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§ 2§ 3
Sigm. Freud
§ 4Eine Teufelsneurose
im 17. Jahrhundert § 5BLANK
§ 6Eine
Teufelsneurose im 17. Jahrhundert § 7von
§ 8Sigm. Freud
§ 9Mit 7 Abbildungen
§ 101928
Internationaler Psychoanalytischer Verlag Wien § 11§ 12
§ 13
§ 14
§ 15
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§ 16An den Neurosen der Kinderzeit haben wir gelernt,Charcot, haben bekanntlich in den Darstellungen der Besessenheit und Verzückung, wie sie uns die Kunst hinterlassen hat, die Äußerungsformen der Hysterie agnosziert; es wäre nicht schwer gewesen, in den Geschichten dieser Kranken die Inhalte der Neurose niederzufinden, wenn man ihnen damals mehr Auf merksamkeit geschenkt hätte.
daß manches hier mühelos mit freiem Auge zu sehen ist, was sich späterhin nur gründlicher Forschung zu erkennen gibt. Eine ähnliche Erwartung wird sich für die neurotischen Erkrankungen früherer Jahrhunderte ergeben, wenn wir nur darauf gefaßt find, dieselben unter anderen Überschriften als unsere heutigen Neu rosen zu finden. Wir dürfen nicht erstaunt sein, wenn die Neurosen dieser frühen Zeiten im dämonologischen Gewande auftreten, während die der unspsychologischen Jestzeit im hypochondrischen, als organische Krank heiten verkleidet, erscheinen. Mehrere Autoren, voran § 17Die dämonologische Theorie jener dunkeln Zeiten hat
gegen alle somatischen Auffassungen der „exakten“ Wissenschaftsperiode recht behalten. Die Besessen heiten entsprechen unseren Neurosen, zu deren Er lärung wie wieder psychische Mächte heranziehen. Die Dämonen sind uns böse, verworfene Wünsche, Ab kömmlinge abgewiesener, verdrängter Triebregungen. Wir lehnen bloß die Projektion in die äußere Welt ab, welche das Mittelalter mit diesen seelischen Wesen vor nahm; wir lassen sie im Innenleben der Kranken, wo sie haufen, entstanden sein. § 18I
DIE GESCHICHTE DES MALERS CHRISTOPH HAITZMANN § 19Einen Einblick in eine folche Dämonologische NeuPayer, Direktor der ehemals k. k. Fideikommißbiblio Thurn thek in Wien. Payer-Thurn hatte in der Bibliothek ein aus dem Gnadenort Mariazell flammendes Manu skript aufgefunden, in dem über eine wunderbare Er lösung von einem Teufelspakt durch die Gnade der heiligen Maria ausführlich berichtet wird. Sein Inter esse wurde durch die Beziehung dieses Inhalts zur Faustsage geweckt und wird ihn zu einer eingehenden Darstellung und Bearbeitung des Stoffes veranlassen. Da er aber fand, daß die Person, deren Erlösung be schrieben wird, an Krampfanfällen und Visionen litt, wandte er sich an mich um eine ärztliche Begutachtung des Falles. Wir sind übereingekommen, unsere Arbeiten unabhängig voneinander und gesondert zu veröffent lichen. Ich statte ihm für feine Anregung, wie für mancherlei Hilfeleistung beim Studium des Manu skripts meinen Dank ab.
rose des siebzehnten Jahrhunderts verdanke ich dem freundlichen Interesse des Herrn Hofrats Dr. R. § 20Diese dämonologische Krankengeschichte bringt wirk
lich einen wertvollen Fund, der ohne viel Deutung klar zutage liegt, wie manche Fundstelle als gediegenes Metall liefert, wasanderwärts mühsam aus dem Erz geschmol zen werden muß. § 21Das Manuskript, von dem mir eine genaue Abschrift
vorliegt, zerlegt sich uns in zwei Stücke von ganz ver schiedener Natur: in den lateinisch abgefaßten Bericht des mönchischen Schreibers oder Rompilators und in ein deutlich geschriebenes Tagebuchbruchstück des Pa tienten. Der erste Teil enthält den Vorbericht und die eigentliche Wunderheilung; der zweite Teil kann für die geistlichen Herren nicht von Bedeutung gewesen sein, um so wertvoller ist er für uns. Er trägt viel dazu bei, unser sonst schwankendes Urteil über den Krankheits fall zu festigen, und wir haben guten Grund, den Geist lichen zu danken, daß die dies Dokument erhalten ha ben, obgleich es ihrer Tendenz nichts mehr leistet, ja diese eher gestört haben mag. § 22Ehe ich aber in die Zusammensetzung der kleinen hand
schriftlichen Broschüre, die den Titel § 23„Irophaeum Mariano-Cellense“
§ 24führt, weiter eingehe, muß ich ein Stück ihres Inhalts
erzählen, das ich dem Vorbericht entnehme. § 25Am 5. September 1677 wurde der Maler Christoph11 Er habe sich in Ausübung feiner Kunst mehrere Monate in Pottenbrunn aufge halten, sei dort am 29. August in der Kirche von schreck lichen Krämpfen befallen worden, und als sich diese in den nächsten Tagen wiederholten, habe ihn der Prae fectus Dominii Pottenbrunnensis examiniert, was ihn wohl bedrücke, ob er sich wohl in unerlaubten Verkehr mit dem bösen Geist eingelassen habe.22 Worauf er ge standen, daß er wirklich vor neun Jahren, zu einer Zeit der Verzagtheit an seiner Kunst und des Zweifels an seiner Selbsterhaltung, dem Teufel, der ihn neunmal versucht, nachgegeben und sich schriftlich verpflichtet, ihm nach Ablauf dieser Zeit mit Leib und Seele anzu gehören. Das Ende des Termins nahe mit dem 24. des laufenden Monats.11 Der Unglückliche bereue und sei überzeugt, daß nur die Gnade der Mutter Gottes von Mariazell retten könnne, indem sie den Bösen zwinge, ihm die mit Blut geschriebene Verschreibung heraus zugeben. Aus diesem Grund erlaube man sich miserum dem Wohl hunc hominem omni auxilio destitutum wollen der Zerren von Mariazell zu empfehlen.
Haitzmann, ein Bayer, mit einem Geleitbrief des Pfar rers von Pottenbrunn (in Niederösterreich) nach dem nahen Mariazell gebracht. 1) Das Alter des Malers ist nirgends angegeben. Der Zusammenhang läßt einen Mann zwischen Dreißig und Vierzig, wahrfcheinlich der unteren Grenze näher, erraten. Er verstarb, wie wir hören werden, im Jahre 1700. 2) Die Möglichkeit, daß diese Fragestellung dem Leidenden die Phantasie seines Teufelspaktes eingegeben, „suggeriert“ hat, sei hier nur gestreift. § 26Soweit der Pfarrer von Pottenbrunn, Leopoldus
Braun, am 1. September 1677. § 27Ich kann nun in der Analyse des Manuskripts fort
fahren. Es besteht also aus drei Teilen: § 281) einem farbigen Titelblatt, welches die Szene der
Verschreibung und die der Erlösung in der Kapelle von Mariazell darstellt; auf den nächsten Blättern sind acht ebenfalls farbige Zeichnungen der späteren Erscheinun gen des Teufels mit kurzen Beischriften in deutscher Sprache. Diese Bilder sind nicht Originale, sondern 1) quorum et finis 24 mensis hujus futurus appropinquat. § 29[Bild einfügen]
§ 302) aus dem eigentlichen Trophaeum Mariano-Cel (lateinisch), dem Werk eines geistlichen Kompi lense lators, der sich am Ende P. A. E. unterzeichnet und diesen Buchstaben vier Verszeilen, welche seine Bio graphie enthalten, beifügt. Den Abschluß bildet ein Zeugnis des Abtes Rilian von St. Lambert vom 12. Sep tember 1729, welches in anderer Schrift als der des Kompilators die genaue Übereinstimmung des Manu kripts und der Bilder mit den im Archiv aufbewahrten Originalen bestätigt. Es ist nicht angegeben, in welchem Jahr das Trophaeum angefertigt wurde. Es steht uns frei anzunehmen, daß es im gleichen Jahr geschah, in dem der Abt Kilian das Zeugnis ausstellte, also 1729 oder, da 1714 die letzte im Text genannte Jahreszahl ist, das Werk des Kompilators in irgendeine Zeit zwischen 1714 und 1729 zu verlegen. Das Wunder, welches durch diese Schrift vor Vergessenheit bewahrt werden sollte, hat sich im Jahre 1677 zugetragen, also 37 bis 52 Jahre vorher;
§ 313) aus dem deutsch abgefaßten Tagebuch des Malers,
welches von der Zeit feiner Erlösung in der Kapelle bis zum 13. Januar des nächsten Jahres 1678 reicht. Es ist in den Text des Trophaeum kurz vor dessen Ende eingeschaltet. § 32Den Kern des eigentlichen Trophaeum bilden zwei11
Schriftstücke, der bereits erwähnte Geleitbrief des Pfarrers Leopold Braun von Pottenbeunn vom 1. Sep tember 1677, und der Bericht des Abtes Franciscus von Mariazell und St. Lambert, der die Wunderheilung schildert, vom 12. September 1677, also nur wenige Tage später datiert. Die Tätigkeit des Redakteurs oder Kompilators P. A. E. hat eine Einleitung geliefert, welche die beiden Aktenfstücke gleichsam verschmilzt, ferner einige wenig bedeutsame Verbindungsstücke und am Schluß einen Bericht über die weiteren Schicksale des Malers nach einer im Jahre 1714 eingeholten Er kundigung beigefügt.§ 33Die Vorgefchichte des Mlalers wird alfoim Trophae
um dreimal erzählt, 1) im Geleitbrief des Pfarrers von Pottenbrunn, 2) im feierlichen Bericht des Abtes Franciscus und 3) in der Einleitung des Redakteurs. Beim Vergleich dieser drei Quellen stellen sich gewisse Unstimmig keiten heraus, die zu verfolgen nicht unwichtig sein wird. 1) Dies würde dafür sprechen, daß 1714 auch das Datum der Abfassung des Trophaeum ist. § 34[Bild einfügen]
§ 35Ich kann jetzt die Geschichte des Malers fortsetzen.
Nachdem er in Mariazell lange gebüßt und gebetet, er hält er am 8. September, dem Tag Maria Geburt, um die zwölfte Machtstunde vom Teufel, der in der heiligen Kapelle als geflügelter Drache erscheint, den mit Blut geschriebenen Pakt zurück. Wir werden später zu unserem Befremden erfahren, daß in der Geschichte des Malers Chr. Haitzmann zwei Verschreibungen an den Teufel vorkommen, eine frühere, mit schwarzer Tinte und eine spätere, mit Blut geschriebene. In der mitgeteilten Be schwörungsszene handelt es sich, wie auch noch das Bild auf dem Titelblatt erkennen läßt, um die blutige, also um die spätere. § 36An diefer Stelle könnte sich bei uns ein BedenkenSchedam sibi porrigentem), so stünden wir vor mehreren unange conspexisset nehmen Möglichkeiten, unter denen die einer kollektiven Halluzination noch die mildeste wäre. Allein der Wort laut des vom Abt Franciscus ausgestellten Zeugnisses schlägt dieses Bedenken nieder. Es wird darin keines wegs behauptet, daß auch die geistlichen Beistände den Teufel erschaut haben, sondern es heißt ehrlich und nüchtern, daß der Maler sich plötzlich von den Geist lichen, die ihn hielten, losgerissen, in die Ecke der Kapelle, wo er die Erscheinung sah, gestürmt und dann mit dem Zettel in der Hand zurückgekommen sei.11
gegen die Glaubwürdigkeit der geistlichen Bericht erstatter erheben, das uns mahnen würde, doch nicht unsere Arbeit an ein Produkt mönchischen Aberglaubens zu verschwenden. Es wird erzählt, daß mehrere, mit Namen benannte Geistliche dem Exorzierten während der ganzen Zeit Beistand leisteten und auch während der Teufelserscheinung in der Kapelle anwesend waren. Wenn behauptet würde, daß auch sie den teuflischen Drachen gesehen haben, wie er dem Maler den rot be schriebenen Zettel hinhält (§ 37Das Wunder war groß, der Sieg der heiligen Mutter
über Satan unzweifelhaft, die Heilung aber leider nicht beständig. Es sei nochmals zur Ehre der geistlichen Herren hervorgehoben, daß sie diese Tatsache nicht ver schweigen. Der Maler verließ Mariazell nach kurzer Zeit im besten Wohlbefinden und begab sich dann nach Wien, wo er bei einer verheirateten Schwester wohnte. Dort fingen am 11. Oktober neuerliche, zum Teil sehr schwere Anfälle an, über die das Tagebuch bis zum 13. Januar berichtet. Es waren Visionen, Abwesen heiten, in denen er die mannigfaltigen Dinge sah und erlebte, Krampfzustände, begleitet von den schmerz 1)... ipsumque Daemonem ad Aram Sac. Cellae per fenestrellam in cornu Epistolae Schedam sibi porrigentem: conspexisset eo advolans e Religiosorum manibus, qui eum tenebant, ipsam Schedam ad manum obtinuit, ... § 38[Bild einfügen]
§ 39Den geistlichen Herren gab er als Motiv seiner Rück11 Auch diesmal verhalfen ihm die heilige Maria und die frommen Patres zur Erfüllung seiner Bitte. Aber der Bericht, wie das geschah, ist schweigsam. Es heißt nur mit kurzen Worten: qua iuxta votum reddita. Er betete wieder und er erhielt den Vertrag zurück. Dann fühlte er sich ganz frei und trat in den Orden der Barmherzi gen Brüder ein.
kehr an, daß er auch eine andere, frühere, mit Tinte ge schriebene Verschreibung vom Teufel zu fordern habe.§ 40Man bat wiederum Anlaß anzuerkennen, daß dier. Pro vincialis berichtet, daf Bruder Chrysostomus noch wie derholt Anfechtungen des bösen Geistes erfahren hat, der ihn zu einem neuen Pakt verleiten wollte, und zwar nur dann, „wenn er etwas mehreres von Wein getrunken“, durch die Gnade Gottes sei es aber immer möglich ge wesen, ihn abzuweisen. Bruder Chrysostomus sei dann im Kloster des Ordens Neustatt an der Moldau im Jahre 1700 „sanft und trostreich“ an der Hektica ver storben.
offenkundige Tendenz seiner dem Bemühung den Rompilator nicht dazu verführt hat, die von einer Krankengeschichte zu fordernde Wahrhaftigkeit zu verleugnen. Denn er verschweigt nicht, was die Erkundigung nach dem Aus gang des Malers beim Vorstand des Klosters der Barm herzigen Brüder im Jahre 1714 ergeben. Der P 1) Diese wäre, im September 1668 ausgeftellt, neuneinhalb Jahre später, im Mai 1678 längst verfallen gewesen. § 41II
DAS MOTIV DES TEUFELSPAKTS § 42Wenn wir diese Teufelsverschreibung wie eine neu11 Was ist nun für Christoph Haitzmann das Motiv seines Pakts gewesen?
rotische Krankengeschichte betrachten, wendet sich unser Interesse zunächst der Frage nach ihrer Motivierung zu, die ja mit der Veranlassung innig zusammenhängt. Warum verschreibt man sich dem Teufel? Dr. Faust fragt zwar verächtlich: Was willst du, armer Teufel, geben? Aber er hat nicht recht, der Teufel bat als Ent gelt für die unsterbliche Seele allerlei zu bieten, was die Menschen hoch einschätzen: Reichtum, Sicherheit vor Gefahren, Wacht über die Menschen und über die Kräfte der Natur, selbst Zauberkünste und vor allem anderen: Genuß, Genuß bei schönen Frauen. Diese Leistungen oder Verpflichtungen des Teufels pflegen auch im Vertrag mit ihm ausdrücklich erwähnt zu werden.§ 43Merkwürdigerweise keiner von all diesen so natür
lichen Wünschen. Um jeden Zweifel daran zu bannen, braucht man nur die kurzen Bemerkungen einzusehen, die der Maler zu den von ihm abgebildeten Teufels erscheinungen hinzusetzt. Zum Beispiel lautet die Note zur dritten Vision: § 44„Zum driten ist er mir in anderthalb Jahren in dißer
abscheulichen Gestalt erschinen, mit einen Buuch in der Handt, darin lauter Zauberey und schwarze Kunst war begrüssen ...“ § 45Aber aus der Beischrift zu einer späteren Erscheinung
erfahren wir, da der Teufel ihm heftige Vorwürfe macht, warum er „sein vorgemeldtes Buuch verbrennt“, und ihn zu zerreißen droht, wenn er es ihm nicht wieder beschafft. § 46Bei der vierten Erscheinung zeigt er ihm einen großen:
gelben Beutel und einen großen Dukaten und verspricht ihm jederzeit soviel davon, als er nur haben will, „aber ich solliches gar nicht angenomben“, kann sich der Maler rühmen. 1) Siehe in Faust I, Studierzimmer: Ich will mich hier zu deinem Dienst verbinden, Auf deinen Wink nicht rasten und nicht ruhn; Wenn wir uns drüben wieder finden, so sollst du mir das Gleiche thun. § 47Ein anderes Mal verlangt er von ihm, er solle sich
amüsieren, unterhalten lassen. Wozu der Maler bemerkt, „welliches zwar auch auf sein begehren geschehen aber ich yber drey Tag nit continuirt, und gleich widerumb außgelöst worden“. § 48Da er nun Zauberkünste, Geld und Genuß zurück
weist, wenn der Teufel sie ihm bietet, geschweige denn, daß er sie zu Bedingungen des Pakts gemacht hätte, wird es wirklich dringlich zu wissen, was dieser Maler eigentlich vom Teufel wollte, als er sich ihm verschrieb. Irgendein Motiv sich mit dem Teufel einzulassen, muß er doch gehabt haben. § 49Das Trophaeum gibt auch sichere Auskunft überdum artis suaepusilla perpenderet nimis“), aber die zweite, der Bericht des progressum emolumentumque secuturum Abtes Franciscus, weiß auch die Quelle dieser Verzagt heit oder Verstimmung zu nennen, denn hier heißt es „accepta aliquâ pusillanimitate ex morte parentis “ und dementsprechend auch in der Einleitung des Kom pilators mit den nämlichen, nur umgestellten Worten: ex morte parentis accepta aliquâ pusillanimitate. Es war also sein Vater gestorben, er darüber in eine Melan cholie verfallen, da näherte sich ihm der Teufel, fragte ihn, warum er so bestürzt und traurig sei, und ver sprach ihm „auf alle Weiß zu helfen und an die Hand zu gehen“.11
diesen Punkt. Er war schwermütig geworden, konnte nicht, oder wollte nicht recht arbeiten und hatte Sorge um die Erhaltung seiner Existenz, also melancholische Depression mit Arbeitshemmung und (berechtigter) Lebenssorge. Wir sehen, daß wir es wirklich mit einer Krankengeschichte zu tun haben, erfahren auch, welches die Veranlassung dieser Erkrankung war, die der Maler selbst in den Bemerkungen zu den Teufelsbildern ge radezu eine Melancholie nennt („solte mich darmit be luftigen und melancoley vertreiben”). Von unseren drei Quellen erwähnt zwar die erste, der Geleitbrief des Pfarrers, nur den Depressionszustand („§ 50Da verschreibt sich also einer dem Teufel, um von
einer Gemütsdepression befreit zu werden. Gewiß ein ausgezeichnetes Motiv nach dem Urteil eines jeden, der sich in die Qualen eines solchen Zustandes einfühlen kann und der überdies weiß, wie wenig ärztliche Kunst von diesem Leiden zu lindern versteht. Doch würde keiner, der dieser Erzählung soweit gefolgt ist, erraten können, wie der Wortlaut der Verschreibung an den Teufel (oder vielmehr der beiden Verschreibungen, einer ersten, mit Tinte und einer zweiten, etwa ein Jahr später, mit Blut geschriebenen, beide angeblich noch in der Schaukammer von Mariazell vorhanden und im Tro phaeum mitgeteilt), wie also der Wortlaut dieser Ver schreibungen gelautet hat. 1) Bild 1 und Legende dazu auf dem Titelblatt, der Teufel in Gestalt eines „Ersamen Bürgers“. § 51Diese Verschreibungen bringen uns zwei starke Über
raschungen. Erstens nennen sie nicht eine Verpflichtung des Teufels, für deren Einhaltung die ewige Selig keit verpfändet wird, sondern nur eine Forderung des Teufels, die der Maler einhalten soll. Es berührt uns als ganz unlogisch, absurd, daß dieser Mensch seine Seele einsetzt nicht für etwas, was er vom Teufel be kommen, fondern was er dem Teufel leisten soll. Noch sonderbarer klingt die Verpflichtung des Malers. § 52Erste, mit schwarzer Tinte gescbriebene „Syngrapha“:
§ 53Ich Chriftoph Haintzmann unterschreibe mich,
diesen Herrn sein leibeigener Sohn auf 9 Jahr. 1669 Jahr. § 54Zweite, mit Blut geschrieben:
§ 55Anno 1669
Christoph Haitzmann. Ich verschreibe mich dißen Satan, ich sein leibeigner Sohn zu sein, und in 9 Jahr ihm mein Leib und Seel zuzugeheren. § 56Alles Befremden entfällt aber, wern wir den Text
der Verschreibungen so zurechtrücken, daß in ihr als Forderung des Teufels dargestellt wird, was vielmehr seine Leiftung, also Forderung des Malers ist. Dann bekäme der unverständliche Pakt einen geraden Sinn und könnte solcherart ausgelegt werden: Der Teufel verpflichtet sich, dem Maler durch neun Jahre den ver lorenen Vater zu ersetzen. Nach Ablauf dieser Zeit ver fällt der Maler mit Leib und Seele dem Teufel, wie es bei diefen Händeln allgemein üblich war. Der Ge dankengang des Malers, der seinen Pakt motiviert, scheint ja der folgende zu sein: Durch den Tod des Vaters hat er Stimmung und Arbeitsfähigkeit eingebüßt; wenn er nun einen Vaterersatz bekommt, hofft er das Verlorene wieder zu gewinnen. § 57Jemand, der durch den Tod seines Vaters melan
cholisch geworden ist, muß doch diesen Vater lieb ge babt haben. Dann ist es aber sehr sonderbar, daß ein solcher Mensch auf die Idee kommen kann, den Teufel zum Ersatz für den geliebten Vater zu nehmen. § 58[33]
§ 59III
DER TEUFEL ALS VATERERSATZ § 60Ich besorge, eine nüchterne Arbeit wird uns nichtsousentendue“. Der Maler ver pflichtet sich aber zu zweierlei, erstens zur Teufelssohn schaft durch neun Jahre und zweitens dazu, ihm nach dem Tode ganz anheimzufallen. Damit ist eine der Be gründungen unseres Schlusses weggeräumt.
zugeben, daß wir mit jener Umdeutung den Sinn des Teufelspakts bloßgelegt haben. Sie wird zweierlei Ein wendungen dagegen erheben. Erstens: es sei nicht not wendig, die Verschreibung als einen Vertrag anzusehen, in dem die Verpflichtungen beider Teile Platz gefunden haben. Sie enthalte vielmehr nur die Verpflichtung des Malers, die des Teufels sei außerhalb ihres Textes ge blieben, gleichsam „ § 61Die zweite Einwendung wird sagen, es sei nicht bemancipavit“, zu eigen gegeben, es auf sich genommen habe, ein sündhaftes Leben zu führen und Gott und die heilige Dreieinigkeit zu ver leugnen. Warum sollten wir uns von dieser naheliegen den und ungezwungenen Auffassung entfernen?11 Der Sachverhalt wäre dann einfach der, daß sich jemand in der Qual und Ratlosigkeit einer melancholischen De pression dem Teufel verschreibt, dem er auch das stärkste therapeutische Können zutraut. Daß diese Verstimmung aus dem Tod des Vaters hervorging, komme nicht weiter in Betracht, es hätte auch ein anderer Anlaß fein können. Das klingt stark und vernünftig. Gegen die Psychoana Iyse erhebt sich wieder der Vorwurf, daß sie einfache Ver hältnisse in spitzfindiger Weise kompliziert, Geheimnisse und Probleme dort sieht, wo sie nicht exisitieren, und daß
rechtigt, auf den Ausdruck, des Teufels leibeigener Sohn zu sein, besonderes Gewicht zu legen. Das sei eine ge läufige Redensart, die jeder so auffassen könne, wie die geistlichen Herren sie verstanden haben mögen. Diese über setzen die in den Verschreibungen versprochene Sohn schaft nicht in ihr Latein, sondern sagen nur, daß der Maler sich dem Bösen „ 1) In der Tat werden wir später, wenn wir erwägen, wann und für wen diese Verschreibungen abgefaßt wurden, selbst einsehen, daß ihr Text unauffällig und allgemein verständlich Iauten mußte. Es reicht uns aber hin, wenn er eine Zwei deutigkeit bewahrt, an welche auch unsere Auslegung anknüpfen kann. § 62[Bild einfügen]
§ 63Nun, ich werde meine Entgegnungen nicht mit den
Worten einleiten: seien wir ehrlich oder seien wir auf richtig, denn das muß man immer sein können, ohne einen besonderen Anlauf dazu zu nehmen, sondern ich werde mit schlichten Worten versichern, daß ich wohl weiß, wenn jemand nicht bereits an die Berechtigung der psychoanalytischen Denkweise glaubt, werde er diese Überzeugung auch nicht aus dem Fall des Malers Chr. Haitzmann im siebzehnten Jahrhundert gewinnen. Es ist auch gar nicht meine Absicht, diesen Fall als Be weismittel für die Gültigkeit der Psychoanalyse zu ver werten; ich setze vielmehr die Psychoanalyse als gültig voraus und verwende sie dazu, um die dämonologische Erkrankung des Malers aufzuklären. Die Berechtigung hiezu nehme ich aus dem Erfolg unserer Forschungen über das Wesen der Neurosen überhaupt. In aller Be scheidenheit darf man es aussprechen, daß heute selbst die Stumpferen unter unseren Zeit- und Sachgenossen einzusehen beginnen, daß ein Verständnis der neuro tischen Zustände ohne Hilfe der Psychoanalyse nicht zu erreichen ist. „Die Pfeile nur erobern Troja, sie allein“, bekennt der Odysseus in Sophokles’ Philoktet. § 64Wenn es richtig ist, die Teufelsverschreibung unseres
Malers als neurotische Phantasie anzusehen, so bedarf eine psychoanalytische Würdigung derselben keiner wei teren Entschuldigung. Auch kleine Anzeichen haben ihren Sinn und Wert, ganz besonders unter den Ent stehungsbedingungen der Neurose. Man kann sie frei lich ebensowohl überschätzen wie unterschätzen, und es bleibt eine Sache des Takte, wie weit man in ihrer Vers wertung geben will. Wenn aber jemand nicht an die Psychoanalyse und nicht einmal an den Teufel glaubt, muß es ihm überlassen bleiben, was er mit dem Fall des Malers anfangen will, sei es, daß er dessen Er klärung aus eigenen Mitteln bestreiten kann, sei es, daß er nichts der Erklärung Bedürftiges an ihm findet. § 65Wir kehren also zu unserer Annahme zurück, daß der
Teufel, dem unser Maler sich verschreibt, ihm ein di rekter Vaterersatz ist. Dazu stimmt auch die Gestalt, in § 66[Bild einfügen]
§ 67Daß der Teufel zum Ersatz eines geliebten Vaters11
gewählt wird, klingt wirklich befremdend, aber doch nur, wenn wir zum erstenmal davon hören, denn wir wissen mancherlei, was die Überraschung mindern kann. Zunächst, daß Gott ein Vaterersatz ist oder richtiger: ein erhöhter Vater oder noch anders: ein Nachbild des Vaters, wie man ihn in der Kindheit sah und erlebte, der Einzelne in feiner eigenen Kindheit und das Menschen geschlecht in seiner Vorzeit als Vater der primitiven Ur horde. Später sah der Einzelne seinen Vater anders und geringer, aber das kindliche Vorstellungsbild blieb er halten und verschmolz mit der überlieferten Erinne tungsspur des Urvaters zur Gottesvorstellung des Ein zelnen. Wir wissen auch aus der Geheimgeschichte des Individuums, welche die Analyse aufdeckt, daß das Verhältnis zu diesem Vater vielleicht vom Anfang an ein ambivalentes war, jedenfalls bald so wurde, d. h. es umfaßte zwei einander entgegengesetzte Gefühls regungen, nicht nur eine zärtlich unterwürfige, sondern auch eine feindselig trotzige. Dieselbe Ambivalenz be herrscht nach unserer Auffassung das Verhältnis der Menschenart zu ihrer Gottheit. Aus dem nicht zu Ende gekommenen Widerstreit von Vatersehnsucht einerseits, Angst und Sohnestrotz anderseits haben wir uns wich tige Charaktere und entscheidende Schicksale der Reli gionen erklärt. 1) Aus einem solchen schwarzen Hund entwickelt sich bei Goethe der Teufel selbst. § 68Vom bösen Dämon wissen wir, daß er als Widerpart11 in den Urzeiten der Religionen trug Gott selbst noch alle die schreckenden Züge, die in der Folge zu einem Gegenstück von ihm vereinigt wurden.
Gottes gedacht ist und doch seiner Natur sehr nahe steht. Seine Geschichte ist allerdings nicht so gut erforscht wie die Gottes, nicht alle Religionen haben den bösen Geist, den Gegner Gottes, aufgenommen, sein Vorbild im indi viduellen Leben bleibt zunächst im Dunkeln. Aber eines steht fest, Götter können zu bösen Dämonen werden, wenn neue Götter sie verdrängen. Wenn ein Volk von einem anderen besiegt wird, so wandeln sich die ge stürzten Götter der Besiegten nicht selten für das Sieger volk in Dämonen um. Der böse Dämon des christlichen Glaubens, der Teufel des Mittelalters, war nach der chriftlichen Mythologie selbst ein gefallener Engel und gottgleicher Natur. Es braucht nicht viel analytischen Scharfsinns, um zu erraten, daß Gott und Teufel ur sprünglich identisch waren, eine einzige Gestalt, die später in zwei mit entgegengesetzten Eigenschaften zer legt wurde. 1) Siehe „Totem und Tabu“ (Ges. Schriften, Bd. X) und im Einzelnen Th. Reik, Das Ritual (Imago-Bücher, Bd. XI, Internationaler Psychoanalytischer Verlag, Wien). § 69Es ist der uns wohlbekannte Vorgang der Zer
legung einer Vorstellung mit gegensinnigem — ambi valentem — Inhalt in zwei scharf kontrastierdende Ge gensätze. Die Widersprüche in der ursprünglichen Natur Gottes sind aber eine Spiegelung der Ambivalenz, welche das Verhältnis des Einzelnen zu seinem persönlichen Vater beherrscht. Wenn der gütige und gerechte Gott ein Vaterersatz ist, so darf man sich nicht darüber wundern, daß auch die feindliche Einstellung, die ihn haßt und fürchtet und sich über ihn beklagt, in der Schöpfung des Satans zum Ausdruck gekommen ist. Der Vater wäre also das individuelle Urbild sowohl Gottes wie des Teufels. Die Religionen würden aber unter der untilgbaren Nachwirkung der Tatsache stehen, daß der primitive Urvater ein uneingeschränkt böses Wesen war, Gott weniger ähnlich als dem Teufel. 1) Siehe Th. Reik, Der eigene und der fremde Gott. Zur Psychoanalyse der religiösen Entwicklung. (Imago-Bücher Bd. III, 1923) im Kapitel: Gott und Teufel. § 70Freilich, so leicht ist es nicht, die Spur der satanischen11 Auch die in den Tier phobien der Kinder auftretenden Tiere sind am häufig sten Vaterersatz wie in der Urzeit das Totemtier. So deutlich aber wie bei unserem neurotischen Maler des siebzehnten Jahrhunderts hört man sonst nicht, daß der Teufel ein Lachbild des Vaters ist und als Ersatz für ihn eintreten kann. Darum sprach ich eingangs dieser Arbeit die Erwartung aus, eine solche dämonologische Krankengeschichte werde uns als gediegenes Metall zeigen, was in den Neurosen einer späteren, nicht mehr abergläubischen aber dafür hypochondrischen Zeit müh selig durch analytische Arbeit aus dem Erz der Einfälle und Symptome dargestellt werden muß.11
Auffassung des Vaters im Seelenleben des Einzelnen aufzuzeigen. Wenn der Knabe Fratzen und Karikaturen zeichnet, so gelingt es etwa nachzuweisen, daß er in ihnen den Vater verhöhnt, und wenn beide Geschlechter sich nächtlicherweise vor Räubern und Einbrechern schreck ken, so hat die Erkennung derselben als Abspaltungen des Vaters keine Schwierigkeit. 1) Als Einbrecher erscheint der Vater Wolf auch in dem bekannten Märchen von den sieben Geißlein. § 71Stärkere Überzeugung werden wir wahrscheinlich
gewinnen, wenn wir tiefer in die Analyse der Erkran kung bei unserem Maler eindringen. Daß ein Mann durch den Tod seines Vaters eine melancholische De pression und Arbeitshemmung erwirbt, ist nichts Un gewöhnliches. Wir schbließen daraus, daß er an diesem Vater mit besonders starker Liebe gehangen hat, und erinnern uns daran, wie oft auch die schwere Melan cholie als neurotische Form der Trauer auftritt. § 72Darin haben wir gewiß recht, nicht aber, wenn wir
weiter schließen, daß dies Verhältnis eitel Liebe ge wesen sei. Im Gegenteil, eine Trauer nach dem Verlust des Vaters wird sich um so eher in Melancholie um wandeln, je mehr das Verhältnis zu ihm im Zeichen der Ambivalenz stand. Die Hervorhebung dieser Am bivalenz bereitet uns aber auf die Möglichkeit der Er niedrigung des Vaters vor, wie sie in der Teufelsneu rose des Malers zum Ausdruck kommt. Könnten wir nun von Chr. Haitzmann so viel erfahren wie von einem Patienten, der sich unserer Analyse unterzieht, so wäre es ein leichtes, diese Ambivalenz zu entwickeln, ihm zur Erinnerung zu bringen, wann und bei welchen Anlässen er Grund bekam, seinen Vater zu fürchten und zu hassen, vor allem aber die akzidentellen Momente aufzudecken, die zu den typischen Motiven des Vaterhasses hinzu gekommen sind, welche in der natürlichen Sohn-Vater Beziehung unvermeidlich wurzeln. Vielleicht fände dann die Arbeitsbemmung eine fpezielle Aufklärung. Es ift möglich, daß der Vater sich dem Wunsch des Sohnes, Maler zu werden, widersetzt hatte; dessen Unfähigkeit, seine Kunst nach dem Tode des Vaters auszuüben, wäre dann einerseits ein Ausdruck des bekannten „nachträg lichen Gehorsams“, anderseits würde sie, die den Sohn zur Selbsterhaltung unfähig macht, die Sehnsucht nach dem Vater als Beschützer vor der Lebenssorge steigern müssen. Als nachträglicher Gehorsam wäre sie auch eine Äußerung der Reue und eine erfolgreiche Selbst bestrafung. 1) Wenn es uns so selten gelingt, in unseren Analysen den Teufel als Vater ersatz aufzufinden, so mag dies darauf hinweisen, daß diese Figur der mittel alterlichen Mythologie bei den Personen, die sich unserer Analyse unterziehen, ihre Rolle längst ausgespielt hat. Dem frommen Christen früherer Jahrhunderte war der Glaube an den Teufel nicht weniger Pflicht als der Glaube an Gott. In der Tat brauchte er den Teufel, um an Gott festhalten zu können. Der Rückgang der Gläubigkeit hat dann aus verschiedenen Gründen zuerst und zunächst die Person des Teufels betroffen. Wenn man sich getraut, die Idee des Teufels als Vaterersatz kulturgeschichtlich zu verwerten, so kann man auch die Hexenprozesse des Mittelalters in einem neuen Lichte sehen. § 73Da wir eine solche Analyse mit Chr. Haitzmann, † 1700,
nicht anstellen können, müssen wir uns darauf be schränken, diejenigen Züge seiner Krankengeschichte her vorzuheben, welche auf die typischen Anlässe zu einer negativen Vatereinstellung hinweisen können. Es sind nur wenige, nicht sehr auffällig, aber recht interessant. § 74Vorerst die Rolle der Zahl Neun. Der Pakt mit dempro novem annis Syngraphen. Dieser vom 1. September 1677 da scriptam tradidit tierte Geleitbrief weiß auch anzugeben, daß die Frist in wenigen Tagen abgelaufen wäre: quorum et finis. Die Verschrei 24 mensis hujus futurus appropinquat bung wäre also am 24. September 1668 erfolgt.11 Ja, in diesem Bericht bat die Zahl Neun noch eine andere Ver wendung. Nonies, neunmal, will der Maler den Ver suchungen des Böfen widerstanden haben, ehe er sich ihm ergab. Dies Detail wird in den späteren Berichten nicht mehr erwähnt; Post annos novem, heißt es dann auch im Attest des Abtes und ad novem annos, wieder holt der Kompilator in seinem Auszug, ein Beweis, daß diese Zahl nicht als gleichgültig angesehen wurde.
Bösen wird auf neun Jahre gefschlossen. Der gewiß unverdächtige Bericht des Pfarrers von Pottenbrunn äußert sich klar daüber: § 75Die Neunzahl ist uns aus neurotischen Phantasien
wohl bekannt. Sie ist die Zahl der Schwangerschafts monate und lenkt, wo immer sie vorkommt, unsere Auf merksamkeit auf eine Schwangerschaftsphantasie hin. Bei unserem Maler handelt es sich freilich um neun Jahre, nicht um neun Monate, und die Neun, wird man sagen, ist auch sonst eine bedeutungsvolle Zahl. Aber wer weiß, ob die Neun nicht überhaupt ein gutes Teil ihrer Heiligkeit ihrer Rolle in der Schwangerschaft verdankt; und die Wandlung von neun Monaten zu neun Jahren braucht uns nicht zu beirren. Wir wissen vom Traum her, wie die „unbewußte Geistestätigkeit“ mit den Zahlen umspringt. Treffen wir z. B. im Traum auf eine Fünf, so ist diese jedesmal auf eine bedeutsame Sünde des Wachlebens zurückzuführen, aber in der Rea lität waren es fünf Jahre Altersunterfchied oder eine Gesellschaft von fünf Perfonen, im Traum erscheinen sie als fünf Geldscheine oder fünf Stücke Obst. Das heißt die Zahl wird beibehalten, aber ihr Nenner be liebig, je nach den Anforderungen der Verdichtung und Verschiebung vertauscht. Neun Jahre im Traum können also ganz leicht neun Monaten der Wirklichkeit ent sprechen. Auch spielt die Traumarbeit noch in anderer Weise mit den Zahlen des Wachlebens, indem sie mit souveräner Gleichgültigkeit sich um die Nullen nicht bekümmert, sie gar nicht wie Zahlen behandelt. Fünf Dollars im Traum können fünfzig, fünfhundert, fünf taufend Dollars der Realität vertreten. 1) Der Widerspruch, daß die wiedergegebenen Verschreibungen beide die Jahres zahl 1669 zeigen, wird uns später beschäftigen. § 76Ein anderes Detail in den Beziehungen des Malers
zum Teufel weist uns gleichfalls auf die Sexualität hin. Das erstemal sieht er, wie schon erwähnt, den Bösen in der Erscheinung eines ehrsamen Bürgers. Aber schon das nächste Mal ist er nackt, mißgeftaltet und hat zwei Paar weiblicher Brüste. Die Brüste, bald einfach, bald mehrfach vorhanden, fehlen nun in keiner der folgen den Erscheinungen. Nur in einer derselben zeigt der Teufel außer den Brüsten einen großen, in eine Schlange auslaufenden Penis. Diese Betonung des weiblichen Geschlechtescharakters durch große, hängende Brüste (nie findet sich eine Andeutung des weiblichen Genitales) muß uns als auffälliger Widerspruch gegen unsere An nahme erscheinen, der Teufel bedeute unserem Maler einen Vaterersatz. Eine solche Darstellung des Teufels ist auch an und für sich ungewöhnlich. Wo Teufel ein Gattungsbegriff ist, also Teufel in der Mehrzahl auf treten, bat auch die Darstellung von weiblichen Teufeln nichts Befremdendes, aber daß der eine Teufel, der eine große Individualität ist, der Herr der Hölle und Wider sacher Gottes, anders als männlich, ja übermännlich mit Hörnern, Schweif und großer Penisschlange ge bildet werde, scheint mir nicht vorzukommen. § 77Aus diesen beiden kleinen Anzeichen läßt sich doch
erraten, welches typische Moment den negativen Anteil seines Vaterverhältnisses bedingt. Das, wogegen er sich sträubt, ist die feminine Einstellung zum Vater, die in der Phantasie, ihm ein Kind zu gebären (neun Jahre) gipfelt. Wir kennen diesen Widerstand genaua aus unseren Analsfen, wo er in der Übertragung sehr merkwürdige Formen annimmt und uns viel zu schaffen macht. Mit der Trauer um den verlorenen Vater, mit der Steige rung der Sehnsucht nach ihm, wird bei unserem Maler auch die längst verdrängte Schwangerschaftsphantasie reaktiviert, gegen die er sich durch Neurose und Vater erniedrigung wehren muß. § 78Warum trägt aber der zum Teufel herabgesetzte Vater
das körperliche Merkmal des Weibes an sich? Dieser Zug erscheint anfangs schwer deutbar, bald aber ergeben sich zwei Erklärungen für ihn, die miteinander kon kurrieren ohne einander auszuschließen. Die feminine Einstellung zum Vater unterlag der Verdrängung, so bald der Knabe verstand, daß der Wettbewerb mit dem Weib um die Liebe des Vaters das Aufgeben des eigenen männlichen Genitales, also die Kastration, zur Bedin gung hat. Die Ablehnung der femininen Einstellung ist also die Folge des Sträubens gegen die Kastration, sie findet regelmäßig ihren stärkeren Ausdruck in der gegenfänglichen Phantasie, den Vater selbst zu kastrieren, ihn zum Weib zu machen. Die Brüste des Teufels ent § 79[Bild einfügen]
§ 80Wenn das Widerstreben gegen die Annahme der Ka
stration unserem Maler die Erledigung seiner Vater sehnsucht unmöglich macht, so ist es überaus verständ lich, daß er sich um Hilfe und Rettung an das Bild der Mutter wendet. Darum erklärt er, daß nur die heilige Mutter Gottes von Mariazell ihn vom Pakt mit dem Teufel lösen kann, und erhält am Geburtstag der Mutter (8. September) seine Freiheit wieder. Ob der Tag, an dem der Pakt geschloffen wurde, der 24. September, nicht auch ein in ähnlicher Weise ausgezeichneter Tag war, werden wir natürlich nie erfahren. 2) Vgl. „Eine Kindheitserinnerung des Leonardo da Vinci“ (Ges. Schriften, Bd. IX.) § 81Kaum ein anderes Stück der psychoanalytischen ErSchreber die Geschichte seiner psychotischen Erkrankung und weit gehenden Herstellung bekannt gemacht hat.11 Aus dieser unschätzbaren Veröffentlichung erfahren wir, da der Herr Senatspräsident etwa um das fünfzigste Jahr seines Lebens die sichere Überzeugung bekam, daß Gott — der übrigens deutliche Züge seines Vaters, des ver dienten Arztes Dr. Schreber an sich trägt — den Ent schluß gefaßt, ihn zu entmannen, als Weib zu gebrauchen und aus ihm neue Menschen von Schreberschem Geist entstehen zu lassen. (Er war selbst in seiner Ehe kinder los geblieben.) An dem Sträuben gegen diese Absicht Gottes, welche ihm höchst ungerecht und „weltordnungs widrig“ vorkam, erkrankte er unter den Erscheinungen einer Paranoia, die sich aber im Laufe der Jahre bis
mittlungen aus dem Seelenleben des Kindes klingt dem normalen Erwachsenen so abstoßend und unglaub würdig wie die feminine Einstellung zum Vater und die aus ihr folgende Schwangerschaftsphantasie des Knaben. Wir können erst ohne Besorgnis und ohne Bedürfnis nach Entschuldigung von ihr reden, seitdem der sächsische Senatspräsident Daniel Paul 1) D. P. Schreber, Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken, Leipzig 1903. Vgl. meine Analyse des Falles Schreber (Psychoanalytische Bemerkungen über einen autobiographisch beschriebenen Fall von Paranoia. Ges. Schriften, Bd. VIII). § 82[Bild einfügen]
§ 83Dieses Sträuben gegen die Kastration oder die feAdler aus seinen or ganischen Zusammenhängen gerissen, in seichte oder falsche Beziehungen zum Machtstreben gebracht und als „männlichen Protest“ selbstständig hingestellt. Da eine Neurose immer nur aus dem Konflikt zweier Strebun gen hervorgehen kann, ist es ebenso berechtigt, im männ lichen Protest die Verursachung „aller“ Neurosen zu sehen wie in der femininen Einstellung, gegen welche protestiert wird. Richtig ist, daß dieser männliche Protest einen regelmäßigen Anteil an der Charakterbildung hat, bei manchen Typen einen sehr großen, und daß er uns als scharfer Widerstand bei der Analyse neurotischer Männer entgegentritt. Die Psychoanalyse würdigt den männlichen Protest im Zusammenhang des Kastrations komplexes, ohne seine Allmacht oder Allgegenwart bei den Neurosen vertreten zu können. Der ausgeprägteste Fall von männlichem Protest in allen manifesten Reak tionen und Charakterzügen, der meine Behandlung auf gesucht bat, bedurfte ihrer wegen einer Zwangsneurose mit Obsessionen, in denen der ungelöste Konflikt zwi schen männlicher und weiblicher Einstellung (Kastra tionsangst und Kastrationslust) zu deutlichem Ausdruck kam. Überdies hatte der Patient masochistische Phan tsien entwickelt, die durchaus auf den Wunsch, die Kastration anzunehmen, zurückgingen, und war selbst von diesen Phantasien zur realen Befriedigung in per versen Situationen vorgeschritten. Das Ganze seines Zustandes beruhte — wie die Adlersche Theorie über haupt — auf der Verdrängung, Verleugnung früh infantiler Liebesfixierungen.
minine Einstellung bet Alfred § 84Der Senatspräsident Schreber fand seine Heilung, als er sich entschloß, den Widerstand gegen die Kastra tion aufzugeben und sich in die ihm von Gott zuge dachte weibliche Rolle zu fügen. Er wurde dann klar und ruhig, konnte seine Entlassung aus der Anstalt selbst durchsetzen und führte ein normales Leben bis auf den einen Punkt, daß er einige Stunden täglich der Pflege seiner Weiblichkeit widmete, von der langsamen Fort schreiten bis zu dem von Gott bestimmten Ziel er über zeugt blieb.
§ 85IV
DIE ZWEI VERSCHREIBUNGEN § 86Ein merkwürdiges Detail in der Geschichte unseres
Malers ist die Angabe, daß er dem Teufel zwei ver schiedene Verschreibungen ausgestellt. § 87Die erste, mit schwarzer Tinte geschriebene, hatte den
Wortlaut: § 88„Ich Chr. H. undterschreibe mich diesen Herrn sein leib
eigener Sohn auff 9 Jahr.“ § 89Die zweite, mit Blut geschrieben, lautet:
§ 90„Chr. H. Ich verschreibe mich dißen Satan ich sein leib
eigener Sohn zu sein und in 9. Jahr ihm mein Leib und Seel zuzugehren.“ § 91Beide sollen zur Zeit der Abfassung des Trophaeum
im Archiv von Mariazell im Original vorhanden ge wesen sein, beide tragen die nämliche Jahreszahl 1669. § 92Ich habe die beiden Verschreibungen bereits mehr
mals erwähnt und unternehme es jetzt, mich eingehen der mit ihnen zu beschäftigen, obwohl gerade hier die Gefahr, Kleinigkeiten zu überschätzen, besonders dro hend erscheint. § 93Die Tatsache, daß sich einer dem Teufel zweimal ver
schreibt, so daß die erste Schrift durch die Zweite ersetzt wird, ohne aber ihre eigene Gültigkeit zu verlieren, ist ungewöhnlich. Vielleicht befremdet sie andere weniger, die mit dem Teufelstoff vertrauter sind. Ich konnte nur eine besondere Eigentümlichkeit unseres Falles darin sehen und wurde mißtrauisch, als ich fand, daß die Be richte gerade in diesem Punkt nicht zusammenstimmen. Die Verfolgung dieser Widersprüche wird uns in uns erwarteter Weise zu einem tieferen Verständnis der Krankengeschichte leiten. § 94Das Geleitschreiben des Pfarrers von Pottenbrunn
weist die einfachsten und klarsten Verhältnisse auf. In ihm ist nur von einer Verschreibung die Rede, die der Maler vor neun Jahren mit Blut gefertigt, und die nun in den nächsten Tagen, am 24. September, fällig wird, sie wäre also am 24. September 1668 ausgestellt worden; leider ist diese Jahreszahl, die sich mit Sicherheit ab leiten läßt, nicht ausdrücklich genannt. § 95Der Attest des Abtes Franciscus, wie wir wissen,schedam redderet und schedam sibi porri, als ob es sich nur um ein einziges gentem conspexisset Schriftstück handeln könnte. Aber wohl folgt es aus dem weiteren Verlauf der Geschichte sowie aus dem farbigen Titelblatt des Tropheum, wo auf dem Zettel, den der dämonische Drache hält, deutlich rote Schrift zu sehen ist. Der weitere Verlauf ist, wie bereits erwähnt, der, daß der Maler im Mai 1678 nach Mlariazell wieder kehrt, nachdem er in Wien neuerliche Anfechtungen des Bösen erfahren, und das Ansuchen stellt, es möge ihm durch einen neuerlichen Gnadenakt der heiligen Mutter auch dies erste, mit Tinte geschriebene Dokument wieder gegeben werden. Auf welche Weise dies geschieht, wird
wenige Tage später datiert (12. September 1677), er wähnt bereits einen komplizierteren Sachverhalt. Es liegt nahe anzunehmen, daß der Maler inzwischen ge nauere Mitteilungen gemacht hatte. In diesem Attest wird erzählt, daß der Maler zwei Verschreibungen von sich gegeben, die eine im Jahre 1668 (wie es auch nach dem Geleitbrief sein müßte) mit schwarzer Tinte ge schrieben, die andere aber sequenti anno 1669 mit Blut geschrieben. Die Verschreibung, die er am Tage Mariä Geburt zurückbekam, war die mit Blut geschriebene, also die spätere, 1669 ausgestellte. Dies geht nicht aus dem Attest des Abtes hervor, denn dort heißt es im wei teren einfach: § 96Die Verschreibungen tragen aber beide dasselbe Da
tum: Jahr 1669. § 97Dieser Widerspruch bedeutet entweder gar nichts oder
er führt auf folgende Spur: § 98Wenn wir von der Darstellung des Abtes als der ausanno subsequenti“ zugeteilt ist?
führlicheren ausgeben, ergeben sich mancherlei Schwie rigkeiten. Als Chr. H. dem Pfarrer von Pottenbrunn bekannte, er sei in Teufelsnöten, der Termin laufe bald ab, kann er (im Jahre 1677) nur an die im Jahre 1668 ausgestellte Verschreibung gedacht haben, also an die erste, schwarze (die im Geleitbrief allerdings einzig ge nannt und als die blutige bezeichnet wird). Wenige Tage später, in Mariazell, bekümmert er sich aber nur darum, die spätere, blutige, zurückzubekommen, die noch gar nicht fällig ist (1669 — 1677), und läßt die erste über fällig werden. Diese wird erst 1678, also im zehnten Jahr, zurückerbeten. Ferner, warum sind beide Verschreibun gen aus dem gleichen Jahr 1669 datiert, wenn die eine ausdrücklich „ § 99Der Kompilator muß diese Schwierigkeiten verspürtdeinde vero“, später aber mit Blut. Er feut sich also über die ausdrückliche Angabe der beiden Berichte, daß eine Verschreibung ins Jahr 1668 fällt, hinweg und vernachläßigt die Bemerkung im Attest des Abtes, daß sich zwischen beiden Verschrei bungen die Jahreszahl geändert, um im Einklang mit der Datierung der beiden, vom Teufel zurückgegebenen Schriftftücke zu bleiben.
haben, denn er macht einen Versuch, sie zu beheben. In seiner Einleitung schließt er sich der Darstellung des Abtes an, modifiziert sie aber in einem Punkte. Der Maler, fagt er, habe sich im Jahre 1669 dem Teufel mit Tinte verschrieben, „§ 100Im Attest des Abtes findet sich nach den Wortensequenti vero anno 1669 eine in Klammern einge feschlossene Stelle, welche lautet: sumitur hic alter annus. Diese Stelle ist ein unzweifelhaftes pro nondum completo uti saepe in loquendo fieri solet, nam eundum annum indicant Syngraphae quarum atramento scripta ante praesentem attestationem non dum habita fuit Einschiebsel des Kompilators, denn der Abt, der nur eine Verschreibung gesehen hat, kann doch nicht aus sagen, daß beide dasselbe Datum tragen. Sie soll wohl auch durch die Klammern als ein dem Zeugnis fremder Zusatz kenntlich gemacht werden. Was sie enthält, ist ein anderer Versuch des Kompilators, die vorliegen den Widersprüche zu versöhnen. Er meint, es sei zwar richtig, daß die erste Verschreibung im Jahre 1668 ge geben worden ist, aber da das Jahr schon vorgerückt war (September), habe der Maler sie um ein Jahr vordatiert, so daß beide Verschreibungen die gleiche Jahreszahl zeigen konnten. Seine Berufung darauf, man mache es ja im mündlichen Verkehr oft ähnlich, verurteilt wohl diesen ganzen Erklärungsversuch als eine „faule Ausrede“.
§ 101Ich weiß nun nicht, ob meine Darstellung dem Leser
irgendeinen Eindruck gemacht und ob sie ihn instand gesetzt hat, sich für diese Winzigkeiten zu interessieren. Ich fand es unmöglich, den richtigen Sachverhalt in unzweifelbafter Weise festzustellen, bin aber beim Stu dium dieser verworrenen Angelegenheit auf eine Ver mutung gekommen, die den Vorzug hat, den natürlich sten Hergang einzusetzen, wenngleich die schriftlichen Zeugnisse sich auch ihr nicht völlig fügen. § 102Ich meine, als der Maler zuerst nach Mariazell kam,
sprach er nur von einer regelrecht mit Blut geschrie benen Verschreibung, die bald verfallen sollte, also im September 1668 gegeben war, ganz so wie es im Ge leitbrief des Pfarrers mitgeteilt ist. In Mariazell präs sentierte er auch diese blutige Verschreibung als die jenige, die ihm der Dämon unter dem Zwang der heili gen Mutter zurückgegeben hatte. Wir wissen, was weiter geschah. Der Maler verließ bald darauf den Gnadenort und ging nach Wien, wo er sich auch bis Mitte Oktober frei fühlte. Aber dann fingen Leiden und Erscheinungen, in denen er das Werk des bösen Geistes sah, wieder an. Er fühlte sich wieder erlösungsbedürf tig, fand sich aber vor der Schwierigkeit, aufzuklären, warum ihm die Beschwörung in der heiligen Kapelle keine dauernde Erlösung gebracht hatte. Als ungeheilter Rückfälliger wäre er wohl in Mariazell nicht will kommen gewesen. In dieser Not erfand er eine frühere, erste Verschreibung, die aber mit Tinte geschrieben sein sollte, damit ihr Zurückstehen gegen eine spätere, blu tige, plausibel erscheinen konnte. Nach Mariazell zu rückgekommen, ließ er sich auch diese angeblich erste Verschreibung zurückgeben. Dann hatte er Ruhe vor dem Bösen, allerdings tat er gleichzeitig etwas anderes, was uns auf den Hintergrund dieser Neurose hin weisen wird. § 103Die Zeichnungen fertigte er gewiß erst bei seinem
zweiten Aufenthalt in Mariazell an; das einheitlich komponierte Titelblatt enthält die Darstellung beider Verschreibungszenen. Bei dem Versuch, seine neueren Angaben mit seinen früheren in Einklang zu bringen, mag er wohl in Verlegenheiten geraten sein. Es war für ihn ungünstig, daß er nur eine frühere, nicht eine spätere Verschreibung hinzudichten konnte. So konnte er das ungeschickte Ergebnis nicht vermeiden, daß er die eine, die blutige Verschreibung zu früh (im achten Jahr), die andere, die schwarze, zu spät (im zehnten Jahr) eingelöst hatte. Als verräterische Anzeichen seiner zwei fachen Redaktion ereignete es sich ihm, daß er sich in der Datierung der Verschreibungen irrte und auch die frühere in das Jahr 1669 setzte. Dieser Irrtum hat die Bedeutung einer ungewollten Aufrichtigkeit; er läßt uns erraten, daß die angeblich frühere Verschreibung zu einem späteren Termin hergestellt wurde. Der Kom pilator, der den Stoff gewiß nicht früher als 1714, viel leicht erst 1729 zur Bearbeitung übernahm, mußte sich bemühen, die nicht unwesentlichen Widersprüche, fo gut er konnte, wegzuschaffen. Da die beiden Verschrei bungen, die ihm vorlagen, auf 1669 lauteten, half er sich durch die Ausrede, die er in das Zeugnis des Abtes einschaltete. § 104Man erkennt leicht, worin die Schwäche dieser sonst11
ansprechenden Konstruktion gelegen ist. Die Angabe zweier Verschreibungen, einer schwarzen und einer blu tigen, findet sich bereits im Zeugnis des Abtes Francis cus. Ich habe also die Wahl, entweder dem Kompilator unterzuschieben, daß er an diesem Zeugnis im engen Anschluß an seine Einschaltung auch etwas geändert hat, oder ich muß bekennen, daß ich die Verwirrung nicht zu lesen vermag.§ 105Die ganze Diskussion wird den Lesern längst über
flüssig und die in ihr behandelten Details zu unwichtig erschienen sein. Aber die Sache gewinnt ein neues Inter esse, wenn man sie nach einer bestimmten Richtung hin verfolgt. § 106Ich habe eben vom Maler ausgefagt, daß er, durchhunc nennt ihn der Geleitbrief — einen solchen miserum Vorwurf zu machen. Die blutige Verschreibung war ja genau so phantasiert wie die angeblich frühere mit Tinte. In Wirklichkeit ist ihm ja überhaupt kein Teufel erschienen, der ganze Pakt mit dem Teufel existierte ja nur in seiner Phantasie. Ich sehe das ein; man kann dem Armen das Recht nicht bestreiten, seine ursprüng liche Phantasie durch eine neue zu ergänzen, wenn die geänderten Verhältnisse es zu erfordern schienen.
den Verlauf seiner Krankheit unliebsam überrascht, eine frühere Verschreibung (die mit Tinte) erfunden habe, um seine Position gegen die geistlichen Herren in Mariazell behaupten zu können. Nun schreibe ich für Leser, die zwar an die Psychoanalyse glauben, aber nicht an den Teufel, und diese könnten mir vorhalten, es sei unsinnig, dem armen Kerl von Maler — 1) Der Kompilator, meine ich, fand sich zwischen zwei fixen Punkten eingeengt. Einerseits fand er sowohl im Geleitbrief des Pfarrers wie im Attest des Abtes die Angabe, daß die Verschreibung (zumindest die erste) im Jahre 1668 ausgestellt worden sei, andererseits zeigten beide im Archiv aufbewahrten Verschreibungen die Jahreszahl 1669; da er zwei Verschreibungen vor sich liegen hatte, stand es für ihn fest, daß zwei Verschreibungen erfolgt waren. Wenn im Zeugnis des Abtes nur von einer die Rede war, wie ich glaube, so mußte er in dieses Zeugnis die Erwähnung der anderen einsetzen und dann den Widerspruch durch die Annahme einer Vordatierung aufheben. Die Abänderung des Textes, die er vornahm, stößt an die Einschaltung, die nur von ihm herrühren kann, unmittelbar an. Er war ge zwungen, Einschaltung und Abänderung durch die Worte sequenti vero anno 1669 zu verbinden, weil der Maler in der (sehr beschäftigten) Legende zum Titelbilde ausdrücklich gefchrieben hatte: Nach einem Jahr würde Er ... schrökhliche betrohungen in ab ..... gestalt Nr. 2 bezwungen sich, ....... n Blunt zu verschreiben. Das „Verschreiben“ des Malers, als er die Syngraphae anfertigte, durch das ich zu meinem Erklärungsversuch genötigt worden bin, erscheint mir nicht weniger interessant als seine Verschreibungen selbst. § 107Aber auch hier gibt es noch eine Fortsetzung. Die
beiden Verschreibungen sind ja nicht Phantasien wie die Teufelsvisionen; sie waren Dokumente, nach der Versicherung des Abschreibers wie nach dem Zeugnis des späteren Abtes Kilian im Archiv von Mariazell für alle sichtbar und greifbar aufbewahrt. Also fliehen wir hier vor einem Dilemma. Entweder haben wir anzunehmen, daß der Maler die beiden ihm angeblich durch göttliche Huld zurückgestellten Schedae selbst zur Zeit verfertigt, da er sie brauchte, oder wir müssen den geistlichen Herren von Mariazell und St. Lambert trotz aller feierlichen Versicherungen, Bestätigungen durch Zeugen mit beigefügten Siegeln usw. die Glaub würdigkeit verweigern. Ich gestehe, die Verdächtigung der geistlichen Herren fiele mir nicht leicht. Ich neige zwar zur Annahme, daß der Kompilator im Interesse der Konkordanz einiges am Zeugnis des ersten Abtes verfälscht hat, aber diese „sekundäre Bearbeitung“ geht nicht weit über ähnliche Leistungen, auch moderner und weltlicher Geschichtsschreiber, hinaus und geschah jedenfalls im guten Glauben. Nach anderer Richtung haben sich die geistlichen Herren gegründeten Anspruch auf unser Vertrauen erworben. Ich sagte es schon, nichts hätte sie hindern können, die Berichte über die Unvollständigkeit der Heilung und die Fortdauer der Versuchungen zu unterdrücken, und auch die Schilde rung der Beschwörungsszene in der Kapelle, der man mit einigem Bangen entgegensehen durfte, ist nüchtern und glaubwürdig geraten. Es bleibt also nichts übrig, als den Maler zu beschuldigen. Die rote Verschreibung hatte er wohl bei sich, als er sich zum Bußgebet in die Kapelle begab, und zog sie dann hervor, als er von seiner Begegnung mit dem Dämon zu den geistlichen Beiständen zurückkehrte. Es muß auch gar nicht der § 108V
DIE WEITERE NEUROSE § 109Aber das wäre Betrug und nicht Neurose, der Maler
ein Simulant und Fälscher, nicht ein kranker Besesse ner! Nun, die Übergänge zwischen Neurose und Simu lation sind bekanntlich fließende. Ich finde auch seine Schwierigkeit anzunehmen, daß der Maler diesen Zettel ebenso wie die späteren in einem besonderen, seinen Vi sionen gleichzustellenden Zustand geschrieben und mit sich genommen hat. Wenn er die Phantasie vom Teufels pakt und von der Erlösung durchführen wollte, konnte er ja gar nichts anderes tun. § 110Den Stempel der Wahrhaftigkeit trägt dagegen das
Tagebuch aus Wien an sich, das er bei seinem zweiten Aufenthalt zu Mariazell den Geistlichen übergab. Es läßt uns freilich tief in die Motivierung oder sagen wir lieber Verwertung der Neurose blicken. § 111Die Aufzeichnungen reichen von seiner erfolgreichen
Beschwörung bis zum 15. Januar des nächsten Jahres 1678. Bis zum 11. Oktober erging es ihm in Wien, wo er bei einer verheirateten Schwester wohnte, recht gut, dann aber fingen neue Zuftände mit Visionen und Krämpfen, Bewußtlosigkeit und schmerzhaften Sen sationen an, die dann auch zu seiner Rückkehr nach Mariszell im Mai 1678 führten. § 112Die neue Leidensgeschichte gliedert sich in drei Phasen.11 und ver sprach ihm dafür ein schönes Stück Geld. Nachdem er diese Vision durch Gebete zum Verschwinden ge bracht, wiederholte sie sich einige Tage später in noch eindringlicherer Form. Diesmal schickte der Kavalier eine der schönsten Frauen, die an der Festtafel saßen, zu ihm hin, um ihn zur Gesellschaft zu bringen, und er hatte Mühe, sich der Verführerin zu erwehren. Am erschreckendsten war aber die bald darauf folgende Vision eines noch prunkvolleren Saales, in dem ein von „Goldstuckh aufgerichteter Thron“ war. Kava liere standen herum und erwarteten die Ankunft ihres Königs. Dieselbe Person, die sich schon so oft um ihn bekümmert hatte, ging auf ihn zu und forderte ihn auf, den Thron zu besteigen, sie „wollten ihn für ihren König halten und in Ewigkeit verehren“. Mit dieser Ausschweifung seiner Phantasie schließt die erste, recht durchsichtige Phase der Versuchungsgeschichte ab.
Zuerst meldet sich die Versuchung in Gestalt eines schön gekleideten Kavaliers, der ihm zureden will, den Zettel wegzuwerfen, der seine Aufnahme in die Bruderschaft vom heiligen Rosenkranz bescheinigt. Da er widerstand, wiederholte sich dieselbe Erscheinung am nächsten Tag, aber diesmal in einem prächtig geschmückten Saal, in dem vornehme Herren mit schönen Damen tanzten. Der selbe Kavalier, der ihn schon einmal versucht, machte ihm einen auf Malerei bezüglichen Antrag 1) Eine mir unveständliche Stelle. § 113Es mußte jetzt zu einer Gegenwirkung kommen. Die11 Da gab er endlich nach, beschloß aus diesem Leben auszutreten und zu tun, was von ihm verlangt wurde. Mit dieser Entschließung endet die zweite Phase. Der Maler kon statiert, daß er von dieser Zeit an keine Erscheinung oder Anfechtung mehr gehabt hat.
asketische Reaktion erhob ihr Haupt. Am 20. Oktober erschien ihm ein großer Glanz, eine Stimme daraus gab sich als Christus zu erkennen und forderte von ihm, daß er dieser bösen Welt entsagen und sechs Jahre lang in einer Wüste Gott dienen solle. Der Maler litt unter diesen heiligen Erscheinungen offenbar mehr als unter den früheren dämonischen. Aus diesem Anfall erwachte er erst nach zweieinhalb Stunden. Im nächsten war die von Glanz umgebene heilige Person weit unfreund licher, drohte ihm, weil er den göttlichen Vorschlag nicht angenommen hatte, und führte ihn in die Hölle, damit er durch das Los der Verdammten geschreckt werde. Offenbar blieb aber die Wirkung aus, denn die Erschei nungen der Person im Glanze, die Christus sein sollte, wiederholten sich noch mehrmals, jedesmal mit stunden langer Geiftesabwesenheit und Verzücktheit für den Maler. In der großartigsten dieser Verzücktheiten führte ihn die Person im Glanze zuerst in eine Stadt, in deren Strafen die Menschen alle Werke der Finsternis übten, und dann zum Gegensatz auf eine schöne Au, in der Ein siedler ihr gottgefälliges Leben führten und greifbare Beweise von Gottes Gnade und Fürsorge erhielten. Dann erschien an Stelle Christi die heilige Mutter selbst, die ihn unter Berufung auf ihre früher geleistete Hilfe mahnte, dem Befehl ihres lieben Sohnes nach zukommen. „Da er sich hiezu nicht recht resolviret”, kam Christus am nächsten Tage wieder und setzte ihm mit Drohungen und Versprechungen tüchtig zu.§ 114Indes muß dieser Entschluß nicht sehr gefestigt oder
seine Ausführung allzulang aufgeschoben worden sein, denn als er am 26. Dezember in St. Stephan seine Andacht verrichtete, konnte er sich beim Anblick einer wackeren Jungfrau, die mit einem wohlaufgeputzten Herrn ging, der Idee nicht erwehren, er könnte selbst an Stelle dieses Herrn sein. Das forderte Strafe, noch am selben Abend traf es ihn wie ein Donnerschlag, er sah sich in hellen Flammen und fiel in Ohnmacht. Man bemühte sich, ihn zu erwecken, aber er wälzte sich in der Stube, bis Blut aus Mund und Nase kam, ver spürte, daß er sich in Hitze und Gestank befand, und hörte eine Stimme sagen, daß ihm dieser Zustand als Strafe für seine unnützen und eiteln Gedanken geschickt worden sei. Später wurde er dann von bösen Geistern mit Stricken gegeißelt und ihm versprochen, daß er alle Tage so gepeinigt werden solle, bis er sich entschlossen habe, in den Einsiedlerorden einzutreten. Diese Erleb nisse setzten sich, soweit die Aufzeichnungen reichen (13. Januar), fort. § 115Wir sehen, wie bei unserem armen Maler die Ver
suchungsphantasien von asketischen und endlich von Strafphantasien abgelöst werden; das Ende der Lei densgeschichte kennen wir bereits. Er begibt sich im Mai nach Mariazell, bringt dort die Geschichte von einer früheren, mit schwarzer Tinte geschriebenen Ver schreibung vor, der er es offenbar zuschreibt, daß er noch vom Teufel geplagt werden kann, erhält auch diese zurück und ist geheilt. § 116Während diefes zweiten Aufenthaltes malt er diereligiosus. factus est
Bilder, die im Teopbhaeum Eopiert find, dann aber tut er etwas, was mit der Sorderung der affetifchen Phafe feines Tagebuches sufammentrifft. Er gebt zwar nicht in die Wüste, um Einsiedler zu werden, aber er tritt in den Orden der Barmberzigen Brüder ein: § 117Bei der Lektüre des Tagebuches gewinnen wir Verhunc miserum omni auxilio desti“. Er war also nicht nur in moralischen Nöten, tutum er litt auch materielle Not. In die Wiedergabe seiner späteren Visionen finden sich Bemerkungen eingestreut, die wie die Inhalte der erschauten Szenen zeigen, daß sich auch nach der erfolgreichen ersten Beschwörung daran nichts geändert hatte. Wir lernen einen Men schen kennen, der es zu nichts bringt, dem man auch da rum kein Vertrauen schenkt. In der ersten Vision fragt ihn der Kavalier, was er eigentlich anfangen wolle, da sich niemand seiner annehme („dieweillen ich von iedermann ist verlassen, waß ich anfangen würde“). Die erste Reihe der Visionen in Wien entspricht durch aus den Wunschphantasien des Armen, nach Genuß Hungernden, Verkommenen: herrliche Säle, Wohl leben, silbernes Tafelgeschirr und schöne Frauen; hier wird nachgeholt, was wir im Teufelsverhältnis ver mißt haben. Damals bestand eine Melancholie, die ihn genußunfähig machte, auf die lockendsten Anerbieten verzichten hieß. Seit der Beschwörung scheint die Me lancholie überwunden, alle Gelüste des Weltkindes sind wieder rege.
ständnis für ein neues Stück des Zusammenhangs. Wir erinnern uns, daß der Maler sich dem Teufel ver schrieben, weil er nach dem Tode des Vaters, verstimmt und arbeitsunfähig, Sorge hatte, seine Existenz zu er halten. Diese Momente, Depression, Arbeitshemmung und Trauer um den Vater sind irgendwie, auf einfache oder kompliziertere Art miteinander verknüpft. Viel leicht waren die Erscheinungen des Teufels darum so überreichlich mit Brüsten ausgestattet, weil der Böse sein Nährvater werden sollte. Die Hoffnung erfüllte sich nicht, es ging ihm auch weiterhin schlecht, er konnte nicht ordentlich arbeiten oder er hatte kein Glück und fand nicht genug Arbeit. Der Geleitbrief des Pfarrers spricht von ihm als „§ 118In einer der asketischen Visionen beklagt er sich gegen
die ihn führende Person (Christus), daß ihm niemand glauben wolle, so daß er dessentwegen, was ihm an befohlen, nicht vollziehen könne. Die Antwort, die er darauf erhält, bleibt uns leider dunkel („so ser man mir nit glauben, waß aber geschechen, waiß ich wol, ist mir aber selbes auszuspröchen unmöglich“). Beson ders aufklärend ist aber, was ihn sein göttlicher Führer bei den Einsiedlern erleben läßt. Er kommt in eine Höhle, in der ein alter Mann schon seit sechzig Jahren sitzt, und erfährt auf seine Frage, daß dieser Alte täg lich von den Engeln Gottes gespeist wird. Und dann sieht er selbst, wie ein Engel dem Alten zu essen bringe: „Drei Schüßerl mit Speiß, ein Brot und ein Knödl und Getränk.“ Nachdem der Einsiedler gespeift, nimmt der Engel alles zusammen und trägt es ab. Wir ver stehen, welche Versuchung die frommen Visionen zu bieten haben, sie wollen ihn bewegen, eine Form der Existenz zu wählen, in der ihm die Nahrungssorgen abgenommen sind. Beachtenswert sind auch die Reden Christi in der letzten Vision. Nach der Drohung, wenn er sich nicht füge, werde etwas geschehen, daß er und die Leute (daran) glauben müßten, mahnt er direkt: „Ich solle die Leith nit achten, obwollen ich von ihnen verfolgt wurdte, oder von ihnen keine Hilfeleistung emp fienge, Bott würde mich nit verlassen.“ § 119Chr. Haitzmann war soweit Künstler und Weltkind,
daß es ihm nicht leicht fiel, dieser fündigen Welt zu ent sagen. Aber endlich tat er es doch mit Rücksicht auf seine hilflose Lage. Er trat in einen geistlichen Orden ein; damit war sein innerer Kampf wie seine materielle Not zu Ende. In seiner Neurose spiegelt sich dieser Ausgang darin, daß die Rückstellung einer angeblich ersten Verschreibung seine Anfälle und Visionen be seitigt. Eigentlich hatten beide Abschnitte seiner dämo nologischen Erkrankung denselben Sinn gehabt. Er wollte immer nur sein Leben sichern, das erstemal mit Hilfe des Teufels auf Kosten seiner Seligkeit, und als dieser versagt hatte und aufgegeben werden mußte, mit Hilfe des geiftlichen Standes auf Kosten seiner Frei heit und der meisten Genußmöglichteiten des Lebens. Vielleicht war Chr. Haitzmann nur selbst ein armer Teufel, der eben kein Glück hatte, vielleicht war er zu ungeschickt oder zu unbegabt, um sich selbst zu erhalten, und zählte zu jenen Typen, die als „ewige Säuglinge“ bekannt sind, die sich von der beglückenden Situation an der Mutterbrust nicht losreißen können und durchs ganze Leben den Anspruch festhalten, von jemand an derem ernährt zu werden. Und so legte er in dieser Krankengeschichte den Weg vom Vater über den Teufel als Vaterersatz zu den frommen Patres zurück. § 120Seine Neurofe erscheint oberflächlicher Betrachtung
als ein Gaukelspiel, welches ein Stück des ernsthaften, aber banalen Lebenskampfes überdeckt. Dies Verhält nis ist gewiß nicht immer so, aber es kommt auch nicht gar so selten vor. Die Analytiker erleben es oft, wie unvorteilbaft es ist, einen Kaufmann zu behandeln, der „sonst gesund, seit einiger Zeit die Erscheinungen einer Neurose zeigt“. Die geschäftliche Katastrophe, von der sich der Kaufmann bedroht fühlt, wirft als Neben wirkung diese Neurose auf, von der er auch den Vor teil hat, daß er hinter ihren Symptomen seine realen Lebenssorgen verheimlichen kann. Sonst aber ist sie überaus unzweckmäßig, da sie Kräfte in Anspruch nimmt, die vorteilhafter zur besonnenen Erledigung der gefährlichen Lage Verwendung fänden. § 121In weit zahlreicheren Fällen ist die Neurose selb
ständiger und unabhängiger von den Interessen der Lebenserhaltung und Behauptung. Im Konflikt, der die Neurose schafft, leben entweder nur libidinöse Interessen auf dem Spiel oder libidinöse in inniger Verknüpfung mit solchen der Lebensbehauptung. Der Dynamismus der Neurose ist in allen drei Fällen der gleiche. Eine nicht real zu befriedigende Libidostauung schafft sich mit Hilfe der Regression zu alten Fixierun gen Abfluß durch das verdrängte Unbewußte. Soweit das Ich des Kranken aus diesem Vorgang einen Krank heitsgewinn ziehen kann, läßt die Neurose gewähren, deren ökonomische Schädlichkeit doch keinem Zweifel unterliegt. § 122Auch die üble Lebenslage unseres Malers hätte keine
Teufelsneurose bei ihm hervorgerufen, wenn aus seiner Not nicht eine verstärkte Vatersehnsucht erwachsen wäre. Nachdem aber die Melancholie und der Teufel abgetan waren, kam es bei ihm noch zum Kampf zwi schen der libidinösen Lebenslust und der Einsicht, daß das Interesse der Lebenserhaltung gebieterisch Verzicht und Askese fordere. Es ist interessant, daß der Maler die Einheitlichkeit der beiden Stücke seiner Leidens geschichte sehr wohl verspürt, denn er führt die eine wie die andere auf Verschreibungen, die er dem Teufel gegeben, zurück. Anderseits unterscheidet er nicht scharf zwischen den Einwirkungen des bösen Geistes und jenen der göttlichen Mächte, er hat für beide eine Be zeichnung: Erscheinungen des Teufels. § 123BLANK
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