten. Dem Marine war eben 'ein Braten vorgesetzt werden, und er hat seine Frau, die sich an dieser Speise nicht beteiligen durfte, um den Senf. Die Frau öffnete den Schrank, griff hinein und stellte vor ihren Mann das Fläschchen mit ihren Magentropfen auf den Tisch. Zwischen dem faßfönnigen Senfglsse und dem kleinen Tropfflä.sehohen bestand natürlich keine Ähnlichkeit, aus der der Mißgriff erklärt werden konnte; trotzdem bemerkte die Frau ihre Verwechslung erst, als der Gatte sie lachend darauf aufmerksam machte.

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Der Sinn der Symptomhandlung bedarf keiner Erklärung,“

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Ein köstliches Beispiel dieser Art, das vom Beobachter sehr geschickt ausgebentet wurde, verdanke ich Dr. Bernh. Dattner (Wien):

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„Ich sitze mit meinem Kollegen von der Philosophie, Dr. H., im Restaurant beim Mittagessen. Er erzählt von den Unhilden der Probakandidatur, erwähnt nebenbei, daß er vor der Beendigung seiner Studien beim Gesandten resp. bevollmächtigten außerordentlichen Minister von Chile als Sekretär unter-gekommen war. ,Dann wurde aber der Minister versetzt und dem neu entretenden habe ich mich nicht vorgestellt.‘ Und während er diesen letzten Satz nusspriclit, führt er ein

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,IX., mom m ZUFAL‘IAHANDLUNGEN. 243

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Stück Torte zum Munde, läßt es aber, wie aus Ungeachicklichkeit, vom Messer hera.bfallen., Ich ertnese sofort den geheimen Sinn dieser Symptumhandlung und. werfe dem mit? der Psycho— analyse nicht“. vertrauten Kollegen wie von ungefähr ein: ,Da. haben Sie aber einen fetten Rissen fallen laesen.“ Er aber merkt nicht, daß sich meine Worte ebensogut anf seine Symptoui— handlung beziehen können, und wiederholt mit einer sonderhnr anmutenden, überraschenden Ißbhaftigkeit, so als hätte ich ihm förmlich das Wort aus dem Munde genommen, gerade dieselben Worte, die ich ansgesprochen: ,Ja, das war wirklich ein fetter Bienen, den ich fallen gelassen hs,be‘ und erleichtert sich dann durch eine erschöpfende Darstellung eeinel Ungeachicklichkeit, die ihn um diese gut bezahlte Stellung gebracht hs.t..

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Der Sinn der symbolischen Symptomhsndlung erleuchtet sich, wenn man ins Auge £ußt, daß der Kollege Skrupel emp— fand, mir, der ihm ziemlich ferne steht, von seiner prekä.ren materiellen Situation zu erzählen, daß sich dann der verdrängendo Gedanke in eine Symptombandlung kleidete, die sym‘bolisuh eusdrückf., was hätte verborgen werden sollen, und somit dem Sprecher aus dem Unbewußben Erleichterung schuf.“

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Wie sinnreich sich ein euheinbs.r nicht benbsichbigtes Wegnehmen oder Mitnehmen hemwtellen kann, mögen. folgende Beispiele zeigen. ‘

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1. Dr. B. Dattnsr: „Ein Kollege stattet seiner verehrten Jugendfreundjn das erstemal nach ihrer Eheschließung einen Besuch ab. Er erzählt mir von dieser Visite und drückt mir sein Erstaunen darüber aus, dal! es ihm nicht gelungen sei, sich nur ganz kurse Zeit., wie er es vor hatte, bei ihr zu ver- weilen. Dann aber berichtet er von einer eonderberen Fehlleietung, die ihm dort zugestnßen sei.

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Der Mann seiner Freundin, der am Gespräche teilgenom

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rs*

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244 IX. BYIIPI‘OH- min ZUI'ALLBBANDIJTN'GM.

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men habe, hätte eine Zündhölzohenschzwhtel gesucht, die ganz bestimmt bei seiner Ankunft auf der Tischplatte gelegen sei. Auch der Kollege habe seine Taschen durchsth ob er ,sie‘ nicht zufällig ,eingestackt‘ habe, doch vergebene. Genmme Zeit danach habe er ,sie‘ tatsächlich in seiner Tasche entdeokt, wobei ihm aufgefallen sei, daß nur ein einziges Zündhölzchen in der Schachtel gelegen war.

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Ein paar Tage später bestätigt ein Tamm, der die Schachtelsymbolik midringlich zeigt und sich mit der Jugendfreundin beschäftigt, meine Erklärung, daß der Kollege mit seiner Symptomhnndlung Prioxitätsrechte reklamieren und die Ausschließlichkeit seines Besitzes (nur ein Zündhölzehen drinnen) darstellen wollte.“

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2. Dr. Hanns Sachs:

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'„U'nscr Mädchen ißt eine bestimmte Torte besonders gern. An dieser Tatsache ist kein Zweifel möglich, denn es ist die einige Speise, die sie ausnahmslos gut zubereitet. Eines Sonnta.gs- brachte sie uns eben diese Torte, stellte sie auf der Kredens eb, nahm die beim vorigen Gang benützten Teller und Besteck! und häuite sie auf die Tasse, auf der sie die Torte hereingetragen hatte; auf die Spitze dieses Hanfens platzierte sie dann wieder die Torte, anstatt sie uns vonusetzen, und vensohwsnd damit in die Küche. Wir meinten zuerst, sie habe an der Torte irgend etwas zu verbessern gefunden, da. sie aber nicht wieder erschien, läutete meine Fran und fragte: ,Betty, was ist denn mit der Torte los 1‘ Darauf das Mädchen ohne Verständnis: ,Wieso?‘ Wir mußten sie erst dariiber aufklären, daß sie die Torte wieder mitgenommen habe; sie hatte sie aufgeladen, hineusgetragen und wieder abgestellt, ,ohne es

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zu bemerken“. Am nächsten Tage, als wir uns dann machten, den Rest

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m. am« m ZWÄLIÄBANDLII'NGEN. 245

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dieser Torte zu vermehren, hemerkte meine Frau, daß nicht weniger vorhanden war, als wir am Vortag übrig gehn-ken hatten, daß also das Mädchen da; ihr gebührende Stück der Lieblingeepeiee vemhmäht hatte. Auf die Frage, warum sie nichts von der Torte gegaaen habe, antwortete sie leicht verlegen, sie habe keine Lust gehabt.

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Die inbintile Einstellung ist beide Male sehr deutlich; erst die kindliche Meßloldgi'ßit, die das Ziel der Wünsche mit niemandem teilen will, dann die ebenso kindliche Reaktion mit Trotz: wenn ihr es mir nicht günnt, eo behaltet es für euch, ich will jetnt gar nic}th haben."

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Die Zufalls- oder Symptomhandlungen, die sich in Ehesachen ereignen, haben oft die ernnteste Bedeutung und könnten den, der sich um die Psychologie des Unbewußten nicht bekiimmern will' zum Glauben an Vorzeichen nötigen, Es ist kein guter Anfang, wenn eine junge Frau auf der Hoehreitsreiee ihren Ehering verliert, doeh war er meist nur verlegt und wird bald wiedergefimden. —— Ich keine eine jetzt von ihrem Mumie geschieden Dame, die bei der Verwaltung ihres Vermögens Dokumente häufig mit ihrem Mädchennamen unterzeichnet hat, viele Jahre vorher, ehe sie diesen wirklich wieder annahm. —Einst war ich als Gast bei einem jung verheirateten Pa;.re und. hörte die junge Frau lachend ihr letztes Erlebnis erzählen, wie sie am Tage nach der Rückkehr von der Reise wieder ihre ledige 'Schwester aufgesucht hätte, um mit ihr, wie in früheren Zeiten1 Einkäufe zu machen; während der Ehemann seinen Geschäften nenhging. Plötzlioh sei ihr ein Herr auf der anderen Seite der Straße aufgefallen, und sie habe ihre Schwester anstoßend gerufen: Sehen, dort geht ja. der Herr L. Sie hatte vergessen, daß dieser Herr seit einigen Wochen ihr Ehegema.hl war. Mich übeer es kalt bei dieser Erzählung, aber ich ge

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245 1x. symm- mm zurmeusamv.

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traute mich der Folgerung nicht. Die kleine Gesohichte fiel mir erst Jahre später wieder ein, nachdem diese Ehe den unglückliehsten Ausgang genommen hatte.

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Den .’bea«uhtenswerten1 in französischer Sprache veröffentlichten Arbeiten von A. Maeder* in Zürich entnehme ich folgende Beobachtung, die ebensowohl einen Platz beim „Vergessen“ verdient hätte:

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„Une dnme nous racentait réoemment qu’elle aveit oublié d’eesayer 'ea, rohe de noce et s’eu souvint la. veille du mas-lage ähuit heures du wir, hmuturiére désespérait de voirse cliente. Ce détail suffit & montrer que la fianoée ne ee senta.it pas trés heureuse de porter une rohe d’épouse, elle chemha.it ;} 'ouhlier cette représentation pénible. Elle est aujourd’hui„ . . divorcée.“

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Von der gmßen Schauspielerin Eleonore. Düse erzählte mireinFreund, der auf Zeichen achten gelernt hat, sie bringe in einer ihrer Rollen eine Symptomhandlung an, die so recht zeige, aus welcher Tiefe sie ihr Spiel hemufhole. Es ist ein Ehebruehsdraanzt; eie hat eben eine Auseina.ndersetzung mit ihrem Hanne gehabt und steht nun in Gedanken abseits, ehe sich ihr der Versueher nähert. In diesem kurzen Intervall spielt sie mit dem Eher-ing an ihrem Finger, zieht ihn ab, um ihn wieder anzustecken, und zieht ihn wieder ab. Sie ist nun reif für den anderen.

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Hier schließt an, was Th. Reik (Internat. Zeitschrift für Psychoanalyse, III, 1915) von anderen Symptomhandlungen mit Ringen erzählt.

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„Wir kennen die Symptomhandlungen, welche Eheleute ausfühieu, indem sie den Training abziehen und wieder an

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. Alph. Under, Contributinns t I:, peychopathologie de la vie quotidienue, Archivel des Psychologie, r, VI, wos.

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II. sur-rm msn) WFALLGHANDLIYNGEN. 547

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stecken. Eine Reihe ähnlicher Symptomhnndlungen produzierte mein Kollege ll. Er hatte von einem von ihm geliebten Mäd— chen einen Ring mm Geschenk erhalten, mit dern Bemerken, er dürfe ihn nicht verlieren, sonst wisse sie, daß er sie nicht mehr lieh habe. Er entflaltete in der Folgezeit eine erhöhte Be— sorguis, 'er könnte den Ring verlieren. Hatte er ihn zeitweilig, z. B. beim Waschen abgelegt, so war er regelmäßig verlegt, so daß es oft langen Buchens hednrfte, um ihn wieder zu erlangen. Wenn er einen Brief in den Postkasten warf, konnte er die leise Angst nicht nnterdn‘rcken, der Ring könnte von den Rändern des Briefkasten sbgezogen werden. Einmal hantierte er wirklich so nngesehickt, da.fl der Ring in den Kasten fiel. Der Brief, den er bei dieser Gelegenheit absandts, war ein Absohiedsschrelben an eine frühere Geliebte von ihm gewesen, und er fühlte sich ihr gegenüber schuldig. Gleichzeitig erwanhte in ihm Sehnsucht nach dieser Frau, welche mit seiner Neigung zu seinem jetzigen Li9bmhjeki; in Konflikt km.“ An dem Thema. des „Binges“ kann min sich wieder einmal den Eindruck holen, wie schwer es für den Psychoanalytiker ist, etwas Neues zu finden, was nicht ein Dichter vor ihm gewollt hätte. In Fontanes ans.n „Vor dem Sturm“ ss,gt Justizmt T nrga.ny während eines Pfänderspieles: „Wollen Sie es gl&il— ben, meine Damen, daß sich die tiefsten Geheimnisse der Natur in der Abgabe der Pfänder offenberen.“ Unter den Beispielen, mit denen er seine Behauptung erhärtet,—verdjent eines unser besonderes Interesse: Ich entsinne mich einer im Embonpoint— alter stehenden Professorenfrau, die mal auf mal ihren Trauring als Pfand vom Finger zug. Erlassen‘8ie mir, Ihnen das eheliche Glück des Hauses zu schildern.“ Er setzt dann fort: „In derselben Gesellschaft befand sich ein Herr, der nicht müde wurde, sein englisches Taschenmesser, zehn Klingen

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. 248 [X. smmu- UND ZUFALISBAN'Dl—JUHGIN.

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rnit Korkzioher und ]S‘euerstnhl1 in den Schoß der Dame zu deponieren, bis das Klingenmonstrum, nach Zeneißung mehrerer Seidenkleider, endlich vor dem allgemeinen Entrüetungeschrei verschwsn .“

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Es Wird uns nicht wundernehmen, daß ein Objekt von so reicher symbolischer Bedeutung wie ein Ring auch dann zu sinnreiehen Fehlhandlungen verwendet wird, wenn ee nicht als Ehe- oder Verlobungsn'ng die erotische Bindung bezeichnet. Dr. M. Kerdos hat mir naehsbehendes Beispiel eines derartigen Vorkommnisses zur Verfügung gestellt:

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„Eine Fehlhnndlung als Bekenntnis.

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Vor mehreren Jahren hat sich mir ein um vieles jüngerer Mann angeschlossen, der meine geistigen Bestrebungen teilt und zu mit etwa. im Verhältnis eines Schülers zu seinem Lehrer steht. Ich habe ihm zu einer bestimmten Gelegenheit einen Ring geschenkt, und dieser hat ihm schon mehreremel Gelegenheit zu Symptom- resp. Fehlhandlungen gegeben, so« bald in unseren Beziehungen irgend etwas seine Mißbilligung gefunden hatte. Vor kurzem wußte er mir folgenden, besonders hübschen und. durchsiehtigen Fall zu berichten: Er war von einer einmal wöchentlich stattfindenden Zusammenkunft, bei der ‘er mich regelmäßig zu sehen und zu sprechen pflegte, unter irgend einem Vorwand ausgeblieben, da. ihm eine Verabredun.g mit einer jungen Dame wiinschenswe'rter erschienen war. Am darauffolgenden Vormittag bemerkte er, aber erst als “er schon längst das'Hau’s verlassen hatte, daß er den Ring nicht am Finger trage. Er beunruhigte sich darüber nicht weiter, da. er ennehm, er habe ihn daheim auf dem’ Nanhtkä.sh chen, WO er ihn jeden Abend hinlegte, vergessen und werde ihn beim Nachhauseknmmen dort finden. Er sah auch gleich nach

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ll. um:-,m MMHAN'DWHGEN. ' 319

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der Heimkehr nach ihm, aber vergeblich, und. begann nun, ebenso erfolglos, das Zimmer im durchsuchen. Endlich fielihm ein, daß der Ring — win! übrigens schon seit; mehr als einem Jahre —— auf dem Naehäülkihflfl neben einem kleinen Messe» chen gelegen sei, das er inder Westenteeohe zu tragen gewoth war; "so verfiel er eu£d.ie Vermutung, er könnte ,nun Zerebreubheit‘flenkingmitdemlieeeereingeetßokthaben. Ergriitalen in die Tacho und: iind dert wirklich am gesuchten Ring.

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,Der Ehering in der Wesbentuohe‘ ist die upriehwöttliehe Aufbewahmngsart'fiirdemfing, wennd;erliflmndie Fran, von der er ihn empfangen Int, zu betrügen beebliohliigt. Sein Schuldgefiihl hat ihn alle zunächst zur Selbecbestrafimg (,Du verdth es nicht mehr, diesen Ring in tragen"), in-zweiter Linie zu dem Eingeetüld_nie seiner Untreue vennlaßt, n.!le'b dinge bloß in der 1Nmn einer‘l‘ehlhandhmg, die keinen Zeugen hatte. Erst auf dem Umweg über den Bericht davon —— der allerdings voranssehhu wu —— kam es zum Eingeetändnis der begangenen kleinen ,Untrcue‘." —

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Ich weiß auch von einem filmen Herrn, der ein sehr junges Mädchen im“ Frnu nahm und die Eoohleihene.oht anstatt. abzureieen in einem Hohe]. der Glußltedß anbringen gedachte. Kaum im Hotel angelangt, merk“ er mit Schrecken, daß er seine Briefmdze, in der iioh die game für die Hochzeitsreiee bestimmte Geldmmme befand, vermisse, also verlegt oder verloren habe. Es gelang noch, den Diener telephonieoh zu erreichen, der des Vermißüa in dem abgelegten Rock des Hochzeiten; eu£fand und dem Een-renden, der pc ohne Vermögen in die Ehe gegangen war, ins Hotel brachte. Er konnte aleo am.näeh.sten Morgen die Reise mit seiner jungen Frau antreteii; in der Nacht selbst war er, wie seine Befürchtung voransgesehen hehe, „unvermögen “ geblieben. ——

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260 IX. ermu- UND ZWALLBHANDLUNGIK.

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Eu ist 'tröatlißh zu denken, daß das „Verlieren“ der Menschen in ungeahnter Ausdehnung Symptomhandlung und somit wenigstens einer geheimen Absicht des Verlustträgers willkommen ist. Es ist oil; nur ein Ausdruck der geringen Schiczung des verlorenen Gegenstandes oder einer geheimen Abneigung gegen denselben oder gegen die Person, von der er heritammt, oder die Verlustneigung hat sich auf diesen Ge— genstand durch symbolische Gedankenverbindung von anderen und bedeutsameren Objekten the: übertragen Daß Verlieren wertvoller Dinge dient mannigfachen Regmgen zum Ausdruck, es soll entweder einen verdrängben Gedanken symbolisch darstellen, also eine Mahnung wiederholen, die man gern überhören möchte, oder es soll -— und dies vor allem anderen — den dunklen Schicksalelniißhten — Opfer bringen, deren Dienst auch .nnber uns noch nicht erloschen ist '.

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- nur noeh eine kleine Sammlung mnnm'gfalbiger Symptomhnndlnngen bei Gesunden und Nmn'uh'kem: Ein älterer Kullege, der nicht gern im Kartenlde vetllart, hnl sinus Abend: eine größere Verlulfdummß klaglos, nber in eigunbinilioln „rum Stimmung msgeu,hlt. Nach nimm Weggehm wird „man. an] er in deutlich man, was er bei den nur. auf seinem mu zurückgehuux but: Brille, Ziganenmohe und mmuh. Das fordert wohl die übersetzung: Ihr Räuber, ihr habt mich an rohön nugeyiindcrf„ — Ein Mann. der an gelegentlich auftreflender sexueller Impotenz leidet, welche in der Innigkelb seiner Kinderhuieliungen zur Mutter begründet hf, berichtet, daß er gewohnt ist. Schriften und Aufzeichnungen mit einem 5, dem Aufnngebuchstaben den Namen seiner Mutter. in vunlelen. Er vnrl.rigt ns nicht. dal! Briefe vom Hulue nut seinem Schreibtiwh in Berührung mit nnderen unheiiigm Briefiohflflen geraten, und in dumm genöi.igg erstem geanndert anünbewlnhren. — Emo junge Dame rem: plötlliuh die Tür des Behe.ndlxmguimmerl nur, in dern lich noch ihm Vorgängerin befindet. Sie entaclmldx'gt |loh' mit „Gednnkenloulgkell"; es ergibt rich ma, daß sie die Neugierde demonunion hu, welehe ri. seinerzeit im Schlafzimmer der man dringen

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§ 970

IX. ßYlfl’l'0ll- |}!!! ZUFALLSEANDWNGIN. 291

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Zur Erläuterung dieser Sätze über das Verlieren nur einige Beispiele:

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Dr. B. Daumen „Ein Kollege berichtet mit, daß er seinen Peukalastift, den er bereits über zwei-'Jahm besessen habe und

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ließ. — Mädchen. die zu! ihm wilönen Euro 10011 find, Willen so so schickt mit Klum und. Main umgehen, da“ nich innen mitten im Gespri4ih die Eule man. —— Hunhv Ihm „kann vihxemi der Behandlung (in um Sub-ng) wa m der: Honnth und nonuricmn lo die Arme der Bohmdlnnglltnlndo je nach ihrer Sahimng. «» Wer beim Art!. einen mitgvbmhßen Gewand wie Zvrißker, Eindschuhe. Tilth vergilt, dumm dunic an, an er sich „im locnilen kann und gern bald viederhommnn möchte» ,ll. June: ngt: One um almo|ß nimm m „man with which . phyliuil.n is pnotixing plynhothenpy, for mm by an ein 01 m collection of nmiuellu, hm!kemhiatu,punu,mxiwon,mzmmnmmamonm—Di. kleinsten gevohnhßiunißigen und mit minimaler Aulmerhmkm'b unlgefiihrben Verfißhhungen, wit in! An.iliehnn du Uhr vu: dem Schlafengehen, da Anblömhen du Lichte. vo; dem Vullne'n du Zimmern n. p., sind gelegentlich Störungen nnmworlon. wllohe den Einflnfl der Inbo— wllßlen Komplexe an! die Angeblich “|!th „Gulohnliniüßn“ nnverke-nnbar denimh'iuen. Header Oflihit in'flot Zliblßhrifl. „Ooenoiwinm‘“ von einem Spihümta, der lich tim- Abend. einn_* wichbigen Angelegenheit wegenmtmhlol,indiqßhdßmgehmohwohlerfimhhlbhunddns Spißl nicht um udn-un lniiln. Als er xnrüokhnl, in!»th e: in seinem mm Linke in nimm_limmr. n: mm, m ihm irii.hn nie gelcheben wu, mgmsn, bei nimm Weggehen dumm n machen. Er baum lich Aber: Mid In! du Muth diene! Vugoennn Darin! Ihn-fl wohnendu s;>1zudirekmr um!“ jl. In! dem Licht im Zimmn Minen Interna den Bnhiuil fliehen, daß die”! in Emule ni. — Ein mit Sorgen inburbfirdeier und gelegentlich Verlfimmungen unterwnriem Mm ver» „sicher!: mir, du er ngelmflig un Morgen um Uhr nbg.|m:an finde, wenn ihm am Abend vorher da Lehm gut in m nnd nnfmnmdilßh erschienen lei. Er drückt um durch die Unterluunng, die Uhr Ullmziehen, Iymhoh'nch uns, daß ihm niuhn dm gelegen „i, den na,—mm Tag zu ulßbtn. — Ein Indiz", mir persönlich nnbokuint, mhuibt: „Van

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252 IX. anmel— UND ZU'FAIJÄHANDLW.

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der ihm seiner Vorzüge wegen sehr imertvoll gewvrden sei, unvermutet verloren habe. Die Analyse ergab folgendm Tab bestand: Am Tage vorher hatte der Kollege von seinem Schwager einen empfindlich unangenehmen Brief erhalten, deseen Schlth folgendermaßen lautete: ,Ich habe vorläufig weder

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einen harten Suhlukaalunohlngu bmafien, elsehisn mir d.. Leben „ hat und nnfrennd11eh, daß ieh mir einhildebe. keine genügend. nur n finden, um den nichts!: Tng dnrehm.1ehen, und dn hemerh.e id:, dlß ich im täglich meine Uhr außudehen mga.ß, uns ich früh: niernr1r unherheß und an vor dem Niederlegen ngulmißig me meehnnireh unhewuut um Nur „nen erinnerte ich man dmn, wenn ich um fulganden Tage etwa Wiahfigel oder mdn Inßere!ße menden Felqu vor bitte. sam nneh ‘d:lu eine Eympbomhmdlung rein Ich kann mir die. g-r nicht erklären“ _ Wer eich, wie Jung (cher dio Psyubnlogi» der Dementin mm, 1907, s. 62) oder Mneder (Une wie nomefle en psychologie _— Freud et son Ecole, „Ooemobium“, Lugu'w 1909) die Mühe nehmen will, mi die Melodien 111 achten, welohe zum, 01.11.18 el ln habnrhrigen, oft. ohne es In marken, vor sich hin cri].lerlz, wird die Beziehung des Texten nl. einem die Pemn beuchßitigenden Thema. wohl regahnidig nufdecken können.

§ 978

Auch die f_einere Determlniemng dh. Gedankennnud.nlckei in Redß oder Schrift verdiente eine son-gültige Beaßhbung. Man glaubt dx_zuh im mgmeinen die Wahl nur haben, in welche Whr_:e man seine Gedmkm einkleriden oder durch welches Bild man nie Verkleiden soll. Nilmru Beobachtung zeigt, an: andere Rüehichtpn übu' dieee wm entlnheiden, und M in der Form den Gedanken! ein tiefem, oft nicht beßbaibhl-ighu: Sinn dumhsuhimmm. Die Bildu- und »nrdrmazua. deren nich sine Person vnnuguweiu bedimt, sind für ihre Beurßilnng meist nnd.h gleiehgfrlfig, und Man: erweinn den oft: als Anzpielnng mit ein Thum, welches dernen im Hinmrgrunde gnhx.lten wird, aber den Sprecher mächtig ergriffen hat. Ich hörw jemand zu einer gewissen Zeit wiederholt in theoretischm Gesprächen die Rede gebrauchen: „Wenn einem plötzlich etwa durch den Kopf schießt“, uber ich Wußfle, da.]! er vor kurzem dic Nuhrißht N‘hnhen ham, reinem sehn sei die Feldhppe, die er mf dan Kopie trug, vun vorn mal: hmm durch ein meirohe. Prvjekhil durehmhoreen werden

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§ 980

. x’x. starren-nm mmnmnwem. ' m

§ 981

Lust noch Zeit, Deinen Leinhteinn und Deine Fnulheit zu unterstützen} Der Affekt, der sich an diesen Brief lmüpfbe, war so mächtig, dal! der Kollege prompt am nächsten Tage den Penkaln ein Geschenk dieser Sehwagers, opferte, um durch deeeen Gnade nieht allmeehnbeeehwert zu sein.“

§ 982

Eine mir bekannte Deine hat. sich, wie begreiflich, während der Tuner um ihm alte Mnßber des Theaterbeenehes enthalten. Es fehlen jetnt nur noch wmige_ Tage bis zum Ablauf des Tmnerjahxes,' und sie laßt. sich duréh den Zureden ihrer Be— kannten bewegen, eine Theaterhart„e für eine besondere inheressante Vorstellung zu nehm Vor dem Theater angelangt, macht sie die Entdeckung, daß sie die Karte verloren hat. Sie meint später, daß sie dieselbe mic der Tmmwaykaxhe weggeworfen hat, als sie aus dem.qu metieg. Dieselbe Dame n“1hmt sich, nie etwa; um Unaohtumkeit zu verlieren

§ 983

Mandarinlnonnnehmen,dnßanuheinnnderer Fall von Verliexen, den sie erlebte, nicht ohne gute Motivierung war.

§ 984

In einem Kunde angekommen, entsßhließt sie sich, eine Pension zu besuchen, in der nie ein frühere: Mal gewohnt. hatte. Sie wird dort. als alte Bekannte aufgenommen, he- ' wirtet und erfi.brt„ als sie bezahlen will, daß sie sich nl. Gast. zu beth habe, was ihr nicht ganz Naht ist. Es wird 'ihr zugestanden, (laß sie etwas für den servieremle Mädchen zurüan darf, und. sie öffnet ihre Börse, um einen Mur:ksohein auf den Tisch zu legen. Am Abend bringt ihr der Diener der Pension einen Fünfmatkuo'hein, der sich unter dem Tisch ‘gefuudeu und nach der Meinung der Pensionsinhaberin dem Fräulein gehönen dürfte. Den habe sie also aus der Börse fallen busen, als sie ihr das Trinkgeld fiir das Mäd

§ 985

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254 1x. smsou, mm zurmsnmswuess.

§ 987

chen entnahm Wahrscheinlich wollte sie doch ihre Zeche bezahlen.

§ 988

Otto Bank hat in einer längeren Mitteilung (Das Verlieren als Symptomhsndlung, Zentrelbl„ für Psychoanalyse, I, 10/11) die diesem Akte zu Grunde liegende Opferstimmung und dessen tiefer reichende Motivierungen mit Hilfe von Traumans.lysen durchsichtig gemacht. (Andere Mitteilungen desselben Inhalts im Zentralblatt für Psychoanalyse, II, und Internat, Zeitschrift für Psychoanalyse, I, 1913.) Interesth ist es dann, wenn er hinzufügt, daß manchmal nicht nur das Verlieren, sondern auch das Finden von Gegenständen determiniert erscheint. In welchem Sinne dies zu verstehen ist, mag aus seiner Beobachtung, die ich hieher setze, her-vorgehen. Es ist; Ida-r, daß beim Verlieren das Objekt bereits gegeben ist, das beim Finden erst gesucht werden muß (Internat. Zeitschr. für Psycheanälyse, III, 1915).

§ 989

‘„Ein materiell von seinen Eltern abhängiges junges Mädchen will sich ein billiges Schmuckstück kaufen. Sie fragt im laden nach dem Preise des ihr zusage‘nden Objekts, erfährt aber ‘zu ihrem Betrühen, daß es mehr kostet, als ihre Ersparnisse betragen. Und doch sind es nur zwei Kronen, deren Fehlen ihr diese kleine Freude verwehrt. In gedrückter Stim— mung schlendsrt sie durch die abendlich belebten Straßen der Stadt nach Hause. Auf einem der stärkst fxequentierten Plätze wird sie plötzlich — obwohl sie ihrer Angabe nam; tief in Ge— danken versunken war — auf ein am Boden liegendes kleines Blättchen aufmerksam, das sie eben a,chtlos passiert hatte. Sie wendet sich um, hebt es auf und bemerkt zu ihrem Erstsnnen, daß es ein zusammengefalteter Zweikronenschein ist. Sie denkt sich; das hat mir das Schicksal zugeschickt, damit ich mir den Schmuck kaufen kann, und macht erfreut Kehrt,

§ 990

§ 991

l}. BW- UND' WFALI.BHAN DLUNGEN. 255

§ 992

um diesem Winke zu folgen. Im selben Moment aber sagt sie sich, sie dürfe das doch nicht tun, weil da.! gefundene Geld ein Glücksgeld ist, das man nicht ausgeben darf.

§ 993

Das Stückchen Analyse, des zum Verständnis dieser ,Zufallshandlung‘ gehört, darf man wohl auch ohne persönliche Auskunft der Betroffenen uns der gegebenen Situation erschließen. Unter den Gedanken, die das Mädchen beim Nachhs.usegehen beschäftigten, wirdsieh wohl der ihrer Armut und materiellen Einschränkung im Verdergrunde befunden haben, und zwar, wie wir vermuten dürfen, im Sinne der wunsnherfüllenden Aufhebung ihrer drückenden Verhältnisse, Die Idee, wie man auf leichteste Weise zu diesem fehlenden Geldbetrag kommen könnte, wird ihrem auf Befriedigung ihres bescheidenen Wunsches gerichteten Interesse kaum ferngeblieben sein und ihr die einfachste Lösung des Findens nahegebmht haben. Solchere.rt war ihr Unbewnßtes (oder Vorbewußtes) auf ,Finckn‘ eingestellt, selbst wenn der Gedanke daran ihr — wegen endetweitiger Inanspruchnahme ihrer Aufmerksamkeit (,in Gedanken versunken‘) —nicht voll bewußt geworden sein sollte. Ja, wir dürfen auf Grund ähnlicher snalysierter Fälle geradezu bekannten, deli die unbewußte 9uch—Bereitschnft‘ viel eher zum Erfolg zu führen vermag als die bewußt gelenkts Aufmerksamkeit. Sonst wäre es auch kaum erklürlißh, wieso gerade diese eine Person von den vielen Hunderten Veriibergehenden, noch dazu unter den erschwerenden Umständen der ungünstigen Abendbeleuchtung und der diclitgedrängten Menge, den für sie selbst überraschenden Fund machen konnte. In welch starkem Ausmaß diese un— oder vorbewußte Bereitschaft tatsächlich bestand, zeigt die sonderbm'e Tatsache, daß das Mädchen noch naeh diesem Funde, also nachdem die, Einstellung bereits überflüssig ge

§ 994

§ 995

256 IX. samen UND ZUFALLSHANDLVNM.

§ 996

werden und gewiß sehen der hewußten Aufmerkmmkeit ent— BOgül war, auf ihrem weiteren Heimweg an einer dunklen und einsamen Stelle einer Vorstadtetm.ße ein Taschentueh fand."

§ 997

Man muß sagen, daß gerade solohe Symphmhnndlungen oft den besten Zugang zur Erkenntnis des intimen Seelenlebens der Menschen gestatten.

§ 998

Von den vereinzelten Zufallshendlungen will ich ein Beispiel mitteilen, welches euch ohne Analyse eine tiefere Deu— tung zuließ, des die Bedingungen trefflieh erläutert, unter denen solche Symptome vollkommen unauffällig pmdusiert werden können, und an das sich eine praktisch bedeutsame Bemerkung anknüpfen läßt. Auf einer Sommerreise traf es sich, daß ich einige Tage an einem géwieeen Orte anf die Ankunft meines Beieegefä.hrten zu Waxten hatte. Ich machte untde die Bekanntschaft eines jungen Mannes, der sich gleichfalls einsam zu fühlen schien und sich bereitwillig mir anschloß. Da wir in demselben Hotel wohnten, fügte es sich leicht, daß wir alle Mahlwiten gemeinßm einnehmen und Spaziergänge miteinander machten. Am Nachmittag des dritten Tages teilte er mir plötzlich mit, da.}! er heute abends seine mit dem Eilzuge einlangende Frau erwarte. Mein psychologisches Interesse wurde nun rege, denn es war mit an meinem Gesellschafter bereits am Vormittag aufgefallen, daß er meinen Vorschlag an einer größeren Partie zurückgewiesen und auf unserem kleinen Spaniergeng einen gewissen Weg als zu steil und gefährlich nicht hatte begehen wollen. Auf dem Nachmittagsupaziergang behauptete er plötzlich, ich müßte doch hungrig sein, ich sollte doch ja nicht eeinetwegen die Abendmahlzeit euischieben, er werde erst nach der Ankunft seiner Frau mit ihr zu Abend essen. Ich verstand den Wink und setzte mich an den Tisch, während er auf den Bahnhof ging.}

§ 999

§ 1000

1_Rh“sürm' .. ‘ 'ifimvii hummumnnnsum. 257

§ 1001

Am nächsten Kamen Wii! uns in der Vorhalle des 1104 tele. Er mut» mich „einer an vor und. fügte hinzu: Sie werden doch mit uns dei Fflihstfick nehmen? Ich hatte noch eine kleine Besorgnng-i‘n der nächsten" Etmße ver und versicherte, ich würde held mhksmmen. Als ich. dainn in den Frühstückseaal trat, sah ich, daß das Paar an einem kleinen Fenstßrtisuh Yla.tn genommen hatte, auf dessen einer Seite sie beide saßen. Auf sei- Ge'genstite befaM sieh nur ein Sessel, aber über dessen Leine hing der große um! schwere Indem mental dass Mannes hmb, das Platz verdeckend. Ich verstand sehr wohl den. Sinn dieser gewiß nicht absichtlichen, aber darum um so ansdmcks'velleren Lagerung. Es hieß: Für dich ist hier kein Plan:, du bist jetzt überflüssig. Der Mann. be— merkte es nicht, daß ich vor dem Tische stehen blieb, ohne mich zu setzen, wohl aber die Dame, die ihren Mann sofort anstieß und. ihm znflüsterte: Du hast ja. dem Herrn den Platz verlegt ‘

§ 1002

Bei diesem wie bei anderen ihnh'chen kgehninen habe ich mir gesagt, daß die “absichtlich ausgeführten Handlungen unverrneidlich zur Quelle von Mißwerständnissen. im mensch— lichen Verkehr werden miissen. Der Tüten, der von einer mit ihnen verknüpften Absicht nichts weiß, rechnet sich Giesean nicht an und hält sich nicht verantwortlich für sie. Der andere hingegen erkennt, indem er regelmäßig auch solche Handlungen seinesl’srlzners zu Schlüssel: über dessen Absichten und Gesinnungen verwertet, mehr von den psychischen Vorgängen des Fremden, als dieser selbst umzugehen bereit ist und mitgeteilt zu haben glaubt. Letzterer aber entrüstet sich, wenn ihm diese ans seinen Symptomhandlungen' gezogenen Schlüsse vorgeha.lten wenden, erklärt sie fiir grandios, da. ihm das Bewußtsein für die Absicht bei der Ausführung fehlt, und

§ 1003

rund, mim-im su Ann.-hm... vn. Ann. 11

§ 1004

§ 1005

258 1x, sur-rou— mm zvmmsmunuwr'm.

§ 1006

klagt über Mißverständnis von seiten des anderen. Genau hesehen beruht ein solches Mißverstä.ndnis auf'eimp Zufein— und Zuvielversbehen. Je „nervöser“ zwei Menschen sind, desto eher werden sie einander Anlaß zu Entzweiungen bieten, deren Begründung jeder für seine eigene Person ebenso bestimmt lengnet, wie er sie für die Person des anderen als gesichert annimmt. Und dies ist wohl die Strafe für die, innere Unaufriohtigkeit, dal} die Menschen unter den Vorwänden des Vergessens, Vergreiiens und der Unabsichtlichkeit Begungen den Ausdruck gestatten, die sie besser sich und anderen eingestehen würden, wenn sie sie schon nicht beherrschen können Man kann in der Tat ganz allgemein behaupten, daß jedermann fortwährend psychische Analyse an seinen Nebenmenscben betreibt und diese infolgedessen besser kennen lernt als jeder einzelne sich selbst. Der Weg zur Befolgung der Mahnung 1yäßt oeaun‘w fiihrt durch das Studium seiner eigenen, scheinbar zu— fälligen Handlungen und Unterlassungen.

§ 1007

Von all den Diehtern, die sich gelegentlich über die kleinen Symptomhandlungen und Fehlleistungen geäußert oder sich ihrer bedient haben, hat keiner deren geheime Natur mit solcher Klarheit erkannt und dem Sachverhalt eine so unheimliche Belebung gegeben wie S t rin d b e r 3, dessen Genie bei solcher Erkenntnis allerdings durch tiefgehende psychische Abnormität unterstützt wurde.

§ 1008

Dr. Karl Weiß (Wien) hat auf folgende Stelle aus einem seiner Werke aufmerksam gemacht. (Internat. Zeitschrift fiir Psychqunnlyse, I, 1913, s. 268):

§ 1009

„Nach einer Weile kann der Graf wirklich und er trat ruhig an Esther heran, als habe er sie zu einem Stelld.ichein bestellt.

§ 1010

.— Hä.st du lange gewartet? fragte er mit seiner ge— dä.mpften Stimme.

§ 1011

§ 1012

IX. 51mm;— m ZWALLSBANDLUNGEN. 359

§ 1013

_, Sechs Monate, wie du weißt, antwortete Esther; aber du hast mich heute gesehen?

§ 1014

— Ja, eben im Strnßenbe.hnwugen; und ich sah dir in die Augen, daB-ich mit dir zu. sprechen glaubte. ‘

§ 1015

— Ee ist viel ,gesohehen‘ seit dem letztenmal.

§ 1016

— Ja, und ich glaubte, es sei zwischen uns aus.

§ 1017

— Wieso“!

§ 1018

— Alle Kleinigkeiten, die ich von dir bekommen habe, gingen entzwei, und. nwnr auf eine ok‘kulte Weise. Aber das ist eine alte Wahrnehmung.

§ 1019

— Was du mgetl Jetzt erinnere ich mich an eine ganze Menge Fälle, die ich für Zufälle hielt. Ich bekam einmal ein Pincenez von meiner Großmutter, während wir gute Freunde waren. Es Wer aus geschliffenem Bergkristall und. ausgezeichnet bei den Obduktionen, ein wahres Wunderwerk, das ich sorgfältig hütete. Eines Tages brach ich mit der Alten, und sie wurde auf mich böse.

§ 1020

Da geschah es bei der nächstßn Obduktion, daß die Gläser ohne Ursache heranäielen. Ich glaubte, es sei ganz einfach entzwei; schickte es zur Reparatur. ”Nein1 es fuhr fort, seinen Dienst zu verweigern; wurde in eine Schublade gelegt und ist fortgekomman. ,

§ 1021

—Wai du segetl Wie eigentiimlich, daß das, was die Augen betrifft, am empfindlian ist. Ich hatte ein Doppelglas von einem Freunde bekommen; das pn.ßte für meine Augen so gut, daß der Gebra.uoh ein Genuß für mich war. Der Freund und ich wurden Unheunde. Du weißt, dazu kommt es, ohne sichtbare Ursache; es scheint einem, als dürfe man nicht einig sein. Als ich das Opernng das nächste Mal be; nutzen wollte, konnte ich nicht klar sehen, Der schenkel war zu kurz und ich sah zwei Bilder. Ich brauche dir nicht zu

§ 1022

17'

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§ 1024

260 IX. BÜIPI‘OH— UND ZUFAIJÄHANDIJUNGEN.

§ 1025

sagen, daß sich weder der Schenkel verkürzt noch der Abstand der Augen vergrößert hatte! Es war ein Wunder, das alle Tage geschieht und das schlechte Beobachter nicht merken. Die Erklärung? Die psychische Kraft des Hauses ist wohl größer, als wir glauben. —— Übrigens der Ring, den ich von dir bekommen habe, ha.t den Stein verloren —- und läßt sich nicht reparieren, läßt sich nicht. Willst du dich jetzt von mir trennen'l... (,Die gotischen Zimmer‘, 6. 258 f.)“

§ 1026

Auch auf dem Gebiete der Symptomhandlungen muß die psychoanalytische Beobachtung den Dichtern die Priorität albtxeten. Sie kann nur wiederholen, was diese längst gesagt haben. Herr Wilh. Straß macht mich auf nachstehende Stelle in dem bekannten humoiistischen Roman Tristra,m Shendy von Lawrence Sterne aufmerksam (VI. Teil, v. Kapitel):

§ 1027

„und es wundert mich keineswegs, daß Gregor-ins von Nazianzum, als er am Julian die schnellen und unsteteu Ge— bärden wahrnehm, voraus mgte, daß er eines Tages abtriinm'g werden wiirde ; —— oder daß St. Ambrosius seinen Amanueuaem, wegen einer unanstä.nd.igen Bewegung mit dem Kopie, der ihm wie ein Dmschflegel hin und her ging, wegjagte. —— Oder daß Democritus gleich merkte, daß Protagoras ein Gelehrter wäre, weil er ihn ein Bündel Reisholz binden und die dünnsten Reiser in die Mitte legen sah. — Es gibt tausend unbemerkte 0fllmmgen, fuhr mein Vater fort, durch welche ein scharfes Auge auf einmal die Seele entdecken kann; und ich behaupte, fügte er hinzu, daß ein vernünftiger Mann nicht seinen Hut niederlegen kann, wenn er in ein Zimmer kommt, — oder aufnehmen, wenn er hinaus geht, oder es entwiseht ihm etwas, das ihn verrät.“

§ 1028

§ 1029

X.

§ 1030

IRRTÜMER.

§ 1031

Die Irrtümer des Gedächtnisses sind vom Vergessen mit Fehlerinnern nur durch den einen Zug unterschieden, daß der Irrtum (das Fehlerinnern) nicht als solcher erkannt wird, sondern Glauben findet. Der Gebrauch des Ausdrucks „lrrtum“ scheint aber noch an einer anderen Bedingung zu hängen. Wir sprechen von „Irren“ anstatt von „falsch Erinnern“, wo in dem zu reproduzierenden psychischen Material der Charakter der objektiven Realität hervorgehoben werden soll, wo also etwas anderes erinnert werden soll als eine Tatsache unseres eigenen psychischen Lebens, vielmehr etwas, was der Bestätigung oder Widerlegung durch die Erinnerung anderer zugänglich ist. Den Gegensatz zum Gedächtnisirrtum in diesem Sinne bildet die Unwissenheit.

§ 1032

In meinem Buche „Die Traumdeutung“ (1900)** habe ich mich einer Reihe von Verfälschungen an geschichtlichem und überhaupt tatsächlichem Material schuldig gemacht, auf die ich nach dem Erscheinen des Buches mit Verwunderung aufmerksam geworden bin. Ich habe bei näherer Prüfung derselben gefunden, daß sie nicht meiner Unwissenheit entsprungen sind, sondern sich auf Irrtümer des Gedächtnisses zurückleiten, welche sich durch Analyse aufklären lassen.

* 5. Aufl. 1919. § 1033

232 x rimümm

§ 1034

a) Auf 8. 266 bezeichne ich als den Geburtsort Schillers die Stadt Marburg, deren Name in der Steiermark wiederkehrt, Der Irrtum findet sich in der Analyse eines Traumes während einer Naehtreise, aus dem ich durch den vom Kon— dukteur ausgemfenen Stationsnamen M erburg geweckt wurde. Im Tranminhalt wird nach einem Buche von Schiller gefragt. Nun ist Schiller nicht in der Universitätsstadt Marburg, sondern in dem schwäbischen Marbach geboren. Ich behaupte auch, daß ich dies immer gewußt habe.

§ 1035

11) Auf S. 135 wird Hanhibals Vater Hasdrubal genannt. Dieser Irrtum war mir besonders ärgerlich, hat mich aber in der Auffassung solcher Irrtümer am meisten bestä.rkt. In der Geschichte der Barki den dürften wenige der Leser des Buches besser Bescheid wissen als der Verfasser, der diesen Fehler niederschrieb und ihn bei drei Korrekturen überseh, Der Vater Hannibels hieß Hamilkar Barkas, Hssdrubei war der Name von Hannibals Bruder, übrigens auch der seines Suhwagers und Vorgängers im Kommando,

§ 1036

e) Auf 5. 177 und S. 370 behaupte ich, daß Zeus seinen Vater Kronos entma.nnt und ihn vom Throne stürzt. Diesen Greuel habe ich aber irrtümlich um eine Generation vorgesehoben; die griechische Mythologie läßt ihn von Kronos an seinem Vater ,Ureno_s veriihen '. ,

§ 1037

Wie ist es nun zu erklären, daß mein Gedächtnis in diesen Punkten Ungetreues lieferte, während es mir sonst, wie sich Leser des Buches überzeugen können, das entlegenste und ungebräuehlichste Material zur Verfügung stellte7 Und ferner, daß

§ 1038

“ Kein voller Irrtum! Die orphisnhe Version des Mybhnl ließ die Entrnsnnuug „ Kronos von seinem Sahne Zeus wiederholt werden. (Rascher, Lexikon der Mythologie.)

§ 1039

§ 1040

!. mom 163

§ 1041

ich bei drei sorgfältig dumiigeflihxtén Korfekturen wie mit Blindheit gesehlnge'n aén dieeén lntiimem vorbeiging'l

§ 1042

Goethe hat. “von Liahtenbefä gesagt: Wo er einen Spaß macht, liegt ein Problem verborgen Ähnlich kann man über die hier angeführbei Stellen meines Buches behaupten: Wo ein Irrtum vorliegt, da. steckt eine Veldrängulig dahixiter. Rieht-iger gesagt: eine Umufriehtigkeit, eine Entstelluné, die schließlich énf Verdrängtiem fallt. Ich bin bei der Analyse tler dort mitgeteilten Träume durch die bloße Natur der Thematu, auf welche sich die Traumgedenken’beziehen, genötigt gewesen, einerseits die Analyse irgendwo vor ihrer Abrund1ing ebzubrechen, anderseits einer indiskreten Einnelheil. durch leise Entstellnng die Schärfe zu benehmen. Ich konnte nicht andere und hatte auch keine andere Wahl, wenn ich überhaupt Bei— spiele und Belege Vorbringen wollte; meine Zwangslage leibets sich mit Notwendigkeit aus der Eigenschaft der Träume eb, Verdrängtem, d.h. Bewußtseinsnnfähigem Ausdruck zu geben. Es dürfte tmlifiem genug übrig geblieben séin, woran empfindlichen Seelen Anstoß genommen haben. Die Entstellnng oder Versohweigung der mir selbst noch hekmmen fortsetzenden Gedanken hat sich nun nicht spurlos durchführen lassen. Was ich unterdrücken wollte, hat sich oftninls wider meinen Willen den Zugang in das von mit Aufgenommen erkämpft und ist darin als von'mir unbe1imrkl;er Irrtum zum Vm-schein gekommen. In allen drei hervorgehobenén Beispielen liegt übrigens das nämliche Thema zu Grunde;‘ die Irrtümer sind Ahköminlinge verdrängter Gedanken, die sich mit meinem ver. slurbenen Vater beschäftigen.

§ 1043

ad a. Wer den auf S. % a'nilyuierten Traum durdhliest, wird teils unverhüllt 'erfnhren, teils aus Andeutungen eiraten können, daß ich bei Gedanken abgebrochen habe, die eine un.

§ 1044

§ 1045

264 ‘me0um.

§ 1046

freundlinhe Kritik ,an: Vater enan hätten, In der Fort.setzung diem.2ugee von Gedanken und Erinnerungen liegt nun eine äa'gerliehe Geschichte, in welcher Bücher eine' Rolle spielen, und ein Gesehiftefreund des Vaters, der den Namen Marburg fiihrt, denselben Namen, durch dessen Ann-ut in der gleichnamigen Südbahnstetion ich eine dem Suhla.ie geweckt wurde. Diesen Herrn Marburg wollte ich bei der Analyee'mir und den Lesern unternehlngen; er nächte sich dadurch, daß er sich dort einmengbe, wo er nicht hingehött, und den Namen des Geburtsortee thillers aus Marbach in Marburg veränd9l‘fß. ' '

§ 1047

‘ ad 1). Der Irrtum Hesdrubal anstatt Hemilkar, der Name des Bruders an Stelle des Namens des Vater:, emignete sich gerade in einem Zuseznmenlunnge, der von den Hannibalphnnteeien meiner Gymnaeinet.enjehre und. von meiner Unmfliedenheil; mit dem Benehmen des Vaters gegen die ,',Feinde ungen: Volkes“ handelt.. Ich hätte fortsetzen und eni.hlen können, wie mein Verhältnis mm Vater durch einen Bench in England verändert wurde, der mich die Bekanntschaft meines dort lebenden Halbbrudere aus früherer Ehe des Vaters Illu/allen ließ. Mein Bruder lm}. einen ältesten Sohn, der mit gleichnlfd'ig ist; die. Phantasien, wie andere es geworden wäre, wenn ich nicht als Sohn des Vaters, sondern den Bruders zur Well} gekommen wire, fanden Also kein Hindernis an den Altersrelatip— nen. Diele nnterdriicktm Phantasien filsohten nun an der Stelle, wo ich in der Analyse abbreob, den Text meines 'Buchen, indem sie mich nötigten, den Namen den Druiden für den des Vaters zu setzen. '

§ 1048

nd e. Dem Einfluß der Erinnerung an diesen selben Bruder schreibe ich eu zu, daß ieh die mytlmleg-ienhen Graue! der griechischen Götterwelt um eine Generation vol-geschoben Mbfl.

§ 1049

§ 1050

* r._nm‘lhtm 966

§ 1051

Von den Umtaan deeßmßütt ist mir lange Zeit eine im Gedächtnie_ geblieben: „?Vergißtnicht, in beéug auf Lebensführung eines,“ hatte er url! gesegß. ;,dnßéu nicht der zweiten, sondern eigentlich der dritten Gemuäen vom Va$er aus angehörst.“ Unser Vater hatte sich hr späteren Jahm wieder verheiratet und war um so vieles älter all: 58ng Kinder ßweiter Ehe. Ich begehe den besprochenen Irrtum im Buche gerade dort, wo ich von der Pieti«t zwieehun Eltern und finden handle.

§ 1052

Es ist aueh einigemal vergekommen, ‘dn.B Freunde und Pa;— fienten, deren Träume ieh buriulitete, oder auf die ich in den Tmumaua.lysen mpielte; mich anfinerksem machten, die Umstä.nde der gemeimium erlebten'Begehenhiait seien von mit un— genau erzählt werden. Das wären nun wiederum historische Irrtümer. Ich habe die einmlnen Fälle naeh der Riohtigstellung mhgeprüit und mich gleichfalls übeneugt, daß meine Erinne— rung des Senh]ichen nur dort. ungetwu war, wo ich in der Ana;— lyse etwa: mit Absicht entstth oder verhehlt hatte. Auch hier wieder ein unbemerkter Irrtum als Ersatz für eine absichtliehe Vererhweigung oder Verdrängung.

§ 1053

Von dienen Irrtümer-u; die der Verdringnn.g entepringen, haben eich woher: nndere‘ab, die uni wirklieher Unwiesenheit beruhen. So war es 5,3. Unwissenheit; wenn ich auf einem Ausflug in der Wachau üen Aufenthalt des Bevolutionire Fiechhof berührt zu haben glaubte Die beiden Orte heben nur den Nauen gemein; dal Emmersdorf Fiechhois liegt in Kämten.1eh wußte es aber nicht anders

§ 1054

Noch ein besohämender und lehrteicher Irrtum, ein Beispiel von tempeer Ignoram, wenn man so sagen darf. Ein Pa» tient mahnte mioh einen Tages, ihm die zwei versprochenen Bücher über Venedig mitzugeben, aus denen er sich für seine Dateneise worbereiten wollte. Ich habe sie bereit gelegt, er

§ 1055

§ 1056

266 x. mzer

§ 1057

widert'u an;, 'und ging 'in dns Bihliothekezimn'xei, um sie zu holen. & Wahrheit hatte ich aber vergessen, sie herauszusuchen, am ich war mit der Reise meines‘ Patienten, in der ich eine unnötige Störung der Behandlung und eine miterielle . Schädigung des Arztes erblickte, nicht recht einverstanden. Ich halte also in der Bibliothek rasche Umschau nach den beiden Büchern, die ich ins Auge gefa.ßt hatte. „Venedig als Kunststätte“ ist das eine; außerdem aber-‘ muß ich noch ein historisches Werk in einer ähnlichen Sammlung hesitzen. Richtig, da. ist es: „Die Mediceer“, ich nehme es und bringe es dem Wartenden, um dann besuhäiht den Irrtum einzugeatehen. Ich weiß doch wirklich, daß die Medici nichts mit Venedig zu tun haben, aber es ersphien mir für eine kume Weile gar nicht nnrichtig, Nun muß ich Gerechtigkeit üben; da. ich dem Patienten so häufig seine eigenen Symptomhandlungen vorgehn.lten hehe, kann ich meine. Autorität vor ihm nur retten, wenn ich ehrlich werde und ihm die geheim gehaltenen Motive meiner Abneigung gegen seine Reise kundgebe.

§ 1058

Man darf ganz allgemein erstaunt sein, daß der Wahrheitedrnng der Menschen soviel stärker ist, als man ihn für gewöhnlich einsehätzt. Vielleicht ist es übrigens eine Folge meiner Beschäftigung mit dei Psychoanalyse, daß ich kaum mehr lügen kann. So oft ich eine Entstellung' versuche, imterlicge ich einer Immg oder anderen Fehlleistung, durch die sich meine Unnufric'htigkeit wie in diesem find den vorstehenden Beispielen verrät.

§ 1059

Der Mechanismus des Irrtums soheint‘dcr lockerste unter allen Fehlleistungen, dh. das Vorkommen des Intums zeigt ganz allgemein an, daß die betreffende seelische Tätigkeit mit irgend einem störenden Einfluß zu kämpfen hatte, ohne daß die Art des Intums durch die Qualität der im Dunkeln ge

§ 1060

§ 1061

3; mm. 257

§ 1062

bliebenen störenden Idee— deterfiiixiiert 'wäre. Wir tragen indes an dieser Stelle nach, daß bei vielen einfachen Fällen von Versprechen 'und Verbohmibeix dbrselbe Tatbestand anzunehmen ist. Jedesmel, wenn wir uns éerspreehen oder versehreiben, dürfen wir eine Störung durch deel.ische Vorgänge außerhalb der Intention erschließen, aber es ,ist anzugeben, daß das Versprechen una Versohmilien oftmals den Gesetzen' dei Ähnlichkeit, der Bequemlichkeit oder der Neigung zur Beschleunigung folgt, ohne daß es dem störenden gelungen wäre, ein Stück seines eigenen Charakters in dem beini Versprechen oder Veischreibeu resultierenden Fehler durchzusetzen. Das Entgegeii— kommen des sprachlichen Materials ermöglicht erst die De'tei'minierung des Fehlers und setzt derselben auch die Grenze.

§ 1063

Um nicht ausschließlich eigene Irrtümer nnzuführen, will ich noch einige Beispiele mitteilen, die allerdings ebénsowohl beim Versprechen und Velgreifen. hätten eingereiht werden können, was aber bei der Gleichwertigkéit all dieser Weisen von Fehlleistung bedeutungslos zu nennen ist.

§ 1064

a) Ich habe einem Patienten untersagt, die Geliebte, mit. der er selbst brechen möchte, telephonieeh anzurufen, da. jedes Gespräch den Abgewöhmmgskamyi van 'néuem entisnht. Er soll ihr seine letzte Meinung schreiben1 wiewohl es Schwierigkeiten hat, ihr Briefe zuzustelleri. Er besucht mich nun um 1 Uhr, um mit zu sagen, dell! er einen Weg gefunden hat, der diese Schwierigkeiten umgeht, fragt auch unter anderem, ob er sich auf meine ärztliche Autorität berufen darf. Uni 20111ist er mit der“ Abfsssuug des Absagebriefßs beschäftigt, unterbricht sich plötzlich, sagt der dabei anwesenden Mutter: Jetzt habe ich vergessen, den Pröfessor zu fragen, ob ich in dem Briefe seinen Namen nennen darf, eilt zum Telephou, läßt sich verbinden und ruft die Frage ins Rohr: Bitte, ist der Herr

§ 1065

§ 1066

268 X.mnrfim

§ 1067

Professur schon nach dem Speisen zu sprechen? Als Antwort tönt ihm ein erstnnntes „Adolf, bist du ven-fickt geworden?“ mtgegen, und zwar von der nä.mliehen Stimme, die er nach meinem Gebote nicht mehr hätte hören sollen. Er hatte sich bloß „geirrt“ und anstatt der Nummer des Arztes die der Geliean angegeben.

§ 1068

b) Eine junge Dame soll einen Besuch bei einer kürllieh verheirateten Freundin in der Habsburgergasse machen. Sie spricht davon während des Familientisches, sagt aber irrtümlicherweise, sie müsse in die Babenbergergssee gehen. Andere bei Tische Anwesende machen sie lachend auf den von ihr nicht bemerkten Irrtum — oder Versprechen, wenn man so lieber will —— aufmerksam. Zwei Tage vorher ist nämlich in Wien die Republik emgeruien werden, das Schwanger ist verschwunden und. hat den Farben der alten Ostmark: rot—weiß— rot Platz gemacht, die Habsburger sind abgeten; die Sprecherin hat diese Ereetzung in die Adresse der Freundin eingetragen. Es gibt übrigens in Wien eine sehr bekannte Babenberger-straße, aber kein Wiener wiirde von ihr als „Gasse“ redm.

§ 1069

a) In einer Sommerfrische bei; der Sehnllehrer, ein ganz armer, aber stattlicher junger Mann, der Tochter eines Villenbesitzers aus; der Großstadt so lange'den Hof gemacht, bis das Mädchen sich leidenschaftlich in ihn verliebt und auch ihre Familie bewegen hat, die Heirat trotz der bestehenden Standesund Rassenunterschiede gutzuheißen. Da schreibt der Lehrer eines Tages seinem Bruder einen Brief, ,in dem es heißt: Schön ist das Dide ja gar nicht, aber recht lieb und soweit wir“: gut. Ob ich mich aber werd' entsehließen können, eine Jüdin zu heiraten„du kann ich dir noch nicht sagen. Dieser Brief gerät in die Hände der Braut und macht dem Verlöbnis ein Ende, während der Bruder sich gleichzeitig über die an ihn gerich

§ 1070

§ 1071

im 269

§ 1072

teten Liebesbeteuemga: zu verwundem hat. Mein Gewährsmann versicherte mir, daß hier Irrtum und nicht eine schlaue Veranstaltung voting. Mir ist weh ein anderer Fall bekannt geworden, in dem eine Dame, die, mit ihrem alten Am: unzufrieden, ihm doch nicht offen sbsegen wollte, diesen Zweck mittels einer Brisfverweehslung erreichte, und wenigstens hier kann ich dafiir einstehen, da!! der Irrtum und nicht die bewußte List sich des bekannten Lustspieimotivs bedient hat.

§ 1073

d) Brill ertihltven einer Dame, die sich bei ihm nach dem Befinden einer gemeinsamen Bekannten erkundigts, wobei sie dieselbe irrtümlich bei ihrem Mädchennamen nannte. Anfmerkssrn gemacht, mußte sie mgestehen, deli sie den Mann dieser Dame nicht möge und. mit der Heirat derselben sehr unzufrieden gewesen sei. _

§ 1074

9) Ein Fell von Irrtum, der aueh“ sis „Versprechen“ beschrieben werden kann: Ein junger Vater begibt sich zum Standesbeumten, um seine neitgeborene Tochter anzumelden, Beirng wie das Kind heißen soll, antwortete er: Henne, muß sich aber von dem Beamten sagen lassen: Sie haben je schon ein Kind dieses Namens. Wir werden den Schluß ziehen, daß diese zweite Tochter nicht engen: willkommen wer wie seinerzeit die erste.

§ 1075

f) Ich füge hier einige andere Beobachtungen von Namenverweehslungen an, die natürlich mit ebensoviei Recht in anderen Abschnitten dieses Buches untergebracht worden wären.

§ 1076

Eine Dame ist Mutter von drei Töchtern, von denen nwei längst verheiratet sind, während die jüngste noch ihr Schicksal erwartet. Eine heirenndets Deine hai; bei den beiden Hoohzeii'ßn das nimliehe Geschenk gemeht, eine kostbare silberne Teegsrnitnr. So oft nun von diesem Gerät die Sprache

§ 1077

§ 1078

270 X. man.

§ 1079

ist, nennt die Mutter irrtümlicherweiee die dritte Tochter als Besitzerin. Es ist offenbar, daß dieser Irrtum den Wunsch der Mutter ausspricht, auch die letzte Tochter verheiratet zu wissen. Sie setzt dabei voraus, _daß sie dasselbe Hochzeits— geschenk erhalten würde.

§ 1080

Ebense leicht dentbar sind die häufigen Fälle, in denen eine Mutter die Namen ihrer Töchter, Söhne oder Schwiegersiihne verwechselt.

§ 1081

Ein hübsches Beispiel von hartnäckiger Namensvertuuschung, des sich leicht erklärt, entnehme ich der Selbstbeobachtung eines Herrn J. G. Während seines Aufenthaltes in einer Heilanstalt: '

§ 1082

„An der Table d‘hote (des Samatoriums) gebmuche ich im Laufe eines mich wenig interessierenden und in ganz konventionellem Ton geführten Gespräche mit meiner Tischuanhharin eine Phrase von beeonderer Liebenswiirdigkeit. Das etwas älth'che Mädchen konnte nicht umhin zu bemerken, daß es sonst nicht meine Art sei, ihr gegenüber so liebenswürdig und gala.ut zu sein — eine Entgegnung, die einerseits ein gewisses Bedauern und mehr noch eine deutliche Spitze gegen ein uns beiden bekanntes Fräulein enthielt, dem ich größere Aufmerksamkeit zu schenken pflegte.

§ 1083

Ich verstehe natürlich augenblicklich. Im Laufe unseres weiteren Gespräches muß ich mich nun, was mir ungemein peinlich ist, von meiner Nachbarin wiederholt darauf aufmerksam machen lassen, daß ich sie mit dem Namen jenes Fräulein angesprochen habe, das sie, nicht mit Unrecht als ihre glücklicheru Nebenbuhlerin anseh.“

§ 1084

9) Als „In-tum“ will ich auch eine Begehenheit mit ernsthaftem Hintergrund erzählen, die mir von einem nahe beteiligten Zeugen berichtet wurde, Eine Dame hat den Abend mit

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§ 1086

x; raum - 211

§ 1087

ihrem Menue und in Gesellschaft von zwei Fremden im Freien zugebracht. Einer dieser beiden Fremden ist ihr intimer Freund, wovon aber die anderen nichts wissen und nichts wissen dürfen. Die Freunde begleiten des Ehepaar bis vor die Haustür. Während man auf das Öffnen der Tür wartet, wird Abschied genommen. Die Dame vemeigt sich gegen den Fremden, reicht ihm die Hand und spricht einige verbindliche Worte. Dann greift sie nach dem Arm ihres heimlich Geliebten, wendet sich zu ihrem Männe und will ihn in gleicher Weise verabschieden. Der Mann geht auf die Situation ein, zieht den Hut und sagt überhöflieh: Küss’ die Hand, gnädige Frau. Die crsehrockene Fran läßt den Arm des Geliebten fahren und hat noch Zeit, ehe der Hausmeister erscheint, zu seufzen: Nein, so etwas soll einem paesierenl Der Mann gehörte In jenen Eheherren, die eine Untreue ihrer Freu außerhalb jeder Möglichkeit verlegen wollen Er hatte wiederholt gesehworen, in einem solchen Falle würde mehr als ein Leben in Gefahr sein. Er hatte also die stärksten inneren Abhaltungen, um die Herausforderung, die in dieser Immg lag, zu bemerken h) Eine Inung eines meiner Patienten, die durch eine Wiederholung zum Gegenünn besonders lehneieh wird: Der überbedenklie'he junge Mann hat sich nach langwierigen inneren Kämpfen dazu gebranht, dem Mädchen, das ihn seit langem liebt wie er sie, die Zusage der Ehe zu geben. Er begleitet die ihm Verlobte nach Hause, verabschiedet sich von ihr, steigt übergliicklich in einen Tramwaywagen und. verlnngt von der Sehn.ffnerin — swei Fahrkarten. Etwa ein halbes J ehr später ist er bereits verheiratet, kennsich aber noch nicht recht in sein Eheglück finden. Er zweifelt, ob er recht getan hei. zu heiraten, vermißt frühere ireundscheftliehe Beziehungen, hat an den Schwiegereltern allerlei auszusetten. Eines

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§ 1089

272 x. mm:;

§ 1090

Abends holt er seine junge Frau vom Hanne ihrer Eltern ab, steigt mit ihr in den Wagen der Straßenbahn und begnügt sich damit, der Schaffnerin eine einzige Karte abzuven‘langen.

§ 1091

€) Wie man einen ungern unterdrückten Wunsch vermittelt eines „Irrtums“ befriedigen kann, davon erzählt Meedsr (Novelles contributions etc., Arch. de Psych., VI, 1908) ein hübsches Beispiel. Ein Kollege möohte einen dienstfreien Tag so recht ungestört genießen; er soll aber einen Besuch in Luzern machen, auf den er sich nicht freuen kann, und beschließt nach längerer Überlegung, doch hinzufahren. Um sich zu ner. streuen, liest er auf der Fahrt Zürich—Arth—Golduu die Tageszeitungen, wechselt in letzterer Station den Zug und setzt seine Lektüre fort. In der Fortsetzung der Fahrt entdeckt ihm dann der kontrollierende Schaifner, daß er in einen falschen Zug eingesh'egen ist, nämlich in den, der von Golden nach Zürich zurückiährt, während er ein Billet nach Luzem genommen hatte.

§ 1092

j) Einen analogen, Wenngleich nicht voll gegliiekten Ver« such, einem unterdrückten Wunsch durch den nämlicheu Mechanismus der Irmng zum Ausdruck zu verhelfen, herichtet Dr. V,Tnusk unter der Überschrift „Falsche Fahrtrichtung“ (Intern. Zeitschr, für ärztl. Psychoanalyse, IV, 1916/17).

§ 1093

„Ich war aus dem Felde auf Urlaub nach Wien gekommen. Ein alter Patient hatte von meiner Anwesenheit Kenntnis bekommen und ließ mich bitten, daß ich ihn besuche, da er krank zu Bette lag. Ich leistete der Bitte Folge und verbrachte zwei Stunden bei ihm. Beim Abschied fragte der Kranke, was er schuldig sei.

§ 1094

,Ich bin auf Urlaub hier und ord.iniere jetzt nicht,‘ untwortete ich. ,Nehmen Sie meinen Besuch als einen Freundschnitsdienst.‘

§ 1095

§ 1096

X. mm. 273

§ 1097

Der Kranke stntztc, da er wohl das Empfinden hatte, er habe kein Recht., eine berufliche Leistung als unentgeltlichen Freundschaftsdienst inAnsprnch zu nehmen. Aber er ließ sich meine Antwort schließlich gefallen, in der von der Lust an der Gslderspamng diktierten respektvcllen Meinung, du]! ich als Psychoanalytiker sicher richtig handeln werde.

§ 1098

Mir selbst stiegen schon wenige Augenblicke später Bedenken iiber die Aufl'ichtigkeit meiner Noblesse auf, und, von Zweifeln —— die kann eine zweidentige Lösung 'zuließen — erfüllt, bestieg ich die elektrische Straßenbahnlinie X. Nach einer kurzen Fahrt hatte ich auf die Linie Y umznsteigen. Wähiend ich an der Umsteigestelle wartete, vergafl ich die Honorarangelegenheit und beschäftigte mich mit den Krankheitssymptomen meines Patienten. Indem kam der von mir erwartete Wagen und ich stieg ein, Aber bei der nächsten Haltestelle mußte ich wieder aussteigen. Ich war nämlich statt in einen Y—Wagen versehentlich und ohne es zu merken in einen X-Wegen eingestiegen und fuhr in der Richtung, aus der ich eben gekommen war, wieder zurück, in der Richtung zum Pa— tienten, von dem ich kein Honorax annehmen wollte. Mein Unbewnßtes aber wollte sich das Honorar h o l e n.“

§ 1099

k) Ein sehr ähnliches Kunststück wie im Beispiel 1‘ ist mir selbst einmal gelungen. Ich hatte meinem gestrengen ältesten Bruder zugesagt, ihm in diesem Sommer den längst fälligen Besuch in einem englischen Seebad ebzustutten, und. dabei die _ Verpflichtung übernommen, da. die Zeit drängte, auf dem kürzesten Wege ohne Aufenthalt zu reisen. Ich “bat um einen Tag Aufschuh für Holland, aber er meinte, das könnte ich für die Rückreise anfepa.ren. Ich fuhr also von München über Köln nach Rotterdam—Hook of Hollnnd, von Wo das Schiff um

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Freud, Plymhhplthnhfl. dl- Alltlaelnhenl, VII. Aufl. 18

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214 !. mann.

§ 1103

nic_wm naph' Harwiuh iibemetzt. In Köln mw icli Wn'geuwechsel; ich verließ meinen Zug, um in den Eiln’ig‘ nach Bettenlam umsteigen, aber der war nicht ru mtdeehem Ich fragte vmohiedene Behnbedienstete, wurde von einem Bahnsteig_a.uf den anderen geschickt, geriet in eine übertrieben Verzweiflung und konnte mir bald berechhen, daß ich“ während dieses er£olglosen Suchen den Anschluß verni'umt- haben dürfte. Nachdem mir dieses bestätigt werden. war, ‘ü'berlegte ich, ob icli in Köln übernachten sollte, wm‘ür unter anderem auch die Pieti„t eprach, da nach einer alten Funiilientrnniitloh meine Ahnen,einpt bei einer Judenverfclgung uns“ dieser‘fltadt geflüchtet waren. Ich entschloß mich“ aber anders, fuhr mit einem späteren Zug nach Bntterdnm wo ich in tiefer Nachtzeit nahm, und war nun genötigt, einen Tag in Holland. luzubringen. Dieser Tag brachte mir die Erfüllung ainsi-längst gebegten Wunuuhes; ich konntedie herrlichen Bembrnndtbilder im Haag und im Reichsmuseum zu Amsterdam sehen. Erst am nächsten Vormittag, als icli während der‘Eiuenbuhnfahrt in, England meine Eindrücke semineln konnte, tauchte mir die unneifelhafte Erinnerung auf,?dnß ich' um]! dem Bahnhofe in Köln wenige Schritte von der Stelle, wo ich ausgestiegen war, auf dem nämlichen Bahnsteig eine große '.l'ntel Rotterdam—Hook of Holland gesehen hatte.. Dort wartete der Zug, in dem ich die Reise bitte fortsetzen sollen. Man müßte es als unbegreifliche „Verblendung“ bezeichnen, daß ich trotz dieser “guten Anleitung weggeeilt und den Zug anderswo ge'sueht hatte, wenn man nicht annehmen wollte, da.!) es eben mein Versen war, gegen die Vorschrift meines Bruders die Rembtandtbllder schon auf der Einreise zu bewundern. Alle: übrige, meine gut geapielte Rntlosigkeit, das Au!tnnohen der p_ietäzvollen Absicht, in Köln zu übernachten, war nur Ver

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am 275

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ansia.ltung, um mir meinen Vorsatz zu verbergen, bis er siob‘ vollkommen durchgesetzt hatte. ,

§ 1107

I) Eine ebensolehe, durch „Vergeßliohkeit“ hcrgeetellte Veranstaltung, um einen Wunsch zu erfüllen, auf den man angeblich verzichtet hat, berichtet J. Stäroke von seiner eigenen Person. (L o.)

§ 1108

„Ich mußte einmal" in einem Dorfe einen Vortrag mit. Lichtbildern halten. Dieser Vortrag war aber um eine Woche verschoben. Ich hatte den Brief hinsichtlioh'diesee Aufschubs b% antwortet und das geänderte Datum in meinem Notizbuch notiert. Ich wäre gern schon nachmittags naeh diesem Der-fe gegangen, damit ich die Zeit hätte, um einem mir bekannten-, Schriftsteller, der dert wohnt, einen Besuch abzus,tatten. Zu meinem Bedamern konnte ich aber_zumilz keinen Nachmittäg: dafiir frei machen. Nur ungern gab ich‘ diesen Besuch auf.

§ 1109

Als nun derAbend deeVortmgs && war, machte ich mich; mit einer Tasche von Laternenbilder, in größter Eile zum Bahnhof anf. Ich mußte einen Taxi nehmen, um den Zug noch zu er— reichen (es passiert mit öfters, ‘dn.ß ich so lange zögere, daß ich einen Taxi nehmen muß, um den Ting noch' zu erreichen 1). An Ort. und Stelle' gekommen, war ich einigermaßen eretnunt, da!} keiner am Bahnhof war, um mich aheuholen (wie ee bei Vorträgen in kleineren Orten Gewohnheit ist). Plötu'lioh fiel mir ein, daß der Vortrag um eine Woche verschoben war, und daß ich jetzt am ursprünglich festgestellten Datum eine vergebliche Reise gemacht hatte. Nachdem ich meine Vergeßliclikeit herzinnig ver-wünscht hatte, überlegte ich, ob ich mil; dem nächstfolgenden Zug wieder naeh Hause zurückkehren sollte. Bei näherer Überlegung dachte ich aber dann, daß ich jetzt eine schöne Gelegenheit hatte, um den gewünschten Besuch zu machen, was ich denn auch tat. Erst unterwegs fiel mir

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18'

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276 X. IBRTDm.

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ein, daß mein unerfiillter Wunsch, für diesen Besuch gehörig Zeit zu haben, das Komplett hübsch vorbereitet hatte. Das Echleppen mit der schweren Tasche voll Ißtemenbilder und das Eilen, um den Zug zu erreichen, konnten ausgemiohnet dazu dienen, die unbem1.ßte Absicht desto besser zu verbergen.“

§ 1114

Man wird vielleicht nicht geneigt sein, die Klasse von Irrtümern, für die ich hier die Aufldärung gebe, für sehr zahlreich oder besonders bedeutungsvoll zu halten. Ich gebe aber zu bedenken, ob man nicht Grund hat, die gleichen Gesichtspunkte auch auf die Beurteilung der ungleich wichtigeren Urteilsirrtiimer der Menschen im Leben und in der Wissenschaft auszudehnen. Nur den auserlesensten und ausgeglichensten Geistern scheint es möglich zu sein, das Bild der wahrgenommenen äußeren Realität vor der Verzerrung zu bewahren, die es sonst beim Durchgang durch die psychische Individualität des Wahrnehmenden erfährt.

§ 1115

§ 1116

XI.

§ 1117

KOMBINIERTE FEHLLEISTUNGEN.

§ 1118

Zwei der letzterwähnten Beispiele, mein Irrtum, der die Mediceer nach Venedig bringt, und der des jungen Mannes, der ein telephonisches Gespräch mit seiner Geliebten dem Verbote abzutrotzen weiß, haben eigentlich eine ungenaue Beschreibung gefunden und stellen sich bei sorgfältiger Betrachtung als Vereinigung eines Vergessens mit einem Irrtum dar. Dieselbe Vereinigung kann ich noch deutlicher an einigen anderen Beispielen aufzeigen.

§ 1119

a) Ein Freund teilt mir folgendes Erlebnis mit: „Ich habe vor einigen Jahren die Wahl in den Ausschuß einer bestimmten literarischen Vereinigung angenommen, weil ich vermutete, die Gesellschaft könnte mir einmal behilflich sein, eine Aufführung meines Dramas durchzusetzen, und nahm regelmäßig, wenn auch ohne viel Interesse, an den jeden Freitag stattfindenden Sitzungen teil. Vor einigen Monaten erhielt ich nun die Zusicherung einer Aufführung am Theater in F., und seither passierte es mir regelmäßig, daß ich an die Sitzungen jenes Vereines vergaß. Als ich Ihre Schrift über diese Dinge las, schämte ich mich meines Vergessens, machte mir Vorwürfe, es sei doch eine Gemeinheit, daß ich jetzt ausbleibe, nachdem ich die Leute nicht mehr brauche, und beschloß, nächsten Freitag gewiß nicht zu vergessen. Ich erinnerte mich an diesen Vorsatz immer wieder, bis ich ihn ausführte und vor der Türdes Sitzungssaales stand. Zu meinem Erstaunen war sie geschlossen, die Sitzung war schon vorüber; ich hatte mich nämlich im Tage geirrt; es war schon Samstag!“

§ 1120

b) Das nächste Beispiel ist eine Kombination einer Symptomhandlung mit einem Verlegen; es ist auf entfernteren Umwegen, aber aus guter Quelle zu mir gelangt.

§ 1121

Eine Dame reist mit ihrem Schwager, einem berühmten Künstler, nach Rom. Der Besucher wird von den in Rom lebenden Deutschen sehr gefeiert und erhält unter anderem eine goldene Medaille antiker Herkunft zum Geschenke. Die Dame kränkt sich darüber, daß ihr Schwager das schöne Stück nicht genug zu schätzen weiß. Nachdem sie, von ihrer Schwester abgelöst, wieder zu Hause angelangt ist, entdeckt sie beim Auspacken, daß sie die Medaille — sie weiß nicht wie — mitgenommen hat. Sie teilt es sofort dem Schwager brieflich mit und kündigt ihm an, daß sie das Entführte am nächsten Tage nach Rom zurückschicken wird. Am nächsten Tage aber ist die Medaille so geschickt verlegt, daß sie unauffindbar und unabsendbar ist, und dann dämmert der Dame, was ihre „Zerstreutheit“ bedeute, nämlich, daß sie das Stück für sich selbst behalten wolle.

§ 1122

c) Einige Fälle, in denen sich die Fehlhandlung hartnäckig wiederholt und dabei auch ihre Mittel wechselt:

§ 1123

Jones (l. c. S. 483): Aus ihm unbekannten Motiven hatte er einst einen Brief mehrere Tage auf seinem Schreibtisch liegen lassen, ohne ihn aufzugeben. Endlich entschloß er sich dazu, aber er erhielt ihn vom „Dead letter office“ zurück, denn er hatte vergessen, die Adresse zu schreiben. Nachdem er ihn adressiert hatte, brachte er ihn wieder zur Post, aber diesmal ohne Briefmarke. Die Abneigung dagegen, den Brief überhaupt abzusenden, konnte er dann nicht mehr übersehen.

§ 1124

Sehr eindrucksvoll schildert die vergeblichen Bemühungen, eine Handlung gegen einen inneren Widerstand durchzusetzen, eine kleine Mitteilung von Dr. Karl Weiß (Wien) über einen Fall von Vergessen. (Zentralbl. für Psychoanalyse, II, 9.) „ "Wie konsequent sich das Unbewußte durchzusetzen weiß, wenn es ein Motiv hat, einen Vorsatz nicht zur Ausführung gelangen zu lassen, und wie schwer es ist, sich gegen diese Tendenz zu sichern, dafür bietet der folgende Vorfall einen Beleg. Ein Bekannter ersucht mich, ihm ein Buch zu leihen und es ihm am nächsten Tage mitzubringen. Ich sage sogleich zu, empfinde aber ein lebhaftes Unlustgefühl, das ich mir zunächst nicht erklären kann. Später wird es mir klar: der Betreffende schuldet mir seit Jahren eine Summe Geldes, an deren Bezahlung er anscheinend nicht denkt. Ich denke nicht weiter an die Sache, erinnere mich ihrer aber am nächsten Vormittag mit dem gleichen Unlustgefühl und sage mir sofort: ,Dein Unbewußtes wird darauf hinarbeiten, daß du das Buch vergißt. Du willst aber nicht ungefällig sein und wirst deshalb alles tun, um nicht zu vergessen.‘ Ich komme nach Hause, packe das Buch in Papier und lege es neben mich auf den Schreibtisch, an dem ich Briefe schreibe."

§ 1125

"Nach einiger Zeit gehe ich fort; nach wenigen Schritten erinnere ich mich, daß ich die Briefe, die ich zur Post mitnehmen wollte, auf dem Schreibtisch liegen gelassen habe. (Beiläufig bemerkt war einer darunter, in dem ich einer Person, die mich in einer bestimmten Angelegenheit fördern sollte, etwas Unangenehmes schreiben mußte.) Ich kehre um, hole die Briefe und gehe wieder weg. In der Elektrischen fällt mir ein, daß ich meiner Frau versprochen habe, ihr einen Einkauf zu besorgen, und ich bin recht befriedigt bei dem Gedanken, daß es nur ein kleines Päckchen sein wird. Hier stellt sich plötzlich" "die Assoziation Päckchen — Buch her und jetzt merke ich, daß ich das Buch nicht bei mir habe. Ich hatte es also nicht nur das erstemal, als ich fortging, vergessen, sondern auch konsequent übersehen, als ich die Briefe holte, neben denen es Iag."

§ 1126

Das Nämliche in einer eingehend analysierten Beobachtung von Otto Rank (Zentralbl. für Psychoanalyse, II, 5):

§ 1127

"Ein peinlich ordentlicher und pedantisch genauer Mann berichtet das folgende, für ihn ganz außergewöhnliche Erlebnis. Einen Nachmittags, als er auf der Straße nach der Zeit sehen will, bemerkt er, daß er seine Uhr zu Hause vergessen hat, was seiner Erinnerung nach noch nie vorgekommen war. Da er für den Abend eine pünktliche Verabredung hat und nicht mehr die Zeit findet, vorher seine Uhr zu holen, benützte er den Besuch bei einer befreundeten Dame, um sich ihre Uhr für den Abend auszuleihen; dies war um so eher angängig, als er die Dame infolge einer früheren Verabredung am nächsten Vormittag zu besuchen hatte und bei dieser Gelegenheit die Uhr zurückzustellen versprach. Zu seinem Erstaunen merkt er aber, als er tags darauf der Besitzerin die entlehnte Uhr überreichen will, daß er nun diese zu Hause vergaß; seine eigene Uhr hatte er diesmal zu sich gesteckt. Er nahm sich nun fest vor, die Damenuhr noch am Nachmittag zurückzustellen, und führte den Vorsatz auch aus. Als er aber beim Weggehen nach der Zeit sehen will, hat er zu seinem maßlosen Ärger und Erstaunen wieder die eigene Uhr vergessen. Diese Wiederholung der Fehlleistung kam dem sonst so ordnungsliebenden Manne derart pathologisch vor, daß er gern ihre psychologische Motivierung gekannt hätte, die sich auch prompt auf die psychoanalytische Fragestellung ergab, ob er an dem kritischen Tage des ersten Vergessens irgend etwas Unangenehmes erlebt habe, und in welchem Zusammenhange dies geschehen sei. Er er-" "zählt darauf sogleich, daß er nach dem Mittagessen, kurz bevor er wegging und die Uhr vergaß, ein Gespräch mit seiner Mutter gehabt hatte, die ihm erzählte, ein leichtsinniger Verwandter, der ihm schon viel Kummer und Geldopfer verursacht hatte, hätte seine Uhr versetzt; da sie aber zu Hause gebraucht werde, ließe er ihn bitten, ihm das Geld zur Auslösung zu geben. Diese fast erzwungene Art des Geldleihens hatte unseren Mann sehr peinlich berührt und ihm all die Unannehmlichkeiten wieder in Erinnerung gebracht, die ihm dieser Verwandte seit vielen Jahren bereitet hatte. Seine Symptomhandlung erweist sich demnach als mehrfach determiniert: erstens gibt sie einem Gedankengange Ausdruck, der etwa besagt, ich lasse mir das Geld nicht auf diese Weise abpressen, und wenn eine Uhr gebraucht wird, so lasse ich eben meine eigene zu Hause; da er sie jedoch abends zur Einhaltung eines Rendezvous braucht, kann sich diese Absicht nur auf unbewußtem Wege, in Form einer Symptomhandlung, durchsetzen; zweitens besagt das Vergessen soviel als: die ewigen Geldopfer für diesen Taugenichts werden mich noch gänzlich zu Grunde richten, so daß ich alles werde hergeben müssen. Obwohl nun der Ärger über diese Mitteilung nach Angabe des Mannes nur ein momentaner gewesen war, zeigt doch die Wiederholung der gleichen Symptomhandlung, daß er im Unbewußten intensiv weiterwirkt, etwa wie wenn das Bewußtsein sagen würde: Diese Geschichte geht mir nicht aus dem Kopfe**. Daß dann das gleiche Schicksal einmal auch die entlehnte Damenuhr betrifft, wird uns nach dieser Einstellung des Unbewußten nicht wundernehmen. Doch begünstigen vielleicht noch spezielle Motive diese Über-"

* Dieses Weiterwirken im Unbewußten äußert sich einmal in Form eines Traumes, welcher der Fehlhandlung folgt, ein andermal in der Wiederholung derselben oder in der Unterlassung einer Korrektur. § 1128

Einige Beobachtungen von J. Stärcke (l. c.).

§ 1129

n KOMBINME FEHLLEISI‘U'NGEN. 283

§ 1130

1. Verlegen — Zerb'rechen —— Vergessen —— als Ausdruck eines zurückgedrängten Gegenwillene.

§ 1131

„Von einer Sammlung Illustrationen für eine wissenschaftliche Arbeit sollte ich eines Tages meinem Bruder einige leihen, welche er als Lichtbilder bei einem Vortrag benutzen wollte. Obgleich ich einen Augenblick den Gedanken verspürte, daß ich die Reproduktionen, die ich mit vieler Mühe gesammelt hatte, lieber in keiner Weise vorgeführt oder publiziert sah, bevor ich das selbst machen konnte, versprach ich ihm, die Negative der gewünschten Bilder aufzusuchen und Latemenbilder davon anzufertigen. — Diese Negative konnte ich aber nicht finden. Den ganzen Stapel Schachteln voll Negative, die sich auf diesen Gegenstand bezogen, sah ich durch, gut zweihundert Negative nahm ich eines nach dem anderen in die Hand, aber die Negative, die ich suchte, waren nicht dabei. Ich vermutete wohl, da.ß ich meinem Bruder diese Bilder eigentlich nicht zu gönnen schien. Nachdem ich mit diesen abgünstigen Gedanken bewußt gemacht und bestritten hatte, bemerkte ich, daß ich die oberste Schachtel des Stapels‘ zur Seite gesetzt und diese nicht durchsucht hatte, und diese Schachtel enthielt die gesuchten Negative. Auf dem Deckel dieser Schachtel stand eine kurze Aufzeichnung betreffs des Inhalts, und wahrscheinlich hatte ich das mit einem flüchtigen Blick gesehen, bevor ich diese Schachtel zur Seite setzte.

§ 1132

Der abgünstige Gedanke schien indessen noch nicht ganz besiegt, den es geschah noch allerlei, bevor die Lichtbilder verschickt waren. Eine von den Laternenplatten drückte ich kaputt, während ich diese in der Hand ,hatte und. die Glaeseite reinpntzte (so zerbreche ich sonst. nie eine La-ternenplatte). Als ich von dieser Platte ein neues Exemplar angefertigt hatte, fiel es mir aus der Hand, und nur dadurch, daß ich den Fuß

§ 1133

§ 1134

284 XI. KOMBINIEE'I‘E FEHLLEISTUNGILN.

§ 1135

vorstreckte und es darauf auffing, zerbraeh es nicht. Als ich die La.ternenplatten montierte, fiel der ganze Haufen noch einmal auf den Boden, glücklicherweise ohne daß dabei etwas zerbrach. Und schließlich dauerte es noch mehrere Tage, bevor ich sie wirklich emballierte und versandte, da. ich mir dieses jeden Tag von neuem vornehm und. dieses Vornehmen jedesmal Wieder verg .“

§ 1136

2. Wieder-hohes Vergessen _— Vergreifen bei der endlichen Ausführung.

§ 1137

„Eines Tages mußte ich einem Bekannten eine Postkarte senden, aber verschob es während mehrerer Tage immer wieder, wobei ich ein starkes Vermuten hatte, daß folgendes die Ursache davon war: In einem Briefe hatte ,er mir mitgeteilt, dnß im Laufe jener Woche mich jemand besuchen wollte, auf dessen Besuch ich nicht sehr erpicht war. Als diese Woche vorüber war und die Aussicht des ungewünschten Besuches sehr gering geworden war, schrieb ich endlich die Postkarte, worin ich mitteilte, wann ich zu sprechen sein Würde. Als ich diese Postkarte schrieb, wollte ich anfangs hinzufügen, daß ich wegen ,druk werk‘ (= emsige, angestrengte oder überhäufte Arbeit) am Schreiben behindert gewesen war, aber ich schrieb das am Ende nicht, weil diese gewöhnliche Ausrede doch von keinem vernünftigen Menschen mehr geglaubt wird. Ob diese kleine Unwahrheit sich doch äußern mußte, weiß ich nicht, aber als ich die Postkarte in den Briefkasten warf, warf ich sie irrtümlicherweise in die untere Öffnung des Kastens: ,D r u k w e r k‘ (= Drucksachen)“

§ 1138

3. Vergessen und. Irrtum.

§ 1139

„Ein Mädchen geht eines Morgens, da das Wetter sehr schön ist, nach dem ,Ryksmuseum‘, um dort Gipsabgüsse zu zeichnen. Obgleich sie bei diesem schönen Wetter lieber spa

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§ 1141

x1. nommen FEHLLEIBTUNGEN. 235

§ 1142

zieren gehen möchte, entschloß sie sich, doch mal emsig zu sein und zu zeichnen. Sie muß zuerst Zeichenpapier kaufen. Sie geht zum Laden (ungefähr zehn Minuten vom Museum), kauft Bleistifte und andere Zeichengeräte, aber vergißt eben das Zeichenpapier zu kaufen, geht dann zum Museum, und als sie auf ihrem Stühlchen sitzt, fertig, um anzufangen, da hat sie noch kein Papier, so daß sie von neuem zu dem Laden gehen muß. Nachdem sie Papier geholt hat, fängt sie wirklich an zu zeichnen, geht mit der Arbeit. gut vorwärts und hört nach einiger Zeit vom Turme des Museums eine große Zahl Glockenschlä.ge. Sie denkt: ,Das wird schon 12 Uhr sein‘, arbeitet noch fort, bis die Turmglocke Viertelstunde spielt (,das ist Viertel nach zwölf, denkt sie), packt jetzt ihre Zeichengeräte ein und entschließt sich, durch den ,Vondelpark‘ zum Hause ihrer Schwester zu spazieren, um dort Kaffee zu trinken (= hol]. zweite Mahlzeit). Beim Suasso—Museum sieht sie zu ihrem Staunen, daß es statt halb eins erst zwölf Uhr ist! — Das lockende schöne Wetter hatte ihren Fleiß hintere Licht geführt und dadurch hatte sie, als die Turmglocke um halb 12 zwölf schlug, nicht daran gedacht, daß eine Turmglocke auch mit der halben Stunde schlägt.“ '

§ 1143

Wie schon einige der vorstehenden Beobachtungen zeigen, kann die unbewußt störende Tendenz ihre Absicht auch erreichen, indem sie dieselbe Art der Fehlleisturig hartnäckig wiederholt. Ich entnehme ein amiisa-ntes Beispiel hiefür einem Büchlein „Frank Wedekind und das Theater“, das im Münchener Drei Masken-Verlag erschienen ist, muß aber die Verantwortung für das in Mark Twainschcr Manier erzählte Geschichtchen dem Autor des Buches überlassen.

§ 1144

„Im Wedekinds Einakter ,Die Zensur‘ fällt an der ernstesten Stelle des Stückes der Ausspruch: ,Die Furcht vor

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§ 1146

286 XI. KOMBINI BIETE FEHLLEISTUNGEN.

§ 1147

dem Tode ist ein Denkfehler.‘ Der Autor, dem die Stelle am Herzen lag, hat auf der Probe den Darsteller, vor dem Worte ,Denkfehler‘ eine kleine Pause zu machen. Am Abend — der Darsteller ging ganz in seiner Rolle auf, beobachtete auch die Pause genau, sagte aber unwillkürlich’ in feierlichstem‘ Tone: ,Die Furcht vor dem Tode ist ein Druckfehler.‘ Der Autor versicherte dem Künstler nach Schluß der Vorstellung auf seine Frage, daß er nicht das geringste auszusetzen habe, nur heiße es‘ an der betreffenden Stelle nicht: die Furcht vor dem Tode sei ein Druckfehler, sondern ein Denkfehler.

§ 1148

Als ,Die Zensur-‘ am folgenden Abend wiederholt wurde, sagte der Darsteller an der bewußten Stelle, und zwar wieder in feierlichstem Tone: ,Die Furcht vor dem Tode ist ein — Denkzettel.‘ Wedekind spendete dem Schauspieler wieder uneingeschränktes Lob, aber bemerkte nur nebenbei, daß es nicht heiße, die Furcht vor dem Tode sei ein Denkzette], sondern ein Denkfehler.

§ 1149

Am nächsten Abend wurde wieder ,Die Zensur‘ gespielt und der Darsteller, mit dem sich der Autor inzwischen befreundet und Kunstanschauungen ausgetauscht hatte, sagte, als die Stelle kam, mit der feierlichsten Miene von der Welt: ,Die Furcht vor dem Tode ist ein — Druckzettel.‘

§ 1150

Der Künstler erhielt des Autors rückha,ltlose Anerken— nung, der Eina,kter wurde auch noch oft wiederholt, aber den Begriff ,Denkfehler‘ hielt der Autor nun ein für allemal für endgültig erledigt.“

§ 1151

Rank hat auch den sehr interessanten Beziehungen von „Fehlleistung und Traum“ (Zentralbl. für Psychoanal. ebenda Internat. Zeitschr. für Psychoanal., III, 1915) Aufmerksamkeit geschenkt, denen man aber nicht ohne eingehende Analyse des Tra.umes folgen kann, welcher sich an die Fehlhandlung an

§ 1152

§ 1153

XI. KOMBINIERTE FEHLLEISTUNGEN . 287

§ 1154

schließt. Ich träumte einmal in einem längeren Zusammenhange, daß ich mein Portemonnaie verloren. Am Morgen vermißte ich es wirklich beim Ankleiden; ich hatte vergessen, es beim Auskleiden vor der Traumnecht aus der Hosentasche zu nehmen und an seinen gewohnten Platz zu legen. Dieses Vergessen war mir also nicht unbekannt, es sollte wahrscheinlich einem unbewußtcn Gedanken Ausdruck geben, der für das Auftreten im Trauminha.lt vorbereitet war.

§ 1155

Ich will nicht behaupten, daß solche Fälle von kombinierten. Fehlleistu.ngen etwas Neues lehren können, was nicht schon aus den Einzelfällen zu ersehen wäre, aber dieser Formenwechsel der Fehlleistung bei Erhaltung desselben Erfolges gibt doch den plastischen Eindruck eines Willens, der nach einem bestimmten Ziele strebt, und. widerspricht in ungleich energischerer Weise der Auffassung, daß die Fehlleistung etwas Zufälliges und der Deutung nicht Bedürftiges‘ sei. Es darf uns auch auffallen, daß es in diesen Beispielen einem bewußten Vorsatz so gründlich mißlingt, den Erfolg der Fehlleistung liintanzuhalten. Mein Freund setzt es doch nicht durch, die Vereinssitzung zu besuchen, und die Dame findet sich außer Stande, sich von der Medaille zu trennen. Jones Unbekannte, das sich gegen diese Vorsätze sträubt, findet einen anderen Ausweg, nachdem ihm der erste Weg verspcrrt wird. Zur Überwindung des unbekannten Motivs ist nämlich noch etwas anderes als der bewußte Gegenvorsatz erforderlich; es brauchte eine psychische Arbeit, welche das Unbekannte dem Bewußt— sein bekannt macht.

§ 1156

§ 1157

XII.

§ 1158

DETERMINISMUS. — ZUFALLS- UND ABERGLAUBEN. — GESICHTSPUNKTE.

§ 1159

Als das allgemeine Ergebnis der vorstehenden Einzelerörterungen kann man folgende Einsicht hinstellen: Gewisse Unzulänglichkeiten unserer psychischen Leistungen — deren gemeinsamer Charakter sogleich näher bestimmt werden soll — und gewisse absichtslos erscheinende Verrichtungen erweisen sich, wenn man das Verfahren der psychoanalytischen Untersuchung auf sie anwendet, als wohlmotiviert und durch dem Bewußtsein unbekannte Motive determiniert.

§ 1160

Um in die Klasse der so zu erklärenden Phänomene eingereiht zu werden, muß eine psychische Fehlleistung folgenden Bedingungen genügen.

§ 1161

a) Sie darf nicht über ein gewisses Maß hinausgehen, welches von unserer Schätzung festgesetzt ist und durch den Ausdruck „innerhalb der Breite des Normalen“ bezeichnet wird.

§ 1162

b) Sie muß den Charakter der momentanen und zeitweiligen Störung an sich tragen. Wir müssen die nämliche Leistung vorher korrekter ausgeführt haben oder uns jederzeit zutrauen, sie korrekter auszuführen. Wenn wir von anderer Seite korrigiert werden, müssen wir die Richtigkeit der Korrektur und die Unrichtigkeit unseres eigenen psychischen Vorganges sofort erkennen.

§ 1163

c) Wenn wir die Fehlleistung überhaupt wahrnehmen, dürfen wir von einer Motivierung derselben nichts in uns verspüren, sondern müssen versucht sein, sie durch „Unaufmerksamkeit“ zu erklären oder als „Zufälligkeit“ hinzustellen.

§ 1164

Es verbleiben somit in dieser Gruppe die Fälle von Vergessen und die lrrtümer bei besserem Wissen, das Versprechen, Verlesen, Verschreiben, Vergreifen und die sogenannten Zufallshandlungen.

§ 1165

Die gleiche Zusammensetzung mit der Vorsilbe ver deutet für die meisten dieser Phänomene die innere Gleichartigkeit sprachlich an. An die Aufklärung dieser so bestimmten psychischen Vorgänge knüpft aber eine Reihe von Bemerkungen an, die zum Teile ein weitergehendes Interesse erwecken dürfen.

§ 1166

1. Indem wir einen Teil unserer psychischen Leistungen als unaufklärbar durch Zielvorstellungen preisgeben, verkennen wir den Umfang der Determinierung im Seelenleben. Dieselbe reicht hier und noch auf anderen Gebieten weiter, als wir es vermuten. Ich habe im Jahre 1900 in einem Aufsatz des Literaturhistorikers R. M. Meyer in der „Zeit“ ausgeführt und an Beispielen erläutert gefunden, daß es unmöglich ist, absichtlich und willkürlich einen Unsinn zu komponieren. Seit längerer Zeit weiß ich, daß man es nicht zu stande bringt, sich eine Zahl nach freiem Belieben einfallen zu lassen, ebensowenig wie etwa einen Namen. Untersucht man die scheinbar willkürlich gebildete, etwa mehrstellige, wie im Scherz oder Übermut ausgesprochene Zahl, so erweist sich deren strenge Determinierung, die man wirklich nicht für möglich gehalten hätte. Ich will nun zunächst ein Beispiel eines willkürlich gewählten Vornamens kurz erörtern und dann ein analogesBeispiel einer „gedankenlos hingeworfenen“ Zahl ausführlicher analysieren.

§ 1167

α) Im Begriffe, die Krankengeschichte einer meiner Patientinnen für die Publikation herzurichten, erwäge ich, welchen Vornamen ich ihr in der Arbeit geben soll. Die Auswahl scheint sehr groß; gewiß schließen sich einige Namen von vornherein aus, in erster Linie der echte Name, sodann die Namen meiner eigenen Familienangehörigen, an denen ich Anstoß nehmen würde, etwa noch andere Frauennamen von besonders seltsamem Klang; im übrigen aber brauchte ich um einen solchen Namen nicht verlegen zu sein. Man sollte erwarten und ich erwarte selbst, daß sich mir eine ganze Schar weiblicher Namen zur Verfügung stellen wird. Anstatt dessen taucht ein einzelner auf, kein zweiter neben ihm, der Name Dora. Ich frage nach seiner Determinierung, Wer heißt denn nur sonst Dora? Ungläubig möchte ich den nächsten Einfall zurückweisen, der lautet, daß das Kindermädchen meiner Schwester so heißt. Aber ich besitze so viel Selbstzucht oder Übung im Analysieren, daß ich den Einfall festhalte und weiterspinne. Da fällt mir auch sofort eine kleine Begebenheit des vorigen Abends ein, welche die gesuchte Determinierung bringt. Ich sah auf dem Tische im Speisezimmer meiner Schwester einen Brief liegen mit der Aufschrift: „An Fräulein Rosa W.“ Erstaunt frage ich, wer so heißt, und werde belehrt, daß die vermeintliche Dora eigentlich Rosa heißt und diesen ihren Namen beim Eintritt ins Haus ablegen mußte, weil meine Schwester den Ruf „Rosa“ auch auf ihre eigene Person beziehen kann. Ich sagte bedauernd: Die armen Leute, nicht einmal ihren Namen können sie beibehalten! Wie ich mich jetzt besinne, wurde ich dann für einen Moment still und begann an allerlei ernsthafte Dinge zu denken, die ins Unklareverliefen, die ich mir jetzt aber leicht bewußt machen könnte. Als ich dann am nächsten Tag nach einem Namen für eine Person suchte, die ihren eigenen nicht beibehalten durfte, fiel mir kein anderer als „Dora“ ein. Die Ausschließlichkeit beruht hier auf fester inhaltlicher Verknüpfung, denn in der Geschichte meiner Patientin rührte ein auch für den Verlauf der Kur entscheidender Einfluß von der im fremden Haus dienenden Person, von einer Gouvernante, her.

§ 1168

Diese kleine Begebenheit fand Jahre später eine unerwartete Fortsetzung. Als ich einmal die längst veröffentlichte Krankengeschichte des nun Dora genannten Mädchens in meiner Vorlesung besprach, fiel mir ein, daß ja eine meiner beiden Hörerinnen den gleichen Namen Dora, den ich in den verschiedensten Verknüpfungen so oft auszusprechen hatte, trage, und ich wandte mich an die junge Kollegin, die mir auch persönlich bekannt war, mit der Entschuldigung, ich hätte wirklich nicht daran gedacht, daß sie auch so heiße, sei aber gern bereit, den Namen in der Vorlesung durch einen anderen zu ersetzen. Ich hatte nun die Aufgabe, rasch einen anderen zu wählen, und überlegte dabei, jetzt dürfe ich nur nicht auf den Vornamen der anderen Hörerin kommen und so den psychoanalytisch bereits geschulten Kollegen ein schlechtes Beispiel geben. Ich war also sehr zufrieden, als mir zum Ersatze für Dora der Name Erna einfiel, dessen ich mich nun im Vortrag bediente. Nach der Vorlesung fragte ich mich, woher wohl der Name Erna, stammen möge, und mußte lachen, als ich merkte, daß die gefürchtete Möglichkeit sich bei der Wahl des Ersatznamens dennoch, wenigstens teilweise, durchgesetzt hatte. Die andere Dame hieß mit ihrem Familiennamen Lucerna, wovon Erna ein Stück ist.

§ 1169

β) In einem Briefe an einen Freund kündigte ich ihm an,daß ich jetzt die Korrekturen der Traumdeutung abgeschlossen habe und nichts mehr an dem Werke ändern will, „möge es auch 2467 Fehler enthalten“. Ich versuche sofort, mir diese Zahl aufzuklären und füge die kleine Analyse noch als Nachschrift dem Briefe an. Am besten zitiere ich jetzt, wie ich damals geschrieben, als ich mich auf frischer Tat ertappte:

§ 1170

„Noch rasch einen Beitrag zur Psychopathologie des Alltagslebens. Du findest im Briefe die Zahl 2467 als übermütige Willkürschätzung der Fehler, die sich im Traumbuch finden werden. Es soll heißen: irgend eine große Zahl, und da stellt sich diese ein. Nun gibt es aber nichts Willkürliches, Undeterminiertes im Psychischen. Du wirst also auch mit Recht erwarten, daß das Unbewußte sich beeilt hat, die Zahl zu determinieren, die von dem Bewußten freigelassen wurde. Nun hatte ich gerade vorher in der Zeitung gelesen, daß ein General E. M. als Feldzeugmeister in den Ruhestand getreten ist. Du mußt wissen, der Mann interessiert mich. Während ich als militärärztlicher Eleve diente, kam er einmal, damals Oberst, in den Krankenstand und sagte zum Arzte: ,Sie müssen mich aber in acht Tagen gesund machen, denn ich habe etwas zu arbeiten, worauf der Kaiser wartet.‘ Damals nahm ich mir vor, die Laufbahn des Mannes zu verfolgen, und siehe da, heute (1899) ist er am Ende derselben, Feldzugmeister und schon im Ruhestande. Ich wollte ausrechnen, in welcher Zeit er diesen Weg zurückgelegt, und nahm an, daß ich ihn 1882 im Spital gesehen. Das wären also 17 Jahre. Ich erzähle meiner Frau davon und sie bemerkt: ,Da müßtest du also auch schon im Ruhestand sein?‘ Und ich protestiere: Davor bewahre mich Gott. Nach diesem Gespräche setze ich mich an den Tisch, um Dir zu schreiben. Der frühere Gedankengang setzt sich aber fort und mit gutem Recht. Es war falsch gerechnet; ich habe einen festen Punkt dafür in meiner Erinnerung. Meine Großjährigkeit, meinen 24. Geburtstag also, habe ich im Militärarrest gefeiert (weil ich mich eigenmächtig absentiert hatte). Das war also 1880; es sind 19 Jahre her. Da hast Du nun die Zahl 24 in 2467! Nimm nun meine Alterszahl 43 und gib 24 Jahre hinzu, so bekommst Du die 67! Das heißt auf die Frage, ob ich auch in den Ruhestand treten will, habe ich mir im Wunsche noch 24 Jahre Arbeit zugelegt. Offenbar bin ich gekränkt darüber, daß ich es in dem Intervall, durch das ich den Oberst M. verfolgt, selbst nicht weit gebracht habe, und doch wie in einer Art von Triumph darüber, daß er jetzt schon fertig ist, während ich noch alles vor mir habe. Da darf man mit Recht sagen, daß nicht einmal die absichtslos hingeworfene Zahl 2467 ihrer Determinierung aus dem Unbewußten entbehrt.“

§ 1171

Seit diesem ersten Beispiel von Aufklärung einer scheinbar willkürlich gewählten Zahl habe ich den gleichen Versuch vielmals mit dem nämlichen Erfolge wiederholt; aber die meisten Fälle sind so sehr intimen Inhalts, daß sie sich der Mitteilung entziehen.

§ 1172

Gerade darum aber will ich es nicht versäumen, eine sehr interessante Analyse eines „Zahleneinfalls“ hier anzufügen, welche Dr. Alfred Adler (Wien) von einem ihm bekannten „durchaus gesunden“ Gewährsmann erhielt**: A. schreibt mir: „Gestern abends habe ich mich über die ,Psychopathologie des Alltags‘ hergemacht und ich hätte das Buch gleich ausgelesen, wenn mich nicht ein merkwürdiger Zwischenfall gehindert hätte. Als ich nämlich las, daß jede Zahl, die wir scheinbar ganz willkürlich ins Bewußtsein rufen, einen bestimmten Sinnhat, beschloß ich, einen Versuch zu machen. Es fiel mir die Zahl 1734 ein. Nun überstürzten sich folgende Einfälle: 1734:17=102; 102:17=6. Dann zerreiße ich die Zahl in 17 und 34. Ich bin 34 Jahre alt. Ich betrachte, wie ich Ihnen, glaube ich, einmal gesagt habe, das 34. Jahr als das letzte Jugendjahr, und ich habe mich darum an meinem letzten Geburtstag sehr miserabel gefühlt. Am Ende meines 17. Jahres begann für mich eine sehr schöne und interessante Periode meiner Entwicklung. Ich teile mein Leben in Abschnitte von 17 Jahren. Was haben nun die Divisionen zu bedeuten? Es fällt mir zu der Zahl 102 ein, daß die Nummer 102 der Reclamschen Universalbibliothek das Kotzebuesche Stück ,Menschenhaß und Reue‘ enthält.“

* Alfr. Adler, Drei Psychoanalysen von Zahleneinfällen und obsedierenden Zahlen. Psych.-Neur. Wochenschr., Nr. 28, 1905. § 1173

„Mein gegenwärtiger psychischer Zustand ist Menschenhaß und Reue. Nr. 6 der U.-B. (ich weiß eine ganze Menge Nummern auswendig) ist Müllners ,Schuld‘. Mich quält in einem fort der Gedanke, daß ich durch meine Schuld nicht geworden bin, was ich nach meinen Fähigkeiten hätte werden können. Weiter fällt mir ein, daß Nr. 34 der U.-B. eine Erzählung desselben Müllner, betitelt ,Der Kaliber‘, enthält. Ich zerreiße das Wort in ,Ka-liber‘; weiters fällt mir ein, daß es die Worte ,Ali‘ und ,Kali‘ enthält. Das erinnert mich daran, daß ich einmal mit meinem (sechsjährigen) Sohne Ali Reime machte. Ich forderte ihn auf, einen Reim auf Ali zu suchen. Es fiel ihm keiner ein und ich sagte ihm, als er einen von mir wollte: ,Ali reinigt den Mund mit hypermangansaurem Kali‘. Wir lachten viel und Ali war sehr lieb. In den letzten Tagen mußte ich mit Verdruß konstatieren, daß er ,ka (kein) lieber Ali sei‘.“

§ 1174

„Ich fragte mich nun: Was ist Nr. 17 der U.-B.?, konnte es aber nicht herausbringen. Ich habe es aber früher ganz bestimmt gewußt, nehme also an, daß ich diese Zahl vergessen wollte. Alles Nachsinnen blieb umsonst. Ich wollte weiter lesen, las aber nur mechanisch, ohne ein Wort zu verstehen, da mich die 17 quälte. Ich löschte das Licht aus und suchte weiter. Schließlich fiel mir ein, daß Nr. 17 ein Stück von Shakespeare sein muß. Welches aber? Es fällt mir ein: Hero und Leander. Offenbar ein blödsinniger Versuch meines Willens, mich abzulenken. Ich stehe endlich auf und suche den Katalog der U.-B. Nr. 17 ist ,Macbeth‘. Zu meiner Verblüffung muß ich konstatieren, daß ich von dem Stücke fast gar nichts weiß, trotzdem es mich nicht weniger beschäftigt hat als andere Dramen Shakespeares. Es fällt mir nur ein: Mörder, Lady Macbeth, Hexen, ,Schön ist häßlich‘, und daß ich seinerzeit Schillers Macbethbearbeitung sehr schön gefunden habe. Zweifellos habe ich also das Stück vergessen wollen. Noch fällt mir ein, daß 17 und 34 durch 17 dividiert 1 und 2 ergibt. Nr. 1 und 2 der U.-B. ist Goethes ,Faust‘. Ich habe früher sehr viel Faustisches in mir gefunden.“

§ 1175

Wir müssen bedauern, daß die Diskretion des Arztes uns keinen Einblick in die Bedeutung dieser Reihe von Einfällen gegönnt hat. Adler bemerkt, daß dem Manne die Synthese seiner Auseinandersetzungen nicht gelungen ist. Dieselben würden uns auch kaum mitteilenswert erschienen sein, wenn in deren Fortsetzung nicht etwas aufträte, was uns den Schlüssel zum Verständnis der Zahl 1734 und der ganzen Einfallsreihe in die Hand spielte.

§ 1176

„Heute früh hatte ich freilich ein Erlebnis, das sehr für die Richtigkeit der Freudschen Auffassung spricht. Meine Frau, die ich beim Aufstehen des Nachts aufgeweckt hatte, fragte mich, was ich denn mit dem Katalog der U.-B. gewollt hätte. Ich erzählte ihr die Geschichte. Sie fand, daß alles Rabulistik

§ 1177

sei, nur — sehr interessant — den Macbeth, gegen den ich mich so sehr gewehrt hatte, ließ sie gelten. Sie sagte, ihr falle gar nichts ein, wenn sie sich eine Zahl denke. Ich antwortete: ,Machen wir eine Probe.‘ Sie nannte die Zahl 117. Ich erwiderte darauf sofort: ,17 ist eine Beziehung auf das, was ich dir erzählt habe, ferner habe ich dir gestern gesagt: wenn eine Frau im 82. Jahre steht und ein Mann im 35., so ist das ein arges Mißverhältnis.‘ Ich frozzle seit ein paar Tagen meine Frau mit der Behauptung, daß sie ein altes Mütterchen von 82 Jahren sei. 82+35=117.“

§ 1178

Der Mann, der seine eigene Zahl nicht zu determinieren wußte, fand also sofort die Auflösung, als seine Frau ihm eine angeblich willkürlich gewählte Zahl nannte. In Wirklichkeit hatte die Frau sehr wohl aufgefaßt, aus welchem Komplex die Zahl ihres Mannes stammte, und wählte die eigene Zahl aus dem nämlichen Komplex, der gewiß beiden Personen gemeinsam war, da es sich in ihm um das Altersverhältnis der beiden handelte. Wir haben es nun leicht, den Zahleneinfall des Mannes zu übersetzen. Er spricht, wie Adler andeutet, einen unterdrückten Wunsch des Mannes aus, der voll entwickelt lauten würde: „Zu einem Manne von 34 Jahren, wie ich einer bin, paßt nur eine Frau von 17 Jahren.“

§ 1179

Damit man nicht allzu geringschätzig von solchen „Spielereien“ denken möge, will ich hinzufügen, was ich kürzlich von Dr. Adler erfahren habe, daß ein Jahr nach Veröffentlichung dieser Analyse der Mann von seiner Frau geschieden war**.

* Zur Aufklärung des „Macbeth“ in Nr. 17 der U.-B. teilt mir Adler mit, daß der Betreffende in seinem 17. Lebensjahr einer anarchistischen Gesellschaft beigetreten war, die sich den Königsmord zum Ziel gesetzt hatte. Darum verfiel wohl der Inhalt des Macbeth dem Vergessen. Zu jener Zeit erfand die nämliche Person eine Geheimschrift, in der die Buchstaben durch Zahlen ersetzt waren. § 1180

Ähnliche Aufklärungen gibt Adler für die Entstehung obsedierender Zahlen. Auch die Wahl sogenannter „Lieblingszahlen“ ist nicht ohne Beziehung auf das Leben der betreffenden Person und entbehrt nicht eines gewissen psychologischen Interesses. Ein Herr, der sich zu der besonderen Vorliebe für die Zahlen 17 und 19 bekannte, wußte nach kurzem Besinnen anzugeben, daß er mit 17 Jahren in die langersehnte akademische Freiheit, auf die Universität, gekommen, und daß er mit 19 Jahren seine erste große Reise und bald darauf seinen ersten wissenschaftlichen Fund gemacht. Die Fixierung dieser Vorliebe erfolgte aber zwei Lustren später, als die gleichen Zahlen zur Bedeutung für sein Liebesleben gelangten. — Ja, selbst Zahlen, die man anscheinend willkürlich in gewissem Zusammenhange besonders häufig gebraucht, lassen sich durch die Analyse auf unerwarteten Sinn zurückführen. So fiel es einem meiner Patienten eines Tages auf, daß er im Unmut besonders gern zu sagen pflegte: Das habe ich dir schon 17- bis 36mal gesagt, und er fragte sich, ob es auch dafür eine Motivierung gebe. Es fiel ihm alsbald ein, daß er an einem 27. Monatstag geboren sei, sein jüngerer Bruder aber an einem 26., und daß er Grund habe, darüber zu klagen, daß das Schicksal ihm so viel von den Gütern des Lebens geraubt, um sie diesem jüngeren Bruder zuzuwenden. Diese Parteilichkeit des Schicksals stellte er also dar, indem er von seinem Geburtsdatum zehn abzog und diese zum Datum des Bruders hinzufügte. „Ich bin der Ältere und dennoch so verkürzt worden.“

§ 1181

Ich will bei den Analysen von Zahleinfällen länger verweilen, denn ich kenne keine anderen Einzelbeobachtungen, die so schlagend die Existenz von hoch zusammengesetzten Denkvorgängen erweisen würden, von denen das Bewußtsein doch keine Kunde hat, und anderseits kein besseres Beispiel von

§ 1182

298 XII. DETERMINISMUS. — ZU'FALLS- U. ABERGLAUBEN ETC.

§ 1183

Analysen, bei denen die häufig angeschuldigte Mitarbeit des Arztes (die Suggestion) so sicher außer Betracht kommt. Ich werde daher die Analyse eines Zahleneinfalles eines meiner Patienten (mit seiner Zustimmung) hier mitteilen, von dem ich' nur anzugeben brauche, daß er das jüngste Kind einer langen Kinderreihe ist, und daß er den bew1mderten Vater in jungen Jahren verloren hat. In besonders heiterer Stimmung läßt er sich die Zahl 426718 einfallen und stellt sich die Frage: „Also was fällt mir dazu ein? Zunächst ein Witz, den ich gehört habe: ,Wenn man einen Schnupfen ärztlich behandelt, dauert er 42 Tage, wenn man ihn aber unbehandelt läßt —— 6 Wochen‘ Das entspricht den ersten Ziffern der Zahl 42=6x7..1n der Stockung, die sich bei ihm nach dieser ersten Lösung einstellt, mache ich ihn aufmerksam, daß die von ihm gewählte sechsstellige Zahl alle ersten Ziffern ent— ha-lte bis auf 3 und. 5. Nun findet er sofort die Fortsetzung der Deutung. „Wir sind 7 Geschwister, ich der jüngste. 3 entspricht in der Kinderreihe der Schwester A., 5 dem Bruder L„ das waren meine beiden Feinde. Ich pflegte als Kind jeden 'Abend zu Gott zu beten, daß er diese meine beiden Quälgeister aus dem Leben abberufen solle. Es scheint mir nun, daß ich mir hier diesen Wunsch selbst erfülle; 3 und 5, der böse Bruder und die gehn.ßte Schwester sind übergangen.“ —— Wenn die Zahl also Ihre Geschwisterreihe bedeutet, was soll das 18 am Ende? Sie waren doch nur 7. — „Ich habe oft gedacht, wenn der Vater noch länger gelebt hätte, so wäre ich nicht das jüngste Kind geblieben. Wenn noch 1 gekommen wäre, so wären wir 8 gewesen, und ich hätte ein kleineres Kind hinter mir gehabt, gegen das ich den Älteren gespielt hätte."

§ 1184

Somit war die Zahl aufgeklärt, aber es lag uns noch ob, den Zusammenhang zwischen dem ersten Stück der Deutung

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Ill. DETEBMINISMUS. — ZUFALIS- U. ABERGLAUBEN ETC. 299

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und den folgenden herzustellen. Das ergab sich sehr leicht aus der fiir die letzten Zahlen benötigten Bedingung: Wenn der Vater noch länger gelebt hätte. 42=6x7 bedeutete den Hohn gegen die Ärzte, die dem Vater nicht hatten helfen können, drückte also in dieser Form den Wunsch“ nach dem Fortleben des Vaters aus. Die ganze Zahl entsprach eigentlich der Erfüllung seiner beiden infantilen Wünsche in betreff seines F2»milienkreises, die beiden bösen Geschwister sollten sterben, und ein kleines Geschwisterchen hinter ihnen nachkommen, oder auf den kürzesten Ausdruck gebracht: Wenn doch lieber die beiden gestorben wären anstatt des geliebten Vaters”

§ 1188

Ein kleines Beispiel aus meiner Korrespondenz. Ein Tele— graphendirektor in L. schreibt, sein 18V„jähriger Sohn, der Medizin studieren wolle, beschäftige sich schon jetzt mit der Psychopathologie des Alltags und suche seine Eltern von der Richtigkeit meiner Aufstellungen zu überzeugen. Ich gebe einen der von ihm angestellten Versuche wieder, ohne mich über die daran geknüpfte Diskussion zu äußern.

§ 1189

„Mein Sohn unterhält sich mit meiner Frau über den so‘genannten Zufall und erläutert ihr, daß sie kein Lied, keine Zahl nennen könne, die ihr Wirklich nur ,zufällig‘ einfielen. Es entspinnt sich folgende Unterhaltung:

§ 1190

Sohn: Nenne mir irgend eine Zahl.

§ 1191

Mutter: 79.

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Sohn: Was fällt dir dabei ein?

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Mutter: Ich denke an den schönen Hut, den ich gestern besichtigte.

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Sohn: Was kostete er?

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Mutter: 158 M.

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' Zur Vereiniiwhung babe ich einige nicht minder gut passende Zwischeneinfälle des. Patienten weggelassen.

§ 1197

§ 1198

300 XII. DETERMINISMUS. — ZUFALLS- U. ABERGLAUBEN EPO.

§ 1199

Sohn: Dn haben wir es: 158:2=79. Dir war der Hut zu teuer und du hast gewiß gedacht: ,Wenn er halb soviel kostete, würde ich ihn kaufen}

§ 1200

Gegen diese Ausführungen meines Sohnes erhob ich zunächst den Einwand, daß Damen im allgemeinen nicht besonders rechneten und daß sich auch Mutter gewiß nicht klar gemacht habe, 79 sei die Hälfte von 158. Also setze seine Theorie die immerhin unwahrscheinliche Tatsache voraus, daß das Unterbewußtsein besser rechne als das normale Bewußtsein. ,Durchaus nicht,‘ erhielt ich zur Antwort; ,zugegeben, daß Mut-ter die Rechnung 15812=79 nicht gemacht hat, sie kann aber recht gut diese Gleichung gelegentlich gesehen haben; ja. sie kann im Tmume sich mit dem Hute beschäftigt und dabei sich klar gemacht haben, wie teuer er wäre, wenn er nur die Hälfte kostete.”

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Eine andere Zahlenanalyse entnehme ich Jones (1. c., p. 478). Ein Herr seiner Bekanntsth ließ sich die Zahl 986 einfallen und forderte ihn dann heraus, sie mit irgend etwas, was er sich denke, in Zusammenhang zu bringen. „Die nächste Assoziation der Versuchsperson war die Erinnerung an einen längst verges’senen Scherz. Am heißesten Tage des Jahres vor sechs Jahren hatte eine Zeitung die Notiz gebracht, das Thermometer zeige 9860 Fahrenheit, Offenbar eine groteske Übertreibung von 986, dem wirklichen Thermometerstandl Wir saßen während dieser Unterhaltung vor einem starken Feuer im Kamin, von dem er sich wegrückte, und er bemerkte wahrscheinlich mit Recht, daß die große Hitze ihn auf diese Erinnerung gebracht habe. Ich gab mich aber nicht so leicht zufrieden und verlangte zu wissen, wieso gerade diese Erinnerung bei ihm so fest gehnftet habe. Er erzählte, er habe über diesen Scherz so fürchterlich gelacht und sich jedesmal von

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XII. DETERMINISIIUS. — ZUFALL‘S- U. ABERGLAUBEN ETC. 301

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neuem über ihn amüsiert, so oft er ihm wieder eingefallen sei. Da. ich aber den Scherz nicht besonders gut finden konnte, wurde meine Erwartung eines geheimen Sinnes dahinter nur noch verstärkt. Sein nächster éedanke war; daß die Vorstellung der Wärme ihm immer soviel bedeutet habe. Wärme sei das Wichtigste in der Welt, die Quelle alles Lebens usw. Eine solche Schwärmerei eines sonst recht nüchternen jungen Mannes mußte nachdenklich stimmen; ich hat ihn, mit seinen Assoziationen fortzuishren. Sein nächster Einfall ging auf den Rauchfang einer Fabrik, den er von seinem Schlafzimmer aus sehen konnte. Er pflegte oft des Abends auf den Rauch und das Feuer zu starren, der aus ihm hervorging, und dabei über die beklagenswerte Vergeudung von Energie nachzu— denken. Wärme, Feuer, die Quelle alles Lebens, die Vergeudung von Energie aus einer hohen hohlen Röhre — es war nicht schwer, aus diesen Assoziationen zu ernsten, daß die Vorstellung Wärme und Feuer bei ihm mit der Vorstellung von Liebe verknüpft waren, wie es im symbolischen Denken gewöhnlich ist, und daß ein starker Masturbationskomp'lex seinen Zahleneinfell motiviert habe. Es blieb ihm nichts übrig7 als meine Vermutung zu bestätigen.“

§ 1205

Wer sich von der Art, wie das Material der Zahlen im unbewußten Denken verarbeitet wird, einen guten Eindruck holen will, den verweise ich auf C. G. Jungs Aufsatz „Ein Beitrag zur Kenntnis des Zahlentrames“ (Zentralbl. für Psychoanalyse, l, 1912) und auf einen anderen von E. Jones „Unconsciou's manipulations of numbers“ (ibd. II, 5. 1912).

§ 1206

In eigenen Analysen dieser Art. ist mir zweierlei besonders auffällig: Erstens die geradezu somnambule Sicherheit, mit der ich auf das mir unbekannte Ziel losgehe, mich in einen reehnenden Gedankengang versenke, der dann plötzlich bei

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302 XI]. DETERMINISMUS. —- ZUFALI£- U. ABEBGLAUBEN ETC.

§ 1209

der gesuchten Zahl angelangt ist, und die Raschheit, mit der sich die ganze Nacha.rbeit vollzieht; zweitens aber der Umstand, daß die Zahlen meinem unbewußten Denken so bereitwillig zur Verfügung stehen, während ich ein schlechter Rech— ner bin und die größten Schwierigkeiten habe, mir Jahres— zahlen7 Hausnummern und dergleichen bewußt zu merken. Ich finde übrigens in diesen unbewußten Gedankenoperationen mit. Zahlen eine Neigung zum Abergla.uben, deren. Herkunft mir lange Zeit fremd geblieben ist-’“

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* Herr Rudolf Schneider in München hat eine interessante Einwendung gegen die Beweith solcher Zahlena.nalysen erhoben. (R, Schneider, Zu Freude snalytischer Untersuchung des Znhleneinfnlls. Internet, Zeitschr. für Psychoanalyse, 1920, Heft 1.) Er griff gegebene Zahlen auf, z. B. eine solche, die ihm in einem aufgeschlagenen Geschichtswerke zuerst in die Augen fiel, oder er legte einerenderen Person eine von ihm ausgewählte Zahl vor und sah nun zu1 ob sich auch zu dieser eufgedring’nen Zahl anscheinend determinierende Einfä.lle einstellten. Das war nun wirklich der Fall; in dem einen ihn selbst betreffenden Beispiel, das er mitteilt, ergaben die Einfälle eine ebenso reichliche und sinnvolle Deternninierung wie in unseren Analysen von spontan aufgeta.uchten Zahlen, während doch die Zahl im Versuehe Schneiders als von außen gegeben einer Determinierung nicht bedürfte. In einem zweiten Versuch mit einer. fremden Person machte er sich die Aufgabe offenbar zu leicht, den er gab ihr die Zuhlfl auf, deren Determinierung durch irgend welches Materißl bei jedermann gelingen muß.

§ 1211

R. Schneider schließt nun aus seinen Erfahrungen zweierlei, erstens „das Psychische besitze zu Zahlen dieselben Assoziationsmöglioh« keiten wie zu Begriffen“, zweitens, das Auftauchen determinierender Ein. fälle zu spontanen Zahleneinfiillen beweise nichts für die Herkunft dieser Zahlen aus den in ihrer „Analyse“ gefundenen Gedanken. Die erstere Folgerung ist nun unzweifelhait richtig, Man kann zu einer gegebenen Zahl ebenso leicht etwas Passendes assoziieren wie zu einem zugerufenen Wort, ja. vielleicht noch leichter, da die Verknüpfbarkeit der wenigen Zahlzeichen eine besonders große ist. Man befindet sich dann einfach in der

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§ 1213

xm nmmumrsnus. _ znmus U. ABERGLAUBEN ETC. 303

§ 1214

Es wird uns nicht überraschen zu finden, daß nicht nur Zahlen, sondern auch Worteq'nfälle anderer Art. sich der analytischen Untersuchung regelmäßig als gut determiniert erweisen.

§ 1215

Ein hübsches Beispiel von Herleitung eines ohscdierendeu, d.h. ver-folgenden Wortes findet sich bei J un g (Ding-most. Assoziationestudien, IV, S. 215). „Eine Dame erzählte mir, daß ihr

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Situation des sogenannten Assoziationserpetiments, das von der Bleu— ler-Jungschen Schule nach den mannigfaltigsten Richtungen studiert werden ist. In dieser Situation wird der Einfa.ll (Reaktion) durch das gegebene Wort (Reimort) determiniert. Diese Reaktion könnte aber noch von sehr verschiedener Art sein und. die J ungsuhen Versuche haben gezeigt, daß auch die weitere Unterscheidung nicht dem „Zufall“ überlassen ist, sondern daß unbewußte „Komplesze“ sich an der Determinierung beteiligen, wenn sie durch das Reizwort angerührt worden sind.

§ 1217

Die zweite Folgerung Schneiders geht zu weit. Aus der Tatsache, daß zu gegebenen Zahlen (oder Worten) passende Einfä.lle auftauchen,crgibt sich niehts für die Ableitung spontan auftauchender Zahlen (oder Worte), was nicht schon vor Kenntnis dieser Tatsache in Betracht zu ziehen war. Diese EinfäJle (Worte oder Zahlen) könnten undetetininiett. sein oder durch die Gedanken determiniert, die sich in der Analyse ergeben, oder durch andere Gedanken, die sich in der Analyse nicht verraten haben, in welchem Falle uns die Analyse irregeführt hätte. Man muß sich nur: von den) Eindruck frei machen, daß dies Problem für Zahlen anders liege als für Worteinfälle. Eine kritische Untersuchung des Problems und somit eine Rechtfertigung der psychcnnalytisehen Einfallstechnik liegt nicht, in der Absicht dieses Buches. In der analytischen Praxis geht man von der Voraussetzung aus, daß die zweite der erwähnten Möglichkeiten zutreffend und in der Mehrzahl der Fälle verwertbs.r ist. Die Unter— suchungen eines Experimentalpsyohologen haben gelehrt, daß sie die bei weitem wahrscheinlichste ist. (Poppelreutezz) (Vgl. übrigens hiezu die beachtenawerten Ausführungen Bleulers in seinem Buch: Das autistisch-undisziplinierte Denken usw., 1919, Abschnitt 9: Von den Wahrscheinlichkeiten der psychologischen Erkenntnis.)

§ 1218

§ 1219

304 XII. DE’1‘EBMINISMUS. — ZUFALLS- U. ABEBGLAUBEN ETC. seit einigen Tagen beständig das Wort ,Taganrog‘ im Munde liege, ohne daß sie eine Idee habe, woher das komme. Ich fragte die Dame nach den affektbetonten Ereignissen und verdrängten Wünschen der Jüngstvergangenheit. Nach einigem Zögern er

§ 1220

_ zählte sie mir, daß sie sehr gern einen ,M orgenrcck‘ hätte, ihr Mann aber nicht das gewünschte Interesse dafür habe. ,Morgean : Tag-an-mck‘, man sieht die partielle Sinn- und Klangverwandtscheft. Die Determination der russischen Form kommt daher, da.ß ungefähr zu gleicher Zeit die Dame eine Persönlichkeit aus Taganrog kennen gelernt hatte.“

§ 1221

Dr. E. Hitschmann verdanke ich die Auflösung eines anderen Falles, in dem sich ein Vers wiederholt in einer bestimmten Örtlichkeit als Einfall aufdrängte, ohne daß dessen Herkunft und Beziehungen ersichtlich gewesen wären.

§ 1222

„Erzählung des Dr. jur. E.: Ich fuhr vor sechs Jahren von Biarritz nach San Sebastian. Die Eisenbahnstrecke führt über den Bidassoafluß, der hier die Grenze zwischen Frankreich nnd Spanien bildet. Auf der Brücke hat man einen schönen Blick, auf der einen Seite über ein weites Tal und die Pyrenäen, auf 'der anderen Seite weithin über das Meer. Es war ein schöner, heller Sommertag, alles war erfüllt von Sonne und Licht, ich war auf einer Ferienreise, freute mich nach Spanien zu kommen —— da fielen mir die Verse ein: ,Aber frei ist schon die Seele, schwebet in dem Meer von Licht.‘

§ 1223

Ich erinnere mich, daß ich damals darüber nachdachte, woher diese Verse seien, und mich dessen nicht entsinnen konnte; nach dem Rhythmus mußten die Worte aus einem Gedichte stammen, welches aber meiner Erinnerung vollständig entfallen war. Ich glaube später, da. mit die Verse Wiederholt in den Sinn kamen, noch mehrere Leute danach gefragt zu haben, ohne etwas erfahren zu können.

§ 1224

§ 1225

’ XII. DETEMNISMUS. — ZUFALLS- U. ABERGLAUBEN ETC. 305

§ 1226

Im Vorjahre. fuhr ich, von einer spanischen Reise zurückkehrend, anf derselben Bahnstrecke. Es war stockfinstere Nacht und es regnete. Ich sah zum Fenster hinaus, um zu sehen, ob wir schon in der Grenzsta.tion ankäirnen, und bemerkte, daß wir auf der Bidassoa-briicke waren. Sofort kamen mir die oben angeführten Verse wieder ins Gedächtnis, und wieder konnte ich mich ihrer Herkunft nicht erinnern.

§ 1227

Mehrere Monate nachher kamen mir zu. Hause die Uhland— schen Gedichte in die Hand. Ich öffnete den Band und mein Blick fiel auf die Verse: ,Aber frei ist schon die Seele, schwebet in dem Meer von Licht‘, die den Schluß eines Gedichtes: 7Der Waller‘ bilden. Ich las das Gedicht und erinnerte mich nun ganz dunkel, % einmal vor vielen Jahren gekannt zu haben. Der Schauplatz der Handlung ist in Spanien, und dies schien mir die einzige Beziehung der zitierten Verse zu der von mir beschriebenen Stelle der Eisenbahnstrecke zu bilden. Ich war von meiner Entdeckung nur halb befriedigt und blätterte mechanisch in dern Buche weiter. Die Verse ,Aber frei ist schon usw.‘ standen als die letzten auf einer Seite. Beim Umblättern fand ich auf der nächsten Seite ein Gedicht mit der Überschrift: ,Die Bidassoabrücke.‘

§ 1228

Ich hemerke noch, daß mir der Inhalt dieses letzteren Ge— dichtes fast noch fremder schien als der des ersten, und daß seine ersten Verse lauten: ,Auf der Bidassoa,brücke steht ein Heiliger altersgrau, segnet rechts die span’schen Berge, segnet links den fränk'schen Gau.”

§ 1229

II. Diese Einsicht in die Deterrninierung scheinbar willkürlich gewählter Namen und Zahlen kann vielleicht zur Klärung eines anderen Problems beitragen. Gegen die Annahme. eines durchgehenden psychischen Determinismus berufen sich bekanntlich viele Personen auf ein besonderes Überzeugunge

§ 1230

Freud, P.yuhop.iholo.iu del Alltlglhblfll. vn. mi. 20

§ 1231

§ 1232

305 xn. nnrnnmmsnvs. _ ZUFALLS- U. mnmmunnu nm

§ 1233

gefühl fiir die Existenz eines freien Willens. Dieses Überzeugungsgefiihl besteht und weicht auch dem Glauben an den Det.crminismus nicht. Es muß wie alle normalen Gefühle durch irgend etwas berechtigt sein. Es äußert sich aber, soviel ich beobachten kann, nicht bei den großen und wichtigen Willensentscheidungen; bei diesen Gelegenheiten hat man vielmehr die Empfindung des- psychischen Zwanges und beruft sich gern auf sie („Hier stehe ich, ich kann nicht. anders“). Hingegen möchte man gerade bei den belanglosen, indifferenten Entschließungcn versichern, daß man ebensowohl anders hätte handeln können, daß man aus freiem, nicht motiviertem Willen gehandelt hat. Nach unseren Analysen braucht man nun das Recht des Überzeugungsgefühles vom freien Willen nicht zu bestreiten. Führt; man die Unterscheidung der Motivierung aus dem Bewußten von der Motivierung aus dem Unbewußten ein, so berichtet uns das Uberzeiigungsgefühl, daß die bewußtc Motiviemng sich nicht auf alle unsere motorischen Entscheidungen erstreckt Minima, non cum-t praetor, Was aber so von der einen Seite frei gelassen wird, das empfängt seine Motivierung von anderer Seite, aus dem Unbevmßten, und so ist die Determinierung im Psychischcn doch lückenlos durchgeführt *.

§ 1234

* Diese Anschauungen über die strenge Determiuierung anscheinend willkürlicher psychischer Aktionen haben bereits reiche Früchte für die Psychologie — vielleicht auch für die Rechtspflege —« getragen. Bleuler und Jung haben in diesem Sinne die Reaktionen beim sogenannten Assoziationsexperimenb verständlich gemacht, bei dem die untersuchte Person auf ein ihr zugerufenes Wort mit einem ihr dazu einfallenden antwortet (Reizwort-Renkiinn), und die dabei vorleui'ene Zeit gemessen wird (Reaktionszeit) J ung hm; in seinen „Diagnostischen Assoziationsstudien

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1906" gezeigt, welch feines Reagens fiir psychische Zustände wir in dem so gedeuteten Assoziatinnsexperiment besitzen. Zwei Schüler des Straf

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§ 1237

XII. DETERMINISMUS. — ZUFALLSv U. ABERGLAUBEN ETC. 307

§ 1238

III. Wenngleich dem bewußten Denken die Kenntnis von der Motivierung der besprochenen Fehllcistungen naeh der ganzen Sachlage abgeben muß, so wäre es doch erwünscht-, einen psychologischen Beweis für deren Existenz anfzufinden; ja. es ist aus Gründen, die sich bei näherer Kenntnis des Unbew-ußten ergeben, wahrscheinlich, daß solche BeWeise irgend— wo auffindhar sind. Es lassen sich wirklich auf zwei Gebieten Phänomene nachweisen, welche einer unbewußben und darum verschobenen Kenntnis von dieser Mctivierung'zu entsprechen scheinen:

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a) Es ist ein anffälliger und allgemein bemerkter Zug im Verhalten der Pamnoiker, daß sie den kleinen, sonst von uns vernachlässigten Details im Benehmen der anderen die größte Bedeutung beilegen, dieselben a.usdeuten und zur Grundlage \\‘eitgehender Schlüsse machen. Der letzte Paranoiker z. B., den ich gesehen habe, schloß auf ein allgemeines Einve'rständnis in seiner Umgebung, weil die Leute bei seiner Abreise auf dem Bahnhof eine gewisse Bewegung mit der einen Hand gemacht hatten. Ein anderer hat; die Art notiert, wie die leute auf der Straße gehen, mit den Spazierstöcken fuchteln u. dgl,*.

§ 1240

Die Kategorie des Zufälligen, der Motivierung nicht Bediirftigen, welche der Normale für einen Teil seiner eigenen psychischen Leistungen und Fehlleistungen gelten Läßt„ verwirft der Parnnoiker also in der Anwendung auf die psychi—

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rechtslchters 11 Groß in Prag, Wertheimer und Klein, haben aus diesen Experimenten eine Technik zur „Tatbeslzands- Diagnostik“ in straf

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rechtlichen Fällen entwickelt, deren Prüfung gegenwärtig Psychologen und Juristen beschäftigt.

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" Von anderen Gesichtspunkten ausgehend, hat man diese Benfteilung unwesentlicher und zufälliger Äußerungen bei anderen zum ,Be7iehungswahn“ gerechnet.

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20‘

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308 XI]. DETERKHNISMUS. — ZUFALIS- U. ABERGLAUBEN ETC. schen Äußerungen der anderen. Alles, was er an den anderen bemerkt, ist bedeutungsvoll, alles ist deutba.r. Wie kommt er nur dazu? Er projiziert wahrscheinlich in das Seelenleben der anderen7 was im eigenen unbewußt vorhanden ist, hier wie in so vielen ähnlichen Fällen. In der Paranoia. drängt sich eben so vielerlei zum Bewußtsein durch, was wir bei Normalen und Neurotikern erst durch die Psychoanalyse als im Unbewußten vorhanden nachweisen*. Der Paranoiker hat also hierin in gewissem Sinne Recht, er erkennt etwas, was dem Normalen entgeht, er sieht schärfer als das normale Denkvermögen, aber die Verschiebung des so erkannten Sachverhaltes auf andere macht seine Erkenntnis wertlos, Die Rechtfertigung der einzelnen paranoischen Deutungen wird man dann hoffentlich von mir nicht erwarten. Das Stück Berechtigung aber, welches wir der Paranoia. bei dieser Auffassung der Zufallshandlungen zugestehen, wird uns das psychologische Verständnis der Überzeugung erleichtern, welche sich beim Paranoiker an alle diese Deutungen geknüpft hat. Es ist eben etwas Wahres daran; auch unsere nicht als krankha.ft zu bezeichnenden Urteilsirrtümer erwerben das ihnen zugehörige Uberzeugungsgefühl auf keine andere Art. Dies Gefühl ist fiir ein gewisses Stück des irrtümlichen Gedankenganges oder für die Quelle, aus der er stammt, berechtigt und wird dann von uns auf den übrigen Zusammenhang ausgedehnt.

§ 1247

b) Ein anderer Hinweis auf die unbewußte und verschobene

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* Die durch Analyse bewußt zu machenden Phantasien der Hysteriker von sexuellen und grausamen Mißhandlnngen decken sich z.B. gelegentlich bis ins Einzelne mit den Klagen vorfolgtcr Paranoiker. Es ist bemerkenswert, aber nicht unverständlich, wenn der identische Inhalt uns auch als Realität in den Veranstaltungen Perverser zur Befriedigung ihrer Gelüste entgegentritt.

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§ 1250

XII. DETEBWNISHUS. — ZUFALLS- U. ABERGLAUBEN ETC. 309

§ 1251

Kenntnis der Motivierung bei Zufalls- und Fehlleistungen findet sich in den Phänomenen des Aberglaubens. Ich will meine Mei. nung durch die Diskussion des kleinen Erlebnissen klarlegen, welches für mich der Ausgangsth dieser Überlegungen war. Von den Ferien zurückgekehrt, richten sich meine Gedanken alsbald auf die Kranken, die mich in dem neu beginnenden Arbeitsjahre beschäftigen sollen. Mein erster Weg gilt einer sehr alten Dame, bei der ich (siehe oben) seit Jahren die nämlichen ärztlichen Manipulationen zweimal täglich vornehme. Wegen dieser Gleichförmigkeit haben sich unbewußtc Gedanken sehr häufig auf dem Wege zu der Kranken und wäh rend der Beschäftigung mit ihr Ausdruck verschafft. - Sie ist über 90 Jahre alt; es liegt also nahe, sich bei Beginn eines jeden Jahres zu fragen, wie lange sie wohl noch zu leben hat. An dem Tage, wovon ich erzähle, habe ich Eile, nehme also einen Wagen, der mich vor ihr Haus führen 9011. Jeder der Kutscher auf dem Wagenstandpla.tz vor meinem Hause kennt die Adresse der alten Frau, den jeder hat mich schon oftmals dahin geführt. Heute ereignete & sich nun, daß der Kutscher nicht vor ihrem Hanse, sondern vor dem gleichbezifferten in einer nahegelegenen und wirklich ähnlich aussehenden Parallelstra.ßc Halt macht. Ich merke den Irrtum und werfe ihn dem Kutscher vor, der sich entschuldigt. Hat das nun etwas zu bedeuten, da-ß ich vor ein Haus geführt werde, in dem ich die alte Dame nicht vorfinde'l Für mich gewiß nicht, aber wenn ich abergläubisch wäre, würde ich in dieser Begebenheit ein Vorzeichen erblicken, einen Fingerzeig des Schicksale, daß dies Jahr das letzte für die alte Frau sein wird. Recht viele Vorzeichen, welche die Geschichte aufbewahrt hat, sind in keiner besseren Symbolik begründet gewesen. Ich erkläre allerdings den Vorfall für eine Zufälligkeit ohne weiteren Sinn.

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§ 1253

310 XI]. DETERMINISMUS. — ZUFALLS- U. ABERGLAUBEN ETC.

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Ganz anders läge der Fall, wenn ich den Weg zu Fuß gemacht und dann in „Gedanken“, in der „Zerstreutheit“ vor des Hans der Parallelstraße a‘nstatt vers richtige gekommen wäre Das Würde ich für keinen Zufall erklären, sondern für eine der Deutung bedürftige Handlungmit unbewußter Absicht. Diesem „Vergehen“ müßte ich wahrscheinlich die Deutung geben, daß ich die alte Dame bald nicht mehr anzutreffen erwarte,

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Ich unterscheide mich also von einem Abergläubischen in folgendem:

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Ich glaube nicht, daß ein Ereignis, an dessen Zustandekommen mein Seelenleben unbeteiligt ist, mir etwas Verborgenes über die zukünftige Gestaltung der Realität lehren kann; ich glaube aber, daß eine unbeabsiehtigte Äußerung meiner eigenen Seelentätigkeit mir allerdings etwas Verborgenes enthüllt, was wiederum nur meinem Seelenleben angehört; ich glaube zwar an äußeren (realen) Zufall, aber nicht an innere (psychische) Zufälligkeit. Der Aberglä.ubische umgekehrt: er weiß nichts von der Motivierung seiner zufälligen Handlungen und Fehlleistungen, er glaubt, daß es psychische Zufälligkeiten gibt; dafür ist er geneigt, dem äußeren Zufall eine Bedeutung zuzuschreibeu, die sich im realen Geschehen äußern wird, im Zufall ein Ausdrucksmittel für etwas draußen ihm Verborgenes zu sehen. Die Unterschiede zwischen mir und dem Aberglä,ubischen sind zwei: erstens projiziert er eine Motivierung nach außen, die ich innen suche; zweitens deutet er den Zufall durch ein Geschehen, den ich auf einen Gedanken zurückführe. Aber das Verborgene bei ihm entspricht dem Unbewußten bei mir, und der Zwang, den Zufall nicht als Zufall gelten zu lassen, sondern ihn zu deuten, ist uns beiden gemeinsam.

§ 1257

Ich nehme nun an, daß diese bewußte Unkenntnis und unbewußte Kenntnis von der Motivierung der psychischen Zu—

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XII. DETERMINISMUS. —_ ZUFALLS- U. ABERGLAU'BEN ETC. 311

§ 1260

fälligkeitcn eine der psychischen Wurzeln des Abcrglaubens ist. Weil der Abergläubische von der Motivierung der eigenen zufälligen Handlungen nichts weiß, und weil die, Tatsache dieser Motivierung nach einem Platze in seiner Anerkennung drängt, ist er genötigt, sie durch Verschiebung in der Außenwelt unterzubringen. Besteht ein solcher Zusammenhang, so wird er kaum auf diesen einzelnen Fall beschränkt sein. Ich glaube in der Tat, daß ein großes Stück der mythologis'chen Weltanffa.ssu.ng, die weit bis in die modernsten Religionen hinein reicht, nichts anderes ist als in die Außenwelt prcjizierte Psychologie. Die dunkle Erkenntnis (sozusagen: endopsychische Wahrnehmung) psychischer Faktoren und Verhältnisse" des Unbewußten spiegelt sich — es ist schwer, es anders zu sagen, die Analogie mit der Paranoia muß hier zu Hilfe genommen werden — in der Konstruktion einer übersinnlichen Realität, welche von der Wissenschaft in Psychologie des Unbewnßten zurückveiwa.ndelt werden 8011. Man könnte sich getiauen, die Mythen vom Paradies und Sündenfall, von Gott, vom Guten und Bösen, von der Unsterblichkeit u. dgl. in solcher Weise aufzulösen, die Metaphysik in Metapsychologie umzusetzen. Die Kluft zwischen der Verschiebung des Paranoikers und der des Aber'gläubischen ist minder groß, als sie auf den ersten Blick erscheint. Als die Menschen zu denken begannen, waren sie bekanntlich genötigt, die Außenwelt anthropomorphisch in eine Vielheit von Persönlichkeiten nach ihrem Gleichnis aufzulösen; die Zufälligkeiten, die sie abergläubisch deuteten, waren also Handlungen, Äußerungen von Personen, und sie haben sich demnach genau so benommen wie die Paranoiker, welche aus den unscheinba.ren Anzeichen, die ihnen die nnderen geben,

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' Die natürlich nichts vom Charakter einer Erkenntnis hat.

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312 XII, DETERMINISMUS. — ZUFALLS- U. ABEEGLAUBEN ETC_

§ 1264

Schlüsse ziehen, und wie die Gesunden alle, Welche mit. Recht ' die zufälligen und nnbea-bsichtigten Handlungen ihrer Neben— mensch‘en zur Grundlage der Schätzung ihres Charakters machen. Der Aberglaube erscheint nur so sehr depla.ciert in unserer modernen, naturwissenschaftlichen, aber noch keines— wegs abgerundeten Weltanschauung; in der Weltanschauung vorwissiens‘chaftlicher Zeiten und Völker war er berechtigt und konsequent.

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Der Römer, der eine wichtige Unternehmung aufgab, wenn ihm ein widriger Vogelflug begegnete, war also relativ im Recht; er handelte konsequent nach seinen Voraussetzungen. Wenn er aber von der Unternehmung absta.nd, weil er an der Schwelle seiner Tür gestolpert war („Un Romain rettmrnera.it“), so war er uns Unglänbigen auch absolut überlegen, ein besserer Seelenkundiger, als wir uns zu sein bemühen. Denn dieses Stolpern mußte ihm die Existenz eines Zweifels, einer Gegenströmung in seinem Innern beweisen, deren Kraft sich im Moment der Ausführung von der Kraft seiner Intention abziehen konnte. Des vollen Erfolges ist man nämlich nur dann sicher, wenn alle Seelenkräfte einig dem gewünschten Ziel ent— gegenstreben. Wie antwortet S chill ers Tell, der so lange geza-udert, den Apfel vom Haupte seines Knaben zu schießen, auf die Frage des Vogts, wozu er den zweiten Pfeil eingesteckt?

§ 1266

„Mit diesem Pfeil durchbohrt’ ich — Euch, wenn ich mein liebes Kind getroffen hätte, Und Euer —— wahrlich — hätt’ ich nicht gefehlt.“

§ 1267

IV. Wer die Gelegenheit gehabt hat, die verborgenen. Seelenregungen der Menschen mit dem Mittel der Psycheanalyse zu studieren,. der kann auch über die Qualität der unbewußten Motive, die sich im Abergla.uben ausdrücken, einiges

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xn. nmmnmmus. _ znrsnns- U. ABERGLAUBEN mc. 313

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Neue sagen. Am deutlichsten erkennt man bei den oft sehr intelligenten, mit Zwangsdenken und Zwangszuständen behafteten Nervösen, daß der Aberglaube aus unterdrückten feindseligen und grausamen Regungen hervorgeht. Aberglaube ist zum großen Teile Unheilserwartung, und wer anderen häufig Böses gewünscht, aber infolge der Erziehung zur Güte solche Wünsche ins Unbewußte verdrängt hat, dem wird es besonders nahe liegen, die Strafe für solches unbewußte Böse als ein ihm drohendes Unheil von außen zu erwarten.

§ 1271

Wenn wir zugeben, daß wir die Psychologie des Aber— gleubens mit diesen Bemerkungen keineswegs erschöpft haben, so werden wir auf der anderen Seite die Frage wenigstens streifen müssen, ob denn reale Wurzeln des Aberglanbens durchaus zu bestreiten seien, ob es gewiß keine Ahnungen, pro— phetische Träume, telepathische Erfahrungen, Äußerungen übersinnlicher Kräfte-u. dgl. gebe. Ich bin nun weit davon entfernt, diese Phänomene überall so kurzer Hand aburteilen zu wollen, über welche so viele eingehende Beobachtungen selbst intellektuell hervorragender Männer vorliegen, und die am besten die Objekte weiterer Untersuchungen bilden sollen. Es ist dann sogar zu hoffen, daß ein Teil dieser Beobachtungen durch unsere beginnende Erkenntnis der unbewußten seelischen Vorgänge zur Aufklärung gelangen wird, ohne uns zu grund— stürzenden Abänderungen unserer heutigen Anschauungen zu nötigen. Wenn noch andere, wie z. B. die von den Spiritisten behaupteten Phänomene, erweisbar werden sollten, so werden wir eben die von der neuen Erfahrung geforderten Modifikw tionen unserer „Gesetze" vornehmen, ohne an dem Zusammen— hang der Dinge in der Welt irre zu werden.

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Im Rahmen dieser Auseinandersetzungen kann ich die nun aufgewerfenen Fragen nicht anders als subjektiv, d. i. nach

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314 im. DETERMINISMUS. — ZUFALI.S- U. ABEHGLAUBEN mc.

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meiner persönlichen Erfahrung, beantworten. Ich muß leider bekennen, daß ich zu jenen unwürdigen Individuen “gehöre, vor denen die Geister ihre Tätigkeit einstellen und das Übersinuliche entweicht, so daß ich niemals in die Lage gekommen bin, selbst etwas zum Wundergla.uben Anregendes zu erleben. Ich habe wie alle Menschen Ahnungen gehabt und Unheil erfahren, aber die beiden wichen einander aus, so daß auf die Ahnungen nichts folgte, und das Unheil unangekiindigt über mich km. Zur Zeit, als ich, ein. junger Mann, allein in einer fremden Stadt lebte, habe ich oft genug meinen Namen plötzlich von einer _unvei'kennbaren, teuren Stimme rufen hören, und mir dann den Zeitmoment der Halluzination notiert, um mich besorgt bei den Daheimgebliebenen zu erkundigen, was um jene Zeit vorgefallen. Es war nichts. Zum Ersatz dafür habe ich später ungerührt und ahnungslos mit meinen Kranken gearbeitet, wä.hrend mein Kind einer Verblutung zu erliegen drohte. Es hat auch keine der Ahnungen, von denen mir Pa— tienten berichtet haben, meine Anerkennung als reales Phänomen erwerben können.

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Der Glaube an prophetische Träume zählt viele Anhänger, weil er sich darauf stützen kann, daß manches sich wirklich in der Zukunft so gestaltet, wie es der Wunsch im Traume vorher konstruiert hat. Allein daran ist wenig zu verwundern, und zwischen dem Traum und der Erfüllung lassen sich in der Regel noch weitgehende Abweichungen nachweisen, welehe die Gläubigkeit der Träumer zu vernachlässigen liebt. Ein schönes Beispiel eines mit Recht prophetisch zu nennenden Tranmes bot mir einmal eine intelligente und wahrheitsliebende Patientin zur genauen Analyse. Sie erzählte, daß sie einmal geträumt, sie treffe ihren früheren Freund und Hausarzt vor einem bestimmten Laden einer gewissen Straße, und als sie

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XII. DMERMINISMUS. — ZUFAUÄ* U. ABERGLAUBEN ETC. 315

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am nächsten Morgen in die innere Stadt ging, traf sie ihn wirk— lich an der im Traume* genannten Stelle. Ich bemerke, daß dieses wunderbare Zusammentreffen seine Bedeutung durch kein nachfolgendes Erlebnis erwies, also nicht aus dem Zukiiuftigen zu rechtfertigen war.

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Das sorgfältige Examen stellte fest, daß kein Beweis dafür vorliege, die Dame habe den Traum bereits am Morgen nach der ‘l‘raumnaeht, also vor dem Spaziergang und. der.Begegnung erinnert. Sie konnte nichts gegen eine Darstellung des Sachverhaltes einwenden, die der Begebenheit alles Wunderbare nimmt und nur ein interessantes psychologisches Problem übrig läßt. Sie ist eines Vormittags durch die gewisse Straße gegangen, hat vor dem einen Laden ihren alten Hausarzt begegnet und nun bei seinem Anblick die Überzeugung bekommen, (laß sie die letzte Nacht von diesem Zusammentreffen an der nämlichen Stelle geträumt habe. Die Analyse konnte dann mit großer Wahrscheinlichkeit andeuten, wie sie zu dieser Überzeugung gekommen war, welcher man ja. nach allgemeinen Regeln ein gewisses Anrecht auf Glaubwürdigkeit nicht versaan darf. Ein Zusammentreffen am bestimmten Orte nach vorheriger Erwartung, das ist ja der Tatbestand'eines Rendezvous, Der alte Hausarzt rief die Erinnerung an alte Zeiten in ihr wach, in denen Zusammenkiinfte mit einer dritten, auch dem Arzt befreundeten Person für sie bedeutungsvoll gewesen waren. Mit diesem Herrn war sie seitdem in Verkehr geblieben und hatte am Tage vor dem angeblichen Traum vergeblich auf ihn gewartet. Könnte ich die hier vorliegenden Beziehungen ausführlicher mitteilen, so wäre es mir leicht zu zeigen, daß die Illusion des prophetischen Traumes beim Anblick des Freundes aus früherer Zeit äquivalent ist; etwa folgender Rede: „Ach, Herr Doktor, Sie erinnern mich jetzt

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316 XII. DETERMINISMUS. — ZUFALLS- U. ABERGLAUBEN ETC.

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an vergangene Zeiten, in denen ich niemals vergeblich auf N. zu warten brauchte, wenn wir eine Zusammenkunft bestellt hatten.“

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Von jenem bekanan „merkwürdigen Zusammentreffen“, daß man einer Person begegnet, mit welcher man sich gerade in Gedanken beschäftigt hat, habe ich bei mir selbst ein einfaches und leicht zu deutendes Beispiel beobachtet, welches wahr— scheinlich ein gutes Vorbild für ähnliche Vorfälle ist. Wenige Tage, nachdem mir der Titel eines Professors verliehen werden war, der in monarchisch eingerichteten Staaten selbst viel Autorität verleiht, lenkten während eines Spaziergangcsdurch die innere Stadt meine Gedanken‘plötzlich‘ in eine kindischc Rachephanta.sie ein, die sich gegen ein gewisses Eltempaa,r richtete. Diese hatten mich einige Monate vorher zu ihrem Töchterchen gerufen, bei dem sich eine interessante Zwangserscheinung im Anschluß an einen Traum eingestellt hatte Ich brachte dem Falle, dessen Genese ich zu durchschauen glaubte, ein großes Interesse entgegen; meine Behandlung wurde aber von den Eltern abgelehnt und mir zu verstehen gegeben, daß man sich an eine ausländische Autorität, die mittels Hypnotismus heile, zu wenden gedenkc. Ich phantasierte nun, daß die Eltern nach dem völligen Mißglücken dieses Versuches mich bäten, mit meiner Behandlung einzusetzen, sie hätten jetzt volles Vertrauen zu mit usw. Ich aber antwortete: Ja, jetzt, nachdem ich auch Professor geworden bin, haben Sie Vertrauen. Der Titel hat an meinen Fähigkeiten weiter nichts geändert; wenn Sie mich als Dozenten nicht brauchen konnten, können Sie mich auch als Professor ent— behren, — An dieser Stelle wurde meine Phantasie durch den lauten Gruß „Habe die Ehre, Herr Professor“ unterbrochen, und als ich aufschaute, ging das nämliche Elternpaa.r an mir

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Xll. DETERMINIBMUS. —« ZUFAI..LS— U. ABERGLAUBEN ETC. 317

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vorüber, an dem ich soeben duch die Abweisung ihres Anerbietens Rache genommen hatte. Die nächste Überlegung zerstörte den Anschein des Wunderbaxen. Ich ging auf einer geraden und breiten, fast menschenleeren Straße jenem Paar entgegen, hatte bei einem flüchtigen Aufschanen, vielleicht zwanzig Schritte von ihnen entfernt, ihre stattlichcn Persönlichkeiten erblickt und erkennt, diese Wahrnehmung aber —— nach dem Muster einer negativen Hallnzina.tion — aus jenen Gefühlsmotiven beseitigt, die sich dann in der anscheinend spontan anftauchenden Phantasie zur Geltung brachten. Eine andere „Auflösung einer scheinbaren Vorahnung“ berichte ich nach Otto Rank (Zentralbl. f.Psychoanal., II, 5): „Vor einiger Zeit erlebte ich selbst eine seltsame Variation jenes ,merkwürdigen Zusammentreffens‘, wobei man einer Per— son begegnet, mit welcher man sich gerade in Gedanken beschäftigt hat (Alltag, 2, S. 120). Ich gehe unmittelbar vor Weihnachten in die Österreichisch-Ungarische Bank, um mir zehn neue Silberkronen zu Geschenkzwecken einznwechseln. In ehrgeizigen Phantasien versnnken, die an den Gegensatz meiner geringen Barscha,ft zu den im Bankgebändc nufgestapelten Geldmassen anknüpfen, biege ich in äie schmale Bankgasse ein, wo die Bank gelegen ist. Vor dem Tor sehe ich ein Automobil stehen und viele Leute a.ns- und eingehen. Ich denke mir, die Beamten werden gerade für meine paar Kronen Zeit haben; ich werde es jedenfalls rasch abmachen, die zu wechselnde Geldnote hinlegen und sagen: Bitte,_ geben Sie mir Gold! — Sog]eich bemerke ich meinen Irrtum _ ich sollte ja. Silber verlangen — und erwache aus meinen Phantasien. Ich befinde mich nur noch wenige Schritte vom Eingang ent— fernt und sehe einen jungen Mann mir entgegenkommen, der mir bekannt vorkommt, den ich jedoch wegen meiner Kurz—

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318 XII. DETERMINISMUS. — ZUFALLS- U. ABERGLAUBEN ETC.

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sichtigkeit noch nicht mit Sicherheit zu erkennen vermag. Wie er näher kommt, erkenne ich in ihm einen Schulkollegen meines Bruders, namens Gold, von dessen Bruder, einem bekannten Schriftsteller, ich zu Beginn meiner literarischen Laufbahn weitgehende Förderung erwartet hatte. Sie blieb jedoch aus und mit ihr auch der erhoffte materielle Erfolg, mit dem sich meine Phantasie auf dem Wege zur Bank beschäftigt hatte. Ich muß also, in meine Phantasien versunken, des Herannahen des Herrn Gold. unbewnßt apperzipiert haben, was sich meinem von materiellen Erfolgen träumenden Bewußtsein in der Form darstellte, daß ich beschloß, am Kassenschalter Gold —— statt des minderwertigen Silbers — zu verlangen. Anderseits scheint aber auch die paradoxe Tatsache, daß mein Un- ' bcwußtes ein. Objekt wahrzunehmen im stande ist, welches meinem Auge erst später erkennbar wird, zum Teil aus der Komplexbereitschaft (Bleuler) erklärlich, die ja. aufs Materielle eingestellt war und meine Schritte gegen mein besseres Wissen von Anfang an nach jenem Gebäude gelenkt hatte, wo nur die Gold— und Papiergeldverwechslung stattfindet.“

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In die Kategorie des Wunderbamen und Unheimlichen gehört anch jene eigentiimliche Empfindung, die man in manchen Momenten und Situationen verspürt, als ob man genau das nämliehe schon einmal erlebt hätte, sich in derselben Lage schon einmal befunden hätte, ohne daß es je dem Bemühen gelingt, das frühere, das sich so anzeigt, deutlich zu erinnern.] Ich weiß, daß ich bloß dem lockeren Sprachgebrauch folge, wenn ich das, was sich in solchen Momenten in einem regt, eine Empfindung heiße; es handelt sich wohl um ein Urteil, und zwar ein Erkennungsurteil, aber diese Fälle haben doch ,einen ganz eigentürnlichen Charakter, und daß man sich niemals an das Gesuchte erinnert, darf nicht beiseite gelassen

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xu. DETEBMINIBMUB, —- ZUFALLS- U. ABERGLAUBEN ETC. 319

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werden. Ich weiß nicht, ob dies Phänomen des „Déjä„ vu“ im Ernst zum Erweis’ einer früheren psychischen Existenz des Einzelwesens herangezogen werden ist; wohl aber haben die Psychologen ihm ihr Interesse zugewandet und die Lösung des Rätsels auf den mannigfaltigsten spekulativen Wegen angestrebt. Keiner der beigebrgxzhten Erklärungeversuche scheint mit richtig zu sein, weil in keinem etwas anderes als die Be— gleiterscheinungen und. begünstigenden Bedingungen des Phänomens in Betracht gezogen wird. Jene psychischen Vorgänge, welche nach meinen Beobachtungen allein für die Erklärung des „Déjä vu“ verantwortlich sind, die unbewußteu. Phantasien nämlich, werden ja heute noch von den Psychologen allgemein vernachlässigt.

§ 1295

Ich meine, man tut Unrecht, die Empfindung des schon einmal Erlebtha,bens als eine Illusion zu bezeichnen. Es wird vielmehr in solchen Momenten Wirklich an etwas gel'iihrt, was man bereits einmal erlebt hat, nur kann dies letztere nicht bewußt erinnert werden, weil es niemals bewußt war. Die Empfindung des „Déjä. vu“ entspricht, kurz gesagt, der Erinnerung an eine unbewußte Phantasie. Es gibt unbewußte Phantasien (oder Tagträume), wie es bewußte solche Schöpfungen gibt, die ein jeder aus. seiner eigenen Erfahrung kennt.

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Ich weiß, daß der Gegenstand der eingehendsten Behandlung würdig Wäre, will aber hier nur die Analyse eines einzigen Falles von „Dein. vu“ anführen, in dem sich die Empfindung durch besondere Intensität und Ausdauer auszeichnetc. Eine jetzt 37jä,hrige Dame behauptet, daß sie sich aufs schärfste erinnere, im Alter von zwölfeinha.lb Jahren habe sie einen ersten Besuch bei Schulfreundinnen auf dem Lande gemacht, und als sie in den Garten eintraft, sofort die‘ Empfindung gehabt, hier sei sie schon einmal gewesen; diese Empfindung

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320 XIL DETEBMINISMUS. —— ZUFALLS- U. ABERGLAUBEN ETC.

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habe sich, als sie die Wohnräume betret, wiederholt, so daß sie vorher zu wissen glaubte, welcher Raum der nächste sein würde, welche Aussicht man von ihm aus haben werde usw. Es ist aber ganz ausgeschlossen und durch ihre Erkundigung bei den Eltern widerlegt, daß dieses Bekanntheitsgcfühl in einem früheren Besuch des Hauses und Gartens, etwa. in ihrer ersten Kindheit, seine Quelle haben könnte. Die Dame, die das berichtete, suchte nach keiner psychologischen Erklärung, sondern sah in dem Auftreten dieser Empfindung einen prophetischen Hinweis auf die Bedeutung, welche eben diese Freundinnen später für ihr Gefiihlsleben gewannen. Die Erwägung der Umstände, unter denen das Phänomen bei ihr auftrat, zeigt uns aber den Weg zu einer anderen Auffassung. Als sie den Besuch unternahm, wußte sie, daß diese Mädchen einen ein— zigen, schwerkranken Bruder hatten. Sie bekam ihn bei dem Besuch auch zu Gesichte, fand ihn sehr schlecht a,nssehend und dachte sich, (laß er bald sterben werde. Nun war ihr eigener einziger Bruder einige Monate vorher an Diphtherie gefährlich erkrankt gewesen; während seiner Krankheit hatte sie vom Elternhause entfernt wochenlang bei einer Verwandten ge— wohnt. Sie glaubt, daß der Bruder diesen Landbesuch mitmachte, meint sogar, es sei sein erster größerer Ausflug nach der Krankheit gewesen; doch ist ihre Erinnerung in diesen Punkten merkwürdig unbestimmt, während alle anderen De— tails, und besonders das Kleid, das sie an jenem Tag trug, ihr über-deutlich vor Augen stehen. Dem Kundigen wird es nicht schwer fallen, aus diesen Anzeichen zu schließen, daß die Erwartung, ihr Bruder werde sterben, bei dem Mädchen damals eine große Rolle gespielt hatte und entweder nie bewußt geworden oder nach dem glücklichen Ausgang der Krankheit energischer Verdrängung verfallen war. Im anderen Falle

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m. DETERMINISMUS. — ZUFALLS- U. ABERGLAUBEN ETC. 321

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hätte sie ein anderes Kleid, nämlich Trauerkleidung, tragen müssen. Bei den Freundinnen fand sie nun die analoge Situation vor, den einzigen Bruder in Gefahr bald zu sterben, wie es auch kurz darauf wirklich eintraf. Sie hätte bewußt erinnern sollen, daß sie dieser Situation vor wenigen Monat'en selbst durchlebt hatte; anstatt dies zu erinnern, was durch die Verdrängung verhindert war, übertrug sie das Erinnerungegefühl auf die Lokalitäten, Garten und Haus, und. verfiel der „fansse reeonnaissance“, daß sie das alles genau ebenso schon einmal gesehen habe; Aus der Tatsache der Verdrängung dürfen wir schließen, daß die seinerzeitige Erwartung, ihr Bruder werde sterben, nicht weit entfernt vom Charakter einer Wunschphantasie gewesen war. Sie wäre dann das einzige Kind geblieben. In ihrer späteren Neurose litt sie in intensivster Weise unter der Angst, ihre Eltern zu verlieren, hinter welcher die Analyse wie gewöhnlich den unbewußten Wunsch des gleichen Inhalts aufdecken konnte. '

§ 1303

Meine eigenen flüchtigen Erlebnisse von „Déjä vu“ habe ich mit in ähnlicher Weise aus der Gefühlskonstellation des Moments ableiten können. „Das wäre wieder ein Anlaß, jene (unbewußte und unbekannte) Phantasie zu wecken, die sich damals und damals als Wunsch zur Verbesserung der Situa. tion in mir gebildet hat“*.

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V. Als ich unlängst Gelegenheit hatte, einem philosophisch

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' Diese Erklärung des „Déjä vu" ist bisher nur von einem einzigen Beobachter gewürdigt werden. Dr. Ferenc“, dem die dritte Auflage dieses Buches so viel wertvolle Beiträge verdankt, schreibt mir hierüber: „Ich habe mich sowohl bei mir als auch bei anderen davon überzeugt, daß das unerklärliehe Bekanntheitsgefiihl auf nnbewu'ßte Phantasien zurückzuführen ist, an die man in einer aktuellen Situation unbewuflt erinnert wird. Bei einem meiner Patienten ging es anscheinend anders,

§ 1306

hend, Pnyclmplllmlo.ie un Allluglleh6nl, vu. Aufl. °1

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§ 1308

329 XII. DETERHIN'IBMUS. — ZUFALIB- U. ABERGLAUBEN ETC. gebildeten Kollegen einige Beispiele von Namenvel'gessen mit Analyse vorzutragen, beeilte er sich zu erwidern: Das ist sehr schön, aber bei mir geht das Namenverges‘sen anders zu. So leicht darf man es sich offenbar nicht machen; ich glaube nicht, daß mein Kollege je vorher an eine Analyse bei Namenvergessen gedacht hatte; er konnte auch nicht sagen, wie

§ 1309

. anders es bei ihm zugehe. Aber seine Bemerkung berührt doch ein Problem, welches viele in den Vordergan zu stellen ge— neigt sein werden. Trifft die hier gegebene Auflösung der Fehl- und. Zufallshandlungen allgemein zu oder nur vereinzelt, und wenn letzteres, welches sind die Bedingungen, unter denen sie zur Erklärung der auch anderswie ermöglichten Phänomene herangezogen werden darf '! Bei der Beantwortung dieser Frage lassen mich meine Erfahrungen im Stiche. Ich kann nur davon abmahnen, den aufgezeigten Zusammenhang fiir selten zu halten, denn so oft ich bei mir selbst und bei meinen Pa„ tienten die Probe angestellt, hat er sich wie in den mitgeteian Beispielen sicher nachweisen lassen, oder haben sich wenigstens gute Gründe, ihn zu vermuten, ergeben. Es ist nicht zu verwundern, wenn es nicht alle Male gelingt, den verborgenen Sinn der Symptomhandlung zu finden, da die Größe der inneren Widerstände, die sich der Lösung widersetzen, als entscheidender Faktor in Betracht kommt. Man ist auch nicht im stande, bei sich selbst oder bei den Patienten jeden einzelnen Traum

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in Wirklichkeit eher ganz analog zur Dieses Gefühl kehrte bei ihm sehr oil. wieder, erwies sich aber regelmäßig als von einem vergessenen (var-drängten) ‘.l'raumstück der vergangenen Nacht hemihrend. Es scheint also, da]! das ,Déjä. vu“ nicht nur von Tagtränmen, sondern auch von nächtlichen Träumen nbetammen kann.“ — (Ich habe später erfahren, daß Grasset 1904 eine Erklärung des Phänomens gegeben hat, welche der meinigen sehr nahe kommt.)

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zu deuten; es genügt, um die Allgemeingültigkeit der Theorie zu bestätigen, wenn man nur ein Stück weit in den verdeckten Zusammenhang einzudringen vermag. Der Traum, 'der sich beim Versuche, ihn am Tage "nachher zu lösen, refralitär zeigt, läßt sich oft eine Woche oder einen Monat später sein Geheimnis entreißen, wenn eine unterdes erfolgte reale Veränderung die miteinander streitenden psychischen Wertigkeiten herabgesetzt hzmt. Das nämliche gilt fiir die Lösung der Fehl- und Symptomhandlungen; das Beispiel von Verlesen „Im Faß durch Europa“ auf Seite 126 hat mir die Gelegenheit gegeben zu zeigen, wie ein anfänglich unlösbares Symptom der Analyße zugänglich wird, wenn das reale Interesse an den verdrängten Gedanken nachgelassen hat. Solange die Möglichkeit bestand, (laß mein Bruder den beneicleten Titel vor mir erhalte, Widerstand das genannte Verlesen allen wiederholte!) Bemühungen der Analyse; nachdem es sich herausgestellt hatte, daß diese Bevorzugung unwahrscheinlich sei, kläl'te sich mir plötzlich der Weg, der Zur Auflösung desselben führte. Es Wäre also unrichtig, von all den Fällen, welche der Analyse widerstehen, zu behaupten, sie seien durch einen anderen als den hier nufgedeckten psychischen Mechanismus entstanden; cs brauchte für diese Annahme noch andere als negative Bei weise. Auch die bei Gesunden wahrscheinlich allgemein vorhandene Bereitwilligkeit, an eine andere Erklärung der Fehl— und Symptomhandlungen zu glauben, ist jeder Beweiskraft har; sie ist, wie selbstverständlich, eine Äußerung derselben seelischen Kräfte, die das Geheimnis hergestellt haben und die sich darum auch für dessen Bewahrung einsetzen, gegen dessen Aufhellung aber sträuben.

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Auf der anderen Seite dürfen wir nicht übersehen, daß die vordrängtcn Gedanken und Regungen sich den Ausdruck in

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„;.

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Symptom- und Fehlhnndlungen ja nicht selbständig schaffen. Die technische Möglichkeit für solches Ausgleiten der Innervationen muß unabhängig von ihnen gegeben sein; diese wird dann von der Absicht des Verdrängten, zur bewußten Geltung zu kommen, gern ausgenützt. Welche Struktur- und Funktionsrela.tionen es sind1 die sich solcher Absicht zur Verfügung stellen, das haben für den Fall der sprachlichen Fehlleistung eingehende Untersuchungen'dcr Philosophen und“ Philologen festzustellen sich bemüht. Unterscheidcn wir so an den Bedingungen der Fehl- und Symptomhandlung das unbewußte Motiv von den ihm entgegenkommenden physiologischen und psychophysischen Relationen, so bleibt die Frage offen, ob es innerhalb der Breite der Gesundheit noch andere Momente gibt, welche, wie das unbewußte Motiv und an Stelle desselben, auf dem Wege dieser Relationen die Fehl- und Symptomhandlungen zu erzeugen vermögen. Es ist nicht meine Aufgabe, diese Frage zu beantworten. »,

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Es liegt übrigens auch nicht in meiner Absicht, die Verschiedenheiten zwischen der psychoana-lytischen und der land— Iäufigen Auffassung der Fehlleistungen, die ja, groß genug sind, noch zu übertreiben. Ich möchte vielmehr auf Fälle hinweisen, in denen diese Unterschiede viel von ihrer Schärfe einbüßen. Zu den einfachsten und unauffälligsten Beispielen des Versprechens und Verschreibens, bei denen etwa. nur Worte zusammengezogen oder Worte und Buchstaben ausgelassen werden, entfallen die komplizierteren Deutungen. Vom Standpunkt der Psychoanalyse muß man behaupten, daß in diesen Fällen sich irgend eine Störung der Intention angezeigt hat, kann aber nicht angeben, woher die Störung stammte und was sie beabsichtigte. Sie brachte eben nichts anderes zu stande,hls ihr Vorhandensein zu bekunden. In denselben Fällen sieht man

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dann auch die von uns nie bestrittenen Begünstigungen der Fehlleistung durch lauthche Wertverhältnisse und. naheliegende psychologische Assoziationen in Wirksamkeit treten. Es ist aber eine billige wissenschaftliche Forderung, daß man solche rudimentäre Fälle von Versprechen. oder Verschreiben nach den besser ausgeprägten beurteile, deren Untersuchung so unzweideutige Aufschlüsse über die Verursachung der Fehl— leistung ergibt.

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VI. Seit den Erörterungen über das Versprechen haben wir uns begnügt zu beweisen, daß die Fehlleistungen eine ver— borgene Motivierung haben, und uns mit dem Hilfsmittel der Psychoanalyse den Weg zur Kenntnis dieser Motivierung gebahnt. Die allgemeine Natur und die Besonderheiten'der in den Fehlleistungen zum Ausdruck gebrachten psychischen Faktoren haben wir bisher fast ohne Berücksichtigung gelassen, jedenfalls noch nicht versucht, dieselben näher zu bestimmen und auf ihre Gesetzmäßigkeit zu prüfen. Wir werden auch jetzt keine gründliche Erledigung des Gegenstandes versuchen, denn die ersten Schritte werden uns bald belehrt haben, daß man in dieses Gebiet besser von anderer Seite einzudringen vermag. Maui kann sich hier mehrere Fragen vorlegen, die ich wenigstens anfiihren und in ihrem Umfang umschreiben will. 1. Wel— ches Inhalts und welcher Herkunft sind die Gedanken und Re— gungen, die sich durch die Fehl- und Zufallshandlungen andeutcni 2. Welches sind die Bedingungen dafür, daß ein Gedanke oder eine Regung genötigt und in den Stand gesetzt werde, sich dieser Vorfälle als Ausdrucksmittel zu bedienen? 3. Lassen sich konstante und eindeutige Beziehungen zwischen der Art der Fehlleistungen und den Qualitäten des durch sie zum Ausdruck Gebrachten nachweisen?

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Ich beginne damit, einiges Material zur Beantwortung der

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letzten Frege zusammenzutragen. Bei der Erörterung der Beispiele von Versprechen haben wir es für nötig gefunden, über den Inhalt der intendierten Rede hinauszugehen, und haben die Ursache der Redestörung außerhalb der Intention suchen müssen. Dieselbe lag dann in einer Reihe von Fällen nahe und war dem Bewußtsein des Sprechenden bekannt. In den scheinbar einfachsten und durchsichtigsten Beispielen war es eine gleichberechtigt klingende, andere Fassung desselben Gedankens, die dessen Ausdruck störte, ohne daß man hätte angeben können, warum die eine unterlegen, die andere durchgedrungen war (Kontaminationen von M eringer und Meyer), In einer zweiten Gruppe von Fällen war das Unterliegen der einen Fassung motiviert durch eine Rücksicht, die sich aber nicht stark genug zur völligen Zurückhaltung erwies („zum Vorschwein gekommen“). Auch die zurückgehaltene Fassung war klar bewußt. Von der dritten Gruppe erst kann man ohne Einschränkung behaupten, daß hier der störende Gedanke von dem intendierten verschieden war, und kann hier eine, wie es scheint, wesentliche Unterscheidung aufstellen. Der störende Gedanke ist entweder mit dem gestörten durch Gedankenassoziationen verbunden (Störung durch inneren Widerspruch), oder er ist ihm wesensfremd, und durch eine befremdende äußerliche Assoziation ist gerade das gestörte Wort mit dem störenden Ge— danken, der of t unbewußt ist, verknüpft. In den Beispielen, die ich aus meinen Psychoanalysen gebracht habe, steht die ganze Rede unter dem Einfluß gleichzeitig aktiv gewordener, aber völlig unbewußter Gedanken, die sich entweder durch die Störung selbst verraten (Klappersehlange -— Kleopntra) oder einen indirekten Einfluß äußern, indem sie ermöglichen, daß die einzelnen Teile der bewußt intendierten Rede einander stören (Ase natmen: wo Hausenauerstraße, Reminiszen—

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zen an eine Französin dahinterstehen). Die zurückgehalteneu oder unbewußten Gedanken, von denen die Sprechstörung ainsgeht, sind von der mannigfaltigsten Herkunft. Eine Allgemeinheit enthüllt uns diese Überschau also nach keiner Richtung.

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Die vergleichende Prüfung der Beispiele von Verlesen und Verschreiben führt zu den nämliehen Ergebnissen. Einzelne Fälle scheinen wie beim Versprechen einer weiter nicht moti— vierten Verdichtungsarbeit ihr Entstehen zu denken (1. B.: der Apfe). Man möchte aber gern erfahren, ob nicht doch besondere Bedingungen erfüllt sein müssen, damit eine solche Ver. dichtung, die in der Trauma:rbeit regelrecht, in unserem wachen Denken fehlerhaft ist, Platz greife, ‘und bekommt hierüber aus den Beispielen selbst keinen Aufschluß. Ich würde es aber ablehnen, hieraus den Schluß zu'ziehen, es gebe keine solchen Be— dingungen als etwa den Nachlaß der bewußten Aufmerksamkeit-, da. ich von anderswoher weiß, daß sich gerade automzn tische Verrichtungen durch Korrektheit. und Verläßlichkeit auszeichnen. Ich möchte eher betonen, daß hier, wie so häufig in der Biologie, die, normalen oder dem Normalen angenähertcu Verhältnisse ungünstigere Objekte der Forschung sind als die pathologischen. Was bei der Erklärung dieser leichtesten Stö— rungen dunkel bleibt, wird nach meiner Erwartung durch die Aufklärung schwererer Störungen Licht" empfangen.

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Auch beim Verlesen und Verschreibcn fehlt es nicht an Beispielen, welche eine entferntere und kompliziertere Motivierung erkennen lassen. „Im Faß durch Europa“ ist eine Leseetörung, die sich durch den Einfluß eines entlegenen, wesensfremdeu Go,rlankeus uufklärt, welcher einer verdrängtcn Regung von Eifersucht und Ehrgeiz entspringt, und den „Wechsel“ des Wortes „B e { ö r d e r u n g“ zur Verknüpfung mit dem gleich gültigen

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und harmlosenThema, das gelesen wurde, benützt. Im Falle Bui'ckharcl ist der Name selbst ein solcher „Wechsel“.

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Es ist; nnverkennbar, (laß die Störungen der Sprechfunktionen leichter zu Stande kommen und weniger Anforderungen an die störenden Kräfte stellen als die anderer psychischer Leistungen.

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Auf anderem Boden 'steht man bei der Prüfung des Vergessens im eigentlichen Sinne, d. 11. des Vergessens von vergan— genen Erlebnissen (das Vergessen von Eigennamen und Fremdwerten, wie in den Abschnitten I und II, könnte man als „Entfallen“, das von Vor-sätzen als „Unterlassen“ von diesem Vergessen sensn strictiori absondern). Die Grundbedingungen des normalen Vorgangs beim Vergessen sind unbekannt*. Man wird auch daran gemahnt, daß nicht alles vergessen ist, was man (lafü1' hält. Unsere Erklärung hat. es hier nur mit jenen Fällen zu tun., in denen das Vergessen bei uns ein Befremden erweckt, insofern es die Regel verletzt, daß Unwichtiges vergessen, Wichtiges aber vom Gedächtnis bewahrt wird. Die Analyse der Beispiele von Vergessen, die uns nach einer besonderen Auf

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* Uber den Mechanismus des eigentlichen Vergesscns kann ich etwa folgende Andeutungen geben: Das Erinnerungsnmterial unterliegt im allgemeinen zwei Einflüssen, der Verdichtung und der Entstellung. Die Ent— stellung ist das Werk der im Seelenleben herrschenden Tendenzen und \‘vendes sich vor allem gegen die affektwirksam gebliebenen Erinnerungsspuren, die sich gegen die Verdichtung- resistenter verhalten. Die indifierent gewordenen Spuren verfallen dem Verdichtungsvorgnng ohne Gegenmehr, doch kann man beobachten, daß überdies Entstellungstendenzen sich an dem indifferenten Material sättigen, welche dort, wo sie sich äußern wollten, unbefriedigt geblieben sind. Da diese Prozesse der Verdichtung und Entstellung sich über lange Zeiten hinziehen, während welcher alle frischen Erlebnisse auf die Umgestaltung des Gedächtnisinhaltes einwirken, meinen wir, es sei die Zeit, welche die Erinnerungen unsicher und un

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xn. ersrcnrsrunxrn. 329

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klärung zu verlangen scheinen, ergibt als Motiv des Vergessens jedesm‘al eine Unlust, etwas zu erinnern, was peinliche Empfindungen erwecken kaum. Wir gelangen zur Vermutung, daß dieses Motiv im psychischen Leben sich ganz allgemein zu äußern strebt, aber durch andere gegenwirkende Kräfte verhindert wird, sich irgendwie regelmäßig durch2usetzen. Umfang und Bedeutung dieser Erinnenmgsuulust gegen peinliohe Eindrücke scheinen der sorgfältigsten psychologischen Prüfung wert zu sein; auch die Frage, welche besonderen Bedingungen des allgemein angestrebte Vergessen in einzelnen Fällen ermöglichen, ist aus diesem weiteren Zusammenhange nicht zu lösen.

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Beim Vergessen von Vorsä.tzen tritt ein anderes Moment in den Vordergrund; der beim Verdrängen des peinlich zu Er— innernden nur vermutete Konflikt wird hier greifbar, und man erkennt- bei der Analyse der Beispiele regelmäßig einen Gegenwillen, der sich dem Vorsatz widersetzt, ohne.ihn aufzuheben. Wie bei früher besprochenen Fehlleistungen erkennt man auch hier zwei Typen des psychischen Vorgangs; der Gegenwillo kehrt sich entweder direkt gegen den Vorsatz (bei Absichten

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deutlich macht. Sehr wahrscheinlich ist beim Vergessen von einer direkten Funktion der Zeit überhaupt nicht die Rede. — An den verdrängtuu Erinnerungsspuren kann man konstatieren, daß sie durch die längste Zeit— dauer keine Veränderungen erfahren haben, Das Unbewußte ist hherheupt zeitlos. Der wichtigste und auch befremdendste Charakter der psychischen Fixierung ist der, daß alle Eindrücke einerseits in der nämlichen Art erhalten sind, wie sie aufgenommen wurden, und überdies noch in Ftll den Formen, die sie bei den weiteren Entwicklungen angenommen haben, ein Verhältnis, welches sich durch keinen Vergleich aus einer anderen Sphäre erläutern läßt. Der Theorie zufolge ließe sich also jeder frühere Zustand des Gedächtnisinhaltcs wieder fiir die Erinnerung herstellen, auch wenn dessen Elemente alle ursprünglichen Beziehungen längst gegen neuere eingelauscht haben.

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von einigem Belang), oder er ist dem Vorsatz selbst wesensfremd und stellt 'seine Verbindung mit ihm durch eine äußerliche Assoziation her (bei fast indifferenten Vorsätzen).

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Demelhe Konflikt beherrscht die Phänomene des Ver— greifens. Der Impuls, der sich in der Störung der Handlung äußert, ist häufig ein Gegenimpuls, doch noch öfter ein überhaupt fremder, der nur die Gelegenheit. benützt, sich bei der Ausführung der Handlung durch eine Störung derselben zum Ausdruck zu bringen. Die Fälle, in denen die Störung durch einen inneren Widerspruch erfolgt, sind die bedeutsamercn und betreffen auch die wichtigeren Verrichtungeu.

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Der innere Konflikt tritt dann bei den Zufalls- oder Symptomhandlungen immer mehr zurück. Diese vom Bewußt— sein gering geschätzten oder ganz übersehenen motorischen Äußerungen dienen so ms.nnigfachen unbewußten oder zurück— gehaltenen Regungen zum Ausdruck; sie stellen meist Phantasien oder Wünsche symbolisch dar.

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Zur ersten Frage, welcher Herkunft die Gedanken und. Regungen seien, die sich in den Fehlleistungen zum Ausdruck bringen, läßt sich sagen, daß in einer Reihe von Fällen die Herkunft der störenden Gedanken von unterdrückten Regungen des Seelenlebens leicht nachzuweisen ist. Egoistische, eifersüchtige, feindselige Gefühle und Impulse, auf denen der Druck der moralischen Erziehung lastet, bedienen sich bei Gesunden nicht selten des Weges der Fehlleistungen, um ihre unleugbar vdrhandene, aber von höheren seelischen Instanzen nicht anerkannte Macht irgendwie zu äußern. Das Gewähr-enlassen dieser Fehl— und Zufallshandluugen entspricht zum guten Teile einer bequemen Duldung des Unmoralischeu. Unter diesen unterdrückten Regungen spielen die mannigfaohen sexuellen Strömungen keine geringfügige Rolle. Es ist ein

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XII. umcnrsruumn 331

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Zufall des Materials, wenn gerade sie so selten unter den durch die Analyse anfgedeckten Gedanken in meinen Beispielen erscheinen. Da ich vorwiegend Beispiele aus meinem eigenen Seelenleben der Analyse unterzogen habe, so war die Auswahl von vornherein parteiisch und. auf den Ausschluß des Sexuellen - gerichtet. Andere Male scheinen es höchst harmlose Einwendungen und Rücksichten zu sein, aus denen die störenden Gedanken entepringen.

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Wir stehen nun voi‘ der Beantwortung der zweiten Frage, welche psychologischen Bedingungen dafiir gelten, daß ein Ge— - danke seinen Ausdruck nicht in voller Form, sondern in gleichsam }mrasitärer, als Modifikation und Störung eines anderen suchen müsse. Es liegt nach den auffälligsten Beispielen von Fehlhandlnng nahe, diese Bedingungen in einer Beziehung zur Bewußtseinsfähigkeit zu suchen, in dem mehr oder minder entschieden ausgeprägten _Charakter des „Verdrängten“. Aber die Verfolgung durch die Reihe der Beispiele löst diesen Charakter in immer mehr verschwommene Andeutungen auf. Die Nei— gung, über etwas als mitraubcnd hinwegzukornmen, — die Er— wägung, daß der betreffende Gedanke nicht eigentlich zur intendierteu Sache gehört, — scheinen als Motive für die Zurückdrängung eines Gedankens, der dann auf den Ausdruck durch Störung einen anderen angewiesen ist, dieselbe Rolle zu spielen wie die moralische Verurteilung einer unbotmä.ßigen Gefühlsregung oder die Abkunft von völlig unbewußten Gedankenziigen. Eine Einsicht in die allgemeine Natur der Bedingtheit von Fehl- und Zufallsleistungen läßt sich auf diese Weise nicht gewinnen. Einer einzigen bedeutsamen Tatsache wird man bei diesen Untersuchungen hahhaft; je hammloscr die Motivierung der Fehlleistung ist, je weniger anstößig und darum weniger bewußtseinsunfähig der Gedanke ist, der sich

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332 zu]. nurnnmnmmus. — zur.uns- U. Amemunnn me. in ihr zum Ausdruck bringt, desto leichter wird. auch die Auf— lösung des Phänomens, wenn man ihm seine Aufmerksamkeit zugewendet hat; die leichtesten Fälle des Versprechens. werden sofort bemerkt und. spontan korrigiert. Wo es sich um Motivierung durch wirklich verdrängte Regungen handelt, da bedarf es zur Lösung einer sorgfältigen Analyse, die selbst zeitweise ' auf Schwierigkeiten stoßen oder mißlingen kann.

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Es ist also wohl berechtigt, das Ergebnis dieser letzten Untersuchung als einen Hinweis darauf zu nehmen, daß die befriedigende Aufklärung für die psychologischen Bedingungen der Fehl- und anallshandlungen auf einem anderen Wege und. von anderer Seite her zu gewinnen ist. Der na.chsichtige Leser möge daher in diesen Auseinandersetzungen den Nachweis der Bruchflächen sehen, an denen dieses Thema ziemlich künstlich aus einem größeren Zusammenhange herausgelöst wurde.

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VII. Einige Worte sollen zum mindesten die Richtung nach diesem weiteren Zusammenhamge andeuten. Der Mechanismus der Fehl- und Zufallshandlungen, wie wir ihn durch die Anwendung der Analyse kennen gelernt haben, zeigt in den wesentlichsten Punkten eine Übereinstimmung mit dem Mechanismus der 'l‘raumbildung, den ich in dem Abschnitt „Traumarbeit“ meines Buches über die Traumdeutung auseinandergesetzt habe. Die Verdichtungeu und Kompromißbildungen (Kontaminntionen) findet man hier wie dort; die Situation ist die nämliche, daß unbewußte Gedanken sich auf ungewöhnlichen Wegen, über äußere Assoziationen, als Modifikation von anderen Gedanken zum Ausdruck bringen, Die Ungereimtheiten, Absurditätcn und Irrtümer des Trauminhalts, denen zufolge der Traum kaum als Produkt psychischer Leistmrg anerkannt wird, entstehen auf dieselbe Weise, freilich mit freierer

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Benutzung der vorhandenen Mittel, wie die gemeinen Fehler unseres Alltagsleben; hier wie dort löst sich der An— schein inkorrekter Funktion durch die eigentüm— liche Interferenz zweier oder mehrerer korrekter Leistungen. Aus diesem Zusammentreffen ist ein wichtiger Schluß zu ziehen: Die eigentümliche Arbeitsweise, deren auffälligste Leistung wir im Trauminha.lt erkennen, darf nicht auf den Sehlafzustand des Seelenlebens' zurückgeführt werden, wenn wir in den Fehlhandlungen sereichliche Zeugnisse für ihre Wirksamkeit während des wachen Lebens besitzen. Der. Bele Zusammenhang verbietet uns auch, tiefgreifenden Zerfall der Seelentätigkeit, krankhafte Zustände der Funktion als die Bedingung dieser uns abnorm und fremden-tig erscheinenden psychischen Vorgänge anzusehen*.

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Die richtige Beurteilung der sonderbaren psychischen Arbeit., welche die Fehlleistung wie die Traumbilder entstehen läßt, wird uns erst ermöglicht, wenn wir erfahren haben, daß die psychoneurotischen Symptome speziell die psychischen Bildungen der Hysterie und der Zwangsneurose, in ihrem Mechanismus alle wesentlichen Züge dieser Arbeitsweise wiederholen. An dieser Stelle schlüsse sich also die Fortsetzung unserer Untersuchungen an. Für uns hat es aber noch ein besonderes Interesse, die Fehl-, Zufalls— und Symptomhandlungen in dem Lichte dieser letzten Analogie zu betrachten. Wenn wir sie den Leistungen der Psychonenrosen, den neurotischen Symptomen, gleichstellen, gewinnen zwei oft wiederkehrende Behauptungen, daß die Grenze zwischen nervöser Norm und Abnormitii.t eine fließende, und daß wir alle ein wenig nervös seien, Sinn und Unterlage. Man kann sich 'vor aller ärztlichen Erfahrung verschiedene Typen von solcher bloß angedeuteter

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' Vgl. hiezu „Tmumdenrtung“, S. 362. (5. Aufl., S. 449.)

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334 XII. DETERMINISMUS. — ZUFALI5- U. ABERGLAUBEN ETC. Nervosität — von formes frustes der Neurosen. — konstruieren: Fälle, in denen nur wenige Symptome, oder diese selten oder nicht heftig auftreten, die Abschwächung also in die Zahl, in die Intensität, in die zeitliche Ausbreitung der krankhaften Erscheinungen verlegen; vielleicht würde man aber gerade den Typus nicht erraten, welcher als der häufigste den Übergang zwischen Gesundheit und Krankheit zu vermitteln scheint. Der uns vorliegende Typus, dessen Krankheitsäußerungen die. Fehl- und Symptomhandlungen sind, zeichnet. sich nämlich dadurch aus, daß die Symptome in die mindest wichtigen psychischen Leistungen verlegt sind, während alles, was höheren psychischen Wert beanspruchen kann, frei von Störung vor sich geht. Die gegenteilige Unterbringung der Symptome, ihr Hervortreten an den wichtigsten individuellen und sozialen Leistungen, so daß sie Nahrungsaufnahme und Sexualverkehr, Berufsarbeit und Geselligkeit zu stören vermögen, kommt den schweren Fällen von N eurose zu und charakterisiert diese besser als etwa, die Mannigfaltigkeit oder die Lebhaftigkeit der Krankheitsäußerungen.

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Der gemeinsame Charakter aber der leichtesten wie der schwersten Fälle, an dem auch die Fehl- untl Zufallshandlungen Anteil haben, liegt in der Rückführbarkeit der Phänomene auf unvollkommen unterdrücktes psychisches Material, das, vom Bewußtsein a-bgedrängt, doch nicht jeder Fähigkeit, sich zu äußern, beraubt werden ist.

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