Die Traumdeutung (1900-001/1900)

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  • Diercks, Christine
  • Huber, Christian
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Freud, Sigmund: Die Traumdeutung (1900-001/1900). In: Andorfer, Peter; Blatow, Arkadi; Diercks, Christine; Huber, Christian; Kaufmann, Kira; Liepold, Sophie; Roedelius, Julian; Rohrwasser, Michael; Stoxreiter, Daniel (2022): Sigmund Freud Edition: Digitale Historisch-Kritische Gesamtausgabe, Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage, Wien. [3.4.2023], file:/home/runner/work/frd-static/frd-static/data/editions/plain/sfe-1900-001__1900.xml
§ 1

DIE

§ 2

TRAUMDEUTUNG

§ 3

VON

§ 4

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§ 5

»FLECT/M’E S! NEO UF.O SUPE/(‘OS, ACHEÄ’ONTA 11/0 VEBO.«

§ 6

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§ 7

LEIPZIG UND WIEN.

§ 8

FRANZ DEUTI_CKE. 1900.

§ 9

Verlags-Nr. 676.

§ 10

§ 11

DIE

§ 12

TRAUMDEUTUNG

§ 13

BLANK

§ 14

I. Die wissenschaftliche Litteratur der Traumprobleme.

§ 15

Auf den folgenden Blättern werde ich den Nachweis erbringen, dass es eine psychologische Technik gibt, welche gestattet Träume zu deuten, und dass bei Anwendung dieses Verfahrens jeder Traum sich als ein sinnvolles psychisches Gebilde herausstellt, welches an angebbarer Stelle in das seelische Treiben des Wachens einzureihen ist. Ich werde ferner versuchen, die Vorgänge klar zu legen, von denen die Fremdartigkeit und Unkenntlichkeit des Traumes herrührt, und aus ihnen einen Rückschluss auf die Natur der psychischen Kräfte ziehen, aus deren Zusammen- oder Gegeneinanderwirken der Traum hervorgeht. So weit gelangt, wird meine Darstellung abbrechen, denn sie wird den Punkt erreicht haben, wo das Problem des Träumens in umfassendere Probleme einmündet, deren Lösung an anderem Material in Angriff genommen werden muss.

§ 16

Eine Uebersicht über die Leistungen früherer Autoren sowie über den gegenwärtigen Stand der Traumprobleme in der Wissenschaft stelle ich voran, weil ich im Verlaufe der Abhandlung nicht häufig Anlass haben werde, darauf zurückzukommen. Das wissenschaftliehe Verständnis des Traumes ist nämlich trotz mehrtausendjähriger Bemühung sehr wenig weit gediehen. Dies wird von den Autoren so allgemein zugegeben, dass es überflüssig scheint, einzelne Stimmen anzuführen. In den Schriften, deren Verzeichnis ich zum Schlusse meiner Arbeit anfüge, finden sich viele anregende Bemerkungen und reichlich interessantes Material zu unserem Thema, aber nichts oder wenig, was das Wesen des Traumes träfe oder eines seiner Räthsel endgiltig löste. Noch weniger ist natürlich in das Wissen der gebildeten Laien übergegangen.

§ 17

Die erste Schrift, in welcher der Traum als ein Object der Psychologie abgehandelt wird, scheint die des Aristoteles 1) (Ueber Träume und Traumdeutung) zu sein. Aristoteles erklärt, der Traum sei zwar dämonischer Natur, aber nicht göttlicher, was wohl einen tiefen Sinn enthüllt, wenn man davon die richtige Uebersetzung trifft. Er kennt einige der Charaktere des Traumlebens, z. B. dass der Traum kleine, während des Schlafes eintretende Reize in’s Grosse umdeutet („man glaubt, durch ein Feuer zu gehen und heiss zu werden, wenn nur eine ganz unbedeutende Erwärmung dieses oder jenes Gliedes stattfindet“), und zieht aus diesem Verhalten den Schluss, dass die Träume sehr wohl die ersten bei Tag nicht bemerkten Anzeichen einer beginnenden Veränderung im Körper dem Arzt verrathen könnten. Zu einem tieferen Verständnis der aristotelischen Abhandlung vorzudringen, ist mir, bei nicht ausreichender Vorbildung und ohne kundige Hilfe, nicht möglich geworden.

§ 18

Die Alten vor Aristoteles haben den Traum bekanntlich nicht für ein Erzeugnis der träumenden Seele gehalten, sondern für eine Eingebung von göttlicher Seite, und die beiden gegensätzlichen Strömungen, die wir in der Schätzung des Traumlebens als jederzeit vorhanden auffinden werden, machten sich bereits bei ihnen geltend. Man unterschied wahrhafte und werthvolle Träume, dem Schläfer gesandt, um ihn zu warnen oder ihm die Zukunft zu verkünden, von eiteln, trügerischen und nichtigen, deren Absicht es war, ihn in die Irre zu führen oder in’s Verderben zu stürzen. Diese vorwissenschaftliche Traumauffassung der Alten stand sicherlich im vollsten Einklange mit ihrer gesammten Weltanschauung, welche als Realität in die Aussenwelt zu projiciren pflegte, was nur innerhalb des Seelenlebens Realität hatte. Sie trug überdies dem Haupteindruck Rechnung, welchen das Wachleben durch die am Morgen übrigbleibende Erinnerung von dem Traum empfängt, denn in dieser Erinnerung stellt sich der Traum als etwas Fremdes, das gleichsam aus einer anderen Welt herrührt, dem übrigen psychischen Inhalte entgegen. Es wäre übrigens irrig zu meinen, dass die Lehre von der über natürlichen Herkunft der Träume in unseren Tagen der Anhänger entbehrt; von allen pietistischen und mystischen Schriftstellern abgesehen, — die ja recht daran thun, die Reste des ehemals ausgedehnten Gebietes des Uebernatürlichen besetzt zu halten, solange sie nicht durch naturwissenschaftlicbe Erklärung erobert sind, — trifft man doch auch auf scharfsinnige und allem Abenteuerlichen abgeneigte Männer, die ihren religiösen Glauben an die Existenz und an das Eingreifen übermenschlicher Geisteskräfte gerade auf die Unerklärbarkeit der Traumerscheinungen zu stützen versuchen (Haftner32), Die Werthschätzung des Traumlebens von Seiten mancher Philos sophenschulen, z. B. der Schellingianer, ist ein deutlicher Nachklang der im Alterthum unbestrittenen Göttlichkeit des Traumes, und auch über die divinatorische, die Zukunft verkündende, Kraft des Traumes ist die Erörterung nicht abgeschlossen, weil die psychologischen Erklärungsversuche zur Bewältigung des angesammelten Materiales nicht ausreichen, so unzweideutig auch die Sympathien eines Jeden, der sich der wissenschaftlichen Denkungsart ergeben hat, zur Abweisung einer solehen Behauptung hinneigen mögen.

§ 19

Eine Geschichte unserer wissenschaftlichen Erkenntnis der Traumprobleme zu schreiben, ist darum so schwer, weil in dieser Erkenntnis, so werthvoll sie an einzelnen Stellen geworden sein mag, ein Fortschritt längs gewisser Richtungen nicht zu bemerken ist. Es ist nicht zur Bildung eines Unterbaues von gesicherten Resultaten gekommen, auf dem dann ein nächstfolgender Forscher weitergebaut hätte, sondern jeder neue Autor fasst die nämlichen Probleme von Neuem und wie vom Ursprung her wieder an. Wollte ich mich an die Zeitfolge der Autoren halten und von jedem einzelnen im Auszug berichten, welche Ansichten über die Traumprobleme er geäussert, so müsste ich darauf verzichten, ein übersichtliches Gesammtbild vom gegenwärtigen Stande der Traumerkenntnis zu entwerfen; ich habe es darum vorgezogen, die Darstellung an die Themata anstatt an die Autoren anzuknüpfen, und werde bei jedem der Traumprobleme anführen, was an Material zur Lösung desselben in der Litteratur niedergelegt ist.

§ 20

Da es mir aber nicht gelungen ist, die gesammte, so sehr verstreute und auf Anderes übergreifende Litteratur des Gegenstandes zu bewältigen, so muss ich meine Leser bitten sich zu bescheiden, wenn nur keine grundlegende Thatsache und kein bedeutsamer Gesichtspunkt in meiner Darstellung verloren gegangen ist.

§ 21

Bis vor kurzem haben die meisten Autoren sich veranlasst gesehen, Schlaf und Traum in dem nämlichen Zusammenhange abzuhandeln, in der Regel auch die Würdigung analoger Zustände, welche in die Psyehopathologie reichen, und traumähnlicher Vorkommnisse (wie der Hallucinationen, Visionen etc.) anzuschliessen. Dagegen zeigt sich in den jüngsten Arbeiten das Bestreben, das Thema eingeschränkt zu halten und etwa eine einzelne Frage aus dem Gebiet des Traumlebens zum Gegenstande zu nehmen. In dieser Veränderung möchte ich einen Ausdruck der Ueberzeugung sehen, dass in so dunkeln Dingen Aufklärung und Uebereinstimmung nur durch eine Reihe von Detailuntersuchungen zu erzielen sein dürften. Nichts anderes als eine solche Detailuntersuchung, und zwar speciell psychologischer Natur, kann ich hier bieten. Ich hatte wenig Anlass, mich mit dem Problem des Schlafes zu befassen, denn dies ist ein wesentlich physiologisches Problem, wenngleich in der Charakteristik des Schlafzustandes die Veränderung der Functionsbedingungen für den seelischen Apparat mit enthalten sein muss. Es bleibt also auch die Litteratur les Schlafes hier ausser Betracht.

§ 22

Das wissenschaftliche Interesse an den Traumphänomenen an sich führt zu den folgenden, zum Theil in einander fliessenden Fragestellungen:

§ 23

a) Beziehung des Traumes zum Wachleben. Das naive Urtheil des Erwachten nimmt an, dass der Traum — wenn er schon nicht aus einer anderen Welt stammt — doch den Schläfer in eine andere Welt entrückt hatte. Der alte Physiologe Burdach 8), dem wir eine sorgfältige und feinsinnige Beschreibung der Traumphänomene verdanken, hat dieser Ueberzeugung in einem viel bemerkten Satze Ausdruck gegeben (p. 474): „.... nie wiederholt sich das Leben des Tages mit seinen Anstrengungen und Genüssen, seinen Freuden und Schmerzen, vielmehr geht der Traum darauf aus, uns davon zu befreien. Selbst wenn unsere ganze Seele von einem Gegenstande erfüllt war, wenn tiefer Schmerz unser Inneres zerrissen, oder eine Aufgabe unsere ganze Geisteskraft in Anspruch genommen hatte, gibt uns der Traum entweder etwas ganz Fremdartiges, oder er nimmt aus der Wirklichkeit nur einzelne Elemente zu seinen Combinationen, oder er geht nur in die Tonart unserer Stimmung ein und symbolisirt die Wirklichkeit.”

§ 24

In ähnlichem Sinne äussert sich noch L. Strümpell 66) in der mit Recht von allen Seiten hoch gehaltenen Studie über die Natur und Entstehung der Träume (p. 16): „Wer träumt, ist der Welt des wachen Bewusstseins abgekehrt“ . . . (p. 17): „Im Traume geht das Gedächtnis für den geordneten Inhalt des wachen Bewusstseins und dessen normales Verhalten so gut wie ganz verloren“ ... (p. 19): „Die fast erinnerungslose Abgeschiedenheit der Seele im Traum von dem regelmässigen Inhalte und Verlaufe des wachen Lebens“....

§ 25

Die überwiegende Mehrheit der Autoren hat aber für die Beziehung des Traumes zum Wachleben die entgegengesetzte Auffassung vertreten. So Haffner 32) (p. 19): „Zunächst setzt der Traum das Wachleben fort. Unsere Träume schliessen sich stets an die kurz zuvor im, Bewusstsein gewesenen Vorstellungen an. Eine genaue Beobachtung wird beinahe immer einen Faden finden, in welchem der Traum an die Erlebnisse des vorhergehenden Tages anknüpfte.” Weygandt75) (p. 6) widerspricht directe der oben citirten Behauptung Burdach’s, „denn es lässt sich oft, anscheinend in der überwiegenden Mehrzahl der Träume beobachten, dass dieselben uns gerade in’s gewöhnliche Leben zurückführen, statt uns davon zu befreien.” Maury48) (p. 56) sagt in einer knappen Formel: „Nous rêvons de ce que nous avons vu, dit, desiré ou fait“; Jessen36) in seiner 1855 erschienenen Psychologie (p. 530) etwas ausführlicher: „Mehr oder weniger wird der Inhalt der Träume stets bestimmt durch die individuelle Persönlichkeit, durch das Lebensalter, Geschlecht, Stand, Bildungsstufe, gewohnte Lebensweise und durch die Ereignisse und Erfahrungen des ganzen bisherigen Lebens.“

§ 26

Nicht anders dachten die Alten über die Abhängigkeit des TraumInhaltes vom Leben. Ich citire nach Radestock54) (p. 139): Als Xerxes vor seinem Zuge gegen Griechenland von diesem seinem Entschluss durch guten Rath abgelenkt, durch Träume aber immer wieder dazu angefeuert wurde, sagte schon der alte rationelle Traumdeuter der Perser, Artabanos, treffend zu ihm, dass die Traumbilder meist das enthielten, was der Mensch schon im Wachen denke.

§ 27

Im Lehrgedicht des Lucretius, De rerum natura, findet sich (IV, v. 959) die Stelle:

§ 28

"„Et quo quisque fere studio devinctus adhaeret, aut quibus in rebus multum sumus ante morati atque in ea ratione fuit contenta magis mens, in somnis eadem plerumque videmur obire; causidici causas agere et componere leges, induperatores pugnare ac proelia obire,“ etc. etc."

§ 29

Cicero (De Divinatione II) sagt ganz ähnlich, wie so viel später Maury:

§ 30

"„Maximeque reliquiae earum rerum moventur in animis et agitantur, de quibus vigilantes aut cogitavimus aut egimus.“"

§ 31

Der Widerspruch dieser beiden Ansichten über die Beziehung von Traumleben und Wachleben scheint in der That unauflösbar. Es ist darum am Platze, der Darstellung von F. W. Hildebrandt35) (1875) zu gedenken, welcher meint, die Eigenthümlichkeiten des Traumes liessen sich überhaupt nicht anders beschreiben als durch eine „Reihe von Gegensätzen, welche scheinbar bis zu Widersprüchen sich zuspitzen“ (p. 8). „Den ersten dieser Gegensätze bilden einerseits die strenge Abgeschiedenheit oder Abgeschlossenheit des Traumes von dem wirklichen und wahren Leben, und andrerseits das stete Hinübergreifen des Einen in das Andere, die stete Abhängigkeit des Einen von dem Andern. — Der Traum ist etwas von der wachend erlebten Wirklichkeit durchaus Gesondertes, man möchte sagen ein in sich selbst hermetisch abgeschlossenes Dasein, von dem wirklichen Leben getrennt durch eine unübersteigliche Kluft. Er macht uns von der Wirklichkeit los, löscht die normale Erinnerung an dieselbe in uns aus und stellt uns in eine andere Welt und in eine ganz andere Lebensgeschichte, die im Grunde nichts mit der wirklichen zu schaffen hat....“ Hildebrandt führt dann aus, wie mit dem Einschlafen unser ganzes Sein mit seinen Existenzformen „wie hinter einer unsichtbaren Fallthür“ verschwindet. Man macht dann etwa im Traum eine Seereise nach St. Helena, um dem dort gefangenen Napoleon etwas Vorzügliches in Moselweinen anzubieten. Man wird von dem Exkaiser aufs liebenswürdigste empfangen und bedauert fast, die interessante Illusion durch das Erwachen. gestört zu sehen. Nun aber vergleicht man die Traumsituation mit der Wirklichkeit. Man war nie Weinhändler und hat's auch nie werden wollen. Man hat nie eine Seereise gemacht und würde St. Helena am wenigsten zum Ziele einer solchen nehmen. Gegen Napoleon hegt man durchaus keine sympathische Gesinnung, sondern einen grimmigen patriotischen Hass. Und zu alledem war der Träumer überhaupt noch nicht unter den Lebenden, als Napoleon auf der Insel starb; eine persönliche Beziehung zu ihm zu knüpfen, lag ausserhalb des Bereiches der Möglichkeit. So erscheint das Traumerlebnis als etwas eingeschobenes Fremdes zwischen zwei vollkommen zu einander passenden und einander fortsetzenden Lebensabschnitten.

§ 32

„Und dennoch,“ setzt Hildebrandt fort, „eben so wahr und richtig ist das scheinbare Gegentheil. Ich meine, mit dieser Abgeschlossenheit und Abgeschiedenheit geht doch die innigste Beziehung und Verbindung Hand in Hand. Wir dürfen geradezu sagen: Was der Traum auch irgend biete, er nimmt das Material dazu aus der Wirklichkeit und aus dem Geistesleben, welches an dieser Wirklichkeit sich abwickelt. ... Wie wunderlich er’s damit treibe, er kann doch eigentlich niemals von der realen Welt los und seine sublimsten wie possenbaftesten Gebilde müssen immer ihren Grundstoff entlehnen von dem, was entweder in der Sinnenwelt uns vor Augen getreten ist, oder in unserem wachen Gedankengange irgendwie bereits Platz gefunden hat, mit anderen Worten, von dem, was wir äusserlich oder innerlich bereits erlebt haben.“

§ 33

b) Das Traummaterial.— Das Gedächtnis im Traum. Dass alles Material, was den Trauminhalt zusammensetzt, auf irgend eine Weise vom Erlebten abstammt, also im Traum reproducirt, erinnert wird, dies wenigstens darf uns als unbestrittene Erkenntnis gelten. Doch wäre es ein Irrthum anzunehmen, dass ein solcher Zusammenhang des Trauminhaltes mit dem Wachleben sich mühelos als augenfälliges Ergebnis der angestellten Vergleichung ergeben muss. Derselbe muss vielmehr aufmerksam gesucht werden und weiss sich in einer ganzen Reihe von Fällen für lange Zeit zu verbergen. Der Grund hiefür liegt in einer Anzahl von Eigenthümlichkeiten, welche die Erinnerungsfähigkeit im Traume zeigt und die, obwohl allgemein bemerkt, sich doch bisher jeder Erklärung entzogen haben. Es wird der Mühe lohnen, diese Charaktere eingehend zu würdigen.

§ 34

Es kommt zunächst vor, dass im Trauminhalt ein Material auftritt, welches man dann im Wachen nicht als zu seinem Wissen und Erleben gehörig anerkennt. Man erinnert wohl, dass man das Betreffende geträumt, aber erinnert nicht, dass und wann man es erlebt hat. Man bleibt dann im Unklaren darüber, aus welcher Quelle der Traum geschöpft hat, und ist wohl versucht, an eine selbständi producirende Thätigkeit des Traumes zu glauben, bis oft nach langer Zeit ein neues Erlebnis die verloren gegebene Erinnerung an das frühere Erlebnis wiederbringt und damit die Traumquelle aufdeckt. Man muss dann zugestehen, dass man im Traum etwas gewusst und erinnert hatte, was der Erinnerungsfähigkeit im Wachen entzogen war.

§ 35

Ein besonders eindrucksvolles Beispiel dieser Art erzählt Delboeuf16) aus seiner eigenen Traumerfahrung. Er sah im Traum den Hof seines Hauses mit Schnee bedeckt und fand zwei kleine Eidechsen halb erstarrt und unter dem Schnee begraben, die er als Thierfreund aufnahm, erwärmte und in die für sie bestimmte kleine Höhle im Gemäuer zurückbrachte. Ausserdem steckte er ihnen einige Blätter von einem kleinen Farrnkraut zu, das auf der Mauer wuchs, und das sie, wie er wusste, sehr liebten. Im Traum kannte er den Namen der Pflanze: Asplenium ruta muralis. — Der Traum ging dann weiter, kehrte nach einer Einschaltung zu den Eidechsen zurück und zeigte Delboeuf zu seinem Erstaunen zwei neue Thierchen, die sich über die Reste der Farren hergemacht hatten. Dann wandte er den Blick auf's freie Feld, sah eine fünfte, eine sechste Eidechse den Weg zu dem Loch in der Mauer nehmen, und endlich war die ganze Strasse bedeckt von einer Procession von Eidechsen, die alle in derselben Richtung wanderten etc.

§ 36

Delboeuf´s Wissen umfasste im Wachen nur wenige lateinische Pflanzennamen und schloss die Kenntnis eines Asplenium nicht ein. Zu seinem grossen Erstaunen musste er sich überzeugen, dass ein Farren dieses Namens wirklich existirt. Asplenium ruta muraria war seine richtige Bezeichnung, die der Traum ein wenig entstellt hatte. An ein zufälliges Zusammentreffen konnte man wohl nicht denken; es blieb aber für Delboeuf räthselhaft, woher er im Traume die Kenntnis des Namens Asplenium genommen hatte.

§ 37

Der Traum war im Jahre 1862 vorgefallen; sechzehn Jahre später erblickt der Philosoph bei einem seiner Freunde, den er besucht, ein kleines Album mit getrockneten Blumen, wie sie als Erinnerungsgaben in manchen Gegenden der Schweiz an die Fremden verkauft werden. Eine Erinnerung steigt in ihm auf, er öffnet das Herbarium, findet in demselben das Asplenium seines Traumes und erkennt seine eigene Handschrift in den beigefügten lateinischen Namen. Nun liess sich der Zusammenhang herstellen. Eine Schwester dieses Freundes hatte im Jahre 1860 — zwei Jahre vor dem Eidechsentraum — auf der Hochzeitsreise Delboeuf besucht. Sie hatte damals dieses für ihren Bruder bestimmte Album bei sich, und Delboeuf unterzog sich der Mühe, unter dem Dictat eines Botanikers zu jedem der getrockneten Pflänzchen den lateinischen Namen hinzuzuschreiben.

§ 38

Die Gunst des Zufalls, welche dieses Beispiel so sehr mittheilenswerth macht, gestattete Delboeuf, noch ein anderes Stück aus dem Inhalt dieses Traumes auf seine vergessene Quelle zurückzuführen. Eines Tages im Jahre 1877 fiel ihm ein alter Band einer illustrirten Zeitschrift in die Hände, in welcher er den ganzen Eidechsenzug abgebildet sah, wie er ihn 1862 geträumt hatte. Der Band trug die Jahreszahl 1861, und Delboeuf wusste sich zu erinnern, dass er von dem Erscheinen der Zeitschrift an zu ihren Abonnenten gehört hatte.

§ 39

Dass der Traum über Erinnerungen verfügt, welche dem Wachen unzugänglich sind, ist eine so merkwürdige und theoretisch bedeutsame Thatsache, dass ich durch Mittheilung noch anderer „hypermnestischer“ Träume die Aufmerksamkeit für sie verstärken möchte. Maury 48) erzählt, dass ihm eine Zeitlang das Wort Mussidan bei Tag in den Sinn zu kommen pflegte. Er wusste, dass es der Name einer französischen Stadt sei, aber weiter nichts. Eines Nachts träumte ihm von einer Unterhaltung mit einer gewissen Person, die ihm sagte, sie käme aus Mussidan, und auf seine Frage, wo die Stadt liege, zur Antwort gab: Mussidan sei eine Kreisstadt im Département de la Dordogne. Erwacht, schenkte Maury der im Traume erhaltenen Auskunft keinen Glauben; das geographische Lexikon belehrte ihn aber, dass sie vollkommen richtig sei. In diesem Falle ist das Mehrwissen des Traumes bestätigt, die vergessene Quelle dieses Wissens aber nicht aufgespürt worden.

§ 40

Jessen36) erzählt (p. 55) ein ganz ähnliches Traumvorkommnis aus älteren Zeiten: „Dahin gehört u. A. der Traum des älteren Scaliger (Hennings, l.c., p. 300), welcher ein Gedicht zum Lobe der berühmten Männer in Verona schrieb und dem ein Mann, welcher sich Brugnolus nannte, im Traume erschien und sich beklagte, dass er vergessen sei. Obgleich Scaliger sich nicht erinnerte, je etwas von ihm gehört zu haben, so machte er doch Verse auf ihn, und sein Sohn erfuhr nachher in Verona, dass ehemals ein solcher Brugnolus als Kritiker daselbst berühmt gewesen sei.“

§ 41

An einer mir leider nicht zugänglichen Stelle (Proceedings of the Society for psychical research) soll Myers eine ganze Sammlung solcher hypermnestischer Träume veröffentlicht haben. Ich meine, Jeder, der sich mit Träumen beschäftigt, wird es als ein sehr gewöhnliches Phänomen anerkennen müssen, dass der Traum Zeugnis für Kenntnisse und Erinnerungen ablegt, welche der Wachende nicht zu besitzen vermeint. In den psycho-analytischen Arbeiten mit Nervösen, von denen ich später berichten werde, komme ich jede Woche mehrmals in die Lage, den Patienten aus ihren Träumen zu beweisen, dass sie Citate, obseöne Worte u. dgl. eigentlich sehr gut kennen, und dass sie sich ihrer im Traume bedienen, obwohl sie sie im wachen Leben vergessen haben. Einen harmlosen Fall von Traumhypermnesie will ich hier noch mittheilen, weil sich bei ihm die Quelle, aus welcher die nur dem Traum zugängliche Kenntnis stammte, sehr leicht auffinden liess.

§ 42

Ein Patient träumte in einem längeren Zusammenhange, dass er sich in einem Caféhaus eine „Kontuszówka“ geben lasse, fragte aber nach der Erzählung, was das wohl sei; er habe den Namen nie gehört. Ich konnte antworten, Kontuszówka sei ein polnischer Schnaps, den er im Traum nicht erfunden haben könne, da mir der Name von Plakaten her schon lange bekannt sei. Der Mann wollte mir zuerst keinen Glauben schenken. Einige Tage später, nachdem er seinen Traum im Caféhaus hatte zur Wirklichkeit werden lassen, bemerkte er den Namen auf einem Plakate, und zwar an einer Strassenecke, welche er seit Monaten wenigstens zweimal im Tage hatte passiren müssen.

§ 43

Eine der Quellen, aus welcher der Traum Material zur Reproduction bezieht, zum Theil solches, das in der Denkthätigkeit des Waehens nicht erinnert und nicht verwendet wird, ist das Kindheitsleben. Ich werde nur einige der Autoren anführen, die dies bemerkt und betont haben:

§ 44

Hildebrandt 35) (p. 23): „Ausdrücklich ist schon zugegeben worden, dass der Traum bisweilen mit wunderbarer Reproductionskraft uns ganz abgelegene und selbst vergessene Vorgänge aus fernster Zeit treu vor die Seele zurückführt.“

§ 45

Strümpell 66) (p. 40): „Die Sache steigert sich noch mehr, wenn man bemerkt, wie der Traum mitunter gleichsam aus den tiefsten und massenhaftesten Verschüttungen, welche die spätere Zeit auf die frühesten Jugenderlebnisse gelagert hat, die Bilder einzelner Localitäten, Dinge, Personen ganz unversehrt und mit ursprünglicher Frische wieder hervorzieht. Dies beschränkt sich nicht bloss auf solche Eindrücke, die bei ihrer Entstehung ein lebhaftes Bewusstsein gewonnen oder sich mit starken psychischen Werthen verbunden haben, und nun später im Traum als eigentliche Erinnerungen wiederkehren, an denen das erwachte Bewusstsein sich erfreut. Die Tiefe des Traumgedächtnisses umfasst vielmehr auch solehe Bilder von Personen, Dingen, Localitäten und Erlebnissen der frühesten Zeit, die entweder nur ein geringes Bewusstsein oder keinen psychischen Werth besassen oder längst das Eine wie das Andere verloren hatten und deshalb auch sowohl im Traum wie nach dem Erwachen als gänzlich fremd und unbekannt erscheinen, bis ihr früher Ursprung entdeckt wird.“

§ 46

Volkelt 72) (p. 119): „Besonders bemerkenswerth ist es, wie gern Kindheits- und Jugenderinnerungen in den Traum eingehen. Woran wir längst nicht mehr denken, was längst für uns alle Wichtigkeit verloren: der Traum mahnt uns daran unermüdlich.“

§ 47

Die Herrschaft des Traumes über das Kindheitsmaterial, welches bekanntlich zum grössten Theil in die Lücken der bewussten Erinnerungsfähigkeit fällt, gibt Anlass zur Entstehung von interessanten hypermnestischen Träumen, von denen ich wiederum einige Beispiele mittheilen will.

§ 48

Maury48) erzählt (p. 92), dass er von seiner Vaterstadt Meaux als Kind häufig nach dem nahe gelegenen Trilport gekommen war, wo sein Vater den Bau einer Brücke leitete. In einer Nacht versetzt ihn der Traum nach Trilport und lässtihn wieder in den Strassen der Stadt spielen. Ein Mann nähert sich ihm, der eine Art Uniform trägt. Maury fragt ihn nach seinem Namen; er stellt sich vor, er heisse C... und sei Brückenwächter. Nach dem Erwachen fragt der an der Wirklichkeit der Erinnerung noch zweifelnde Maury eine alte Dienerin, die seit der Kindheit bei ihm ist, ob sie sich an einen Mann dieses Namens erinnern kann. Gewiss, lautet die Antwort, er war der Wächter der Brücke, die Ihr Vater damals gebaut hat.

§ 49

Ein ebenso schön bestätigtes Beispiel von der Sicherheit der im Traume auftretenden Kindheitserinnerung berichtet Maury von einem Herrn F..., der als Kind in Montbrison aufgewachsen war. Dieser Mann beschloss 25 Jahre nach seinem Weggang, die Heimat und alte, seither nicht gesehene Freunde der Familie wieder zu besuchen. In der Nacht vor seiner Abreise träumt er, dass er am Ziele ist und in der Nähe von Montbrison einen ihm vom Ansehen unbekannten Herrn begegnet, der ihm sagt, er sei der Herr T., ein Freund seines Vaters. Der Träumer wusste, dass er einen Herrn dieses Namens als Kind gekannt hatte, erinnerte sich aber im Wachen nicht mehr an sein Aussehen. Einige Tage später nun wirklich in Montbrison angelangt, findet er die für unbekannt gehaltene Localität des Traumes wieder und begegnet einen Herrn, den er sofort als den T. des Traumes erkennt. Die wirkliche Person war nur stärker gealtert, als sie das Traumbild gezeigt hatte.

§ 50

Ich kann hier einen eigenen Traum erzählen, in dem der zu erinnernde Eindruck durch eine Beziehung ersetzt ist. Ich sah im einem Traum eine Person, von der ich im Traum wusste, es sei der Arzt meines heimatlichen Ortes. Ihr Gesicht war nicht deutlich, sie vermengte sich aber mit der Vorstellung eines meiner Gymnasiallehrer, den ich noch heute gelegentlich treffe. Welche Beziehung die beiden Personen verknüpfe, konnte ich dann im Wachen nicht ausfindig machen. Als ich aber meine Mutter nach dem Arzt dieser meiner ersten Kinderjahre fragte, erfuhr ich, dass er einäugig gewesen war, und einäugig ist auch der Gymnasiallehrer, dessen Person die des Arztes im Traum gedeckt hatte. Es waren 38 Jahre her, dass ich den Arzt nicht mehr gesehen, und ich habe meines Wissens im wachen Leben niemals an ihn gedacht.

§ 51

Es klingt, als sollte ein Gegengewicht gegen die übergrosse Rolle der Kindheitseindrücke im Traumleben geschaffen werden, wenn mehrere Autoren behaupten, in den meisten Träumen liessen sich Elemente aus den allerjüngsten Tagen nachweisen. Robert 55) (p. 46) äussert sogar: Im Allgemeinen beschäftigt sich der normal Traum nur mit den Eindrücken der letztvergangenen Tage. Wir werden allerdings erfahren, dass die von Robert aufgebaute Theorie des Traumes eine solche Zurückdrängung der ältesten und Vorschiebung der jüngsten Eindrücke gebieterisch fordert. Die Thatsache aber, der Robert Ausdruck gibt, besteht, wie ich nach eigenen Untersuchungen versichern kann, zu Recht. Ein amerikanischer Autor Nelson50) meint, am häufigsten finden sich im Traum Eindrücke vom Tage vor dem Traumtag oder vom dritten Tag vorher verwerthet, als ob die Eindrücke des dem Traum unmittelbar vorhergehenden Tages nicht abgeschwächt — nicht abgelegen — genüg wären.

§ 52

Es ist mehreren Autoren, die den intimen Zusammenhang des Trauminhaltes mit dem Wachleben nicht bezweifeln mochten, aufgefallen, dass Eindrücke, welche das wache Denken intensiv beschäf tigen, erst dann im Traume auftreten, wenn sie von der Tagesgedankenarbeit einigermassen zur Seite gedrängt worden sind. So träumt man in der Regel von einem lieben Todten nicht die erste Zeit, so lange die Trauer den Ueberlebenden ganz ausfüllt. (Delage)15). Indes hat eine der letzten Beobachterinnen, Miss Hallam 33), auch Beispiele vom gegentheiligen Verhalten gesammelt und vertritt für diesen Punkt das Recht der psychologischen Individualität.

§ 53

Die dritte, merkwürdigste und unverständlichste, Eigenthümlichkeit des Gedächtnisses im Traum zeigt sich in der Auswahl des reproducirten Materiales, indem nicht wie im Wachen nur das Bedeutsamste, sondern im Gegentheil auch das Gleichgiltigste, Unscheinbarste der Erinnerung werth gehalten wird. Ich lasse hierüber jene Autoren zum Worte kommen, welche ihrer Verwunderung den kräftigsten Ausdruck gegeben haben.

§ 54

Hildebrandt 35) (p. 11): „Denn das ist das Merkwürdige, dass der Traum seine Elemente in der Regel nicht aus den grossen und tiefgreifenden Ereignissen, nicht aus den mächtigen und treibenden Interessen des vergangenen Tages, sondern aus den nebensächlichen Zugaben, so zu sagen aus den werthlosen Brocken der jüngst verlebten oder weiter rückwärts liegenden Vergangenheit nimmt. Der erschütternde Todesfall in unserer Familie, unter dessen Eindrücken wir spät einschlafen, bleibt ausgelöscht aus unserem Gedächtnisse, bis ihn der erste wache Augenblick mit betrübender Gewalt in dieselbe zurückkehren lässt. Dagegen die Warze auf der Stimm eines Fremden, der uns begegnete, und an den wir keinen Augenblick mehr dachten, nachdem wir an ihm vorübergegangen waren, die spielt eine Rolle in unserem Traume“...

§ 55

Strümpell 66) (p. 39): „. . solche Fälle, wo die Zerlegung eines Traumes Bestandtheile desselben auffindet, die zwar aus den Erlebnissen des vorigen oder vorletzten Tages stammen, aber doch so unbedeutend und werthlos für das wache Bewusstsein waren, dass sie kurz nach dem Erleben der Vergessenheit anheimfhielen. Dergleichen Erlebnisse sind etwa zufällig gehörte Aeusserungen oder oberflächlich bemerkte Handlungen eines Anderen, rasch vorübergegangene Wahrnehmungen von Dingen oder Personen, einzelne kleine Stücke aus einer Lectüre u. dgl.“

§ 56

Havelock Ellis 23)(p. 727): „The profound emotions of waking life, the questions and problems on which we spread our chief voluntary mental energy, are not those which usually present themselves at once to dream conseiousness, It is so far as the immediate past is concerned, mostly the trifling, the incidental, the „forgotten“ impressions of daily life which reappear in our dreams. The psychic aetivities that are awake most intensely are those that sleep most profoundly.“

§ 57

Binz 4) (p. 45) nimmt gerade die in Rede stehenden Eigenthümliecheiten des Gedächtnisses im Traume zum Anlass, seine Unbefriedi gung mit den von ihm selbst unterstützten Erklärungen des Traumes auszusprechen: „Und der natürliche Traum stellt uns ähnliche Fragen. Warum träumen wir nicht immer die Gedächtniseindrücke der letztverlebten Tage, sondern tauchen oft ein ohne irgend erkennbares Motiv in weit hinter uns liegende, fast erloschene Vergangenheit? Warum empfängt im Traum das Bewusstsein so oft den Eindruck gleichgiltiger Erinnerungsbilder, während die Gehirnzellen da, wo sie die reizbarsten Aufzeichnungen des Erlebten in sich tragen, meist stumm und starr liegen, es sei denn, dass eine acute Auffrischung während des Wachens sie kurz vorher erregt hatte?“

§ 58

Man sieht leicht ein, wie die sonderbare Vorliebe des Traumgedächtnisses für das Gleichgiltige und darum Unbeachtete an der Tageserlebnissen zumeist dazu führen musste, die Abhängigkeit des Traumes vom Tagesleben überhaupt zu verkennen und dann wenigstens den Nachweis derselben in jedem einzelnen Falle zu erschweren. So war es möglich, das Miss Whiton Calkins 12) bei der statistisch Bearbeitung ihrer (und ihres Gefährten) Träume doch 11% der Anzahl übrig behielt, in denen eine Beziehung zum Tagesleben nicht ersichtlich war. Sicherlich hat Hildebrandt mit der Behauptung Recht, dass sich alle Traumbilder uns genetisch erklären würden, wenn wir jedesmal Zeit und Sammlung genug darauf verwendeten, ihrer Herkunft nachzuspüren. Er nennt dies freilich „ein äußerst mühseliges und undankbares Geschäft. Denn es liefe ja meistens darauf hinaus, allerlei psychisch ganz werthlose Dinge in den abgelegensten Winkeln der Gedächtniskammer aufzustöbern, allerlei völlig indifferente Momente längst vergangener Zeit aus der Verschüttung, die ihnen vielleicht schon die nächste Stunde brachte, wieder zu Tage zu fördern.“ Ich muss aber doch bedauern, dass der scharfsinnige Autor sich von der Verfolgung des so unscheinbar beginnenden Weges abhalten liess; er hätte ihn unmittelbar zum Centrum der Traumerklärung geleitet.

§ 59

Das Verhalten des Traumgedächtnisses ist sicherlich höchst bedeutsam für jede Theorie des Gedächtnisses überhaupt. Es lehrt, dass „Nichts, was wir geistig einmal besessen, ganz und gar verloren gehen kann (Scholz,59) p. 34). Oder, wie Delboeuf 16) es ausdrückt, „que toute impression même la plus insignifiante, laisse une trace inaltérable, indéfiniment susceptible de reparaître au jour,“ ein Schluss, zu welchem so viele andere, pathologische Erscheinungen des Seelenlebens gleichfalls drängen. Man halte sich nun diese ausserordentliche Leistungsfähigkeit des Gedächtnisses im Traum vor Augen, um dem Widerspruch lebhaft zu empfinden, den gewisse später zu erwähnende Traumtheorien aufstellen müssen, welche die Absurdität und Incohaerenz der Träume durch ein partielles Vergessen des uns bei Tag Bekannten erklären wollen.

§ 60

Man könnte etwa auf den Einfall gerathen, das Phänomen des Träumens überhaupt auf das des Erinnerns zu reduciren, im Traum die Aeusserung einer auch Nachts nicht rastenden Reproducetionsthätigkeit sehen, die sich Selbstzweck ist Mittheilungen wie die von Pilcz 51) würden hiezu stimmen, denen zufolge feste Beziehungen zwischen der Zeit des Träumens und dem Inhalt der Träume nachweisbar sind in der Weise, dass im tiefen Schlaf Eindrücke aus den ältesten Zeiten, gegen Morgen aber recente Eindrücke vom Traum reproducirt werden. Es wird aber eine solche Auffassung von vorneherein unwahrscheinlich durch die Art, wie der Traum mit dem zu erinnernden Material verführt. Strümpell 66) macht mit Recht darauf aufmerksam, dass Wiederholungen von Erlebnissen im Traume nicht vorkommen. Der Traum macht wohl einen Ansatz dazu, aber das folgende Glied bleibt aus; es tritt verändert auf oder an seiner Stelle erscheint ein ganz fremdes. Der Traum bringt nur Bruchstücke von Reproductionen. Dies ist sicherlich so weit die Regel, dass es eine theoretische Verwerthung gestattet. Indes kommen Ausnahmen vor, in denen ein Traum ein Erlebnis ebenso vollständig wiederholt wie unsere Erinnerung im Wachen es vermag. Delboeuf erzählt von einem seiner Universitätscollegen (der gegenwärtig m Wien lehrt), dass er im Traume eine gefährliche Wagenfahrt, bei welcher er einem Unfall nur wie durch ein Wunder entging, mit all ihren Einzelheiten wieder durchgemacht habe. Miss Calkins12) erwähnt zweier Träume, welche die genaue Reproduction eines Erlebnisses vom Vortag zum Inhalt hatten, und ich selbst werde späterhin Anlass nehmen, ein mir bekannt gewordenes Beispiel von unveränderter Traumwiederkehr eines Kindererlebnisses mitzutheilen.

§ 61

c) Traumreize und Traumquellen. Was man unter Traumreizen und 'Traumquellen verstehen soll, das kann durch eine Berufung auf die Volksrede „Träume kommen vom Magen“ verdeutlicht werden. Hinter der Aufstellung dieser Begriffe verbirgt sich eine Theorie, die den Traum als Folge einer Störung des Schlafes erfasst. Man hätte nicht geträumt, wenn nicht irgend etwas Störendes im Schlaf sich geregt hätte, und der Traum ist die Reaction auf diese Störung.

§ 62

Die Erörterung über die erregenden Ursachen der Träume nehmen in den Darstellungen der Autoren den breitesten Raum ein. Dass das Problem sieh erst ergeben konnte, seitdem der Traum ein Gegenstand der biologischen Forschung geworden war, ist selbstverständlich. Die Alten, denen der Traum als göttliche Sendung galt, brauchten nach einer Reizquelle für ihn nicht zu suchen; aus dem Willen der göttlichen oder dämonischen Macht erfloss der Traum, aus deren Wissen oder Absicht sein Inhalt. Für die Wissenschaft erhob sich alsbald die Frage, ob der Anreiz zum Träumen stets der nämliche sei oder ein vielfacher sein könne, und damit die Erwägung, ob die ursächliche Erklärung des Traumes der Psychologie oder vielmehr der Physiologie anheimfalle. Die meisten Autoren scheinen anzunehmen, dass die Ursachen der Schlafstörung, also die Quellen des Träumens, mannigfaltiger Art sein können, und dass Leibreize ebenso wie seelische Erregungen zur Rolle von Traumerregern gelangen. In der Bevorzugung der einen oder der anderen unter den Traum quellen, in der Herstellung einer Rangordnung unter ihnen je nach ihrer Bedeutsamkeit für die Entstehung des Traumes gehen die Ansichten weit auseinander.

§ 63

Wo die Aufzählung der Traumgquellen vollständig ist, da ergeben sich schliesslich vier Arten derselben, die auch zur Eintheilung der Träume verwendet worden sind.

§ 64

1. Aeussere (objective) Sinneserregung. 2. Innere (subjective) Sinneserregung. 3. Innerer (organischer) Leibreiz. 4. Rein psychische Reizquellen.

§ 65

ad 1. Die äusseren Sinnesreize. Der jüngere Strümpell, der Sohn des Philosophen, dessen Werk über den Traum bereits mehrmals als Wegweiser in die Traumprobleme diente, bekanntlich die Beobachtung eines Kranken mitgetheilt, der mit allgemeiner Anästhesie der Körperdecken und Lähmung mehrerer höheren Sinnesorgane behaftet war. Wenn man bei diesem Manne die wenigen noch offenen Sinnespforten von der Aussenwelt abschloss, verfiel er in Schlaf. Wenn wir einschlafen wollen, pflegen wir eine Situation anzustreben, die jener im Strümpell’schen Experiment ähnlich ist. Wir verschliessen die wichtigsten Sinnespforten, die Augen, und suchen von den anderen Sinnen jeden Reiz oder jede Veränderung der auf sie wirkenden Reize abzuhalten. Wir schlafen dann ein, obwohl uns unser Vorhaben nie völlig gelingt. Wir können weder die Reize vollständig von den Sinnesorganen fernhalten noch die Erregbarkeit unserer Sinnesorgane völlig aufheben. Dass wir durch stärkere Reize jederzeit zu erwecken: sind, darf uns beweisen, „dass die Seele auch im Schlaf in fortdauernder Verbindung mit der ausserleiblichen Welt“ geblieben ist. Die Sinnesreige, die uns während des Schlafes zukommen, können sehr wohl zu Traumquellen werden.

§ 66

Von solchen Reizen gibt es nun eine grosse Reihe von den unvermeidlichen an, die der Schlafzustand mit sich bringt oder nur gelegentlich zulassen muss, bis zum zufälligen Weckreiz, welcher eeigfiet oder dazu bestimmt ist, dem Schlafe ein Ende zu machen. Es kann stärkeres Licht in die Augen dringen, ein Geräusch sich vernehmbar machen, ein riechender Stoff die Nasenschleimhaut erregen. Wir können im Schlaf durch ungewollte Bewegungen einzelne Körpertheile entblössen und so der Abkühlungsempfindung aussetzen, oder durch Lageveränderung uns selbst Druck- und Berührungsempündungen erzeugen. Es kann uns eine Fliege stechen oder ein leiner nächtlicher Unfall kann mehrere Sinne zugleich bestürmen. Die Aufmerksamkeit der Beobachter hat eine ganze Reihe von Träumen gesammelt, in welchen der beim Erwachen constatirte Reiz und ein Stück des Trauminhaltes so weit übereinstimmten, dass der Reiz als Traumquelle erkannt werden konnte.

§ 67

Eine Sammlung solcher auf objective — mehr oder minder accidentelle — Sinnesreizung zurückgehender Träume führe ich hier nach Jessen,36) p. 527, an: Jedes undeutlich wahrgenommene Geräusch erweckt entsprechende Traumbilder, das Rollen des Donners versetzt uns mitten in eine Schlacht, das Krähen eines Hahnes kann sich in das Angstgeschrei eines Menschen verwandeln, das Knarren einer Thür Träume von räuberischen Einbrüchen hervorrufen. Wenn wir des Nachts unsere Bettdecke verlieren, so träumen wir vielleicht, dass wir nackt umhergehen oder dass wir in’s Wasser gefallen sind. Wenn wir schräg im Bett liegen und die Füsse über den Rand desselben herauskommen, so träumt uns vielleicht, dass wir am Rande eines schrecklichen Abgrundes stehen, oder dass wir von einer steilen Höhe hinabstürzen. Kommt unser Kopf zufällig unter das Kopfkissen, so hängt ein grosser Felsen über uns, und steht im Begriff, uns unter seiner Last zu begraben. Anhäufungen des Samens erzeugen wollüstige Träume, örtliche Schmerzen die Idee erlittener Misshandlungen, feindlicher Angriffe oder geschehender Körperverletzungen….

§ 68

Meier (Versuch einer Erklärung des Nachtwandelns. Halle 1758, S. 33) träumte einmal, dass er von einigen Personen überfallen würde, welche ihn der Länge nach auf den Rücken auf die Erde hinlegten, und ihm zwischen die grosse und die nächste Zehe einen Pfahl in die Erde schlugen. Indem er sich dies im Traum vorstellte, erwachte er und fühlte, dass ihm ein Strohhalm zwischen den Zehen stecke. Demselben soll nach Hennings (Von den Träumen und Nachtwandlern. Weimar 1784, S. 258) ein anderes Mal, als er sein Hemde am Halse etwas fest zusammengesteckt hatte, geträumt haben, dass er gehenkt würde. Hoffbauer träumte in seiner Jugend, von einer hohen Mauer hinabzufallen, und bemerkte beim Erwachen, dass die Bettstelle auseinander gegangen und dass er wirklich gefallen war.... Gregory berichtet, er habe einmal beim Zubettegehen eine Flasche mit heissem Wasser an die Füsse gelegt und darauf im Traum eine Reise auf die Spitze des Aetna gemacht, wo er die Hitze des Erdbodens fast unerträglich gefunden. Ein Anderer träumte nach einem auf den Kopf gelegten Blasenpflaster, dass er von einem Haufen von Indianern scalpirt werde; ein Dritter, der in einem feuchten Hemde schlief, glaubte durch einen Strom gezogen zu werden. Ein im Schlaf eintretender Anfall von Podagra liess einen Kranken glauben, er sei in den Händen der Inquisition und erdulde die Qualen der Folter (Macnish).“

§ 69

Das auf die Aehnlichkeit zwischen Reiz und Trauminhalt gegründete Argument lässt eine Verstärkung zu, wenn es gelingt, bei einem Schlafenden durch planmässige Anbringung von Sinnesreizen dem Reiz entsprechende Träume zu erzeugen. Solche Versuche hat nach Macnish schon Giron de Buzareingues angestellt. „Er liess seine Knie unbedeckt und träumte, dass er in der Nacht auf einem Pustwagen reise. Er bemerkt dabei, dass Reisende wohl wissen würden, wie in einer Kutsche die Knie des Nachts kalt würden. Ein anderes Mal liess er den Kopf hinten unbedeckt und träumte, dass er einer religiösen Ceremonie in freier Luft beiwohne. Es war nämlich in dem Lande, in welchem er lebte, Sitte, den Kopf stets bedeckt zu tragen, ausgenommen bei solchen Veranlassungen, wie die eben genannte.“

§ 70

Maury 48) theilt neue Beobachtungen von an ihm selbst erzeugten Träumen mit. (Eine Reihe anderer Versuche brachte keinen Erfolg.)

§ 71

1. Er wird an Lippen und Nasenspitze mit einer Feder gekitzelt. — Träumt von einer schrecklichen Tortur; eine Pechlarve wird ihm auf's Gesicht gelegt, dann weggerissen, so dass die Haut mitgeht.

§ 72

2. Man wetzt eine Schere an einer Pincette. — Er hört Glocken läuten, dann Sturmläuten und ist in die Junitage des Jahres 1848 versetzt.

§ 73

3. Man lässt ihn Kölnerwasser riechen. — Er ist in Kairo im Laden von Johann Maria Farina. Daran schliessen sich tolle Abenteuer, die er nicht reproduciren kann.

§ 74

4. Man kneipt ihn leicht in den Nacken. — Er träumt, dass man ihm ein Blasenpflaster auflegt, und denkt an einen Arzt, der ihn als Kind behandelt hat.

§ 75

5. Man nähert ein heisses Eisen seinem Gesicht. Er träumt von den Heizern“,*)*) die sich in's Haus eingeschlichen haben und Bewohner zwingen, ihr Geld herauszugeben, indem sie ihnen Füsse in’s Kohlenbecken stecken. Dann tritt die Herzogin Abrantés auf, deren Secretär er im Traume ist.

§ 76

8. Man giesst ihm einen Tropfen Wasser auf die Stirne. — Er ist in Italien, schwitzt heftig und trinkt den weissen Wein von Orvieto.

§ 77

9. Man lässt wiederholt durch ein rothes Papier das Licht einer Kerze auf ihn fallen. — Er träumt vom Wetter, von Hitze und befindet sich wieder in einem Seesturm, den er einmal auf dem Canal La Manche mitgemacht.

§ 78

Andere Versuche, Träume experimentell zu erzeugen, rühren von d’Hervey,34) Weygandt 75) u. A. her.

§ 79

Von mehreren Seiten ist die „auffällige Fertigkeit des Traumes bemerkt worden, plötzliche Eindrücke aus der Sinneswelt dergestalt in seine Gebilde zu verweben, dass sie in diesen eine allmählich schon vorbereitete und eingeleitete Katastrophe bilden“. (Hildebrandt)35) „In jüngeren Jahren“, erzählt dieser Autor, „bediente ich mich zu Zeiten, um regelmässig in bestimmter Morgenstunde aufzustehen, des bekannten, meist an Uhrwerken angebrachten Weckers. Wohl zu hundertmalen ist mir´s begegnet, dass der Ton dieses Instrumentes in einen vermeintlich sehr langen und zusammenhängenden Traum dergestalt hineinpasste, als ob dieser ganze Traum eben nur auf ihn angelegt sei, und in ihm seine eigentliche logisch unentbehrliche Pointe, sein natürlich gewiesenes Endziel fände.“

*) „Chauffeurs“ hiessen Bänden von Räubern in der Vendée, die sich dieser Tortur bedienten. § 80

Ich werde drei dieser Weckerträume noch in anderer Absicht citiren.

§ 81

Volkelt (p. 68) erzählt: „Einem Componisten träumte einmal, er halte Schule und wolle eben seinen Schülern etwas klar machen. Schon ist er damit fertig und wendet sich an einen der Knaben mit der Frage: „Hast du mich verstanden?“ Dieser schreit wie ein Besessener: „O ja.“ Ungehalten hierüber verweist er ihm das Schreien. Doch schon schreit die ganze Classe: „Orja“. Hierauf: „Eurjo“. Und endlich: „Feuerjo!“ Und nun erwacht er von wirklichem Feuerjo-Geschrei auf der Strasse.

§ 82

Garnier (Traité des facultés de l’âme, 1865) bei Radestock 54) berichtet, dass Napoleon I. durch die Explosion der Höllenmasehine aus einem Traum geweckt wurde, den er im Wagen schlafend hatte, und der ihm den Uebergang über den Tagliamento und die Kanonade der Oesterreicher wieder erleben liess, bis er mit dem Ausruf aufschreckte: „Wir sind unterminirt.“

§ 83

Zur Berühmtheit gelangt ist ein Traum, den Maury48) erlebt hat. (p. 161). Er war leidend und lag in seinem Zimmer zu Bett; seine Mutter sass neben ihm. Er träumte nun von der Schreckensherrschaft zur Zeit der Revolution, machte gräuliche Mordscenen mit und wurde dann endlich selbst vor den Gerichtshof citirt. Dort sah er Robespierre, Marat, Fouquier-Tinville und alle die traurigen Helden jener grässlichen Epoche, stand ihnen Rede, wurde nach allerlei Zwischenfällen, die sich in seiner Erinnerung nicht fixirten, verurtheilt und dann von einer unübersehbaren Menge begleitet auf den Richtplatz geführt. Er steigt auf’s Schaffot, der Scharfrichter bindet ihn aufs Brett; es kippt um; das Messer der Guillotine fällt herab; er fühlt, wie sein Haupt vom Rumpf getrennt wird, wacht in der entsetzlichsten Angst auf — und findet, dass der Bettaufsatz herabgefallen war und seine Halswirbel, wirklich ähnlich wie das Messer einer Guillotine — getroffen hatte.

§ 84

An diesen Traum knüpft sich eine interessante, von Le Lorrain 45) und Egger 20) in der Revus philosophique eingeleitete Discussion, ob und wie es dem Träumer möglich werde, in dem kurzen Zeitraum, der zwischen der Wahrnehmung des Weckreizes und dem Erwachen verstreicht, eine anscheinend so überaus reiche Fülle von Trauminhalt zusammenzudrängen.

§ 85

Beispiele dieser Art lassen die objectiven Sinnesreizungen während des Schlafes als die am besten sichergestellte unter den Traumquellen erscheinen, Sie ist es auch, die in der Kenntnis des Laien einzig und allein eine Rolle spielt. Fragt man einen Gebildeten, der sonst der Traumlitteratur fremd geblieben ist, wie die Träume zu Stand kommen, so wird er zweifellos mit der Berufung auf einen ihm bekannt gewordenen Fall antworten, in dem ein Traum durch ein nach dem Erwachen erkannten objectiven Sinnesreiz aufgeklärt wurde. Die wissenschaftliche Betrachtung kann dabei nicht Halt machen; sie schöpft den Anlass zu weiteren Fragen aus der Beobachtung, der während des Schlafes auf die Sinne einwirkende Reiz im Traume ja nicht in seiner wirklichen Gestalt auftritt, sondern durch irgend eine andere Vorstellung vertreten wird, die in irgend welcher Beziehung zu ihm steht. Die Beziehung aber, die den Traumreiz, den Traumerfolg verbindet, ist nach den Worten Maury’s47) affinité quelcongue, mais qui n’est pas unique et exclusive“ (p. 72) Man höre z. B. drei der Weckerträume Hildebrandt’s; man wird sich dann die Frage vorzulegen haben, warum derselbe Reiz so verschiedene, und warum er gerade diese Traumerfolge hervorrief:

§ 86

(p. 37) „Also ich gehe an einem Frühlingsmorgen spazieren und schlendre durch die grünenden Felder weiter bis zu einem benachbarten Dorfe, dort sehe ich die Bewohner in Feierkleidern, das Gesangbuch unter dem Arme, zahlreich der Kirche zuwandern. Richtig! Es ist ja Sonntag, und der Frühgottesdienst wird bald beginnen. Ich beschliesse, an diesem theilzunehmen, zuvor aber, weil ich etwas echauffirt bin, auf dem die Kirche umgebenden Friedhofe mich abkühlen. Während ich hier verschiedene Grabschriften lese, höre ich den Glöckner den Thurm hinansteigen, und sehe nun in der des letzteren die kleine Dorfglocke, die das Zeichen zum Beginn Andacht geben wird. Noch eine ganze Weile hängt sie bewegungslos da, dann fängt sie an zu schwingen — und plötzlich ertönen ihre Schläge hell und durchdringend — so hell und durchdringend, dass sie meinem Schlaf, ein Ende machen. Die Glockentöne aber kommen von dem Wecker.“

§ 87

„Eine zweite Combination. Es ist heller Wintertag; die Strassen sind hoch mit Schnee bedeckt. Ich habe meine Theilnahme an einer Schlittenfahrt zugesagt, muss aber lange warten, bis die Meldung erfolgt, der Schlitten stehe vor der Thür. Jetzt erfolgen die Vorbereitungen zum Einsteigen — der Pelz wird angelegt, der Fussack hervorgehot — und endlich sitze ich auf meinem Platze. Aber noch verzögert sich die Abfahrt bis die Zügel den harrenden Rossen das fühlbare Zeichen geben. Nun ziehen diese an die kräftig geschüttelten Schellen, beginnen ihre wohlbekannte Janitscharenmusik mit einer Mächtigkeit, die augenblicklich das Spinngewebe des Traumes zerreisst. Wieder ist's nichts anderes, als der schrille Ton der Weckerglocke.“

§ 88

„Noch das dritte Beispiel! Ich sehe ein Küchenmädchen mit einigen Dutzend aufgethurmter Teller den Corridor entlang zum Speisezimmer schreiten. Die Porzellansäule in ihren Armen scheint mir in Gefahr, das Gleichgewicht zu verlieren. „Nimm dich in Acht“, warne ich, „die ganze Ladung wird zur Erde fallen.“ Natürlich bleibt der obligate Widerspruch nicht aus: man sei dergleichen schon gewohnt u. s. w., während dessen ich noch immer mit Blicken der Besorgnis die Wandelnde begleite. Richtig, an der Thürschwelle erfolgt ein Straucheln, — das zerbrechliche Geschirr fällt und rasselt und prasselt in hundert Scherben auf dem Fussboden umher. Aber — das endlos sich fortsetzende Getön ist, doch, wie ich bald merke, kein eigentliches Rasseln, sondern ein richtiges Klingeln; — und mit diesem Klingeln hat, wie nunmehr der Erwachende erkennt, nur der Wecker seine Schuldigkeit gethan.“

§ 89

Die Frage, warum die Seele im Traum die Natur des objectiven Sinnesreizes verkenne, ist von Strümpell 66) — und fast ebenso von Wundt 76) — dahin beantwortet worden, dass sie sich gegen solche im Schlaf angreifende Reize unter den Bedingungen der Illusionsbildung befindet. Ein Sinneseindruck wird von uns erkannt, richtig gedeutet, d. h. unter die Erinnerungsgruppe eingereiht, in die er nach allen vorausgegangenen Erfahrungen gehört, wenn der Eindruck stark, deutlich, dauerhaft genug ist, und wenn uns die für diese Teberlegung erforderliche Zeit zu Gebote steht. Sind diese Bedingungen nicht erfüllt, so verkennen wir das Object, von dem der Eindruck herrührt; wir bilden auf Grund desselben eine Illusion. „Wenn Jemand auf freiem Felde spazieren geht und einen entfernten Gegenstand undeutlich wahrnimmt, kann es kommen, dass er denselben zuerst für ein Pferd hält.“ Bei näherem Zusehen kann die Deutung einer ruhenden Kuh sich aufdrängen, und endlich kann sich die Vorstellung mit Bestimmtheit in die einer Gruppe von sitzenden Menschen auflösen. Aehnlich unbestimmter Natur sind nun die Eindrücke, welche die Seele imSchlafe durch äussere Reize empfängt; sie bildet auf Grund derselben Alusionen, indem durch den Eindruck eine grössere oder kleinere Anzahl von Erinnerungsbildern wachgerufen wird, durch welche der Eindruck seinen psychischen Werth bekommt. Aus welchem der vielen in Betracht kommenden Erinnerungskreise die zugehörigen Bilder geweckt werden, und welche der möglichen Associationsbeziehungen dabei in Kraft treten, dies bleibt auch nach Strümpell unbestimmbar und gleichsam der Willkür des Seelenlebens überlassen.

§ 90

Wir stehen hier vor einer Wahl. Wir können zugeben, dass die Gesetzmässigkeit in der Traumbildung wirklich nicht weiter zu verfolgen ist, und somit verzichten zu fragen, ob die Deutung der durch den Sinneseindruck hervorgerufenen Illusion nicht noch anderen Bedingungen unterliegt. Oder wir können auf die Vermuthung gerathen, dass die im Schlaf angreifende objective Sinnesreizung als Traumquelle nur eine bescheidene Rolle spielt, und dass andere Momente die Auswahl der wachzurufenden Erinnerungsbilder determiniren. In der That, wenn man die experimentell erzeugten Träume Maury’s prüft, die ich in dieser Absicht so ausführlich mitgetheilt habe, so ist man versucht zu sagen, der angestellte Versuch deckt eigentlich nur eines der Traumelemente nach seiner Herkunft, und der übrige Trauminhalt ercheint vielmehr zu selbständig, zu sehr im Einzelnen bestimmt, als dass er durch die eine Anforderung, er müsse sich mit dem experimentell eingeführten Element vertragen, aufgeklärt werden könnte. Ja man beginnt selbst an der Illusionstheorie und an der Macht des objectiven Eindrucks, den Traum zu gestalten, zu zweifeln, wenn man erfährt, dass dieser Eindruck gelegentlich die allersonderbarste und entlegenste Deutung im Traume erfährt. So erzählt z. B. M. Simon 63) einen Traum, in dem er riesenhafte Personen bei Tische sitzen sah und deutlich das furchtbare Geklapper hörte, das ihre aufeinander schlagenden Kiefer beim Kauen erzeugten. Als er erwachte, hörte er den Hufschlag eines vor seinem Fenster vorbeigaloppirenden Pferdes. Wenn hier der Lärm der Pferdehufe gerade Vorstellungen aus dem Erinnerungskreis von Gulliver’s Reisen Aufenthalt bei den Riesen von Brobdingnag und bei den tugendhaften Pferdewesen wachgerufen hat, — wie ich ohne alle Unterstützung von Seite des Autors etwa deuten möchte — sollte die Auswahl dieses für den Reiz so ungewöhnlichen Erinnerungskreises nicht ausserdem durch andere Motive erleichtert gewesen sein?

§ 91

ad 2. Innere (subjective) Sinneserregung. Allen Einwendungen zum Trotz wird man zugeben müssen, dass die Rolle objectiver Sinneserregungen während des Schlafes als Traumerreger unbestritten feststeht, und wenn diese Reize ihrer Natur-und Häufigkeit nach vielleicht unzureichend erscheinen, um alle Traumbilder zu erklären, so wird man darauf hingewiesen, nach anderen, aber ihnen analog wirkenden, Traumquellen, zu suchen. Ich weiss nun nicht, wo zuerst der Gedanke aufgetaucht ist, neben dem äusseren Sinnesreizen die inneren (subjectiven) Erregungen in Sinnesorganen in Anspruch zu nehmen; es ist aber Thatsache, das dies in allen neueren Darstellungen der Traumätiologie mehr oder minder nachdrücklich geschieht. „Eine wesentliche Rolle spiele ferner, wie ich glaube“, sagt Wundt 76) (p.: 363), „bei den Traumillusionen jene subjectiven Gesichts- und Gehörsempfindungen uns aus dem wachen Zustande als Lichtchaos des dunkeln Gesichtsfeldes, als Ohrenklingen, Ohrensausen u. s. w. bekannt sind, unter ihnen namentlich die subjcetiven Netzhauterregungen. So erklärt sich die merkwürdige Neigung des Traumes, ähnliche oder ganz übereinstimmende Objecte in der Mehrzahl dem Auge vorzuzaubern. Zahllose Vögel, Schmetterlinge, Fische, bunte Perlen, Blumen u. dgl. sehen wir vor uns ausgebreitet. Hier hat der Lichtstaub des dunkeln Gesichtsfeldes phantastische Gestalt angenommen, und die zahlreichen Lichtpunkte, aus denen derselbe besteht, werden von dem Traum in ebenso vielen Einzelbildern verkörpert, die wegen der Beweglichkeit des Lichtchaos als bewegte Gegenständen angeschaut werden. Hierin wurzelt wohl auch die grosse Neigung des Traumes zu den mannigfachsten Thiergestalten, deren Formen reichthum sich der besonderen Form der subjectiven Lichtbilder leicht anschmiegt.“Ganz ähnlich wie diese Bilder können auch Gehörshallucinationen von Worten, Namen u. s. w. hypnagogisch auftreten und dann im Traum

§ 92

Die subjectiven Sinneserregungen haben als Quelle der Traumbilder offenbar den Vorzug, dass sie nicht wie die objectiven vom äusseren Zufall abhängig sind. Sie stehen so zu sagen der Erklärung zu Gebote, so oft diese ihrer bedarf. Sie stehen aber hinter den objectiven Sinnesreizen darin zurück, dass sie jener Bestätigung ihrer Rolle als Traumerreger, welche Beobachtung und Experiment bei den letzteren ergeben, nur schwer oder gar nicht zugänglich sind. Den Haupterweis für die traumerregende Macht subjectiver Sinneserregungen erbringen die sogenannten hypnagogischen Hallucinationen, die von Joh. Müller als „phantastische Gesichtserscheinungen“ beschrieben worden sind. Es sind dies oft sehr lebhafte, wechselvolle Bilder, die sich in der Periode des Einschlafens, bei vielen Menschen ganz regelmässig, einzustellen pflegen, und auch nach dem Oeffnen der Augen eine Weile bestehen bleiben können. Maury,48) der ihnen im hohen Grade unterworfen war, hat ihnen eine eingehende Würdigung zugewendet und ihren Zusammenhang, ja vielmehr ihre Identität mit den Traumbildern (wie übrigens schon Joh. Müller) behauptet. Für ihre Entstehung, sagt Maury, ist eine gewisse seelische Passivität, ein Nachlass der Aufmerksamkeitsspannung erforderlich. (p. 59 u. f) Es genügt aber, dass man auf eine Secunde in solche Lethargie verfalle, um bei sonstiger Disposition eine hypnagogische Hallucination zu sehen, nach der man vielleicht wieder aufwacht, bis das sich mehrmals wiederholende Spiel mit dem Einschlafen endigt. Erwacht man dann nach nicht zu langer Zeit, so gelingt es nach Maury häufig, im Traum dieselben Bilder nachzuweisen, die einem als hypnagogische Hallueinationen vor dem Einschlafen vorgeschwebt haben. (p. 134.) So erging es Maury einmal mit einer Reihe von grotesken Gestalten mit verzerrten Mienen und sonderbaren Frisuren, die ihn mit unglaublicher Aufdringlichkeit in der Periode des Einschlafens belästigten, und von denen er nach dem Erwachen sich erinnerte geträumt zu haben. Ein andermal, als er gerade an Hungergefühl litt, weil er sich schmale Diät auferlegt hatte, sah er hypnagogisch eine Schüssel und eine mit einer Gabel bewaffnete Hand, die sich etwas von der Speise in der Schüssel holte. Im Traume befand er sich an einer reich gedeckten Tafel und hörte das Geräusch, das die Speisenden mit, ihren Gabeln machten. Ein andermal, als er mit gereizten und schmerzenden Augen einschlief, hatte er die hypnagogische Hallueination von mikroskopisch kleinen Zeichen, die er mit grosser Anstrengung einzeln entziffern musste; nach einer Stunde aus dem Schlaf geweckt, erinnerte er sich an einen Traum, in dem ein aufgeschlagenes Buch, mit sehr kleinen Lettern gedruckt, vorkam, welches er mühselig hätte durchlesen müssen. sich wiederholen, als Ouverture gleichsam, welche die Leitmotive der mit ihr beginnenden Oper ankündigt.

§ 93

Auf den nämlichen Wegen wie Joh. Müller und Maury wandelt ein neuerer Beobachter der hypnagogischen Hallucinationen, G. Trumbull Ladd 40). Er brachte es durch Uebung dahin, dass er sich 2—5 Minuten nach dem allmählichen Einschlafen jäh aus dem Schlaf reissen konnte, ohne die Augen zu öffnen, und hatte dann die Gelegenheit, die eben entschwindenden Netzhautempfindungen mit den in der Erinnerung überlebenden Traumbildern zu vergleichen. Er versichert, dass sich jedesmal eine innige Beziehung zwischen beiden erkennen liess in der Weise, dass die leuchtenden Punkte und Linien des Eigenlichtes der Netzhaut gleichsam die Umrisszeichnung, das Schema für die psychisch wahrgenommenen Traumgestalten brachten. Einem Traum z. B., in welchem er deutlich gedruckte Zeilen vor sich sah, die er las und studirte, entsprach eine Anordnung der leuchtenden Punkte in der Netzhaut in parallelen Linien. Um es mit seinen Worten zu sagen: Die klar bedruckte Seite, die er im Traum gelesen, löste sich in ein Object auf, das seiner wachen Wahrnehmung erschien wie ein Stück eines reellen bedruckten Blattes, das man aus allzu grosser Entfernung, um etwas deutlich auszunehmen, durch ein Löchelchen in einem Stück Papier ansieht. Ladd meint, ohne übrigens den centralen Antheil des Phänomens zu unterschätzen, dass kaum ein visueller Traum in uns abläuft, der sich nicht an das Material der inneren Erregungszustände der Netzhaut anlehnte. Besonders gilt dies für die Träume kurz nach dem Einschlafen im dunkeln Zimmer, während für die Träume am Morgen nahe dem Erwachen das objective, im erhellten Zimmer in’s Auge dringende Licht die Reizquelle abgebe. Der wechselvolle, unendlich abänderungsfähige Charakter der Eigenlichterregung entspricht genau der unruhigen Bilderflucht, die unsere Träume uns vorführen. Wenn man den Beobachtungen von Ladd Bedeutung beimisst, wird man die Ergiebigkeit dieser subjectiven Reizquelle für den Traum nicht gering anschlagen können, denn Gesichtsbilder machen bekanntlich den Hauptbestandtheil unserer Träume aus. Der Beitrag von anderen Sinnesgebieten bis auf den des Gehörs ist geringfügiger und inconstant.

§ 94

Es scheint an beglaubigten Beispielen für solche diagnostische Leistungen des Traumes auch aus neuerer Zeit nicht zu fehlen. So z. B. berichtet Tissié 68) nach Artigues, Essai sur la valeur séméiologique des rêves die Geschichte einer 43jährigen Frau, die durch einige Jahre in scheinbar voller Gesundheit von Angstträumen heimgesucht wurde und bei der ärztliche Untersuchung dann eine beginnende Herzaffection aufwies, welcher sie alsbald erlag.

§ 95

Ausgebildete Störungen der inneren Organe wirken offenbar bei einer ganzen Reihe von Personen als Traumerreger. Allgemein wird auf die Häufigkeit der Angstträume bei Herz- und Lungenkranken hingewiesen, ja diese Beziehung des Traumlebens wird von vielen Autoren so sehr in den Vordergrund gedrängt, dass ich mich hier mit der blossen Verweisung auf die Litteratur (Radestock,54) Spitta,64) Maury, M. Simon, Tissié) begnügen kann. Tissié meint sogar, dass die erkrankten Organe dem Trauminhalt das charakteristische Gepräge aufdrücken. Die Träume der Herzkranken sind gewöhnlich sehr kurz und enden mit schreckhaftem Erwachen; fast immer spielt im Inhalt derselben die Situation des Todes unter grässlichen Umständen eine Rolle. Die Lungenkranken träumen von Ersticken, Gedränge, Flucht und sind in auffälliger Zahl dem bekannten Alptraum unterworfen; den übrigens Börner7) durch Lagerung auf's Gesicht, durch Verdeckung der Respirationsöffnungen experimentell hat hervorrufen können. Bei Digestionsstörung enthält der Traum Vorstellungen aus dem Kreise des Geniessens und des Ekels. Der Einfluss sexueller Erregung endlich auf den Inhalt der Träume ist für die Erfahrung eines jeden Einzelnen greifbar genug und leiht der ganzen Lehre von der Traumerregung durch Organreiz ihre stärkste Stütze.

§ 96

Es ist auch, wenn man die Litteratur des Traumes durcharbeitet, ganz unverkennbar, dass einzelne der Autoren (Maury,48) Wey- gandt 76) durch den Einfluss ihrer eigenen Krankheitszustände auf den Inhalt ihrer Träume zur Beschäftigung mit den Traumproblemen geführt worden sind.

§ 97

Der Zuwachs an Traumquellen aus diesen unzweifelhaft festgestellten Thatsachen ist übrigens nicht so bedeutsam, als man meinen möchte. Der Traum ist ja ein Phänomen, das sich bei Gesunden vielleicht bei Allen, vielleicht allnächtlich — einstellt, und das Organerkrankung offenbar nicht zu seinen unentbehrlichen Bedingungen zählt. Es handelt sich für uns aber nicht darum, woher besondere Träume rühren, sondern was für die gewöhnlichen Träume normaler Menschen die Reizquelle sein mag.

§ 98

Indes bedarf es jetzt nur eines Schrittes weiter, um auf eine Traumquelle zu stossen, die reichlicher fliesst als jede frühere und eigentlich für keinen Fall zu versiegen verspricht. Wenn es sichergestellt ist, dass das Körperinnere im kranken Zustande zur Quelle der Traumreize wird, und wenn wir zugeben, dass die Seele im Schlafzustande, von der Aussenwelt abgelenkt, dem Inneren des Leibe grössere Aufmerksamkeit zuwenden kann, so liegt es nahe anzunehmen, dass die Organe nicht erst zu erkranken brauchen, um Erregungen, die irgendwie zu Traumbildern werden, an die schlafende Seele gelangen zu lassen. Was wir im Wachen dumpf als Gemeingefühl nur seiner Qualität nach wahrnehmen, und wozu nach der Meinung der Aerzte alle Organsysteme ihre Beiträge leisten, das würde Nachts, zur kräftigen Einwirkung gelangt und mit seinen einzelnen Componenten thätig, die mächtigste und gleichzeitig die gewöhnlichste Quelle für die Erweckung der Traumvorstellungen ergeben. Es erübrigte dann noch die Untersuchung, nach welchen Regeln sich die Organreize in Traumvorstellungen umsetzen.

§ 99

Wir haben hier jene Theorie der Traumentstehung berührt, welche die bevorzugte bei allen ärztlichen Autoren geworden ist. Das Dunkel, in welches der Kern unseres Wesens, das „moi splanchnique“ wie Tissié 68) es nennt, für unsere Kenntnis gehüllt ist, und das Dunkel der Traumentstehung entsprechen einander zu gut, um nicht in Beziehung zu einander gebracht zu werden. Der Ideengang, welcher die vegetative Organempfindung zum Traumbildner macht, hat überdies für den Arzt den anderen Anreiz, dass er Traum und Geistesstörung, die soviel Uebereinstimmung in ihren Erscheinungen zeigen, auch aetiologisch vereinigen lässt, denn Alterationen des Gemeingefühl und Reize, die von den inneren Organen ausgehen, werden auch einer weitreichenden Bedeutung für die Entstehung der Psychosen bezichtigt, Es ist darum nicht zu verwundern, wenn die Leibreiztheorie sich auf mehr als einen Urheber, der sie selbständig angegeben, zurückführen lässt.

§ 100

Für eine Reihe von Autoren wurde der Gedankengang massgebend, den der Philosoph Schopenhauer 60) im Jahre 1851 entwickelt hat. Das Weltbild entsteht in uns dadureb, dass unser Intellect die ihn von aussen treffenden Eindrücke in die Formen der Zeit, des Raumes und der Causalität umgiesst. Die Reize aus dem Inneren des Organismus, vom sympathischen Nervensystem her, äussern bei Tag höchstens einen unbewussten Einfluss auf unsere Stimmung. Bei Nacht aber, wenn die übertäubende Wirkung der Tageseindrücke aufgehört hat, vermögen jene aus dem Innern heraufdringenden Eindrücke sich Aufmerksamkeit zu verschaffen — ähnlich wie wir bei Nacht die Quelle rieseln hören, die der Lärm des Tages unvernehmbar machte. Wie anders aber soll der Intellect auf diese Reize reagiren, als indem er seine ihm eigenthümliche Function vollzieht? Er wird also die Reize zu raum- und zeiterfüllenden Gestalten, die sich am Leitfaden der Causalität bewegen, umformen, und so entsteht der Traum. In die nähere Beziehung zwischen Leibreizen und Traumbildern versuchten dann Scherner 58) und nach ihm Volkelt 72) einzudringen, deren Würdigung wir uns auf den Abschnitt über die Traumtheorien aufsparen.

§ 101

In einer besonders consequent durchgeführten Untersuchung hat der Psychiater Krauss 39) die Entstehung des Traumes wie der Delirien und Wahnideen von dem nämlichen Element, der organisch bedingten Empfindung, abgeleitet. Es lasse sich kaum eine Stelle des Organismus denken, welche nicht der Ausgangspunkt eines Traumes oder Wahnbildes werden könne. Die organisch bedingte Empfindung „lässt sich aber in zwei Reihen trennen: 1. in die der Totalstimmungen (Gemeingefühle), 2. in die specifischen, den Hauptsystemen des vegetativen Organismus immanenten Sensationen, wovon wir fünf Gruppen unterschieden haben, a) die Muskelempfindungen, b) die pneumatischen, c) die gastrischen, d) die sexuellen und e) die peripherischen.“ (p. 33 des zweiten Artikels.)

§ 102

Den Hergang der Traumbilderentstehung auf Grund der Leibreize nimmt Krauss folgendermassen an: Die geweckte Empfindung ruft nach irgend einem Associationsgesetz eine ihr verwandte Vorstellung wach und verbindet sich mit ihr zu einem organischen Gebilde, gegen welches sich aber das Bewusstsein anders verhält als normal. Denn dies schenkt der Empfindung selbst keine Aufmerksamkeit, sondern wendet sie ganz den begleitenden Vorstellungen zu, was zugleich der Grund ist, warum dieser Sachverhalt so lange verkannt werden konnte. (p. 11 u. f.) Krauss findet für den Vorgang auch den besonderen Ausdruck der Transsubstantiation der Empfindungen in Traumbilder. (p. 24.)

§ 103

Der Einfluss der organischen Leibreize auf die Traumbildung wird heute nahezu allgemein angenommen, die Frage nach dem Gesetz der Beziehung zwischen beiden sehr verschiedenartig, oftmals mit dunkeln Auskünften, beantwortet. Es ergibt sich nun auf dem Boden der Leibreiztheorie die besondere Aufgabe der Traumdeutung, den Inhalt eines Traumes, auf die ihn verursachenden organischen Reize zurückzuführen, und wenn man nicht die von Scherner 58) aufgefundenen Deutungsregeln anerkannt, steht man oft vor der misslichen Thatsache, dass die organische Reizquelle sich eben durch nichts anderes als durch den Inhalt des Traumes verräth.

§ 104

Ziemlich übereinstimmend hat sich aber die Deutung verschiedener Traumformen gestaltet, die man als „typische“ bezeichnet hat, weil sie bei so vielen Personen mit ganz ähnlichem Inhalt wiederkehren. Es sind dies die bekannten Träume vom Herabfallen von einer Höhe, vom Zahnausfallen, vom Fliegen und von der Verlegenheit, dass man nackt oder schlecht bekleidet ist. Letzterer Traum soll einfach von der im Schlaf gemachten Wahrnehmung herrühren, dass man die Bettdecke abgeworfen hat und nun entblösst daliegt. Der Traum vom Zahnausfallen wird auf „Zahnreiz“ zurückgeführt, womit aber nicht ein krankhafter Erregungszustand der Zähne gemeint zu sein braucht. Der Traum zu fliegen ist nach Strümpell66) das von der Seele gebrauchte adäquate Bild, womit sie das von den auf- und niedersteiger Lungenflügeln ausgehende Reizquantum deutet, wenn gleichzeitig Hautgefühl des Thorax schon bis zur Bewusstlosigkeit herabgesunken ist. Durch den letzteren Umstand wird die an die Vorstellungsform des Schwebens gebundene Empfindung vermittelt. Das Herabfallen der Höhe soll darin seinen Anlass haben, dass bei eingetretener Bewusstlosigkeit des Haufdruckgefühles entweder ein Arm vom Körper herabsinkt oder ein eingezogenes Knie plötzlich gestreckt wird, wodurch das Gefühl des Hautdruckes wieder bewusst wird, der Uebergang zum Bewusstwerden aber als Traum vom Niederfallen sich psychisch verkörpert (Strümpell, p. 118). Die Schwäche dieser plausibeln Erklärungsversuche liegt offenbar darin, dass sie ohne weiteren Anhalt die oder jene Gruppe von Organempfindungen aus der seelischen Wahrnehmung verschwinden oder sich ihr aufdrängen lassen, bis die für die Erklärung günstige Constellation hergestellt ist. Ich werde übrigens später Gelegenheit haben, auf die typischen Träume und ihre Entstehung zurückzukommen.

§ 105

M. Simon 63) hat versucht, aus der Vergleichung einer Reihe von ähnlichen Träumen einige Regeln für den Einfluss der Organreize auf die Bestimmung ihrer Traumerfolge abzuleiten. Er sagt (p. 34): Wenn im Schlaf irgend ein Organapparat, der normaler Weise am Ausdrück eines Affectes betheiligt ist, durch irgend einen anderen Anlass sich in dem Erregungszustande befindet, in den er sonst bei jenem Affect versetzt wird, so wird der dabei entstehende Traum Vorstellungen enthalten, die dem Affect angepasst sind.

§ 106

Eine andere Regel lautet (p. 35): Wenn ein Organapparat sich im Schlafe in Thätigkeit, Erregung oder Störung befindet, so wird der Traum Vorstellungen bringen, welche sich auf die Ausübung der organischen Function beziehen, die jener Apparat versieht. Mourly Vold 73) hat es unternommen, den von der Leibreiztheorie supponirten Einfluss auf die Traumerzeugung für ein einzelnes Gebiet experimentell zu erweisen. Er hat Versuche gemacht, die Stellungen Glieder des Schlafenden zu verändern und die Traumerfolge mit seinen Abänderungen verglichen. Er theilt folgende Sätze als Ergebniss mit.

§ 107

1. Die Stellung eines Gliedes im Traum entspricht ungefähr der in der Wirklichkeit, d. h. man träumt von einem statischen Zustand des Gliedes, welcher dem realen entspricht.

§ 108

2. Wenn man von der Bewegung eines Gliedes träumt, so ist diese immer so, dass eine der bei ihrer Vollziehung vorkommenden Stellungen der wirklichen entspricht.

§ 109

3. Man kann die Stellung des eigenes Gliedes im Traum auch einer fremden Person zuschieben.

§ 110

4. Man kann auch träumen, dass die betreffende Bewegung gehindert ist.

§ 111

5. Das Glied in der betreffenden Stellung kann im Traum als Thier oder Ungeheuer erscheinen, wobei eine gewisse Analogie beider hergestellt wird.

§ 112

6. Die Stellung eines Gliedes kann im Traum Gedanken anregen, die zu diesem Glied irgend eine Beziehung haben. So z. B. träumt man bei Beschäftigung mit den Fingern von Zahlen.

§ 113

Ich würde aus solchen Ergebnissen schliessen, dass auch die Leibreiztheorie die scheinbare Freiheit in der Bestimmung der zu erweckenden Traumbilder nicht gänzlich auszulöschen vermag.

§ 114

ad 4. Psychische Reizquellen. Als wir die Beziehungen des Traumes zum Wachleben und die Herkunft des Traummateriales behandelten, erfuhren wir, es sei die Ansicht der ältesten wie der neuesten Traumforscher, dass die Menschen von dem träumen, was sie bei Tag treiben und was sie im Wachen interessirt. Dieses aus dem Wachleben in den Schlaf sich fortsetzende Interesse wäre nicht nur ein psychisches Band, das den Traum an’s Leben knüpft, sondern ergibt uns auch eine nicht zu unterschätzende Traumquelle, die neben dem im Schlaf interessant Gewordenen, — den während des Schlafes einwirkenden Reizen, — ausreichen sollte, die Herkunft aller Traumbilder aufzuklären. Wir haben aber auch den Widerspruch gegen obige Behauptung gehört, nämlich dass der Traum den Schläfer von den Interessen des Tages abzieht, und dass wir — meistens — von den Dingen, die uns bei Tag am mächtigsten ergriffen haben, erst dann träumen, wenn sie für das Wachleben den Reiz der Actualität verloren haben. So erhalten wir in der Analyse des Traumlebens bei jedem Schritt den Eindruck, dass es unstatthaft ist, allgemeine Regeln aufzustellen, ohne durch ein „oft“, „in der Regel“, „meistens“ Einschränkungen vorzusehen und auf die Giltigkeit der Ausnahmen vorzubereiten.

§ 115

Wenn das Wachinteresse nebst den inneren und äusseren Schlafreizen zur Deckung der Traumaetiologie ausreichte, so müssten wir im Stande sein, von der Herkunft aller Elemente eines Traumes befriedigende Rechenschaft zu geben; das Räthsel der Traumquellen wäre gelöst, und es bliebe noch die Aufgabe, den Antheil der psychischen und der somatischen Traumreize in den einzelnen Träumen abzugrenzen. In Wirklichkeit ist diese vollständige Auflösung eines Traumes noch in keinem Falle gelungen, und jedem, der dies versucht bat, sind — meist sehr reichlich — Traumbestandtheile übrig geblieben, über deren Herkunft er keine Aussage machen konnte. Das Tages interesse als psychische Traumguelle trügt offenbar nicht so weit, man nach den zuversichtlichen Behauptungen, dass jeder im Traum sein Geschäft weiter betreibe, erwarten sollte.

§ 116

Andere psychische Traumquellen sind nicht bekannt. Es lassen also alle in der Litteratur vertretenen Traumerklärungen — mit Ausnahme etwa der später zu erwähnenden von Scherner58) — eine grosse Lücke offen, wo es sich um die Ableitung des für den Traum am meisten charakteristischen Materiales an Vorstellungsbildern handelt. In dieser Verlegenheit hat die Mehrzahl der Autoren die Neigung entwickelt, den psychischen Antheil an der Traumerregung, dem so schwer beizukommen ist, möglichst zu verkleinern. Sie unterscheiden zwar als Haupteintheilung den Nervenreiz- und den Associationstraum, welch letzterer ausschliesslich in der Reproduction seine Quelle findet (Wundt,57) p. 365), aber sie können den Zweifel nicht los werden, „ob sie sich ohne anstossgebenden Leibreiz einstellen (Volkelt,72) p. 127). Auch die Charakteristik des reinen Associationstraumes versagt: „In den eigentlichen Associationsträumen kann von einem solchen festen Kern nicht mehr die Rede sein. Hier dringt die lose Gruppirung auch in den Mittelpunkt des Traumes ein. Das ohnedies von Vernunft und Verstand freigelassene Vorstellungsleben ist hier auch von jenen gewichtvolleren Leib- und Seelenerregung nieht mehr zusammengehalten und so seinem eigenen bunten Schieben und Treiben, seinem eigenen lockeren Durcheinandertaumeln überlassen“ (Volkelt, p. 118). Eine Verkleinerung des psychischen Antheils an der Traumerregung versucht dann Wundt, indem er ausführt, dass man die „Phantasmen des Traumes wohlmit Unrecht als reine Hallucinationen ansehe. Wahrscheinlich sind die meisten Traumvorstellungen in Wirklichkeit lllusionen, indem sie von den leisen Sinne eindrücken ausgehen, die niemals im Schlafe erlöschen“ (p. 359 u. f.) Weygandt 75) hat sich. diese Ansicht angeeignet und sie verallgemeinert. Er behauptet für alle Traumvorstellungen, dass „ihre nächste Ursache Sinnesreize sind, daran erst schliessen sich reproductive Associationen“ (p. 17). Noch weiter in der Verdrängung der psychischen Reizquellen geht Tissié 68) (p. 183): Les rêves d’origine absolument psychique n’existent pas, und anderswo (p. 6): les pensées de nos rêves nous viennent du dehors....

§ 117

Diejenigen Autoren, welche wie der einflussreiche Philosoph Wundt eine Mittelstellung einnehmen, versäumen nicht anzumerken, dass in den meisten Träumen somatische Reize und die unbekannten oder als Tagesinteresse erkannten psychischen Anreger des Traumes zusammenwirken.

§ 118

Wir werden später erfahren, dass das Räthsel der Traumbildung durch die Aufdeckung einer unvermutheten psychischen Reizquelle gelöst werden kann. Vorläufig wollen wir uns über die Ueberschätzung der nicht aus dem Seelenleben stammenden Reize zur Traumbildung nicht verwundern. Nicht nur dass diese allein leicht aufzufinden und selbst durch’s Experiment zu bestätigen sind; es entspricht auch die somatische Auffassung der Traumentstehung durchwegs der heute in der Psychiatrie herrschenden Denkrichtung. Die Herrschaft des Gehirnes über den Organismus wird zwar nachdrücklichst betont, aber alles, was eine Unabhängigkeit des Seelenlebens von nachweisbaren organischen Veränderungen oder eine Spontaneität in dessen Aeusserungen erweisen könnte, schreckt den Psychiater heute so, als ob dessen Anerkennung die Zeiten der Naturphilosophie und des metaphysischen Seelenwesens wiederbringen müsste. Das Misstrauen des Psychiaters hat die Psyche gleichsam unter Curatel gesetzt und fordert nun, dass keine ihrer Regungen ein ihr eigenes Vermögen verrathe. Doch zeigt dies Benehmen von nichts anderem als von einem geringen Zutrauen in die Haltbarkeit der Causalverkettung, die sich zwischen Leiblichem und Seelischen erstreckt. Selbst wo das Psychische sich bei der Erforschung als der primäre Anlass eines Phänomens erkennen: lässt, wird ein tieferes Eindringen die Fortsetzung des Weges bis zur organischen Begründung des Seelischen einmal zu finden wissen. Wo aber das Psychische für unsere derzeitige Erkenntnis die Endstation bedeuten müsste, da braucht es darum nicht geleugnet zu werden.

§ 119

d) Warum man den Traum nach dem Erwachen vergisst?

§ 120

Dass der Traum am Morgen „zerrinnt“, ist sprichwörtlich. Freilich ist er der Erinnerung fähig. Denn wir kennen den Traum ja nur aus der Erinnerung an ihn nach dem Erwachen; aber wir glauben sehr oft, dass wir ihn nur unvollständig erinnern, während in der Nacht mehr von ihm da war; wir können beobachten, wie eine des Morgens noch lebhafte Traumerinnerung im Laufe des Tages bis auf kleine Brocken dahinschwindet; wir wissen oft, dass wir geträumt haben, aber nicht, was wir geträumt haben, und wir sind an die Erfahrung, dass der Traum dem Vergessen unterworfen ist, so gewöhnt, dass wir die Möglichkeit nicht als absurd verwerfen, dass auch der bei Nacht geträumt haben könnte, der am Morgen weder vom Inhalt noch von der Thatsache des Träumens etwas weiss. Andererseits kommt es vor, dass Träume eine ausserordentliche Haltbarkeit im Gedächtnisse zeigen. Ich habe bei meinen Patienten Träume analysirt, die sich ihnen vor 25 und mehr Jahren ereignet hatten, und kann mich an einen eigenen Traum erinnern, der durch mindestens 37 Jahre vom heutigen Tage getrennt ist und doch an seiner Gedächtnisfrische nichts eingebüsst hat. Dies alles ist sehr merkwürdig und zunächst nicht verständlich.

§ 121

Ueber das Vergessen der Träume handelt am ausführlichsten Strümpell.66) Dies Vergessen ist offenbar ein complexes Phänomen, denn Strümpell führt es nicht auf einen einzigen, sondern auf eine ganze Reihe von Gründen zurück.

§ 122

Zunächst sind für das Vergessen der Träume alle jene Gründe wirksam, die im Wachleben das Vergessen herbeiführen. Wir pflegen als Wachende eine Unzahl von Empfindungen und Wahrnehmun alsbald zu vergessen, weil sie zu schwach waren, weil die an sie geknüpfte Seelenerregung einen zu geringen Grad hatte. Dasselbe ist rücksichtlich vieler Traumbilder der Fall; sie werden vergessen weil sie zu schwach waren, während stärkere Bilder aus ihrer Nähe erinnert werden. Uebrigens ist das Moment der Intensität für sich allein sicher nicht entscheidend für die Erhaltung der Traumbilder; Strümpell gesteht wie auch andere Autoren (Calkins)12) zu, dass man häufig Traumbilder rasch vergisst, von denen man weiss, dass sie sehr lebhaft waren, während unter den im Gedächtnis erhaltenen sich sehr viele schattenhafte, sinnesschwache Bilder befinden. Ferner pflegt man im Wachen leicht zu vergessen, was sich nur einmal ereignet hat, und besser zu merken, was man wiederholt wahrnehmen konnte. Die meisten Traumbilder sind aber einmalige Erlebnisse;*)*) diese Eigenthümlichkeit wird gleichmässig zum Vergessen aller Träume beitragen. Weit bedeutsamer ist dann ein dritter Grund des Vergessens. Damit Empfindungen, Vorstellungen, Gedanken u. s. w. eine gewisse Erinnerungsgrösse erlangen, ist es nothwendig, dass sie nicht vereinzelt bleiben, sondern Verbindungen und Vergesellschaftungen passender Art eingehen. Löst man einen kleinen Vers in seine Worte auf und schüttelt diese durcheinander, so wird es sehr schwer, ihn zu merken. „Wohlgeordnet und in sachgemässer Folge hilft ein Wort dem andern und das Ganze steht sinnvoll in der Erinnerung leicht und lange fest. Widersinniges behalten wir im Allgemeinen ebenso schwer und ebenso selten wie das Verworrene und Ordnungslose.“ Nun fehlt den Träumen in den meisten Fällen Verständigkeit und Ordnung. Die Traumcompositionen entbehren an sich der Möglichkeit ihres eigenen Gedächtnisses und werden vergessen, weil sie meistens schon in den nächsten Zeitmomenten aneinanderfallen. — Zu diesen Ausführungen stimmt allerdings nicht ganz, was Radestock 54) (p. 168). bemerkt haben will, dass wir gerade die sonderbarsten Träume am besten behalten.

§ 123

Noch wirkungsvoller für das Vergessen des Traumes erscheinen Strümpell andere Momente, die sich aus dem Verhältnis von Traum und Wachleben ableiten. Die Vergesslichkeit der Träume für das wache Bewusstsein ist augenscheinlich nur das Gegenstück zu der früher erwähnten Thatsache, dass der Traum (fast) nie geordnete Erinnerungen aus dem Wachleben, sondern nur Einzelheiten aus demselben übernimmt, die er aus ihren gewohnten psychischen Verbindungen reisst, in denen sie im Wachen erinnert werden. Die Traumcomposition hat somit keinen Platz in der Gesellschaft der psychischen Reihen, mit denen die Seele erfüllt ist. Es fehlen ihr alle Erinnerungshilfen. „Auf, diese Weise hebt sich das Traumgebilde gleichsam von dem Boden unseres Seelenlebens ab und schwebt im psychischen Raum wie eine Wolke am Himmel, die der neu belebte Athem rasch verweht“ (p. 87). Nach derselben Richtung wirkt der Umstand, dass mit dem Erwachen sofort die herandrängende Sinneswelt die Aufmerksamkeit mit Beschlag belegt, so dass vor dieser Macht die wenigsten Traumbilder Stand halten können. Diese weichen vor den Eindrücken des jungen Tages wie der Glanz der Gestirne vor dem Licht der Sonne.

*) Periodisch wiederkehrende Träume sind wiederholt bemerkt worden, vgl. die Sammlung von Chabaneix.11) § 124

An letzter Stelle ist als förderlich für das Vergessen der Träume der Thatsache zu gedenken, dass die meisten Menschen ihren Träumen überhaupt wenig Interesse entgegenbringen. Wer sich z. B. als Forscher eine Zeit lang für den Traum interessirt, träumt während dess auch mehr als sonst, das heisst wohl: er erinnert seine Träume leichter und häufiger.

§ 125

Zwei andere Gründe des Vergessens der Träume, die Bonatelli (bei Benini)3) zu den Strümpell’schen hinzugefügt, sind wohl bereits in diesen enthalten, nämlich 1. dass die Veränderung des Gemeingefühles zwischen Schlafen und Wachen der wechselseitigen Reproduction ungünstig ist, und 2. dass die andere Anordnung des Vorstellungsmateriales im Traume diesen so zu sagen unübersetzbar für's Wachbewusstsein macht.

§ 126

Nach all diesen Gründen für’s Vergessen wird es, wie Strümpell selbst hervorhebt, erst recht merkwürdig, dass soviel von den Träumen doch in der Erinnerung behalten wird. Die fortgesetzten Bemühungen der Autoren, das Erinnern der Träume in Regeln zu fassen, kommen einem Eingeständnis gleich, dass auch hier etwas räthselhaft und ungelöst geblieben ist. Mit Recht sind einzelne Eigenthümlichkeiten der Erinnerung an den Traum neuerdings besonders bemerkt worden, z. B. dass man „einen Traum, den man am Morgen für vergessen hält, im Laufe des Tages aus Anlass: einer Wahrnehmung erinnern kann, die zufällig an den — doch vergessenen — Inhalt des Traumes anrührt (Radestock 54) Tissié68)). Die gesammte Erinnerung an den Traum unterliegt aber einer Einwendung, die geeignet ist, ihren Werth in kritischen Augen recht ausgiebig herabzusetzen. Man kann zweifeln, ob unsere Erinnerung, die soviel vom Traum weglässt, das, was sie erhalten hat, nicht verfälscht.

§ 127

Solche Zweifel ander Exactheit der Reproduction des Traumes spricht auch Strümpell aus; „Dann geschieht es eben leicht, dass das wache Bewusstsein unwillkürlich Manches in die Erinnerung des Traumes einfügt: man bildet sich ein, Allerlei geträumt zu haben, was der gewesene Traum nicht enthielt.“

§ 128

Besonders entschieden äussert Jessen 36) (p. 547):

§ 129

„Ausserdem ist aber bei der Untersuchung un Deutung zusammenhängender und folgerichtiger Träume der, wie es scheint, bisher wenig beachtete Umstand sehr in Betracht zu ziehen, dass es dabei fast immer mit der Wahrheit hapert, weil wir, wenn wir einen gehabten Traum in unser Gedächtnis zurückrufen, ohne es zu bemerken oder zu wollen, die Lücken der Traumbilder ausfüllen und ergänzen. Selten und vielleicht niemals ist ein zusammenhängender Traum so zusammenhängend gewesen, wie er uns in der Erinnerung erscheint. Auch dem wahrheitsliebendsten Menschen ist es kaum möglich, einen gehabten merkwürdigen Traum ohne allen Zusatz und ohne alle Ausschmückung zu erzählen: das Bestreben des menschlichen Geistes, Alles im Zusammenhange zu erblicken, ist so gross, dass er bei der Erinnerung eines einigermassen unzusammenhängenden Traumes die Mängel des Zusammenhanges unwillkürlich ergänzt.“

§ 130

Fast wie eine Uebersetzung dieser Worte Jessen’s klingen doch gewiss selbständig concipirten Bemerkungen von V. Egger:20) „... l'observation des rêves a ses difficultés spéciales et le seul moyen d’éviter toute erreur en pareille matière est de confier au papier sans le moindre retard ce que l’on vieut d’éprouver et de remarquer; sinon, l’oubli vieut vite ou total ou partiel; l'oubli total est sans gravité; mais l’oubli partiel est perfide; car si l’on se met ensuite à raconter ce que l’on n’a pas oublié, on est exposé à compléter par imagination les fragments incohérents et disjoints fourni par la mémoire …..; on devient artiste à son insu, et le récit periodiquement répété s’impose à la eréance de son auteur, qui, de bonne foi, le présente comme un fait authentique, dûmenté établi selon les bonnes méthodes...“

§ 131

Ganz ähnlich Spitta 64) (p. 338), der anzunehmen scheint, dass wir überhaupt erst bei dem Versuch, den Traum zu reproduciren, die Ordnung in die lose mit einander associirten Traumelemente einführen — „aus dem Nebeneinander ein Hintereinander Auseinander machen, also den Process der logischen Verbindung der im Traum fehlt, hinzufügen“.

§ 132

Da wir nun eine andere als eine objective Controle für die Treue unserer Erinnerung nicht besitzen, diese aber beim Traum, der unser eigenes Erlebnis ist, und für den wir nur die Erinnerung als Quelle kennen, nicht möglich ist, welcher Werth bleibt da uns Erinnerung an den Traum noch übrig?

§ 133

e) Die psychologischen Besonderheiten des Traumes. Wir gehen in der wissenschaftlichen Betrachtung des Traumes von der Annahme aus, dass der Traum ein Ergebnis unserer eigenen Seelenthätigkeit ist; doch erscheint uns der fertige Traum als etwas Fremdes, zu dessen Urheberschaft zu bekennen es uns so wenig drängt, dass wir ebenso gerne sagen: „Mir hat geträumt“ wie: „Ich habe geträumt.“ Woher rührt diese „Seelenfremdheit“ des Traumes? Nach unseren Erörterungen über die Traumquellen sollten wir meinen, sie sei nicht durch das Material bedingt, das in den Trauminhalt gelangt; dies ist ja zum grössten Theile dem Traumleben wie dem Wachleben gemeinsam. Man kann sich fragen, ob es nicht Abänderungen der psychischen Vorgänge im Traume sind, welche diesen Eindruck hervorrufen, und kann so eine psychologische Charakteristik des Traumes versuchen.

§ 134

Niemand hat die Wesensverschiedenheit von Traum und Wachleben stärker betont und zu weitgehenderen Schlüssen verwendet als Th. Fechner 25) in einigen Bemerkungen seiner Elemente der Psychohysik (p. 520, II. Th.). Er meint, „weder die einfache Herabdrückung des bewussten Seelenlebens unter die Hauptschwelle“, noch die Abziehung der Aufmerksamkeit von den Einflüssen der Aussenwelt genüge, um die Eigenthümlichkeiten des Traumlebens dem wachen Leben gegenüber aufzuklären. Er vermuthet vielmehr, dass auch der Schauplatz der Träume ein anderer ist als der des wachen Vorstellungslebens. „Sollte der Schauplatz der psychophysischen Thätigkeit während des Schlafens und des Wachens derselbe sein, so könnte der Traum meines Erachtens blos eine, auf einem niederen Grade der Intensität sich haltende Fortsetzung des wachen Vorstellungslebens sein, und müsste übrigens dessen Stoff und dessen Form theilen. Aber es verhält sich ganz anders.“

§ 135

Was Fechner mit einer solchen Umsiedelung der Seelenthätigkeit meint, ist wohl nicht klar geworden; auch hat kein Anderer, soviel ich weiss, den Weg weiter verfolgt, dessen Spur er in jener Bemerkung aufgezeigt. Eine anatomische Deutung im Sinne der physiologischen Gehirnlocalisation oder selbst mit Bezug auf die histologische Schichtung der Hirnrinde wird man wohl auszuschliessen haben. Vielleicht aber erweist sich der Gedanke einmal als sinnreich und fruchtbar, wenn man ihn auf einen seelischen Apparat bezieht, der aus mehreren hinter einander eingeschalteten Instanzen aufgebaut ist.

§ 136

Andere Autoren haben sich damit begnügt, die eine oder. die anderen der greifbareren psychologischen Besonderheiten des Traumlebens hervorzuheben und etwa zum Ausgangspunkt weiter reichender Erklärungsversuche zu machen.

§ 137

Es ist mit Recht bemerkt worden, dass eine der Haupteigenthümlichkeiten des Traumlebens schon im Zustande des Einschlafens auftritt und als den Schlaf einleitendes Phänomen zu bezeichnen ist. Das Charakteristische des wachen Zustandes ist nach Schleiermacher 61) (p. 351), dass die Denkthätigkeit in Begriffen und nicht in Bildern vor sich geht. Nun denkt der Traum hauptsächlich in Bildern, und man kann beobachten, dass mit der Annäherung an den Schlaf in demselben Masse, in dem die gewollten Thätigkeiten sich erschwert zeigen, ungewollte Vorstellungen hervortreten, die alle in die Classe der Bilder gehören. Die Unfähigkeit zu solcher Vorstellungsarbeit, die wir als absichtlich gewollte empfinden, und das mit dieser Zerstreuung regelmässig verknüpfte Hervortreten von Bildern, dies sind zwei Charaktere, die dem Traum verbleiben, und die wir bei der psychologischen Analyse desselben als wesentliche Charaktere des Traumlebens anerkennen müssen. Von den Bildern — den hypnagogischen Hallucination — haben wir erfahren, dass sie selbst dem Inhalt nach mit Traumbildern identisch sind.

§ 138

Der Traum denkt also vorwiegend in visuellen Bildern, aber doch nicht ausschliesslich. Er arbeitet auch mit Gehörsbildern und in geringerem Ausmasse mit den Eindrücken der anderen Sinne. Vieles wird auch im Traum einfach gedacht oder vorgestellt (wahrscheinlich also durch Wortvorstellungsreste vertreten), ganz wie sonst im Wachen. Charakteristisch für den Traum sind aber doch nur jene Inhaltselemente, welche sich wie Bilder verhalten, d. h. den Wahrnehmungen ähnlicher sind als den Erinnerungsvorstellungen. Mit Hinwegsetzung über alle die dem Psychiater wohlbekannten Discussionen über das Wesen der Hallucination können wir mit allen sachkundigen Autoren aussagen, dass der Traum hallucinirt, dass Gedanken durch Hallucinationen ersetzt. In dieser Hinsicht besteht kein Unterschied zwischen visuellen und akustischen Vorstellungen; es ist bemerkt worden, dass die Erinnerung an eine Tonfolge, mit der man einschläft, sich beim Versinken in den Schlaf in die Hallucination derselben Melodie verwandelt, um beim Zusichkommen mit dem Einnicken mehrmals abwechseln kann, wieder der leiseren und qualitativ anders gearteten Erinnerungsvorstellung Platz zu machen.

§ 139

Die Verwandlung der Vorstellung in Hallucination ist nicht die einzige Abweichung des Traumes von einem etwa ihm entsprechenden Wachgedanken. Aus diesen Bildern gestaltet der Traum eine Situation, er stellt etwas als gegenwärtig dar, er dramatisirt eine Idee, wie Spitta 64) (p. 145) sich ausdrückt. Die Charakteristik dieser Seite des Traumlebens wird aber erst vollständig, wenn man hinzunimmt, dass man beim Träumen — in der Regel: die Ausnahmen fordern eine besondere Aufklärung — nicht zu denken, sondern zu erleben vermeint, die Hallucinationen mit vollem Glauben aufnimmt. Die Kritik, man habe nichts erlebt, sondern nur in eigenthümlicher Form gedacht — geträumt — regt sich erst beim Erwachen. Dieser Charakter scheidet den echten Schlaftraum von der Tagträumerei, die niemals mit der Realität verwechselt wird.

§ 140

Burdach 8) hat die bisher betrachteten Charaktere des Traumlebens in folgenden Sätzen zusammengefasst (p. 476): „Zu den wesentlichen Merkmalen des Traumes gehört: a) dass die subjective Thätigkeit unserer Seele als objectiv erscheint, indem das Wahrnehmungsvermögen die Producte der Phantasie so auffasst, als ob es sinnliche Rührungen wären; … b) der Schlaf ist eine Aufhebung der Eigenmächtigkeit. Daher gehört eine gewisse Passivität zum Einschlafen.... Die Schlummerbilder werden durch den Nachlass der Eigenmächtigkeit bedingt.“

§ 141

Es handelt sich nun um den Versuch, die Gläubigkeit der Seele gegen die Traumhallucinationen, die erst nach Einstellung einer gewissen eigenmächtigen Thätigkeit auftreten können, zu erklären. Strümpell66) führt aus, dass die Seele sich dabei eorreet und ihrem Mechanismus gemäss benimmt. Die Traumelemente sind keineswegs blosse Vorstellungen, sondern wahrhafte und wirkliche Erlebnisse der Seele, wie sie im Wachen durch Vermittlung der Sinne auftreten (p. 34). Während die Seele wachend in Wortbildern und in der Sprache vorstellt und denkt, stellt sie vor und denkt im Traum in wirklichen Empfindungsbildern (p. 35). Ueberdies kommt im Traum ein Raumbewusstsein hinzu, indem, wie im Wachen, Empfindungen und Bilder in einen äußeren Raum versetzt werden (p. 36). Man muss also zugestehen, dass sich die Seele im Traume ihren Bildern und Wahrnehmungen gegenüber in derselben Lage befindet wie im Wachen (p. 43). Wenn sie dabei dennoch irre geht, so rührt dies daher, dass ihr im Schlafzustand das Kriterium fehlt, welches allein zwischen von aussen und von innen gegebenen Sinneswahrnehmungen unterseheiden kann. Sie kann ihre. Bilder nicht den Proben unterziehen, welche allein deren objective Realität erweisen. Sie vernachlässigt ausserdem den Unterschied zwischen willkürlich vertauschbaren Bildern und anderen, wo diese Willkür wegfällt. Sie irrt, weil sie das Gesetz der Causalität nicht auf den Inhalt ihres Traumes anwenden kann (p. 58). Kurz, ihre Abkehrung von der Aussenwelt enthält auch den Grund für ihren Glauben an die subjective Traumwelt.

§ 142

Zum selben Schlusse gelangt nach theilweise abweichenden psychologischen Entwicklungen Delboeuf 16). Wir schenken den Traumbildern den Realitätsglauben, weil wir im Schlafe keine anderen Eindrücke zum Vergleiche haben, weil wir von der Aussenwelt abgelöst sind. Aber nicht etwa darum glauben wir an die Wahrheit unserer Hallucinationen, weil uns im Schlafe die Möglichkeit entzogen ist, Proben anzustellen. Der Traum kann uns alle diese Prüfungen vorspiegeln, uns etwa zeigen, dass wir die gesehene Rose berühren, und wir träumen dabei doch. Es gibt nach Delboeuf kein stichhältiges Kriterium dafür, ob etwas ein Traum ist oder wache Wirklichkeit, ausser — und dies nur in praktischer Allgemeinheit — der Thatsache des Erwachens. Ich erkläre alles für Täuschung, was zwischen Einschlafen und Erwachen erlebt worden ist, wenn ich durch das Erwachen merke, dass ich ausgekleidet in meinem Bette liege (p. 84). Während des Schlafes- habe ich die Traumbilder für wahr gehalten infolge der nicht einzuschläfernden Denkgewohnheit, eine Aussenwelt anzunehmen, zu der ich mein Ich in Gegensatz bringe.*)*)

*) Einen ähnlichen Versuch wie Delboeuf, die Traumthätigkeit zu erklären durch die Abänderung, welche eine abnorm eingeführte Bedingung an der sonst correcten Function des intacten seelischen Apparates zur Folge haben muss, hat Haffner32) unternommen, diese Bedingung aber in etwas anderen Worten beschrieben. Das erste Kennzeichen des Traumes ist nach ihm die Ort- und Zeitlosigkeit, d. i. die Emancipation der Vorstellung von der dem Individium zukommenden Stelle in § 143

Wird so die Abwendung von der Aussenwelt zu dem bestimmenden Momente für die Ausprägung der auffälligsten Charaktere des Traumlebens erhoben, so verlohnt es sich, einige feinsinnige Bemerkungen des alten Burdach8) anzuführen, welche auf die Beziehung der schlafenden Seele zur Aussenwelt Licht werfen und dazu angethan sind, vor einer Ueberschätzung der vorstehenden Ableitungen zurückzuhalten. „Der Schlaf erfolgt nur unter der Bedingung“, sagt Burdach, „dass die Seele nicht von Sinnesreizen angeregt wird, .... aber es ist nicht sowohl der Mangel an Sinnesreizen die Bedingung des Schlafes, als vielmehr der Mangel an Interesse dafür; mancher sinnliche Eindruck ist selbst nothwendig, insofern er zum Beruhigung der Seele dient, wie denn der Müller nur dann schläft, wenn er das Klappern seiner Mühle hört, und der, welcher aus Vorsicht ein Nachtlicht zu brennen für nöthig hält, im Dunkeln nicht einschlafen kann (p. 457).

§ 144

„Die Seele isolirt sich im Schlafe gegen die Aussenwelt und zieht sich von der Peripherie... zurück.... Indes ist der Zusammenhang nicht ganz unterbrochen: wenn man nicht im Schlafe selbst, sondern erst nach dem Erwachen hörte und fühlte, so könnte man überhaupt nicht geweckt werden. Noch mehr wird die Fortdauer der Sensation dadurch bewiesen, dass man nicht immer durch die bloss sinnliche Stärke eines Eindruckes, sondern durch die psychische Beziehung desselben geweckt wird; ein gleichgültiges Wort weckt den Schlafenden nicht, ruft man ihn aber beim Namen, so erwacht er,... die Seele unterscheidet also im Schlafe zwischen den Sensationen.... Daher kann man denn auch durch den Mangel eines Sinnesreizes, wenn dieser sich auf eine für die Vorstellung wichtige Sache bezieht, geweckt werden; so erwacht man vom Auslöschen eines Nachtlichtes und der Müller vom Stillstande seiner Mühle, also vom Aufhören der Sinnesthätigkeit, und dies setzt voraus, dass diese percipiert worden ist, aber als gleichgültig, oder vielmehr befriedigend, die Seele nicht aufgestört hat“ (p. 460 u. ff.).

der örtlichen und zeitlichen Ordnung. Mit diesem verbindet sich der zweite Grundcharakter des Traumes, die Verwechslung der Hallucinationen, Imaginationen und Phantasie Combinationen mit äusseren Wahrnehmungen. „Da die Gesammtheit der höheren Seelenkräfte, insbesondere Begriffsbildung, Urtheil und Schlussfolgerung einerseits und die freie Selbstbestimmung andererseits an die sinnlichen Phantasie bilder sich anschliessen und diese jederzeit zur Unterlage haben, so nehmen auch diese Thätigkeiten an der Regellosigkeit der Traumvorstellungen Theil. Sie nehmen Theil, sagen wir, denn an und für sich ist unsere Urtheilskraft, wie unsere Willenskraft, im Schlafe in keiner Weise alterirt. Wir sind der Thätigkeit nach ebenso scharfsinnig und ebenso frei wie im wachen Zustande. Der Mensch kann auch Traume nicht gegen die Denkgesetze an sich verstossen, d. h. nicht das ihm als entgegengesetzt sich Darstellende identisch setzen u. s. w. Er kann auch im Traume nur das begehren, was er als ein Gutes sich vorstellt (sub ratione boni). Aber in dieser Anwendung der Gesetze des Denkens und Wollens wird der menschliche Geist im Traume irregeführt durch die Verwechslung einer Vorstellung mit einer anderen So kommt es, dass wir im Traum die grössten Widersprüche setzen und begehen während wir andererseits die scharfsinnigsten Urtheilsbildungen und die consequentesten Schlussfolgerungen vollziehen, die tugendhaftesten und heiligsten Entschliessungen fassen können. Mangel an Orientirung ist das ganze Geheimnis des Fluges, mit welchem unsere Phantasie im Traume sich bewegt, und Mangel an kritischer Reflexion, sowie an Verständigung mit Anderen, ist die Hauptquelle der masslosen Extravaganzen unserer Urtheile wie unserer Hoffnungen und Wünsche in Traum“ (p. 18). § 145

Wenn wir selbst von diesen nicht gering zu schätzenden Einwendungen absehen wollen, so müssen wir doch zugestehen, dass die bisher gewürdigten und aus der Abkehrung von der Aussenwelt abgeleiteten. Eigenschaften des Traumlebens die Fremdartigkeit desselben nicht voll zu decken vermögen. Denn im anderen Falle müsste es möglich sein, die Hallucinationen des Traumes in Vorstellungen, die Situationen des Traumes in Gedanken zurückzuverwandeln, und damit die Aufgabe der Traumdeutung zu lösen. Nun verfahren wir nicht anders, wenn wir nach dem Erwachen den Traum aus der Erinnerung reproduciren, und ob uns diese Rückübersetzung ganz oder nur theilweise gelingt, der Traum behält seine Räthselhaftigkeit unverringert bei.

§ 146

Die Autoren nehmen auch alle unbedenklich an, dass im Traum noch andere und tiefer greifende Veränderungen mit dem Vorstellungsmateriale des Wachens vorgefallen sind. Eine derselben sucht Strümpell 66) in folgender Erörterung herauszugreifen (p. 17): „Die Seele verliert mit dem Authören der sinnlich thätigen Anschauung und des normalen Lebensbewusstseins auch den Grund, in welchem ihre Gefühle, Begehrungen, Interessen und Handlungen wurzeln. Auch diejenigen geistigen Zustände, Gefühle, Interessen, Werthschätzungen, welche im Wachen den Erinnerungsbildern anhaften, unterliegen ... einem verdunkelnden Drucke, infolge dessen sich ihre Verbindung mit den Bildern auflöst, die Wahrnehmungsbilder von Dingen, Personen, Localitäten, Begebenheiten und Handlungen des wachen Lebens werden einzeln sehr zahlreich reprodueirt, aber keines derselben bringt seinen psychischen Werth mit. Dieser ist von ihnen abgelöst und sie schwanken deshalb in der Seele nach eigenen Mitteln umher....“

§ 147

Diese Entblössung der Bilder von ihrem psychischen Werth, die selbst wiederum auf die Abwendung von der Aussenwelt zurückgeführt wird, soll nach Strümpell einen Hauptantheil an dem Eindruck der Fremdartigkeit haben, mit dem sich der Traum in unserer Erinnerung dem Leben gegenüberstellt.

§ 148

Wir haben gehört, dass schon das Einschlafen den Verzicht auf eine der seelischen Thätigkeiten, nämlich auf die willkürliche Leitung des Vorstellungsablaufes, mit sich bringt. Es wird uns so die ohnedies nahe liegende Vermuthung aufgedrängt, dass der Schlafzustand sich auch über die seelischen Verrichtungen erstrecken möge. Die eine oder andere dieser Verriehtungen wird etwa ganz aufgehoben; ob die übrigbleibenden ungestört weiter arbeiten, ob sie unter solchen Um ständen normale Arbeit leisten können, kommt jetzt in Frage. Der Gesichtspunkt taucht auf, dass man die Eigenthümlichkeiten des Traumes erklären könne durch die psychische Minderleistung im Schlafzustande, und nun kommt der Eindruck, den der Traum unserem wachen Urtheil macht, einer solchen Auffassung entgegen. Der Traum ist unzusammenhängend, vereinigt ohne Anstoss die ärgsten Widers sprüche, lässt Unmöglichkeiten zu, lässt unser bei Tag einflussreiche, Wissen bei Seite, zeigt uns ethisch und moralisch stumpfsinnig. Wer sich im Wachen so benehmen würde, wie es der Traum im seinen Situationen vorführt, den würden wir für wahnsinnig halten; wer im Wachen so spräche oder solche Dinge mittheilen wollte, wie sie im Trauminhalt vorkommen, der würde uns den Eindruck eine Verworrenen und eines Schwachsinnigen machen. Somit glauben wir nur dem Thatbestand Worte zu leihen, wenn wir die psychische Thätigkeit im Traum nur sehr gering anschlagen und insbesondere die höheren intellectuellen Leistungen als im Traum aufgehoben oder wenigstens schwer geschädigt erklären.

§ 149

Mit ungewöhnlicher Einmüthigkeit — von den Ausnahmen wird an anderer Stelle die Rede sein — haben die Autoren solche Urtheile über den Traum gefällt, die auch unmittelbar zu einer bestimmten Theorie oder Erklärung des Traumlebens hinleiten. Es an der Zeit, dass ich mein eben ausgesprochenes Resumé durch Sammlung von Aussprüchen verschiedener Autoren — Philosophen und Aerzte — über die psychologischen Charaktere des Traumes ersetze:

§ 150

Nach Lemoine 42) ist die Incohärenz der Traumbilder der einzig wesentliche Charakter des Traumes.

§ 151

Maury 48) pflichtet dem bei; er sagt (p. 163): il n’y a pas des rêves absolument raisonnables et qui ne contiennent quelque incohérence, quelque anachronisme, quelque absurdité.

§ 152

Nach Hegel bei Spitta64) fehlt dem Traum aller objective verständige Zusammenhang.

§ 153

Dugas 19) sagt: Le rêve, c’est l’anarchie psychique, affective et mentale, e’est le jeu des fonctions livrées à elles-mêmes et s’exerçant sans controle et sans but; dans le rêve l’esprit est un automate spirituel.

§ 154

„Die Auflockerung, Lösung und Durcheinandermischung des Wachen durch die logische Gewalt des centralen Ich zusammengehaltenen Vorstellungslebens“ räumt selbst Volkelt72) ein (p. 14), nach dessen Lehre die psychische Thätigkeit während des Schlafes keineswegs zwecklos erscheint.

§ 155

„Die Absurdität der im Traume vorkommenden VorstellungsVerbindungen kann man kaum schärfer verurtheilen, als es schon Cicero (De divin. II) that: Nihil tam praepostere, tam incondite, tam monstruose cogitari potest, quod non possimus somniare.

§ 156

Fechner52) sagt (p. 522): Es ist als ob die psychologische Thätigkeit aus dem Gehirne eines Vernünftigen in das eines Narren übersiedelte.

§ 157

Radestock 54) (p. 145): „In der That scheint es unmöglich, in diesem tollen Treiben feste Gesetze zu erkennen. Der strengen Polizei des vernünftigen, den wachen Vorstellungslaut leitenden Willens und der Aufmerksamkeit sich entziehend, wirbelt der Traum in tollem Spiel alles kaleidoskopartig durcheinander.“

§ 158

Hildebrandt 35) (p. 45): „Welche wunderlichen Sprünge erlaubt sich der Träumende z. B. bei seinen Verstandesschlüssen! Mit welcher Unbefangenheit sieht er die bekanntesten Erfahrungssätze geradezu auf den Kopf gestellt! Welche lächerlichen Widersprüche kann er in den Ordnungen der Natur und der Gesellschaft vertragen, bevor ihm, wie man sagt, die Sache zu bunt wird, und die Ueberspannung des Unsinnes das Erwachen berbeiführt! Wir multipliciren gelegentlich ganz harmlos: Drei mal drei macht zwanzig; es wundert uns gar nicht, dass ein Hund uns einen Vers hersagt, dass ein Todter auf eigenen Füssen nach seinem Grabe geht, dass ein Felsstück auf dem Wasser schwimmt; wir gehen alles Ernstes in höherem Auftrage nach dem Herzogthum Bernburg oder dem Fürstenthum Liechtenstein, um die Kriegsmarine des Landes zu beobachten, oder lassen uns von Karl dem Zwölften kurz vor der Schlacht bei Pultawa als Freiwillige anwerben.“

§ 159

Binz 4) (p. 33) mit dem Hinweis auf die aus diesen Eindrücken sich ergebende Traumtheorie: „Unter zehn Träumen sind mindestens neun absurden Inhaltes. Wir koppeln in ihnen Personen und Dinge zusammen, welche nicht die geringsten Beziehungen zu einander haben. Schon im nächsten Augenblick, wie in einem Kaleidoskop, ist die Gruppirung eine andere geworden, wo möglich noch unsinniger und toller, als sie es schon vorher war; und so geht: das wechselnde Spiel des unvollkommen schlafenden Gehirns weiter, bis wir erwachen, mit der Hand nach der. Stirne greifen und uns fragen, ob wir in der That noch die Fähigkeit des vernünftigen Vorstellens und Denkens besitzen.“

§ 160

Maury 48) (p. 50) findet für das Verhältnis der Traumbilder zu den Gedanken des Wachens einen für den Arzt sehr eindrucksvollen Vergleich: „La production de ces images que chez l’homme éveillé fait le plus souvent naître la volonté, correspond, pour l’intelligence, à ce que sont pour la motilité certains mouvements que nous offrent la chorée et les affections paralytiques“.... Im Uebrigen ist ihm der Traum „toute une série de dégradations de la faculté pensante et raisonnante“ (p. 27).

§ 161

Es ist kaum nöthig, die Aeusserungen der Autoren anzuführen, welche den Satz von Maury für die einzelnen höheren Seelenleistungen wiederholen.

§ 162

Nach Strümpell 66) treten im Traum — selbstverständlich auch dort, wo der Unsinn nicht augenfällig ist — sämmtliche logische, auf Verhältnissen und Beziehungen beruhende Operationen der Seele zurück (p. 26). Nach Spitta 64) (p. 148) scheinen im Traum die Vorstellungen dem Causalitätsgesetz völlig entzogen zu sein. Radestock 54) u. A. betonen die dem Traum eigene Schwäche des Urtheils und des Schlusses. Nach Jodl 37) (p. 123) gibt es im Traum keine Kritik, keine Correctur einer Wahrnehmungsreihe durch den Inhalt des Gesammtbewusstseins. Derselbe Autor äussert: „Alle Arten der Bewusstseinsthätigkeit kommen im Traume vor, aber unvollständig gehemmt, gegen einander isolirt.“ Die Widersprüche, in welche sich der Traum gegen unser waches Wissen setzt, erklärt Stricker77, 78) (mit vielen Anderen) daraus, dass Thatsachen im Traum vergessen oder logische Beziehungen zwischen Vorstellungen verloren gegangen sind (p. 98) u. s. w. u. s. w.

§ 163

Von den Autoren, die im Allgemeinen so ungünstig über die sychischen Leistungen im Traume urtheilen, wird indes zugegeben, dass ein gewisser Rest von seelischer Thätigkeit dem Träume verbleibt. Wundt 76), dessen Lehren für so viel andere Bearbeiter der Traumprobleme massgebend geworden sind, gesteht dies ausdrücklich zu. Man könnte nach der Art und Beschaffenheit des im Traume sich äussernden Restes von normaler Seelenthätigkeit fragen. Es wird nun ziemlich allgemein zugegeben, dass die Reproductionsfähigkeit, Gedächtnis im Traum am wenigsten gelitten zu haben scheint, ja eine gewisse Ueberlegenheit gegen die gleiche Function des Wachens (vgl. oben p. 6) aufweisen kann, obwohl ein Theil der Absurditäten des Traumes durch die Vergesslichkeit eben dieses Traumlebens erklärt werden soll. Nach Spitta 64) ist es das Gemüthsleben der Seele, was vom Schlaf nicht befallen wird und dann den Trauma dirigirt. Als „Gemüth“ bezeichnet er „die constante Zusammenfassung der Gefühle als des innersten subjectiven Wesens des Menschen“ (p. 84).

§ 164

Scholz 59) (p. 37) erblickt eine der im Traume sich äussernden Seelenthätigkeiten in der „allegorisirenden Umdeutung welcher das Traummaterial unterzogen wird. Siebeck62) constatirt auch im Traum die „ergänzende Deutungsthätigkeit“ der Seele (p. 11), welche von ihr gegen alles Wahrnehmen und Anschauen geübt wird. Eine besondere Schwierigkeit hat es für den Traum mit, der Beurtheilung der angeblich höchsten psychischen Function, der des Bewusstseins. Da wir vom Traum nur durch’s Bewusstsein etwas wissen, kann an dessen Erhaltung kein Zweifel sein; doch meint Spitta, es sei im Traum nur das Bewusstsein erhalten, nicht auch das Selbstbewusstsein Delboeuf 16) gesteht ein, dass er dies Unterscheidung nicht zu begreifen vermag.

§ 165

Die Associationsgesetze, nach denen sich die Vorstellungen verknüpfen, gelten auch für die Traumbilder, ja ihre Herrschaft kommt

§ 166

im Traume reiner und stärker zum Ausdruck. Strümpell 66) (p. 70): Der Traum verläuft entweder ausschliesslich, wie es scheint, nach den Gesetzen nackter Vorstellungen oder organischer Reize mit solchen Vorstellungen, das heisst, ohne dass Reflexion und Verstand, ästhetischer Geschmack und sittliches Urtheil etwas dabei vermögen.“ Die Autoren, deren Ansichten ich hier reproducire, stellen sich die Bildung der Träume etwa folgender Art vor: Die Summe der im Schlaf einwirkenden Sensationsreize aus den verschiedenen, an anderer Stelle angeführten, Quellen wecken in der Seele zunächst eine Anzahl von Vorstellungen, die sich als Hallucinationen (nach Wundt richtiger Illusionen wegen ihrer Abkunft von den äusseren und inneren Reizen) darstellen. Diese verknüpfen sich untereinander nach den bekannten Associationsgesetzen und rufen ihrerseits nach denselben Regeln eine neue Reihe von Vorstellungen (Bildern) wach. Das ganze Material wird dann vom noch thätigen Rest der ordnenden und denkenden Seelenvermögen, so gut es eben gehen will, verarbeitet (vgl. etwa Wundt 76) und Weygandt)75) Es ist bloss noch nicht gelungen, die Motive einzusehen, welche darüber entscheiden, dass die Erweckung der nicht von aussen stammenden Bilder nach diesem oder nach jenem Associationsgesetz vor sich gehe.

§ 167

Es ist aber wiederholt bemerkt worden, dass die Associationen, welche die Traumvorstellungen unter einander verbinden, von ganz besonderer Art und verschieden von dem im wachen Denken thätigen sind. So sagt Volkelt72) (p. 15): „Im Traume jagen und haschen sich die Vorstellungen nach zufälligen Aehnlichkeiten und kaum wahrnehmbaren Zusammenhängen. Alle Träume sind von solchen nachlässigen, zwanglosen Associationen durchzogen.“ Maury 45) legt auf diesen Charakter der Vorstellungsbindung, der ihm gestattet, das Traumleben in engere Analogie mit gewissen Geistesstörungen zu bringen, den grössten Werth. Er anerkennt zwei Hauptcharaktere des „deliré“: 1) une action spontanée et comme automatique de l’esprit; 2) une association vicieuse et irregulière des idées (p. 126). Von Maury selbst rühren zwei ausgezeichnete Traumbeispiele her, in denen der blosse Gleichklang der Worte die Verknüpfung der Traumvorstellungen vermittelt. Er träumte einmal, dass er eine Pilgerfahrt (pélerinage) nach Jerusalem oder Mecca unternehme, dann befand er sich nach vielen Abenteuern beim Chemiker Pelletier, dieser gab ihm nach einem Gespräch eine Schaufel (pelle) von Zink, und diese wurde in einem darauffolgenden Traumstück sein grosses Schlachtschwert (p. 137). Ein andermal gieng er im Traum auf der Landstrasse und las auf den Meilensteinen die Kilometer ab, darauf befand er sich bei einem Gewürzkrämer, der eine grosse Wage hatte, und ein Mann legte Kilogewichte auf die Wagschale, um Maury abzuwägen; dann sagte ihm der Gewürzkrämer: „Sie sind nicht in Paris, sondern auf der Insel Gilolo.“ Es folgten darauf mehrere Bilder, in welchen er die Blume Lo- belia sah, dann den General Lopez, von dessen Tod er kurz vorher gelesen hatte; endlich erwachte er, eine Partie Lotto spielend.

§ 168

Wir sind aber wohl gefasst darauf, dass diese Geringschätzung der psychischen Leistungen des Traumes nicht ohne Widerspruch von anderer Seite geblieben ist. Zwar scheint der Widerspruch hier schwierig. Es will auch nicht viel bedeuten, wenn einer der Herabsetzer des Traumlebens versichert (Spitta,64) p. 118), dass dieselben psychologischen Gesetze, die im Wachen herrschen, auch den Traum regiren; oder wenn ein anderer (Dugas)19) ausspricht: Le rêve n’est pas déraison ni même irraison pure, solange beide sich nicht die Mühe nehmen, diese Schätzung mit der von ihnen beschriebenen psychischen Anarchie und Auflösung aller Functionen im Traum in Einklang zu bringen. Aber Anderen scheint die Möglichkeit gedämmert zu haben, dass der Wahnsinn des Traumes vielleicht doch nicht ohne Methode sei, vielleicht nur Verstellung wie der des Dänenprinzen, auf dessen Wahnsinn sich das hier citirte, einsichtsvolle Urtheil bezieht. Diese Autoren müssen es vermieden haben, nach dem Anschein zu urtheilen, oder der Anschein, den der Traum ihnen bot, war ein anderer.

§ 169

So würdigt Havelock Ellis 23) den Traum, ohne bei seiner scheinbaren Absurdität verweilen zu wollen, als „an archaïe world of vast emotions and imperfect thoughts“, deren Studium uns primitive Entwicklungsstufen des psychischen Lebens kennen lehren könnte. Ein Denker wie Delboeut 16) behauptet — freilich ohne den Beweis gegen das widersprechende Material zu führen und darum eigentlich mit Unrecht: „Dans le sommeil, horimis la perception, tout les facultés de l’esprit, intelligence, imagination, mémoire, volonté, moralité, restent intactes dans leur essence; seulement, elles s’appliquent à des objets imaginaires et mobiles. Le songeur est un acteur qui joue à volonté les fous et les sages, les bourreaux et les victimes, les nains et les géants, les démons et les anges“ (p. 222). Am energischesten scheint die Herabsetzung der psychischen Leistung Traum der Marquis d’Hervey bestritten zu haben, gegen den Maury48) lebhaft polemisirt, und dessen Schrift ich mir trotz aller Bemühung: nicht verschaffen konnte. Maury sagt über ihn (p. 19): „M. le Marquis d’Hervey prête à l’intelligence, durant le sommeil, toute sa liberté d’action et d’attention et il ne semble faire consister le sommeil que dans l’occlusion des sens, dans leur fermeture au Monde extérieur; en sorte que l’homme qui dort ne se distingue gùere, selon sa manière de voir, de l’homme qui laisse vaguer sa pensée en se bouchant les sens; toute la différence qui sépare alors la pensee ordinaire du celle du dormeur e’est que, chez celui-ci l’idee prend une forme visible, objective et ressemble, à s’y méprendre, à la sensation déterminée par les objets extérieurs; le souvenir revêt l’apparence du fait présent.“

§ 170

Maury fügt aber hinzu: „qu´il y a une différence de plus et capitale à savoir que les facultés intellectuelles de l´homme endormi n’offrent pas l’équilibre qu´elles gardent chez l’homme l’éveille.“

§ 171

Die Scala der Würdigung des Traumes als psychisches Product hat in der Litteratur einen grossen Umfang; sie reicht von der tiefsten Geringschätzung, deren Ausdruck wir kennen gelernt haben, durch die Ahnung eines noch nicht enthüllten Werthes bis zur Ueberschätzung, die den Traum weit über die Leistungen des Wachlebens stellt. Hildebrandt,35) der, wie wir wissen, in drei Antinomien die pychologische Charakteristik des Traumlebens entwirft, fasst im dritten dieser Gegensätze die Endpunkte dieser Reihe zusammen (p. 19): „Es ist der zwischen einer Steigerung, einer nicht selten bis zur Virtuosität sich erhebenden Potenzirung, und andererseits einer entschiedenen, oft bis unter das Niveau des Menschlichen führenden Herabminderung und Schwächung des Seelenlebens.“

§ 172

„Was das Erstere betrifft, wer könnte nicht aus eigener Erfahrung bestätigen, dass in dem Schaffen und Weben des Traumgenius bisweilen eine Tiefe und Innigkeit des Gemüthes, eine Zartheit der Empfindung, eine Klarheit der Anschauung, eine Feinheit der Beobachtung, eine Schlagfertigkeit des Witzes zu Tage tritt, wie wir solches Alles als constantes Eigenthum während des wachen Lebens zu besitzen bescheidentlich in Abrede stellen würden? Der Traum hat eine wunderbare Poesie, eine treffliche Allegorie, einen unvergleichlichen Humor, eine köstliche Ironie. Er schauet die Welt in einem eigenthümlich idealisirenden Lichte, und potenzirt den Effect ihrer Erscheinungen oft im sinnigsten Verständnisse des ihnen zum Grunde liegenden Wesens. Er stellt uns das irdisch Schöne in wahrhaft himmlischem Glanze, das Erhabene in höchster Majestät, das erfahrungsgemäss Furchtbare in der grauenvollsten Gestalt, das Lächerliche mit unbeschreiblich drastischer Komik vor Augen; und bisweilen sind wir nach dem Erwachen irgend eines dieser Eindrücke noch so voll, dass es uns vorkommen will, dergleichen habe die wirkliche Welt uns noch nie und niemals geboten.“

§ 173

Man darf sich fragen, ist es wirklich das nämliche Object, dem jene geringschätzigen Bemerkungen und diese begeisterte Anpreisung gilt? Haben die Einen die blödsinnigen Träume, die Anderen die tiefsinnigen und feinsinnigen übersehen? Und wenn beiderlei vorkommt, Träume, die solche und die jene Beurtheilung verdienen, scheint es da nicht müssig, nach einer psychologischen Charakteristik des Traumes zu suchen, genügt es nicht zu sagen, im Traume sei Alles möglich, von der tiefsten Herabsetzung des Seelenlebens bis zu einer im Wachen ungewohnten Steigerung desselben? So bequem diese Lösung wäre, sie hat dies eine gegen sich, dass den Bestrebungen aller Traumforscher die Voraussetzung zu Grunde zu liegen scheint, es gäbe eine solche, in ihren wesentlichen Zügen allgemeingiltige, Charakteristik des Traumes, welche über jene Widersprüche hinweghelfen müsste.

§ 174

Es ist unstreitig, dass die psychischen Leistungen des Traumes bereitwilligere und wärmere Anerkennung gefunden haben in jener, jetzt hinter uns liegenden, intellectuellen Periode, da die Philosophie und nicht die exacten Naturwissenschaften die Geister beherrschte. Aussprüche, wie die von Schubert, dass der Traum eine Befreiung des Geistes von der Gewalt der äusseren Natur sei, eine Loslösung der Seele von den Fesseln der Sinnlichkeit, und ähnliche Urtheile von dem jüngeren Fichte *)*) u. A., welche sämmtlich den Traum als einen Aufschwung des Seelenlebens zu einer höheren Stufe darstellen, erscheinen uns heute kaum begreiflich; sie werden in der Gegenwart auch nur bei Mystikern und Frömmlern wiederholt. Mit dem Eindringen naturwissenschaftlicher Denkweise ist eine Reaction in der Würdigung des Traumes einhergegangen. Gerade die ärztlichen Autoren sind am ehesten geneigt, die psychische Thätigkeit im Traume für geringfügig und werthlos anzuschlagen, während Philosophen und nicht zünftige Beobachter — Amateurpsychologen, — deren Beiträge gerade auf diesem Gebiete nicht zu vernachlässigen sind, im besseren Einvernehmen mit den Ahnungen des Volkes, meist an dem psychischen Werth der Träume festgehalten haben. Wer zur Geringschätzung der psychischen Leistung im Traume neigt, der bevorzugt begreiflicherweise in der Traumätiologie die somatischen Reizquellen; für den, welcher der träumenden Seele den grösseren Theil ihrer Fähigkeiten im Wachen belassen hat, entfällt natürlich jedes Motiv, ihr nicht auch selbständige Anregungen zum Träumen zuzugestehen.

§ 175

Unter den Ueberleistungen, welche man auch bei nüchterner Vergleichung versucht sein kann, dem Traumleben zuzuschreiben, ist die des Gedächtnisses die auffälligste; wir haben die sie beweisenden, gar nicht seltenen Erfahrungen ausführlich behandelt. Ein anderer, von alten Autoren häufig gepriesener Vorzug des Traumlebens, dass es sich souverän über Zeit- und Ortsentfernungen hin wegzusetzen vermöge, ist mit Leichtigkeit als eine Illusion zu erkennen. Dieser Vorzug ist, wie Hildebrandt 35) bemerkt, eben illusorischer Vorzug; das Träumen setzt sich über Zeit und Raum nicht anders hinweg als das wache Denken, und eben weil es nur eine Form des Denkens ist. Der Traum sollte sich in Bezug auf die Zeitlichkeit noch eines anderen Vorzuges erfreuen, noch in anderem Sinne vom Ablauf der Zeit unabhängig sein. Träume, wie der oben p. 17 mitgetheilte Maury’s48) von seiner Hinrichtung durch die Guillotine scheinen zu beweisen, dass der Traum in eine sehr kurze Spanne Zeit weit mehr Wahrnehmungsinhalt zu drängen vermag, als uns psychische Thätigkeit im Wachen Denkinhalt bewältigen kann. Diese Folgerung ist indes mit mannigfaltigen Argumenten bestritten worden; seit den Aufsätzen von Le Lorrain 45) und Egger 20) „über die scheinbare Dauer der Träume“ hat sich hierüber eine interessante Discussion angesponnen, welche in dieser heikeln und tiefreichenden Frage wahrscheinlich noch nieht die letzte Aufklärung erreicht hat.

*) Vgl. Haffner32) und Spitta64). § 176

Dass der Traum die intellectuellen Arbeiten des Tages aufzunehmen und zu einem bei Tag nicht erreichten Abschluss zu bringen vermag, dass er Zweifel und Probleme lösen, bei Dichtern und Componisten die Quelle neuer Eingebungen werden kann, scheint nach vielfachen Berichten und nach der von Chabaneix 11) angestellten Sammlung unbestreitbar zu sein. Aber wenn auch nicht die Thatsache, so unterliegt doch deren Auffassung vielen, an’s Principielle streifenden Zweifeln.

§ 177

Endlich bildet die behauptete divinatorische Kraft des Traumes ein Streitobject, an welchem schwer überwindliche Bedenken mit hartnäckig wiederholten Versicherungen zusammentreffen. Man vermeidet es — und wohl mit Recht —, alles Thatsächliche an diesem Thema abzuleugnen, weil für eine Reihe von Fällen die Möglichkeit einer natürlichen psychologischen Erklärung vielleicht nahe bevorsteht.

§ 178

f) Die ethischen Gefühle im Traume. Aus Motiven, welche erst nach Kenntnisnahme meiner eigenen Untersuchungen über den Traum verständlich werden können, habe ich von dem Thema der Psychologie des Traumes das Theilproblem abgesondert, ob und in wie weit die moralischen Dispositionen und Empfindungen des Wachens sich in’s Traumleben erstrecken. Der nämliche Widerspruch in der Darstellung der Autoren, den wir für alle anderen seelischen Leistungen mit Befremden bemerken mussten, macht uns auch hier betroffen. Die Einen versichern mit ebensolcher Entschiedenheit, dass der Traum von den sittlichen Anforderungen nichts weiss, wie die Andern, dass die moralische Natur des Menschen auch für´s Traumleben erhalten bleibt.

§ 179

Die Berufung auf die allnächtliche Traumerfahrung scheint die Richtigkeit der ersteren Behauptung über jeden Zweifel zu erheben. Jessen 36) sagt (p. 553): „Auch besser und tugendhafter wird man nicht im Schlafe, vielmehr scheint das Gewissen in den Träumen zu schweigen, indem man kein Mitleid empfindet und die schwersten Verbrechen, Diebstahl, Mord und Todtschlag mit völliger Gleichgiltigkeit und ohne nachfolgende Reue verüben kann.“

§ 180

Radestock 54) (p. 146): „Es ist zu berücksichtigen, dass die Associationen im Traume ablaufen und die Vorstellungen sich verbinden, ohne dass Reflexion und Verstand, ästhetischer Geschmack und sittliches Urtheil etwas dabei vermögen; das Urtheil ist höchst schwach und es herrscht ethische Gleichgiltigkeit vor.“

§ 181

Volkelt 72) (p. 23): „Besonders zügellos aber geht es, wie jeder weiss, im Traume in geschlechtlicher Beziehung zu. Wie der Träumende selbst aufs Aeusserste schamlos und jedes sittlichen Gefühls und Urtheils verlustig ist, so sieht er auch alle Anderen und selbst die verehrtesten Personen mitten in Handlungen, die er im Wachen auch nur in Gedanken mit ihnen zusammenbringen sich scheuen würde.“

§ 182

Den schärfsten Gegensatz hiezu bilden Aeusserungen wie die von Schopenhauer, dass Jeder im Traum in vollster Gemässheit seines Charakters handelt und redet. R. Ph. Fischer *)*) behauptet, dass die subjeetiven Gefühle und Bestrebungen, oder Affecte und Leidenschaften in der Willkür des Traumlebens sich offenbaren, dass die moralischen Eigenthümlichkeiten der Personen in ihren Träumen sich spiegeln.

§ 183

Haffner 32) (p. 25): „Seltene Ausnahmen abgerechnet, .... wird ein tugendhafter Mensch auch im Traum tugendhaft sein; er wird den Versuchungen widerstehen, dem Hass, dem Neid, dem Zorn und allen Lastern sich verschliessen; der Mann der Sünde aber wird auch in seinen Träumen in der Regel die Bilder finden, die er Wachen vor sich hatte.“

§ 184

Scholz59) (p 36): „Im Traum ist Wahrheit, trotz aller Maskirung in Hoheit oder Erniedrigung erkennen wir unser eigenes Selbst wieder. .... Der ehrliche Mann kann auch im Traume kein entehrendes Verbrechen begehen, oder wenn es doch der Fall ist, entsetzt er sich darüber, als über etwas seiner Natur Fremdes. Der römische Kaiser, der einen seiner Unterthanen hinrichten liess, weil diesem geträumt hatte, er habe dem Kaiser den Kopf abschlagen lassen, hatte darum so Unrecht nicht, wenn er dies damit rechtfertigte, dass, wer so träume, auch ähnliche Gedanken im Wachen haben müsse. Von etwas, das in unserem Inneren keinen Raum haben kann, sagen wir deshalb auch bezeichnender Weise: „Es mir auch im Traum nicht ein.“

§ 185

Pfaff **)**) sagt geradezu in Abänderung eines bekannten Sprichwortes: „Erzähle mir eine Zeitlang deine Träume, und ich will dir sagen, wie es um Dein Inneres steht.“

§ 186

Die kleine Schrift von Hildebrandt 35), der ich bereits so zahlreiche Citate entnommen habe, der formvollendetste und gedankenreichste Beitrag zur Erforschung der Traumprobleme, den ich in der Litteratur gefunden, rückt gerade das Problem der Sittlichkeit im Traume in den Mittelpunkt ihres Interesses. Auch für Hildebrandt steht es.als Regel fest: Je reiner das Leben, desto reiner der Traum; je unreiner jenes, desto unreiner dieser.

§ 187

Die sittliche Natur des Menschen bleibt auch im Traume bestehen: „Aber während kein noch so handgreiflicher Rechnungsfehler, keine noch so romantische Umkehr der Wissenschaft, kein noch so scherzhafter Anachronismus uns verletzt oder uns auch nur verdächtig wird, so geht uns doch der Unterschied zwischen Gut und Böse, zwischen Recht und Unrecht, zwischen Tugend und Laster nie verloren. Wie vieles auch von dem, was am Tage mit uns geht, in den Schlummerstunden weichen mag, — Kant’s kategorischer Imperativ hat sich als untrennbarer Begleiter so an unsere Fersen geheftet, dass wir ihn auch schlafend nicht los werden..... Erklären aber lässt sich (diese Thatsache) eben nur daraus, dass das Fundamentale der Menschennatur, das sittliche Wesen, zu fest gefügt ist, um an der Wirkung der kaleidoskopischen Durchschüttelung Theil zu nehmen, welcher Phantasie, Verstand, Gedächtnis und sonstige Facultäten gleichen Ranges im Traume unterliegen“ (p. 45 u. ff).

*) Grundzüge des Systems der Anthropologie. Erlangen 1850 — (Nach Spitta). **) Das Traumleben und seine Deutung. 1863 (bei Spitta, p. 192). § 188

In der weiteren Discussion des Gegenstandes sind nun merkwürdige Verschiebungen und Inconsequenzen bei beiden Gruppen von Autoren hervorgetreten. Streng genommen wäre für alle diejenigen, welche meinen, im Traum zerfalle die sittliche Persönlicheit des Menschen, das Interesse an den unmoralischen Träumen mit dieser Erklärung zu Ende. Sie könnten den Versuch, den Träumer für seine Träume verantwortlich zu machen, aus der Schlechtigkeit seiner Träume auf eine böse Regung in seiner Natur zu schliessen, mit derselben Ruhe ablehnen wie den anscheinend gleichwerthigen Versuch, aus der Absurdität seiner Träume die Werthlosigkeit seiner intellectuellen Leistungen im Wachen zu erweisen. Die Anderen, für die sich „der kategorische Imperativ“ auch in den Traum erstreckt, hätten die Verantwortlichkeit für unmoralische Träume ohne Einschränkung anzunehmen; es wäre ihnen nur zu wünschen, dass eigene Träume von solch verwerflicher Art sie nicht an der sonst festgehaltenen Werthschätzung der eigenen Sittlichkeit irre machen müssten. Nun scheint es aber, dass niemand von sich selbst so recht sicher weiss, in wie weit er gut oder böse ist, und dass niemand die Erinnerung an eigene unmoralische Träume verleugnen kann. Denn über jenen Gegensatz in der Beurtheilung der Traummoralität hinweg zeigen sich bei den Autoren beider Gruppen Bemühungen, die Herkunft der unsittlichen Träume aufzuklären, und es entwickelt sich ein neuer Gegensatz, je nachdem deren Ursprung in den Functionen des psychischen Lebens oder in somatisch bedingten Beeinträchtigungen desselben gesucht wird. Die zwingende Gewalt der Thatsächlichkeit lässt dann Vertreter der Verantwortlichkeit wie der Unverantwortlichkeit des Traumlebens in der Anerkennung einer besonderen psychischen Quelle für die Unmoralität der Träume zusammentreffen.

§ 189

Alle die, welche die Sittlichkeit im Traume fortbestehen lassen, hüten sich doch davor, die volle Verantwortlichkeit für ihre Träume zu übernehmen. Haffner 32) sagt (p. 24): „Wir sind für Träume nicht verantwortlich, weil unserem Denken und Wollen die Basis entrückt ist; auf welcher unser Leben allein Wahrheit und Wirklichkeit hat ... Es kann eben darum kein Traumwollen und Traumhandeln Tugend oder Sünde sein.“ Doch ist der Mensch für den sündhaften Traum verantwortlich, sofern er ihn indirect verursacht. Es erwächst für ihn die Pflicht, wie im Wachen, so ganz besonders vor dem Schlafengeben seine Seele sittlich zu reinigen.

§ 190

Viel tiefer reicht die Analyse dieses Gemenges von Ablehnung und von Anerkennung der Verantwortlichkeit für den sittlichen Inhalt der Träume bei Hildebrandt. Nachdem er ausgeführt, dass die dramatische Darstellungsweise des Traumes, die Zusammendrängung der complicirtesten Ueberlegungsvorgänge in das kleinste Zeiträumchen, und die auch von ihm zugestandene Entwerthung und Vermengung der Vorstellungselemente im Traume gegen den unsittlichen Anschein der Träume in Abzug gebracht werden muss, gesteht er, dass es doch den ernstesten Bedenken unterliege, alle Verantwortung für Traumsünden und Schulden schlechthin zu leugnen.

§ 191

(p. 49) „Wenn wir irgend eine ungerechte Anklage, namentlich eine solche, die sich auf unsere Absichten und Gesinnungen bezieht, recht entschieden zurückweisen wollen, so gebrauchen wir wohl die Redensart: Das sei uns nicht im Traume eingefallen. Damit sprechen wir allerdings einerseits aus, dass wir das Traumgebiet für das fernste und letzte halten, auf welchem wir für unsere Gedanken einzustehen hätten, weil dort diese Gedanken mit unserem wirklichen Wesen nur so lose und locker zusammenhängen, dass sie kaum noch als die unsrigen. betrachtet werden dürfen; aber indem wir eben auch auf diesem Gebiete das Vorhandensein soleher Gedanken ausdrücklich zu leugnen uns veranlasst fühlen, so geben wir doch indirect damit zu, dass unsere Rechtfertigung nicht vollkommen sein würde, wenn sie nicht bis dort hinüber reichte. Und ich glaube, wir reden hier, wenn auch unbewusst, die Sprache der Wahrheit.“

§ 192

(p. 52) „Es lässt sich nämlich keine Traumthat denken, deren erstes Motiv nicht irgendwie als Wunsch, Gelüste, Regung vorher durch die Seele des Wachenden gezogen wäre.“ Von dieser ersten Regung müsse man sagen: Der Traum erfand es nicht, — er bildete es nur nach und spann’s nur aus, er bearbeitete nur ein Quentlein historischen Stoffes, das er bei uns vorgefunden hatte, in dramatisch Form; er setzte das Wort des Apostels in Scene: Wer seinen Brüder hasst, der ist ein Todtschläger. Und während man das ganze, breit ausgeführte Gebilde des lasterhaften Traumes nach dem Erwachen, seiner sittlichen Stärke bewusst, belächeln kann, so will jener ursprüngliche Bildungsstoff sich doch keine lächerliche Seite abgewinnen lassen. Man fühlt sich für die Verirrungen des Träumenden verantwortlich, nicht für die ganze Summe, aber doch für einen gewissen Procentsatz. „Kurz verstehen wir in diesem schwer anzufechtenden Sinne das Wort Christi: Aus dem Herzen kommen arge Gedanken, — dann können wir auch kaum der Ueberzeugung uns erwehren, dass jede im Traum begangene Sünde ein dunkles Minimum wenigstens von Schuld mit sich führe.“

§ 193

In den Keimen und Andeutungen böser Regungen, die als Versuchungsgedanken tagsüber durch unsere Seelen ziehen, findet also Hildebrandt die Quelle für die Unmoralität der Träume, und er steht nicht an, diese unmoralischen Elemente bei der sittlichen Werthsehätzung der Persönlichkeit einzurechnen. Es sind dieselben Gedanken und die nämliche Schätzung derselben, welche, wie wir wissen, die Frommen und Heiligen zu allen Zeiten klagen liess, sie seien arge Sünder.

§ 194

An dem allgemeinen Vorkommen dieser contrastirenden Vorstellungen — bei den meisten Menschen und auch auf anderem als ethischem Gebiete — besteht wohl kein Zweifel. Die Beurtheilung derselben ist gelegentlich eine minder ernsthafte gewesen. Bei Spitta64) findet sich folgende hieher gehörige Aeusserung von A. Zeller (Artikel „Irre“ in der allgemeinen Encyklopädie der Wissenschaften von Ersch und Gruber) citirt (p. 144): „So glücklich ist selten ein Geist organisirt, dass er zu allen Zeiten volle Macht besässe und nicht immer wieder nicht allein unwesentliche, sondern auch völlig fratzenhafte und widersinnige Vorstellungen den stetigen, klaren Gang seiner Gedanken unterbrächen, ja die grössten Denker haben sich über dieses traumartige, neckende und peinliche Gesindel von Vorstellungen zu beklagen gehabt, da es ihre tiefsten Betrachtungen und ihre heiligste und ernsthafteste Gedankenarbeit stört.“

§ 195

Ein helleres Licht fällt auf die psychologische Stellung dieser Contrastgedanken aus einer weiteren Bemerkung von Hildebrandt, dass der Traum uns wohl bisweilen in Tiefen und Falten unseres Wesens blicken lasse, die uns im Zustande des Wachens meist verschlossen bleiben (p. 55). Dieselbe Erkenntnis verräth Kant an einer Stelle der Anthropologie, wenn er meint, der Traum sei wohl dazu um uns die verborgenen Anlagen zu entdecken und uns zu offenbaren, nicht was wir sind, sondern was wir hätten werden können, wenn wir eine andere Erziehung gehabt hätten; Radestock54) (p. 84) mit den Worten, dass der Traum uns oft nur offenbart, was wir uns nicht gestehen wollen, und dass wir ihn darum mit Unrecht einen Lügner und Betrüger schelten. Wir werden aufmerksam gemacht, dass das Auftauchen dieser, unserem sittlichen Bewusstsein fremden Antriebe nur analog ist zu der uns bereits bekannten Verfügung des Traumes über anderes Vorstellungsmaterial, welches dem Wachen fehlt oder darin eine geringfügige Rolle spielt, durch Bemerkungen, wie die von Benini 3): Certe nostre inclinazioni che si eredevano soffocate e spente da un pezzo, si ridestano; passioni vecchie e sepolte rivivono; cose e persone a cui non pensiamo mai, ci vengono dinanzi p. 149), und von Volkelt 72): „Auch Vorstellungen, die in das wache Bewusstsein fast unbeachtet eingegangen sind und von ihm vielleicht nie wieder der Vergessenheit entzogen würden, pflegen sehr häufig dem Traum ihre Anwesenheit in der Seele kund zu thun“ (p. 105). Endlich ist es hier am Platze uns zu erinnern, dass nach Schleiermacher 61) schon das Einschlafen vom Hervortreten ungewollter Vorstellungen (Bilder) begleitet war.

§ 196

Als „ungewollte Vorstellungen“ dürfen wir nun dies ganze Vorstellungsmaterial zusammenfassen, dessen Vorkommen in den unmoralischen wie in den absurden Träumen unser Befremden erregt. Ein wichtiger Unterschied liegt nur darin, dass die ungewollten Vorstellungen auf sittlichem Gebiet den Gegensatz zu unserem sonstigen Empfinden erkennen lassen, während die anderen uns blos fremdartig erscheinen. Es ist bisher kein Schritt geschehen, der uns ermöglichte, diese Verschiedenheit durch tiefer gehende Erkenntnis aufzuheben.

§ 197

Welche Bedeutung bat nun das Hervortreten ungewollter Vorstellungen im Traume, welche Schlüsse für die Psychologie der wachenden und der träumenden Seele lassen sich aus diesem nächtlichen Auftauchen contrastirender ethischer Regungen ableiten? Hier ist eine neue Meinungsverschiedenheit und eine abermals verschiedene Gruppirung der Autoren zu verzeichnen. Den Gedankengang von Hildebrandt und andere Vertreter seiner Grundansicht kann man wohl nicht anderswohin fortsetzen, als dass den unmoralischen Regungen auch im Wachen eine gewisse Macht innewohne, die zwar gehemmt ist bis zur That vorzudringen, und dass im Schlaf etwas wegfalle, was, gleichfalls wie eine Hemmung wirksam, uns gehindert habe, die Existenz dieser Regung zu bemerken. Der Traum zeigte so das wirkliche, wenn auch nicht das ganze Wesen des Menschen, und gehörte zu den Mitteln, das verborgene Seeleninnere für unsere Kenntnis zugänglich zu machen. Nur von solchen Voraussetzung her kann Hildebrandt dem Traum die Rolle eines Warners zuweisen, der uns auf verborgene sittliche Schäden unserer Seele aufmerksam macht, wie er nach dem Zugeständnis der Aerzte auch bisher unbemerkte körperliche Leiden dem Bewusstsein verkünden kann. Und auch Spitta 64) kann von keiner anderen Auffassung geleitet sein, wenn er auf die Erregungsquellen hinweist, die zur Zeit der Pubertät z. B. der Psyche zufliessen, und den Träumer tröst er habe alles gethan, was in seinen Kräften steht, wenn er im Wachen einen streng tugendhaften Lebenswandel geführt und bemüht, die sündigen Gedanken, so oft sie kommen, zu unterdrücken, sie nicht reifen und zur That werden zu lassen. Nach dieser Auffassung könnten wir die „ungewollten“ Vorstellungen als die während des Tages „unterdrückten“ bezeichnen und müssten in ihrem Auftauchen ein echtes psychisches Phänomen erblicken.

§ 198

Nach anderen Autoren hätten wir kein Recht zu letzterer Folgerung. Für Jessen36) stellen die ungewollten Vorstellungen Traume wie im Wachen und in Fieber- und anderen Delirien „den Charakter einer zur Ruhe gelegten Willensthätigkeit und eins gewissermassen mechanischen Processes von Bildern und Vorstellungen durch innere Bewegungen dar“ (p. 360). Ein unmoralischer Traum beweise weiter nichts für das Seelenleben des Träumers, als dass dieser von dem betreffenden Vorstellungsinhalt irgendwie einmal Kenntnis gewonnen habe, gewiss nicht eine ihm eigene Seelenregung. Bei einem anderen Autor, Maury 48), könnte man in Zweifel gerathen, ob auch nicht er dem Traumzustand die Fähigkeit zuschreibt, die seelische Thätigkeit nach ihren Componenten zu zerlegen, anstatt sie planlos zu zerstören. Er sagt von den Träumen, in denen man sich über die Schranken der Moralität hinaussetzt: Ce sont nos penchants qui parlent et qui nous font agir, sans que la conseience nous retienne, bien que parfoit elle nous avertisse. J’ai mes défauts et mes penchants vieieux; à l’état de veille, je tâche de lutter contre eux, et il m’arrive assez souvent de n’y pas succomber. Mais dans mes songes j’y succombe toujours ou pour mieux dire j’agis par leur impulsion, sans crainte et sans remords .... Évidemment les visions qui se déroulent devant ma pensée et qui constituent le rêve, me sont suggérées par les incitations que je ressens et que ma volonté absente ne cherehe pas à réfouler“ (p. 113).

§ 199

Wenn man an die Fähigkeit des Traumes glaubte, eine wirklich vorhandene aber unterdrückte oder versteckte unmoralische Disposition des Träumers zu enthüllen, so könnte man dieser Meinung schärferen Ausdruck nicht geben als mit den Worten Maury’s (p. 115): „En rêve l’'homme se révèle donc tout entier à soi-même dans sa nudité et sa misere natives. Des qu’il suspend l’exereice de sa volonté, il devient le jouet de toutes les passions contre lesquelles, à l’état de veille la conscience, le sentiment d’honneur, la crainte nons défendent.“ An anderer Stelle findet er das treffende Wort: (p. 462) Dans le rêve, c’est surtout l’homme instinctif qui se révèle.... L’homme revient pour ainsi dire à l’état de nature quand il rêve; mais moius les idées acquises ont pénetré dans son exprit, plus les penchants en désaccord avec elles conservent encore sur lui d’influence dans le rêve.“ Er führt dann als Beispiel an, dass seine Träume ihn nicht selten als Opfer gerade jenes Aberglaubens zeigen, den er in seinen Schriften am heftigsten bekämpft hat.

§ 200

Der Werth all dieser scharfsinnigen Bemerkungen für eine psychologische Erkenntnis des Traumlebens wird aber bei Maury dadurch beeinträchtigt, dass er in den von ihm so richtig beobachteten Phänomenen nichts als Beweise für den „Automatisme psychologique“ sehen will, der nach ihm das Traumleben beherrscht. Diesen Automatismus fasst er als vollen Gegensatz zur psychischen Thätigkeit.

§ 201

Eine Stelle in den Studien über das Bewusstsein von Stricker 77) lautet: Der Traum besteht nicht einzig und allein aus Täuschungen; wenn man sich z. B. im Traum vor Räubern fürchtet, so sind die Räuber zwar imaginär, die Furcht aber ist real. So wird man aufmerksam darauf gemacht, dass die Affectentwicklung in Traume die Beurtheilung nicht zulässt, welche man dem übrigen Trauminhalt schenkt, und das Problem wird vor uns aufgerollt, was an den psychischen Vorgängen im Traum real sein mag, das heisst einen Anspruch auf Einreihung unter die psychischen Vorgänge des Wachens beanspruchen darf?

§ 202

g) Traumtheorien und Function des Traumes. Eine Aussage über den Traum, welche möglichst viele der beobachteten Charaktere desselben von einem Gesichtspunkte aus zu erklären versucht und gleichzeitig die Stellung des Traumes zu einem umfassenderen Erscheinungsgebiet bestimmt, wird man eine Traumtheorie heissen dürfen. Die einzelnen Traumtheorien werden sich darin unterscheiden, dass sie den oder jenen Charakter des Traumes zum wesentlichen erheben, Erklärungen und Beziehungen an ihn anknüpfen lassen. Eine Funetion, d.i. ein Nutzen oder eine sonstige Leistung des Traumes, wird nicht nothwendig aus der Theorie ableitbar sein müssen, aber unsere auf die .Teleologie gewohnheitsgemäss geriehtete Erwartung wird doch jenen Theorien entgegenkommen, die mit der Einsicht in eine Function des Traumes verbunden sind.

§ 203

Wir haben bereits mehrere Auffassungen des Traumes kennen gelernt, die den Namen von Traumtheorien in diesem Sinne mehr oder weniger verdienten. Der Glaube der Alten, dass der Traum eine Sendung der Götter sei, um die Handlungen der Menschen lenken, war eine vollständige Theorie des Traumes, die über alles am Traum Wissenswerthe Auskunft ertheilte. Seitdem der Traum ein. Gegenstand der biologischen Forschung geworden ist, kennen wir eine grössere Anzahl von Traumtheorien, aber darunter auch manche recht unvollständige.

§ 204

Wenn man auf Vollzähligkeit verzichtet, kann man etwa folgende lockere Gruppirung der Traumtheorien versuchen, je nach er zu Grunde gelegten Annahme über Mass und Art der psychischen Thätigkeit im Traum:

§ 205

1. Solche Theorien, welche die volle psychische Thätigkeit des Wachens sich in dem Traum fortsetzen lassen, wie die von Delboeuf.16) Hier schläft die Seele nicht, ihr Apparat bleibt intact, aber unter die vom Wachen abweichenden Bedingungen des Schlafzustandes gebracht, muss sie bei normalem Functioniren andere Ergebnisse liefern als im Wachen. Bei diesen Theorien fragt es sich, ob sie im Stande sind, die Unterschiede des Traumes von dem Wachdenken sämmtlich aus den Bedingungen des Schlafzustandes abzuleiten. Ueberdies fehlt ihnen ein möglicher Zugang zu einer Function des Traumes; man sieht nicht ein, wozu man träumt, warum der complicirte Mechanismus des seelischen Apparates weiter spielt, auch wenn er in Verhältnisse versetzt wird, für die er nicht berechnet scheint. Traumlos schlafen oder, wenn störende Reize kommen, aufwachen, bleiben die einzig zweckmässigen Reactionen anstatt der dritten, der des Träumens.

§ 206

2. Solche Theorien, welche im Gegentheile für den Traum eine Herabsetzung der psychischen Thätigkeit, eine Auflockerung der Zusammenhänge, eine Verarmung an anspruchsfähigem Material annehmen. Diesen Theorien zufolge müsste eine ganz andere psychologische Charakteristik des Schlafes gegeben werden als etwa nach

§ 207

Delboeuf. Der Schlaf erstreckt sich weit über die Seele, er besteht nicht blos in einer Absperrung der Seele von der Aussenwelt, er dringt vielmehr in ihren Mechanismus ein und macht ihn zeitweilig unbrauchbar. Wenn ich einen Vergleich mit psychiatrischem Material heranziehen darf, so möchte ich sagen, die ersteren Theorien construiren den Traum wie eine Paranoia, die zweiterwähnten machen ihn zum Vorbilde des Schwachsinns oder einer Amentia.

§ 208

Die Theorie, dass im Traumleben nur ein Bruchtheil der durch den Schlaf lahmgelegten Seelenthätigkeit zum Ausdruck komme, ist die bei ärztlichen Schriftstellern und in der wissenschaftlichen Welt überhaupt weit bevorzugte. Soweit ein allgemeineres Interesse für Traumerklärung vorauszusetzen ist, darf man sie wohl als die herrschende Theorie des Traumes bezeichnen. Es ist hervorzuheben, mit welcher Leichtigkeit gerade diese Theorie die ärgste Klippe jeder Traumerklärung, nämlich das Scheitern an einem der durch den Traum verkörperten Gegensätze, vermeidet. Da ihr der Traum das Ergebnis eines partiellen Wachens ist („ein allmähliches, partielles und zugleich sehr anomalisches Wachen“ sagt Herbart’s Psychologie über den Traum), so kann sie durch eins Reihe von Zuständen von immer weiter gehender Erweckung bis zur vollen Wachheit die ganze Reihe von der Minderleistung des Traumes, die sich durch Absurdität verräth, bis zur voll concentrirten Denkleistung decken.

§ 209

Wem die physiologische Darstellungsweise unentbehrlich geworden ist oder wissenschaftlicher dünkt, der wird diese Theorie des Traumes in der Schilderung von Binz 4) ausgedrückt finden (p. 43):

§ 210

„Dieser Zustand (von Erstarrung) aber geht in den frühen Morgenstunden nur allmählich seinem Ende entgegen. Immer geringer wählen die in dem Gehirneiweiss aufgehäuften Ermüdungsstoffe und immer mehr von ihnen wird zerlegt oder von dem rastlos treibenden Blutstrom fortgespült. Da und dort leuchten schon einzelne Zellenhaufen wach geworden hervor, während ringsumher noch Alles in Erstarrung ruht. Es tritt nun die isolirte Arbeit der Einzelgruppen vor unser umnebeltes Bewusstsein, und zu ihr fehlt die Controle anderer, der Association vorstehender Gehirntheile. Darum fügen die geschaffenen Bilder, welche meist den materiellen Eindrücken naheliegender Vergangenheit entsprechen, sich wild und regellos aneinander. Immer grösser wird die Zahl der freiwerdenden Gehirnzellen, immer geringer die Unvernunft des Traumes.“

§ 211

Man wird die Auffassung des Träumens als eines unvollständigen, partiellen Wachens, oder Spuren von ihrem Einflusse, sicherlich bei allen modernen Physiologen und Philosophen finden. Am Ausführlichsten ist sie bei Maury 48) dargestellt. Dort hat es oft den Anschein, als stellte sich der Autor das Wachsein oder Eingeschlafensein nach anatomischen Regionen verschiebbar vor, wobei ihm allerdings eine anatomische Provinz und eine bestimmte psychische Function an einander gebunden erscheinen. Ich möchte hier aber nur andeuten, dass, wenn die Theorie des partiellen Wachens sich bestätigte, über den feineren Ausbau derselben sehr viel zu verhandeln wäre.

§ 212

Eine Function des Traumes kann sich bei dieser Auffassung des Traumlebens natürlich nicht herausstellen. Vielmehr wird das Urtheil über die Stellung und Bedeutung des Traumes consequenterweise durch die Aeusserung von Binz gegeben (p. 357): „Alle Thatsachen, wie wir sehen, drängen dahin, den Traum als einen körperlichen, in allen Fällen unnützen, in vielen Fällen geradezu krankhaften Vorgang zu kennzeichnen...“

§ 213

Der Ausdruck „körperlich“ mit Beziehung auf den Traum, der seine Hervorhebung dem Autor selbst verdankt, weist wohl nach mehr als einer Richtung. Er bezieht sich zunächst auf die Traumätiologie, die ja Binz besonders nahe lag, wenn er die experimentelle Erzeugung von Träumen durch Darreichung von Giften studirte. Es liegt nämlich im Zusammenhange dieser Art von Traumtheorie die Anregung zum Träumen womöglich ausschliesslich von somatischer Seite ausgehen zu lassen. In extremster Form dargestellt, lautete es so: Nachdem wir durch Entfernung der Reize uns in Schlaf versetzt haben, wäre zum Träumen kein Bedürfnis und kein Anlass bis zum Morgen, wo das allmähliche Erwachen durch die neu anlangenden Reize sich in dem Phänomen des Träumens spiegeln könnte. Nun gelingt es aber nicht, den Schlaf reizlos zu halten; es kommen, ähnlich wie Mephisto von den Lebenskeimen klagt, von überall her Reize an den Schlafenden heran, von aussen, von innen, von all den Körpergebieten sogar, um die man sich als Wachender gekümmert hat. So wird der Schlaf gestört, die Seele bald an dem bald an jenem Zipfelehen wach gerüttelt und functionirt dann ein Weilchen mit dem geweckten Theil, froh wieder einzuschlafen. Der Traum ist die Reaction auf die durch den Reiz verursachte Schlafstörung, übrigens eine rein überflüssige Reaction.

§ 214

Den Traum, der doch immerhin eine Leistung des Seelenorgans bleibt, als einen körperlichen Vorgang zu bezeichnen, hat aber auch noch einen anderen Sinn. Es ist die Würde eines psychischen Vorganges, die damit dem Traume abgesprochen werden soll. Das in seiner Anwendung auf den Traum bereits sehr alte Gleichnis von den zehn Fingern eines der Musik ganz unkundigen Menschen, die über die Tasten des Instrumentes hinlaufen veranschaulicht vielleicht am besten, welche Würdigung die Traumleistung bei den Vertretern der exacten Wissenschaft zumeist gefunden hat. Der Traum wird in dieser Auffassung etwas ganz und gar Undeutbares; denn wie sollten die zehn Finger des unmusikalischen Spielers ein Stück Musik produciren können?

§ 215

Es hat der Theorie des partiellen Wachens schon frühzeitig nicht an Einwänden gefehlt. Burdach 8) meint 1830: „Wenn man der Traum sei ein partielles Wachen, so wird damit erstlich weder das Wachen, noch das Schlafen erklärt, zweitens nichts anderes gesagt, als dass einige Kräfte der Seele im Traume thätig sind während andere ruhen. Aber solche Ungleichheit findet während des ganzen Lebens statt....“ (p. 483).

§ 216

An die herrschende Traumtheorie, welche im Traum einen „körperlichen“ Vorgang sieht, lehnt sich eine sehr interessante Auffassung des Traumes an, die erst 1886 von Robert 55) ausgesprochen wurde und die bestechend wirkt, weil sie für das Träumen eine Function, einen nützlichen Erfolg anzugeben weiss. Robert nimmt zur Grundlage seiner Theorie zwei Thatsachen der Beobachtung, bei denen wir bereits in der Würdigung des Traummateriales verweilt haben (vgl. p. 11), nämlich dass man so häufig von den nebensächlichsten Eindrücken des Tages träumt, und dass man so selten die grossen Interessen des Tages mit hinübernimmt Robert behauptet als ausschliesslich richtig: Es werden nie Dinge, die man voll ausgedacht hat, zu Traumerregern, immer nur solche, die Einem unfertig im Sinne liegen, oder den Geist flüchtig streifen (p. 10). — „Darum kann man meistens den Traum sich nicht erklären, weil die Ursachen desselben eben die nicht zum genügenden Erkennen des Träumenden gekommenen Sinneseindrücke des verflossenen Tages sind“. Die Bedingung, dass ein Eindruck in den Traum gelange, ist also, entweder dass dieser Eindruck in seiner Verarbeitung gestört wurde, oder dass er als allzu unbedeutend auf solche Verarbeitung keinen Anspruch hatte.

§ 217

Der Traum stellt sich Robert nun dar „als ein körperlicher Ausscheidungsprocess, der in seiner geistigen Reactionserscheinung zum Erkennen gelangt“. Träume sind Ausscheidungen von im Keime erstickten Gedanken. „Ein Mensch, dem man die Fähigkeit nehmen würde, zu träumen, müsste in gegebener Zeit geistesgestört werden, weil sich in seinem Hirn eine Unmasse unfertiger, unausgedachter Gedanken und seichter Eindrücke ansammeln würde, unter deren Wucht dasjenige ersticken müsste, was dem Gedächtnisse als fertiges Ganzes einzuverleiben wäre.“ Der Traum leistet dem überbürdeten Gehirn die Dienste eines Sicherheitsventils. Die Träume haben heilende, entlastende Kraft (p. 32).

§ 218

Es wäre missverständlich, an Robert die Frage zu richten, wie denn durch das Vorstellen im Traum eine Entlastung der Seele herbeigeführt werden kann. Der Autor schliesst offenbar aus jenen beiden Eigenthümlichkeiten des Traummateriales, dass während des Schlafes eine solche Ausstossung von werthlosen Eindrücken irgendwie als somatischer Vorgang vollzogen werde, und das Träumen ist kein besonderer psychischer Process, sondern nur die Kunde, die wir von jener Aussonderung erhalten. Uebrigens ist eine Ausscheidung nicht das einzige, was Nachts in der Seele vorgeht. Robert fügt selbst hinzu, dass überdies die Anregungen des Tages ausgearbeitet werden und, „was sich von dem unverdaut im Geiste liegenden Gedankenstoff nicht ausscheiden lässt, wird durch der Phantasie entlehnte Gedankenfäden zu einem abgerundeten Ganzen verbunden und so dem Gedächtnisse als unschädliches Phantasiegemälde eingereiht“ (p. 23).

§ 219

In den schroffsten Gegensatz zur herrschenden Theorie tritt die Robert’s aber in der Beurtheilung der Traumquellen. Während dort überhaupt nicht geträumt würde, wenn nicht die äusseren und innere Sensationsreize die Seele immer wieder weckten, liegt der Antrieb zum Träumen nach der Theorie Robert’s in der Seele selbst, in ihrer Ueberladung, die nach Entlastung verlangt, und Robert urtheilt vollkommen consequent, dass die im körperlichen Befinden liegende traumbedingenden Ursachen einen untergeordneten Rang einnehmen, und einen Geist, in dem kein dem wachen Bewusstsein entnommener Stoff zur Traumbildung wäre, keinesfalls zum Träumen veranlassen könnten: Zuzugeben sei blos, dass die im Traume aus den Tiefen der Seele heraus sich entwickelnden Phantasiebilder durch die Nervenreize beeinflusst werden können (p. 48). So ist der Traum nach Robert doch nicht so ganz abhängig vom Somatischen, er ist zwar kein psychischer Vorgang, hat keine Stelle unter den psychischen Vorgängen des Wachens, er ist ein allnächtlicher somatischer Vorsans am Apparat der Seelenthätigkeit und hat eine Function zu erfüllen, diesen Apparat vor Ueberspannung zu behüten, oder wenn man das Gleichnis wechseln darf: die Seele auszumisten.

§ 220

Auf die nämlichen Charaktere des Traumes, die in der Auswahl des Traummateriales deutlich werden, stützt ein anderer Autor, Yves Delage,12) seine eigene Theorie, und es ist lehrreich zu beobachten, wie durch eine leise Wendung in der Auffassung derselben Dinge ein Endergebnis von ganz anderer Tragweite gewonnen wird.

§ 221

Delage hatte an sich selbst, nachdem er eine ihm theure Person durch den Tod verloren, die Erfahrung gemacht, dass man von dem nicht träumt, was Einen tagsüber ausgiebig beschäftigt hat, oder erst dann, wenn es anderen Interessen tagsüber zu weichen beginnt. Seine Nachforschungen bei anderen Personen bestätigten ihm die Allgemeinheit dieses Sachverhaltes. Eine schöne Bemerkung dieser Art, wenn sie sich als allgemein richtig herausstellte, macht Delage über das Träumen junger Eheleute: „S’ils ont été fortement épris, presque jamais ils n’ont rêvé l’un de l’autre avant le mariage ou pendant la lune de miel; et s'ils ont rêvé d’amour c’est pour être infidèles avec quelque personne indifférente ou odieuse.“ Wovon träumt man nun aber? Delage erkennt das in unseren Träumen vorkommende Material als bestehend aus Bruchstücken und Resten von Eindrücken der letzten Tage und früherer Zeiten. Alles was in unseren Träumen auftritt, was wir zuerst geneigt sein mögen, als Schöpfung des Traumlebens anzusehen, erweist sich bei genauerer Prüfung als unerkannte Reproduction, als „souvenir inconscient“. Aber dieses Vorstellungsmaterial zeigt einen gemeinsamen Charakter, es rührt von Eindrücken her, die unsere Sinne wahrscheinlich stärker be troffen haben als unseren Geist, oder von denen die Aufmerksamkeit sehr bald nach ihrem Auftauchen wieder abgelenkt wurde. Je weniger bewusst und dabei je stärker ein Eindruck gewesen ist, desto mehr Aussicht hat er, im nächsten Traum eine Rolle zu spielen.

§ 222

Es sind im Wesentlichen dieselben zwei Kategorien von Eindrücken, die nebensächlichen und die unerledigten, wie sie Robert 55) hervorhebt, aber Delage wendet den Zusammenhang anders, indem er meint, diese Eindrücke werden nicht, weil sie gleichgiltig sind, traumfähig, sondern weil sie unerledigt sind. Auch die nebensächlichen Eindrücke sind gewissermassen nicht voll erledigt worden, auch sie sind ihrer Natur nach als neue Eindrücke „autant de ressorts tendus“ die sich während des Schlafes entspannen werden. Noch mehr Anrecht auf eine Rolle im Traum als der schwache und fast unbeachtete Eindruck wird ein starker Eindruck haben, der zufällig in seiner Verarbeitung aufgehalten wurde oder mit Absicht zurückgedrängt worden ist. Die tagsüber durch Hemmung und Unterdrückung aufgespeicherte psychische Energie wird Nachts die Triebfeder des Traumes. Im Traum kommt das psychisch Unterdrückte zum Vorschein.

§ 223

Leider bricht der Gedankengang von Delage an dieser Stelle ab; er kann einer selbständigen psychischen Thätigkeit im Traum nur die geringste Rolle einräumen, und so schliesst er sich mit seiner Traumtheorie unvermittelt wieder an die herrschende Lehre vom partiellen Schlafen des Gehirns an: „En somme le rêve est le produit erla pensée errante, sans but et sans direction, se fisant successivement sur les souvenirs, qui ont gardé assez d’intensité pour se placer surf sa route et l’arrêter au passage, établissant entre eux un lien tantôt faible et indécis, tantôt plus fort et plus serré, selon que l’activité actuelle du cerveau est plus ou moins abolie par le sommeil.“

§ 224

Zu einer dritten Gruppe kann man jene Theorien des Traumes vereinigen, welche der träumenden Seele die Fähigkeit und Neigung zu besonderen psychischen Leistungen zuschreiben, die sie im Wachen entweder gar nicht oder nur in unvollkommener Weise ausführen kann. Aus der Bethätigung dieser Fähigkeiten ergibt sich zumeist eine nützliche Function des Traumes. Die Werthschätzungen, welche der Traum bei älteren psychologischen Autoren gefunden hat, gehören meist in diese Reihe. Ich will mich aber damit begnügen, an deren Statt die, Aeusserung von Burdach8) anzuführen, derzufolge der Traum „die Naturthätigkeit der Seele ist, welche nicht durch die Macht der Individualität beschränkt, nicht durch Selbstbewusstsein gestört, nicht durch Selbstbestimmung gerichtet, wird, sondern die in freiem Spiele sich ergehende Lebendigkeit der sensibeln Centralpunkte ist“ (p. 486).

§ 225

Dieses Schwelgen im freien Gebrauch der eigenen Kräfte stellen sich Burdach u. A. offenbar als einen Zustand vor, in welchem die Seele sich erfrischt und neue Kräfte für die Tagesarbeit sammelt, also etwa nach Art eines Ferienurlaubes. Burdach citirt und acceptirt darum auch die liebenswürdigen Worte, in denen der Dichter Novalis das Walten des Traumes preist: „Der Traum ist eine Schutzwehr gegen die Regelmässigkeit und Gewöhnlichkeit des Lebens, eine freie Erholung der gebundenen Phantasie, wo sie alle Bilder des Lebens durcheinander wirft, und die beständige Ernsthaftigkeit des erwachsenen Menschen durch ein fröhliches Kinderspiel unterbricht; ohne die Träume würden wir gewiss früher alt, und so kann man den Traum, wenn auch nicht als unmittelbar von oben gegeben, doch als eine köstliche Aufgabe, als einen freundlichen Begleiter auf der Wallfahrt zum Grabe betrachten.“

§ 226

Die erfrischende und heilende Thätigkeit des Traumes schildert noch eindringlicher Purkinje 53) (p. 456): „Besonders würden die productiven Träume diese Functionen vermitteln. Es sind leichte Spiele der Imagination, die mit den Tagesbegebenheiten keinen Zusammenhang haben. Die Seele will die Spannungen des wachen Lebens nicht fortsetzen, sondern sie auflösen, sich von ihnen erholen. Sie erzeugt zuvörderst denen des Wachens entgegengesetzte Zustände. Sie heilt Traurigkeit durch Freude, Sorgen durch Hoffnungen und heitere zerstreuende Bilder, Hass durch Liebe und Freundlichkeit, Furcht durch Muth und Zuversicht; den Zweifel beschwichtigt sie durch Ueberzeugung und festen Glauben, vergebliche Erwartung durch Erfüllung. Viele wunde Stellen des Gemüthes, die der Tag immerwährend offen erhalten würde, heilt der Schlaf, indem er sie zudeckt und vor neuer Aufregung bewahrt. Darauf beruht zum Theil die schmerzenheilende Wirkung der Zeit.“ Wir empfinden es alle, dass der Schlaf eine Wohlthat für das Seelenleben ist, und die dunkle Ahnung des Volksbewusstseins lässt sich offenbar das Vorurtheil nicht rauben, dass der Traum einer der Wege ist, auf denen der Schlaf seine Wohlthaten spendet.

§ 227

Der originellste und weitgehendste Versuch, den Traum aus einer besonderen Thätigkeit der Seele, die sich erst im Schlafzustande frei entfalten kann, zu erklären, ist der von Scherner 58) 1861 unternommene. Das Buch Scherner’s, in einem schwülen und schwülstigen Stil geschrieben, von einer nahezu trunkenen Begeisterung für den Gegenstand getragen, die abstossend wirken muss, wenn sie nicht mit sich fortzureissen vermag, setzt einer Analyse solche Schwierigkeiten entgegen, dass wir bereitwillig nach der klareren und kürzeren Darstellung greifen, in welcher der Philosoph Volkelt 72) die Lehren Scherner’s uns vorführt. „Es blitzt und leuchtet wohl aus den mystischen Zusammenballungen, aus all dem Pracht- und Glanzgewoge ein ahnungsvoller Schein von Sinn heraus, allein hell werden hiedurch des Philosophen Pfade nicht.“ Solche Beurtheilung findet die Darstellung Scherner’s selbst bei seinem Anhänger.

§ 228

Scherner gehört nicht zu den Autoren, welche der Seele gestatten, ihre Fähigkeiten unverringert in’s Traumleben mitzunehmen. Er führt selbst aus, wie im Traum die Centralität, die Spontanenergie des Ich entnervt wird, wie in Folge dieser Decentralisation Erkennen, Fühlen, Wollen und Vorstellen verändert werden, und wie den Ueberbleibseln dieser Seelenkräfte kein wahrer Geistcharakter, sondern nur noch die Natur eines Mechanismus zukommt. Aber dafür schwingt sich im Traum die als Phantasie zu benennende Thätigkeit der Seele, frei von aller Verstandesherrschaft und damit der strengen Maasse ledig, zur unbeschränkten Herrschaft auf. Sie nimmt zwar die letzten Bausteine aus dem Gedächtnis des Wachens, aber führt aus ihnen Gebäude auf, die von den Gebilden des Wachens himmelweit verschieden sind, sie zeigt sich im Traume nicht nur reproductiv, sondern auch productiv. Ihre Eigenthümlichkeiten verleihen dem Traumleben seine besonderen Charaktere. Sie zeigt eine Vorliebe für das Ungemessene, Uebertriebene, Ungeheuerliche. Zugleich aber gewinnt sie durch die Befreiung von den hinderlichen Denkkategorien eine grössere Schmiegsamkeit, Behendigkeit, Wendungslust; sie ist auf’s feinste empfindsam für die zarten Stimmungsreize des Gemüths, für die wühlerischen Affecte, sie bildet sofort das innere Leben in die äussere plastische Anschaulichkeit hinein. Der Traumphantasie fehlt die Begriffssprache; was sie sagen will, muss sie anschaulich hinmalen, und da der Begriff hier nicht schwächend einwirkt, malt sie es in Fülle, Kraft und Grösse der Anschauungsform hin. Ihre Sprache wird hiedurch, so deutlich sie ist, weitläufig, schwerfällig, unbeholfen. Besonders erschwert wird die Deutlichkeit ihrer Sprache dadurch, dass sie die Abneigung hat, ein Object durch sein eigentliches Bild auszudrücken und lieber ein fremdes Bild wählt, insofern dieses nur dasjenige Moment des Objects, an dessen Darstellung ihr liegt, durch sich auszudrücken im Stande ist. Das ist die symbolisirende Thätigkeit der Phantasie... Sehr wichtig ist ferner, dass die Traumphantasie die Gegenstände nicht erschöpfend, sondern nur in ihrem Umriss und diesen in freiester Weise, nachbildet. Ihre Malereien erscheinen daher wie genial hingehaucht. Die Traumphantasie bleibt aber nicht bei der blossen Hinstellung des Gegenstandes stehen, sondern sie ist innerlich genöthigt, das. Traum-Ich mehr oder weniger mit ihm zu verwickeln und so eine Handlung zu erzeugen. Der Gesichtsreiztraum z. B. malt Goldstücke auf die Strasse; der Träumer sammelt sie, freut sich, trägt sie davon.

§ 229

Das Material, an welchem die Traumphantasie ihre künstlerische Thätigkeit vollzieht, ist nach Scherner vorwiegend das der, bei Tag so dunkeln, organischen Leibreize (vgl. p. 22), so dass in der Annahme der Traumquellen und Traumerreger die allzu phantastische Theorie Scherner’s und die vielleicht übernüchterne Lehre Wundt’s und anderer Physiologen, die sich sonst wie Antipoden zu einander verhalten, sich hier völlig decken. Aber während nach der physioischen Theorie die seelische Reaction auf die inneren Leibreize mit der Erweckung von irgend zu ihnen passenden Vorstellungen erschöpft ist, die dann einige andere Vorstellungen auf dem Wege der Association sich zur Hilfe rufen, und mit diesem Stadium die Verfolgung der psychischen Vorgänge des Traumes beendigt scheint ben die Leibreize nach Scherner der Seele nur ein Material, das sie ihren phantastischen Absichten dienstbar machen kann. Die Traumbildung fängt für Scherner dort erst an, wo sie für den Blick der Anderen versiegt.

§ 230

Zweckmässig wird man freilich nicht finden können, was die Traumphantasie mit den Leibreizen vornimmt. Sie treibt ein neckendes Spiel mit ihnen, stellt sich die Organquelle, aus der die Reize im betreffenden Traum stammen, in irgend einer plastischen Symbolik vor. Ja Scherner meint, worin Volkelt und Andere ihm nicht folgen, dass die Traumphantasie eine bestimmte Lieblingsdarstellung für den ganzen Organismus habe; diese wäre das Haus. Sie scheint sich aber zum Glück für ihre Darstellungen nicht an diesen Stoff zu binden; sie kann auch umgekehrt ganze Reihen von Häusern benutzen, um ein einzelnes Organ zu bezeichnen, z. B. sehr lange Häuserstrassen für den Eingeweidereiz. Andere Male stellen einzelne Theile des Hauses wirklich einzelne Körpertheile dar, so z. B, im Kopfschmerztraum die Decke eines Zimmers (welche der Träumer mit ekelhaftigen krötenartigen Spinnen bedeckt sieht) den Kopf.

§ 231

Von der Haussymbolik ganz abgesehen, werden beliebige andere Gegenstände zur Darstellung der den Traumreiz ausschickende Körpertheile verwendet. „So findet die athmende Lunge in dem flammenerfüllten Ofen mit seinem luftartigen Brausen ihr Symbol, das Herz in hohlen Kisten und Körben, die Harnblase in runden beutelförmigen oder überhaupt nur ausgehöhlten Gegenständen. Der männliche Geschlechtsreiztraum lässt den Träumer den oberen Theil einer Clarinette, daneben den gleichen Theil einer Tabakspfeife, daneben wieder einen Pelz auf der Strasse finden. Clarinette und Tabakspfeife stellen die annähernde Form des männlichen Gliedes, der Pelz das Schamhaar dar. Im weiblichen Geschlechtstraum kann sich die Schritt Enge der zusammenschliessenden Schenkel durch einen schmalen, von Häusern umschlossenen Hof, die weibliche Scheide durch einen mitten durch den Hofraum führenden, schlüpfrig weichen, sehr schmalen Fusspfad symbolisiren, den die Träumerin wandeln muss, um etwa einen Brief zu einem Herrn zu tragen.“ (Volkelt p. 39.) Besonders wichtig ist es, dass am Schlusse eines solchen, Leibreiztraumes die Traumphantasie sich sozusagen demaskirt, indem sie das erregende Organ oder dessen Function unverhüllt hinstellt. So schliesst der „Zahnreiztraum“ gewöhnlich damit, dass der Träumer sich einen Zahn aus dem Munde nimmt.

§ 232

Die Traumphantasie kann ihre Aufmerksamkeit aber nicht blos der Form des erregenden Organs zuwenden, sie kann ebensowohl die in ihm enthaltene Substanz zum Object der Symbolisirung nehmen. So führt z. B. der Eingeweidereiztraum durch kothige Strassen, der Harnreiztraum an schäumendes Wasser. Oder der Reiz als solcher, die Art seiner Erregtheit, das Object, das er begehrt, werden symbolisch dargestellt, oder das Traum-Ich tritt in concrete Verbindung mit den Symbolisirungen des eigenen Zustandes, z. B. wenn wir bei Schmerzreizen uns mit beissenden Hunden oder tobenden Stieren verzweifelt balgen, oder die Träumerin sich im Geschlechtstraum von einem nackten Manne verfolgt sieht. Von all dem mögliehen Reichthum in der Ausführung abgesehen, bleibt eine symbolisirende Phantasiethätigkeit als die Centralkraft eines jeden Traumes bestehen. In den Charakter dieser Phantasie näher einzudringen, der so erkannten psychischen Thätigkeit ihre Stellung in einem System philosophischer Gedanken anzuweisen, versuchte dann Volkelt 72) in seinem schön und warm geschriebenen Buch, das aber allzu schwer verständlich für jeden bleibt, der nicht durch frühe Schulung für das ahnungsvolle Erfassen philosophischer Begriffsschemen vorbereitet ist.

§ 233

Eine nützliche Function ist mit der Bethätigung der symbolisirenden Phantasie Scherner’s in den Träumen nicht verbunden. Die Seele spielt träumend mit den ihr dargebotenen Reizen. Man könnte auf die Vermuthung kommen, dass sie unartig spielt. Man könnte aber auch an uns die Frage richten, ob unsere eingehende Beschäftigung mit der Scherner’s Theorie des Traumes zu irgend etwas Nützlichem führen kann, deren Willkürlichkeit und Losgebundenheit von den Regeln aller Forschung doch allzu augenfällig scheint. Da wäre es denn am Platze, gegen eine Verwerfung der Lehre Scherner’s vor aller Prüfung als allzu hochmüthig ein Veto einzulegen. Diese Lehre baut sich auf dem Eindruck auf, den jemand von seinen Träumen empfing, der ihnen grosse Aufmerksamkeit schenkte, und der persönlich sehr wohl veranlagt scheint, dunkeln seelischen Dingen nachzuspüren. Sie handelt ferner von einem Gegenstand, der den Menschen durch Jahrtausende räthselhaft wohl, aber zugleich inhalts- und beziehungsreich erschienen ist, und zu dessen Erhellung die gestrenge Wissenschaft, wie sie selbst bekennt, nicht viel anderes beigetragen hat, als dass sie im vollen Gegensatz zur populären Empfindung dem Objecte Inhalt und Bedeutsamkeit abzurechen versuchte. Endlich wollen wir uns ehrlich sagen, dass es den Anschein hat, wir könnten bei den Versuchen, den Traum aufzuklären, der Phantastik nicht leicht entgehen. Es gibt auch Ganglienzellen Phantastik; die p. 53 citierte Stelle eines nüchternen und exacten Forschers wie Binz 4), welche schildert, wie die Aurora des Erwachens über die eingeschlafenen Zellhaufen der Hirnrinde hinzieht; steht an Phantastik und an — Unwahrscheinlichkeit hinter den Schernerschen Deutungsversuchen nicht zurück. Ich hoffe zeigenzu können, dass hinter den letzteren etwas Reelles steckt, das allerdings nur verschwommen erkannt worden ist und nicht den Charakter der Allgemeinheit besitzt, auf den eine Theorie des Traumes Anspruch erheben kann. Vorläufig kann uns die Scherner’sche Theorie des Traumes in ihrem Gegensatz zur medicinischen etwa vor Augen führen, zwischen welchen Extremen die Erklärung des Traumlebens heute noch unsicher schwankt.

§ 234

h) Beziehungen zwischen Traum und Geisteskrankheiten. Wer von der Beziehung des Traumes zu den Geistesstörungen spricht, kann dreierlei meinen: 1. ätiologische und klinische Beziehungen, etwa wenn ein Traum einen psychotischen Zustand vertritt, einleitet, oder nach ihm erübrigt. 2. Veränderungen, die das Traum leben im Falle der Geisteskrankheit erleidet. 3. Innere Beziehungen zwischen Traum und Psychosen, Analogien, die auf Wesensverwandtschaft hindeuten. Diese mannigfachen Beziehungen zwischen dem beiden Reihen von Phänomenen sind in früheren Zeiten der Medicin — und in der Gegenwart von Neuem wieder — ein Lieblingsthema ärztlicher Autoren gewesen, wie die bei Spitta 64), Radestock 54), Maury 48) und Tissié 68) gesammelte Litteratur des Gegenstandes lehrt. Jüngst hat Sante de Sanctis 56, 57) diesem Zusammenhange seine Aufmerksamkeit zugewendet. Dem Interesse unserer Darstellung wird es genügen, den bedeutsamen Gegenstand blos zu streifen.

§ 235

Zu den klinischen und ätiologischen Beziehungen zwischen Traum und Psychosen will ich folgende Beobachtungen als Paradigmata mittheilen. Hohnbaum berichtet (bei Krauss 39), dass der erste Ausbruch des Wahnsinns sich öfters von einem ängstlichen schreckhaften Traum herschrieb, und dass die vorherrschende Idee mit diesem Traume in Verbindung stand. Sante de Sanctis bringt ähnliche Beobachtungen von Paranoischen und erklärt den Traum in einzelnen derselben für die „vraie cause déterminente de la folie“. Die Psychose kann mit dem wirksamen, die wahnhafte Aufklärung enthaltenden Traum mit einem Schlag in’s Leben treten, oder sich durch weitere Träume, die noch gegen Zweifel anzukämpfen haben, langsam entwickeln. In einem Falle von de Sanctis schlossen sich an den ergreifenden Traum leichte hysterische Anfälle, dann in weiterer Folge ein ängstlich-melancholischer Zustand. Féré (bei Tissié) berichtet von einem Traum, der eine hysterische Lähmung zur Folge hatte. Hier wird uns der Traum als Aetiologie der Geistesstörung vorgeführt, obwohl wir dem Thatbestand ebenso Rechnung tragen, wenn wir aussagen, die geistige Störung habe ihre erste Aeusserung am Traumleben gezeigt, sei im Traum zuerst durchgebrochen. In anderen Beispielen enthält das Traumleben die krankhaften Symptome, oder die Psychose bleibt aufs Traumleben eingeschränkt. So macht Thomayer 70) auf Angstträume aufmerksam, die als Aequivalente von epileptischen Anfällen aufgefasst werden müssen. Allison hat nächtliche Geisteskrankheit (noeturnal insanity) beschrieben (nach Radestock), bei der die Individuen Tagsüber anscheinend vollkommen gesund sind, während bei Nacht regelmäßig Hallucinationen, Tobsuchtsanfälle u. dgl. auftreten. Aehnliche Beobachtungen bei de Sanctis (paranoisches Traumäquivalent bei einem Alkoholiker, Stimmen, die die Ehefrau der Untreue beschuldigen); bei Tissié. Tissié bringt aus neuerer Zeit eine reiche Anzahl von Beobachtungen, in denen Handlungen pathologischen Charakters (aus Wahnvoraussetzungen, Zwangsimpulse) sich aus Träumen ableiten. Guislain beschreibt einen Fall, in dem der Schlaf durch ein intermittirendes Irresein ersetzt war.

§ 236

Es ist wohl kein Zweifel, dass eines Tages neben der Psychologie des Traumes eine Psychopathologie des Traumes die Aerzte beschäftigen wird.

§ 237

Besonders deutlich wird es häufig in Fällen von Genesung nach Geisteskrankheit, dass bei gesunder Function am Tage das Traumleben noch der Psychose angehören kann. Gregory soll auf dieses Vorkommen zuerst aufmerksam gemacht haben (nach Krauss 39). Macario (bei Tissié) erzählt von einem Maniacus, der eine Woche nach seiner völligen Herstellung in Träumen die Ideenflucht und die leidenschaftlichen Antriebe seiner Krankheit wieder erlebte.

§ 238

Ueber die Veränderungen, welche das Traumleben bei dauernd Psychotischen erfährt, sind bis jetzt nur sehr wenige Untersuchungen angestellt worden. Dagegen hat die innere Verwandtschaft zwischen Traum und Geistesstörung, die sich in so weitgehender Uebereinstimmung der Erscheinungen beider äussert, frühzeitig Beachtung gefunden. Nach Maury 47) hat zuerst Cabanis in seinen Rapports du physique et du moral auf sie hingewiesen, nach ihm Lélut, J. Moreau und ganz besonders der Philosoph Maine de Biran. Sicherlich ist die Vergleichung noch älter Radastockt 54) leitet das Capitel, indem er sie behandelt, mit einer Sammlung von Aussprüchen ein, welche Trauma und Wahnsinn in Analogie bringen. Kant sagt an einer Stelle: „Der Verrückte ist ein Träumer im Wachen.“ Krauss: „Der Wahnsinn ist ein Traum innerhalb des Sinnenwachseins.“ Schopenhauer nennt den Traum einen kurzen Wahnsinn und den Wahnsinn einen langen Traum. Hagen bezeichnet das Delirium als Traumleben, welches nicht durch Schlaf sondern durch Krankheiten herbeigeführt ist. Wundt äussert in der Physiologischen Psychologie. „In der That können wir im Traum fast alle Erscheinungen, die uns in den Irrenhäusern begegnen, selber durchleben.“

§ 239

Die einzelnen Uebereinstimmungen, auf Grund deren eine solche Gleichstellung sich dem Urtheil empfiehlt, zählt Spitta64) (übrigens sehr ähnlich wie Maury) in folgender Reihe auf: „1. Aufhebung oder doch Retardation des Selbstbewusstseins, in Folge dessen Unkenntnis über den Zustand als solchen, also Unmöglichkeit des Erstannens, Mangel des moralischen Bewusstseins. 2. Modificirte Perception der Sinnesorgane, und zwar im Traum verminderte, im Wahnsinn im Allgemeinen sehr gesteigerte. 3. Verbindung der Vorstellungen unter einander lediglich nach den Gesetzen der Association und Reproduction also automatische Reihenbildung, daher Unproportionalität der Verhältnisse zwischen den Vorstellungen (Uebertrei bungen, Phantasmen) und aus Alle dem resultirend. 4. Veränderung beziehungsweise Umkehrung der Persönlichkeit und zuweilen Eigenthümlichkeiten des Charakters (Perversitäten).“

§ 240

Radestock fügt noch einige Züge hinzu, Analogien im Material: „Im Gebiet des Gesichts- und Gehörsinnes und des Gemeingefühls findet man die meisten Hallucinationen und Illusionen. Die wenigsten Elemente liefern wie beim Traum der Geruchs- und schmacksinn. — Dem Fieberkranken steigen in den Delirien wie dem Träumenden Erinnerungen aus langer Vergangenheit auf; was der Wachende und Gesunde vergessen zu haben schien, dessen erinnert sich der Schlafende und Kranke.“ — Die Analogie von Traum und Psychose erhält erst dadurch ihren vollen Werth, dass sie sich wie eine Familienähnlichkeit in die feinere Mimik und bis auf einzelne Auffälligkeiten des Gesichtsausdruckes erstreckt.

§ 241

„Dem von körperlichen und geistigen Leiden Gequälten gewährt der Traum, was die Wirklichkeit versagte: Wohlsein und Glück; so heben sich auch bei dem Geisteskranken die lichten Bilder von Glück, Grösse, Erhabenheit und Reichthum. Der vermeintliche Besitz von Gütern und die imaginäre Erfüllung von Wünschen, deren Veweigerung oder Vernichtung eben einen psychischen Grund das Irreseins abgaben, wachen häufig den Hauptinhalt des Deliriums aus. Die Frau, die ein theueres Kind verloren, delirirt in Mutterfreuden, wer Vermögensverluste erlitten, hält sich für ausserordentlich reich, das betrogene Mädchen sieht sich zärtlich geliebt.“

§ 242

(Diese Stelle Radestock’s ist die Abkürzung einer feinsinnigen Ausführung von Griesinger 31) (p. 111), die mit aller Klarheit die Wunscherfüllung als einen dem Traum und der Psychose gemeinsamen Charakter des Vorstellens enthüllt. Meine eigenen Untersuchungen haben mich gelehrt, dass hier der Schlüssel zu einer psycchologischen Theorie des Traumes und der Psychosen zu finden ist.)

§ 243

„Barocke Gedankenverbindungen und Schwäche des Urtheils sind es, welche den Traum und den Wahnsinn hauptsächlich charakterisiren.“ Die Ueberschätzung der eigenen geistigen Leistungen, die dem nüchternen Urtheil als unsinnig erscheinen, findet sich hier wie dort; dem rapiden Vorstellungsverlauf des Traumes entspricht die Ideenflucht der Psychose. Bei beiden fehlt jedes Zeitmass. Die Spaltung der Persönlichkeit im Traume, welche z. B. das eigene Wissen auf zwei Personen vertheilt, von denen die fremde das eigene Ich im Traume corrigirt, ist völlig gleichwerthig der bekannten Persönlichkeitstheilung bei hallocinatorischer Paranoia; auch der Träumer hört die eigenen Gedanken von fremden Stimmen vorgebracht. Selbst für die constanten Wahnideen findet sich eine Analogie in den stereotyp wiederkehrenden pathologischen Träumen (rêve obsédant) — Nach der Genesung von einem Delirium sagen die Kranken nicht selten, dass ihnen die ganze Zeit ihrer Krankheit wie ein oft nicht unbehaglicher Traum erscheint, ja sie theilen uns mit, dass sie gelegentlich noch während der Krankheit geahnt haben, sie seien nur in einem Traume befangen, ganz wie es oft im Schlaftraum vorkommt.

§ 244

Nach alledem ist es nicht zu verwundern, wenn Radestock seine wie vieler Anderer Meinung in den Worten zusammenfasst, dass „der Wahnsinn, eine anormale krankhafte Erscheinung, als eine Steigerung des periodisch wiederkehrenden normalen Traumzustandes zu betrachten ist.“ (p. 228.)

§ 245

Noch inniger vielleicht, als es durch diese Analogie der sich äussernden Phänomene möglich ist, hat Krauss 32) die Verwandtschaft von Traum und Wahnsinn in der Aetiologie (vielmehr: in den Erregungsquellen) begründen wollen. Das beiden gemeinschaftliche Grundelement ist nach ihm, wie wir gehört haben, die organisch bedingte Empfindung, die Leibreizsensation, das durch Beiträge vön allen Organen her zu Stande gekommene Gemeingefühl (vgl. Peisse bei Maury 48) p. 52).

§ 246

Die nicht zu bestreitende, bis in charakteristische Einzelheiten reichende Uebereinstimmung von Traum und Geistesstörung gehört zu den stärksten Stützen der medicinischen Theorie des Traumlebens, nach welcher sich der Traum als ein unnützer und störender Vorang und als Ausdruck einer herabgesetzten Seelenthätigkeit darstellt. Man wird indes niekt erwarten können, die endgiltige Aufklärung über den Traum von den Seelenstörungen her zu empfangen, wo es gemein bekannt ist, in welch unbefriedigendem Zustand unsere Einsicht in den Hergang der letzteren sich befindet. Wohl aber ist es wahrscheinlich, dass eine veränderte Auffassung des Traumes unsere Meinungen über den inneren Mechanismus der Geistesstörungen mitbeeinflussen muss, und so dürfen wir sagen, dass wir an der Aufklärung der Psychosen arbeiten, wenn wir uns bemühen, das Geheimnis des Traumes aufzuhellen.

§ 247

II. Die Methode der Traumdeutung.

§ 248

Die Analyse eines Traummusters.

§ 249

Die Ueberschrift, die ich meiner Abhandlung gegeben habe, lässt erkennen, an welche Tradition in der Auffassung der Träume ich anknüpfen möchte. Ich habe mir vorgesetzt zu zeigen, dass Träume einer Deutung fähig sind, und Beiträge zur Klärung der eben behandelten Traumprobleme werden sich mir nur als etwaiger Nebengewinn bei der Erledigung meiner eigenen Aufgabe ergeben können. Mit der Voraussetzung, dass Träume deutbar sind, trete ich sofort in Widerspruch zu der herrschenden Traumlehre, ja zu allen Traumtheorien mit Ausnahme der Scherner’schen, denn „einen Traum deuten heisst, seinen „Sinn angeben, ihn durch etwas ersetzen, was sich als vollwichtiges, gleichwerthiges Glied in die Verkettung unserer seelischen Actionen einfügt. Wie wir erfahren haben, lassen aber die wissenschaftlichen Theorien des Traumes für ein Problem der Traumdeutung keinen Raum, denn der Traum ist für sie überhaupt kein seelischer Act, sondern ein somatischer Vorgang, der sich durch Zeichen am seelischen Apparat kundgibt. Anders hat sich zu allen Zeiten die Laienmeinung benommen. Sie bedient sich ihres guten Rechtes, inconsequent zu verfahren, und obwohl sie zugesteht, der Traum sei unverständlich und absurd, kann sie sich doch nicht entschliessen, dem Traume jede Bedeutung abzusprechen. Von einer dunkeln Ahnung geleitet scheint sie doch anzunehmen, der Traum habe einen Sinn, wiewohl einen verborgenen, er sei zum Ersatze eines anderen Denkvorganges bestimmt, und es handle sich nur darum, diesen Ersatz in richtiger Weise aufzudecken, um zur verborgenen Bedeutung des Traumes zu gelangen.

§ 250

Die Laienwelt hat sich darum von jeher bemüht, den Traum zu „deuten“ und dabei zwei im Wesen verschiedene Methoden versucht. Das erste dieser Verfahren fasst den Trauminhalt als Ganzes in’s Auge und sucht denselben durch einen anderen, verständlichen und in gewissen Hinsichten analogen Inhalt zu ersetzen. Dies ist die symbolische Traumdeutung; sie scheitert natürlich von vorne herein an jenen Träumen, welche nicht blos unverständlich, sondern auch verworren erscheinen. Ein Beispiel für ihr Verfahren gibt etwa die Auslegung, welche der biblische Josef dem Traume des Pharao angedeihen liess. Sieben fette Kühe, nach denen sieben magere kommen, welche die ersteren aufzehren, das ist ein symbolischer Ersatz für die Vorhersagung von sieben Hungerjahren im Lande Aegypten, welche allen Ueberfluss aufzehren, den sieben fruchtbare Jahre geschaffen haben. Die meisten der arteficiellen Träume, welche von Dichtern geschaffen wurden, sind für solche symbolische Deutung bestimmt, denn sie geben den vom Dichter gefassten Gedanken in einer Verkleidung wieder, die zu den aus der Erfahrung bekannten Charakteren unseres Träumens passend gefunden wird. Die Meinung, der Traum beschäftige sich vorwiegend mit der Zukunft, deren Gestaltung er im Voraus ahne, — ein Rest der einst den Träumen zuerkannten prophetischen Bedeutung — wird dann zum Motiv, den durch symbolische Deutung gefundenen Sinn des Traumes durch ein „es wird“ in’s Futurum zu versetzen.

§ 251

Wie man den Weg zu einer solchen symbolischen Deutung findet, dazu lässt sich eine Unterweisung natürlich nicht geben. Das Gelingen bleibt Sache des witzigen Einfalls, der unvermittelten Intuition, und darum konnte die Traumdeutung mittelst Symbolik sich zu einer Kunstübung erheben, die an eine besondere Begabung gebunden schien.*)*) Von solchem Anspruch hält sich die andere der populären Methoden der Traumdeutung völlig ferne. Man könnte sie als die „Chiffrirmethode“ bezeichnen, da sie den Traum wie eine Art von Geheimschrift behandelt, in der jedes Zeichen nach einem feststehenden Schlüssel in ein anderes Zeichen von bekannter Bedeutung übersetzt wird. Ich habe z. B. von einem Brief geträumt; aber auch von einem Leichenbegängnis u. dgl.; ich sehe nun in einem, „Traumbuch“ nach und finde, dass „Brief“ mit „Verdruss“, „Leichenbegängnis“ mit „Verlobung“ zu übersetzen ist. Es bleibt mir dann überlassen, aus den Schlagworten, die ich entziffert habe, einen Zusammenhang herzustellen, den ich wiederum als zukünftig hinnehme. Eine interessante Abänderung dieses Chiffrirverfahrens, durch welche dessen Charakter als rein mechanische Uebertragung einigermassen corrigirt wird, zeigt sieh in der Schrift über Traumdeutung des Artemidoros aus Daldis.2) Hier wird nicht nur auf den Trauminhalt, sondern auch auf die Person und die Lebensumstände des Träumers Rücksicht genommen, so dass das nämliche Traumelement für den Reichen, den Verheirateten, den Redner andere Be deutung hat als für den Armen, den Ledigen und etwa den Kaufmann. Das Wesentliche an diesem Verfahren ist nun, dass die Deutungsarbeit nicht auf das Ganze des Traumes gerichtet wird, sondern auf jedes Stück des Trauminhaltes für sich, als ob der Traum ein Conglomerat wäre, in dem jeder Brocken Gestein eine besondere Bestimmung verlangt. Es sind sicherlich die unzusammenhängende und verworrenen Träume, von denen der Antrieb zur Schöpfung der Chiffrirmethode ausgegangen ist.

*) Nach Abschluss meines Manuscriptes ist mir eine Schrift von Stumpf 63) zugegangen, „die in der Absicht zu erweisen, der Traum sei sinnvoll und deutbar, mit meiner Arbeit zusammentrifft. Die Deutung geschieht aber mittelst einer allegorisirenden Symbolik ohne Gewähr für Allgemeingiltigkeit des Verfahrens. § 252

Für die wissenschaftliche Behandlung des Themas kann die Unbrauchbarkeit beider populärer Deutungsverfahren des Traumes keinen Moment lang zweifelhaft sein. Die symbolische Methode ist in ihrer Anwendung beschränkt und keiner allgemeinen Darlegung fähig. Bei der Chiffrirmethode käme alles darauf an, dass der „Schlüssel“, das Traumbuch, verlässlich wäre, und dafür fehlen alle Garantien. Man wäre versucht, den Philosophen und Psychiatern Recht zu geben und mit ihnen das Problem der Traumdeutung als eine imaginäre Aufgabe zu streichen.

§ 253

Allein ich bin eines Besseren belehrt worden. Ich habe einsehen müssen, dass hier wiederum einer jener nicht seltenen Fälle vorliegt, in denen ein uralter, hartnäckig festgehaltener Volksglaube der Wahrheit der Dinge näher gekommen zu sein scheint das Urtheil der heute geltenden Wissenschaft. Ich muss behaupten, dass der Traum wirklich eine Bedeutung hat, und dass ein wissenschaftliches Verfahren der Traumdeutung möglich ist. Zur Kenntnis dieses Verfahrens bin ich auf folgende Weise gelangt:

§ 254

Seit Jahren beschäftige ich mich mit der Auflösung gewisser psychopathologischer Gebilde, der hysterischen Phobien, der Zwangsvorstellungen u. a. in therapeutischer Absicht; seitdem ich nämlich aus einer bedeutsamen Mittheilung von Josef Breuer weiss, dass für diese als Krankheitssymptome empfundenen Bildungen Auflösung und Lösung in Eines zusammenfällt.*)*) Hat man eine solche pathologische Vorstellung auf die Elemente zurückführen können, aus denen sie im Seelenleben des Kranken hervorgegangen ist, so ist diese auch zerfallen, der Kranke von ihr befreit. Bei der Ohnmacht unserer sonstigen therapeutischen Bestrebungen und angesichts der Räthselhaftigkeit dieser Zustände erschien es mir verlockend, auf dem von Breuer eingeschlagenen Wege trotz aller Schwierigkeiten bis zur vollen Aufklärung vorzudringen. Wie sich die Technik des Verfahrens schliesslich gestaltet hat, und welches die Ergebnisse der Bemühung gewesen sind, darüber werde ich ein anderes Mal ausführlich Bericht zu erstatten haben. Im Verlaufe dieser psychoanalytischen Studien gerieth ich auf die Traumdeutung. Die Patienten, die ich verpflichtet hatte, mir alle Einfälle und Gedanken mitzutheilen, die sich ihnen zu einem bestimmten Thema aufdrängten, er zählten mir ihre Träume und lehrten mich so, dass ein Traum in die psychische Verkettung eingeschoben sein kann, die von einer pathologischen Idee her nach rückwärts in der Erinnerung zu verfolgen ist. Es lag nun nahe, den Traum selbst wie ein Symptom zu behandeln und die für letztere ausgearbeitete Methode der Deutung auf ihn anzuwenden.

*) Breuer und Freud, Studien über Hysterie, Wien 1895. § 255

Dazu bedarf es nun einer gewissen psychischen Vorbereitung des Kranken. Man strebt zweierlei bei ihm an, eine Steigerung seiner Aufmerksamkeit für seine psychische Wahrnehmungen und eine Ausschaltung der Kritik, mit der er die ihm auftauchenden Gedanken sonst zu sichten pflegt. Zum Zwecke seiner Selbstbeobachtung mit gesammelter Aufmerksamkeit ist es vortheilhaft, dass er eine ruhige Tage einnimmt und die Augen schliesst; den Verzicht auf die Kritik der wahrgenommenen Gedankenbildungen muss man ihm ausdrücklich auferlegen. Man sagt ihm also, der Erfolg der Psychoanalyse hänge davon ab, dass er alles beachtet und mittheilt, was ihm durch den Sinn geht, und nicht etwa sich verleiten lässt, den einen Einfall zu unterdrücken, weil er ihm unwichtig oder nicht zum Thema gehörig, den anderen, weil er ihm unsinnig erscheint. Er müsse sich völlig unparteiisch gegen seine Einfälle verhalten; denn gerade an dieser Kritik läge es, wenn es ihm sonst nicht gelänge, die gesuchte Auflösung des Traumes, der Zwangsidee u. dgl. zu finden.

§ 256

Bei den psychoanalytischen Arbeiten habe ich gemerkt, dass die psychische Verfassung des Mannes, welcher nachdenkt, eine ganz andere ist als die desjenigen, welcher seine psychischen Vorgänge beobachtet. Beim Nachdenken tritt eine psychische Action mehr in’s Spiel als bei der aufmerksamsten Selbstbeobachtung, wie es auch die gespannte Miene und die in Falten gezogene Stirne des Nachdenklichen im Gegensatz zur mimischen Ruhe des Selbstbeobachters erweist. In beiden Fällen muss eine Sammlung der Aufmerksamkeit vorhanden sein, aber der Nachdenkende übt ausserdem eine Kritik aus, in Folge deren er einen Theil der ihm aufsteigenden Einfälle verwirft, nachdem er sie wahrgenommen hat, andere kurz abbricht, so dass er den Gedankenwegen nicht folgt, welche sie eröffnen würden, und gegen noch andere Gedanken weiss er sich so zu benehmen, dass sie überhaupt nicht bewusst, also vor ihrer Wahrnehmung unterdrückt werden. Der Selbstbeobachter hingegen hat nur die Mühe, die Kritik zu unterdrücken; gelingt ihm dies, so kommt ihm eine Unzahl von Einfällen zum Bewusstsein, die sonst unfassbar geblieben wären. Mit Hilfe, dieses für die Selbstwahrnehmung neu gewonnenen Materials lässt sich die Deutung der pathologischen Ideen sowie der Traumgebilde vollziehen. Wie man sieht, handelt es sich darum, einen psychischen Zustand herzustellen, der mit dem vor dem Einschlafen (und sicherlich auch mit dem hypnotischen) eine gewisse Analogie in der Vertheilung der psy chischen Energie (der beweglichen Aufmerksamkeit) gemein hat. Beim Einschlafen treten die „ungewollten Vorstellungen“ hervor durch den Nachlass einer gewissen willkürlichen (und gewiss auch kritischen) Action, die wir auf den Ablauf unserer Vorstellung einwirken lassen; als den Grund dieses Nachlasses pflegen wir „Ermüdung“ anzugeben; die auftauchenden ungewollten Vorstellung verwandeln sich in visuelle und akustische Bilder. (Vergleiche die Bemerkungen von Schleiermacher 61) u. A. Seite 33.) Bei dem Zustand, den man zur Analyse der Träume und pathologischen Ideen benützt, verzichtet man absichtlich und willkürlich auf jene Activität und verwendet die ersparte psychische Energie (oder ein Stück derselben) zur aufmerksamen Verfolgung der jetzt auftauchenden ungewollten Gedanken, die ihren Charakter als Vorstellungen (dies der Unterschied gegen den Zustand beim Einschlafen) beibehalten. Man macht so die „ungewollten“ Vorstellungen zu „gewollten“. Es ist im Allgemeinen nicht schwierig, sich selbst oder einen Anderen in den gewünschten Zustand der kritiklosen Selbstbeobachtung zu versetzen. Die meisten meiner Patienten bringen es nach der ersten Unterweisung zu Stande; ich selbst kann es sehr vollkommen, wenn ich mich dabei durch Niederschreiben meiner Einfälle unterstütze. Der Betrag von psychischer Energie, um den man so die kritische Thätigkeit herabsetzt, und mit welchem man die Intensität der Selbstheobachtung erhöhen kann, schwankt erheblich je nach dem Thema, welches von der Aufmerksamkeit fixirt werden soll.Der erste Schritt bei der Anwendung dieses Verfahrens lehrt nun, dass man nicht den Traum als Ganzes, sondern nur die einzelnen Theilstücke seines Inhaltes zum Object der Aufmerksamkeit machen darf. Frage ich den noch nicht eingeübten Patienten: Was fällt Ihnen zu diesem Traum ein? so weiss er in der Regel nichts in seinem geistigen Blickfelde zu erfassen. Ich muss ihm den Traum zerstückt vorlegen, dann liefert er mir zu jedem Stück eine Reihe von Einfällen, die man als die „Hintergedanken“ dieser Traumpartie bezeichnen kann. In dieser ersten wichtigen Bedingung weicht also die von mir geübte Methode der Traumdeutung bereits von der populären, historisch und sagenhaft berühmten Methode der Deutung durch Symbolik ab und nähert sich der zweiten, der „Chiffrirmethode“. Sie ist wie diese eine Deutung en detail, nicht en masse; wie diese fasst sie den Traum von vorne herein als etwas Zusammengesetztes, als ein Conglomerat von psychischen Bildungen auf.Im Verlaufe meiner Psychoanalysen bei Neurotikern habe ich wohl bereits über tausend Träume zur Deutung gebracht, aber dieses Material möchte ich hier nicht zur Einführung in die Technik und Lehre der Traumdeutung verwenden. Ganz abgesehen davon, dass ich mich dem Einwand aussetzen würde, es seien ja die Träume von Neuropathen, die einen Rückschluss auf die Träume gesunder

§ 257

Ich werde also einen meiner eigenen Träume hervorsuchen und an ihm meine Deutungsweise erläutern. Jeder solche Traum macht einen Vorbericht nöthig. Nun muss ich aber den Leser bitten, für eine ganze Weile meine Interessen zu den seinigen zu machen und sich mit mir in die kleinsten Einzelheiten meines Lebens zu ver senken, denn solche Uebertragung fordert gebieterisch das Interesse für die versteckte Bedeutung der Träume.

§ 258

Vorbericht: Im Sommer 1895 hatte ich eine junge Dame psychoanalytisch behandelt, die mir und den Meinigen freundschaftlich sehr nahe stand. Man versteht es, dass solche Vermengung der Beziehungen zur Quelle mannigfacher Erregungen für den Arzt werden kann, zumal für den Psychotherapeuten. Das persönliche Interesse des Arztes ist grösser, seine Autorität geringer. Ein Misserfolg droht die alte Freundschaft mit den Angehörigen der Kranken zu lockern. Die Cur endete mit einem theilweisen Erfolg, die Patientin verlor ihre hysterische Angst, aber nicht alle ihre somatischen Symptome. Ich war damals noch nicht recht sicher in den Kriterien, welche die endgiltige Erledigung einer hysterischen Krankengeschichte bezeichnen, und muthete der Patientin eine Lösung zu, die ihr nicht annehmbar erschien. In solcher Uneinigkeit brachen wir der Sommerzeit wegen die Behandlung ab. — Eines Tages besuchte mich ein jüngerer College, einer meiner nächsten Freunde, der die Patientin — Irma — und ihre Familie in ihrem Landaufenthalt besucht hatte. Ich fragte ihn, wie er sie gefunden habe, und bekam die Antwort: Es geht ihr besser, aber nicht ganz gut. Ich weiss, dass mich diese Worte meines Freundes Otto oder der Ton, in dem sie gesprochen waren, ärgerten. Ich glaubte einen Vorwurf herauszuhören, etwa dass ich der Patientin zu viel versprochen hätte, und führte — ob mit Recht oder Unrecht — die vermeintliche Parteinahme Otto’s gegen mich auf den Einfluss von Angehörigen der Kranken zurück, die, wie ich annahm, meine Behandlung nie gerne gesehen hatten. Uebrigens wurde mir meine peinliche Empfindung nicht klar, ich gab ihr auch keinen Ausdruck. Am selben Abend schrieb ich noch die Krankengeschichte Irma’s nieder, um sie, wie zu meiner Rechtfertigung, dem Dr. M., ein gemeinsamen Freunde, der damals tonangebenden Persönlichkeit unserem Kreise, zu übergeben. In der auf diesen Abend folgenden Nacht (wohl eher am Morgen) hatte ich den nachstehenden Traum, der unmittelbar nach dem Erwachen fixirt wurde.

§ 259

Traum vom 23./24. Juli 1895.

§ 260

Eine große Halle — viele Gäste, die wir empfangen. — Unter ihnen Irma, die ich sofort bei Seite nehme, um gleichsam ihren Brief zu beantworten, ihr Vorwürfe zu machen, dass sie die „Lösung“ noch nicht acceptirt. Ich sage ihr: Wenn Du noch Schmerzen hast, so ist es wirklich nur Deine Schuld. — Sie antwortet: Wenn Du wüsstest, was für Schmerzen jetzt habe im Hals, Magen und Leib, es schnürt mich zusammen. — Ich erschrecke und sehe sie an. Sie sieht bleich und gedunsen aus; ich denke, am Ende übersehe ich da doch etwas Organisches. Ich nehme sie zum Fenster und schaue ihr in den Hals. Dabei zeigt sie etwas Sträuben wie die Frauen, die ein künstliches Gebiss tragen. Ich denke mir, sie hat es doch nicht nöthig. — Der Mund geht dann auch gut auf, und ich finde rechts einen grossen weissen Fleck, und anderwärts sehe ich an merkwürdigen krausen Gebilden, die offenbar den Nasenmuscheln nachgebildet sind, ausgedehnte weissgraue Schorfe. — Ich rufe schnell Dr. M. hinzu, der die Untersuchung wiederholt und bestätigt ..... Dr. M. sieht ganz anders aus als sonst; er ist sehr bleich, hinkt, ist am Kinn bartlos .... Mein Freund Otto steht jetzt auch neben ihr, und Freund Leopold percutirt sie über dem Leibchen und sagt: Sie hat eine Dämpfung links unten, weist auch auf eine infiltrirte Hautpartie an der linken Schulter hin (was ich trotz des Kleides wie er spüre) .... M. sagt: Kein Zweifel, es ist eine Infection, aber es macht nichts; es wird noch Dysenterie hinzukommen und das Gift sich ausscheiden .... Wir wissen auch unmittelbar, woher die Infection rührt. Freund Otto hat ihr unlängst, als sie sich unwohl fühlte, eine Injection gegeben mit einem Propylpräparat, Propylen ... Propionsäure .... Trimethylamin (dessen Formel ich fett gedruckt vor mir sehe) .. Man macht solche Injectionen nicht so leichtfertig ... Wahrscheinlich war auch die Spritze nicht rein.

§ 261

Dieser Traum hat vor vielen anderen eines voraus. Es ist sofort klar, an welche Ereignisse des letzten Tages er anknüpft, und welches Thema er behandelt. Der Vorbericht gibt hierüber Auskunft. Die Nachricht, die ich von Otto über Irma’s Befinden erhalten, die Krankengeschichte, an der ich bis tief in die Nacht geschrieben, haben meine Seelenthätigkeit auch während des Schlafes beschäftigt. Trotzdem dürfte niemand, der den Vorbericht und den Inhalt des Traumes zur Kenntnis genommen hat, ahnen können, was der Traum bedeutet. Ich selbst weiss es auch nicht. Ich wundere mich über die Krankheitssymptome, welche Irma im Traum mir klagt, da es nicht dieselben sind, wegen welcher ich sie behandelt habe. Ich lächle über die unsinnige Idee einer Injection mit Propionsäure und über den Trost, den Dr. M. ausspricht. Der Traum scheint mir gegen sein Ende hin dunkler und gedrängter, als er zu Beginn ist. Um die Bedeutung von alledem zu erfahren, muss ich mich zu einer eingehenden Analyse entschliessen.

§ 262

Analyse:

§ 263

Die Halle — viele Gäste, die wir empfangen. Wir wohnten in diesem Sommer auf der Bellevue, einem einzelstehenden Hause auf einem der Hügel, die sich an den Kahlenberg anschliessen. Dies Haus war ehemals zu einem Vergnügungslocal bestimmt, hat hievon die ungewöhnlich hohen, hallenförmigen Räume. Der Traum ist auch auf der Bellevue vorgefallen, und zwar wenige Tage vor dem Geburtsfeste meiner Frau. Am Tage hatte meine Frau die Erwartung ausgesprochen, zu ihrem Geburtstag würden mehrere Freunde, und darunter auch Irma, als Gäste zu uns kommen. Mein Traum anticipirt also diese Situation: Es ist der Geburtstag meiner Frau und viele Leute, darunter Irma, werden von uns als Gäste in der grossen Halle der Bellevue empfangen.

§ 264

Ich mache Irma Vorwürfe, dass sie die Lösung nicht acceptirt hat; ich sage: Wenn Du noch Schmerzen hast, ist es Deine eigene Schuld. Das hätte ich ihr auch im Wachen sagen können, oder habe es ihr gesagt. Ich hatte damals die (später als unrichtig erkannte) Meinung, dass meine Aufgabe sich darin erschöpfe, den Kranken den verborgenen Sinn ihrer Symptome mitzutheilen; ob sie diese Lösung dann annehmen oder nicht, wovon der Erfolg abhängt, dafür sei ich nicht mehr verantwortlich. Ich bin diesem jetzt glücklich überwundenen Irrthum dankbar dafür, dass er mir die Existenz zu einer Zeit erleichtert, da ich in all meiner unvermeidlichen Ignoranz Heilerfolge produciren sollte. — Ich merke aber an dem Satz, den ich im Traume zu Irma spreche, dass ich vor Allem nicht Schuld sein will an den Schmerzen, die sie noch hat. Wenn es Irma’s eigene Schuld ist, dann kann es nicht meine sein. Sollte in dieser Richtung die Absicht des Traumes zu suchen sein?

§ 265

Irma’s Klagen; Schmerzen im Hals, Leib und Magen, es schnürt sie zusammen. Schmerzen im Magen gehörten zum Symptomcomplex meiner Patientin, sie waren aber nicht sehr vordringlich; sie klagte eher über Empfindungen von Uebelkeit und Ekel. Schmerzen im Hals, im Leib, Schnüren in der Kehle spielten bei ihr kaum eine Rolle. Ich wundere mich, warum ich mich zu dieser Auswahl der Symptome im Traum entschlossen habe, kann es auch für den Moment nicht finden.

§ 266

Sie sieht bleich und gedunsen aus.

§ 267

Meine Patientin war immer rosig. Ich vermuthe, dass hier eine andere Person ihr unterschiebt.

§ 268

Ich erschrecke im Gedanken, dass ich doch organische Affection übersehen habe.

§ 269

Wie man mir gerne glauben wird, eine nie erlöschende Angst beim Specialisten, der fast ausschliesslich Neurotiker sieht, und der so viele Erscheinungen auf Hysterie zu schieben gewohnt ist, welche andere Aerzte als organisch behandeln. Andererseits beschleicht mich — ich weiß nicht woher — ein leiser Zweifel, ob mein Erschrecken ganz ehrlich ist. Wenn die Schmerzen Irma’s organisch begründet sind, so bin ich wiederum zu deren Heilung nicht verpflichtet. Meine Cur beseitigt ja nur hysterische Schmerzen. Es kommt mir also eigentlich vor, als sollte ich einen Irrthum in der Diagnose wünschen; dann wäre der Vorwurf des Misserfolges auch beseitigt.

§ 270

Ich nehme sie zum Fenster, um ihr in den Hals zu sehen. Sie sträubt sich ein wenig wie die Frauen, die falsche Zähne tragen. Ich denke mir, sie hat es ja doch nicht nöthig.

§ 271

Bei Irma hatte ich niemals Anlass, die Mundhöhle zu inspiciren. Der Vorgang im Traum erinnert mich an die vor einiger Zeit vorgenommene Untersuchung einer Gouvernante, die zunächst den Eindruck von jugendlicher Schönheit gemacht hatte, beim Oeffnen des Mundes aber gewisse Anstalten traf, um ihr Gebiss zu verbergen. An diesen Fall knüpfen sieh andere Erinnerungen an ärztliche Untersuchungen und an kleine Geheimnisse, die dabei, keinem von Beiden zur Lust, enthüllt werden. — Sie hat es doch nicht nöthig, ist wohl zunächst ein Compliment für Irma; ich vermuthe aber noch eine andere Bedeutung. Man fühlt es hei aufmerksamer Analyse, ob man die zu erwartenden Hintergedanken erschöpft hat oder nicht. Die Art, wie Irma beim Fenster steht, erinnert mich plötzlich an ein anderes Erlebnis. Irma besitzt eine intime Freundin, die ich sehr hoch schätze. Als ich eines Abends bei ihr einen Besuch machte, fand ich sie in der im Traum reproducirten Situation beim Fenster, und ihr Arzt, derselbe Dr. M., erklärte, dass sie einen diphtheritischen Belag habe. Die Person des Dr. M. und der Belag kehren ja im Fortgang des Traumes wieder. Jetzt fällt mir ein, dass ich in den letzten Monaten allen Grund bekommen habe, von dieser anderen Dame anzunehmen, sie sei gleichfalls hysterisch. Ja, Irma selbst hat es mir verrathen. Was weiss ich aber von ihren Zuständen? Gerade das eine, dass sie am hysterischen Würgen leidet wie meine Irma im Traum. Ich habe also im Traum meine Patientin durch ihre Freundin ersetzt. Jetzt erinnere ich mich, ich habe oft mit der Vermuthung gespielt, diese Dame könnte mich gleichfalls in Anspruch nehmen, sie von ihren Symptomen zu befreien. Ich hielt es aber dann selbst für unwahrscheinlich, denn sie ist von sehr zurückhaltender Natur. Sie sträubt sich, wie es der Traum zeigt. - Eine andere Erklärung wäre, dass sie es nicht nöthig hat; sie hat sich wirklich bisher stark genug gezeigt, ihre Zustände ohne fremde Hilfe zu beherrschen. Nun sind nur noch einige Züge übrig, die ich weder bei Irma noch bei ihrer Freundin unterbringen kann: bleich, gedunsen, falsche Zähne. Die falschen Zähne führten mich auf jene Gouvernante; ich fühle mich nun geneigt, mich mit schlechten Zähnen zu begnügen. Dann fällt mir eins andere Person ein, auf welche jene Züge anspielen können. Sie ist gleichfalls nicht meine Patientin, und ich möchte sie nicht zur Patientin haben, da ich gemerkt habe, dass sie sich vor mir genirt, und ich sie für keine gefügige Kranke halte. Sie ist für gewöhnlich bleich, und als sie einmal eine besonders gute Zeit hatte, war sie gedunsen.*)*) Ich habe also meine Patientin Irma mit zwei anderen Personen verglichen, die sich gleichfalls der Behandlung sträuben würden. Was kann es für Sinn haben, dass ich sie im Traume mit ihrer Freundin vertauscht habe? Etwa, dass ich sie vertauschen möchte; die Andere erweckt entweder bei mir stärkere Sympathien oder ich habe eine höhere Meinung von ihrer Intelligenz. Ich halte nämlich Irma für unklug, weil sie meine Lösung nicht acceptirt. Die Andere wäre klüger, würde also eher nachgeben. Der Mund geht dann auch gut auf; sie würde mehr erzählen als Irma.**)**)

§ 272

Was ich im Halse sehe: einen weissen Fleck; verschorfte Nasenmuscheln.

§ 273

Der weisse Fleck erinnert an Diphtheritis und somit an Irma’s Freundin, ausserdem aber an die schwere Erkrankung meiner ältesten Tochter vor nahezu zwei Jahren, und an all den Schreck jener bösen Zeit. Die Schorfe an den Nasenmuscheln mahnen an eine Sorge um meine eigene Gesundheit. Ich gebrauchte damals häufig Cocain, um lästige Nasenschwellungen zu unterdrücken, und hatte vor wenigen Tagen gehört, dass eine Patientin, die es mir gleich that, sich eine ausgedehnte Nekrose der Nasenschleimhaut zugezogen hatte. Die Empfehlung des Cocains, die 1885 von mir ausging, hat mir auch schwerwiegende Vorwürfe eingetragen. Ein theurer, 1895 schon verstorbener Freund hatte durch den Missbrauch dieses Mittels seinen Untergang beschleunigt.

§ 274

Ich rufe schnell Dr. M. hinzu, der die Untersuchung wiederholt.

§ 275

Das entspräche einfach der Stellung, die M. unter uns einnahm. Aber das „schnell“ ist auffällig genug, um eine besondere Erklärung zu fordern. Es erinnert mich an ein trauriges ärztliches, Erlebnis. Ich hatte einmal durch die fortgesetzte Ordination eines Mittels, welches damals noch als harmlos galt (Sulfonal), eine schwere Intoxication bei einer Kranken hervorgerufen und wandte mich dann eiligst an den erfahrenen älteren Collegen um Beistand. Dass ich diesen Fall wirklich im Auge habe, wird durch einen Nebenumstand erhärtet. Die Kranke, welche der Intoxication erlag, führte den selben Namen wie meine älteste Tochter. Ich hatte bis jetzt niemals daran gedacht; jetzt kommt es mir beinahe wie eine Schicksalsvergeltung vor. Als sollte sich die Ersetzung der Personen in anderem Sinne hier fortsetzen; diese Mathilde für jene Mathilde; Aug’ um Aug’, Zahn um Zahn. Es ist, als ob ich alle Gelegenheiten hervorsuchte, aus denen ich mir den Vorwurf mangelnder ärztlicher Gewissenhaftigkeit machen kann.

*) Auf diese dritte Person lässt sich auch die noch unaufgeklärte Klage über Schmerzen im Leib zurückführen. Es handelt sich natürlich um meine eigene Frau; die Leibschmerzen erinnern mich an einen der Anlässe, bei denen ihre mir deutlich wurde. Ich muss mir eingestehen, dass ich Irma und meine Frau in diesem Traums nicht sehr liebenswürdig behandle, aber zu meiner Entschuldigung sei bemerkt, dass ich beide am Ideal der braven, gefügigen Patientin messe. **) Ich ahne, dass die Deutung dieses Stückes nicht weit genug geführt ist, um allem verborgenen Sinn zu folgen. Wollte ich die Vergleichung der drei Frauen fortsetzen, so käme ich weit ab. — Jeder Traum hat mindestens eine Stelle welcher er unergründlich ist, gleichsam einen Nabel, durch den er mit Unerkannten zusammenhängt. § 276

Dr. M. ist bleich, ohne Bart am Kinn und hinkt.

§ 277

Davon ist soviel richtig, dass sein schlechtes Aussehen häufig die Sorge seiner Freunde erweckt. Die beiden anderen Charaktere müssen einer anderen Person angehören. Es füllt mir mein im Auslande lebender älterer Bruder ein, der das Kinn rasirt trägt und dem, wenn ich mich recht erinnere, der M. des Traumes im Ganzen ähnlich sah. Ueber ihn kam vor einigen Tagen die Nachricht, dass er wegen einer arthritischen Erkrankung in der Hüfte hinke. Es muss einen Grund haben, dass ich die beiden Personen im Traume zu einer einzigen verschmelze. Ich erinnere mich wirklich, dass ich gegen Beide aus ähnlichen Gründen missgestimmt war. Beide hatten einen gewissen Vorschlag, den ich ihnen in der letzten Zeit gemacht hatte, zurückgewiesen.

§ 278

Freund Otto steht jetzt bei der Kranken und Freund Leopold untersucht sie und weist eine Dämpfung links unten nach.

§ 279

Freund Leopold ist gleichfalls Arzt, ein Verwandter von Otto. Das Schicksal hat die Beiden, da sie dieselbe Specialität ausüben, zu Concurrenten gemacht, die man beständig mit einander vergleicht. Sie haben mir Beide Jahre hindurch assistirt, als ich noch eine öffentliche Ordination für nervenkranke Kinder leitete. Scenen, wie die im Traum reproducirte, haben sich dort oftmals zugetragen. Während ich mit Otto über die Diagnose eines Falles debattirte, hatte Leopold das Kind neuerdings untersucht und einen unerwarteten Beitrag zur Entscheidung beigebracht. Es bestand eben zwischen ihnen eine ähnliche Charakterverschiedenheit wie zwischen dem Inspector Bräsig und seinem Freunde Karl. Der Eine that sich durch „Fixigkeit“ hervor, der Andere war langsam, bedächtig, aber gründlich. Wenn ich im Traume Otto und den vorsichtigen Leopold einander gegenüberstelle, so geschieht es offenbar, um Leopold herauszustreichen. Es ist ein ähnliches Vergleichen wie oben zwischen der unfolgsamen Patientin Irma und ihrer für klüger gehaltenen Freundin. Ich merke jetzt auch eines der Geleise, auf denen sich die Gedankenverbindung im Traume fortschiebt: vom kranken Kind zum Kinderkrankeninstitut. — Die Dämpfung links unten macht mir den Eindruck, als entspräche sie allen Details eines einzelnen Falles, in dem mich Leopold durch seine Gründlichkeit frappirt hat. Es schwebt mir ausserdem etwas vor wie eine metastatische Affection, aber es könnte auch eine Beziehung zu der Patientin sein, die ich an Stelle von Irma haben möchte. Diese Dame imitirt nämlich, soweit ich es übersehen ka eine Tuberculose.

§ 280

Eine infiltrirte Hautpartie an der linken Schulter.

§ 281

Ich weiss sofort, das ist mein eigener Schulterrheumatismus, den ich regelmässig verspüre, wenn ich bis tief in die Nacht wach geblieben bin. Der Wortlaut im Traume klingt auch so zweideutig: was ich ... wie er spüre. Am eigenen Körper spüre, ist gemeint. Uebrigens fällt mir auf, wie ungewöhnlich die Bezeichnung „infiltrirte Hautpartie“ klingt. An die „Infiltration links hinten oben“ sind wir gewöhnt; die bezöge sich auf die Lunge und somit wieder auf Tuberculose.

§ 282

Trotz des Kleides. Das ist allerdings nur eine Einschaltung. Die Kinder im Krankeninstitut untersuchten wir natürlich entkleidet; es ist irgend ein Gegensatz zur Art, wie man erwachsene weibliche Patienten untersuchen muss. Von einem hervorragenden Kliniker pflegte man zu erzählen, dass er seine Patienten stets nur durch die Kleider physikalisch untersucht habe. Das Weitere ist mir dunkel, ich habe, offen gesagt, keine Neigung, mich hier tiefer einzulassen.

§ 283

Dr. M. sagt: Es ist eine Infection, aber es macht nichts. Es wird noch Dysenterie hinzukommen das Gift sich ausscheiden.

§ 284

Das erscheint mir zuerst lächerlich, muss aber doch, wie alles andere, sorgfältig zerlegt werden. Näher betrachtet, zeigt es eine Art von Sinn. Was ich an der Patientin gefunden habe, war eine locale Diphtheritis. - Aus der Zeit der Erkrankung meiner Tochter erinnere ich mich an die Discussion über Diphtheritis und Diphtherie. Letztere ist die Allgemeininfection, die von der localen Diphtheritis ausgeht. Eine solche Allgemeininfection weist Leopold durch die Dämpfung nach, welche also an metastatische Herde denken lässt. Ich glaube zwar, dass gerade bei Diphtherie derartige Metastasen nicht vorkommen. Sie erinnern mich eher an Pyämie.

§ 285

Es macht nichts, ist ein Trost. Ich meine, er fügt sich folgendermassen ein: Das letzte Stück des Traumes hat den Inhalt gebracht, dass die Schmerzen der Patientin von einer schweren organischen Affection herrühren. Es ahnt mir, dass ich auch nur die Schuld von mir abwälzen will. Für den Fortbestand diphtheritischer Leiden kann die psychische Cur nicht verantwortlich gemacht werden. Nun genirt es mich doch, dass ich Irma ein so schweres Leiden andichte, einzig und allein, um mich zu entlasten. Es sieht so grausam aus. Ich brauche also eine Versicherung des guten Ausganges, und es scheint mir nicht übel gewählt, dass ich den Trost gerade der Person des Dr. M. in den Mund lege. Ich erhebe mich aber hier über den Traum, was der Aufklärung bedarf.

§ 286

Warum ist dieser Trost aber so unsinnig?

§ 287

Dysenterie: Irgend eine fernliegende theoretische Vorstellung, dass Krankheitsstoffe durch den Darm entfernt werden können. Will ich mich damit über den Reichthum des Dr. M. an weit her geholten Erklärungen, sonderbaren pathologischen Verknüpfungen lustig machen? Zu Dysenterie füllt mir noch etwas anderes ein. Vor einigen Monaten hatte ich einen jungen Mann mit merkwürdigen Stuhlbeschwerden übernommen, den andere Collegen als einen Fall von „Anämie mit Unterernährung“ behandelt hatten. Ich erkannte, dass es sich um eine Hysterie handle, wollte meine Psychotherapie nicht an ihm versuchen und schickte ihn auf eine Seereise. Nun bekam ich vor einigen Tagen einen verzweifelten Brief von ihm aus Aegypten, dass er dort einen neuen Anfall durchgemacht, den der Arzt für Dysenterie erklärt habe. Ich vermuthe zwar, die Diagnose ist nur ein Irrthum des unwissenden Collegen, der sich von der Hysterie äffen lässt; aber ich konnte mir doch die Vorwürfe nicht ersparen, dass ich den Kranken in die Lage versetzt, sich zu seiner hysterischen Darmaffection etwa noch eine organische zu holen. Dysenterie klingt ferner an Diphtherie an, welcher Name ††† im Traum nicht genannt wird.

§ 288

Ja, es muss so sein, dass ich mich mit der tröstlichen Prognose: Es wird noch Dysenterie hinzukommen u. s. w. über Dr. M. lustig mache, denn ich entsinne mich, dass er mir einmal vor Jahren etwas ganz Aehnliches von einem anderen Collegen lachend erzählt hat. Er war zur Consultation mit diesem Collegen bei einem schwer Kranken berufen worden und fühlte sieh veranlasst, dem Anderen, der sehr hoffnungsfreudig schien, vorzuhalten, dass er beim Patienten Eiweiss im Harn finde. Der College liess sich aber nicht irre machen, sondern antwortete beruhigt: Das macht nichts, Herr College, der Eiweiss wird sich schon ausscheiden! — Es ist mir also nicht mehr zweifehaft, dass in diesem Stück des Traumes ein Hohn auf die der Hysterie unwissenden Collegen enthalten ist. Wie zur Bestätigung fährt mir jetzt durch den Sinn: Weiss denn Dr. M., dass die Erscheinungen bei seiner Patientin, der Freundin Irma’s, welche eine Tuberculose befürchten lassen, auch auf Hysterie beruhen? Hat er diese Hysterie erkannt, oder ist er ihr „aufgesessen“ ?

§ 289

Welches Motiv kann ich aber haben, diesen Freund so schlecht zu behandeln? Das ist sehr einfach: Dr. M. ist mit meiner „Lösung“ bei Irma so wenig einverstanden wie Irma selbst. Ich habe also in diesem Traum bereits an zwei Personen Rache genommen, an Irma mit den Worten: Wenn Du noch Schmerzen hast, ist es Deine eigene Schuld, und an Dr. M. mit dem Wortlaut der ihm in den Mund gelegten unsinnigen Tröstung.

§ 290

Wir wissen unmittelbar, woher die Infection rührt. Dies unmittelbare Wissen im Traume ist sehr merkwürdig. Eben vorhin wussten wir es noch nicht, da die Infection erst durch Leopold nachgewiesen wurde.

§ 291

Freund Otto hat ihr, als sie sich unwohl fühlte, eine Injection gegeben. Otto hatte wirklich erzählt, dass in der kurzen Zeit seiner Anwesenheit bei Irma’s Familie in’s benachbarte Hotel geholt wurde, um dort Jemandem, der sich lich unwohl fühlte, eine Injection zu machen. Die Injectionen erinnern mich wieder an den unglücklichen Freund, der sich mit Cocain vergiftet hat. Ich hatte ihm das Mittel nur zur internen Anwendung während der Morphiumentziehung gerathen; er machte sich aber unverzüglich Cocaininjectionen.

§ 292

Mit einem Propylpräparat ... Propylen ... Propionsäure. Wie komme ich nur dazu? Am selben Abend, nach welchem ich an der Krankengeschichte geschrieben und darauf geträumt hatte, öffnete meine Frau eine Flasche Liqueur, auf welcher „Ananas“*)*) zu lesen stand, und die ein Geschenk unseres Freundes Otto war. Er hat nämlich die Gewohnheit, bei allen möglichen Anlässen zu schenken; hoffentlich wird er einmal durch eine Frau davon curirt. Diesem Liqueur entströmte ein solcher Fuselgeruch, dass ich mich weigerte, davon zu kosten. Meine Frau meinte: Diese Flasche schenken wir den Dienstleuten, und ich noch vorsichtiger untersagte es mit der menschenfreundlichen Bemerkung, sie sollen sich auch nicht vergiften. Der Fuselgeruch (Amyl ...) hat nun offenbar bei mir die Erinnerung an die ganze Reihe: Prpyl, Methyl u. s. w. geweckt, die für den Traum die Propylenpräparate lieferte. Ich habe dabei allerdings eine Substitution vorgenommen, Propyl geträumt, nachdem ich Amyl gerochen, aber derartige Substitutionen sind vielleicht gerade in der organischen Chemie gestattet.

§ 293

Trimethylamin. Von diesem Körper sehe ich im Traum die chemische Formel, was jedenfalls eine grosse Anstrengung meines Gedächtnisses bezeugt, und zwar ist die Formel fett gedruckt, als wollte man aus dem Context etwas als ganz besonders wichtig heben. Worauf führt mich nun Trimethylamin, auf das ich in solcher Weise aufmerksam gemacht werde? Auf ein Gespräch mit einem anderen Freunde, der seit Jahren um all meine meine Arbeiten weiss, wie ich um die seinigen. Er hatte mir damals gewisse Ideen zu einer Sexualchemie mitgetheilt und unter anderem erwähnt, eines der Producte des Sexualstoffwechsels glaube er im Trimethylamin zu erkennen. Dieser Körper führt mich also auf die Sexualität, auf jenes Moment, dem ich für die Entstehung der nervösen Affectionen, welche ich heilen will, die grösste Bedeutung beilege. Meine Patientin Irma ist eine jugendliche Witwe; wenn es mir darum zu thun ist, den Misserfolg der Cur bei ihr zu etnschul digen, werde ich mich wohl am besten auf diese Thatsache berufen, an welcher ihre Freunde gerne ändern möchten. Wie merkwürdig übrigens ein solcher Traum gefügt ist! Die Andere, welche ich an Irma’s Statt im Traume zur Patientin habe, ist auch eine junge Witwe.

*) „Ananas“ enthält übrigens einen merkwürdigen Anklang an den Familiennamen meiner Patientin Irma. § 294

Ich ahne, warum die Formel Trimethylamin im Traume sich so breit gemacht hat. Es kommt soviel Wichtiges in diesem einen Wort zusammen: Trimethylamin ist nicht nur eine Anspielung auf das übermächtige Moment der Sexualität, sondern auch auf eine Person, an deren Zustimmung ich mich mit Befriedigung erinnere, wenn ich mich mit meinen Ansichten verlassen fühle. Sollte dieser Freund, der in meinem Leben eine so grosse Rolle spielt, in dem Gedankenzusammenhang des Traumes weiter nicht vorkommen? Doch; er ist ein besonderer Kenner der Wirkungen, welche von Affectionen der Nase und ihrer Nebenhöhlen ausgehen, und hat der Wissenschaft einige höchst merkwürdige Beziehungen der Nasenmuscheln zu den weiblichen Sexualorganen. eröffnet. (Die drei krausen Gebilde im Hals bei Irma.) Ich habe Irma von ihm untersuchen lassen, ob ihre Magenschmerzen etwa nasalen Ursprungs sind. Er leidet aber selbst an Naseneiterungen; die mir Sorge bereiten, und darauf spielt wohl die Pyämie an, die mir bei den Metastasen des Traumes vorschwebt.

§ 295

Man macht solche Injectionen nicht so leichtfertig. Hier wird der Vorwurf der Leichtfertigkeit unmittelbar gegen Freund Otta geschleudert. Ich glaube, etwas Aenliches habe ich mir am Nachmittage gedacht, als er durch Wort und Blick seine Parteinahme gegen mich zu bezeugen schien. Es war etwa: Wie leicht er sich beeinflussen lässt; wie leicht er mit seinem Urtheil fertig wird. — Ausserdem deutet mir der obenstehende Satz wiederum auf den verstorbenen Freund, der sich so rasch zu Cocaininjectionen entschloss. Ich hatte Injectionen mit dem Mittel, wie gesagt, gar nicht beabsichtigt. Bei dem Vorwurf, den ich gegen Otto erhebe, leichtfertig mit jenen chemischen Stoffen umzugehen, merke ich, dass ich wieder die Geschichte jener unglücklichen Mathilde berühre, aus der derselbe Vorwurf gegen mich hervorgeht. Ich sammle hier offenbar Beispiele für meine Gewissenhaftigkeit, aber auch für’s Gegentheil.

§ 296

Wahrscheinlich war auch die Spritze nicht rein. Noch ein Vorwurf gegen Otto, der aber anderswoher stammt. Gestern traf ich zufällig den Sohn einer 82jährigen Dame, der ich täglich zwei Morphiuminjectionen geben muss. Sie ist gegenwärtig auf dem Lande, und ich hörte über sie, dass sie an einer Venenentzündung leide. Ich dachte sofort daran, es handle sich um ein Infiltrat durch Verunreinigung der Spritze. Es ist mein Stolz, dass ich ihr in zwei Jahren nicht ein einziges Infiltrat gemacht habe; es ist freilich meine beständige Sorge, ob die Spritze auch rein ist. Ich bin eben gewissenhaft. Von der Venenentzündung komme ich wieder auf meine Frau, die in einer Schwangerschaft an Venenstauungen gelitten, und nun tauchen in meiner Erinnerung drei ähnliche Situationen, mit meiner Frau, mit Irma und der verstorbenen Mathilde auf, deren Identität mir offenbar das Recht gegeben die drei Personen im Traum für einander einzusetzen.

§ 297

Ich habe nun die Traumdeutung vollendet. Während die Arbeit hatte ich Mühe, mich all der Einfälle zu erwehren, zu denen der Vergleich zwischen dem Trauminhalt und den dahinter versteckten Traumgedanken die Anregung geben musste. - Auch ist mir unterdess der „Sinn“ des Traumes aufgegangen. Ich habe eine Absicht gemerkt, welche durch den Traum verwirklicht wird und die das Motiv des Träumens gewesen sein muss. Der Traum erfüllt einige Wünsche, welche durch die Ereignisse des letzten Abends (die Nachricht Otto’s, die Niederschrift der Krankengeschichte) in mir rege gemacht worden sind. Das Ergebnis des Traumes ist nämlich, dass ich nicht Schuld bin an dem noch vorhandenen Leiden Irma’s, und dass Otto daran schuld ist. Nun hat mich Otto durch seine Bemerkung über Irma’s unvollkommene Heilung geärgert, der Traum rächt mich an ihm, indem er den Vorwurf auf ihn selbst zurückwendet. Von der Verantwortung für Irma’s Befinden spricht der Traum mich frei, indem er dasselbe auf andere Momente (gleich eine ganze Reihe von Begründungen) zurückführt. Der Traum stellt einen gewissen Sachverhalt so dar, wie ich ihn wünschen möchte; sein Inhalt ist also eine Wunscherfüllung, sein Motiv ein Wunsch.

§ 298

Soviel springt in die Augen. Aber auch von den Details des Traumes wird mir manches unter dem Gesichtspunkte der Wunscherfüllung verständlich. Ich räche mich nicht nur an Otto für seine voreilige Parteinahme gegen mich, indem ich ihm eine voreilige ärztliche Handlung zuschiebe (die Injection), sondern ich nehme auch Rache an ihm für den schlechten Liqueur, der nach Fusel duftet, und ich finde im Traum einen Ausdruck, der beide Vorwürfe vereint: die Injection mit einem Propylenpräparat. Ich bin noch nicht befriedigt, sondern setze meine Rache fort, indem ich ihm seinen verlässlicheren Concurrenten gegenüberstelle. Ich scheine damit zu sagen: Der ist mir lieber als Du. Otto ist aber nicht der Einzige, der die Schwere meines Zornes zu fühlen hat. Ich räche mich auch an der unfolgsamen Patientin, indem ich sie mit einer klügeren, gefügigeren vertausche. Ich lasse auch dem Dr. M. seinen Widerspruch nicht ruhig hingehen, sondern drücke ihm in einer deutlichen Anspielung meine Meinung aus, dass er der Sache als ein Unwissender gegenübersteht („Es wird Dysenterie hinzutreten etc.“). Ja, mir scheint, ich appellire von ihm weg an einen Anderen, Besserwissenden (meinen Freund, der mir vom Trimethylamin erzählt hat), wie ich von Irma an ihre Freundin, von Otto an Leopold mich gewendet habe. Schafft mir diese Personen weg, ersetzt sie mir durch drei andere meiner Wahl, dann bin ich der Vorwürfe ledig, die ich nicht verdient haben will! Die Grundlosigkeit dieser Vorwürfe selbst wird mir im Traume auf die weitläufigste Art erwiesen. Irma’s Schmerzen fallen nicht mir zur Last, denn sie ist selbst schuld an ihnen, indem sie meine Lösung anzunehmen verweigert. Irma’s Schmerzen gehen mich nichts an, denn sie sind organischer Natur, durch eine psychische Cur gar nicht heilbar. Irma’s Leiden erklären sich befriedigend durch ihre Witwenschaft (Trimethylamin!), woran ich ja nichts ändern kann. Irma’s Leiden ist durch eine unvorsichtige Injection von Seiten Otto’s hervorgerufen worden mit einem dazu nicht geeigneten Stoff, wie ich sie nie gemacht hätte. Irma’s Leiden rührt von einer Injection mit unreiner Spritze her wie die Venenentzündung meiner alten Dame, während ich bei meinen Injectionen niemals etwas anstelle. Ich merke zwar, diese Erklärungen für Irma’s Leiden, die darin zusammentreffen mich zu entlasten, stimmen unter einander nicht zusammen, ja sie schliessen einander aus. Das ganze Plaidoyer — nichts anderes ist dieser Traum — erinnert lebhaft an die Vertheidigung des Mannes, der von seinem Nachbar angeklagt war, ihm einen Kessel in schadhaftem Zustande zurückgegeben zu haben. Erstens habe er ihn unversehrt zurückgebracht, zweitens war der Kessel schon durchlöchert, wie er ihn entlehnte, drittens hat er nie einen Kessel vom Nachbar entlehnt. Aber um so besser; wenn nur eine dieser drei Vertheidigungsarten stichhältig erkannt wird, muss der Mann freigesprochen werden.

§ 299

Es spielen in den Traum noch andere Themata hinein, deren Beziehung zu meiner Entlastung von Irma’s Krankheit nicht so durchsichtig ist: Die Krankheit meiner Tochter und die einer gleichnamigen Patientin, die Cocainschädlichkeit, die Affection meines in Aegypten reisenden Patienten, die Sorge um die Gesundheit meiner Frau, meines Bruders, des Dr. M., meine eigenen Körperbeschwerden, die Sorge um den abwesenden Freund, der an Naseneiterungen leidet. Doch wenn ich all das in’s Auge fasse, fügt es sich zu einem einzigen Gedankenkreis zusammen, etwa mit der Etiquette: Sorge um die Gesundheit, eigene und fremde, ärztliche Gewissenhaftigkeit. Ich erinnere mich an eine unklare peinliche Empfindung, als mir Otto die Nachricht von Irma’s Befinden brachte. Aus dem im Traume mitspielenden Gedankenkreis möchte ich nachträglich den Ausdruck für diese flüchtige Empfindung einsetzen. Es ist, als ob er mir gesagt hätte: Du nimmst Deine ärztlichen Pflichten nicht ernsthaft genug, bist nicht gewissenhaft, hältst nicht, was Du versprichst. Daraufhin hätte sich mir jener Gedankenkreis zur Verfügung gestellt, damit ich den Nachweis erbringen könne, in wie hohem Grade ich gewissenhaft bin, wie sehr mir die Gesundheit meiner Angehörigen, Freunde und Patienten am Herzen liegt. Bemerkenswerther Weise sind unter diesem Gedankenmaterial auch peinliche Erinnerungen, die eher für die meinem Freund Otto zugeschriebene Beschuldigung als für meine Entschuldigung sprechen. Das Material ist gleichsam unparteiisch, aber der Zusammenhang dieses breiteren Stoffes, auf dem der Traum ruht, mit dem engeren Thema des Traumes, aus dem der Wunsch hervorgegangen ist, an Irma’s Krankheit unschuldig zu sein, ist doch unverkennbar.

§ 300

Ich will nicht behaupten, dass ich den Sinn dieses Traumes vollständig aufgedeckt habe, dass seine Deutung eine lückenlose ist.

§ 301

Ich könnte noch lange bei ihm verweilen, weitere Aufklärungen aus ihm entnehmen und neue Räthsel erörtern, die er aufwerfen heisst. Ich kenne selbst die Stellen, von denen aus weitere Gedankenzusammenhänge zu verfolgen sind; aber Rücksichten, wie sie bei jedem eigenen Traum in Betracht kommen, halten mich von der Deutungsarbeit ab. Wer mit dem Tadel für solche Reserve rasch bei der Hand ist, der möge nur selbst versuchen, aufrichtiger zu sein als ich. Ich begnüge mich für den Moment mit der einen neu gewonnenen Erkenntnis: Wenn man die hier angezeigte Methode der Traumdeutung befolgt, findet man, dass der Traum wirklich einen Sinn hat und keineswegs der Ausdruck einer zerbröckelten Hirnthätigkeit ist, wie die Autoren wollen. Nach vollendeter Deutungsarbeit lässt sich der Traum als eine Wunscherfüllung erkennen.

§ 302

III. Der Traum ist eine Wunscherfüllung.

§ 303

Wenn man einen engen Hohlweg passirt hat und plötzlich auf einer Anhöhe angelangt ist, von welcher aus die Wege sich theilen und die reichste Aussicht nach verschiedenen Richtungen sich öffnet, darf man einen Moment lang verweilen und überlegen, wohin man zunächst sich wenden soll. Aehnlich ergeht es uns, nachdem wir diese erste Traumdeutung überwunden haben. Wir stehen in der Klarheit einer plötzlichen Erkenntnis. Der Traum ist nicht vergleichbar dem unregelmässigen Ertönen eines musikalischen Instrumentes, das anstatt von der Hand des Spielers von dem Stoss einer äusseren Gewalt getroffen wird, er ist nicht sinnlos, nicht absurd, setzt nicht voraus, dass ein Theil unseres Vorstellungsschatzes schläft, während ein anderer zu erwachen beginnt. Er ist ein vollgiltiges psychisches Phänomen, und zwar eine Wunscherfüllung; er ist einzureihen in den Zusammenhang der uns verständlichen seelischen Actionen des Wachens; eine hoch complicirte intellectuelle Thätigkeit hat ihn aufgebaut. Aber eine Fülle von Fragen bestürmt uns im gleichen Moment, da wir uns dieser Erkenntnis freuen wollen. Wenn der Traum laut Angabe der Traumdeutung einen erfüllten Wunsch darstellt, woher rührt die auffällige und befremdende Form, in welcher diese Wunscherfüllung ausgedrückt ist? Welche Veränderung ist mit den Traumgedanken vorgegangen, bis sich aus ihnen der manifeste Traum, wie wir ihn beim Erwachen erinnern, gestaltete? Auf welchem Wege ist diese Veränderung vor sich gegangen? Woher stammt das Material, das zum Traum verarbeitet worden ist? Woher rühren manche der Eigenthümlichkeiten, die wir an den Traumgedanken bemerken konnten, wie z. B., dass sie einander widersprechen dürfen? (Die Analogie mit dem Kessel, Seite 83.) Kann der Traum uns etwas Neues über unsere inneren psychischen Vorgänge lehren, kann sein Inhalt Meinungen corrigiren, an die wir tagsüber geglaubt haben? Ich schlage vor, alle diese Fragen einstweilen bei Seite zu lassen und einen einzigen Weg weiter zu verfolgen. Wir haben er fahren, dass der Traum einen Wunsch als erfüllt darstellt. Unser nächstes Interesse soll es sein zu erkunden, ob dies ein allgemeiner Charakter des Traumes ist, oder nur der zufällige Inhalt jenes Traumes („von Irma’s Injection“), mit dem unsere Analyse begonnen hat, denn selbst wenn wir uns darauf gefasst machen, dass jeder Traum einen Sinn und psychischen Werth hat, müssen wir noch die Möglichkeit offen lassen, dass dieser Sinn nicht in jedem Traume der nämliche sei. Unser erster Traum war eine Wunscherfüllung; ein anderer stellt sich vielleicht als eine erfüllte Befürchtung heraus; ein dritter mag eine Reflexion zum Inhalt haben, ein vierter einfach eine Erinnerung reproduciren. Gibt es also noch andere Wunschträume oder gibt es vielleicht nichts anderes als Wunschträume?

§ 304

Es ist leicht zu zeigen, dass die Träume häufig den Charakter der Wunscherfüllung unverhüllt erkennen lassen, so dass man sich wundern mag, warum die Sprache der Träume nicht schon längst ein Verständnis gefunden hat. Da ist z. B. ein Traum, den ich mir beliebig oft, gleichsam experimentell, erzeugen kann. Wenn ich am Abend Sardellen, Oliven oder sonst stark gesalzene Speisen nehme, bekomme ich in der Nacht Durst, der mich weckt. Dem Erwachen geht aber ein Traum voraus, der jedesmal den gleichen Inhalt hat, nämlich, dass ich trinke. Ich schlürfe Wasser in vollen Zügen, es schmeckt mir so köstlich, wie nur ein kühler Trunk schmecken kann, wenn man verschmachtet ist, und dann erwache ich und muss wirklich trinken. Der Anlass dieses einfachen Traumes ist der Durst, den ich ja beim Erwachen verspüre. Aus dieser Empfindung geht der Wunsch hervor zu trinken, und diesen Wunsch zeigt mir der Traum erfüllt. Er dient dabei einer Function, die ich bald errathe. Ich bin ein guter Schläfer, nicht gewöhnt durch ein Bedürfnis geweckt zu werden. Wenn es mir gelingt, meinen Durst durch den Traum, dass ich trinke, zu beschwichtigen, so brauche ich nicht aufzuwachen, um ihn zu befriedigen. Es ist also ein Bequemlichkeitstraum. Das Träumen setzt sich an Stelle des Handelns wie auch sonst im Leben. Leider ist das Bedürfnis nach Wasser, um den Durst zu löschen, nicht mit einem Traum zu befriedigen, wie mein Rachedurst gegen Freund Otto und Dr. M., aber der gute Wille ist der gleiche. Derselbe Traum hat sich unlängst einigermassen modificirt. Da bekam ich schon vor dem Einschlafen Durst und trank das Wasserglas leer, das auf dem Kästchen neben meinem Bett stand. Einige Stunden später kam in der Nacht ein neuer Durstanfall, der seine Unbequemlichkeiten im Gefolge hatte. Um mir Wasser zu verschaffen, hätte ich aufstehen und mir das Glas holen müssen, welches auf dem Nachtkästchen meiner Frau stand. Ich träumte also zweckentsprechend, dass meine Frau mir aus einem Gefäss zu trinken gibt; dies Gefäss war ein etruskischer Aschenkrug, denn ich mir von einer italienischen Reise heimgebracht und seither verschenkt hatte. Das Wasser in ihm schmeckte aber so salzig (von der Asche offenbar), dass ich erwachen musste. Man merkt, wie bequem der Traum es einzurichten versteht; da Wunscherfüllung seine einzige Absicht ist, darf er vollkommen egoistisch sein. Liebe zur Bequemlichkeit ist mit Rücksicht auf Andere wirklich nicht vereinbar. Die Einmengung des Aschenkruges ist wahrscheinlich wieder eine Wunscherfüllung; es thut mir leid, dass ich dies Gefäss nicht mehr besitze, wie übrigens auch das Wasserglas auf Seiten meiner Frau mir nicht zugänglich ist. Der Aschenkrug passt sich auch der nun stärker gewordenen Sensation des salzigen Geschmackes an, von der ich weiss, dass sie mich zum Erwachen zwingen wird.*)*)

§ 305

Solche Bequemlichkeitsträume waren bei mir in juvenilen Jahren sehr häufig. Von jeher gewöhnt, bis tief in die Nacht zu arbeiten, war mir das zeitige Erwachen immer eine Schwierigkeit. Ich pflegte dann zu träumen, dass ich ausser Bett bin und beim Waschkasten stehe. Nach einer Weile konnte ich mich der Einsicht nicht verschliessen, dass ich noch nicht aufgestanden bin, hatte aber doch dazwischen eine Weile geschlafen. Denselben Trägheitstraum in besonders witziger Form kenne ich von einem jungen Collegen, der meine Schlafneigung zu theilen scheint. Die Zimmerfrau, bei der er in der Nähe des Spitals wohnte, hatte den strengen Auftrag, ihn jeden Morgen rechtzeitig zu wecken, aber auch ihre liebe Noth, wenn sie den Auftrag ausführen wollte. Eines Morgens war der Schlaf besonders süss. Die Frau rief ins Zimmer: Herr Pepi, stehen’s auf, Sie müssen in’s Spital. Daraufhin träumte der Schläfer ein Zimmer im Spital, ein Bett, in dem er lag, und eine Kopftafel, auf der zu lesen stand: Pepi H ... cand. med., 22 Jahre. Er sagte sich träumend: Wenn ich also schon im Spitale bin, brauche ich nicht erst hineinzugehen, wendete sich um und schlief weiter. Er hatte sich dabei das Motiv seines Träumens unverhohlen eingestanden.

§ 306

Ein anderer Traum, dessen Reiz gleichfalls während des Schlafes selbst einwirkt: Eine meiner Patientinnen, die sich einer ungünstig verlaufenen Kieferoperation hatte unterziehen müssen, sollte nach dem Wunsche der Aerzte Tag und Nacht einen Kühlapparat auf der kranken Wange tragen. Sie pflegte ihn aber wegzuschleudern, sobald sie eingeschlafen war. Eines Tages bat man mich, ihr darüber Vorwürfe zu machen; sie hatte den Apparat wiederum auf den Boden geworfen. Die Kranke verantwortete sich: Diesmal kann ich wirklich nichts dafür; es war die Folge eines Traumes, den ich bei Nacht gehabt. Ich war im Traum in einer Loge in der Oper und interessirte mich lebhaft für die Vorstellung. Im Sanatorium aber lag der Herr Karl Meyer und jammerte fürchterlich vor Kieferschmerzen. Ich habe mir gesagt, da ich die Schmerzen nicht habe, brauche ich auch den Apparat nicht; darum habe ich ihn weggeworfen“. Dieser Traum der armen Dulderin klingt wie die Darstellung einer Redensart, die sich Einem in unangenehmen Lagen über die Lippen drängt: Ich wüsste mir wirklich ein besseres Vergnügen. Der Traum zeigt dieses bessere Vergnügen. Herr Karl Meyer, dem die Träumerin ihre Schmerzen zuschob, war der indifferenteste junge Mann ihrer Bekanntschaft, an den sie sich erinnern konnte.

*) Das Thatsächliche der Durstträume war auch Weygandt 75) bekannt, der p. 41 darüber äussert: „Gerade die Durstempfindung wird am präcisesten von allen aufgefasst: sie erzeugt stets eine Vorstellung des Durstlöschens. — Die Art, wie sich der Traum das Durstlöschen vorstellt, ist mannigfaltig und wird nach einer nahe liegenden Erinnerung specialisirt. Eine allgemeine Erscheinung ist auch hier, dass sich sofort nach der Vorstellung des Durstlöschens eine Enttäuschung über geringe Wirkung der vermeintlichen Erfrischungen einstellt“. Er übersieht aber das Allgemeingültige in der Reaction des Traumes auf den Reiz. — Wenn andere Personen, die in der Nacht vom Durst befallen werden, erwachen, ohne vorher zu träumen, so bedeutet dies keinen Einwand gegen mein Experiment, sondern charakdiese anderen als schlechtere Schläfer. § 307

Nicht schwieriger ist es, die Wunscherfüllung in einigen anderen Träumen aufzudecken, die ich von Gesunden gesammelt habe. Ein Freund, der meine Traumtheorie kennt und sie seiner Frau mitgetheilt hat, sagt mir eines Tages: „Ich soll Dir von meiner Frau erzählen, dass sie gestern geträumt hat, sie hätte die Periode bekommen. Du wirst wissen, was das bedeutet“. Freilich weiss ich’s; wenn die junge Frau geträumt hat, dass sie die Periode hat, so ist die Periode ausgeblieben. Ich kann mir’s denken, dass sie gerne noch einige Zeit ihre Freiheit genossen hätte, ehe die Beschwerden der Mütterlichkeit beginnen. Es war eine geschickte Art, die Anzeige von ihrer ersten Gravidität zu machen. Ein anderer Freund schreibt, seine Frau habe unlängst geträumt, dass sie an ihrer Hemdenbrust Milchflecken bemerke. Dies ist auch eine Graviditätsanzeige, aber nicht mehr vom ersten Mal; die junge Mutter wünscht sich, für das zweite Kind mehr Nahrung zu haben als seinerzeit für’s erste.

§ 308

Eine junge Frau, die Wochen hindurch bei der Pflege ihres infcetiös erkrankten Kindes vom Verkehr abgeschnitten war, träumt nach glücklicher Beendigung der Krankheit von einer Gesellschaft, in der sich A. Daudet, Bourget, M. Prévost und Andere befinden, die sämmtlich sehr liebenswürdig gegen sie sind und sie vortrefflich amüsiren. Die betreffenden Autoren tragen auch im Traum die Züge, welche ihnen ihre Bilder geben; M. Prévost, von dem sie ein Bild nicht kennt, sieht dem — Desinfectionsmanne gleich, der am Tag vorher die Krankenzimmer gereinigt und sie als erster Besucher nach langer Zeit betreten hatte. Man meint den Traum lückenlos übersetzen zu können: Jetzt wäre es einmal Zeit für etwas Amüsanteres als diese ewigen Krankenpflegen.

§ 309

Vielleicht wird diese Auslese genügen um zu erweisen, man sehr häufig und unter den mannigfaltigsten Bedingungen Träume findet, die sich nur als Wunscherfüllungen verstehen lassen, und die ihren Inhalt unverhüllt zur Schau tragen. Es sind dies zumeist kurze und einfache Träume, die von den verworrenen und überreichen Traumcompositionen, die wesentlich die Aufmerksamkeit der Autoren auf sich gezogen haben, wohlthuend abstechen. Es verlohnt sich aber, bei diesen einfachen Träumen noch zu verweilen. Die allereinfachsten Formen von Träumen darf man wohl bei Kindern erwarten, deren psychische Leistungen sicherlich minder complicirt sind als die Erwachsener. Die Kinderpsychologie ist nach meiner Meinung dazu berufen, für die Psychologie der Erwachsenen ähnliche Dienste zu leisten wie die Untersuchung des Baues oder der Entwicklung niederer Thiere für die Erforschung der Structur der höchsten Thierclassen. Es sind bis jetzt wenig zielbewusste Schritte geschehen, die Psychologie der Kinder zu solchem Zwecke auszunützen.

§ 310

Die Träume der kleinen Kinder sind simple Wunscherfüllungen und darum im Gegensatz zu den Träumen Erwachsener gar nicht interessant. Sie geben keine Räthsel zu lösen, sind aber natürlich unschätzbar für den Erweis, dass der Traum seinem innersten Wesen nach eine Wunscherfüllung bedeutet. Bei meinem Materiale von eigenen Kindern konnte ich einige Beispiele von solchen Träumen sammeln.

§ 311

Einem Ausfluge nach dem schönen Hallstatt im Sommer 1896 von Aussee aus verdanke ich zwei Träume, den einen von meiner damals 81/2jährigen Tochter, den anderen von einem 51/4 jährigen Knaben. Als Vorbericht muss ich angeben, dass wir in diesem Sommer auf einem Hügel bei Aussee wohnten, von wo aus wir eine herrliche Dachsteinaussicht bei schönem Wetter genossen. Mit dem Fernrohr war die Simonyhütte gut zu erkennen. Die Kleinen bemühten sich wiederholt, sie durch’s Fernrohr zu sehen; ich weiss nicht, mit welchem Erfolg. Vor der Partie hatte ich den Kindern erzählt; Hallstatt läge am Fusse des Dachsteins. Sie freuten sich sehr auf den Tag. Von Hallstatt aus gingen wir in’s Eschernthal, das mit seinen wechselnden Ansichten die Kinder sehr entzückte. Nur eines, der 5jährige Knabe wurde allmählich missgestimmt. So oft ein neuer Berg in Sicht kam, fragte er: Ist das der Dachstein? worauf ich antworten musste: Nein, nur ein Vorberg. Nachdem sich diese Frage einige Male wiederholt hatte, verstummte er ganz; den Stufenweg zum Wasserfall wollte er überhaupt nicht mitmachen. Ich hielt ihn für ermüdet. Am nächsten Morgen kam er aber ganz seelig auf mich zu und erzählte: Heute Nacht habe ich geträumt, dass wir auf der Simonyhütte gewesen sind. Ich verstand ihn nun; er hatte erwartet, als ich vom Dachstein sprach, dass er auf dem Ausfluge nach Hallstatt den Berg besteigen und die Hütte zu Gesicht bekommen werde, von der beim Fernrohr so viel die Rede war. Als er dann merkte, dass man ihm zumuthe, sich mit Vorbergen und einem Wasserfall abspeisen zu lassen, fühlte er sich getäuscht und wurde verstimmt. Der Traum entschädigte ihn dafür. Ich ver suchte Details des Traumes zu erfahren; sie waren ärmlich. „Man geht sechs Stunden lang auf Stufen hinauf”, wie er’s gehört hatte.

§ 312

Auch bei dem 81/2jährigen Mädchen waren auf diesem Ausflug Wünsche rege geworden, die der Traum befriedigen musste. Wir Hatten den 12jährigen Knaben unserer Nachbarn nach Hallstatt mitgenommen, einen vollendeten Ritter, der wie mir schien, sich aller Sympathien des kleinen Frauenzimmers bereits erfreute. Sie erzählte nun am nächsten Morgen folgenden Traum: Denk’ Dir, ich hab’ geträumt, dass der Emil einer von uns ist, Papa und Mama zu Euch sagt und im grossen Zimmer mit uns schläft wie unsere Buben. Dann kommt die Mama in’s Zimmer und wirft eine Handvoll grosser Chocoladestangen in blauem und grünem Papier unter unsere Betten. Die Brüder, die sich also nicht kraft erblicher Uebertragung auf Traumdeutung verstehen, erklärten ganz wie unsere Autoren: Dieser Traum ist ein Unsinn. Das Mädchen trat wenigstens für einen Theil des Traumes ein, und es ist werthvoll für die Theorie der Neurosen zu erfahren, für welchen: Dass der Emil ganz bei uns ist, das ist ein Unsinn, aber das mit den Chocoladestangen nicht. Mir war gerade das letztere dunkel. Die Mama lieferte mir hiefür die Erklärung. Auf dem Wege vom Bahnhof nach Hause hatten die Kinder vor dem Automaten Halt gemacht und gerade solche Chocoladestangen in metallisch glänzendem Papier sich gewünscht, die der Automat nach ihrer Erfahrung zu verkaufen hatte. Die Mama hatte mit Recht gemeint, jener Tag habe genug Wunscherfüllungen gebracht, und diesen Wunsch für den Traum übrig gelassen. Mir war die kleine Scene entgangen. Den von meiner Tochter proscribirten Theil des Traumes verstand ich ohne Weiteres. Ich hatte selbst gehört, wie der artige Gast auf dem Wege die Kinder aufgefordert hatte zu warten, bis der Papa oder die Mama nachkommen. Aus dieser zeitweiligen Zugehörigkeit machte der Traum der Kleinen eine dauernde Adoption. Andere Formen des Beisammenseins als die im Traum erwähnten, die von den Brüdern hergenommen sind, kannte ihre Zärtlichkeit noch nicht. Warum die Chocoladestangen unter die Betten geworfen wurden, liess sich ohne Ausfragen des Kindes natürlich nicht aufklären.

§ 313

Einen ganz ähnlichen Traum wie den meines Knaben habe ich von befreundeter Seite erfahren. Er betraf ein 8jähriges Mädchen. Der Vater hatte mit mehreren Kindern einen Spaziergang nach Dornbach in der Absicht unternommen, die Rohrerhütte zu besuchen, kehrte aber um, weil es zu spät geworden war, und versprach den Kindern, sie ein anderes Mal zu entschädigen. Auf dem Rückweg kamen sie an einer Tafel vorbei, welche den Weg zum Hameau anzeigt. Die Kinder verlangten nun auch auf’s Hameau geführt zu werden, mussten sich aber aus demselben Grund wiederum auf einen anderen Tag vertrösten lassen. Am nächsten Morgen kam das 8jährige Mädchen dem Papa befriedigt entgegen: Papa, heut’ hab ich geträumt, Du warst mit uns bei der Rohrerhütte und auf dem Hameau. Ihre Ungeduld hatte also die Erfüllung des vom Papa geleisteten Versprechens im Traum anticipirt.

§ 314

Ebenso aufrichtig ist ein anderer Traum, den die landschaftliche Schönheit Aussee’s bei meinem damals 31/4 jährigen Töchterchen erregt hat. Die Kleine war zum ersten Mal über den See gefahren, und die Zeit der Seefahrt war ihr zu rasch vergangen. An der Landungsstelle wollte sie das Boot nicht verlassen und weinte bitterlich. Am nächsten Morgen erzählte sie: Heute Nacht bin ich auf dem See: gefahren. Hoffen wir, dass die Dauer dieser Traumfahrt sie besser befriedigt hat.

§ 315

Mein ältester, damals 8jähriger Knabe träumt bereits die Realisirung seiner Phantasien. Er ist mit dem Achilleus in einem Wagen gefahren und der Diomedes war Wagenlenker. Er hat sich natürlich Tags vorher für die Sagen Griechenland’s begeistert, die der älteren Schwester geschenkt worden sind.

§ 316

Wenn man mir zugiebt, dass das Sprechen aus dem Schlaf der Kinder gleichfalls dem Kreis des Träumens angehört, so kann ich in Folgendem einen der jüngsten Träume meiner Sammlung mittheilen. Mein jüngstes Mädchen, damals 19 Monate alt, hatte eines Morgens erbrochen und war darum den Tag über nüchtern erhalten worden. In der Nacht, die diesem Hungertag folgte, hörte man sie erregt aus dem Schlaf rufen: Anna F.eud, Er(d)beer, Hochbeer, Eier(s)peis, Papp. Ihren Namen gebrauchte sie damals, um die Besitzergreifung auszudrücken; der Speiszettel umfasste wohl alles, was ihr als begehrenswerthe Mahlzeit erscheinen musste; dass die Erdbeeren darin in zwei Varietäten vorkamen, war eine Demonstration gegen die häusliche Sanitätspolizei und hatte seinen Grund in dem von ihr wohl bemerkten Nebenumstand, dass die Kinderfrau ihre Indisposition auf allzu reichlichen Erdbeergenuss geschoben hatte; für dies ihr unbequeme Gutachten nahm sie also im Traume ihre Revanche.*)*)

§ 317

Wenn wir die Kindheit glücklich preisen, weil sie die sexuelle Begierde noch nicht kennt, so wollen wir nicht verkennen, eine wie reiche Quelle der Enttäuschung, Entsagung und damit der Traumanregung der andere der grossen Lebenstriebe für sie werden kann. Hier ein zweites Beispiel dafür. Mein 22monatlicher Neffe hat zu meinem Geburtstage die Aufgabe bekommen mir zu gratuliren und als Geschenk ein Körbchen mit Kirschen zu überreichen, die um diese Zeit des Jahres noch zu den Primeurs zählen. Es scheint ihm hart anzukommen, denn er wiederholt unaufhörlich: Kirschen sind d(r)in, und ist nicht zu bewegen, das Körbchen aus den Händen zu geben. Aber er weiss sich zu entschädigen. Er pflegte bisher jeden Morgen seiner Mutter zu erzählen, dass er vom „weissen Soldat” geträumt, einem Gardeofficier im Mantel, den er einst auf der Strasse bewunderte. Am Tag nach dem Geburtstagsopfer erwacht er freudig mit der Mittheilung, die nur einem Traum entstammen kann: He(r)man alle Kirschen aufgessen!

*) Dieselbe Leistung wie bei der jüngsten Enkelin vollbringt dann der Traum kurz nachher bei der Grossmutter, deren Alter das des Kindes ungefähr zu 70 Jahren ergänzt. Nachdem sie einen Tag lang durch die Unruhe ihrer Wanderniere zum Hungern gezwungen war, träumt s’e dann, offenbar mit Versetzung in die glückliche Zeit des blühenden Mädchenthums, dass sie für beide Hauptmahlzeiten „ausgebeten”, zu Gast geladen ist, und jedesmal die köstlichsten Bissen vorgesetzt bekommt. § 318

Wovon die Thiere träumen, weiss ich nicht. Ein Sprichwort, dessen Erwähnung ich einem meiner Hörer danke, behauptet es zu wissen, denn es stellt die Frage auf: Wovon träumt die Gans? und beantwortet sie: Vom Kukuruz (Mais). Die ganze Theorie, dass der Traum eine Wunscherfüllung sei, ist in diesen zwei Sätzen enthalten.

§ 319

Wir bemerken jetzt, dass wir zu unserer Lehre von dem verborgenen Sinn des Traumes auch auf dem kürzesten Wege gelangt wären, wenn wir nur den Sprachgebrauch befragt hatten. Die Spruchweisheit redet zwar manchmal verächtlich genug vom Traum — man meint, sie wolle der Wissenschaft Recht geben, wenn sie urtheilt: Träume sind Schäume — aber für den Sprachgebrauch ist der Traum doch vorwiegend der holde Wunscherfüller. „Das hätt’ ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht vorgestellt,“ ruft entzückt, wer in der Wirklichkeit seine Erwartungen übertroffen findet.

§ 320

IV. Die Traumentstellung.

§ 321

Wenn ich nun die Behauptung aufstelle, dass Wunscherfüllung der Sinn eines jeden Traumes sei, also dass es keine anderen als Wunschträume geben kann, so bin ich des entschiedensten Widerspruches im Vorhinein sicher. Man wird mir entgegenhalten: „Dass es Träume giebt, welche als Wunscherfüllungen zu verstehen sind, ist nicht neu, sondern längst von den Autoren bemerkt worden. [Vgl. Radestockt 54) (p. 137—138), Volkelt 72) (p. 110—111), Purkinje 53) (p. 456), Tissié 68) (p. 70), M. Simon 63) (p. 42 über die Hungerträume des eingekerkerten Baron Trenck) und die Stelle bei Griesinger 31) (p. 111).] Dass es aber nichts Anderes giebt als Wunscherfüllungsträume, das ist wieder eine der ungerechten Verallgemeinerungen, in denen Sie sich letzter Zeit auszuzeichnen belieben. Es kommen doch reichlich genug Träume vor, welche den peinlichsten Inhalt erkennen lassen, aber keine Spur irgend einer Wunscherfüllung. Der pessimistische Philosoph Ed. v. Hartmann steht wohl der Wunscherfüllungstheorie am fernsten. Er äussert in seiner Philosophie des Unbewussten, II. Theil (Stereotyp-Ausgabe, p. 344):

§ 322

„Was den Traum betrifft, so treten mit ihm alle Plackereien des wachen Lebens auch in den Schlafzustand hinüber, nur das Einzige nicht, was den Gebildeten einigermassen mit dem Leben aussöhnen kann wissenschaftlicher und Kunstgenuss .....“ Aber auch minder unzufriedene Beobachter haben hervorgehoben, dass im Traum Schmerz und Unlust häufiger sei als Lust, so Scholz 59) (p.33), Volkelt 72) (p. 80) u. A. Ja die Damen Sarah Weed und Florence Hallam 33) haben aus der Bearbeitung ihrer Träume einen ziffermässigen Ausdruck für das Ueberwiegen der Unlust in den Träumen entnommen. Sie bezeichnen 58% der Träume als peinlich und nur 28 6% als positiv angenehm. Ausser diesen Träumen, welche die mannigfaltigen peinlichen Gefühle des Lebens in den Schlaf fortsetzen, giebt es auch Angstträume, in denen uns diese entsetzlichste aller Unlustempfindungen schüttelt, bis wir erwachen, und von solchen Angstträumen werden gerade die Kinder so leicht heimgesucht [Vgl. Debacker 17) über den Pavor nocturnus], bei denen Sie die Wunschträume unverhüllt gefunden haben.“

§ 323

Wirklich scheinen gerade die Angstträume eine Verallgemeinerung des Satzes, den wir aus den Beispielen des vorigen Abschnittes gewonnen haben, der Traum sei eine Wunscherfüllung, unmöglich zu machen, ja diesen Satz als Absurdität zu brandmarken.

§ 324

Dennoch ist es nicht sehr schwer, sich diesen anscheinend zwingenden Einwänden zu entziehen. Man wolle blos beachten, dass unsere Lehre nicht auf der Würdigung des manifesten Trauminhaltes beruht, sondern sich auf den Gedankeninhalt bezieht, welcher durch die Deutungsarbeit hinter dem Traume erkannt wird. Stellen wir manifesten und latenten Trauminhalt einander gegenüber. Es ist richtig, dass es Träume giebt, deren manifester Inhalt von der peinlichsten Art ist. Aber hat Jemand versucht, diese Träume zu deuten, den latenten Gedankeninhalt derselben aufzudecken? Wenn aber nicht, dann treffen uns die beiden Einwände nicht mehr; es bleibt immerhin möglich, dass auch peinliche und Angstträume sich nach der Deutung als Wunscherfüllungen enthüllen.

§ 325

Bei wissenschaftlicher Arbeit ist es oft von Vortheil, wenn die Lösung des einen Problems Schwierigkeiten bereitet, ein zweites hinzuzunehmen, etwa wie man zwei Nüsse leichter mit einander als einzeln aufknackt. So stehen wir nicht nur vor der Frage: Wie können peinliche und Angstträume Wunscherfüllungen sein, sondern wir können auch aus unseren bisherigen Erörterungen über den Traum eine zweite Frage aufwerfen: Warum zeigen die Träume indifferenten Inhalts, welche sich als Wunscherfüllungen ergeben, diesen ihren Sinn nicht unverhüllt? Man nehme den weitläufig behandelten Traum von Irma’s Injection, er ist keineswegs peinlicher Natur, er ist durch die Deutung als eclatante Wunscherfüllung zu erkennen. Wozu bedarf es aber überhaupt einer Deutung? Warum sagt der Traum nicht direct, was er bedeutet? Thatsächlich macht auch der Traum von Irma’s Injection zunächt nicht den Eindruck, dass er einen Wunsch des Träumers als erfüllt darstellt. Der Leser wird diesen Eindruck nicht bekommen haben, aber auch ich selbst wusste es nicht, ehe ich die Analyse angestellt hatte. Heissen wir dieses der Erklärung bedürftige Verhalten des Traumes: die Thatsache der Traumentstellung, so erhebt sich also die zweite Frage: Wovon rührt diese Traumentstellung her?

§ 326

Wenn man hierüber seine ersten Einfälle befrägt, könnte man auf verschiedene mögliche Lösungen gerathen, z. B. dass während des Schlafes ein Unvermögen bestehe, den Traumgedanken einen entsprechenden Ausdruck zu schaffen. Allein die Analyse gewisser Träume nöthigt uns, für die Traumentstellung eine andere Erklärung zuzulassen. Ich will dies an einem zweiten Traum von mir selbst zeigen, welcher wiederum vielfache Indiscretionen erfordert, aber für dies persönliche Opfer durch eine gründliche Aufhellung des Problems entschädigt.

§ 327

Vorbericht: Im Frühjahr 1897 erfuhr ich, dass zwei Professoren unserer Universität mich für die Ernennung zum Prof. extraord. vorgeschlagen haben. Diese Nachricht kam mir überraschend und erfreute mich lebhaft als Ausdruck einer durch persönliche Beziehungen nicht aufzuklärenden Anerkennung von Seiten zweier hervorragender Männer. Ich sagte mir aber sofort, dass ich an dieses Ereignis keine Erwartungen knüpfen dürfe. Das Ministerium hatte in: den letzten Jahren Vorschläge solcher Art unberücksichtigt gelassen, und mehrere Collegen, die mir an Jahren voraus waren und an Verdiensten mindestens gleich kamen, warteten seitdem vergebens auf ihre Ernennung. Ich hatte keinen Grund anzunehmen, dass es mir besser ergehen würde. Ich beschloss also bei mir, mich zu trösten. Ich bin, soviel ich weiss, nicht ehrgeizig, übe meine ärztliche Thätigkeit mit zufriedenstellendem Erfolge aus, auch ohne dass mich ein Titel empfiehlt. Es handelte sich übrigens gar nicht darum, ob ich die Trauben für süss oder sauer erklärte, da sie unzweifelhaft zu hoch für mich hingen.

§ 328

Eines Abends besuchte mich ein befreundeter College, einer von denjenigen, deren Schicksal ich mir zur Warnung hatte dienen lassen. Seit längerer Zeit ein Candidat für die Beförderung zum Professor, die den Arzt in unserer Gesellschaft zum Halbgott für seine Kranken erhebt, und minder resignirt als ich, pflegte er von Zeit zu Zeit seine Vorstellung in den Bureaux des hohen Ministeriums machen, um seine Angelegenheit zu fördern. Von einem solchen Besuche kam er zu mir. Er erzählte, dass er diesmal den hohen Herrn in die Enge getrieben und ihn gerade heraus befragt habe, ob an dem Aufschub seiner Ernennung wirklich — confessionelle Rücksichten die Schuld trügen. Die Antwort hatte gelautet, dass allerdings — bei der gegenwärtigen Strömung — Se. Excellenz vorläufig nicht in der Lage sei u. s. w. „Nun weiss ich wenigstens, woran ich bin,“ schloss mein Freund seine Erzählung, die mir nichts Neues brachte, mich aber in meiner Resignation bestärken musste. Dieselben confessionellen Rücksichten sind nämlich auch auf meinen Fall anwendbar.

§ 329

Am Morgen nach diesem Besuch hatte ich folgenden Traum, der auch durch seine Form bemerkenswerth war. Er bestand aus zwei Gedanken und zwei Bildern, so dass ein Gedanke und ein Bild einander ablösten. Ich setze aber nur die erste Hälfte des Traumes hieher, da die andere mit der Absicht nichts zu thun hat, welcher die Mittheilung des Traumes dienen soll.

§ 330

I. Freund R. ist mein Onkel. — Ich empfinde grosse Zärtlichkeit für ihn.

§ 331

II. Ich sehe sein Gesicht etwas verändert vor mir. Es ist wie in die Länge gezogen, ein gelber Bart, der es umrahmt, ist besonders deutlich hervorgehoben.

§ 332

Dann folgen die beiden anderen Stücke, wieder ein Gedanke und ein Bild, die ich übergehe.

§ 333

Die Deutung dieses Traumes vollzog sich folgendermassen:

§ 334

Als mir der Traum im Laufe des Vormittags einfiel, lachte ich auf und sagte: Der Traum ist ein Unsinn. Er liess sich aber nicht abthun und ging mir den ganzen Tag nach, bis ich mir endlich am Abend Vorwürfe machte: „Wenn einer deiner Patienten zur Traumdeutung nichts zu sagen wüsste als: Das ist ein Unsinn, so würdest du es ihm verweisen und vermuthen, dass sich hinter dem Traum eine unangenehme Geschichte versteckt, welche zur Kenntnis zu nehmen er sich ersparen will. Verfahr mit dir selbst ebenso; deine Meinung, der Traum sei ein Unsinn, bedeutet nur einen inneren Widerstand gegen die Traumdeutung. Lass dich nicht abhalten.“ Ich machte mich also an die Deutung.

§ 335

„R. ist mein Onkel.“ Was kann das heissen? Ich habe doch nur einen Onkel gehabt, den Onkel Josef.*)*) Mit dem war’s allerdings eine traurige Geschichte. Er hatte sich einmal, es sind mehr als 30 Jahre her, in gewinnsüchtiger Absicht zu einer Handlung verleiten lassen, welche das Gesetz schwer bestraft, und wurde dann auch von der Strafe getroffen. Mein Vater, der damals aus Kummer in wenigen Tagen grau wurde, pflegte immer zu sagen, Onkel Josef sei nie ein schlechter Mensch gewesen, wohl aber ein Schwachkopf; so drückte er sich aus. Wenn also Freund R. mein Onkel Josef ist, so will ich damit sagen: R. ist ein Schwachkopf. Kaum glaublich und sehr unangenehm! Aber da ist ja jenes Gesicht, das ich im Traum sehe, mit den länglichen Zügen und dem gelben Bart. Mein Onkel hatte wirklich so ein Gesicht, länglich, von einem schönen blonden Bart umrahmt. Mein Freund R. war intensiv schwarz, aber wenn die Schwarzhaarigen zu ergrauen anfangen, so büssen sie für die Pracht ihrer Jugendjahre. Ihr schwarzer Bart macht Haar für Haar eine unerfreuliche Farbenwandlung durch; er wird zuerst rothbraum, dann gelbbraun, dann erst definitiv grau. In diesem Stadium befindet sich jetzt der Bart meines Freundes R.; übrigens auch schon der meinige, wie ich mit Missvergnügen bemerke. Das Gesicht, das ich im Traum sehe, ist gleichzeitig das meines Freundes R. und das meines Onkels. Es ist wie eine Mischphotographie von Galton, der, um Familienähnlichkeiten zu eruiren, mehrere Gesichter auf die nämliche Platte photographiren liess. Es ist also kein Zweifel möglich, ich meine wirklich, dass mein Freund R. ein Schwachkopf ist — wie mein Onkel Josef.

*) Es ist merkwürdig, wie sich hier meine Erinnerung — im Wachen — für die Zwecke der Analyse einschränkt. Ich habe fünf von meinen Onkeln gekannt, einen von ihnen geliebt und geehrt. In dem Augenblicke aber, da ich den Widerstand gegen die Traumdeutung überwunden habe, sage ich mir: Ich habe doch nur einen Onkel gehabt, den, der eben im Traum gemeint ist. § 336

Ich ahne noch gar nicht, zu welchem Zweck ich diese Beziehung hergestellt, gegen die ich mich unausgesetzt sträuben muss. Sie ist doch nicht sehr tiefgehend, denn der Onkel war ein Verbrecher, mein Freund R. ist unbescholten. Etwa bis auf die Bestrafung dafür, dass er mit dem Rad einen Lehrbuben niedergeworfen. Sollte ich diese Unthat meinen? Das hiesse die Vergleichung in’s Lächerliche ziehen. Da fällt mir aber ein anderes Gespräch ein, dass ich vor einigen Tagen mit einem anderen Collegen N. und zwar über das gleiche Thema hatte. Ich traf N. auf der Strasse; er ist auch zum Professor vorgeschlagen, wusste von meiner Ehrung und gratulirte mir dazu. Ich lehnte entschieden ab. „Gerade Sie sollten sich den Scherz nicht machen, da Sie den Werth des Vorschlages an sich selbst erfahren haben.“ Er darauf, wahrscheinlich nicht ernsthaft: „Das kann man nicht wissen. Gegen mich liegt ja etwas Besonderes vor. Wissen Sie nicht, dass eine Person einmal eine gerichtliebe Anzeige gegen mich erstattet hat? Ich brauche Ihnen nicht zu versichern, dass die Untersuchung eingestellt wurde; es war ein gemeiner Erpressungsversuch; ich hatte noch alle Mühe, die Anzeigerin selbst vor Bestrafung zu retten. Aber vielleicht macht man im Ministerium diese Angelegenheit gegen mich geltend, um mich nicht zu ernennen. Sie aber, Sie sind unbescholten.“ Da habe ich ja den Verbrecher, gleichzeitig aber auch die Deutung und Tendenz meines Traumes. Mein Onkel Josef stellt mir da beide nicht zu Professoren ernannte Collegen dar, den einen als Schwachkopf, den anderen als Verbrecher. Ich weiss jetzt auch, wozu ich diese Darstellung brauche. Wenn für den Aufschub der Ernennung meiner Freunde R. und N. „confessionelle“ Rücksichten massgebend sind, so ist auch meine Ernennung in Frage gestellt; wenn ich aber die Zurückweisung der Beiden auf andere Gründe schieben kann, die mich nicht treffen, so bleibt mir die Hoffnung ungestört. So verführt mein Traum, er macht den einen, R., zum Schwachkopf, den anderen, N., zum Verbrecher; ich bin aber weder das eine noch das andere; unsere Gemeinsamkeit ist aufgehoben, ich darf mich auf meine Ernennung zum Professor freuen, und bin der peinlichen Anwendung entgangen, die ich aus R.’s Nachricht, was ihm der hohe Beamte bekannt, für meine eigene Person hätte machen müssen.

§ 337

Ich muss mich mit der Deutung dieses Traumes noch weiter beschäftigen. Er ist für mein Gefühl noch nicht befriedirend erledigt, ich bin noch immer nicht über die Leichtigkeit beruhigt, mit der ich zwei geachtete Collegen degradire, um mir den Weg zur Professur frei zu halten. Meine Unzufriedenheit mit meinem Vorgehen hat sich allerdings bereits ermässigt, seitdem ich den Werth der Aussagen im Traum zu würdigen weiss. Ich würde gegen Jedermann bestreiten, dass ich R. wirklich für einen Schwachkopf halte, und dass ich an N.’s Darstellung jener Erpressungsaffaire nicht glaube. Ich glaube ja auch nicht, dass Irma durch eine Infection Otto’s mit einem Propylenpräparat gefährlich krank geworden ist; es ist hier wie dort nur mein Wunsch, dass es sich so verhalten möge, den mein Traum ausdrückt. Die Behauptung, in welcher sich mein Wunsch realisirt, klingt im zweiten Traum minder absurd als im ersten; sie ist hier mit geschiekter Benützung thatsächlicher Anhaltungspunkte geformt, etwa wie eine gut gemachte Verleumdung, an der „etwas daran ist“, denn Freund R. hatte seinerzeit das Votum eines Fachprofessors gegen sich, und Freund N. hat mir das Material für die Anschwärzung arglos selbst geliefert. Dennoch, ich wiederhole es, scheint mir der Traum weiterer Aufklärung bedürftig.

§ 338

Ich entsinne mich jetzt, dass der Traum noch ein Stück enthielt, auf welches die Deutung bisher keine Rücksicht genommen hat. Nachdem mir eingefallen, R. ist mein Onkel, empfinde ich im Traum warme Zärtlichkeit für ihn. Wohin gehört diese Empfindung? Für meinen Onkel Josef habe ich zärtliche Gefühle natürlich niemals gehabt. Freund R. ist mir seit Jahren lieb und theuer; aber käme ich zu ihm und drückte ihm meine Zuneigung in Worten aus, die annähernd dem Grad meiner Zärtlichkeit im Traume entsprechen, so wäre er ohne Zweifel erstaunt. Meine Zärtlichkeit gegen ihn erscheint mir unwahr und übertrieben ähnlich wie mein Urtheil über seine geistigen Qualitäten, das ich durch die Verschmelzung seiner Persönlichkeit mit der des Onkels ausdrücke; aber in entgegengesetztem Sinne übertrieben. Nun dämmert mir aber ein neuer Sachverhalt. Die Zärtlichkeit des Traumes gehört nicht zum latenten Inhalt, zu den Gedanken hinter dem Traume; sie steht im Gegensätz zu diesem Inhalt; sie ist geeignet, mir die Kenntnis der Traumdeutung zu verdecken. Wahrscheinlich ist gerade dies ihre Bestimmung. Ich erinnere mich, mit welchem Widerstand ich an die Traumdeutung ging, wie lange ich sie aufschieben wollte und den Traum für baren Unsinn erklärte. Von meinen psychoanalytischen Behandlungen her weiss ich, wie ein solches Verwerfungsurtheill zu deuten ist. Es hat keinen Erkenntniswerth, sondern blos den einer Affectäusserung. Wenn meine kleine Tochter einen Apfel nicht mag, den man ihr angeboten hat, so behauptet sie, der Apfel schmeckt bitter, ohne ihn auch nur gekostet zu haben. Wenn meine Patienten sich so benehmen wie die Kleine, so weiss ich, dass es sich bei ihnen um eine Vorstellung handelt, welche sie verdrängen wollen. Dasselbe gilt für meinen Traum. Ich mag ihn nicht deuten, weil die Deutung etwas enthält, wogegen ich mich sträube. Nach vollzogener Traumdeutung erfahre ich, wogegen ich mich gesträubt hatte; es war die Behauptung, dass R. ein Schwachkopf ist. Die Zärtlichkeit, die ich gegen R. empfinde, kann ich nicht auf die latenten Traumgedanken, wohl aber auf dies mein Sträuben zurückführen. Wenn mein Traum im Vergleich zu seinem latenten Inhalt in diesem Punkte entstellt, und zwar in’s Gegensätzliche entstellt ist, so dient die im Traum manifeste Zärtlichkeit dieser Entstellung oder, mit anderen Worten, die Entstellung erweist sich hier als absichtlich, als ein Mittel der Verstellung. Meine Traumgedanken enthalten eine Schmähung für R.; damit ich diese nicht merke, gelangt in den Traum das Gegentheil, ein zärtliches Empfinden für ihn.

§ 339

Es könnte dies eine allgemein giltige Erkenntnis sein. Wie die Beispiele in Abschnitt III gezeigt haben, giebt es ja Träume, welche unverhüllte Wunscherfüllungen sind. Wa die Wunscherfüllung unkenntlich, verkleidet ist, da müsste eine Tendenz zur Abwehr diesen Wunsch vorhanden sein, und in Folge dieser Abwehr könnte der Wunsch sich nicht anders als entstellt zum Ausdruck bringen. Ich will zu diesem Vorkommnis aus dem psychischen Binnenleben das Seitenstück aus dem socialen Leben suchen. Wo findet man im socialen Leben eine ähnliche Entstellung eines psychischen Actes? Nur dort, wo es sich um zwei Personen handelt von denen die eine eine gewisse Macht besitzt, die zweite wegen dieser Macht eine Rücksicht zu nehmen hat. Diese zweite Person entstellt dann ihre psychischen Acte, oder, wie wir auch sagen können, sie verstellt sich. Die Höflichkeit, die ich alle Tage übe, ist zum guten Theil eine solche Verstellung; wenn ich meine Träume für den Leser deute, bin ich zu solchen Entstellungen genöthigt. Deber den Zwang zu solcher Entstellung klagt auch der Dichter:

§ 340

"„Das Beste, was du wissen kannst, darfst du den Buben doch nicht sagen.“"

§ 341

In ähnlicher Lage befindet sich der politische Schriftsteller, der den Machthabern unangenehme Wahrheiten zu sagen hat. Wenn er sie unverhohlen sagt, wird der Machthaber seine Aeusserung unterdrücken, nachträglich, wenn es sich um mündliche Aeusserung handelt, präventiv, wenn sie auf dem Wege des Drucks kundgegeben werden soll. Der Schriftsteller hat die Censur zu fürchten, er ermässigt und entstellt darum den Ausdruck seiner Meinung. Je nach der Stärke und Empfindlichkeit dieser Censur sieht er sich genöthigt, entweder blos gewisse Formen des Angriffs einzuhalten, oder in Anspielungen anstatt in direeten Bezeichnungen zu reden, oder er muss seine anstössige Mittheilung hinter einer harmlos erscheinenden Verkleidung verbergen, er darf z. B. von Vorfällen zwischen zwei Mandarinen im Reiche der Mitte erzählen, während er die Beamten des Vaterlandes im Auge hat. Je strenger die Censur waltet, desto weitgehender wird die Verkleidung, desto witziger oft die Mittel, welche den Leser doch auf die Spur der eigentlichen Bedeutung leiten.

§ 342

Die bis in’s Einzelne durchzuführende Uebereinstimmung zwischen den Phänomenen der Censur und denen der Traumentstellung giebt uns die Berechtigung, ähnliche Bedingungen für Beide vorauszusetzen. Wir würden also als die Urheber der Traumgestaltung zwei psychische Mächte (Strömungen, Systeme) im Einzelmenschen annehmen, von denen die eine den durch den Traum zum Ausdruck gebrachten Wunsch bildet, während die andere eine Censur an diesem Traumwunsch übt und durch diese Censur eine Entstellung seiner Aeusserung erzwingt. Es fragt sich nur, worin die Machtbefugnis dieser zweiten Instanz besteht, kraft deren sie ihre Censur ausüben darf. Wenn wir uns erinnern, dass die latenten Traumgedanken vor der Analyse nicht bewusst sind, der von ihnen ausgehende manifeste Trauminhalt aber als bewusst erinnert wird, so liegt die Annahme nicht ferne, das Vorrecht der zweiten Instanz sei eben die Zulassung zum Bewusstsein. Aus dem ersten Systeme könne nichts zum Bewusstsein gelangen, was nicht vorher die zweite Instanz passirt habe, und die zweite Instanz lasse nichts passiren, ohne ihre Rechte auszuüben und die ihr genehmen Abänderungen am Bewusstseinswerber durchzusetzen. Wir verrathen dabei eine ganz bestimmte Auffassung vom „Wesen“ des Bewusstseins; das Bewusstwerden ist für uns ein besonderer psychischer Act, verschieden und unabhängig von dem Vorgang des Gesetzt- oder Vorgestelltwerdens, und das Bewusstseins erscheint uns als ein Sinnesorgan, welches einen anderwärts gegebenen Inhalt wahrnimmt. Es lässt sich zeigen, dass die Psychopathologie dieser Grundannahmen schlechterdings nicht entrathen kann. Eine eingehendere Würdigung derselben dürfen wir uns für eine spätere Stelle vorbehalten.

§ 343

Wenn ich die Vorstellung der beiden psychischen Instanzen und ihrer Beziehungen zum Bewusstsein festhalte, ergiebt sich für die auffüllige Zärtlichkeit, die ich im Traum für meinen Freund R. empfinde, der in der Traumdeutung so herabgesetzt wird, eine völlig congruente Analogie aus dem politischen Leben der Menschen. Ich versetze mich in ein Staatsleben, in welchem ein auf seine Macht eifersüchtiger Herrscher und eine rege öffentliche Meinung mit einander ringen. Das Volk empöre sich gegen einen ihm missliebigen Beamten und verlange dessen Entlassung; um nicht zu zeigen, dass er dem Volkswillen Rechnung tragen muss, wird der Selbstherrscher dem Beamten gerade dann eine hohe Auszeichnung verleihen, zu der sonst kein Anlass vorläge. So zeichnet meine zweite, den Zugang zum Bewusstsein beherrschende Instanz Freund R. durch einen Erguss von übergrosser Zärtlichkeit aus, weil die Wunschbestrebungen des ersten Systems ihn in einem besonderen Interesse, dem sie gerade nachhängen, als einen Schwachkopf beschimpfen möchten.

§ 344

Vielleicht werden wir hier von der Ahnung erfasst, dass die Traumdeutung im Stande sei, uns Aufschlüsse über den Bau unseres seelischen Apparates zu geben, welche wir von der Philosophie bisher vergebens erwartet haben. Wir folgen aber nicht dieser Spur; sondern kehren, nachdem wir die Traumentstellung aufgeklärt haben, zu unserem Ausgangsproblem zurück. Es wurde gefragt, wie denn die Träume mit peinlichem Inhalt als Wunscherfüllungen aufgelöst werden können. Wir sehen nun, dies ist möglich, wenn eine Traumentstellung stattgefunden hat, wenn der peinliche Inhalt nur zur Verkleidung eines erwünschten dient. Mit Rücksicht auf unsere Annahmen über die zwei psychischen Instanzen können wir jetzt auch sagen: die peinlichen Träume enthalten thatsächlich etwas, was der zweiten Instanz peinlich ist, was aber gleichzeitig einen Wunsch der ersten Instanz erfüllt. Sie sind insofern Wunschträume, als ja jeder Traum von der ersten Instanz ausgeht, die zweite sich nur abwehrend, nicht schöpferisch gegen den Traum verhält. Beschränken wir uns auf eine Würdigung dessen, was die zweite Instanz zum Traum beiträgt, so können wir den Traum niemals verstehen. Es bleiben dann alle Rätsel bestehen, welche von den Autoren am Traum bemerkt worden sind.

§ 345

Dass der Traum wirklich einen geheimen Sinn hat, der eine Wunscherfüllung ergiebt, muss wiederum für jeden Fall durch die Analyse erwiesen werden. Ich greife darum einige Träume peinlichen Inhalts heraus und versuche deren Analyse. Es sind zum Theil Träume von Hysterikern, die einen langen Vorbericht und stellenweise ein Eindringen in die psychischen Vorgänge bei der Hysterie erfordern. Ich kann dieser Erschwerung der Darstellung aber nicht aus dem Wege gehen.

§ 346

Wenn ich einen Psychoneurotiker in analytische Behandlung nehme, werden seine Träume regelmässig, wie bereits erwähnt, zum Thema unserer Besprechungen. Ich muss ihm dabei alle die psychologischen Aufklärungen geben, mit deren Rilfe ich selbst zum Verständnis seiner Symptome gelangt bin, und erfahre dabei eine unerbittliche Kritik, wie ich sie von den Fachgenossen wohl nicht schärfer zu erwarten habe. Ganz regelmässig erhebt sich der Widerspruch meiner Patienten gegen den Satz, dass die Träume sämmtlich Wunscherfüllungen seien. Hier einige Beispiele von dem Material an Träumen, welche mir als Gegenbeweise vorgehalten werden.

§ 347

„Sie sagen immer, der Traum ist ein erfüllter Wunsch,“ beginnt eine witzige Patientin. „Nun will ich Ihnen einen Traum erzählen, dessen Inhalt ganz im Gegentheil dahin geht, dass mir ein Wunsch nicht erfüllt wird. Wie vereinen Sie das mit Ihrer Theorie? Der Traum lautet wie folgt:

§ 348

Ich will ein Souper geben, habe aber nichts vorräthig als etwas geräucherten Lachs. Ich denke daran, einkaufen zu gehen, erinnere mich, aber, dass es Sonntag Nachmittag ist, wo alle Läden gesperrt sind. Ich will nun einigen Lieferanten telephoniren, aber das Telephon ist gestört. So muss ieh auf den Wunsch, ein Souper zu geben, verzichten.“ Ich antworte natürlich, dass über den Sinn dieses Traumes nur die Analyse entscheiden kann, wenngleich ich zugebe, dass er für den ersten Anblick vernünftig und zusammenhängend erscheint und dem Gegentheil einer Wunscherfüllung ähnlich sieht. „Aus welchem Material ist aber dieser Traum hervorgegangen? Sie wissen, dass die Anregung zu einem Traum jedesmal in den Erlebnissen des letzten Tages liegt.“

§ 349

Analyse: Der Mann der Patientin, ein biederer und tüchtiger Grossfleischhauer, hat ihr Tags vorher erklärt, er werde zu dick und wolle darum eine Entfettungscur beginnen. Er werde Früh aufstehen, Bewegung machen, strenge Diät halten, und vor Allem keine Einladungen zu Soupers mehr annehmen. — Von dem Manne erzählt sie lachend weiter, er habe am Stammtisch die Bekanntschaft eines Malers gemacht, der ihn durchaus abconterfeien wolle, weil er einen so ausdrucksvollen Kopf noch nicht gefunden habe. Ihr Mann habe aber in seiner derben Manier erwidert, er bedanke sich schön und er sei ganz überzeugt, ein Stück vom Hintern eines schönen jungen Mädchens sei dem Maler lieber als sein ganzes Gesicht.*)*) Sie sei jetzt sehr verliebt in ihren Mann und necke sich mit ihm herum. Sie hat ihn auch gebeten, ihr keinen Caviar zu schenken. — Was soll das heissen?

§ 350

Sie wünscht es sich nämlich schon lange, jeden Vormittag eine Caviarsemmel essen zu können, gönnt sich aber die Ausgabe nicht. Natürlich bekäme sie den Caviar sofort von ihrem Mann, wenn sie ihn darum bitten würde. Aber sie hat ihn im Gegentheil gebeten, ihr keinen Caviar zu schenken, damit sie ihn länger damit necken kann.

§ 351

(Diese Begründung erscheint mir fadenscheinig. Hinter solchen unbefriedigenden Auskünften pflegen sich uneingestandene Motive zu verbergen. Man denke an die Hypnotisirten Bernheim’s, die einen posthypnotischen Auftrag ausführen, und, nach ihren Motiven befragt, nicht etwa antworten: Ich weiss nicht, warum ich das gethan habe, sondern eine offenbar unzureichende Begründung erfinden müssen. So ähnlich wird es wohl mit dem Caviar meiner Patientin sein. Ich merke, sie ist genöthigt, sich im Leben einen unerfüllten Wunsch zu schaffen. Ihr Traum zeigt ihr auch die Wunschverweigerung als eingetroffen. Wozu braucht sie aber einen unerfüllten Wunsch?)

§ 352

Die bisherigen Einfälle haben zur Deutung des Traumes nicht ausgereicht. Ich dringe nach Weiterem. Nach einer kurzen Pause, wie sie eben der Ueberwindung eines Widerstandes entspricht, berichtet sie ferner, dass sie gestern einen Besuch bei einer Freundin gemacht, auf die sie eigentlich eifersüchtig ist, weil ihr Mann diese Frau immer so lobt. Zum Glück ist diese Freundin sehr dürr und mager und ihr Mann ist ein Liebhaber voller Körperformen. Wovon sprach nun diese magere Freundin? Natürlich von ihrem Wunsch, stärker zu werden. Sie fragte sie auch: „Wann laden Sie uns einmal ein? Man isst immer so gut bei Ihnen.“

*) Dem Maler sitzen. Goethe: Und wenn er keinen Hintern hat, Wie kann der Edle sitzen? § 353

Nun ist der Sinn des Traumes klar. Ich kann der Patientin sagen: „Es ist gerade so, als ob Sie sich bei der Aufforderung gedacht hätten: Dich werde ich natürlich einladen, damit Du Dich bei mir anessen, dick werden und meinem Mann noch besser gefallen kannst. Lieber geb’ ich kein Souper mehr. Der Traum sagt Ihnen dann, dass Sie kein Souper geben können, erfüllt also Ihren Wunsch, zur Abrundung der Körperformen Ihrer Freundin nichts beizutragen. Dass man von den Dingen, die man in Gesellschaften vorgesetzt bekommt, dick wird, lehrt Sie ja der Vorsatz Ihres Mannes, im Interesse seiner Entfettung Soupereinladungen nicht mehr anzunehmen.“ Es fehlt jetzt nur noch irgend ein Zusammentreffen, welches die Lösung bestätigt. Es ist auch der geräucherte Lachs im Trauminhalt noch nicht abgeleitet. „Wie kommen Sie zu dem m erwähnten Lachs?“ „Geräucherter Lachs ist die Lieblingsspeise dieser Freundin,“ antwortet sie. Zufällig kenne ich die Dame auch und kann bestätigen, dass sie sich den Lachs ebensowenig vergönnt wie meine Patientin den Caviar.

§ 354

Derselbe Traum lässt auch noch eine andere und feinere Deutungen zu, die durch einen Nebenumstand selbst nothwendig gemacht wird. Die beiden Deutungen widersprechen einander nicht, sondern überdecken einander und ergeben ein schönes Beispiel für die gewöhnliche Doppelsinnigkeit der Träume wie aller anderen psychopathologischen Bildungen. Wir haben gehört, dass die Patientin gleichzeitig mit ihrem Traum von der Wunschverweigerung bemüht war, einen versagten Wunsch im Realen zu verschaffen (die Caviarsemmel). Auch die Freundin hatte einen Wunsch geäussert, nämlich dicker zu werden, und es würde uns nicht wundern, wenn unsere Dame geträumt hätte, der Freundin gehe ein Wunsch nicht in Erfüllung. Es ist nämlich ihr eigener Wunsch, dass der Freundin ein Wunsch — nämlich der nach Körperzunahme — nicht in Erfüllung gehe. Anstatt dessen träumt sie aber, dass ihr selbst ein Wunsch nicht erfüllt wird. Der Traum erhält eine neue Deutung, sie im Traum nicht sich, sondern die Freundin meint, wenn sie sich an die Stelle der Freundin gesetzt oder, wie wir sagen sich mit ihr identificirt hat.

§ 355

Ich meine, dies hat sie wirklich gethan, und als Anzeichen dieser Identificirung hat sie sich den versagten Wunsch im Realen geschaffen. Was hat aber die hysterische Identificirung für Sinn? Das aufzuklären bedarf einer eingehenderen Darstellung. Die Identificirung ist ein für den Mechanismus der hysterischen Symptome höchst wichtiges Moment; auf diesem Wege bringen es die Kranken zu Stande, die Erlebnisse einer grossen Reihe von Personen, nicht nur die eigenen, in ihren Symptomen auszudrücken, gleichsam für einen ganzen Menschenhaufen zu leiden und alle Rollen eines Schauspiels allein mit ihren persönlichen Mitteln darzustellen. Man wird mir einwenden, das sei die bekannte hysterische Imitation, die Fähigkeit Hysterischer, alle Symptome, die ihnen bei Anderen Eindruck machen, nachzuahmen, gleichsam ein zur Reproduction gesteigertes Mitleiden. Damit ist aber nur der Weg bezeichnet, auf dem der psychische Vorgang bei der hysterischen Imitation abläuft; etwas Anderes ist der Weg, und der seelische Act, der diesen Weg geht. Letzterer ist um ein Geringes complicirter, als man sich die Imitation der Hysterischen vorzustellen liebt; er entspricht einem unbewussten Schlussprocess, wie ein Beispiel klarstellen wird. Der Arzt, welcher eine Kranke mit einer bestimmten Art von Zuckungen unter anderen Kranken auf demselben Zimmer im Krankenhause hat, zeigt sich nicht erstaunt, wenn er eines Morgens erfährt, dass dieser besondere hysterische Anfall Nachahmung gefunden hat. Er sagt sich einfach: Die Anderen haben ihn gesehen und nachgemacht; das ist psychische Infection. Ja, aber die psychische Infection geht etwa auf folgende Weise zu. Die Kranken wissen in der Regel mehr von einander als der Arzt über jede von ihnen, und sie kümmern sich um einander, wenn die ärztliche Visite vorüber ist. Die Eine bekomme heute ihren Anfall; es wird alsbald den Anderen bekannt, dass ein Brief von Hause, Auffrischung des Liebeskummers und dergleichen davon die Ursache ist. Ihr Mitgefühl wird rege, es vollzieht sich in ihnen folgender, nicht zum Bewusstsein gelangender Schluss: Wenn man von solcher Ursache solche Anfälle haben kann, so kann ich auch solche Anfälle bekommen, denn ich habe dieselben Anlässe. Wäre dies ein des Bewusstseins fähiger Schluss, so würde er vielleicht in die Angst ausmünden, den gleichen Anfall zu bekommen; er vollzieht sich aber auf einem anderen psychischen Terrain, endet daher in der Realisirung des gefürchteten Symptoms. Die Identificirung ist also nicht simple Imitation, sondern Aneignung auf Grund des gleichen ätiologischen Anspruches; sie drückt ein „gleichwie“ aus und bezieht sich auf ein im Unbewussten verbleibendes Gemeinsames.

§ 356

Die Identificirung wird in der Hysterie am häufigsten benützt zum Ausdruck einer sexuellen Gemeinsamkeit. Die Hysterica identificirt sich in ihren Symptomen am ehesten — wenn auch nicht ausschliessich — mit solchen Personen, mit denen sie im sexuellen Verkehr gestanden hat, oder welche mit den nämlichen Personen wie sie selbst sexuell verkehren. Die Sprache trägt einer solchen Auffassung gleichfalls Rechnung. Zwei Liebende sind „Eines“. In der hysterischen Phantasie wie im Traum genügt es für die Identificirung, dass man an sexuelle Beziehungen denkt, ohne dass sie darum als real gelten müssen. Die Patientin folgt also blos den Regeln der hysterischen Denkvorgänge, wenn sie ihrer Eifersucht gegen die Freundin (die sie als unberechtigt übrigens selbst erkennt) Ausdruck gibt, indem sie sich im Traum an ihre Stelle setzt und durch die Schaffung eines Symptoms (des versagten Wunsches) mit ihr identificirt. Man möchte den Vorgang noch sprachlich in folgender Weise erläutern: Sie setzt sich an die Stelle der Freundin im Traum, weil diese sich bei ihrem Mann an ihre Stelle setzt, weil sie deren Platz Werthschätzung ihres Mannes einnehmen möchte.*)*)

§ 357

In einfacherer Weise und doch auch nach dem Schema, dass die Nichterfüllung des einen Wünsches die Erfüllung eines anderen bedeutet, löste sich der Widerspruch gegen meine Traumlehre bei einer anderen Patientin, der witzigsten unter all meinen Träumerinnen. Ich hatte ihr an einem Tage auseinandergesetzt, dass der Traum eine Wunscherfüllung sei; am nächsten Tage brachte sie mir einen Traum, dass sie mit ihrer Schwiegermutter nach dem gemeinsamen Landaufenthalt fahre. Nun wusste ich, dass sie sich heftig geträubt hatte, den Sommer in der Nähe der Schwiegermutter zu verbringen, wusste auch, dass sie der von ihr gefürchteten Gemeinschaft in den letzten Tagen durch die Miethe eines vom Sitz der Schwiegermutter weit entternten Landaufenthaltes glücklich ausgewichen war. Jetzt machte der Traum diese erwünschte Lösung rückgängig; war das nicht der schärfste Gegensatz zu meiner Lehre von der Wunscherfüllung durch den Traum? Gewiss, man brauchte nur die Consequenz aus diesem Traum zu ziehen, um seine Deutung zu haben. Nach diesem Traum hatte ich Unrecht: es war also ihr Wunsch, dass ich Unrecht haben sollte, und diesen zeigte ihr der Traum erfüllt. Der Wunsch, dass ich Unrecht haben sollte, der sich an dem Thema der Landwohnung erfüllte, bezog sich aber in Wirklichkeit auf einen anderen und ernsteren Gegenstand. Ich hatte um die nämliche Zeit aus dem Material, welches ihres Analyse ergab, geschlossen, dass in einer gewissen Periode ihres Lebens etwas für ihre Erkrankung Bedeutsames vorgefallen sein müsse. Sie hatte es in Abrede gestellt, weil es sich nicht in ihrer Erinnerung vorfand. Wir kamen bald darauf, dass ich Recht hatte. Ihr Wunsch, dass ich Unrecht haben möge, verwandelt in den Traum, dass sie mit ihrer Schwiegermutter auf’s Land fahre, entsprach also dem berechtigten Wunsch, dass jene damals erst vermutheten Dinge sich nie ereignet haben möchten.

§ 358

Ohne Analyse, nur vermittelst einer Vermuthung, gestattete ich mir, eines Vorkommnis bei einem Freunde zu deuten, der durch die acht Gymnasialclassen mein College gewesen war. Er hörte einmal in einem kleinen Kreise einen Vortrag von mir über die Neuigkeit, dass der Traum eine Wunscherfüllung sei, ging nach Hause, träumte, dass er alle seine Processe verloren habe — er war Advocat — und beklagte sich bei mir darüber. Ich half mir mit der Ausflucht: Man kann nicht alle Processe gewinnen, dachte aber bei mir: Wenn ich durch acht Jahre als Primus in der ersten Bank gesessen, während er irgendwo in der Mitte der Classe den Platz gewechselt, sollte ihm aus diesen Knabenjahren der Wunsch ferne geblieben sein, dass ich mich auch einmal gründlich blamiren möge?

*) Ich bedaure selbst die Einschaltung solcher Stücke aus der Psychopathologie der Hysterie, welche, in Folge ihrer fragmentarischen Darstellung und aus allem Zusammenhang gerissen, doch nicht sehr aufklärend wirken können. Wenn sie auf die innigen Beziehungen des Themas vom Traume zu den Psychoneurosen hinzuweisen vermögen, so haben sie die Absicht erfüllt, in der ich sie aufgenommen habe. § 359

Ein anderer Traum von mehr düsterem Charakter wurde mir gleichfalls von einer Patientin als Einspruch gegen die Theorie des Wunschtraumes vorgetragen. Die Patientin, ein junges Mädchen, begann: Sie erinnern sich, dass meine Schwester jetzt nur einen Buben hat, den Karl; den älteren, Otto, hat sie verloren, als ich in ihrem Hause war. Otto war mein Liebling, ich habe ihn eigentlich erzogen. Den Kleinen habe ich auch gern, aber natürlich lange nicht so sehr wie den Verstorbenen. Nun träume ich diese Nacht, dass ich den Karl todt vor mir liegen sehe. Er liegt in seinem kleinen Sarg, die Hände gefaltet, Kerzen rings herum, kurz ganz so wie damals der kleine Otto, dessen Tod mich so erschüttert hat. Nun sagen Sie mir, was soll das heissen? Sie kennen mich ja; bin ich eine so schlechte Person, dass ich meiner Schwester den Verlust des einzigen Kindes wünschen sollte, das sie noch besitzt? Oder heisst der Traum, dass ich lieber den Karl todt wünschte als den Otto, den ich um so viel lieber gehabt habe?

§ 360

Ich versicherte ihr, dass diese letzte Deutung ausgeschlossen sei. Nach kurzem Besinnen konnte ich ihr die richtige Deutung des Traumes sagen, die ich dann von ihr bestätigen liess. Es gelang mir dies, weil mir die ganze Vorgeschichte der Träumerin bekannt war.

§ 361

Frühzeitig verwaist, war das Mädchen im Hause ihrer um vieles älteren Schwester aufgezogen worden und begegnete unter den Freunden und Besuchern des Hauses auch dem Manne, der einen bleibenden Eindruck auf ihr Herz machte. Es schien eine Weile, als ob diese kaum ausgesprochenen Beziehungen mit einer Heirath enden sollten, aber dieser glückliche Ausgang wurde durch die Schwester vereitelt, deren Motive nie eine völlige Aufklärung gefunden haben. Nach dem Bruch mied der von unserer Patientin geliebte Mann das Haus; sie selbst machte sich einige Zeit nach dem Tod des kleinen Otto, an den sie ihre Zärtlichkeit unterdessen gewendet hatte, selbständig. Es gelang ihr aber nicht, sich von der Abhängigkeit frei zu machen, in welche sie durch ihre Neigung dem Freund ihrer Schwester gerathen war. Ihr Stolz gebot ihr, ihm auszuweichen; es war ihr aber unmöglich, ihre Liebe auf andere Bewerber zu übertragen, die sich in der Folge einstellten. Wenn der geliebte Mann, der dem Litteratenstand angehörte, irgendwo einen Vortrag angekündigt hatte, war sie unfehlbar unter den Zuhörern zu finden und auch sonst ergriff sie jede Gelegenheit, ihn am dritten Orte aus der Ferne zu sehen. Ich erinnerte mich, dass sie mir Tags vorher erzählt hatte, der Professor ginge in ein bestimmtes Concept, und sie wolle auch dorthin gehen, um sich wieder einmal seines Anblickes zu erfreuen. Das war am Tag vor dem Traum; an dem Tag, an dem sie mir den Traum erzählte, sollte das Concert stattfinden. Ich konnte mir so die richtige Deutung leicht construiren und fragte sie, ob ihr irgend ein Ereignis einfalle, das nach dem Tod des kleinen Otto eingetreten sei. Sie antwortete sofort: Gewiss, damals ist der Professor nach langem Ausbleiben wiedergekommen, und ich habe ihn an dem Sarge des kleinen Otto wieder einmal gesehen. Es war genau so, wie ich es erwartet hatte. Ich deutete also den Traum in folgender Art: „Wenn jetzt der andere Knabe stürbe, würde sich dasselbe wiederholen. Sie würden den Tag bei Ihrer Schwester zubringen, der Professor käme sicherlich hinauf, um zu condoliren, und unter den nämlichen Verhältnissen wie damals würden Sie ihn wiedersehen. Der Traum bedeutet nichts als diesen Ihren Wunsch nach Wiedersehen, gegen den Sie innerlich ankämpfen. Ich weiss, dass Sie das Billet für das heutige Concert in der Tasche tragen. Ihr Traum ist ein Ungeduldstraum, er hat das Wiedersehen, das heute stattfinden soll, um einige Stunden verfrüht.“

§ 362

Zur Verdeckung ihres Wunsches hatte sie offenbar eine Situation gewählt, in welcher solche Wünsche unterdrückt zu werden pflegen, eine Situation, in der man von Trauer so sehr erfüllt ist, dass man an Liebe nicht denkt. Und doch ist es sehr gut möglich, dass auch in der realen Situation, welche der Traum getreulich copirte, am Sarge des ersten, von ihr stärker geliebten Knaben sie die zärtliche Empfindung für den lange vermissten Besucher nicht hatte unterdrücken können.

§ 363

Eine andere Aufklärung fand ein ähnlicher Traum einer anderen Patientin, die sich in früheren Jahren durch raschen Witz und heitere Laune hervorgethan hatte und diese Eigenschaften jetzt wenigstens noch in ihren Einfällen während der Behandlung bewies. Dieser Dame kam es im Zusammenhange eines längeren Traumes vor, dass sie ihre einzige, 15jährige Tochter in einer Schachtel todt sah: Sie hatte nicht übel Lust, aus dieser Traumerscheinung einen Einwand gegen die Wunscherfüllungstheorie zu machen, ahnte aber selber, dass das Detail der Schachtel den Weg zu einer anderen Auffassung des Traumes anzeigen müsse.*) Bei der Analyse fiel ihr ein, dass in der Gesellschaft Abends vorher die Rede auf das englische Wort „box“ gekommen war und auf die mannigfaltigen Uebersetzungen desselben im Deutschen, als: Schachtel, Loge, Kasten, Ohrfeige u.s.w. Aus anderen Bestandstücken desselben Traumes liess sich nun ergänzen, dass sie die Verwandtschaft des englischen „box“ mit dem deutschen „Büchse“ errathen habe und dann von der Erinnerung heimgesucht worden sei, dass „Büchse“ auch als vulgäre Bezeichnung des weiblichen Genitales gebraucht werde. Mit einiger Nachsicht für ihre Kenntnisse in der topographischen Anatomie konnte man also annehmen, dass das Kind in der „Schachtel“ eine Frucht im Mutterleibe bedeute. Soweit aufgeklärt, leugnete sie nun nicht, dass das Traumbild wirklich einem Wunsch von ihr entspreche. Wie so viele junge Frauen war sie keineswegs glücklich, als sie in die Gravidität gerieth, und gestand sich mehr als einmal den Wunsch ein, dass ihr das Kind im Mutterleibe absterben möge; ja in einem Wuthanfalle nach einer heftigen Scene mit ihrem Manne schlug sie mit den Fäusten auf ihren Leib los, um das Kind darin zu treffenDas todte Kind war also wirklich eine Wunscherfüllung, aber die eines seit 15 Jahren beseitigten Wunsches, und es ist nicht zu verwundern, wenn man die Wunscherfüllung nach so verspätetem Eintreffen nicht mehr erkennt. Unterdessen hat sich eben zu viel geändert.

*) Aehnlich wie im Traum vom vereitelten Souper der geräucherte Lachs. § 364

Die Gruppe zu welcher die beiden letzten Träume gehören, die den Tod lieber Angehöriger zum Inhalt haben, soll bei den typischen Träumen nochmals Berücksichtigung finden. Ich werde dort an neuen Beispielen zeigen können, dass trotz des unerwünschten Inhalts alle diese Träume als Wunscherfüllungen gedeutet werden müssen. Keinem Patienten, sondern einem intelligenten Rechtsgelehrten meiner Bekanntschaft, verdanke ich folgenden Traum, der mir wiederum in der Absicht erzählt wurde, mich von voreiliger Verallgemeinerung in der Lehre vom Wunschtraum zurückzuhalten. „Ich träume,“ berichtet mein Gewährsmann, „dass ich, eine Dame am Arm, vor mein Haus komme. Dort wartet ein geschlossener Wagen, ein Herr tritt auf mich zu, legitimirt sich als Polizeiagent und fordert mich auf, ihm zu folgen. Ich bitte nur noch um die Zeit, meine Angelegenheiten zu ordnen. — Glauben Sie, dass es vielleicht ein Wunsch von mir ist, verhaftet zu werden?“ Gewiss nicht, muss ich zugeben. Wissen Sie vielleicht, unter welcher Beschuldigung Sie verhaftet wurden? — „Ja, ich glaube wegen Kindesmords.“ — Kindesmord? Sie wissen doch dass dieses Verbrechen nur eine Mutter an ihrem Neugeborenen begehen kann? — „Das ist richtig.“*)*) unter welchen Umständen haben Sie geträumt; was ist am Abend vorher vorgegangen? „Das möchte ich Ihnen nicht gerne erzählen, es ist eine heikle Angelegenheit.” — Ich brauche es aber, sonst müssen wir auf die Deutung des Traumes verzichten. — „Also hören Sie. Ich habe die Nacht nicht zu Hause, sondern bei einer Dame zugebracht, die mir sehr viel bedeutet. Als wir am Morgen erwachten, ging neuerdings etwas zwischen uns vor. Dann schlief ich wiederum ein und träumte, was Sie wissen.“ — Es ist eine verheirathete Frau? — „Ja.“ — Und sie wollen kein Kind mit ihr erzeugen? — „Nein, nein, das könnte uns verrathen.“ — Sie üben also nicht normalen Coitus? — „Ich gebrauche die Vorsicht, mich vor der Ejaculation zurückzuziehen.“ — Darf ich annehmen, Sie hätten das Kunststück in dieser Nacht mehrere Male ausgeführt, und seien nach der Wiederholung am Morgen ein wenig unsicher gewesen, ob es ihnen gelungen ist? — „Das könnte wohl sein.“ — Dann ist Ihr Traum eine Wunscherfüllung. Sie erhalten durch ihn die Beruhigung, dass sie kein Kind erzeugt haben, oder was nahezu das Gleiche ist, Sie hätten ein Kind umgebracht. Die Mittelglieder kann ich ihnen leicht nachweisen. Erinnern Sie sich, vor einigen Tagen sprachen wir über die Ehenoth und über die Inconsequenz, dass es gestattet ist, den Coitus so zu halten, dass keine Befruchtung zu Stande kommt, während jeder Eingriff, wenn einmal Ei und Same sich getroffen und einen Fötus gebildet haben, als Verbrechen bestraft wird. Im Anschluss daran gedachten wir auch der mittelalterlichen Streifrage, in welchem Zeitpunkt eigentlich die Seele in den Fötus hineinfahre, weil der Begriff des Mordes erst von da an zulässig wird. Sie kennen gewiss auch das schaurige Gedicht von Lenau, welches Kindermord und Kinderverhütung gleichstellt. — „An Lenau habe ich merkwürdiger Weise heute Vormittag wie zufällig gedacht.“ — Auch ein Nachklang Ihres Traumes. Und nun will ich Ihnen noch eine kleine Nebenwunscherfüllung in Ihrem Traum nachweisen. Sie kommen mit der Dame am Arm vor ihr Haus. Sie führen Sie also heim, anstatt dass Sie in Wirklichkeit die Nacht in deren Hause zubringen. Dass die Wunscherfüllung, die den Kern des Traumes bildet, sich in so unangenehmer Form verbirgt, hat vielleicht mehr als einen Grund. Aus meinem Aufsatz über die Aetiologie der Angstneurose könnten Sie erfahren, dass ich den Coitus interruptus als eines der ursächlichen Momente für die Entstehlung der neurotischen Angst in Anspruch nehme. Es würde dazu stimmen, wenn Ihnen nach mehrmaligem Coitus dieser Art eine unbehagliche Stimmung verbliebe, die nun als Element in die Zusammensetzung Ihres Traumes eingeht. Dieser Verstimmung bedienen Sie sich auch, um sich die Wunscherfüllung zu verhüllen. Uebrigens ist auch die Erwähnung des Kindesmordes nicht erklärt? Wie kommen Sie zu diesem specifisch weiblichen Verbrechen? — „Ich will Ihnen gestehen, dass ich vor Jahren einmal in eine solche Angelegenheit verflochten war. Ich war schuld daran, dass ein Mädchen sich durch eine Fruchtabtreibung von den Folgen eines Verhältnisses mit mir zu schützen versuchte. Ich hatte mit der Ausführung des Vorsatzes gar nichts zu thun, war aber lange Zeit in begreiflicher Angst,

*) Es ereignet sich häufig, dass ein Traum unvollständig erzählt wird, dass erst während der Analyse die Erinnerung an diese ausgelassenen Stücke des Traumes auftaucht. Diese nachträglich eingefügten Stücke ergeben regelmäßig den Schlüssel zur Traumdeutung. Vergleiche weiter unten über das Vergessen der Träume. § 365

Ein junger Arzt, welcher in meinem Colleg diesen Traum erzählen hörte, muss sich von ihm betroffen gefühlt haben, denn er beeilte sich ihn nachzuträumen, dessen Gedankenform auf ein anderes Thema anzuwenden. Er hatte Tags vorher sein Einkommenbekenntnis übergeben, welches vollkommen aufrichtig gehalten war, da er nru wenig zu bekennen hatte. Er träumte nun, ein Bekannter komme aus der Sitzung der Steuercommission zu ihm und theile ihm mit, dass alle anderen Steuerbekenntnisse unbeanständet geblieben seien, das seinige aber habe allgemeines Misstrauen erweckt und werde ihm eine empfindliche Steuerstrafe eintragen. Der Traum ist eine lässig verhüllte Wunscherfüllung, für einen Arzt von grossem Einkommen zu gelten. Er erinnert übrigens an die bekannte Geschichte von jenem jungen Mädchen, welchem abgerathen wird, ihrem Freier zuzusagen, weil er ein jähzorniger Mensch sei und sie in der Ehe sicherlich mit Schlägen tractiren werde. Die Antwort des Mädchens lautet dann: Schlüg’ er mich erst! Ihr Wunsch, verheirathet zu sein, ist so lebhaft, dass sie die in Aussicht gestellte Unannehmlichkeit, die mit dieser Ehe verbunden sein soll, mit in den Kauf nimmt und sei selbst zum Wunsch erhebt.

§ 366

Ich hoffe die vorstehenden Beispiele werden genügen, um es — bis auf weiteren Einsprach — glaubwürdig erscheinen zu lassen, dass auch die Träume mit peinlichem Inhalt als Wunscherfüllungen aufzulösen sind. Es wird auch Niemand eine Aeusserung des Zufalls darin erblicken, dass man bei der Deutung dieser Träume jedesmal auf Themata geräth, von denen man nicht gerne spricht oder an die man nicht gerne denkt. Das peinliche Gefühl, welches solche Träume erwecken, ist wohl einfach identisch mit dem Widerwillen, der uns von der Behandlung oder Erwägung solcher Themata — meist mit Erfolg — abhalten möchte, und welcher von jedem von uns überwunden werden muss, wenn wir uns genöthigt sehen, es doch in Angriff zu nehmen. Dieses im Traum also wiederkehrende Unlustgefühl schliesst aber das Bestehen eines Wunsches nicht aus; es giebt bei jedem Menschen Wünsche, die er Anderen nicht mittheilen möchte, und Wünsche, die er sich selbst nicht eingestehen will. Andererseits finden wir uns berechtigt, den Unlustcharakter all’ dieser Träume mit der Thatsache der Traumentstellung in Zusammenhang zu bringen und zu schliessen, diese Träume seien gerade darum so entstellt, und die Wunscherfüllung in ihnen bis zur Unkenntlichkeit verkleidet, weil ein Widerwillen, eine Verdrängungsabsicht gegen das Thema des Traumes oder gegen den aus ihm geschöpften Wunsch besteht. Die Traumentstellung erweist sich also thatsächlich als ein Act der Censur. Allem, was die Analyse der Unlustträume zu Tage gefördert hat, tragen wir aber Reehnung, wenn wir unsere Formel, die das Wesen des Traumes ausdrücken soll, in folgender Art verändern: Der Traum ist die (verkleidete) Erfüllung eines (unterdrückten, verdrängten) Wunsches.

§ 367

Nun erübrigen noch die Angstträume als besondere Unterart der Träume mit peinlichem Inhalt, deren Auffassung als Wunschträume bei dem Unaufgeklärten die geringste Bereitwilligkeit begegnen wird. Doch kann ich die Angstträume hier ganz kurz abthun; es ist nieht eine neue Seite des Traumproblems, die sich uns in ihnen zeigen würde, sondern es handelt sich bei ihnen um das Verständnis der neurotischen Angst überhaupt. Die Angst, die wir im Traume empfinden, ist nur scheinbar durch den Inhalt des Traumes erklärt. Wenn wir den Trauminhalt der Deutung unterziehen, merken wir, dass die Traumangst durch den Inhalt des Traumes nicht besser gerechtfertigt wird als etwa die Angst einer Phobie durch die Vorstellung, an welcher die Phobie hängt. Es ist z. B. zwar richtig, dass man aus dem Fenster stürzen kann und darum Ursache hat, sich beim Fenster einer gewissen Vorsicht zu befleissen, aber es ist nicht zu verstehen, warum bei der entsprechenden Phobie die Angst so gross ist und den Kranken weit über ihre Anlässe hinaus verfolgt. Dieselbe Aufklärung erweist sich dann als giltig für die Phobie wie für den Angsttraum. Die Angst ist beide Male an die sie begleitende Vorstellung nur angelöthet und stammt aus anderer Quelle.

§ 368

Wegen dieses intimen Zusammenhanges der Traumangst mit der Neurosenangst muss ich hier bei der Erörterung der ersteren auf die letztere verweisen. In einem kleinen Aufsatze über die „Angstneurose” (Neurolog. Centralblatt 1895) habe ich seinerzeit behauptet, dass die neurotische Angst aus dem Sexualleben stammt und einer von ihrer Bestimmung abgelenkten, nicht zur Verwendung gelangten Libido entspricht. Diese Formel hat sich seither immer mehr als stichhältig erwiesen. Aus ihr lässt sich nun der Satz ableiten, dass die Angstträume Träume sexuellen Inhaltes sind, deren zugehörige Libido eine Verwandlung in Angst erfahren hat. Es wird sich späterhin die Gelegenheit ergeben, diese Behauptung durch die AnaIyse einiger Träume bei Neurotikern zu unterstützen. Auch werde ich bei weiteren Versuchen, mich einer Theorie des Traumes zu nähern, nochmals auf die Bedingung der Angstträume und deren Verträglichkeit mit der Wunscherfüllungstheorie zu sprechen Kommen.

§ 369

V. Das Traummaterial und die Traumquellen.

§ 370

Als wir aus der Analyse des Traumes von Irma’s Injection ersehen hatten, dass der Traum eine Wunscherfüllung ist, nahm uns zunächst das Interesse gefangen, ob wir hiermit einen allgemeinen Charakter des Traumes aufgedeckt haben, und wir brachten vorläufig jede andere wissenschaftliche Neugierde zum Schweigen, die sich in uns während einer Deutungsarbeit geregt haben mochte. Nachdem wir jetzt auf dem einen Wege zum Ziel gelangt sind, dürfen wir zurückkehren und einen neuen Ausgangspunkt für unsere Streifungen durch die Probleme des Traumes wählen, sollten wir darüber auch das noch keineswegs voll erledigte Thema der Wunscherfüllung für eine Weile aus den Augen verlieren.

§ 371

Seitdem wir durch Anwendung unseres Verfahrens der Traumdeutung einen latenten Trauminhalt aufdecken können, der an Bedeutsamkeit den manifesten Trauminhalt weit hinter sich lässt, muss es uns drängen, die einzelnen Traumprobleme von Neuem aufzunehmen, um zu versuchen, ob sich für uns nicht Räthsel und Widersprüche befriedigend lösen, die, solange man nur den manifesten Trauminhalt kannte, unangreifbar erschienen sind.

§ 372

Die Angaben der Autoren über den Zusammenhang des Traumes mit dem Wachleben, sowie über die Herkunft des Traummaterials sind im einleitenden Abschnitt ausführlich mitgetheilt worden. Wir erinnern uns auch jener drei Eigenthümlichkeiten des Traumgedächtnisses, die so vielfach bemerkt, aber nicht erklärt werden sind:

§ 373

1. Dass der Traum die Eindrücke der letzten Tage deutlich bevorzugt [Robert 55), Strümpell 66), Hildebrandt 35), auch Weed-Hallam 33)];

§ 374

2. dass er eine Auswahl nach anderen Principien als unser Wachgedächtnis trifft, indem er nicht das Wesentliche und Wichtige, sondern das Nebensächliche und Unbeachtete erinnert vgl. (Seite 11)

§ 375

3. dass er die Verfügung über unsere frühesten Kindheitseindrücke besitzt und selbst Einzelheiten aus dieser Lebenszeit hervorholt, die uns wiederum als trivial erscheinen und im Wachen für längst vergessen gehalten werden sind.*)*)

§ 376

Diese Besonderheiten in der Auswahl des Traummateriales sind von den Autoren natürlich am manifesten Trauminhalte beobachtet worden.

§ 377

a) Das Recente und das Indifferente im Traum.

§ 378

Wenn ich jetzt in Betreff der Herkunft der im Trauminhalte auftretenden Elemente meine eigene Erfahrung zu Rathe ziehe, so muss ich zunächst die Behauptung aufstehen, dass in jedem Traume eine Anknüpfung an die Erlebnisse des letztabgelaufenen Tages aufzufinden ist. Welchen Traum immer ich vornehme, einen eigenen, oder fremden, jedesmal bestätigt sich mir diese Erfahrung. In Kenntnis dieser Thatsache kann ich etwa die Traumdeutung damit beginnen, dass ich zuerst nach dem Erlebnis des Tages forsche, welches den Traum angeregt hat; für viele Fälle ist dies sogar der nächste Weg. An den beiden Träumen, die ich im vorigen Abschnitt einer genauen Analyse unterzogen habe (von Irma’s Injection, von meinem Onkel mit dem gelben Bart) ist die Beziehung zum Tag so augenfällig, dass sie keiner weiteren Beleuchtung bedarf. Um aber zu zeigen, wie regelmässig sich diese Beziehung erweisen lässt, will ich ein Stück meiner eigenen Traumchronik darauf hin untersuchen. Ich theile die Träume nur soweit mit, als es zur Aufdeckung der gesuchten Traumquelle bedarf.

§ 379

1. Ich mache einen Besuch in einem Hause, wo ich nur mit Schwierigkeiten vorgelassen werde u. s. w., lasse eine Frau unterdessen auf mich warten.

§ 380

Quelle: Gespräch mit einer Verwandten am Abend, dass eine Anschaffung, die sie verlangt, warten müsse, bis u. s. w.

§ 381

2. Ich habe eine Monographie über eine gewisse (unklar) Pflanzenart geschrieben.

§ 382

Quelle: Am Vormittag im Schaufenster einer Buchhandlung eine Monographie gesehen über die Gattung Cyclamen.

§ 383

3. Ich sehe zwei Frauen auf der Strasse, Mutter und Tochter, von denen die Letztere meine Patientin war.

§ 384

Quelle: Eine in Behandlung stehende Patientin hat mir abends mitgetheilt, welche Schwierigkeiten ihre Mutter einer Fortsetzung der Behandlung entgegenstellt.

§ 385

4. In der Buchhandlung von S. und R. nehme ich ein Abonnement auf eine periodische Publication, die jährlich fl. 20 kostet.

*) Es ist klar, dass die Auffassung Robert’s, der Traum sei dazu bestimmt, unser Gedächtnis von den werthlosen Eindrücken des Tages zu entlasten, nicht mehr zu halten ist, wenn im Traume einigermassen häufig gleichgiltige Erinnerungsbilder aus unserer Kindheit auftreten. Man müsste den Schluss ziehen, dass der Traum die ihm anfallende Aufgabe sehr ungenügend zu erfüllen pflegt. § 386

Quelle: Meine Frau hat mich am Tage daran erinnert, dass ich ihr fl. 20 vom Wochengelde noch schuldig bin.

§ 387

5. Ich erhalte eine Zuschrift vom socialdemokratischen Comité, in der ich als Mitglied behandelt werde.

§ 388

Quelle: Zuschriften erhalten gleichzeitig vom liberalen Wohlcomité und vom Präsidium des humanitären Vereines, dessen Mitglied ich wirklich bin.

§ 389

6. Ein Mann auf einem steilen Fels mitten im Meer, in Böcklin’scher Manier.

§ 390

Quelle: Dreyfus auf der Teufelsinsel, gleichzeitig Nachrichten von meinen Verwandten in England u. s. w.

§ 391

Man könnte die Frage aufwerfen, ob die Traumanknüpfung unfehlbar an die Ereignisse des letzten Tages erfolgt, oder ob sie sich auf Eindrücke einen längeren Zeitraumes der jüngsten Vergangenheit erstrecken kann. Dieser Gegenstand kann principielle Bedeutsamkeit wahrscheinlich nicht beanspruchen, doch möchte ich mich für das ausschliessliche Vorrecht des letzten Tages vor dem Trauma (des Traumtages) entscheiden. So oft ich zu finden vermeinte, dass ein Eindruck vor zwei oder drei Tagen die Quelle des Traumes gewesen sei, konnte ich mich doch bei genauerer Nachforschung überzeugen, dass jener Eindruck am Vortage wieder erinnert worden war, dass also eine nachweisbare Reproduction am Vortage sich zwischen dem Ereignistage und der Traumzeit eingeschoben hatte, und konnte ausserdem den recenten Anlass nachweisen, von dem die Erinnerung an den älteren Eindruck ausgegangen sein konnte.

§ 392

Ich meine also, es gibt für jeden Traum einen Traum aus jenen Erlebnissen, über die „man noch keine Nacht geschlafen hat“.

§ 393

Die Eindrücke der jüngsten Vergangenheit (mit Ausschluss des Tages vor der Traumacht) zeigen also keine andersartige Beziehung zum Trauminhalte als andere Eindrücke aus beliebig ferner liegenden Zeiten. Der Traum kann sein Material aus jeder Zeit den Lebens wählen, wofern nur von den Erlebnissen des Traumtages (den „recenten“ Eindrücken) zu diesen früheren ein Gedankenfaden reicht.

§ 394

Woher aber die Bevorzugung der recenten Eindrücke? Wir werden zu Vermuthungen über diesen Punkt gelangen, wenn wir einen der erwähnten Träume einer genaueren Analyse unterziehen. Ich wähle den Traum von der Monographie.

§ 395

Trauminhalt: Ich habe eine Monographie über eine gewisse Pflanze geschrieben. Das Buch liegt vor mir, ich blättere eben eine eingeschlagene farbige Tafel um. Jedem Exemplar ist ein getrocknetes Specimen der Pflanze beigebunden, ähnlich wie aus einem Herbarium.

§ 396

Analyse: Ich habe am Vormittage im Schaufenster einer Buchhandlung ein neues Buch gesehen, welches sich betitelt: Die Gattung Cyclamen, offenbar eine Monographie über diese Pflanze.

§ 397

Cyclamen ist die Lieblingsblume meiner Frau. Ich mache mir Vorwürfe, dass ich so selten daran denke, ihr Blumen mitzubringen, wie sie sich’s wünscht. — Bei dem Thema: Blumen mitbringen erinnere ich mich einer Geschichte, welche ich unlängst im Freundeskreis erzählt und als Beweis für meine Behauptung verwendet habe, dass Vergessen sehr häufig die Ausführung einer Absicht des Unbewussten sei und immerhin einen Schluss auf geheime Gesinnung des Vergessenden gestatte. Eine junge Frau, welche daran gewöhnt war, zu ihrem Geburtstage einen Strauss von ihrem Manne vorzufinden, vermisst dieses Zeichen der Zärtlichkeit an einem solchen Festtag und bricht darüber in Thränen aus. Der Mann kommt hinzu, weiss sich ihr Weinen nicht zu erklären, bis sie ihm sagt: Heute ist mein Geburtstag. Da schlägt er sich vor die Stirne, ruft aus: Entschuldige, hab’ ich doch ganz daran vergessen, und will fort, ihr Blumen zu holen. Sie lässt sich aber nicht trösten, denn sie sieht in der Vergesslichkeit ihres Mannes einen Beweis dafür, dass sie in seinen Gedanken nicht mehr dieselbe Rolle spielt wie einstens. — Diese Frau L. ist meiner Frau vor zwei Tagen begegnet, hat ihr mitgetheilt, dass sie sich wohlfühlt, und sich nach mir erkundigt. Sie stand in früheren Jahren in meiner Behandlung.

§ 398

Ein neuer Ansatz: Ich habe wirklich einmal etwas Aehnliches geschrieben wie eine Monographie über eine Pflanze, nämlich einen Aufsatz über die Cocapflanze, welcher die Aufmerksamkeit von K. Koller auf die anästhesirende Eigenschaft des Cocains gelenkt hat. Ich hatte diese Verwendung des Alkaloids in meiner Publication selbst angedeutet, aber war nicht gründlich genug, die Sache weiter zu verfolgen. Dazu fällt mir ein, dass ich am Vormittag des Tages nach dem Traume (zu dessen Deutung ich erst abends Zeit fand) des Cocains in einer Art von Tagesphantasie gedacht habe. Wenn ich je Glaukom bekommen sollte, würde ich nach Berlin reisen und mich dort bei meinem Berliner Freunde von einem Arzt, den er mir empfiehlt, incognito operiren lassen. Der Operateur, der nicht wüsste, an wem er arbeitet, würde wieder einmal rühmen, wie flieht sich diese Operationen seit der Einführung des Cocains gestaltet haben; ich würde durch keine Miene verrathen, dass ich an dieser Entdeckung selbst einen Antheil habe. An diese Phantasie schlossen sich Gedanken an, wie unbequem es doch für den Arzt sei, ärztliche Leistungen von Seiten der Collegen für seine Person in Anspruch zu nehmen. Den Berliner Augenarzt, der mich nicht kennt, würde ich wie ein Anderer entlohnen können. Nachdem dieser Tagtraum mir in den Sinn gekommen, merke ich erst, dass sich die Erinnerung an ein bestimmtes Erlebnis hinter ihm verbirgt. Kurz nach der Entdeckung Koller’s war nämlich mein Vater an Glaukom erkrankt; er wurde von meinem Freunde, dem Augenarzt Dr. Königstein, operirt. Dr. Koller besorgte die Cocainanästhesie und machte dann die Bemerkung, dass bei diesem Falle alle die drei Personen sich vereinigt finden, die an der Einführung des Cocains Antheil gehabt haben.

§ 399

Meine Gedanken gehen nun weiter, wenn ich zuletzt an diese Geschichte des Cocains erinnert worden bin. Es war dies vor einigen Tagen, als ich die Festschrift in die Hand bekam, mit deren Erscheinen dankbare Schiller das Jubiläum ihres Lehrers und Laboratoriumsvorstandes gefeiert hatten. Unter den Ruhmestiteln des Laboratoriums fand ich auch angeführt, dass dort die Entdeckung der anästhesirenden Eigenschaft des Cocains durch K. Koller vorgefallen sei. Ich bemerkte nun plötzlich, dass mein Traum mit einem Erlebnis des Abends vorher zusammenhängt. Ich hatte gerade Dr. Königstein nach Hause begleitet, mit dem ich in ein Gespräch über eine Angelegenheit gerathen war, die mich jedesmal, wenn sie berührt wird, lebhaft erregt. Als ich mich in dem Hausflur mit ihm aufhielt, kann Professor Gärtner mit seiner jungen Frau hinzu. Ich konnte mich nicht enthalten, die Beiden darüber zu beglückwünschen, wie blühend sie aussehen Nun ist Professor Gärtner einer der Verfasser der Festschrift, von der ich eben sprach, und konnte mich wohl an diese erinnern. Auch die Frau L., deren Geburtstagsenttäuschung ich unlängst erzählte, war im Gespräch mit Dr. Königstein, in anderem Zusammenhange allerdings, erwähnt werden.

§ 400

Ich will versuchen, auch die anderen Bestimmungen des Trauminhaltes zu deuten. Ein getrocknetes Specimen der Pflanze liegt der Monographie bei, als ob es ein Herbarium wäre. An’s Herbarium knüpft sich eine Gymnasialerinnerung. Unser Gymnasialdirector rief einmal die Schüler der höheren Classen zusammen, um ihnen das Herbarium der Anstalt zur Durchsicht und zur Reinigung zu übergeben. Es hatten sich kleine Würmer eingefunden — Bücherwurm. Zu meiner Hilfeleistung scheint er nicht Zutrauen gezeigt zu haben, denn er überliess mit nur wenige Blätter. Ich weiß noch heute, dass Cruciferen darauf waren. Ich hatte niemals ein besonders intimes Verhältnis zur Botanik. Bei meiner botanischen Vorprüfung bekam ich wiederum eine Crucifere zur Bestimmung und — erkannte sie nicht. Es wäre mir schlecht ergangen, wenn nicht meine theoretischen Kenntnisse mir herausgeholfen hätten. — Von den Cruciferen gerathe ich auf die Compositen. Eigentlich ist auch die Artischocke eine Composite und zwar die, welche ich meine Lieblingsblume heissen könnte. Edler als ich, pflegt meine Frau mir diese Lieblingsblume häufig vom Markte heimzubringen.

§ 401

Ich sehe die Monographie vor mir liegen, die ich geschrieben habe. Auch dies ist nicht ohne Bezug. Mein visueller Freund schrieb mir gestern aus Berlin: „Mit Deinem Traumbuche beschäftige ich mich sehr viel. Ich sehe es fertig vor mir liegen und blättere darin.“ Wie habe ich ihn um diese Sehergabe beneidet! Wenn ich es doch auch schon fertig vor mir liegen sehen könnte!

§ 402

Die zusammengelegte farbige Tafel: Als ich Student der Medicin war, litt ich viel unter dem Impuls, nur aus Monographien lernen zu wollen. Ich hielt mir damals trotz meiner beschränkten Mittel, mehrere medicinische Archive, deren farbige Tafeln mein Entzücken waren. Ich war stolz auf diese Neigung zur Gründlichkeit. Als ich denn selbst zu publiciren begann, musste ich auch die Tafeln für meine Abhandlungen zeichnen und ich weiss, dass eine derselben so kümmerlich ausfiel, dass mich ein wohlwollender College ihretwegen verhöhnte. Dazu kommt noch, ich weiss nicht recht wie, eine sehr frühe Jugenderinnerung. Mein Vater machte sich einmal den Scherz, mir und meiner ältesten Schwester ein Buch mit farbigen Tafeln (Beschreibung einer Reise in Persien) zur Vernichtung zu überlassen. Es war kaum erziehlich zu rechtfertigen. Ich war damals fünf Jahre, die Schwester unter drei Jahren alt, und das Bild, wie wir Kinder überselig dieses Buch zerpflücken (wie eine Artischocke, Blatt für Blatt, muss ich sagen), ist nahezu das Einzige, was mir aus dieser Lebenszeit in plastischer Erinnerung geblieben ist. Als ich denn Student wurde, entwickelte sich bei mir eine ausgesprochene Vorliebe, Bücher zu sammeln und zu besitzen (analog der Neigung, aus Monographien zu studiren, eine Liebhaberei, wie sie in den Traumgedanken betreffs Cyclamen und Artischocke bereits vorkommt). Ich wurde ein Bücherwurm (vgl. Herbarium). Ich habe diese erste Leidenschaft meines Lebens, seitdem ich über mich nachdenke, immer auf diesen Kindereindruck zurückgeführt, oder vielmehr, ich habe erkannt, dass diese Kinderscene eine „Deckerinnerung“ für meine spätere Bibliophilie ist.*)*) Natürlich habe ich auch frühzeitig erfahren, dass man Leidenschaften leicht in Leiden gerüth. Als ich 17 Jahre alt war, hatte ich ein ansehnliches Conto beim Buchhändler und keine Mittel, es zu begleichen, und mein Vater liess es kaum als Entschuldigung gelten, dass sich meine Neigungen auf nichts Böseres geworfen hatten. Die Erwähnung dieses späteren Jugenderlebnisses bringt mich aber sofort zu dem Gespräch mit meinem Freunde Dr. Königstein zurück. Denn um dieselben Vorwürfe wie damals, dass ich meinen Liebhabereien zuviel nachgehe, handelte es sich auch im Gespräch am Abend des Traumtages.

§ 403

Aus Gründen, die nicht hieher gehören, will ich die Deutung dieses Traumes nicht verfolgen, sondern blos den Weg angeben, welcher zu ihr führt. Während der Deutungsarbeit bin ich an

*) Vgl. meinen Aufsatz „Ueber Deckerinnerungen“ in der Monatsschrift für Psychiatrie und Neurologie, 1899. § 404

des Gespräch mit Dr. Königstein erinnert werden, und zwar mehr als einer Stelle aus. Wenn ich mir vorhalte, welche Dinge in diesem Gespräche berührt werden sind, so wird der Sinn des Traumes mir verständlich. Alle angefangenen Gedenkengänge, von den Liebhabereien meiner Frau und meinen eigenen, vom Cocain von den Schwierigkeiten ärztlicher Behandlung unter Collegen, meiner Vorliebe für monographische Studien und meiner Vernachlässigung gewisser Fächer wie der Botanik, dies alles erhält dann seine Fortsetzung und mündet in irgend einen der Faden der vielverzweigten Unterredung ein. Der Traum bekömmt wieder den Charakter einer Rechtfertigung, eines Plaidoyers für mein Recht, wie der erst analysirte Traum vom Irma’s Injection; ja er setzt des dort begonnene Thema fort und erörtert es an einem neuen Material, welches im Intervall zwischen beiden Träumen hinzugekommen ist. Selbst die scheinbar indifferente Ausdrucksform des Traumes bekömmt einen Accent. Es heisst jetzt: Ich bin doch der Mann, der die werthvolle und erfolgreiche Abhandlung (über das Cocain) geschrieben hat, ähnlich wie ich damals zu meiner Rechtfertigung vorbrachte: Ich bin doch ein tüchtiger und fleissiger Student; in beiden Fällen also: Ich darf mir das erlauben. Ich kann aber auf die Ausführung der Traumdeutung hier verzichten, weil mich zur Mittheilung des Traumes nur die Absicht bewogen hat, an einem Beispiele die Beziehung des Trauminhaltes zu dem erregenden Erlebnis des Vortrages zu untersuchen. So lange ich diesem Traume nur den um manifesten Inhalt kenne, wird mir nur Beziehung des Traumes zu einem Tageseindruck augenfällig; nachdem ich die Analyse gemacht habe, ergibt sich eine zweite Quelle des Traumes in einem anderen Erlebnis desselben Tages. Der erste der Eindrücke auf welche sich der Traum bezieht, ist ein gleichgiltiger, ein Nebenumstand. Ich sehe im Schaufenster ein Buch, dessen Titel mich flüchtig berührt, dessen Inhalt mich kaum interessiren dürfe. Das zweite Erlebnis hatte einen hohen psychischen Werth; ich habe mit meinem Freunde, dem Augenarzt, wohl eine Stunde lang eifrig gesprochen, ihm Andeutungen gemacht, die uns beiden nahe gehen mussten, und Erinnerungen in mir wachgerufen, bei denen die mannigfaltigsten Erregungen meines Innern mir bemerklich werden. Ueberdies wurde dieses Gespräch unvollendet abgebrochen, weil Bekannte hinzukamen. Wie stehen nun die beiden Eindrücke des Tages zu einander und zu dem in der Nacht erfolgenden Traum?

§ 405

Im Trauminhalte finde ich nur eine Anspielung auf den gleichgiltigen Eindruck und kann so bestätigen, dass der Traum mit Vorliebe Nebensächliches aus dem Leben in seinen Inhalt aufnimmt. In der Traumdeutung gegen führt alles auf das wichtige, mit Recht erregende Erlebnis hin. Wenn ich den Sinn des Traumes, wie es einzig richtig ist, nach dem latenten, durch die Analyse zu Tage ge förderten Inhalt beurtheile, so bin ich unversehens zu einer neuen und wichtigen Erkenntnis gelangt. Ich sehe das Räthsel zerfallen, dass der Traum sich nur mit den werthlosen Brocken des Tageslebens beschäftigt, ich muss auch der Behauptung widersprechen, dass das eine Seelen eben des Wachens nich in den Traum nicht fortsetzt, und der Traum dafür psychische Thatigkeit an lappisches Material verschwendet. Das Gegentheil ist wahr; was uns bei Tage in Anspruch genommen hat, beherrscht auch die Traumgedanken, und wir geben uns die Mühe zu träumen nur bei solchen Materien, welche uns bei Tage Anlass zum Denken geboten hätten.

§ 406

Die naheliegendste Erklärung dafür, dass ich doch vom gleichgiltigen Tageseindruck träume, während der mit Recht aufregende zum Traume veranlasst hat, ist wohl die, dass hier wieder ein Phänomen der Traumentstellung vorliegt, welche wir oben auf als Censur wütende psychische Macht zurückgeführt haben. Die Erinnerung an die Monographie über die Gattung Cyclamen erfährt eine Verwendung, als ob sie eine Anspielung auf das Gespräch mit dem Freunde wäre, ganz ähnlich wie im Traum von dem verhinderten Souper die Erwähnung der Freundin durch die Anspielung „geräucherter Lachs“ vertreten wird. Es fragt sich nur, welche Mittelglieder kann der Eindruck der Monographie zu dem Gespräche mit dem Augenarzt in das Verhältnis der Anspielung treten, da eine solche Beziehung zunächst nicht ersichtlich ist. In dem Beispiele vom verhinderten Souper ist die Beziehung von vornherein gegeben; „geräucherter Lachs“ als die Lieblingsspeise der Freundin gehört ohne weiteres zu dem Vorstellungskreise, den die Person der Freundin bei der Träumenden anzuregen vermag. In unserem neuen Beispiel handelt es sich um zwei gesonderte Eindrücke, die zunächst nichts gemeinsam haben, als dass sie am nämlichen Tage erfolgen. Die Monographie fällt mir am Vormittag auf, das Gespräch führe ich dann am Abend. Die Antwort, welche die Analyse an die Hand gibt, lautet: Solche erst nicht vorhandene Beziehungen zwischen den beiden Eindrücken werden nachträglich vom Vorstellungsinhalt des einen zum Vorstellungsinhalt des anderen angesponnen. Ich habe die betreffenden Mittelglieder bereits bei der Niederschrift der Analyse hervorgehoben. An die Vorstellung der Monographie über Cyclamen würde sich ohne Beeinflussung von anderswoher wohl nur die Idee knüpfen, dass diese die Lieblingsblume meiner Frau ist, etwa noch die Erinnerung an den vermissten Blumenstrauss der Frau L. Ich glaube nicht, dass diese Hintergedanken hatten, einen Traum hervorzurufen.

§ 407

"„There needs no ghost, my lord, come from the grave To tell us this.“"

§ 408

heißt es im Hamlet. Aber siehe da, in der Analyse werde ich daran erinnert, dass der Mann, der unser Gespräch störte, Gärtner hiess, dass ich seine Frau blühend fand; ja ich sinne mich eben jetzt nachträglich, dass eine meiner Patientinnen, die den schönen einen Flora trägt, eine Weile im Mittelpunkte unseres Gespräches stand. Es muss so zugegangen sein, dass sich über diese Mittelglieder aus dem botanischen Vorstellungskreis die Verknüpfung der beiden Tageserlebnisee, den gleichgiltigen und des aufregenden, vollzog. Dann stellten sich weitere Beziehungen ein, die des Cocaine, welche Fug und Recht zwischen der Person des Dr. Königstein und botanischen Monographie, die ich geschrieben habe, vermitteln kann, und befestigten diese Verschmelzung der beiden Vorstellungskreise zu einem, so dass nun ein Stück aus dem ersten Erlebnis als Anspielung auf das zweite verwendet werden konnte.

§ 409

Ich bin darauf gefasst, dass man diese Aufklärung als eine kürliche oder als eine gekünstelte anfechten wird. Was wäre schehen, wenn Professor Gärtner mit seiner blühenden Frau nicht hinzugetreten wäre, wenn die besprochene Patientin nicht Flora, sondern Anna hiesse? Und doch ist die Antwort leicht. Wenn sich nicht diese Gedankenbeziehungen ergeben hätten, so wären wahrscheinlich andere ausgewählt werden. Es ist so leicht, derartige Beziehungen herzustellen, wie ja die Scherz- und Räthselfragen, mit denen wir uns den Tag erheitern, zu beweisen vermögen. Der Machtbereich des Witzes ist ein uneingeschränkter. Um einen Schritt weiter zu gehen: wenn sich zwischen den beiden Eindrücken des Tages keine genug ausgiebigen Mittelbeziehungen hätten herstellen lassen, so wäre der Traum eben anders ausgefallen; ein anderer gleichgiltiger Eindruck des Tages, wie sie in Schaaren an uns herantreten und von uns vergessen werden, hatte für den Traum die Stelle der „Monographie“ übernommen, wäre in Verbindung mit dem Inhalt des Gespräches gelangt und hätte dieses im Trauminhalt vertreten. Da kein anderer als der von der Monographie dieses Schicksal hatte, so wird er wohl der für die Verknüpfung passendste gewesen sein. Man braucht sich nie wie Hänschen Schlau bei Lessing darüber zu wundern, „dass nur die Reichen in der Welt das meiste Geld besitzen“.

§ 410

Der psychologische Vorgang, durch welchen nach unserer Darlegung das gleichgiltige Erlebnis zur Stellvertretung für das psychisch werthvolle gelangt, muss uns noch bedenklich und befremdend erscheinen. In einem späteren Abschnitt werden wir uns vor der Aufgabe sehen, die Eigenthtümlichkeiten dieser scheinbar incorrecten Operation unserem Verständnis näher zu bringen. Hier haben wir es nur mit dem Erfolge des Vorganges zu thun, zu dessen Annahme wir durch ungezählte und regelmässig wiederkehrende Erfahrungen bei der Traumanalyse gedrängt werden. Der Vorgang ist aber so, als ob eine Verschiebung — sagen wir: des psychischen Accentes — auf dem Wege jener Mittelglieder zu Stande käme, bis anfangs schwach mit Intensität geladene Vorstellungen durch Uebernahme der Ladung von den anfänglich intensiver besetzten zu einer Stärke gelangen, welche sie befähigt den Zugang zum Bewusstsein zu erzwingen. Solche Verschiebungen wundern uns keineswegs, wo es sich um die Anbringung von Affectgrössen oder überhaupt um motorische Actionen handelt. Dass die einsam gebliebene Jungfrau ihre Zärtlichkeit auf Thiere überträgt, der Junggeselle leidenschaftlicher Sammler wird, dass der Soldat einen Streifen farbigen Zeuges, die Fahne, mit seinem Herzblute vertheidigt, dass im Liebesverhältnis ein um Secunden verlängerter Händedruck Seligkeit erzeugt, oder im Othello ein verlorenes Schnupftuch einen Wuthausbrauch, das sind sämmtlich Beispiele von psychischen Verschiebungen, die uns unanfechtbar erscheinen. Dass aber auf demselben Wege und nach denselben Grundsätzen eine Entscheidung darüber gefällt wird, was in unser Bewusstsein gelangt und was ihm vorenthalten bleibt, also was wir denken, das macht uns den Eindruck des Krankhaften, und wir heissen es Denkfehler, wo es im Wachleben vorkommt. Verrathen wir hier als das Ergebnis später anzustellender Betrachtungen, dass der psychische Vorgang, den wir in der Traumverschiebung erkannt haben, sich zwar nicht als ein krankhaft gestörter, wohl aber ein vom normalen verschiedener, als ein Vorgang von mehr primärer Natur herausstellen wird.

§ 411

Wir deuten somit die Thatsache, dass der Trauminhalt Reste von nebensächlichen Erlebnissen aufnimmt, als eine Aeusserung der Traumentstellung (durch Verschiebung) und erinnern daran, dass wir in der Traumentstellung eine Folge der zwischen zwei psychischen Instanzen bestehenden Durchgangscensur erkannt haben. Wir erwarten dabei, dass die Traumanalyse uns regelmässig die wirkliche, psychisch bedeutsame Traumquelle aus dem Tagesleben aufdecken wird, deren Erinnerung ihren Accent auf die gleichgiltige Erinnerung verschoben hat. Durch diese Auffassung haben wir uns im vollen Gegensatze zu der Theorie von Robert 55) gebracht, die für une:tlnverwendbu geworden ist. Die Thatsache, welche Robert erklären wollte, besteht eben nicht; ihre Annahme beruht auf einem Missverständnis, auf der Unterlassung, für den scheinbaren Trauminhalt den wirklichen Sinn des Traumes einzusetzen. Man kann noch weiterhin gegen die Lehre von Robert einwenden: Wenn der Traum wirklich die Aufgabe hätte, unser Gedächtnis durch besondere psychische Arbeit von den „Schlacken“ der Tageserinnerung zu befreien, so müsste unser Schlafen gequälter sein und auf angestrengtere Arbeit verwendet werden, als wir es von unserem wachen Geistesleben behaupten können. Denn die Anzahl der indifferenten Eindrücke des Tages, vor denen wir unser Gedächtnis zu schützen hätten, ist offenbar unermesslich gross; die Nacht wurde nicht hinreichen, die Summe zu bewältigen. Es ist sehr viel wahrscheinlicher, dass das die Vergessen der gleichgiltigen Eindrücke ohne actives Eingreifen unserer seelischen Mächte vor sich geht.

§ 412

Dennoch verspüren wir eine Warnung, von dem Robert’schen Gedanken ohne weitere Berücksichtigung Abschied zu nehmen. Wir haben die Thatsache unerklärt gelassen, dass einer der indifferenten Eindrücke des Tages — und zwar des letzten Tages — regelmässig einen Beitrag zum Trauminhalte liefert. Die Beziehungen zwischen diesem Eindruck und der eigentlichen Traumquelle im Unbewussten bestehen nicht immer von vornherein; wie wir gesehen haben, worden sie erst nachträglich, gleichem zum Dienste der beabsichtigten Verschiebung, währen der Traumarbeit hergestellt. Es muss also eine Nöthigung vorhanden sein, Verbindungen gerade nach der Richtung des recenten, obwohl gleichgiltigen, Eindruckes anzubahnen; dieser muss eine besondere Eignung durch irgend eine Qualität dazu bieten. Sonst wäre es ja ebenso leicht durchführbar, dass die Traumgedanken ihren Accent auf einen unwesentlichen Bestandtheil ihres eigenen Vorstellungskreises verschieben.

§ 413

Folgende Erfahrungen können uns hier auf den Weg zur Aufklärung leiten. Wenn uns ein Tag zwei oder mehr Erlebnisse gebracht hat, welche Träume anzuregen würdig sind, so vereinigt der Traum die Erwähnung beider zu einem einzigen Ganzen; er gehorcht einem Zwang, eine Einheit aus ihnen zu gestalten; z. B.: Ich stieg eines Nachmittags im Sommer in ein Eisenbabncoupé ein, in welchem ich zwei Bekannte traf, die einander aber fremd waren. Der Eine war ein einflussreicher College, der Andere ein Angehöriger einer vornehmen Familie, in welcher ich ärztlich beschäftigt war. Ich machte die beiden Herren mit einander bekannt; ihr Verkehr ging aber die lange Fahrt über mich, so dass ich bald mit dem Einen, bald mit dem Anderen einen Gesprächsstoff zu behandeln hatte. Den Collagen bat ich, einem gemeinsamen Bekannten, der eben seine ärztliche Praxis begonnen hatte, seine Empfehlung zuzuwenden. Der College erwiderte, er sei von der Tüchtigkeit des jungen Mannes überzeugt, aber sein unscheinbares Wesen werde ihm den Eingang in vornehme Häuser nicht leicht werden lassen. Ich erwiderte: Gerade darum bedarf er der Empfehlung. Bei dem anderen Mitreisenden erkundigte ich mich bald darauf nach dem Befinden seiner Tante, — der Mutter einer meiner Patientinnen — welche damals schwer krank darnieder lag. In der Nacht nach dieser Reise träumte ich, mein junger Freund, für den ich die Protection erbeten hatte, befinde sich in einem eleganten Salon und halte vor einer ausgewählten Gesellschaft, in die ich alle mir bekannten vornehmen und reichen Leute versetzt hatte, mit weltmännischen Gesten eine Trauerrede auf die (für den Traum bereits verstorbene) alte Dame, welche die Tante des zweiten Reisegenossen war. [Ich gestehe offen, dass ich mit dieser nicht in guten Beziehungen gestanden hatte.] Mein Traum hatte also wiederum Verknüpfungen zwischen beiden Eindrücken des Tages aufgefunden und mittelst derselben eine einheitliche Situation componirt.

§ 414

Auf Grund vieler ähnlicher Erfahrungen muss ich den Satz aufstellen, dass für die Traumarbeit eine Art von Nöthigung besteht, alle vorhandenen Traumreizquellen zu einer Einheit im Trauma zusammenzusetzen.*)*)

§ 415

Ich will jetzt die Frage in Erörterung ziehen, ob die traumerregende Quelle, auf welche die Analyse hinführt, jedesmal ein recentes (und bedeutsames) Ereignis sein muss, oder ob ein inneres Erlebnis, also die Erinnerung an ein psychisch werthvolles Ereignis, ein Gedankengang die Rolle des Traumerregers übernehmen kann. Die Antwort, die sich aus zahlreichen Analysen auf das bestimmteste ergibt, lautet im letzteren Sinne. Der Traumerreger kann ein innerer Vorgang sein, der gleichsam durch die Denkerarbeit am Tage recent geworden ist. Es wird jetzt wohl der richtige Moment sein, die verschiedenen Bedingungen, welche die Traumquellen erkennen lassen, in einem Schema zusammen zu stellen.

§ 416

Traumquelle kann sein:

§ 417

a) Ein recentes und psychisch bedeutsames Erlebnis, welches im Traume direct vertreten ist.**)**)

§ 418

b) Mehrere recente, bedeutsame Erlebnisse, die durch den Traum zu einer Einheit vereinigt werden.***)***)

§ 419

c) Ein oder mehrere recente und bedeutsame Erlebnisse, die im Trauminhalte durch die Erwähnung eines gleichzeitigen, aber indifferenten Erlebnisses vertreten werden.†)†)

§ 420

d) Ein inneres bedeutsamen Erlebnis (Erinnerung, Gedankengang), welches dann im Trauma regelmässig durch die Erwähnung eines recenten, aber indifferenten Eindruckes vertreten wird.††)††)

§ 421

Wie man sieht, wird für die Traumdeutung durchwegs die Bedingung festgehalten, dass ein Bestandtheil des Trauminhaltes einen recenten Eindruck des Vortrages wiederholt. Dieser zur Vertretung im Traume bestimmte Antheil kann entweder dem Vorstellungskreis des eigentlichen Traumerregers selbst angehören, — und zwar entweder als wesentlicher oder als unwichtiger Bestandtheil desselben — oder er rührt aus dem Bereiche eines indifferenten Eindruckes her, der durch mehr oder minder reichliche Verknüpfung mit dem Kreis des Traumerregers in Beziehung gebracht worden ist. Die scheinbare Mehrheit der Bedingungen kommt hier nur durch die Alternative zu Stande, dass eine Verschiebung unterblieben oder vorgefallen ist, und wir merken hier, dass diese Alternative uns dieselbe Leichtigkeit bietet, die Contraste des Traumes zu erklären, wie der medicinischen Theorie des Traumes die Reihe vom partiellen bis zum vollen Wachen der Gehirnzellen (vergleiche Seite 53).

*) Die Neigung der Traumbeit, gleichzeitig als interessant Vorhandenes in einer Behandlung zu verschmelzen, ist bereits von mehreren Autoren bemerkt werden, z. B. von Delage 15) (S. 41), Delboeuf 16): rapprochement forcé (S. 236). *) Traum von Irma’s Injection; Traum vom Freund, der mein Onkel ist. ***) Traum von der Trauerrede des jungen Arztes. †) Traum von der botanischen Monographie. ††) Solcher Art sind die meisten Träume meiner Patienten während der Analyse. § 422

Man bemerkt an dieser Reihe ferner, dass das psychisch werthvolle, aber nicht recente Element (der Gedankengang, die Erinnerung) für die Zwecke der Traumbildung durch ein recentes, aber psychisches indifferentes Element ersetzt werden kann, wenn dabei nur die beiden Bedingungen eingehalten werden, dass 1. der Trauminhalt eine Anknüpfung an das recent Erlebte erhält; 2. der Traumerreger ein psychisch werthvoller Vorgang bleibt. In einem einzigen Falle (a) werden beide Bedingungen durch denselben Eindruck erfüllt. Zieht man noch in Erwägung, dass dieselben indifferenten Eindrücke, welche für den Traum verwerthet werden, solange sie recent sind, diese Eignung einbüssen, sobald sie einen Tag (oder höchstens mehrere) älter geworden sind, so muss man sich zur Annahme entschliessen, dass die Frische eines Eindruckes ihm an sich einen gewissen psychischen Werth für die Traumbildung verleiht, welcher der Werthigkeit affektbetonter Erinnerungen oder Gedankengänge irgendwie gleichkommt. Wir werden erst bei späteren psychologischen Ueberlegungen errathen können, worin dieser Werth recenter Eindrücke für die Traumbildung begründet sein kann.*)*)

§ 423

Nebenbei wird hier unsere Aufmerksamkeit darauf gelenkt, dass zur Nachtzeit und von unserem Bewusstsein unbemerkt wichtige Vänderungen mit unserem Erinnerungs- und Vorstellungsmaterial vor sich gehen können Die Forderung, eine Nacht über eine Angelegenheit zu schlafen, ehe man sich endgiltig über sie entscheidet, ist offenbar vollberechtigt. Wir merken aber, dass wir an diesem Punkte aus der Psychologie des Träumens in die des Schlafes übergegriffen haben, ein Schritt, zu welchen sich der Anlass noch öfter ergeben wird.

§ 424

Es gibt nun einen Einwand, welcher die letzten Schlussfolgerungen umzustossen droht. Wenn indifferente Eindrücke nur, so lange sie recent sind, in den Trauminhalt gelangen können, wie kommt es, dass wir im Trauminhalt auch Elemente aus früheren Lebensperioden vorfinden, die zur Zeit, da sie recent waren — nach Strümpell’s Worten keinen psychischen Werth besessen, also längst vergessen sein sollten, Elemente also, die weder frisch noch psychisch bedeutsam sind?

§ 425

Dieser Einwand ist voll zu erledigen, wenn man sich auf die Ergebnisse der Psychoanalyse bei Neurotikern stützt. Die Lösung lautet nämlich, dass die Verschiebung, welche das psychisch wichtigste Material durch indifferentes ersetzt (für das Träumen wie für das Denken), hier bereite in jenen frühen Lebensperioden stattgefunden hat und seither im Gedächtnis fixirt werden ist. Jene ursprünglich indifferenten Elemente sind eben nicht mehr indifferent, seitdem sie durch Verschiebung die Werthigkeit vom psychisch bedeutsamen Material übernommen haben. Was wirklich indifferent geblieben ist, kann auch nicht mehr im Traume reproducirt werden.

*) Vgl. im Abschnitt VII. über die „Uebertragung“. § 426

Aus den vorstehenden Erörterungen wird man mit Recht schliessen, dass ich die Behauptung aufstelle, es gebe keine indifferenten Traumerreger, also auch keine harmlosen Träume. Dies ist in aller Strenge und Auschliesslichkeit meine Meinung, abgesehen von den Träumen der Kinder und etwa den kurzen Traumreactionen auf nächtliche Sensationen. Was man sonst träumt, ist entweder manifest als psychisch bedeutsam zu erkennen, oder es ist entstellt und dann erst nach vollzogener Traumdeutung zu beurtheilen, worauf es sich wiederum als bedeutsam zu erkennen gibt. Der Traum gibt sich nie mit Kleinigkeiten ab; um Geringes lassen wir uns im Schlaf nicht stören. Die scheinbar harmlosen Träume erweisen sich als arg, wenn man sich um ihre Deutung bemüht; wenn man mir die Redensart gestattet, sie haben es „faustdick hinter den Ohren“. Da dies wiederum ein Punkt ist, bei dem ich Widerspruch erwarten darf, und da ich gerne die Gelegenheit ergreife, die Traumentstellung bei ihrer Arbeit zu zeigen, will ich eine Reihe von „harmlosen Träumen aus meiner Sammlung hier der Analyse unterziehen.

§ 427

I. Eine kluge und feine junge Dame, die aber auch im Leben zu den Reservirten, zu den „stillen Wassern“ gehört, erzählt: Ich habe geträumt, dass ich auf den Markt zu spät komme und beim Fleischhauer sowie bei der Gemüsefrau nichts bekomme. Gewiss ein harmlosen Traum, aber so sieht ein Traum nicht aus; ich lasse ihn mir detaillirt erzählen. Dann lautet der Bericht folgendermnssen: Sie geht auf den Markt mit ihrer Köchin, die den Korb trägt. Der Fleischhauer sagt ihr, nachdem sie etwas verlangt hat: Das ist nicht mehr zu haben, und will ihr etwas Anderes geben mit der Bemerkung: Das ist auch gut. Sie lehnt ab und geht zur Gemüsefrau. Die will ihr ein eigenthümliches Gemüse verkaufen, was in Bündeln zusammengebunden ist, aber schwarz von Farbe. Sie sagt: Das kenne ich nicht, das nehme ich nicht.

§ 428

Die Tagesanknüpfung des Traumes ist einfach genug. Sie war wirklich zu spät auf den Markt gegangen und hatte nichts mehr bekommen. Die Fleischbank war schon geschlossen, drängt sich einem als Beschreibung des Erlebnisses auf. Doch halt, ist das nicht eine recht gemeine Redensert, die — oder vielmehr deren Gegentheil — auf eine Nachlässigkeit in der Kleidung eines Mannes geht? Die Träumerin hat diese Worte übrigens nicht gebraucht, ist vielleicht ihnen ausgewichen; suchen wir nach der Deutung der im Traume enthaltenen Einzelheiten.

§ 429

Wo etwas im Traum den Charakter einer Rede hat, also gesagt oder gehört wird, nicht blos gedacht — was sich meist sicher unterscheiden lässt — das stammt von Reden des wachen Lebens her, die freilich als Rohmaterial behandelt, zerstückelt, leise verändert, vor allem aber aus dem Zusammenhange gerissen werden sind.*)*) Man kann bei der Deutungsarbeit von solchen Reden ausgehen. Woher stammt also die Rede des Fleischhauers: Das ist nicht mehr zu haben? Von mir selbst; ich hatte ihr einige Tage vorher erklärt, „dass die ältesten Kindererlebnisse nicht mehr als solche zu haben sind, sondern durch „Uebertragungen“ und Träume in der Analyse ersetzt werden.“ Ich bin also der Fleischhauer, und sie lehnt diese Uebertragungen alter Denk- und Empfindungsweisen auf die Gegenwart ab. — Woher rührt ihre Traumrede: Das kenne ich nicht, das nehme ich nicht? Diese ist für die Analyse zu zertheilen. „Das kenne ich nicht“ hat sie selbst Tags vor er zu ihrer Köchin gesagt, mit der sie einen Streit hatte, damals aber hinzugefügt: Benehmen Sie sich anständig. Hier wird eine Verschiebung greifbar; von den beiden Sätzen, die sie gegen ihre Köchin gebraucht, hat sie den bedeutungslosen in den Traum genommen der unterdrückte aber: „Benehmen Sie sich anständig!“ stimmt allein zum übrigen Trauminhalt. So könnte man jemandem zurufen, der unanständige Zumuthungen wagt und vergisst, die Fleischbank zuzuschliessen“. Dass wir der Deutung wirklich auf die Spur gekommen sind, beweist dann der Zusammenklang mit den Anspielungen, die in der Begebenheit mit der Gemüsefrau niedergelegt sind. Ein Gemüse, das in Bündeln zusammengebunden verkauft wird (länglich ist, wie sie nachträglich hinzufügt), und dabei schwarz, was kann des anderes sein als die Traumvereinigung von Spargel und schwarzem Rettig? Spargel brauche ich keinem und keiner Wissenden zu deuten, aber auch das andere Gemüse — als Zuruf: Schwarzer, rett’ Dich! — scheint mir auf das nämliche sexuelle Thema hinzuweisen, das wir gleich anfangs erriethen, als wir für die Traumerzählung einsetzen wollten: die Fleischbank war geschlossen. Es kommt nicht darauf an, den Sinn dieses Traumes vollständig zu erkennen; soviel steht fest, dass er sinnreich ist und keineswegs harmlos.**)**)

§ 430

II. Ein anderer harmlosen Traum derselben Patientin, in gewisser Hinsicht ein Gegenstück zum vorigen: Ihr Mann fragt: Soll man das Clavier nicht stimmen lassen? Sie: Es lohnt sich nicht, es muss ohnedies neu beledert werden. Wiederum die Wiederholung eines realen Ereignisses vom Vortag. Ihr Mann hat so gefragt und sie so ähnlich geantwortet. Aber was bedeutet es, dass sie es träumt? Sie erzählt zwar vom Clavier, es sei ein ekelhafter Kasten, der einen schlechten Ton gibt, ein Ding, das ihr Mann schon vor der Ehe besessen hat*)*) u. s. w., aber den Schlüssel zur Lösung ergibt doch erst die Rede: Es lohnt nicht. Diese stammt von einem gestern gemachten Besuch bei ihrer Freundin. Dort wurde sie aufgefordert ihre Jacke abzulegen und weigerte sich mit den Worten: Denke, es lohnt nicht, ich muss gleich gehen. Bei dieser Erzählung muss mir einfallen, dass sie gestern während der Arbeit plötzlich an ihre Jacke griff, an der sich ein Knopf geöffnet hatte. Es ist also, als wollte sie sagen: Bitte, sehen Sie nicht hin, es lohnt nicht. So ergänzt sich der Kasten zum Brustkasten, und die Deutung des Traumes führt direct in die Zeit ihrer körperlichen Entwicklung, da sie anfing, mit ihren Körperformen unzufrieden zu sein. Es führt auch wohl in frühere Zeiten, wenn wir auf das „Ekelhaft“ und den „schlechten Ton“ Rücksicht nehmen und uns daran erinnern, wie häufig die kleinen Hemisphären des weiblichen Körpers — als Gegensatz und als Ersatz — für die grossen eintreten, — in der Anspielung und im Traum.

*) Vergleiche über die Reden im Traum im Abschnitte über die Traumarbeit. Ein einziger der Autoren scheint die Herkunft der Traumreden erkannt zu haben, Delboeuf 16) (p. 226), indem er sie mit „clichés“ vergleicht. **) Für Wissbegierige bemerke ich, dass hinter dem Trauma sich eine Phantasie verbirgt von unanständigem, sexuell provocirendem Benehmen meinerseits und von Abwehr von Seite der Dame. Wem diese Deutung unerhört erscheinen sollten, den mahne ich an die zahlreichen Fälle, wo Aerzte solche Anklagen von hysterischen Frauen erfahren haben, bei denen die nämliche Phantasie nicht entstellt und als Traum aufgetreten, sondern unverhüllt bewusst und wahnhaft geworden ist. § 431

III. Ich unterbreche diese Reihe, indem ich einen kurzen harmlosen Traum eines jungen Mannes einschiebe. Er hat geträumt, dass er wieder seinen Winterrock anzieht, was schrecklich ist. Anlass dieses Traumes ist angeblich die plötzlich wieder eingetretene Kälte. Ein feineres Urtheil wird indes bemerken, dass die beiden kurzen Stücke des Traumes nicht gut zu einander passen, denn in der Kälte den schweren oder dicken Rock tragen, was könnte daran „schrecklich“ sein. Zum Schaden für die Harmlosigkeit dieses Traumes bringt auch der erste Einfall bei der Analyse die Erinnerung, dass eine Dame ihm gestern vertraulich gestanden, dass ihr letztes Kind einem geplatzten Condom seine Existenz verdankt. Er reconstruiert nun seine Gedanken bei diesem Anlasse: Ein dünner Condom ist gefährlich, ein dicker schlecht. Der Condom ist der „Ueberzieher“ mit Recht, man zieht ihn ja über; so heisst man auch einen leichten Rock. Ein Ereignis wie das von der Dame berichtete wäre für den unverheirateten nun allerdings „schrecklich“. — Nun wieder zurück zu unserer harmlosen Träumerin.

§ 432

IV. Sie steckt eine Kerze in den Leuchter; die Kerze ist aber gebrochen, so dass sie nicht gut steht. Die Mädchen in den Schule sagen, sie sei ungeschickt; das Fräulein aber, es sei nicht ihre Schuld.

§ 433

Ein realer Anlass auch hier; sie hat gestern wirklich eine Kerze in den Leuchter gesteckt; die war aber nicht gebrochen. Hier ist eine durchsichtige Symbolik verwendet worden. Die Kerze ist ein Gegenstand, der die weiblichen Genitalien reizt; wenn sie gebrochen ist, so dass sie nicht gut steht, so bedeutet dies die Impotenz des Mannes („es sei nicht ihre Schuld“). Ob nur die sorgfältig erzogene und allem Hässlichen fremd gebliebene junge Frau diese Verwendung der Kerze kennt? Zufällig kann sie noch angeben, durch welches Erlebnis sie zu dieser Kenntnis gekommen ist. Bei einer Kahnfahrt auf dem Rhein fährt ein Boot an ihnen vorüber, in dem Studenten sitzen, welche mit grossem Behagen ein Lied singen oder brüllen: „Wenn die Königin von Schweden, bei geschlossenen Fensterläden mit Apollokerzen . . . .“

*) Eine Ersetzung durch das Gegentheil, wie uns nach der Deutung klar werden wird. § 434

Das letzte Wort hört oder versteht sie nicht. Ihr Mann muss ihr die verlangte Aufklärung gehen. Diese Verse sind dann im Trauminhalt ersetzt durch eine harmlose Erinnerung an einen Auftrag, den sie einmal im Pensionat ungeschickt ausführte, und zwar vermöge des Gemeinsamen: geschlossene Fensterläden. Die Verbindung des Themas von der Onanie mit der Impotenz ist klar genug. „Apollo“ im latenten Trauminhalt verknüpft diesen Traum mit einem früheren, in dem von der jungfräulichen Pallas die Rede war. Alles wahrlich nicht harmlos.

§ 435

V. Damit man sich die Schlüsse aus den Träumen auf die wirklichen Lebensverhältnisse der Trümmer nicht zu leicht vorstelle, füge ich noch einen Traum an, der gleichfalls harmlos scheint und von derselben Person herrührt. Ich habe etwas geträumt, erzählt sie, was ich bei Tag wirklich gethan habe, nämlich einen kleinen Koffer so voll mit Büchern gefüllt, dass ich Mühe hatte ihn zu schliessen, und ich habe es so geträumt, wie es wirklich vorgefallen ist. Hier legt die Erzählerin selbst das Hauptgewicht auf die Uebereinstimmung von Traum und Wirklichkeit. Alle solche Urtheile über den Traum, Bemerken zum Traum, gehören nun, obwohl sie sich einen Platz im wachen Denken geschaffen haben, doch regelmässig in den latenten Trauminhalt, wie uns noch spätere Beispiele bestätigen werden. Es wird uns also gesagt, das, was der Traum erzählt, ist am Tage vorher wirklich vorgefallen. Es wäre nun zu weitläufig mitzutheilen, auf welchem Wege man zum Einfalle kommt, bei der Deutung das Englische zur Hilfe zu nehmen. Genug, es handelt sich wieder um eine kleine box (vergleiche Seite 107 den Traum vom todten Kind in der Schachtel), die so angefüllt worden ist, dass nichts mehr hineinging. Wenigstens nichts Arges diesmal.

§ 436

in all diesen „harmlosen“ Träumen schlägt das sexuelle Moment als Motiv der Censur so sehr auffällig vor. Doch ist dies ein Thema von principieller Bedeutung, welches wir zur Seite stellen müssen.

§ 437

b) Das Infantile als Traumquelle.

§ 438

Als dritte unter den Eigenthümlichkeiten des Trauminhaltes haben wir mit allen Autoren (bis auf Robert) angeführt, dass im Traume Eindrücke aus den frühesten Lebensaltern erscheinen können, über welche das Gedächtnis im Wachen nicht zu verfügen scheint. Wie selten oder wie häufig sich dies ereignet, ist begreiflicher Weise schwer zu beurtheilen, weil die betreffenden Elemente des Traumes nach dem Erwachen nicht in ihrer Herkunft erkannt werden. Der Nachweis, dass es sich hier um Eindrücke der Kindheit handelt, muss also auf objectivem Wege erbracht werden, wozu sich die Bedingungen nur in seltenen Fällen zusammenfinden können. Als besonders beweiskräftig wird von A. Maury 48) die Geschichte eines Mannes erzählt, welcher eines Tages sich entschloss, nach zwanzigjähriger Abwesenheit seinen Heimatsort aufzusuchen. In der Nacht vor der Abreise träumte er, er sei in einer ihm ganz unbekannten Ortschaft und begegne daselbst auf der Strasse einem unbekannten Herrn, mit dem er sich unterhalte. In seine Heimat zurückgekehrt, konnte er sich nun überzeugen, dass diese unbekannte Ortschaft in nächster Nähe seiner Heimatstadt wirklich existire, und auch der unbekannte Mann des Traumes stellte sich als ein dort lebender Freund seines verstorbenen Vaters heraus. Wohl ein zwingender Beweis dafür, dass er beide, Mann wie Ortschaft, in seiner Kindheit gesehen hatte. Der Traum ist übrigens als Ungeduldstraum zu deuten, wie der des Mädchens, welches das Billet für den Concertabend in der Tasche trägt (Seite 107); des Kindes, welchem der Vater den Ausflug nach dem Hameau versprochen hat u. dgl. Die Motive, welche dem Träumer gerade diesen Eindruck aus seiner Kindheit reproduciren, sind natürlich ohne Analyse nicht aufzudecken.

§ 439

Einer meiner Colleghörer, welcher sich rühmte, dass seine Träume nur sehr selten der Traumentstellung unterliegen, theilte mir mit, dass er vor einiger Zeit im Traume gesehen, sein ehemaliger Hofmeister befinde sich im Bette der Bonne, die bis zu seinem elften Jahre im Hause gewesen war. Die Oertlichkeit für diese Scene fiel ihm noch im Traume ein. Lebhaft interessirt theilte er den Traum seinem älteren Bruder mit, der ihm lachend die Wirklichkeit des Geträumten bestätigte. Er erinnere sich sehr gut daran, denn er sei damals sechs Jahre alt gewesen. Das Liebespear pflegte ihn, den älteren Knaben, durch Bier betrunken zu machen, wenn die Umstände einem nächtlichen Verkehrs günstig waren. Das kleinere, damals dreijährige Kind — unser Träumer —, das im Zimmer der Bonne schlief, wurde nicht als Störung betrachtet.

§ 440

Noch in einem anderen Falle lässt es sich mit Sicherheit ohne Beihilfe der Traumdeutung feststellen, dass der Traum Elemente aus der Kindheit enthält, wenn nämlich der Traum ein sogenannter perennirender ist, der, in der Kindheit zuerst geträumt, später immer wieder von Zeit zu Zeit während des Schlafes des Erwachsenen auftritt. Zu den bekannten Beispielen dieser Art kann ich einige meiner Erfahrung hinzufügen, wenngleich ich an mir selbst einen solchen perennirenden Traum nicht kennen gelernt habe. Ein Arzt in den Dreissigern erzählte mir, dass in seinem Traumleben von ersten Zeiten seiner Kindheit an bis zum heutigen Tage häufig ein gelber Löwe erscheint, über den er die genaneste Auskunft zu geben vermag. Dieser ihm aus Träumen bekannte Löwe fand sich nämlich eines Tages in natura als ein lange verschollener Gegenstand aus Porzellan vor, und der junge Mann hörte damals von seiner Mutter, dass dieses Object das begehrteste Spielzeug seiner frühen Kinderzeit gewesen war, woran er sich selbst nicht mehr erinnern konnte. Eine meiner Patientinnen hatte vier- oder fünfmal im Laufe ihrer 38 Jahre die nämliche ängstliche Scene geträumt, dass sie verfolgt werde, sich in ein Zimmer flüchte, die Thüre zumache, dann öffne, um den aussen steckenden Schlüssel abzuziehen, dass sie unter der Empfindung, wenn es ihr nicht gelinge, werde etwas Schreckliches geschehen, den Schlüssel erhasche, um von innen zuzuschliessen, und dass sie dann erleichtert aufathme. Ich weiss nicht nur nicht anzugeben, in welches frühe Lebensalter diese kleine Scene, bei der sie natürlich nur Zuschauerin gewesen ist, verlegt werden muss.

§ 441

Wendet man sich nun von dem manifesten Trauminhalt zu den Traumgedanken, welche erst die Analyse entdeckt, so kann man mit Erstaunen die Mitwirkung von Kindheitserlebnissen auch bei solchen Träumen constatiren, deren Inhalt keine derartige Vermuthung erweckt hätte. Dem geehrten Collagen vom „gelben Löwen“ verdanke ich ein besonders liebenswürdiges und lehrreiches Beispiel eines solchen Traumes. Nach der Lectüre von Nansen’s Reisebericht über seine Polarexpedition träumte er, in einer Eiswüste galvanisire er den kühnen Forscher wegen einer Ischias, über welche dieser klage! Zur Analyse dieses Traumes fiel ihm eine Geschichte aus seiner Kindheit ein, ohne welche der Traum allerdings unverständlich bleibt. Als er ein drei- oder vierjähriges Kind war, hörte er eines Tages neugierig zu, wie die Erwachsenen von Entdeckungsreisen sprachen, und regte dann den Papa, oh das eine schwere Krankheit sei. Er hatte offenbar Reisen mit „Reissen“ verwechselt, und der Spott seiner Geschwister sorgte dafür, dass ihm das beschämende Erlebnis nicht in Vergessenheit gerieth.

§ 442

Ein ganz ähnlicher Fall ist es, wenn ich in der Analyse des Traumes von der Monographie über die Gattung Cyclamen auf eine erhalten gebliebene Jugenderinnemng stosse, dass der Vater dem fünfjährigen Knaben ein mit farbigen Tafeln ausgestattetes Buch zur Zerstörung überlässt. Man wird etwa den Zweifel aufwerfen, ob diese Erinnerung wirklich an der Gestaltung des Trauminhaltes Antheil genommen hat ob nicht vielmehr die Arbeit der Analyse eine Beziehung erst nachträglich herstellt. Aber die Reichhaltigkeit und Verschlungenheit der Associationsverknüpfungen für die erstere Auffassung. (Cyclame — Lieblingsblume — Lieblingsspeise — Artischocke; zerpflücken wie eine Artischocke, Blatt für Blatt (eine Wendung, die Einem anlässlich der Theilung des chine sischen Reiches täglich an’s Ohr schlägt); — Herbarium — Bücherwurm, dessen Lieblingsspeise Bücher sind). Ausserdem kann ich versichern, dass der letzte Sinn des Traumes, den ich hier nicht ausgeführt habe, zum Inhalt der Kinderscene in intimster Beziehung steht.

§ 443

Bei einer anderen Reihe von Träumen wird man durch die Analyse gelehrt, dass der Wunsch selbst, der den Traum erregt hat, als dessen Erfüllung der Traum sich darstellt, aus dem Kinderleben stammt, so dass man zu seiner Ueberreschung im Traum des Kind mit seinen Impulsen weiterlebend findet.

§ 444

Ich setze an dieser Stelle die Deutung eines Traumes fort, aus dem wir bereits einmal neue Belehrung geschöpft haben, ich meine den Traum: Freund R. ist mein Onkel (Seite 95). Wir haben dessen Deutung soweit gefördert dass uns das Wunschmotiv zum Professor ernannt zu werden, greifbar entgegentrat, und wir erklärten uns die Zärtlichkeit des Traumes für Freund R. als eine Oppositions- und Trotzschöpfung gegen die Schmähung der beiden Collegen, die in den Traumgedanken enthalten war. Der Traum war mein eigener; ich darf darum dessen Analyse mit der Mittheilung fortsetzen, dass mein Gefühl durch die erreichte Lösung noch nicht befriedigt war. Ich wusste, dass mein Urtheil über die in den Traumgedanken misshandelten Collagen im Wachen ganz anders gelautet hatte; die Macht des Wunsches, ihr Schicksal in Betreff der Ernennung nicht zu theilen, erschien mir zu gering, um den Gegensatz zwischen wacher und Traumschätzung voll aufzuklären. Wenn mein Bedürfnis, mit einem anderen Titel angeredet zu werden, so stark sein sollte, so beweist dies einen krankhaften Ehrgeiz, den ich nicht an mir kenne, den ich ferne von mir glaube. Ich weiss nicht, wie Andere, die mich zu kennen glauben, in diesem Punkt über mich urtheilen würden; vielleicht habe ich auch wirklich Ehrgeiz besessen; aber wenn, so hat er sich längst auf andere Objecte als auf Titel und Rang eines Professor extraordinarius geworfen.

§ 445

Woher dann also der Ehrgeiz, der mir den Traum eingegeben hat? Da fällt mir ein, was ich so oft in der Kindheit erzählen gehört habe, dass bei meiner Geburt eine alte Bäuerin der über den Erstgeborenen glücklichen Mutter prophezeit, dass sie der Welt einen grossen Mann geschenkt, habe. Solche Prophezeiungen müssen sehr häufig vorfallen; es gibt so viel erwartungsfrohe Mütter und so viel alte Bäuerinnen oder andere alte Weiber, deren Macht auf Erden vergangen ist, und die sich darum der Zukunft zugewendet haben. Es wird auch nicht der Schade der Prophetin gewesen sein. Sollte meine Grössensehnsucht aus dieser Quelle stammen? Aber da besinne ich mich eben einen anderen Eindruckes aus späteren Jugendjahren, der sich zur Erklären noch besser eignen würde: Es war eines Abends in einem der Wirtshäuser im Prater, wohin die Eltern den eilf- oder zwölfjährigen Knaben mitzunehmen pflegten, dass uns ein Mann auffiel, der von Tisch zu Tisch ging und für ein kleines Honorar Verse über ein ihm aufgegebenes Thema improvisirte. Ich wurde abgeschickt, den Dichter an unseren Tisch zu bestellen, und er erwies sich dem Boten dankbar. Ehe er nach seiner Aufgabe fragte, liess er einige Reime über mich fallen und erklärte es in seiner Inspiration für wahrscheinlich, dass ich noch einmal „Minister“ werde. An den Eindruck dieser zweiten Prophezeiung kann ich mich noch sehr wohl erinnern. Es war die Zeit des Bürgerministeriums, der Vater hatte kurz vorher die Bilder der bürgerlichen Doctoren Herbst, Giskra, Unger, Berger u. A. nach Hause gebracht, und wir hatten diesen Herren zur Ehre illuminirt. Es waren sogar Juden unter ihnen; jeder fleissige Judenknabe trug also das Ministerportefeuille in seiner Schultertasche. Es muss mit den Eindrücken jener Zeit sogar zusammenhängen, dass ich bis kurz vor der Inscritption an der Universität willens war, Jura zu studiren, und erst im letzten Moment umsattelte. Dem Mediciner ist ja die Ministerlaufbahn überhaupt verschlossen. Und nun mein Traum! Ich merke es erst jetzt, dass er mich aus der trüben Gegenwart in die hoffnungsfrohe Zeit des Bürgerministeriums zurüekversetzt und meinen Wunsch von damals nach seinen Kräften erfüllt. Indem ich die beiden gelehrten und achtenswerthen Collegen, weil sie Juden sind, so schlecht behandle, den einen, als ob er ein Schwachkopf, den anderen, als ob er ein Verbrecher wäre, indem ich so verfahre, benehme ich mich, als ob ich der Minister wäre, habe ich mich an die Stelle des Ministers gesetzt. Welch’ gründliche Rache an Seiner Excellenz! Er verweigerte es, mich zum Professor extraordinarius zu ernennen, und ich setze mich dafür im Traum an seine Stelle.

§ 446

In einem anderen Falle konnte ich merken, dass der Wunsch, welcher den Traum erregt, obzwar ein gegenwärtiger, doch eine mächtige Verstärkung aus tiefreichenden Kindererinnerungen bezieht. Es handelt sich hier um eine Reihe von Träumen, denen die Sehnsucht, nach Rom zu kommen, zu Grunde liegt. Ich werde diese Sehnsucht wohl noch lange Zeit durch Träume befriedigen müssen, denn um die Zeit des Jahres, welche mir für eine Reise zur Verfügung steht, ist der Aufenthalt in Rom aus Rücksichten der Gesundheit zu meiden. So träume ich denn einmal, dass ich vom Coupéfenster aus Tiber und Engelsbrücke sehe; dann setzt sich der Zug in Bewegung, und es fällt mir ein, dass ich die Stadt ja gar nicht betreten habe. Die Aussicht, die ich im Trauma sah, war einem bekannten Stiche nachgebildet, den ich Tags zuvor im Salon eines Patienten flüchtig bemerkt hatte. Ein andermal führt mich jemand auf einen Hügel und zeigt mir Rom, vom Nebel halb verschleiert und noch so ferne, dass ich mich über die Deutlichkeit der Aussicht wundere. Der Inhalt dieses Traumes ist reicher, als ich hier ausführen möchte. Das Motiv, „des gelobte Land von ferne sehen“, ist darin leicht zu erkennen. Die Stadt, die ich so zuerst im Nebel gesehen habe, ist Lübeck; der Hügel findet sein Vorbild in — Gleichenberg. In einem dritten Traum bin ich endlich in Rom, wie mir der Traum sagt. Ich sehe aber zu meiner Enttäuschung eine keineswegs städtische Scenerie, einen kleinen Fluss mit dunklem Wasser, aufder einen Seite desselben schwarze Felsen, auf der anderen Wiesen mit grossen weissen Blumen. Ich bemerke einen Herrn Zucker (den ich oberflächlich kenne) und beschliesse, ihn um den Weg in die Stadt zu fragen. Es ist offenbar, dass ich mich vergebens bemühe, eine Stadt im Traume zu sehen, die ich im Wachen nicht gesehen habe. Wenn ich das Landschaftsbild des Traumes in seine Elemente zersetze, so deuten die weissen Blumen auf das mir bekannte Ravenna, das wenigstens eine Zeitlang als Italiens Hauptstadt Rom den Vorrang abgenommen hatte. In den Sümpfen um Ravenna haben wir die schönsten Seerosen mitten im schwarzen Wasser gefunden; der Traum lässt sie auf Wiesen wachsen wie die Narcissen in unserem Aussee, weil es damals so mühselig war, sie aus dem Wasser zu holen. Der dunkle Fels, so nahe am Wasser, erinnert lebhaft an das Thal der Tepl bei Karlsbad. „Karlsbad“ setzt mich nun in den Stand, mir den sonderbaren Zug zu erklären, dass ich Herrn Zucker um den Weg frage. Es ein hier in dem Material aus dem der Traum gesponnen ist, zwei jener lustigen jüdischen Anekdoten zu erkennen, in soviel tiefsinnige, oft bittere, Lebensweisheit verbergen und die wir in Gesprächen und Briefen so gerne citiren. Die eine ist die Geschichte von der „Constitution“, des Inhalts, wie ein armer Jude ohne Fahrbillet den Einlass in den Einzug nach Karlsbad erschleicht, dann ertappt, bei jeder Revision vom Zug gewiesen und immer härter behandelt wird, und der dann einem Bekannten, welcher ihn auf einer seiner Leidensstationen antrifft, auf die Frage, wohin er reise, zur Antwort gibt: „Wenn’s meine Constitutionaushält — nach Karlsbad“. Nahe dabei ruht im Gedächtnis eine andere Geschichte von einem des Französischen unkundigen Juden, dem eingeschärft wird, in Paris nach dem Weg zur rue Richelieu zu fragen. Auch Paris war lange Jahre hindurch ein Ziel meiner Sehnsucht, und die Seligkeit, in welcher ich zuerst den Fuss auf das Pflaster von Paris setzte, nehm ich als Gewähr, dass ich auch die Erfüllung anderer Wünsche erreichen werde. Das Umden-Weg-Fragen ist ferner eine directe Anspielung an Rom, denn nach Rom führen bekanntlich alle Wege. Uebrigens deutet der Name Zucker wiederum auf Karlsbad, wohin wir doch alle mit der constitutionellen Krankheit Diabetes Behafteten schicken. Der Anlass dieses Traumes war der Vorschlag meines Berliner Freundes, uns zu Ostern in Prag zu treffen. Aus den Dingen, die ich mit ihm zu besprechen hatte, würde sich eine weitere Beziehung zu Zucker und Diabetes ergeben.

§ 447

Ein vierter Traum, kurz nach dem letzterwähnten, bringt mich wieder nach Rom. Ich sehe eine Strassenecke vor mir und wundere mich darüber, dass dort so viele deutsche Plakate angeschlagen sind. Tags vorher hatte ich meinem Freund in prophetischer Voraussicht geschrieben, Prag dürfte für deutsche Spaziergänger kein bequemer Aufenthaltsort sein. Der Traum drückte also gleichzeitig den Wunsch aus, ihn in Rom zu treffen anstatt in einer böhmischen Stadt, und das wahrscheinlich aus der Studentenzeit stammende Interesse daran, dass in Prag der deutschen Sprache mehr Duldung gewährt sein möge. Die czechische Sprache muss ich übrigens in meinen ersten Kinderjahren verstanden haben, da ich in einem kleinen Orte Mährens mit slavischer Bevölkerung geboren bin. Ein czechischer Kindervers, den ich in meinem 17. Jahre gehört, hat sich meinem Gedächtnis mühelos so eingeprägt, dass ich ihn noch heute hersagen kann, obwohl ich keine Ahnung von seiner Bedeutung habe. Es fehlt also auch diesen Träumen nicht an mannigfaltigen Beziehungen zu den Eindrücken meiner ersten Lebensjahre.

§ 448

Auf meiner letzten Italienreise, die mich unter Anderem am Trasimenersee vorüberführte, fand ich endlich, nachdem ich den Tiber gesehen und schmerzlich bewegt 80 Kilometer weit von Rom umgekehrt war, die Verstärkung auf, welche meine Sehnsucht nach der ewigen Stadt aus Jugendeindrücken bezieht. Ich erwog gerade den Plan, ein nächstes Jahr an Rom vorbei nach Neapel zu reisen, als mit ein Satz einfiel, den ich bei einem unserer classischen Schriftsteller gelesen haben muss: Es ist fraglich, wer eifriger in seiner Stube auf und ab lief, nachdem er den Plan gefasst, nach Rom zu gehen, der Conrector Winckelmann oder der Feldherr Hannibal. Ich war ja auf den Spuren Hannibal’s gewandelt; es war mir so wenig wie ihm beschieden, Rom zu sehen, und auch er war nach Campanien gezogen, nachdem alle Welt in Rom ihn erwartet hatte. Hannibal, mit dem ich diese Aehnlichkeit erreicht hatte, war aber der Lieblingsheld meiner Gymnasialjahre gewesen; wie so viele in jenem Alter, hatte ich meine Sympathien während der punischen Kriege nicht den Römern, sondern dem Karthager zugewendet. Als dann im Obergymuasium das erste Verständnis für die Consequenzen der Abstammung aus landesfremder Race erwuchs, und die antisemitischen Regungen unter den Kameraden mahnten Stellung zu nehmen, da hob sich die Gestalt des semitischen Feldherrn noch höher in meinen Augen. Hannibal und Rom symbolisirten dem Jüngling den Gegensatz zwischen der Zähigkeit des Judenthums und der Organisation der katholischen Kirche Die Bedeutung, welehe die antisemitische Bewegung seither für unser Gemüthsleben gewonnen hat, verhalf dann den Gedanken und Empfindungen jener frühen Zeit zur Fixirung. So ist der Wunsch, nach Rom zu kommen, für das Traumleben zum Deckmantel und für mehrere andere heissersehnte Wünsche geworden, an deren Verwirklichung man mit der Ausdauer und Ausschliesslichkeit des Puniers arbeiten möchte, und deren Erfüllung zeitweilig vom ebenso wenig begünstigt scheint wie der Lebenswunsch Hannibal’s, in Rom einzuziehen.

§ 449

Und nun stosse ich erst auf das Jugenderlebnis, das in all diesen Empfindungen und Träumen noch heute seine Macht äussert. Ich mochte zehn oder zwölf Jahre gewesen sein, als mein Vater begann, mich auf seine Spaziergänge mitzunehmen und mir in Gesprächen seine Ansichten über die Dinge dieser Welt zu eröffnen. So erzählte er mir einmal, um mir zu zeigen, in wie viel bessere Zeiten ich gekommen sei als er: Als ich ein junger Mensch war, bin ich in deinem Geburtsort am Samstag in der Strasse spaziren gegangen, schön gekleidet, mit einer neuen Pelzmütze auf dem Kopf. Da kommt ein Christ daher, haut mir mit einem Schlag die Mütze in den Koth und ruft dabei: Jud, herunter vom Trottoir! „Und was hast du gethan?“ Ich bin auf den Fahrweg gegangen und habe die Mütze aufgehoben, war die gelassene Antwort. Das schien mir nicht heldenhaft von dem grossen starken Mann, der mich Kleinen an der Hand führte. Ich stellte dieser Situation, die mich nicht befriedigte, eine andere gegenüber, die meinem Empfinden besser entsprach, die Scene, in welcher Hannibal’s Vater, Hasdrubal, seinen Knaben vor dem Hausaltar schwören lässt, an den Römern Rache zu nehmen. Seitdem hatte Hannibal einen Platz in meinen Phantasien.

§ 450

Ich meine, dass ich die Schwärmerei für den karthagischen General noch ein Stück weiter in meine Kindheit zurück verfolgen kann, so dass es sich auch hier nur um die Uebertragung einer bereits Affectrelation auf einen neuen Träger handeln dürfte. Eines der ersten Bücher, des dem lesefähigen Kind in die Hände fiel, war Thier’s Consulat und Kaiserreich; ich erinnere mich, dass ich meinen Holzsoldaten kleine Zettel mit den Namen der kaiserlichen Marschälle auf den flachen Rücken geklebt, und dass damals schon Masséna (als Jude: Menasse) mein erklärten Liebling war. Napoleon selbst schliesst sich durch den Uebergang über die Alpen an Hannibal an. Und vielleicht liesse sich die Entwickelung dieses Kriegerideals noch weiter zurück in die Kindheit verfolgen bis auf die Wünsche, die der bald freundschaftliche, bald kriegerische Verkehr während der ersten drei Jahre mit einem um ein Jahr älteren Knaben bei dem schwächeren der beiden Gespielen hervorrufen musste.

§ 451

Je tiefer man sich in die Analyse der Träume einlässt, desto häufiger wird man auf die Spur von Kindheitserlebnissen geführt, welche im latenten Trauminhalt eine Rolle als Traumquellen spielen.

§ 452

Wir haben gehört (Seite 13), dass der Traum sehr selten Erinnerungen so reproducirt, dass sie unverkürzt und unverändert den alleinigen manifesten Trauminhalt bilden. Immerhin sind einige Beispiele für dieses Vorkommen sicher gestellt, zu denen ich neue hinzufügen kann, die sich wiederum auf Infantilscenen beziehen. Bei einem meiner Patienten brachte einmal ein Traum eine kaum entstellte Wiedergabe eines sexuellen Vorfalles, die sofort als getreue Erinnerung erkannt wurde. Die Erinnerung daran war im Wachen zwar nie völlig verloren gewesen, aber doch stark verdunkelt worden, und ihre Neubelebung war ein Erfolg der vorausgegangenen analytischen Arbeit. Der Träumer hatte mit zwölf Jahren einen bettlägerigen Collagen besucht, der sich wahrscheinlich nur zufällig bei einer Bewegung im Bett entblösste. Beim Anblick seiner Genitalien von einer Art Zwang ergriffen, entblösste er sich selbst und fasste das Glied des Anderen, der ihn aber unwillig und verwundert ansah, worauf er verlegen wurde und abliess. Diese Scene wiederholte ein Traum 23 Jahre später auch mit allen Einzelheiten der in ihr vorkommenden Empfindungen, veränderte sie aber dahin, dass der Träumer anstatt der activen die passive Rolle übernahm, während die Person des Schulcollegen durch eine der Gegenwart angehörige ersetzt wurde.

§ 453

In der Regel freilich ist die Infantilscene im manifesten Trauminhalt nur durch eine Anspielung vertreten und muss durch Deutung aus dem Traum entwickelt werden. Die Mittheilung solcher Beispiele kann nicht sehr beweiskräftig ausfallen, weil ja für diese Kindererlebnisse meistens jede andere Gewähr fehlt; sie werden, wenn sie in ein frühes Alter fallen, von der Erinnerung nicht mehr anerkannt. Das Recht, überhaupt aus Träumen auf solche Kindererlebnisse zu schliessen, ergibt sie bei der psychoanalytischen Arbeit aus einer ganzen Reihe von Momenten, die in ihrem Zusammenwirken verlässlich genug erscheinen. Zum Zwecke der Traumdeutung aus ihrem Zusammenhange gerissen, werden solche Zurückführungen von Träumen auf Kindererlebnisse vielleicht wenig Eindruck machen, besonders da ich nicht einmal alles Material mittheile, auf welches sich die Deutung stützt. Indes will ich mich von der Mittheilung darum nicht abhalten lassen.

§ 454

I. Bei einer meiner Patientinnen haben alle Träume den Charakter des „Gehetzten“ ; sie hetzt sich, um zurecht zu kommen, den Eisenbahnzug nicht zu versäumen, u. dgl. In einem Traume soll sie ihre Freundin besuchen; die Mutter hat ihr gesagt, sie soll fahren, nicht gehen; sie läuft aber und fällt dabei in einem fort. — Das bei der Analyse auftauchende Material gestattet, die Erinnerung an Kinderhetzereien zu erkennen (man weiss, was der Wiener „eine Hetz nennt), und gibt speciell für den einen Traum die Zurückführung auf den bei Kindern beliebten Scherz, den Satz: „Die Kuh rannte bis sie fiel“ so rasch auszusprechen, als ob er ein einziges Wort wäre, was wiederum ein „Hetzen“ ist. Alle diese harmlosen Hetzereien unter kleinen Freundinnen werden erinnert, weil sie andere, minder harmlose, ersetzen.

§ 455

II. Von einer Anderen folgender Traum: Sie ist in einem grossen Zimmer, in dem allerlei Maschinen stehen, etwa so, wie sie sich eine orthopädische Anstalt vorstellt. Sie hört, dass ich keine Zeit habe, und dass sie die Behandlung gleichzeitig mit fünf anderen machen muss. Sie sträubt sich aber und will sich in das für sie bestimmte Bett — oder was es ist — nicht legen. Sie steht in einem Winkel und wartet, dass ich sage, es ist nicht wahr. Die Anderen lachen sie unterdes aus, es sei Faxerei von ihr. — Daneben, als ob sie viele kleine Quadrate machen würde.

§ 456

Der erste Theil dieses Trauminhaltes ist eine Anknüpfung an die Cur und Uebertragung auf mich. Der zweite enthält die Anspielung an die Kinderscene; mit der Erwähnung des Bettes sind die beiden Stücke an einander gelöthet. Die orthopädische Anstalt geht auf eine meiner Reden zurück, in der ich die Behandlung ihrer Dauer wie ihrem Wesen nach mit einer orthopädischen verglichen hatte. Ich musste ihr zu Anfang der Behandlung mittheilen, dass ich vorläufig wenig Zeit für sie habe, ihr aber später eine ganze Stunde täglich widmen würde. Dies machte die alte Empfindlichkeit fin ihr rege, die ein Haupteharakterzug der zur Hysterie bestimmten Kinder ist. Sie sind unersättlich für Liebe. Meine Patientin war die jüngste von sechs Geschwistern (daher: mit fünf anderen) und ab solche der Liebling des Vaters, scheint aber gefunden zu haben, dass der geliebte Vater ihr noch zu wenig Zeit und Aufmerksamkeit widme. — Dass sie wartet, bis ich sage, es ist nicht wahr, hat folgende Ableitung: Ein kleiner Schneiderjunge hatte ihr ein Kleid gebracht, und sie ihm dafür das Geld mitgegeben. Dann fragte sie in ihren Mann, ob sie das Geld nochmals bezahlen müsse, wenn er es verliere. Der Mann, um sie zu necken, versicherte: ja (die Neckerei im Trauminhalt), und sie fragte immer wieder von Neuem und wartete darauf, dass er endlich sage, es ist nicht wahr. Nun lässt sich für den latenten Trauminhalt der Gedanke construiren, ob sie mir wohl das Doppelte bezahlen müsse, man ich ihr die doppelte Zeit widme, ein Gedanke, der geizig oder schmutzig ist. (Die Unreinlichkeit der Kinderzeit wird sehr häufig vom Traum durch Geldgeiz ersetzt; das Wort „schmutzig“ bildet dabei die Brücke.) Wenn all das vom Warten, bis ich sage u. s. w., das Wort „schmutzig“ im Traum umschreiben soll, so stimmt das Im-Winkel-Stehen und das Sich-nicht-in’s—Bett-Legen dazu als Bestandtheil einer Kinderscene, in der sie das Bett schmutzig gemacht hatte, zur Strafe in den Winkel gestellt wird unter der Androhung, dass sie der Papa nicht mehr lieb haben werde, die Geschwister sie auslachen u. s. w. Die kleinen Quadrate zielen auf ihre kleine Nichte, die ihr die Rechenkunst gezeigt, wie man in neun Quadrate, glaube ich, Zahlen so einschreibt, dass sie, nach allen Richtungen addirt, 15 ergeben.

§ 457

III. Der Traum eines Mannes: Er sieht zwei Knaben, die sich balgen, und zwar Fassbinderknaben, wie er aus den herumliegenden Geräthschaften schliesst; einer der Knaben hat den anderen niedergeworfen, der liegende Knabe hat Ohrringe mit blauen Steinen. Er eilt dem Missethäter mit erhobenem Stock nach, um ihn zu züchtigen. Dieser flüchtet zu einer Frau, die bei einem Bretterzaun steht, als ob sie seine Mutter wäre. Es ist eine Taglöhnersfrau, die dem Träumer den Rücken zuwendet. Endlich kehrt sie sich um und schaut ihn mit einem grüsslichen Blick an, so dass er erschreckt davonläuft. An ihren Augen sieht man vom unteren Lid das rothe Fleisch verstehen.

§ 458

Der Traum hat triviale Begebenheiten des Vortages reichlich verwerthet. Er hat gestern wirklich zwei Knaben auf der Strasse gesehen, von denen einer den anderen hinwarf. Als er hinzueilte, um zu schlichten, ergriffen sie beide die Flucht. — Fassbinderknaben: wird erst durch einen nachfolgenden Traum erklärt, in dessen Analyse er die Redensart gebraucht: Dem Fass den Boden ausschlagen. Ohrringe mit blauen Steinen tragen nach seiner Beobachtung meist die Prostituierten. So fügt sich ein bekannter Klapphornvers von zwei Knaben an: Der andere Knabe, der hiess Marie (d. h.: war ein Mädchen). — Die stehende Frau: Nach der Scene mit den beiden Knaben ging er am Donauufer spaziren und benutzte die Einsamkeit dort, um gegen einen Bretterzaun zu uriniren. Auf dem weiteren Weg lächelte ihn eine anständig gekleidete ältere Dame sehr freundlich an und wollte ihm ihre Adresskarte überreichen.

§ 459

Da die Frau im Traume so steht wie er beim Uriniren, so handelt es sich um ein urinirendes Weib, und dazu gehört dann der grässliche „Anblick“, das Verstehen des roten Fleisches, was sich nur auf die beim Kauern klaffenden Genitalien beziehen kann, die, in der Kinderzeit gesehen, in der späteren Erinnerung als „wildes Fleisch“, als „Wunde“ wieder auftreten. Der Traum vereinigt zwei Anlässe, bei denen der kleine Knabe die Genitalien kleiner Mädchen sehen konnte, beim Hinwerfen und bei deren Uriniren, und wie aus dem anderen Zusammenhange hervorgeht, bewehrt er die Erinnerung an eine Züchtigung oder Drohung des Vaters wegen der von dem Buben bei diesen Anlässen bewiesenen sexuellen Neugierde.

§ 460

IV. Eine ganze Summe von Kindererinnerungen, zu einer Phantasie nothdürftig vereinigt, findet sich hinter folgendem Traum einer älteren Dame.

§ 461

Sie geht in Hetze aus, Commissionen zu machen. Auf dem Graben sinkt sie dann, wie zusammengebrochen, in die Kniee. Viele Leute sammeln sich um sie, besonders die Fiakerkutscher; aber niemand hilft ihr auf. Sie macht viele vergebliche Versuche; endlich muss es gelungen sein, denn man setzt sie in einen Fiaker, der sie nach Hause bringen soll; durch’s Fenster wirft man ihr einen grossen schwer gefüllten Korb nach (ähnlich einem Einkaufskorb).

§ 462

Es ist dieselbe, die in ihren Träumen immer gehetzt wird, wie sie als Kind gehetzt hat. Die erste Situation des Traumes ist offenbar von dem Anblick eines gestürzten Pferdes hergenommen, wie auch das „Zusammenbrechen“ auf Wettrennen deutet. Sie war in jungen Jahren Reiterin, in noch jüngeren wahrscheinlich auch Pferd. Zu dem Hinstürzen gehört die erste Kindheitserinnerung an den 17jährigen Sohn des Portiers, der, auf der Strasse von epileptischen Krämpfen befallen, im Wagen nach Hause gebracht wurde. Davon hat sie natürlich nur gehört, aber die Vorstellung von epileptischen Krämpfen, vom „Hinfallenden“ hat grosse Macht über ihre Phantasie gewonnen und später ihre eigenen hysterischen Anfälle in ihrer Form beeinflusst. — Wenn eine Frauenperson vom Fallen träumt, so hat das wohl regelmässig einen sexuellen Sinn, sie wird eine „Gefallene“; für unseren Traum wird diese Deutung am wenigsten zweifelhaft sein, denn sie fällt auf dem Graben, in jenem Platze von Wien, der als Corso der Prostitution bekannt ist. Der Einkaufskorb gibt mehr als eine Deutung; als Korb erinnert er an die vielen Körbe, die sie zuerst ihren Freiern ausgetheilt, und später, wie sie meint, sich auch selbst geholt hat. Dazu gehört denn auch, dass ihr niemand aufhelfen will, was sie selbst als Verschmähtwerden auslegt. Ferner erinnert der Einkaufskorb an Phantasien, die. der Analyse bereits bekannt geworden sind, in denen sie tief unter ihrem Stande geheiratet hat und nun selbst zu Markte einkaufen geht. Endlich aber könnte der Einkaufskorb als Zeichen einer dienenden Person gedeutet werden. Dazu kommen nun weitere Kindheitserinnerungen, an eine Köchin, die weggeschickt wurde, weil sie stahl; die ist auch so in die Kniee gesunken hat gefleht. Sie war damals zwölf Jahre alt. Dann an ein Stubenmädchen, das weggenehickt wurde, weil es sich mit dem Kutscher des Hauses abgab, der sie übrigens später heiratete. Diese Erinnerung ergibt uns also eine Quelle für die Kutscher im Traum (die sich im Gegensatz zur Wirklichkeit der Gefallenen nicht annehmen). Es bleibt aber noch das Nachwerfen des Korbes, und zwar durch’s Fenster, zu erklären. Das mahnt sie an des Expediren des Gepäcks auf der Eisenbahn, an das „Fensterln“ auf dem Lande, an kleine Eindrücke von dem Landaufenthalte, wie ein Herr einer Dame blaue Pflaumen durch’s Fenster in ihr Zimmer wirft, wie ihre kleine Schwester sich gefürchtet, weil ein vorübergehender Trottel durch’s Fenster in’s Zimmer sah. Und nun taucht dahinter dunkle Erinnerung aus dem zehnten Lebensjahre auf, von einer Bonne, die auf dem Lande Liebesscenen mit einem Diener des Hauses aufführte, von denen das Kind doch etwas gemerkt haben konnte, und die mitsammt ihrem Liebhaber „expedirt“, „hinausgeworfen“ wurde (im Traum der Gegensatz: „hineingeworfen“), eine Geschichte, der wir uns auch von mehreren anderen Wegen her genähert hatten. Das Gepäck, der Koffer einer dienenden Person, wird aber in Wien geringschätzig als die „sieben Zwetschken bezeichnet. „Pack’ deine sieben Zwetschken zusammen und geh’.“

§ 463

An solchen Träumen von Patienten, deren Analyse zu dunkel oder gar nicht mehr erinnerten Kindereindrücken, oft aus den ersten drei Lebensjahren, führt, hat meine Sammlung natürlich überreichen Vorrath. Es ist aber misslich, Schlüsse aus ihnen zu ziehen, die für den Traum im Allgemeinen gelten sollen; es handelt sich ja regelmässig um neurotische, speciell hysterische Personen; und die Rolle, welche den Kinderscenen in diesen Träumen zufällt, könnte durch die Natur der Neurose und nicht durch das Wesen des Traumes bedingt sein. Indes begegnet es mir bei der Deutung meiner eigenen Träume, die ich doch nicht wegen grober Leidenssymptome unternehme, ebenso oft, dass ich im latenten Trauminhalt unvermuthet auf eine Infantilscene stosse, und dass mir eine ganze Serie von Träumen mit einemmal in die von einem Kindererlebnis ausgehenden Bahnen einmündet. Beispiele hiefür habe ich schon erbracht und werde ich noch bei verschiedenen Anlässen weitere erbringen. Vielleicht kann ich den ganzen Abschnitt nicht besser beschliessen, als durch Mittheilung einiger eigenen Träume, in denen recente Anlässe und langvergessene Kindererlebnisse mitsammen als Traumquellen auftreten.

§ 464

I. Nachdem ich gereist, müde und hungerig das Bett aufgesucht habe, melden sich im Schlafe die grossen Bedürfnisse des Lebens und ich träume: Ich gehe in eine Küche, um mir Mehlspeise geben zu lassen. Dort stehen drei Frauen, von denen eine die Wirthin ist und etwas in der Hand dreht, als ob sie Knödel machen würde. Sie antwortet, dass ich warten soll, bis sie fertig ist (nicht deutlich als Rede). Ich werde ungeduldig und gehe beleidigt weg. Ich ziehe einen Ueberrock an; der erste, den ich versuche, ist mir aber zu lang. Ich ziehe ihn wieder aus, etwas überrascht, dass er Pelzbesatz hat. Ein zweiter, den ich anziehe, hat einen langen Streifen mit türkischer Zeichnung eingesetzt. Ein Fremder mit langem Gesicht und kurzem Sitzbart kommt hinzu und hindert mich am Anziehen, indem er ihn für den seinen erklärt. Ich zeige ihm nun, dass er über und über türkisch gestickt ist. Er fragt: Was gehen Sie die türkischen (Zeichnungen, Streifen . . . .) an? Wir sind aber dann ganz freundlich mit einander.

§ 465

In der Analyse dieses Traumes fällt mir ganz unerwartet der erste Roman ein, den ich, vielleicht 13jährig, gelesen, d. h. mit dem

§ 466

Ende des ersten Bandes begonnen habe. Den Namen des Romans und seines Autors habe ich nie gewusst, aber der Schluss ist mir nun in lebhafter Erinnerung. Der Held verfällt in Wahnsinn und ruft beständig die drei Frauennamen, die ihm im Leben das grösste Glück und das Unheil bedeutet haben. Pélagie ist einer dieser Namen. Noch weiss ich nicht, was ich mit diesem Einfall in der Analyse beginnen werde. Da tauchen zu den drei Frauen die drei Parzen auf, die das Geschick des Menschen spinnen, und ich weiss, dass eine eine der drei Frauen, die Wirthin im Traum, die Mutter ist, die das Leben gibt, mitunter auch, wie bei mir, dem Lebenden die erste Nahrung. An der Frauenbrust treffen sich Liebe und Hunger. Ein junger Mann, erzählt die Anekdote, der ein grosser Verehrer der Frauenschönheit wurde, äusserte einmal, als die Rede auf die schöne Amme kam, die ihn als Säugling genahrt: es thue ihm leid, die gute Gelegenheit damals nicht besser ausgenützt zu haben. Ich pflege mich der Anekdote zur Erläuterung für das Moment der Nachträglichkeit in dem Mechanismus der Psychoneuroesen zu bedienen. — Die eine der Parzen also reibt die Handflächen aneinander, als ob sie Knödel machen würde. Eine sonderbare Beschäftigung für eine Parze, welche dringend der Aufklärung bedarf! Diese kommt nun aus einer anderen und früheren Kindererinnerung. Als ich sechs Jahre alt war und den ersten Unterricht bei meiner Mutter genoss, sollte ich glauben, dass wir aus Erde gemacht sind und darum zur Erde zurückkehren müssen. Es behagte mir aber nicht, und ich zweifelte die Lehre an. Da rieb die Mutter die Handflächen aneinander — ganz ähnlich wie beim Knödelmärchen, nur dass sich kein Teig zwischen ihnen befindet — und zeigte mir die schwärzlichen Epidermisschuppen, die sich dabei abreiben, als eine Probe der Erde, aus der wir gemacht sind, vor. Mein Erstaunen über diese Demonstration ed oculus war grenzenlos und ich ergab mich in das, was ich später in den Worten ausgedrückt hören sollte: Du bist der Natur einen Tod schuldig.*)*) So sind es also wirklich Parzen, zu denen ich in die Küche gehe, wie so oft in den Kinderjahren, wenn ich hungerig war, und die Mutter beim Herd mich mahnte zu warten, bis das Mittagessen fertig sei. Und nun die Knödel! Wenigstens einer meiner Universitätslehrer, aber gerade der, dem ich meine histologischen Kenntnisse (Epidermis) verdanke, wird sich bei dem Namen Knödl an eine Person erinnern, die er belangen musste, weil sie ein Plagiat an seinen Schriften begangen hatte. Ein Plagiat begehen, sich aneignen, was man bekommen kann, auch wenn es einem Andern gehört, leitet offenbar zum zweiten Theil des Traumes, in dem ich wie der Ueberrockdieb behandelt werde, der eine Zeitlang in den Hörsälen sein Wesen trieb. Ich habe den Ausdruck Plagiat niedergeschrieben, absichtslos, weil er sich mir darbot, und nun merke ich, dass er dem latenten Trauminhalte angehören muss, weil er als Brücke zwischen verschiedenen Stücken des manifesten Trauminhaltes dienen kann. Die Associationskette — PélegiePlagiatPlagiostomen *)*) (Haifische) — Fischblase verbindet den alten Roman mit der Affaire Knödl und mit den Ueberziehern, die ja offenbar ein Geräth der sexuellen Technik bedeuten. [Vgl. Maury’s Traum von KiloLotto, Seite 41.] Eine höchst gezwungene und und unsinnige Verbindung zwar, aber doch keine, die ich im Wachen herstellen könnte, wenn sie nicht schon durch die Traumarbeit hergestellt wäre. Ja, als ob dem Drang, Verbindungen zu erzwingen, gar nichts heilig wäre, dient nun der theure Name Brücke (Wortbrücke s. o.) dazu, mich an dasselbe Institut zu erinnern, in dem ich meine glücklichsten Stunden als Schüler verbracht, sonst ganz bedürfnislos [„So wird’s Euch an der Weisheit Brüsten mit jedem Tage mehr gelüsten“], im vollsten Gegensatz zu den Begierden, die mich, während ich träume, plagen. Und endlich taucht die Erinnerung an einen anderen theuren Lehrer auf, dessen Name wiederum an etwas Essbares anklingt (Fleischl, wie Knödl) und an eine traurige Scene, in der Epidermisschuppen eine Rolle spielen (die Mutter — Wirthin) und Geistesstörung (der Roman) und ein Mittel aus der lateinischen Küche, das den Hunger benimmt, das Cocain.

*) Beide zu diesen Kinderscenen gehörigen Affecte, das Erstaunen und die Ergebung in´s Unvermeidliche, fanden sich in einem Traum kurz vorher, der mir zuerst mit die Erinnerung an dieses Kindererlebnis wiederbrachte. § 467

So könnte ich den verschlungenen Gedankenwegen weiter folgen und das in der Analyse fehlende Stück das Traumes voll aufklären, aber ich muss es unterlassen, weil die persönlichen Opfer, die es erfordern würde, zu gross sind. Ich greife nur einen der Fäden auf, der direct zu einem der dem Gewirre zu Grunde liegenden Traumgedanken führen kann. Der Fremde mit langem Gesicht und Spitzbart, der mich am Anziehen hindern will, trägt die Züge eines Kaufmanns in Spalato, bei dem meine Frau reichlich türkische Stoffe eingekauft hat. Erhiess Popović, ein verdächtiger Name, der auch dem Humoristen Stettenheim zu einer andeutungsvollen Bemerkung Anlass gegeben hat. („Er nannte mir seinen Namen und drückte mir errötend die Hand.“) Uebrigens derselbe Missbrauch mit Namen wie oben mit Pélagie, Knödl, Brücke, Fleischl. Dass solche Namenspielerei Kinderunart ist, darf man ohne Widerspruch behaupten; wenn ich mich in ihr ergehe, ist es aber ein Act der Vergeltung, denn mein eigener Name ist unzählige Male solchen schwachsinnigen Witzeleien zum Opfer gefallen. Goethe bemerkte einmal, wie empfindlich man für Namen ist, mit dem man sich verwachsen fühlt wie mit seiner Haut, als Herder auf seinen Namen dichtete:

§ 468

"„Der Du von Göttern abstammst, von Gothen oder vom Kothe“ —" "„So seid ihr Götterbilder auch zu Staub.“"

*) Die Plagiostomen ergänze ich nicht willkürlich; sie mahnen mich an eine ärgerliche Gelegenheit in Blamage vor demselben Lehrer. § 469

Ich merke, dass die Abschweifung über den Missbrauch von Namen nur diese Klage vorbereiten sollte. Aber brechen wir hier ab. — Der Einkauf in Spalato mahnt mich an einen anderen Einkauf in Cattaro, bei dem ich allzu zurückhaltend war und die Gelegenheit zu schönen Erwerbungen versäumte. (Die Gelegenheit bei der Amme versäumt, s. o.) Einer der Traumgedanken, die dem Träumer der Hunger eingibt, lautet nämlich: Man soll sich nichts entgehen lassen, nehmen, was man haben kann, auch wenn ein kleines Unrecht dabei mitläuft; man soll keine Gelegenheit versäumen, das Leben ist so kurz, der Tod unvermeidlich. Weil es auch sexuell gemeint ist, und weil die Begierde vor dem Unrecht nicht Halt machen will, hat dieses „carpe diem“ die Censur zu fürchten und muss sich hinter einem Traum verbergen. Dazu kommen nun alle Gegengedanken zu Wort, die Erinnerung an die Zeit, da die geistige Nahrung dem Träumer allein genügte, alle Abhaltungen und selbst die Drohhungen mit den ekelhaften sexuellen Strafen.

§ 470

II. Ein zweiter Traum erfordert einen längeren Vorbericht:

§ 471

Ich bin auf den Westbahnhof gefahren, um meine Ferienreise nach Aussee anzutreten, gehe aber schon zum früher abgehenden Ischler Zug auf den Perron. Dort sehe ich nun den Grafen Thun dastehen, der wiederum zum Kaiser nach Ichl fährt. Er war trotz des Regens im offenen Wagen angekommen, direct durch die Eingangsthür für Localzüge hinausgetreten und hatte den Thürhüter, der ihn nicht kannte und ihm das Billet abnehmen wollte, mit einer Handbewegung ohne Erklärung von sich gewiesen. Ich soll dann, nachdem er im Ischler Zuge abgefahren ist, den Perron wieder verlassen und in den heissen Wartesaal zurückgehen, setze es aber mühselig durch, dass ich bleiben darf. Ich vertreibe mir die Zeit, aufzupassen, wer da kommen wird, um sich auf dem Protectionswege ein Coupé anweisen zu lassen; nehme mir vor, den Lärm zu schlagen, d. h. gleiches Recht zu verlangen. Unterdes singe ich mir etwas vor, was ich dann ein die Arie Figaro’s Hochzeit erkenne:

§ 472

"„Will der Herr Graf ein Tännzlein wagen, Tännzlein wagen, Soll er’s nur sagen, Ich spiel’ ihm eine auf.“" (Ein Anderer hätte den Gesang vielleicht nicht erkannt.)

§ 473

Ich war den ganzen Abend in übermüthiger, streitlustiger Stimmung gewesen, hatte Kellner und Kutscher gefrozzelt, hoffentlich ohne ihnen wehe zu thun; nun gehen mir allerlei freche und revolutionäre Gedanken durch den Kopf, wie sie zu den Worten Figaro’s passen und zur Erinnerung an die Comödie von Beaumarchais, die ich in der Comédie française aufführen gesehen. Das Wort von den grossen Herren, die sich die Mühe gegeben haben, geboren zu werden; das Herrenreeht, das der Graf Almaviva bei Susanne zur Geltung bringen will; die Scherze, die unsere bösen oppositionellen Tagschreiber mit dem Namen des Grafen Thun anstellen, indem sie ihn Graf Nichtsthun nennen. Ich beneide ihn wirklich nicht; er hat jetzt einen schweren Gang zum Kaiser, und ich bin der eigentliche Graf Nichtsthun; ich gehe auf Ferien. Allerlei lustige Ferienvorsätze dazu. Es kommt nun ein Herr, der mir als Regierungsvertreter bei den medicinischen Prüfungen bekannt ist, und der sich durch seine Leistungen in dieser Rolle den schmeichelhaften Beinamen des „Regierungebeischläfers“ zugezogen hat. Er verlangt unter Berufung auf seine amtliche Eigenschaft ein Halbcoupé erster Classe, und ich höre den Beamten zu einem andern sagen: Wo gehen wir den Herrn mit der halben Ersten hin? Eine nette Bevorzugung; ich zahle meine erste Glosse ganz. Ich bekomme dann auch ein Coupé für mich, aber nicht in einem durchgehenden Wagen, so dass mir die Nacht über kein Abort zur Verfügung steht. Meine Klage beim Beamten hat keinen Erfolg; ich räche mich, indem ich ihm den Vorschlag mache, in diesem Coupé wenigstens ein Loch im Boden anbringen zu lassen, für etwaige Bedürfnisse der Reisenden. Ich erwache auch wirklich um 3/43 Uhr morgens mit Harndrang aus nachstehendem Traum:

§ 474

Menschenmenge, Studentenversammlung. — Ein Graf (Thun oder Taaffe) redet. Aufgefordert, etwas über die Deutschen zu sagen, erklärt er mit höhnischer Geberde für ihre Lieblingeblume den Huflattich und steckt dann etwas wie ein zerfetztes Blatt, eigentlich ein zusammengeknülltes Blattgerippe in´s Knopfloch. Ich fahre auf, fahre also auf,*)*) wundere mich aber doch deutlich über diese meine Gesinnung. Dann undeutlicher: Als ob es die Aula wäre, die Zugänge besetzt, und man müsste fliehen. Ich bahne mir den Weg durch eine Reihe von schön eingerichteten Zimmern, offenbar Regierungezimmern, mit Möbeln in einer Farbe zwischen braun und violett, und komme endlich in einen Gang, in dem eine Haushälterin, ein älteres dickes Frauenzimmer, sitzt. Ich vermeide es, mit ihr zu sprechen; sie hält mich aber offenbar für berechtigt, hier zu passieren, denn sie fragt, ob sie mit der Lampe mitgehen soll. Ich deute oder sage ihr, sie soll auf der Treppe stehen bleiben, und komme mir dabei sehr schlau vor, dass ich die Controle am Ende vermeide. So bin ich drunten und finde einen schmalen, steil aufsteigenden Weg, den ich gehe.

*) Diese Wiederholung hat sich, scheinbar aus Zerstreutheit, in den Text des Traumes eingeschlichen und wird von mir belassen, de die Analyse zeigt, dass sie ihre Bedeutung hat. § 475

Wieder undeutlich . . . Als ob jetzt die zweite Aufgabe käme, aus der Stadt wegzukommen, wie früher aus dem Haus. Ich fahre in einem Einspänner und gebe ihm Auftrag, zu einem Bahnhof zu fahren. „Auf der Bahnstrecke selbst kann ich nicht mit Ihnen fahren“, sage ich, nachdem er einen Einwand gemacht hat, als ob ich ihn übermüdet hätte. Dabei ist es, als wäre ich schon eine Strecke mit ihm gefahren, die man sonst mit der Bahn fährt. Die Bahnhöfe sind besetzt; ich überlege, ob ich nach Krems oder Znaim soll, denke aber, dort wird der Hof sein, und entscheide mich für Graz oder so etwas. Nun sitze ich im Waggon, der ähnlich einem Stadtbahnwagen ist, und habe im Knopfloch ein eigenthümlich geflochtenes, langes Ding, deren violettbraune Veilchen aus starrem Stoff, was den Leuten sehr auffällt. Hier bricht die Scene ab.

§ 476

Ich bin wieder vor dem Bahnhofe, aber zu zweit mit einem älteren Herrn, erfinde einen Plan, um unerkannt zu bleiben, sehe diesen Plan aber auch schon ausgeführt. Denken und Erleben ist hier gleichsam Eins. Er stellt sich blind, wenigstens auf einem Auge, und ich halte ihm ein männliches Uringlas vor (das wir in der Stadt kaufen mussten oder gekauft haben). Ich bin sein Krankenpfleger und muss ihm das Glas geben, weil er blind ist. Wenn der Conducteur uns so sieht, muss er uns als unauffällig entkommen lassen. Dabei ist die Stellung des Betreffenden und sein urinirendes Glied plastisch gesehen. Darauf das Erwachen mit Harndrang.

§ 477

Der ganze Traum macht etwa den Eindruck einer Phantasie, die den Träumer in das Revolutionsjahr 1848 versetzt, dessen Andenken ja durch das Jubiläum des Jahres 1898 erneuert war, wie überdies durch einen kleinen Ausflug in die Wachau, bei dem ich Emmersdorf kennen gelernt hatte, den Ruhesitz des Studentenführers Fischhof, auf den einige Züge des manifesten Trauminhaltes weisen mögen. Die Gedankenverbindung führt mich dann nach England, in das Haus meines Bruders, der seiner Frau scherzhaft vorzuhalten pflegte „Fifty years ago“ nach dem Titel eines Gedichtes von Lord Tennyson, worauf die Kinder zu rectificiren gewöhnt waren: Fifteen years ago. Diese Phantasie, die sich an die Gedanken anschliesst, welche der Anblick des Grafen Thun hervorgerufen hatte, ist aber nur wie die Facade italienischer Kirchen ohne organischen Zusammenhang dem Gebäude dahinter vorgesetzt; anders als diese Façaden ist sie übrigens lückenhaft, verworren, und Bestandtheile aus dem Inneren drängen an vielen Stellen durch. Die erste Situation des Traumes ist aus mehreren Scenen zusammengebraut, in die ich sie zerlegen kann. Die hochmüthige Stellung des Grafen im Traum ist copirt nach einer Gymnasialscene aus meinem 15. Jahr. Wir hatten gegen einen missliebigen und ignoranten Lehrer eine Verschwörung angezettelt, deren Seele ein College war, der sich seitdem Heinrich VIll. von England zum Vorbilde genommen zu haben scheint. Die Führung des Hauptschlages fiel mir zu, und eine Discussion über die Bedeutung der Donau für Oesterreich (Wachau!) war der Anlass, bei dem es zur offenen Empörung kam. Ein Mitverschworener war der einzige aristokratische College, den wir hatten, wegen seiner auffälligen Längenentwickelung die „Giraffe“ genannt, und der stand, vom Schultyrannen, dem Professor der deutschen Sprache, zur Rede gestellt, so da wie der Graf im Traume. Das Erklären der Lieblingsblume und In’s-Knopfloch-Stecken von etwas, was wieder eine sein muss (was an die Orchideen erinnert, die ich einer Freundin am selben Tag gebracht hatte, und ausserdem an eine Rose von Jericho), mahnt auffällig an die Scene zum den Königsdramen Shakespeare’s, die den Bürgerkrieg der rothen und der weissen Rose eröffnet; die Erwähnung Heinrich’s VIII. hat den Weg zu dieser Reminiscenz gebahnt. Dann ist es nicht weit von den Rosen zu den rothen und weissen Nelken. (Dazwischen schieben sich in der Analyse zwei Verslein ein, eins deutsch, das andere spanisch: Rosen, Tulpen, Nelken, alle Blumen welken. — Isabelita, no llores que se marchitan les flores. Das Spanische vom Figaro her.) Die weissen Nelken sind bei uns in Wien das Abzeichen der Antisemiten, die rothen das der Socialdemokraten geworden. Dahinter eine Erinnerung an eine antisemitische Herausforderung während einer Eisenbahnfahrt im schönen Sachsenlande (Angelsachsen). Die dritte Scene, welche Bestendtheile für die Bildung der ersten Traumsituation abgegeben hat, fällt in meine erste Studentenzeit. In einem deutschen Studentenverein gab es eine Discussion über das Verhältnis der Philosophie zu an Naturwissenschaften. Ich grüner Junge, der materialistischen Lehre voll, drängte mich vor, um einen höchst einseitigen Standpunkt zu vertreten. Da erhob sich ein überlegener älterer College, der seitdem seine Fähigkeit erwiesen hat, Menschen zu lenken und Massen zu organisiren, der übrigens auch einen Namen aus dem Thierreich trägt, und machte uns tüchtig herunter; auch er habe in seiner Jugend die Schweine gehütet und sei dann reuig in’s Vaterhaus zurückgekehrt. Ich fuhr auf (wie im Traum), wurde saugrob und antwortete, seitdem ich wusste, dass er die Schweine gehütet, wunderte ich mich nicht mehr über den Ton seiner Reden. (Im Traum wundere ich mich über meine deutsch-nationale Gesinnung.) Grosser Aufruhr; ich wurde von vielen Seiten aufgefordert, meine Worte zurückzunehmen, blieb aber standhaft. Der Beleidigte war zu verständig um das Ansinnen einer Herausforderung, das man an ihn richtete, anzunehmen, und liess die Suche auf sich beruhen.

§ 478

Die übrigen Elemente der Traumscene stammen aus tieferen Schichten. Was soll es bedeuten, dass der Graf den „Huflattich“ proclamirt? Hier muss ich meine Associationsreihe befragen. HuflattichlatticeSalatSaluthund (der Hund, der Anderen nicht gönnt, was er doch selber nicht frisst). Hier sieht man durch auf einen Vorrath an Schimpfwörtern: Gir-affe, Schwein, Sau, Hund; ich wüsste auch auf dem Umweg über einen Namen zu einem EseI zu gelangen und damit wieder zu einem Hohn auf einen akademischen Lehrer. Ausserdem übersetze ich mir — ich weiss nicht, ob mit Recht, — Huflattich mit „pisse-en-lit.“ Die Kenntnis kommt mir aus dem Germinal Zola’s, in dem die Kinder aufgefordert werden, solchen Salat mitzubringen. Der Hund — chien — enthält in seinem Namen einen Anklang an die grössere Function (chier, wie pisser für die kleineren). Nun werden wir bald das Unanständige in allen drei Aggregatzuständen beisammen haben; denn im selben Germinal, der mit der künftigen Revolution genug zu thun hat, ist ein ganz eigenthümlicher Wettkampf beschrieben, der sich auf die Production gasförmiger Excretionen, Flatus genannt, bezieht.*)*) Und nun muss ich bemerken, wie der Weg zu diesen Flatus seit Langem angelegt ist, von den Blumen aus über das spanische Verslein, die Isabelita, zu Isabella und Ferdinand, über Heinrich VIII. die englische Geschichte zum Kampf der Armada gegen England, nach dessen siegreicher Beendigung die Engländer eine Medaille prägten mit der Inschrift: Flavit et dissipati sunt, da der Sturmwind die spanische Flotte zerstreut hatte. Diesen Spruch gedachte ich aber zur halb scherzhaft gemeinten Ueberschrift des Capitels „Therapie“ zu nehmen, wenn ich je dazu gelangen sollte, ausführliche Kunde von meiner Auffassung und Behandlung der Hysterie zu geben.

§ 479

Von der zweiten Scene des Traumes kann ich eine so ausführliche Auflösung nicht geben, und zwar aus Rücksichten der Censur. Ich setze mich hier nämlich an die Stelle einen hohen Herrn jener Revolutionszeit, der auch ein Abenteuer mit einem Adler gehabt, an incontinentia alvi gelitten haben soll u. dgl., und ich glaube, ich wäre nicht berechtigt, hier die Censur zu passiren, obwohl ein Hofrath (Aula, consiliarius aulicus) mir den grösseren Theil jener Geschichten erzählt hat. Die Reihe von Zimmern im Traum verdankt ihre Anregung dem Salonwagen Seiner Excellenz, in den ich einen Moment hineinblicken konnte; sie bedeutet aber, wie so häufig im Traum, Frauenzimmer (ärarische Frauenzimmer). Mit der Person der Haushälterin statte ich einer geistreichen älteren Dame schlechten Dank für die Bewirthung und die vielen guten Geschichten ab, die mir in ihrem Hause geboten worden sind. — Der Zug mit der Lampe geht auf Grillparzer zurück, der ein reizendes Erlebnis ähnlichen Inhalten notirt und dann in Hero und Leander (des Meeres und der Liebe Wellen — die Armada und der Sturm) verwendet hat.

*) Nicht im Germinal, sondern in La Terre. Ein Irrthum, der mir erst nach der Analyse bemerklich wird. — Ich mache übrigens auf die identischen Buchstaben in Huflattich und Flatus aufmerksam. § 480

Auch die detaillirte Analyse der beiden übrigen Traumstücke muss ich zurückhalten; ich werde nur jene Elemente herausgreifen, die zu den beiden Kinderecenen führen, um deren Willen ich den Traum überhaupt aufgenommen habe. Man wird mit Recht vermuthen, dass es sexuelles Material ist, welches mich zu dieser Unterdrückung nöthigt; man braucht sich aber mit dieser Aufklärung nicht zufrieden zu geben. Man macht doch sich selbst aus Vielem kein Geheimnis was man vor Anderen als Geheimnis behandeln und hier handelt es sich nicht um die Gründe, die mich nöthigen, die Lösung zu verbergen, sondern um die Motive der inneren Censur, welche den eigentlichen Inhalt des Traumes vor mir selbst verstecken. Ich muss also darum sagen, dass die Analyse diese drei Traumstücke als impertinente Prahlereien, als Ausfluss eines lächerlichen in meinem wachen Leben längst unterdrückten Grössenwahnes erkennen lässt, der sich mit einzelnen Ausläufern bis in den manifesten Trauminhalt wagt (ich komme mir schlau vor) allerdings die übermüthige Stimmung des Abends vor dem Träumen trefflich verstehen lässt. Prahlerei zwar auf allen Gebieten; so geht die Erwähnung von Graz auf die Redensart: Was kostet Graz? in der man sich gefällt, wenn man sich überreich mit Geld versehen glaubt. Wer an Meister Rabelais’ unübertroffene Schilderung von dem Leben und Thaten des Gargantua und seines Sohnes Pantagruel denken will, wird alle den angedeuteten Inhalt des ersten Traumstückes unter die Prahlereien einreihen können. Zu den zwei versprochenen Kinderscenen gehört aber folgendes: Ich hatte für diese Reise einen neuen Koffer gekauft, dessen Farbe, ein Braunviolett, im Traum mehrmals auftritt (violettbraune Veilchen aus starrem Stoff neben einem Ding, das man „Mädchenfänger“ heisst — die Möbel in den Regierungszimmern). Dass man mit etwas Neuem den Leuten auffällt, ist ein bekannter Kinderglaube. Nun ist mir folgende Scene aus meinem Kinderleben erzählt worden, deren Erinnerung ersetzt ist durch die Erinnerung an die Erzählung. Ich soll — im Alter vor zwei Jahren — noch gelegentlich das Bett nass gemacht haben, und als ich dafür Vorwürfe zu hören bekam, den Vater durch das Versprechen getröstet haben, dass ich ihm in N. (der nächsten grösseren Stadt) ein neues schönes, rothes Bett kaufen werde. (Daher im Traum die Einschaltung, dass wir das Glas in der Stadt gekauft haben oder kaufen mussten was man versprochen hat, muss man halten.) [Man beachte übrigens die Zusammenstellung des männlichen Glases und des weiblichen Koffers, box.] Der ganze Grössenwahn des Kindes ist in diesem Versprechen enthalten. Die Bedeutung der Harnschwierigkeiten des Kindes für den Traum ist uns bereits bei einer früheren Traumdeutung (vergleiche den Traum Seite 137) aufgefallen.

§ 481

Dann gab es aber einmal einen anderen häuslichen Anstand, als ich 7 oder 8 Jahre alt war, an den ich mich sehr wohl erinnere. Ich setzte mich Abends vor dem Schlafengehen über das Gebot der Discretion hinweg, Bedürfnisse nicht im Schlafzimmer der Eltern in deren Anwesenheit zu verrichten, und der Vater liess in seiner Strafrede darüber die Bemerkung fallen: Aus dem Buben wird nichts werden. Es muss eine furchtbare Kränkung für meinen Ehrgeiz gewesen sein, denn Anspielungen an diese Scene kehren immer in meinen Träumen wieder und sind regelmässig mit Aufzählung meiner Leistungen und Erfolge verknüpft, als wollte ich sagen: Siehst Du, ich bin doch etwas geworden. Diese Kinderscene gibt nun den Stoff für das letzte Bild des Traumes, in dem natürlich zur Rache die Rollen vertauscht sind. Der ältere Mann, offenbar der Vater, da die Blindheit auf einem Auge sein einseitigen Glaukom bedeutet,*)*) uriniert jetzt vor mir wie ich damals vor ihm. Mit dem Glaukom mahne ich ihn an das Cocain, dass ihm bei der Operation zu Gute kam, als hätte ich damit mein Versprechen erfüllt. Ausserdem mache ich mich über ihn lustig; weil er blind ist, muss ich ihm das Glas vorhalten und schwelge in Anspielungen an meine Erkenntnisse in der Lehre von der Hysterie, auf die ich stolz bin.**)**)

*) Andere Deutung: Er ist einäugig wie Odhin, der Göttervater. — Odhin´s Trost — Der Trost aus der Kinderscene, dass ich ihm ein neues Bett kaufen werde. **) Dazu einiges Deutungsmaterial: Das mit dem Glas vorhalten, erinnert an die Geschichte vom Bauern, der beim Optiker Glas nach Glas versucht, aber nicht lesen kann. — (Bauernfänger — Mädchenfänger im vorigen Traumstück.) — Die Behandlung des schwachsinnig gewordenen Vaters bei den Bauern in Zola´s La Terre. Die traurige Genugthuung, dass der Vater in seinen letzten Lebenstagen wie ein Kind das Bett beschmutzt hat; daher bin ich im Traum sein Krankenpfleger. — „Denken und Erleben sind hier gleichsam Eins“ erinnert an ein stark revolutionäres Buchdrama von Oscar Panizza, in dem Gottvater als paralytischer Greis schmählich genug behandelt wird; dort heisst es: Wille und That sind bei ihm Eins, und er muss von seinem Erzengel, einer Art Ganymed, abgehalten werden zu schimpfen und zu fluchen, weil diese Verwünschungen sich sofort erfüllen würden. — Das Plänemachen ist ein uns späterer Zeit der Kritik stammender Vorwurf gegen den Vater, wie überhaupt der ganze rebellische, majestätsbeleidigende und die hohe Obrigkeit verhöhnende Inhalt des Traumes auf Auflehnung gegen den Vater zurückgeht. Der Fürst heisst Landesvater, und der Vater ist die älteste, erste, für das Kind einzige Autorität, aus dessen Machtvollkommenheit im Laufe der menschliche Culturgeschichte die anderen socialen Obrigkeiten hervorgegangen sind (insoferne nicht das „Mutterrecht” zur Einschränkung dieses Satzes nöthigt). — Die Fassung im Traum „Denken und Erleben sind Eins“, zielt auf die Erklärung der hysterischen Symptome, zu der auch das männliche Glas eine Beziehung ist. Einem Wiener brauche ich das Princip des „Gschnas“ nicht auseinanderzusetzen; es besteht, darin, Gegenstände von seltenem und werthvollem Ansehen aus trivialem, am liebsten komischen und werthlosem Material herzustellen, z. B. Rüstungen uns Kochtöpfen, Strohwischen und Salzsstangeln, wie es unsere Künstler an ihren lustigen Abenden lieben. Ich hatte nun gemerkt, dass die Hysterischsn es ebenso machen; neben dem, was ihnen wirklich zugestossen ist, gestalten sie sich unbewusst grässliche oder ausschweifende Phantasiebegebenheiten, die sie aus dem harmlosesten und banalsten Material des Erlebens aufbauen. An diesen Phantasien hängen erst die Symptome, nicht an den Erinnerungen der wirklichen Begebenheiten, seien diese nun ernsthaft § 482

Wenn die beiden Urinirscenen aus der Kindheit bei mir ohnedies mit dem Thema der Grössensucht eng verbunden sind, so kam ihrer Erweckung auf der Reise nach Aussee noch der zufällige Umstand zu Gute, dass mein Coupé kein Closet besass, und ich vorbereitet sein musste, während der Fahrt in Verlegenheit zu kommen, was denn am Morgen auch eintraf. Ich erwachte dann mit den Empfindungen des körperlichen Bedürfnisses. Ich meine, man könnte geneigt sein, diesen Empfindungen die Rolle des eigentlichen Traumerregers zuzuweisen, würde aber einer anderen Auffassung den Vorzug geben, nämlich dass die Traumgedenken erst den Harndrang hervorgerufen haben. Es ist bei mir ganz ungewöhnlich, dass ich durch irgend ein Bedürfnis im Schlaf gestört werde, am wenigstens um die Zeit dieses Erwachens, 3/44 Uhr Morgens. Einem weiteren Einwand begegne ich durch die Bemerkung, dass ich auf anderen Reisen unter bequemeren Verhältnissen fast niemals den Harndrang nach frühzeitigem Erwachen verspürt habe. Uebrigens kann ich diesen Punkt auch ohne Schaden unentschieden lassen.

§ 483

Seitdem ich ferner durch Erfahrungen bei der Traumanalyse aufmerksam gemacht worden bin, dass auch von Träumen, deren Deutung zunächst vollständig erscheint, weil Traumquellen und Wunscherreger leicht nachweisbar sind, — dass auch von solchen Träumen wichtige Gedankenfäden ausgehen, die bis in die früheste Kindheit hineinreichen, habe ich mich fragen müssen, ob nicht auch in diesem Zug eine wesentliche Bedingung des Träumens gegeben ist. Wenn ich diesen Gedanken verallgemeinern dürfte, so käme jedem Traum in seinem manifesten Inhalt eine Anknüpfung an das recent Erlebte zu, in seinem latenten Inhalt aber eine Anknüpfung an das älteste Erlebte, von dem ich bei der Analyse der Hysterie wirklich zeigen kann, dass es in gutem Sinne bis auf die Gegenwart recent geblieben ist. Diese Vermuthung erscheint aber noch recht schwer erweislich; ich werde auf die wahrscheinliche Rolle frühester Kindheitserlebnisse, für die Traumbildung noch in anderem Zusammenhange (Abschnitt VII) zurückkommen müssen.

§ 484

Von den drei Eingangs betrachteten Besonderheiten des Traumgedächtnisses hat sich uns die eine — die Bevorzugung des Nebensächlichen im Trauminhalt — durch ihre Zurückführung auf die Traumentstellung befriedigend gelöst. Die beiden Anderen, die Auszeichnung des Recenten wie des Infantilen haben wir bestätigen, aber nicht aus den Motiven des Träumens ableiten können. Wir wollen diese beiden Charaktere, deren Erklärung oder Verwerthung uns erübrigt, im Gedächtnis behalten; sie werden anderswo ihre Ein reihung finden müssen, entweder in der Psychologie des Schlafzustandes oder bei jenen Erwägungen über den Aufbau des seelischen Apparates, die wir später anstellen werden, wenn wir gemerkt haben, im man durch die Traumdeutung wie durch eine Fensterlücke in das Innere desselben einen Blick werfen kann.

oder gleichfalls harmlos. Diese Aufklärung hatte mir über viele Schwierigkeiten hin- weggeholfen und machte mir viel Freude. Ich konnte sie mit dem Traumelement desmännlichen Glases“ andeuten, weil mir von dem letzten „Gschnasabend“ erzählt werden war, es sei dort ein Giftbecher der Lucretia Borgia ausgestellt gewesen, dessen Korn und Hauptbestandteil ein Uringlas für Männer, wie es in den Spitälern gebräuchlich ist, gebildet hätte. § 485

Ein anderes Ergebnis der letzten Traumanalysen will ich aber gleich hier hervorheben. Der Traum erscheint häufig mehrdeutig; es können nicht nur, wie Beispiele zeigen, mehrere Wunscherfüllungen neben einander in ihm vereinigt sein; es kann auch ein Sinn, eine Wunscherfüllung die andere decken, bis man zu unterst auf die Erfüllung eines Wunsches aus der ersten Kindheit stösst, und auch hier wieder die Erwägung, ob in diesem Satze das „häufig“ nicht richtiger durch „regelmässig“ zu ersetzen ist.

§ 486

c) Die somatischen Traumquellen.

§ 487

Wenn man den Versuch macht, einen gebildeten Laien für die Probleme des Träumens zu interessiren, und in dieser Absicht die Frage an ihn richtet, aus welchen Quellen wohl nach seiner Meinung die Träume herrühren, so merkt man zumeist, dass der Gefragte im gesicherten Besitz dieses Theiles der Lösung zu sein vermehrt. Er gedenkt sofort des Einflusses, den gestörte oder beschwerte Verdauung („Träume kommen aus dem Magen“), zufällige Körperlage und kleine Erlebnisse während des Schlafens auf Traumbildung äussern, und scheint nicht zu ahnen, dass nach Berücksichtigung all’ dieser Momente etwas der Erklärung Bedürftiges noch erübrigt.

§ 488

Welche Rolle für die Traumbildung die wissenschaftliche Litteratur den somatischen Reizquellen zugesteht, haben wir im einleitenden Abschnitt (Seite 13 u. ff.) ausführlich auseinandergesetzt, so dass wir uns hier nur an die Ergebnisse dieser Untersuchungen erinnern brauchen. Wir haben gehört, dass dreierlei somatische Reizquellen unterschieden werden, die von äusseren Objecten ausgehenden objecitven Sinnesreizen, die nur subjectiv begründeten inneren Erregungzustände der Sinnesorgane und die aus dem Körperinnern stammenden Leibesreize, und wir haben die Neigung der Autoren bemerkt, neben diesen sometischen Reizquellen etwaige psychische Quellen des Traumes in den Hintergrund zu drängen oder ganz auszuschalten (Seite 28). Bei der Prüfung der Ansprüche, welche zu Gunsten dieser Classen von somatischen Reizquellen erhoben werden, haben wir erfahren, dass die Bedeutung der objectiven Sinnesorganerregungen — theils zufällige Reize während des Schlafes, theils solche, die sich auch vom schlafenden Seelenleben nicht ferne halten lassen — durch zahlreiche Beobachtungen sicher gestellt wird und durch das Experiment eine Bestätigung erfährt (Seite 16), dass die Rolle der subjectiven Sinneserregungen durch die Wiederkehr der hypnagogisehen Sinnes bilder in den Träumen (p. 21) dargethan erscheint, und dass die im weitesten Umfang angenommene Zurückführung unserer Traumbilder und Traumvorstellungen auf inneren Leibreiz zwar nicht in ihrer ganzen Breite beweisbar ist, aber sich an die allbekannte Beeinflussung anlehnen kann, welche der Erregungszustand der DigestionsHarn- und Sexualorgane auf den Inhalt unserer Träume ausübt.

§ 489

Nervenreiz“ und „Leibreiz“ wären also die somatischen Quellen des Traumes, d. h. nach mehreren Autoren die einzigen Quellen des Traumes überhaupt.

§ 490

Wir haben aber auch bereits einer Reihe von Zweifeln Gehör geschenkt, welche nieht sowohl die Richtigkeit als vielmehr die Zulänglichkeit der sometischen Reiztheorie anzugreifen schienen.

§ 491

So sicher sich alle Vertreter dieser Lehre bezüglich deren thatsächlichen Grundlagen fühlen mussten — zumal soweit die accidentellen und äusseren Nervenreize in Betracht kommen, die im Trauminhalt wiederzufinden keinerlei Mühe erfordert, — so blieb doch keiner der Einsicht ferne dass der reiche Vorstellungsinhalt der Träume eine Ableitung aus den äusseren Nervenreizen allein nicht wohl zulasse. Miss Mary Whiton Calkins 12) hat ihre eigenen Träume und die einer zweiten Person durch sechs Wochen hindurch von diesem Gesichtspunkte aus geprüft und nur 13.2%, resp. 6.7%, gefunden, in denen das Element äusserer Sinneswahrnehmung nachweisbar war; nur zwei Fälle der Sammlung liessen sich auf organische Empfindungen zurückführen. Die Statistik bestätigt uns hier, was uns bereits eine flüchtige Ueberschau unserer eigenen Erfahrungen hatte vermuthen lassen.

§ 492

Man beschied sich vielfach, den „Nervenreiztraum“ als eine gut erforschte Unterart des Traumes anderen Traumformen hervorzuheben. Spitta 64) trennte die Träume in Nervenreiz- und Associationstraum. Es war aber klar, dass die Lösung unbefriedigend blieb, so lange es nicht gelang, das Band zwischen den somatischen Traumquellen und dem Vorstellungsinhalt des Traumes nachzuweisen.

§ 493

Neben den ersten Einwand, der Unzulänglichkeit in der Häufigkeit der äusseren Reizquellen, stellt sich so als zweiter Unzulänglichkeit in der Aufklärung des Traumes, die durch die Einführung dieser Art von Traumquellen zu erreichen ist. Die Vertreter der Lehre sind uns zwei solcher Aufklärungen schuldig, erstens, warum der äussere Reiz im Traum nicht in seiner wirklichen Natur erkannt, sondern regelmässig verkannt wird (vergleiche die Weckerträume, Seite 18), und zweitens warum das Resultat der Reaction der wehrnehmenden Seele auf diesen verkannten Reiz so unbestimmbar wechselvoll ausfallen kann. Als Antwort auf diese Frage haben wir von Strümpell 66) gehört, dass die Seele in Folge ihrer Abwendung von der Aussenwalt während des Schlafes nicht im Stande ist, the richtige Deutung des objectiven Sinnesreizes zu geben genden genöthigt wird, auf Grund der nach vielen Richtungen unbestimmten Anregung Illusionen zu bilden, in seinen Worten ausgedrückt (p. 108):

§ 494

„Sobald durch einen äusseren oder inneren Nervenreiz während im Schlafes in der Seele eine Empfindung oder ein Empfindungscomplex, ein Gefühl, überhaupt ein psychischer Vorgang entsteht und von der Seele percipirt wird so ruft dieser Vorgang aus dem der Seele vom Wachen her verbliebenen Erfahrungskreise Empfindungsbilder, also frühere Wahrnehmungen, entweder nackt oder mit zugehörigen psychischen Werthen hervor. Er sammelt gleichsam um sich eine grössere oder kleinere Anzahl solcher Bilder, durch welche der vom Nervenreiz herrührende Eindruck seinen psychischen Werth bekommt. Man sagt gewöhnlich auch hier, wie es der Sprachgebrauch für das wache Verhalten thut, dass die Seele im Schlaf die Nervenreizeindrücke deute. Das Resultat dieser Deutung ist der sogenannte Nervenreiztraum, d. h. ein Traum, dessen Bestandtheile dadurch bedingt sind, dass ein Nervenreiz nach den Gesetzen der Reproduction seine psychische Wirkung im Seelenleben vollzieht.“

§ 495

In allem wesentlichen mit dieser Lehre identisch ist die Auesserung von Wundt76), die Vorstellungen des Traumes gehen jedenfalls zum grössten Theil von Sinnesreizen aus, namentlich auch im solchen des allgemeinen Sinnes, und sind daher zumeist phantastische Illusionen, wahrscheinlich nur zum kleineren Theil reine, zu Hallucinationen gesteigerte Erinnerungsvorstellungen. Für das Verhältnis des Trauminhaltes zu den Traumreizen, welches sich nach dieser Theorie ergibt, findet Strümpell des treffliche Gleichnis (p. 84) es sei, wie „wenn die zehn Finger eines der Musik ganz unkundigen Menschen über die Tasten des Instrumentes hinlaufen.“ Der Traum erschiene so nicht als ein seelischen Phänomen, aus psychischen Motiven entsprungen, sondern als der Erfolg eines physiologischen Reizen, der sich in psychischer Symptomatologie äussert, weil der vom Reiz betroffene Apparat keiner anderen Auesserung fähig ist. Auf eine ähnliche Voraussetzung ist z. B. die Erklärung der Zwangsvorstellungen aufgebaut, die Meynert durch das berühmte Gleichnis vom Zifferblatt, auf dem einzelne Zahlen stärker gewölbt vorspringen, zu gehen versuchte.

§ 496

So beliebt diese Lehre von den somatischen Traumreizen geworden ist und so bestechend sie erscheinen mag, so ist es doch leicht, den schwachen Punkt in ihr aufzuweisen. Jeder somatische Traumreiz, welcher im Schlafe den seelischen Apparat erst um Deutung durch Illusionsbildung auffordert, kann ungezählt viele solcher Deutungsversuche anregen, also in ungemein verschiedenen Vorstellungen seine Vertretung im Trauminhalt erreichen. Die Lehre von Strümpell und Wendt ist aber unfähig, irgend ein Motiv anzugeben, welches die Beziehung zwischen dem äusseren Reiz und der zu seiner Deutung gewählten Traumvorstellung regelt, also die „sonderbare Auswahl“ zu erklären, welche die Reize „oft genug bei ihrer reproductiven Wirksamkeit treffen“. (Lipps, Grundthatsachen des Seelenlebens, Seite 170.) Andere Einwendungen richten sich gegen die Grundvoraussetzung der ganzen Illusionslehre, dass die Seele im Schlafe nicht in der Lage sei, die wirkliche Natur der objectiven Sinnesreize zu erkennen. Der alte Physiologe Burdach 8) beweist uns, dass die Seele auch im Schlafe sehr wohl fähig ist, die an sie gelangenden Sinneseindrücke richtig zu deuten und der richtigen Deutung gemäss zu reagiren, indem er ausführt, dass man gewisse, dem Individuum wichtig erscheinende Sinneseindrücke von der Vernachlässigung während des Schlafes annehmen kann (Amme und Kind), und dass man durch den eigenen Namen weit sicherer geweckt wird als durch einen gleichgütigen Gehörseindruck, was ja voraussetzt, dass die Seele auch im Schlafe zwischen den Sensationen unterscheidet (Abschnitt I., p. 36). Burdach folgert aus diesen Beobachtungen, dass während des Schlafzustandes nicht eine Unfähigkeit, die Sinnesreize zu deuten, sondern ein Mangel an Interesse für sie anzunehmen ist. Die nämlichen Argumente, die Burdach 1830 verwendet, kehren dann zur Bekämpfung der somatischen Reiztheorie unverändert bei Lipps im Jahre 1883 wieder. Die Seele erscheint uns demnach so wie der Schläfer in der Anekdote, der auf die Frage „Schläfst Du“ antwortet „Nein“, nach der zweiten Anrede, „dann leih’ mir zehn Gulden“ aber sich hinter der Ausrede verschanzt: „Ich schlafe“.

§ 497

Die Unzulänglichkeit der Lehre von den somatischen Traumreizen lässt sich auch auf andere Weise darthun. Die Beobachtung zeigt, dass ich durch äussere Reize nicht zum Träumen genöthigt werde, wenngleich diese Reize im Trauminhalt erscheinen, sobald und für den Fall, dass ich träume. Gegen einen Haut- oder Druckreiz etwa, der mich im Schlafe befüllt, stehen mir verschiedene Reactionen zu Gebote. Ich kann ihn überhören und dann beim Erwachen finden, dass z. B. ein Bein unbedeckt oder ein Arm gedrückt war; die Pathologie zeigt mir ja die zahlreichsten Beispiele, dass verschiedenartige und kräftig erregende Empfindungs- und Bewegungsreize während des Schlafes wirkungslos bleiben. Ich kann die Sensation während des Schlafes verspüren, gleichsam durch den Schlaf hindurch, wie es in der Regel mit schmerzhaften Reizen geschieht, aber ohne den Schmerz in einen Traum zu verweben; und ich kann drittens auf den Reiz erwachen, um ihn zu beseitigen. Erst eine vierte mögliche Reaction ist, dass ich durch den Nervenreiz zum Traum veranlasst werde; die anderen Möglichkeiten werden aber mindestens eben so häufig vollzogen wie die der Traumbildung. Dies könnte nicht geschehen, wenn nicht das Motiv des Träumens ausserhalb der somatischen Reizquellen läge.

§ 498

In gerechter Würdigung jener oben aufgedeckten Lücke in der Erklärung des Traumes durch somatische Reize haben nun andere Autoren — Scherner 58), dem der Philosoph Volkelt 72) sich anschloss — die Seelenthätigkeiten, welche aus den somatischen Reizen die bunten Traumbilder entstehen lassen, näher zu bestimmen gesucht, also doch wieder das Wesen des Träumens in’s Seelische und in eine psychische Activität verlegt. Scherner gab nicht nur eine poetisch nachempfundene, glühend belebte Schilderung der psychischen Eigentümlichkeiten, die sich bei der Traumbildung entfalten; er glaubte auch das Princip errathen zu haben, nach dem die Seele mit den ihr dargebotenen Reizen verführt. In freier Bethätigung der ihrer Tagesfesseln entledigten Phantasie strebt nach Scherner die Traumarbeit dahin, die Natur des Organes, von dem der Reiz ausgeht, und die Art dieses Reizes symbolisch darzustellen. Es ergibt sich so eine Art von Traumbuch als Anleitung zur Deutung der Träume, mittelst dessen aus Traumbildern auf Körpergefühle, Organzustände und Reizzustände geschlossen werden darf. „So drückt das Bild der Katze die ärgerliche Missstimmung des Gemüthes aus, des Bild des hellen und glatten Gebäcks die Leibesnacktheit. Der menschliche Leib als Ganzes wird von der Traumphantasie als Haus vorgestellt, das einzelne Körperorgan durch einen Theil des Hauses. In den „Zahnreizträumen“ entspricht dem Mundorgan ein hochgewölbter Hausflur und dem Hinabfall des Schlundes zur Speiseröhre eine Treppe, im „Kopfschmerztraum“ wird zur Bezeichnung der Höhenstellung des Kopfes die Decke eines Zimmers gewählt, welche mit ekelhaften, krötenartigen Spinnen bedeckt ist" (Volkelt, 59). „Diese Symbole werden vom Traum in mehrfacher Auswahl für das nämliche Organ verwendet; so findet die athmende Lunge in dem flammenerfüllten Ofen mit seinem Bremsen ihr Symbol, das Herz in hohlen Kisten und Körben, die Harnblase in runden, beutelförmigen oder überhaupt nur ausgehöhlten Gegenständen. Besonders wichtig ist es, dass am Schlusse des Traumes öfters des erregende Organ oder dessen Function unverhüllt hingestellt wird, und zwar zumeist an dem eigenen Leib des Träumen. So endet der „Zahnreiztraum“ gewöhnlich damit, dass der Träumer sich einen Zahn aus dem Munde zieht“ (p. 35). Mann kann nicht sagen, dass diese Theorie der Traumdeutung Gunst bei den Autoren gefunden hat. Sie erschien vor Allem extravagant; man hat selbst gezögert, das Stück Berechtigung herauszufinden, das sie nach meinem Urtheil beanspruchen darf. Sie führt, wie man sieht, zur Wiederbelebung der Traumdeutung mittelst Symbolik, deren sich die Alten bedienten, nur dass das Gebiet, aus welchem die Deutung eholt werden soll, auf den Umfang der menschlichen Leiblichkeit beschränkt wird. Der Mangel einer wissenschaftlich fassbaren Technik bei der Deutung muss die Anwendbarkeit der Scherner’schen Lehre schwer beeinträchtigen. Willkür in der Traumdeutung scheint keineswegs ausgeschlossen, zumal da auch hier ein Reiz sich in mehrfachen Vertretungen im

§ 499

Von einem Einwand aber wird die Scherner’sche Lehre der Symbolisirung von Leibreizen durch den Traum schwer getroffen. Diese Leibreize sind jederzeit vorhanden, die Seele ist für sie nach allgemeiner Annahme während des Schlafens zugänglicher als im Wachen. Man versteht dann nicht, warum die Seele nicht continuirlich die Nacht hindurch träumt, und zwar jede Nacht von allen Organen. Will man sich diesem Einwand durch die Bedingung entziehen, es müssten vom Auge, Ohr, von den Zähnen, Därmen u. s. w. besondere Erregungen ausgehen, um die Traumthätigkeit zu wecken, so steht man vor der Schwierigkeit, diese Reizsteigerungen als objectiv zu erweisen, was nur in einer geringen Zahl von Fällen möglich ist. Wenn der Traum vom Fliegen eine Symbolisirung des Auf- und Niedersteigens der Lungenflügel bei der Athmung bedeutet, so müsste entweder dieser Traum, wie schon Strümpell bemerkt, weit häufiger eträumt werden oder eine gesteigerte Athmungsthätigkeit währeml dieses Traumes nachweisbar sein. Es ist noch ein dritter Fall möglich, der wahrscheinlichste von allen, dass nämlich zeitweise besondere Motive wirksam sind, um den gleichmässig vorhandenen visceralen Sensationen Aufmerksamkeit zuzuwenden, aber dieser Fall führt bereits über die Scherner’sche Theorie hinaus.

§ 500

Der Werth der Erörterungen von Scherner und Volkelt liegt darin, dass sie auf eine Reihe von Charakteren des Trauminhaltes aufmerksam machen, welche der Erklärung bedürftig sind und neue Erkenntnisse zu verdecken scheinen. Es ist ganz richtig, dass in den Träumen Symbolisirungen von Körperorganen und Functionen enthalten sind, dass Wasser im Traum häufig auf Harnreiz deutet, dass das männliche Genitale durch einen aufrecht stehenden Stab oder eine Säule dargestellt werden kann u. s. w. In Träumen, welche ein sehr bewegtes Gmühtsfeld und leuchtende Farben zeigen, im Gegensatz zu der Mattigkeit anderer Träume, kann man die Deutung als „Gesichtsreiztraum“ kaum abweisen, ebenso wenig den Beitrag der Illusionebildung in Träumen bestreiten, welche Lärm und Stimmengewirr enthalten. Ein Traum wie der von Scherner, dass zwei Reihen schöner blonder Knaben auf einer Brücke einander gegenüber stehen, sich gegenseitig angreifen, dann wieder ihre alte Stellung einnehmen, bis endlich der Träumer sich auf eine Brücke setzt und einen langen Zahn aus seinem Kiefer zieht; oder ein ähnlicher von Volkelt, in dem zwei Reihen von Schubladen eine Rolle spielen, und der wiederum mit dem Ausziehen eines Zahnes endigt: dergleichen bei beiden Autoren in grosser Fülle mitgetheilte Tranmbildungen lassen es nicht zu, dass man die Scherner’sche Theorie als müssige Erfindung bei Seite wirft, ohne nach ihrem guten Kern zu forschen. Es stellt sich dann die Aufgabe, für die vermeintliche Symbolisirung des angeblichen Zahnreizes eine andersartige Aufklärung zu erbringen.

§ 501

Ich habe es die ganze Zeit über, welche uns die Lehre von den somatischen Traumquellen beschäftigte, unterlassen, jenes Argument geltend zu machen, welches sich aus unseren Traumanalysen ableitet. Wenn wir durch ein Verfahren, das andere Autoren auf ihr Material an Träumen nicht angewendet haben, erweisen konnten, dass der Traum einen ihm eigenen Werth als psychische Action besitzt, dass ein Wunsch das Motiv seiner Bildung wird, und dass die Erlebnisse des Vortages das nächste Material für seinen Inhalt abgeben, so ist jede andere Traumlehre, welche ein so wichtiges Untersuchungsverfahren vernachlässigt und dem entsprechend den Traum als eine nutzlose und räthselhafte psychische Reaction auf sometische Reize erscheinen lässt, auch ohne besondere Kritik gerichtet. Es müsste denn, was sehr unwahrscheinlich ist, zwei ganz verschiedene Arten von Träumen geben, von denen die eine nur uns, die andere nur den früheren Beurtheilern des Traumes untergekommen ist. Es erübrigt nur noch, den Thatsachen, auf welche sich die gebräuchliche Lehre von den somatischen Traumreizen stützt, eine Unterbringung innerhalb unserer Traumlehre zu verschaffen.

§ 502

Den ersten Schritt hiezu haben wir bereits gethan, als wir den Satz aufstellten, dass die Traumarbeit unter dem Zwange stehe, alle gleichzeitig vorhandenen Traumanregungen zu einer Einheit zu verarbeiten (Seite 123). Wir sehen, dass, wenn zwei oder mehr eindrucksfähige Erlebnisse vom Vortege übrig geblieben sind, die aus ihnen sich ergebenden Wünsche in einem Traume vereinigt werden, desgleichen, dass zum Traummaterial der psychisch werthvolle Eindruck und die indifferenten Erlebnisse des Vortages zusammentreten, vorausgesetzt, dass sich communicirende Vorstellungen zwischen beiden herstellen lassen. Der Traum erscheint somit als Reaction auf alles, was in der schlafenden Psyche gleichzeitig als actuell vorhanden ist. Soweit wir also das Traummaterial bisher analysirt haben, erkannten wir es als eine Sammlung von psychischen Resten, Erinnerungsspuren, denen wir (wegen der Bevorzugung des recenten und des infintilen Materials) einen psychologisch derzeit unbestimmbaren Charakter von Actualität zusprechen mussten. Es schafft uns nun nicht viel Verlegenheit vorherzusagen, was geschehen wird, wenn zu diesen Erinnerungsactualitäten neues Material an Sensationen während des Schlafzustandes hinzutritt. Diese Erregungen erlangen wiederum eine Wichtigkeit für den Traum dadurch, dass sie actuell sind; sie werden mit den anderen sychischen Actualitäten vereinigt, um das Material für die Traumbildung abzugeben. Die Reize während des Schlafes werden, um es anders zu sagen, in eine Wunscherfüllung verarbeitet, deren andere Bestandtheile die uns bekannten psychischen Tagesreste sind. Diese Vereinigung muss nicht vollzogen werden; wir haben ja gehört, dass gegen körperliche Reize während des Schlafes mehr als eine Art des Verhaltens möglich ist. Wo sie vollzogen wird, da ist es eben gelungen, ein Vorstellungsmaterial für den Trauminhalt zu finden, welches für beiderlei Traumquellen, die somatischen wie die psychischen, eine Vertretung darstellt.

§ 503

Das Wesen des Tranmes wird nicht verändert, wenn zu den psychischen Traumquellen somatisches Material hinzutritt; er bleibt eine Wunscherfüllung, gleichgiltig wie deren Ausdruck durch das actuelle Material bestimmt wird.

§ 504

Ich will hier gerne Raum lassen für eine Reihe von Eigenthümlichkeiten, welche die Bedeutung äusserer Reize für den Traum veränderlich gestalten können. Ich stelle mir vor, dass ein Zusammenwirken individueller, physiologischer und zufälliger, in den jeweiligen Umständen gegebener, Momente darüber entscheidet, wie man sich in den einzelnen Fällen von intensiverer objectiver Reizung während des Schlafes benehmen wird; die habituelle und accidentelle Schlaftiefe im Zusammenhalt mit der Intensität des Reizen wird es das eine Mal ermöglichen, den Reiz so zu unterdrücken, dass er im Schlaf nicht stört, ein anderes Mal dazu nöthigen aufzuwachen, oder den Versuch unterstützen, den Reiz durch Verwebung in einen Traum zu überwinden. Der Mannigfaltigkeit dieser Constellationen entsprechend werden äussere objective Reize bei dem Einen häufiger oder seltener im Traum zum Ausdruck kommen als bei dem Anderen. Bei mir, der ich ein ausgezeichneter Schläfer bin und hartnäckig daran festhalte, mich durch keinen Anlass im Schlaf stören zu ist die Einmengung äusserer Erregungsursachen in die Träume selten, während psychische Motive mich doch offenbar sehr leicht zum Träumen bringen. Ich habe eigentlich nur einen einzigen Traum aufgezeichnet, in dem eine objective, schmerzhafte Reizquelle zu erkennen ist, und gerade in diesem Traum wird es sehr lehrreich werden nachzusehen, welchen Traumerfolg der äussere Reiz gehabt hat.

§ 505

Ich reite auf einem grauen Pferd, zuerst zaghaft und ungeschickt, als ob ich nur angelehnt wäre. Da begegne ich einem Collegen P., der im Lodenanzug hoch zu Ross sitzt und mich an etwas mahnt (wahrscheinlich, dass ich schlecht sitze). Nun finde ich mich auf dem höchst intelligenten Ross immer mehr zurecht, sitze bequem und merke, dass ich eben ganz heimisch bin. Als Sattel habe ich eine Art Polster, das den Raum zwischen Hals und Croup des Pferdes vollkommen ausfüllt. Ich reite so knapp zwischen zwei Lastwägen hindurch. Nachdem ich die Strasse eine Strecke weit geritten bin, kehre ich um und will absteigen, zunächst vor einer kleinen offenen Capelle, die in der Strussenfront liegt. Dann steige ich wirklich vor einer ihr nahe stehenden eh; das Hotel ist in derselben Strasse; ich könnte das Pferd allein hingehen lassen, ziehe aber vor, es bis dahin zu führen. Es ist, als ob ich mich schämen würde, dort als Reiter anzukommen. Vor dem Hotel steht ein Hotelbursche, der mir einen Zettel zeigt, der von mir gefunden wurde, und mich darum verspottet. Auf dem Zettel steht, zweimal unterstrichen: Nichts essen und dann ein zweiter Vorsatz (undeutlich) wie: nichts arbeiten; dazu eine dumpfe Idee, dass ich in einer fremden Stadt bin, in der ich nichts arbeite.

§ 506

Dem Traum wird man zunächst nicht enmerken, dass er unter dem Einflusse, unter dem Zwange vielmehr, eines Schmerzreizes entstanden ist. Ich hatte aber Tage vorher an Furunkeln gelitten, die mir jede Bewegung zur Qual machten, und zuletzt war ein Furunkel an der Wurzel des Scrotum zur Apfelgrösse herangewachsen, hatte mir bei jedem Schritt die unerträglichsten Schmerzen bereitet, und fieberhafte Müdigkeit, Essunlust, die trotzdem festgehaltene schwere Arbeit des Tages hatten sich mit den Schmerzen vereint, um meine Stimmung zu stören. Ich war nicht recht fähig, meinen ärztlichen Aufgaben nachzukommen, aber bei der Art und bei dem Sitz des Uebels liess sich an eine andere Verrichtung denken, für die ich sicherlich so untauglich gewesen wäre wie für keine andere, und diese ist das Reiten. Gerade in diese Thätigkeit versetzt mich nun der Traum; es ist die energischeste Negation des Leidens, die der Vorstellung zugänglich ist. Ich kann überhaupt nicht reiten, träume auch sonst nicht davon, bin überhaupt nur ein Mal auf einem Pferd gesessen und damals ohne Sattel, und es behagte mir nicht. Aber in diesem Traum reite ich, als ob ich keinen Furunkel am Damm hätte, nein gerade weil ich keinen haben will. Mein Sattel ist der Beschreibung gemäss der Breiumschlag, der mir das Einschlafen ermöglicht hat. Wahrscheinlich habe ich durch die ersten Stunden des Schlafes — so verwahrt — nichts von meinem Leiden verspürt. Dann meldeten sich die schmerzhaften Empfindungen und wollten mich aufwecken, da kam der Traum und sagte beschwichtigend: „Schlaf doch weiter, du wirst doch nicht aufwachen! Du hast ja gar keinen Furunkel, denn du reitest ja auf einem Pferd, und mit einem Furunkel an der Stelle kann man doch nicht reiten!“ Und es gelang ihm so; der Schmerz wurde übertäubt, und ich schlief weiter.

§ 507

Der Traum hat sich aber nicht damit begnügt, mir durch die hartnäckige Festhaltung einer mit dem Leiden unverträglichen Vorstellung, den Furunkel „abzusuggeriren“, wobei er sich benommen wie der hallucinatorische Wahnsinn der Mutter, die ihr Kind verloren hat,*)*) oder des Kaufmannes, den Verluste um sein Vermögen gebracht haben; sondern die Einzelheiten der abgeleugneten Sensation und des zu ihrer Verdrängung gebrauchten Bildes dienen ihm auch als Material, um das, was sonst in der Seele actuell vorhanden ist, an die Situation des Traumes anzuknüpfen und zur Darstellung zu bringen. Ich reite ein graues Pferd, die Farbe des Pferdes entspricht genau dem pfeffer- und salzfarbigen Dress, in dem ich dem Collegen P. etzt auf dem Lande begegnet bin. Scharfgewürzte Nahrung ist mir als die Ursache der Furunculose vorgehalten worden, immerhin als Aetiologie dem Zucker vorzuziehen, an den man bei Furunculose denken kann. Freund P. liebt es, sich mir gegenüber auf´s hohe Ross zu setzen, seitdem er mich bei einer Patientin abgelöst, mit der ich grosse Kunststücke ausgeführt hatte (ich sitze im Traum auf dem Pferd zuerst wie ein Kunstreiter tangential), die mich aber wirklich wie das Ross in der Anekdote den Sonntagsreiter, geführt hat, wohin sie wollte. So kommt das Ross zur symbolischen Bedeutung einer Patientin (es ist im Traum höchst intelligent).Ich fühle mich ganz heimisch oben“ geht auf die Stellung, die ich in dem Hause inne hatte, ehe ich durch P. ersetzt wurde. „Ich habe gemeint, Sie sitzen oben fest im Sattel“, hat mir mit Beziehung auf dasselbe Haus einer meiner wenigen Gönner unter den grossen Aerzten dieser Stadt vor Kurzem gesagt. Es war auch ein Kunststück, mit solchen Schmerzen acht bis zehn Stunden täglich Psychotherapie zu treiben, aber ich weiss, dass ich ohne volles körperliches Wohlbefinden meine besonders schwierige Arbeit nicht lange fortsetzen kann, und der Traum ist voll düsterer Anspielungen auf die Situation, die sich dann ergeben muss (der Zettel, wie ihn die Neurastheniker haben und dem Arzt vorzeigen): — Nicht arbeiten und nicht essen. Bei weiterer Deutung sehe ich, dass es der Traumarbeit gelungen ist, von der Wunschsituation des Reitens den Weg zu finden zu sehr frühen Kinderstreitscenen, die sich zwischen mir und einem jetzt in England lebenden, übrigens um ein Jahr älteren Neffen abgespielt haben mussten. Ausserdem hat er Elemente aus meinen Reisen in Italien aufgenommen; die Strasse im Traum ist aus Eindrücken von Verona und von Siena zusammengesetzt. Noch tiefer gehende Deutung führt zu sexuellen Traumgedanken, und ich erinnere mich, was bei einer Patientin, die nie in Italien war, die Traumanspielungen an das schöne Land bedeuten sollten (gen Italien — Genitalien), nicht ohne Anknüpfung gleichzeitig an das Haus, in dem ich vor Freund P. Arzt war, und an die Stelle, an welcher mein Furunkel sitzt.

*) Vergleiche die Stelle bei Griesinger 31) und die Bemerkung in meinem zweiten Aufsatz über die Abwehr-Psychoneurosen, Neurologisches Centralblatt 1896. § 508

Unter den in den vorstehenden Abschnitten erwähnten Träumen fänden sich bereits mehrere, die als Beispiele für die Verarbeitung sogenannter Nervenreize dienen können. Der Traum vom Trinken in vollen Zügen ist ein solcher; in ihm ist der somatische Reiz anscheinend die einzige Traumquelle der aus der Sensation entspringende Wunsch — der Durst — das einzige Traummotiv. Aehnlich ist es in anderen einfachen Träumen, wenn der somatische Reiz für sich allein einen Wunsch zu bilden vermag. Der Traum der Kranken, die Nachts den Kühlapparat von der Wange abwirft, zeigt eine ungewöhnliche Art, auf Schmerzensreize mit einer Wunscherfüllung zu reagiren; es scheint dass es der Kranken vorübergehend gelungen war, sich analgisch zu machen, wobei sie ihre Schmerzen einem Fremden zuschob.

§ 509

Mein Traum von den drei Parzen ist ein offenbarer Hungertraum, aber er weiss das Nahrungsbedürfnis bis auf die Sehnsucht des Kindes nach der Mutterbrust zurückzuschieben, und die harmlose Begierde zur Decke für eine ernstere, die sich nicht so unverhüllt äussern darf, zu benützen. Im Traume vom Grafen Thun konnten wir sehen, auf welchen Wegen ein accidentell gegebenes körperliches Bedürfnis mit den stärksten aber auch stärkst unterdrückten Regunggen den Seelenlebens in Verbindung gebracht wird. Und wenn, wie in dem von Garnier berichteten Falle, der Erste Consul das Geräusch der explodirenden Höllenmaschine in einen Schlachtentraum verwebt, ehe er davon erwacht, so offenbart sich darin ganz besonders klar das Bestreben, in dessen Dienst die Seelenthätigkeit sich überhaupt um die Sensationen während des Schlafens kümmert.

§ 510

Halten wir diesen Traum des ersten Napoleon, der übrigens ein ausgezeichneter Schläfer war, und jenen anderen des langschläfrigen Studenten zusammen, der von seiner Zimmerfrau geweckt, er müsse in’s Spital, sich in ein Spitalsbett träumt und dann mit der Motivirung weiterschläft: Wenn ich schon im Spital hin, brauche ich ja nicht aufzustehen, um hinzugehen. Der letztere ist ein offenbarer Bequemlichkeitstraum, der Schläfer gesteht sich das Motiv seines Träumens unverhohlen ein, deckt aber damit eines der Geheimnisse des Träumens überhaupt auf. In gewissem Sinne sind alle Träume — Bequemlichkeitsträume; sie dienen der Absicht den Schlaf fortzusetzen, anstatt zu erwachen. Der Traum ist der Wächter des Schlafes, nicht sein Störer. Gegen die psychisch erweckenden Momente werden wir diese Auffassung an anderer Stelle rechtfertigen; ihre Anwendbarkeit auf die Rolle der objectiven äusseren Reize können wir hier bereits begründen. Die Seele kümmert sich entweder überhaupt nicht um die Anlässe zu Sensationen während des Schlafens, wenn sie dies gegen die Intensität und die von ihr wahlverstandene Bedeutung dieser Reize vermag; oder sie verwendet den Traum dazu, diese Reize in Abrede zu stellen, oder drittens, wenn sie dieselben anerkennen muss, so sucht sie jene Deutung derselben auf, welche die actuelle Sensation als einen Theilbestand einer gewünschten und mit dem Schlafen verträgliche Situation hinstellt. Die actuelle Sensation wird in einen Traum verflochten, um ihr die Realität zu rauben. Napoleon darf weiter schlafen; es ist ja nur eine Traumerinnerung an den Kanonendonner von Arcole, was ihn stören will.*)*)

*) Der Inhalt dieses Traumes wird in den zwei Quellen, aus denen ich ihn kenne, nicht übereinstimmend erzählt. § 511

Der Wunsch zu schlafen muss so als Motiv der Traumbildung jedesmal eingerechnet werden, und jeder gelungene Traum ist eine Erfüllung derselben. Wie dieser allgemeine, regelmässig vorhandene und sich gleichbleibende Schlafwunsch sich zu den anderen Wünschen stellt, von denen bald der, bald jener durch den Trauminhalt erfüllt werden, dies wird Gegenstand einer anderen Auseinandersetzung sein. In dem Schlafwunsch haben wir aber jenes Moment aufgedeckt, welches die Lücke in der StrümpellWundt’schen Theorie auszufüllen, die Schiefheit und Launenhaftigkeit in der Deutung des äusseren Reizes aufzuklären vermag. Die richtige Deutung, deren die schlafende Seele sehr wohl fähig ist, nähme ein thätiges Interesse in Anspruch, stellte die Anforderung dem Schlaf ein Ende zu machen; es werden darum von den überhaupt möglichen Deutungen nur solche zugelassen, die mit der absolutistisch geübten Censur des Schlafwunsches vereinbart sind. Etwa: Die Nachtigall ist’s und nicht die Lerche. Denn wenn’s die Lerche ist, so hat die Liebesnacht ihr Ende gefunden. Unter den nun zulässigen Deutungen des Reizes wird dann jene ausgewählt, welche die beste Verknüpfung mit den in der Seele lauernden Wunschanregungen erwerben kann. So ist alles eindeutig bestimmt und nichts der Willkür überlassen. Die Missdeutung ist nicht Illusion, sondern — wenn man so will — Ausrede. Hier ist aber wiederum, wie bei dem Ersatz durch Verschiebung zu Diensten der Traumcensur ein Act der Beugung des normalen psychischen Vorganges zuzugeben.

§ 512

Wenn die äusseren Nerven- und inneren Leibreize intensiv genug sind, um sich psychische Beachtung zu erzwingen, so stellen sie — falls überhaupt Träumen und nicht Erwachen ihr Erfolg ist — einen festen Punkt für die Traumbildung dar, einen Kern im Traummaterial, zu dem eine entsprechende Wunscherfüllung in ähnlicher Weise gesucht wird, wie (siehe oben) die vermittelnden Vorstellungen zwischen zwei psychischen Traumreizen. Es ist insoferne für eine Anzahl von Träumen richtig, dass in ihnen das somatische Element den Trauminhalt commandirt. In diesem extremen Falle wird selbst behufs der Traumbildung ein gerade nicht actueller Wunsch geweckt. Der Traum kann aber nicht anders als einen Wunsch in einer Situation als erfüllt darstellen; er ist gleichsam vor die Aufgabe gestellt zu suchen, welcher Wunsch durch die nun actuelle Sensation als erfüllt dargestellt werden kann. Ist dies actuelle Material von schmerzlichem oder peinlichem Charakter, so ist es doch darum zur Traumbildung nicht unbrauchbar. Das Seelenleben verfügt auch über Wünsche, deren Erfüllung Unlust hervorruft, was ein Widerspruch scheint, aber durch die Berufung auf das Vorhandensein zweier psychischer Instanzen und die zwischen ihnen bestehende Censur erklärlich wird.

§ 513

Es gibt, wie wir gehört haben, im Seelenleben verdrängte Wünsche, die dem ersten System angehören, gegen deren Erfüllung das zweite System sich sträubt. Es gibt, ist nicht etwa historisch gemeint, dass es solche Wünsche gegeben und diese dann vernichtet worden sind; sondern die Lehre von der Verdrängung, deren man in der Psychoneurotik bedarf, behauptet, dass solche verdrängte Wünsche noch existiren, gleichzeitig aber eine Hemmung, die auf ihnen lastet. Die Sprache trifft das Richtige, wenn sie vom „Unterdrücken“ solcher Impulse redet. Die psychische Veranstaltung, damit solche unterdrückte Wünsche zur Realisirung durchdringen, bleibt erhalten und gebrauchsfähig. Ereignet es sich aber, dass ein solcher unterdrückter Wunsch doch vollzogen wird, so äussert sich die überwundene Hemmung des zweiten (bewusstseinsfähigen) Systems als Unlust. Um nun diese Erörterung zu schliessen: wenn Sensationen mit Unlustcharacter im Schlafe aus somatischen Quellen vorhanden sind, so wird diese Constellation von der Traumarbeit benützt, um die Erfüllung eines sonst unterdrückten Wunsches — mit, mehr oder weniger Beibehalt der Censur — darzustellen.

§ 514

Dieser Sachverhalt ermöglicht eine Reihe von Angstträumen, während eine andere Reihe dieser der Wunschtheorie ungünstigen Traumbildungen einen anderen Mechanismus erkennen lässt. Die Angst in den Träumen kann nämlich eine psychoneurotische sein, aus psychosexuellen Erregungen stammen, wobei die Angst verdrängter Libido entspricht. Dann hat diese Angst wie der ganze Angsttraum die Bedeutung eines neurotischen Symptoms, und wir stehen an der Grenze, wo die wunscherfüllende Tendenz des Traumes scheitert. In anderen Angstträumen aber ist die Angstempfindung somatisch gegeben (etwa wie bei Lungen- und Herzkranken bei zufälliger Athembehinderung), und dann wird sie dazu benutzt, solchen energisch unterdrückten Wünschen zur Erfüllung als Traum zu verhelfen, deren Träumen aus psychischen Motiven die gleiche Angstentbindung zur Folge gehabt hätte. Es ist nicht schwer, die beiden scheinbar gesonderten Fälle zu vereinigen. Von zwei psychischen Bildungen einer Affectneignng und einem Vorstellungsinhalt die Angstentbindung. Von dem einen Fall kann man sagen, dass ein somatisch gegebener Affect psychisch gedeutet wird; im anderen Fall ist alles psychisch gegeben, aber eher unterdrückt gewesene Inhalt ersetzt sich leicht durch eine zur Angst passende somatische Deutung. Die Schwierigkeiten, die sich hier für das Verständnis ergeben, haben mit dem Traum nur wenig zu thun; sie rühren daher, dass wir mit diesen Erörteruugen die Probleme der Angstentwicklung und der Verdrängung streifen.

§ 515

Zu den commandirenden Traumreizen aus der inneren Leiblichkeit gehört unzweifelhaft die körperliche Gesammtstimmung. Nicht dass sie den Trauminhalt liefern könnte, aber sie nöthigt den Traumgedanken eine Auswahl aus dem Material auf, welches zur Darstellung im Trauminhalt dienen soll, indem sie den einen Theil dieses Materials, als zu ihrem Wesen passend, nahe legt, den anderen ferne hält. Ueberdies ist ja wohl diese Allgemeineinstimmung vom Tage her mit den für den Traum bedeutsamen psychischen Resten verknüpft.

§ 516

Wenn die somatischen Reizquellen während des Schlafes — Schlafsensationen also — nicht von ungewöhnlicher Intensität sind, so spielen sie nach, meiner Schätzung für die Traumbildung ähnliche Rolle wie die als recent verbliebenen, aber indifferenten Eindrücke des Tages. Ich meine nämlich, sie werden zur Traumbildung herangezogen, wenn sie sich zur Vereinigung mit dem Vorstellungsinhalt der psychischen Traumquelle eignen, im anderen Falle aber nicht. Sie werden wie ein wohlfeiles, allezeit bereitliegendes Material behandelt, welches zur Verwendung kommt, so oft man dessen bedarf, anstatt dass ein kostbares Material die Art seiner Verwendung selbst mit verschreibt. Der Fall ist etwa ähnlich, wie wenn der Kunstgönner dem Künstler einen seltenen Stein, einen Onyx, bringt, aus ihm ein Kunstwerk zu gestalten. Die Grösse des Steines, seine Farbe und Fleckung helfen mit entscheiden, welcher Kopf oder welche Scene in ihm dargestellt werden soll, während bei gleichmässigem und reichlichem Material von Marmor oder Sandstein der Künstler allein der Idee nachfolgt, die sich in seinem Sinn gestaltet. Auf diese Weise allein scheint mir die Thatsache verständlich, dass jener Trauminhalt, der von den nicht in’s Ungewohnte gesteigerten Reizen aus unserer Leiblichkeit geliefert wird, doch nicht in allen Träumen und nicht in jeder Nacht im Traume erscheint.

§ 517

Vielleicht wird ein Beispiel, den uns wieder zur Traumdeutung zurückführt, meine Meinung am besten erläutern. Eines Tages mühte ich mich ab zu verstehen, was die Empfindung von Gehemmtsein, nicht von der Stelle können, nicht fertig werden u. dgl., die so häufig geträumt wird und die der Angst so nahe verwandt ist, wohl bedeuten mag. In der Nacht darauf hatte ich folgenden Traum: Ich gehe in sehr unvollständiger Toilette aus einer Wohnung im Parterre über die Treppe in ein höheres Stockwerk. Dabei überspringe ich jedesmal drei Stufen, freue mich, dass ich so flink Treppen steigen kann. Plötzlich sehe ich, dass ein Dienstmädchen die Treppen herab und also mir entgegenkommt. Ich schäme mich, will mich eilen, und nun tritt jenes Gehemmtsein auf, ich klebe an den Stufen und komme nicht von der Stelle.

§ 518

Analyse: Die Situation des Traumes ist der alltäglichen Wirklichkeit entnommen. Ich habe in einem Hause in Wien zwei Wohnungen, die nur durch die Treppe aussen verbunden sind. Im Hochparterre befindet sieh meine ärztliche Wohnung und mein Arbeitszimmer, einen Stock höher die Wohnräume. Wenn ich in später Stunde unten meine Arbeit vollendet habe, gehe ich über die Treppe in’s Schlafzimmer. An dem Abend vor dem Traum hatte ich diesen kurzen Weg wirklich in etwas derangirter Toilette gemacht, d. h. ich hatte Kragen, Cravatte und Manchetten abgelegt; im Traum war daraus ein höherer, aber, wie gewöhnlich, unbestimmter Grad von Kleiderlosigkeit geworden. Das Ueberspringen von Stufen ist meine gewöhnliche Art, die Treppe zu gehen, übrigens eine bereits im Traum anerkannte Wunscherfüllung, denn mit der Leichtigkeit dieser Leistung hatte ich mich ob des Zustandes meiner Herzarbeit getröstet. Ferner ist diese Art, die Treppe zu gehen, ein wirksamer Gegensatz zu der Hemmung in der zweiten Hälfte des Traumes. Sie zeigt mir — was des Beweisen nicht bedurfte — dass der Traum keine Schwierigkeit hat, sich motorische Actionen in aller Vollkommenheit ausgeführt vorzustellen; man denke an das Fliegen im Traum!

§ 519

Die Treppe, über die ich gehe, ist aber nicht die meines Hauses; ich erkenne sie zunächst nicht, erst die mir entgegenkommende Person klärt mich über die gemeinte Oertlichkeit auf. Diese Person ist das Dienetmädchen der alten Dame, die ich täglich zweimal besuche, um ihr Injectionen zu machen; die Treppe ist auch ganz ähnlich jener, die ich zweimal im Tage dort zu ersteigen habe.

§ 520

Wie gelangt nun diese Treppe und diese Frauensperson in meinen Traum? Das Schämen, weil man nicht voll angekleidet ist, hat unzweifelhaft sexuellen Charakter; des Dienstmädchen, von dem ich träume, ist älter als ich, mürrisch und keineswegs anreizend. Zu diesen Fragen fällt mir nun nichts Anderes ein als das Folgende: Wenn ich in diesem Hause den Morgenbesuch mache, werde ich gewöhnlich auf der Treppe von Räuspern befallen; das Product der Expectoration geräth auf die Stiege. In diesen beiden Stockwerken befindet sich nämlich kein Spucknapf, und ich vertrete den Standpunkt, dass die Reinhaltung der Treppe nicht auf meine Kosten erfolgen darf, sondern durch die Anbringung eines Spucknapfes ermöglicht werden soll. Die Hausmeisterin, eine gleichfalls ältliche und mürrische Person, aber von reinlichen Instincten, wie ich ihr zuzugestehen bereit bin, nimmt in dieser Angelegenheit einen anderen Standpunkt ein. Sie lauert mir auf, ob ich mir wieder die besagte Freiheit erlauben werde, und wenn sie das constatirt hat, höre ich sie vernehmlich brummen. Auch versagt sie mir dann für Tage die gewohnte Hochachtung, wenn wir uns begegnen. Am Vortag des Traumes bekam nun die Partei der Hausmeisterin eine Verstärkung durch das Dienstmädchen. Ich hatte eilig wie immer meinen Besuch bei der Kranken abgemacht, als die Dienerin mich im Vorzimmer stellte und die Bemerkung von sich gab: „Herr Doctor hätten sich heute schon die Stiefel abputzen können, ehe Sie in´s Zimmer kommen. Der rothe Teppich ist wiederum ganz schmutzig von Ihren Füssen.“ Dies ist der ganze Anspruch, den Treppe und Dienstmädchen geltend machen können, um in meinem Traume zu erscheinen.

§ 521

Zwischen meinem Ueber-die-Treppe-Fliegen und dem Auf-derTreppe-Spucken besteht ein inniger Zusammenhang. Rachenkatarrh wie Herzbeschwerden sollen beide die Strafen für das Laster des Rauchens darstellen, wegen dessen ich natürlich auch bei meiner Hausfrau nicht den Ruf der grössten Nettigkeit geniesse, in dem einen Haus so wenig wie in dem anderen, die der Traum zu einem Gebilde verschmilzt.

§ 522

Die weitere Deutung des Traumes muss ich verschieben, bis ich berichten kann, woher der typische Traum von der unvollständigen Bekleidung rührt. Ich bemerke nur als vorläufiges Ergebnis des mitgetheilten Traumes, dass die Traumsensation der gehemmten Bewegung überall dort hervorgerufen wird, wo ein gewisser Zusammenhang ihrer bedarf. Ein besonderer Zustand meiner Motilität im Schlafe kann nicht die Ursache dieses Trauminhaltes sein, denn einen Moment vorher sah ich mich ja wie zur Sicherung dieser Erkenntnis leichtfüssig über die Stufen eilen.

§ 523

d) Typische Träume.

§ 524

Wir sind im Allgemeinen nicht im Stande, den Traum eines Anderen zu deuten, wenn derselbe uns nicht die hinter dem Trauminhalt stehenden unbewussten Gedanken einliefern will, und dadurch wird die praktische Verwertbarkeit unserer Methode der Traumdeutung schwer beeinträchtigt. Nun gibt es aber, so recht im Gegensatz zu der sonstigen Freiheit des Einzelnen, sich seine Traumwelt in individueller Besonderheit auszustatten und dadurch dem Verständnis der Anderen unzugänglich zu machen, eine gewisse Anzahl von Träumen, die fast Jedermann in derselben Weise geträumt hat, von denen wir anzunehmen gewohnt sind, dass sie auch bei Jedermann dieselbe Bedeutung haben. Ein besonderes Interesse wendet sich diesen typischen Träumen auch darum zu, weil sie vermuthlich bei allen Menschen aus den gleichen Quellen stammen, also besonders gut geeignet scheinen, uns über die Quellen der Träume Aufschluss zu geben.

§ 525

In der Behandlung dieser typischen Träume finde ich mich durch den zufälligen Umstand behindert, dass nicht genug derselben für meine Erfahrung zugänglich geworden sind. Ich werde also nur Muster dieser Gattung eingehender würdigen und wähle hiefür den sogenannten Verlegenheitstraum der Nacktheit und den Traum vom Tod theurer Verwandter.

§ 526

Der Traum, dass man nackt oder schlecht bekleidet in Gegenwert Fremder sei, kommt auch mit der Zuthat vor, man habe sich dessen gar nicht geschämt u. dgl. Unser Interesse gebührt aber dem Nackheitstraum nur dann, wenn man in ihm Scham und Verlegenheit empfindet, entfliehen oder sich verbergen will und dabei der eigenthümlichen Hemmung unterliegt, dass man nicht von der Stelle und sich unvermögend fühlt, die peinliche Situation zu verändern. Nur in dieser Verbindung ist der Traum typisch; der Keim seines Inhaltes mag sonst in allerlei andere Verküpfungen einbezogen werden oder mit individuellen Zuthaten versetzt sein. Es handelt sich im Wesentlichen um die peinliche Empfindung von der Natur der Scham, dass man seine Nacktheit, meist durch Locomotion, verbergen möchte und es nicht zu Stande bringt. Ich glaube, die allermeisten meiner Leser werden sich in dieser Situation Traume bereits befunden haben.

§ 527

Für gewöhnlich ist die Art und Weise der Entkleidung wenig deutlich. Man hört etwa erzählen, ich war im Hemd, aber dies ist selten ein klares Bild; meist ist die Unbekleidung so unbestimmt, dass sie durch eine Alternative in der Erzählung wiedergegeben wird: „Ich war im Hemd oder im Unterrock.“ In der Regel ist der Defect der Toilette nicht so arg, dass die dazugehörige Scham gerechtfertigt schiene. Für den, der den Rock des Kaisers getragen hat, ersetzt sich die Nacktheit häufig durch eine vorschriftswidrige Adjustirung. Ich bin ohne Säbel auf der Strasse und sehe Officiere näher kommen, oder ohne Halsbinde, oder trage eine carrirte Civilhose u. dgl.

§ 528

Die Leute, vor denen man sich schämt, sind fast immer Fremde mit unbestimmt gelassenen Gesichtern. Niemals ereignet es sich im typischen Traum, dass man wegen der Kleidung, die einem selbst solche Verlegenheit bereitet, beanstandet oder auch nur bemerkt wird. Die Leute machen ganz im Gegentheil gleichgiltige, oder wie ich es in einem besonders klaren Traum wahrnehmen konnte, feierlich steife Mienen. Das gibt zu denken.

§ 529

Die Schamverlegenheit des Träumers und die Gleichgiltigkeit der Leute ergeben mitsammen einen Widerspruch, wie er im Traume häufig vorkommt. Zu der Empfindung des Träumenden würde doch nur passen, dass die Fremden ihn erstaunt ansehen und verlachen, oder sich über ihn entriisten. Ich meine aber, dieser anstössige Zug jet durch die Wunscherfüllung beseitigt werden, während der andere, durch irgend welche Macht gehalten, stehen blieb, und so stimmen die beiden Stücke dann schlecht zu einander. Wir besitzen ein interessantes Zeugnis dafür, dass der Traum in seiner durch Wunscherfüllung partiell entstellten Form das richtige Verständnis nicht gefunden hat. Er ist nämlich die Grundlage eines Märchens geworden, welches uns Allen in der Andersen’schen Fassung*)*) bekannt ist, und in der jüngsten Zeit durch L. Fulda im „Talisman“ poetischer Verwerthung zugeführt worden ist. Im Andersen’schen Märchen wird von zwei Betrügern erzählt, die für den Kaiser ein kostbares Gewand weben, das aber nur den Guten und Treuen sichtbar sein soll. Der Kaiser geht mit diesem unsichtbaren Gewand bekleidet aus und durch die prüfsteinartige Kraft des Gewebes erschreckt, thun alle Leute, als ob sie die Nacktheit des Kaisers nicht merkten.

*) „Des Kaisers neue Kleider.“ § 530

Letzteres ist aber die Situation unseres Traumes. Es gehört wohl nicht viel Kühnheit dazu anzunehmen, dass der unverständliche Trauminhalt eine Anregung gegeben hat, um eine Einkleidung zu erfinden, in welcher die vor der Erinnerung stehende Situtation sinnreich wird. Dieselbe ist dabei ihrer ursprünglichen Bedeutung beraubt und fremden Zwecken dienstbar gemacht worden. Aber wir werden hören, dass solches Missverständnis des Trauminhaltes durch die bewusste Denkthätigkeit eines zweiten psychischen Systems häufig vorkommt und ein Factor für die endgiltige Traumgestaltung anzuerkennen ist, ferner, dass beider Bildung von Zwangsvorstellungen und Phobien ähnliche Missverständnisse — gleichfalls innerhalb der nämlichen psychischen Persönlichkeit — eine Hauptrolle spielen. Es lässt sich auch für unseren Traum angeben, woher das Material für die Umdeutung genommen wird. Der Betrüger ist der Traum, der Kaiser der Träumer selbst, und die moralisierende Tendenz verräth eine dunkle Kenntnis davon, dass es sich im latenten Trauminhalt um unerlaubte, der Verdrängung geopferte Wünsche handelt. Der Zusammenhang, in welchem solche Träume während meiner Analysen bei Neurotikern auftreten, lässt nämlich keinen Zweifel darüber, dass dem Traume eine Erinnerung aus der frühesten Kindheit zu Grunde liegt. Nur in unserer Kindheit gab es die Zeit, dass wir in mangelhafter Bekleidung von unseren Angehörigen wie von fremden Pflegepersonen, Dienstmädchen, Besuchern gesehen werden, und wir haben uns damals unserer Nacktheit nicht geschämt.*)*) An vielen Kindern noch in späteren Jahren kann man beobachten, dass ihre Entkleidung wie berauschend auf sie wirkt, anstatt sie zur Scham zu leiten. Sie lachen, springen herum, schlagen sich auf den Leib, die Mutter oder wer dabei ist, verweist es ihnen, sagt: Pfui, das ist eine Schande, das darf man nicht. Die Kinder zeigen häufig Exhibitionsgelüste; man kann kaum durch ein Dorf in unseren Gegenden gehen, ohne dass man einem zwei- bis dreijährigen Kleinen begegnete, welches vor dem Wanderer, vielleicht ihm zu Ehren, sein Hemdchen hoch hebt. Einer meiner Patienten hat in seiner bewussten Erinnerung eine Scene aus seinem echten Lebensjahr bewahrt, wie er nach der Entkleidung vor dem Schlafengehen im Hemd zu seiner kleinen Schwester im nächsten Zimmer hinaustanzen und wie die dienende Person es ihm verwehrt. In der Jugendgeschichte von Neurotikern spielt die Entblössung vor Kindern des anderen Geschlechtes eine grosse Rolle; in der Paranoia ist der Wahn, beim An- und Auskleiden beobachtet zu werden, auf diese Erlebnisse zurückzuführen; unter den pervers Gebliebenen ist eine Classe, bei denen der infantile Impuls zum Symptome erhoben worden ist, die der Exhibitionisten.

*) Das Kind tritt auch im Märchen auf, denn dort ruft plötzlich ein kleines Kind: „Aber er hat ja gar nichts an.“ § 531

Diese der Scham entbehrende Kindheit erscheint unserer Rückschau später als ein Paradies, und das Paradies selbst ist nichts Anderes als die Massenphantasie von der Kindheit des Einzelnen. Darum sind auch im Paradies die Menschen nackt und schämen sich nicht vor einander, bis ein Moment kommt, in dem die Scham und die Angst erwachen, die Vertreibung erfolgt, das Geschlechtsleben und die Culturarbeit beginnt. In dieses Paradies kann uns nun der Traum allnächtlich zurückführen; wir haben bereits der Vermuthung Ausdruck gegeben, dass die Eindrücke aus der ersten Kindheit (der prähistorischen Periode bis etwa zum vollendeten dritten Jahr) an und für sich, vielleicht ohne dass es auf ihren Inhalt Weiter ankäme, nach Reproduction verlangen, dass deren Wiederholung eine Wunscherfüllung ist. Die Nacktheitsträume sind also Exhibitionsträume.

§ 532

Den Kern des Exhibitionstraumes bildet die eigene Gestalt, die nicht als die eines Kindes, sondern wie in der Gegenwart gesehen wird, und die mangelhafte Bekleidung, welche durch die Überlagerung so vieler späterer Negligéerinnerungen oder der Censur zur Liebe undeutlich ausfällt; dazu kommen nun die Personen, vor denen man sich schämt. Ich kenne kein Beispiel, dass die thatsächlichen Zuschauer bei jenen infantilen Exhibitionen im Traume wieder auftreten. Der Traum ist eben fast niemals eine einfache Erinnerung. Merkwürdiger Weise werden jene Personen, denen unser sexuelles Interesse in der Kindheit galt, in allen Reproductionen des Traumes, der Hysterie und der Zwangsneurose ausgelassen; erst die Paranoia setzt die Zuschauer wieder ein und schliesst, obwohl sie unsichtbar geblieben sind, mit fanatischer Ueberzeugung auf ihre Gegenwart. Was der Traum für sie einsetzt, „viele fremde Leute“, die sich nicht um das gebotene Schauespiel kümmern, ist geradezu Wunschgegensatz zu jener einzelnen, wohlvertrauten Person, der man die Entblössung bot. „Viele fremde Leute“ finden sich in Träumen übrigens auch häufig in beliebigem anderen Zusammenhang; sie bedeuten immer als Wunschgegensetz „Geheimnis“. Man merkt, wie auch die Restitution des alten Sachverhalts, die in der Paranoia vor sich geht, diesem Gegensatze Rechnung trägt. Man ist nicht mehr allein, man wird ganz gewiss beobachtet, aber die Beobachter sind „viele, fremde, merkwürdig unbestimmt gelassene Leute“.

§ 533

Ausserdem kommt im Exhibitionstraum die Verdrängung zur Sprache. Die peinliche Empfindung des Traumes ist ja die Reaction des zweiten psychischen Systems dagegen, dass der von ihr verworfene Inhalt der Exhibitionscene dennoch zur Vorstellung gelangt ist. Um sie zu ersparen, hatte die Scene nicht wieder belebt werden dürfen.

§ 534

Von der Empfindung des Gehemmtseins werden wir später nochmals handeln. Sie dient im Traum vortrefflich dazu, den Willensconflict, das Nein, darzustellen. Nach der unbewussten Absicht soll die Exhibition fortgesetzt, nach der Forderung der Censur unterbrochen werden.

§ 535

Die Beziehungen unserer typischen Träume zu den Märchen und anderen Dichtungsstoffen sind gewiss weder vereinzelte noch zufällige. Gelegentlich hat ein scharfes Dichterauge den Umwandlungsprocess, dessen Werkzeug sonst der Dichter ist, analytisch erkannt und ihn in umgekehrter Richtung verfolgt, also die Dichtung auf den Traum zurückgeführt. Ein Freund macht mich auf folgende Stelle aus G. Keller’s „Grünem Heinrich“ aufmerksam: „Ich wünsche Ihnen nicht, lieber Lee, dass Sie jemals die ausgesuchte pikante Wahrheit in der Lage des Odysseus, wo er nackt und mit Schlamm bedeckt vor Nausikaa und ihren Gespielen erscheint, so recht aus Erfahrung empfinden lernen! Wollen Sie wissen, wie das zugeht? Halten wir das Beispiel einmal fest. Wenn Sie einst getrennt von Ihrer Heimat und Allem, was Ihnen lieb ist, in der Fremde umherschweifen und Sie haben viel gesehen und viel erfahren, haben Kummer und Sorge, sind wohl gar elend und verlassen, so wird es Ihnen des Nachts unfehlbar träumen, dass Sie sich Ihrer Heimat nähern; Sie sehen sie glänzen und leuchten in den schönsten Farben, holde, feine und liebe Gestalten treten Ihnen entgegen; da entdecken Sie plötzlich, dass Sie zerfetzt, nackt und staubbedeckt umhergehen. Eine namenlose Scham und Angst fasst Sie, Sie suchen sich zu bedecken, zu verbergen und erwachen im Schweisse gebadet. Dies ist, so lange es Menschen gibt, der Traum des kummervollen, umhergeworfenen Mannes, und so hat Homer jene Lage aus dem tiefsten und ewigen Wesen der Menschheit herausgenommen.“

§ 536

Das tiefste und ewige Wesen der Menschen, auf dessen Erweckung der Dichter in der Regel bei seinen Hören baut, das sind jene Regungen des Seelenlebens, die in der später prähistorisch gewordenen Kinderzeit wurzeln. Hinter den bewusstseinsfähigen und einwandfreien Wünschen des Heimatlosen brechen im Traum die unterdrückten und unerlaubt gewordenen Kinderwünsche hervor, und darum schlägt der Traum, den die Sage von der Nausikaa objectivirt, regelmässig in einen Angsttraum um.

§ 537

Mein eigener, auf Seite 164 erwähnten Traum von dem Eilen über die Treppe, das sich bald nachher in ein An-den-Stufen-Kleben verwandelt, ist gleichfalls ein Exhibitionstraum, da er die wesentlichen Bestandsstücke eines solchen aufweist. Er müsste sich also auf Kindererlebnisse zurückführen lassen, und die Kenntnis derselben müsste einen Aufschluss darüber geben, inwiefern das Benehmen des Dienstmädchens gegen mich, ihr Vorwurf, dass ich den Teppich schmutzig gemacht habe, ihr zur Stellung verhilft, die sie im Traum einnimmt. Ich kann die gewünschten Aufklärungen nun wirklich beibringen. In einer Psychoanalyse lernt man die zeitliche Annäherung auf sachlichen Zusammenhang umdeuten; zwei Gedanken, die, anscheinend zusammenhangslos, unmittelbar auf einander folgen, gehören zu einer Einheit, die zu errathen ist, ebenso wie ein a und ein b, die ich neben einander hinschreibe, als eine Silbe, a b, aus gesprochen werden sollen. Aehnlich mit der Aufeinanderbeziehung der Träume. Der erwähnte Traum von der Treppe ist aus einer Traumreihe herausgegriffen, deren andere Glieder mir der Deutung bekannt sind. Der von ihnen eingeschlossene Traum muss in denselben Zusammenhang gehören. Nun liegt jenen anderen einschliessenden Träumen die Erinnerung an eine Kinderfrau zu Grunde, die mich von irgend einem Termin der Säuglingszeit bis zum Alter von 21/2 Jahren betreut hat, von der mir auch eine dunkle Erinnerung im Bewusstsein geblieben ist. Nach den Auskünften, die ich unlängst von meiner Mutter eingeholt habe, war sie alt und hässlich, aber sehr klug und tüchtig; nach den Schlüssen, die ich aus meinen Träumen ziehen darf, hat sie mir nicht immer die liebevollste Behandlung augedeihen und mich harte Worte hören lassen, wenn ich der Erziehung zur Reinlichkeit kein genügendes Verständnis entgegen brachte. Indem also das Dienstmädchen dieses Erziehungswerk fortzusetzen sich bemüht, erwirbt sie den Anspruch, von mir als Incarnation der prähistorischen Alten im Traum behandelt zu werden. Es ist wohl anzunehmen, dass das Kind dieser Erzieherin, trotz ihrer schlechten Behandlung, seine Liebe geschenkt hat.*)*)

§ 538

Eine andere Reihe von Träumen, die typisch genannt werden dürfen, sind die mit dem Inhalt, dass ein theurer Verwandter, Eltern oder Geschwister, Kinder u. s. w. gestorben ist. Man muss sofort von diesen Träumen zwei Classen unterscheiden, die einen, bei welchen man im Traum von Trauer unberührt bleibt, so dass man sich nach dem Erwachen über seine Gefühllosigkeit wundert, die anderen, bei denen man tiefen Schmerz über den Todesfall empfindet, ja ihn selbst in heissen Thrähnen während des Schlafes äussert.

§ 539

Die Träume der ersten Gruppe dürfen wir bei Seite lassen; sie haben keinen Anspruch, als typisch zu gelten. Wenn man sie analysiert, findet man, dass sie etwas Anderes bedeuten als sie enthalten, dass sie dazu bestimmt sind, irgend einen anderen Wunsch zu verdecken. So der Traum der Tante, die den einzigen Sohn ihrer Schwester aufgebahrt vor sich sieht. (Seite 106.) Das bedeutet nicht, dass sie dem kleinen Nefien den Tod wünscht, sondern verbirgt nur, wie wir erfahren haben, den Wunsch, eine gewisse geliebte Person nach langer Entbehrung wieder zu sehen, dieselbe, die sie früher einmal nach ähnlich langer Pause bei der Leiche eines anderen Neffen wiedergesehen hat. Dieser Wunsch, welcher der eigentliche Inhalt des Traumes ist, gibt keinen Anlass zur Trauer, und darum wird auch im Traum keine Trauer verspürt. Man merkt es hier, dass die im Traum enthaltene Empfindung nicht zum manifesten Trauminhalt gehört, sondern zum latenten, dass der Affectinhalt des Traumes von der Entstehung frei geblieben ist, welche den Vorstellungsinhalt betroffen hat.

*) Eine Ueberdeutung dieses Traumes: Auf der Treppe spucken, das führte, da „Spucken“ eine Thätigkeit der Geister ist, bei loser Uebersetzung zum „esprit d´escalier“. Treppenwitz heisst so viel als Mangel an Schlagfertigkeit. Den habe ich mir wirklich vorzuwerfen. Ob aber die Kinderfrau es an „Schlagfertigkeit“ hat fehlen lassen? § 540

Anders die Träume, in denen der Tod einer geliebten verwandten Person vorgestellt und dabei schmerzhafter Affect verspürt wird. Diese bedeuten, was ihr Inhalt besagt, den Wunsch, dass die betreffende Person sterben möge, und da ich hier erwarten darf, dass sich die Gefühle aller Leser und aller Personen, die Aehnliches geträumt haben, gegen meine Auslegung sträuben werden, muss ich den Beweis auf der breitesten Basis anstreben.

§ 541

Wir haben bereits einen Traum erläutert, aus dem wir lernen konnten, dass die Wünsche, welche sich in Träumen als erfüllt darstellen, nicht immer actuelle Wünsche sind. Es können auch verflossene, abgethane, überlagerte und verdrängte Wünsche sein, denen wir nur wegen ihres Wiederauftauchens im Traum doch eine Art von Fortexistenz ansprechen müssen. Sie sind nicht todt wie die Verstorbenen nach unserem Begriff, sondern wie die Schatten der Odyssee, die, sobald sie Blut getrunken haben, zu einem gewissen Leben erwachen. In jenem Traum vom todten Kind in der Schachtel (Seite 107) handelte es sich um einen Wunsch, der vor fünfzehn Jahren actuell war und von damals her unumwunden eingestanden wurde. Es ist vielleicht für die Theorie des Traumes nicht gleichgiltig, wenn ich hinzufüge, dass selbst diesem Wunsch eine Erinnerung aus der frühesten Kindheit zu Grunde liegt. Die Träumerin hatte als kleines Kind — wann, ist nicht sicher festzustellen — gehört, dass ihre Mutter in der Schwangerschaft, deren Frucht sie wurde, in eine schwere Verstimmung verfallen war und dem Kinde in ihrem Leibe sehnlichst den Tod gewünscht hatte. Selbst erwachsen und gravid geworden, folgte sie nur dem Beispiele der Mutter.

§ 542

Wenn Jemand unter Schmerzensäusserungen davon träumt, sein Vater oder seine Mutter, Bruder oder Schwester seien gestorben, so werde ich diesen Traum niemals als Beweis dafür verwenden, dass er ihnen jetzt den Tod wünscht. Die Theorie des Traumes fordert nicht so viel; sie begnügt sich zu schliessen, dass er ihnen — irgend einmal in der Kindheit — den Tod gewünscht habe. Ich fürchte aber, diese Einschränkung wird noch wenig zur Beruhigung der Beschwerdeführer beitragen; diese dürften ebenso energisch die Möglichkeit bestreiten, dass sie je so gedacht haben, wie sie sicher fühlen, nicht in der Gegenwart solche Wünsche zu hegen. Ich muss darum ein Stück vom untergegungenen Kinderseelenleben nach den Zeugnissen, die noch die Gegenwart aufweist, wieder herstellen.

§ 543

Fassen wir zunächst das Verhältnis der Kinder zu ihren Geschwistern in’s Auge. Ich weiss nicht, warum wir voraussetzen, es müsse ein liebevolles sein, da doch die Beispiele von Geschwisterfeindschaft unter Erwachsenen in der Erfahrung eines Jeden sich drängen, und wir so oft feststellen können, diese Entzweiung rühre noch aus der Kindheit her, oder habe von jeher bestanden. Aber auch sehr viele Erwachsene, die heute an ihren Geschwistern zärtlich hängen und ihnen beistehen, haben in ihrer Kindheit in kaum unterbrochener Feindschaft mit ihnen gelebt. Das ältere Kind hat das jüngere misshandelt, angeschwärzt, es seiner Spielsachen beraubt; das jüngere hat sich in ohnmächtiger Wuth gegen das ältere verzehrt, es beneidet und gefürchtet, oder seine ersten Regungen von Freiheitsdrang und Rechtsbewusstsein haben sich gegen den Unterdrücker gewendet. Die Eltern sagen, die Kinder vertragen sich nicht, und wissen den Grund hiefür nicht zu finden. Es ist nicht schwer zu sehen, dass auch der Charakter des braven Kindes ein anderer ist, als wir ihn bei einem Erwachsenen zu finden wünschen. Das Kind ist absolut egoistisch, es empfidet seine Bedürfnisse intensiv und strebt rücksichtslos nach ihrer Befriedigung, insbesondere gegen seine Mitbewerber, andere Kinder, und in erster Linie gegen seine Geschwister. Wir heissen das Kind aber darum nicht „schlecht“, wir heissen es „schlimm;“ es ist unverantwortlich für seine bösen Thaten vor unserem Urtheil wie vor dem Strafgesetz. Und das mit Recht; denn wir dürfen erwarten, dass noch innerhalb von Lebenszeiten, die wir der Kindheit zurechnen, in dem kleinen Egoisten die altruistischen Regungen und die Moral erwachen werden, dass, mit Meynert zu reden, ein secundäres Ich das primäre überlagern und hemmen wird. Wohl entsteht die Moralität nicht gleichzeitig auf der ganzen Linie, auch ist die Dauer der morallosen Kindheitsperiode bei den einzelnen Individuen verschieden lang. Wo die Entwicklung dieser Moralität ausbleibt, sprechen wir gerne von „Degeneration“; es handelt sich offenbar um eine Entwickelungshemmung. Wo der primäre Charakter durch die spätere Entwicklung bereits überlagert ist, kann er durch die Erkrankung an Hysterie wenigstens partiell wieder frei gelegt werden. Die Uebereinstimmung des sogenannten hysterischen Charakters mit dem eines schlimmen Kindes ist geradezu auffällig. Die Zwangsneurose hingegen entspricht einer Uebermoralität, als verstärkende Belastung dem sich wieder regenden primären Charakter auferlegt.

§ 544

Viele Personen also, die heute ihre Geschwister lieben und sich durch ihr Hinsterben beraubt fühlen wurden, tragen von früher her böse Wünsche gegen dieselben in ihrem Unbewussten, welche sich in Träume zu realisiren vermögen. Es ist aber ganz besonders interessant, kleine Kinder bis zu drei Jahren oder wenig darüber in ihrem Verhalten gegen jüngere Geschwister zu beobachten. Das Kind war bisher das Einzige; nun wird ihm angekündigt, dass der Storch ein neues Kind gebracht hat. Das Kind mustert den Ankömmling und äussert dann entschieden: „Der Storch soll es wieder mitnehmen.“ Ich bekenne mich in allem Ernst zur Meinung, dass das Kind abzuschätzen weiss, welche Benachtheiligung es von dem Fremdling zu erwarten hat. Von einer mir nahestehenden Dame, die sich heute mit ihrer um vier Jahre jüngeren Schwester sehr gut verträgt, weiss ich, dass sie die Nachricht von deren Ankunft mit dem Vorbehalt beantwortet hat: „Aber meine rothe Kappe werde ich ihr doch nicht geben.“ Sollte das Kind erst später zu dieser Erkenntnis kommen, so wird seine Feindseligkeit in diesem Zeitpunkt erwachen. Ich kenne einen Fall, dass ein nicht dreijähriges Mädchen den Säugling in der Wiege zu erwürgen versuchte, von dessen weiterer Anwesenheit ihr nichts Gutes ahnte. Der Eifersucht sind Kinder um diese Lebenszeit in aller Stärke und Deutlichkeit fähig. Oder das kleine Geschwisterchen ist wirklich bald wieder verschwunden, das Kind hat wieder alle Zärtlichkeit im Hause auf sich vereinigt, nun kommt ein neues vom Storch geschickt; ist es da nicht correct, dass unser Liebling den Wunsch in sich erschaffen sollte, der neue Concurrent möge dasselbe Schicksal haben wie der frühere, damit es ihm wieder so gut gehe wie vorhin und in der Zwischenzeit? Natürlich ist dieses Verhalten des Kindes gegen die Nachgeborenen in normalen Verhältnissen eine einfache Function des Altersunterschiedes. Bei einem gewissen Intervall werden sich in dem älteren Mädchen bereits die mütterlichen Instincte gegen das hilflose Neugeborene regen.

§ 545

Empfindungen von Feindseligkeit gegen die Geschwister müssen im Kindesalter noch weit häufiger sein, als sie der stumpfen Beobachtung Erwachsener auffallen.

§ 546

Bei meinen eigenen Kindern, die einander rasch folgten, habe ich die Gelegenheit zu solchen Beobachtungen versäumt; ich hole sie jetzt bei meinem kleinen Neffen nach, dessen Alleinherrschaft nach 15 Monaten durch das Auftreten einer Mitbewerberin gestört wurde. Ich höre zwar, dass der junge Mann sich sehr ritterlich gegen das Schwesterchen benimmt, ihr die Hand küsst und sie streichelt; ich überzeuge mich aber, dass er schon vor seinem vollendeten zweiten Jahr seine Sprachfähigkeit dazu benutzt, um Kritik an der ihm doch nur überflüssig erscheinenden Person zu üben. So oft die Rede auf sie kommt, mengt er sich in´s Gespräch und ruft unwillig: Zu k(l)ein, zu k(l)ein. In den letzten Monaten, seitdem des Kind sich durch vortreffliche Entwickelung dieser Geringschätzung entzogen hat, weiss er seine Mahnung, dass sie so viel Aufmerksamkeit nicht verdient, anders zu begründen. Er erinnert bei allen geeigneten Anlässen daran: Sie hat keine Zähne. Von dem ältesten Mädchen einer anderen Schwester haben wir alle die Erinnerung bewahrt, wie das damals sechsjährige Kind sich eine halbe Stunde lang von allen Tanten bestätigen liess: „Nicht wahr, das kann die Lucie noch nicht verstehen?“ Lucie war die um 21/2 Jahre jüngere Concurrentin.

§ 547

Den gesteigerter Feindseligkeit entsprechenden Traum vom Teil der Geschwister habe ich z. B. bei keiner meiner Patientinnen vermisst. Ich fand nur eine Ausnahme, die sich leicht in eine Bestätigung der Regel umdeuten liess. Als ich einst einer Dame während einer Sitzung diesen Sachverhalt erklärte, der mir bei dem Symptom an der Tagesordnung in Betracht zu kommen schien, antwortete sie mir zu meinem Erstaunen, sie habe solche Träume nie gehabt. Ein anderer Traum fiel ihr aber ein, der angeblich damit nichts zu schaffen hatte, ein Traum, den sie mit vier Jahren zuerst, als damals Jüngste, und dann wiederholt geträumt hatte. „Eine Menge Kinder, alle ihre Brüder, Schwestern, Cousins und Cousinen tummelten sich auf einer Wiese. Plötzlich bekamen sie Flügel, flogen auf und waren weg.“ Von der Bedeutung des Traumes hatte sie keine Ahnung; es wird uns nicht schwer fallen, einen Traum vom Tod aller Geschwister in seiner ursprünglichen, durch die Censur wenig beeinflussten Form darin zu erkennen. Ich getraue mich folgende Analyse unterzuschieben. Bei dem Tode Eines uns der Kinderschaar — die Kinder zweier Brüder wurden in diesem Falle in geschwisterlicher Gemeinschaft aufgezogen — wird unsere noch nicht vierjährige Träumerin eine weise erwachsene Person gefragt haben: Was wird denn aus den Kindern, wenn sie todt sind? Die Antwort wird gelautet haben: Dann bekommen sie Flügel und werden Engerl. Im Traum nach dieser Aufklärung haben nun die Geschwister alle Flügel wie die Engel und — was die Hauptsache ist — sie fliegen weg. Unsere kleine Engelmacherin bleibt allein, man denke, das Einzige nach einer solchen Schaar! Dass sich die Kinder auf einer Wiese tummmeln, von der sie wegfliegen, deutet kaum missverständlich auf Schmetterlinge hin, als ob dieselbe Gedankenverbindung das Kind geleitet hätte, welches die Alten bewog, die Psyche mit Schmetterlingsflügeln zu bilden.

§ 548

Vielleicht wirft nun Jemand ein, die feindseligen Impulse der Kinder gegen ihre Geschwister seien wohl zuzugeben, aber wie käme das Kindergemüth zu der Höhe von Schlechtigkeit, dem MitBewerber oder stärkeren Spielgenossen gleich den Tod zu wünschen, als ob alle Vergehen nur durch die Todesstrafe zu sühnen seien? Wer so spricht, erwägt nicht, dass die Vorstellung des Kindes vom „Todsein“ mit der unserigen das Wort und dem nur noch wenig indem gemein hat. Das Kind weiss nichts von den Greueln der Verwesung, vom Frieren im kalten Grab, vom Schrecken des endlosen Nichts, das der Erwachsene, wie alle Mythen vom Jenseits zeugen, in seiner Vorstellung so schlecht verträgt. Die Furcht vor dem Tode ist ihm fremd, darum spielt es mit dem grässlichen Wort und droht einem anderen Kind: „Wenn Du das noch einmal thust, wirst Du sterben, wie der Franz gestorben ist,“ wobei es die arme Mutter schaudernd überläuft, die vielleicht nicht daran vergessen kann, dass die grössere Hälfte der erdgeborenen Menschen ihr Leben nicht über die Jahre der Kindheit bringt. Noch mit acht Jahren kann das Kind, von einem Gang durch das Naturhistorische Museum heimgekehrt, seiner Mutter sagen: „Mama, ich habe Dich so lieb; wenn Du einmal stirbst, lasse ich Dich ausstopfen und stelle Dich hier im Zimmer auf, damit ich Dich immer, immer sehen kann!“ So wenig gleicht die kindliche Vorstellung vom Gestorbensein der unsrigen.

§ 549

Gestorben sein heisst für das Kind, welchem ja überdies die Scenen des Leidens vor dem Tode zu sehen erspart wird, so viel als „fort sein“, die Ueberlebenden nicht mehr stören. Es unterscheidet nicht, auf welche Art diese Abwesenheit zu Stande kommt, ob durch Verreisen, Entfremdung oder Tod. Wenn in den prähistorischen Jahren eines Kindes seine Kinderfrau weggeschickt worden und einige Zeit darauf seine Mutter gestorben ist so liegen für seine Erinnerung, wie man sie in der Analyse aufdeckt, beide Ereignisse in einer Reihe über einander. Dass das Kind die Abwesenden nicht sehr intensiv vermisst, hat manche Mutter zu ihrem Schmerz erfahren, wenn sie nach mehrwöchentlicher Sommerreise in ihr Haus zurückkehrte und auf ihre Erkundigung hören musste: Die Kinder haben nicht ein einziges Mal nach der Mama gefragt. Wenn sie aber wirklich in jenes „unentdeckte Land“ verreist ist, „von des Bezirk kein Wanderer wiederkehrt,“ so scheinen die Kinder sie zunächst vergessen zu haben und erst nachträglich beginnen sie, sich an die Todte zu erinnern.

§ 550

Wenn das Kind also Motive hat, die Abwesenheit eines anderen Kindes zu wünschen, so mangelt ihm jede Abhaltung, diesen Wunsch in die Form zu kleiden, es möge todt sein, und die psychische Reaction auf den Todeswunschtraum beweist, dass trotz aller Verschiedenheit im Inhalt der Wunsch beim Kinde doch irgendwie das Nämliche ist wie der gleichlautende Wunsch des Erwachsenen.

§ 551

Wenn nun der Todeswunsch des Kindes gegen seine Geschwister erklärt wird durch den Egoismus des Kindes, der sie die Geschwister als Mitbewerber auffassen läßt, wie soll sich der Todeswunsch gegen die Eltern erklären, die für das Kind die Spender von Liebe und Erfüller seiner Bedürfnisse sind, deren Erhaltung es gerade aus egoistischen Motiven wünschen sollte?

§ 552

Zur Lösung dieser Schwierigkeit leitet uns die Erfahrung, dass die Träume vom Tode der Eltern überwiegend häufig den Theil des Elternpaares betreffen, der das Geschlecht des Träumers theilt, dass also der Mann zumeist vom Tode des Vaters, das Weib vom Tode der Mutter träumt. Ich kann dies nicht als regelmässig hinstellen, aber das Ueberwiegen in dem angedeuteten Sinne ist so deutlich, dass es eine Erklärung durch ein Moment von allgemeiner Bedeutung fordert. Es verhält sich — grob ausgesprochen — so, als ob eine sexuelle Vorliebe sich frühzeitig geltend machen würde, als ob der Knabe im Vater, das Mädchen in der Mutter den Mitbewerber in der Liebe erblickte, durch dessen Beseitigung ihm nur Vortheil erwachsen kann.

§ 553

Ehe man diese Vorstellung als ungeheuerlich verwirft, möge man auch hier die realen Beziehungen zwischen Eltern und Kindern in’s Auge fassen. Man hat zu sondern, was die Culturforderung der Pietät von diesem Verhältnis verlangt, und was die tägliche Beobachtung als thatsächlich ergibt. In der Beziehung zwischen Eltern und Kindern liegen mehr als nur ein Anlass zur Feindseligkeit verborgen; die Bedingungen für das Zustandekommen von Wünschen, welche vor der Censur nicht bestehen, sind im reichsten Ausmasse gegeben. Verweilen wir zunächst bei der Relation zwischen Vater und Sohn. Ich meine die Heiligkeit, die wir den Vorschriften des Dekalogs zuerkannt haben, stumpft unseren Sinn für die Wahrnehmung der Wirklichkeit ab. Wir getrauen uns vielleicht kaum zu merken, dass der grössere Theil der Menschheit sich über die Befolgung des vierten Gebotes hinaussetzt. In den tiefsten wie in im höchsten Schichten der menschlichen Gesellschaft pflegt die Pietät gegen die Eltern vor anderen Interessen zurückzutreten. Die dunklen Nachrichten, die in Mythologie und Sage aus der Urzeit im menschlichen Gesellschaft auf uns gekommen sind, geben von der Machtfülle des Vaters und von der Rücksichtslosigkeit, mit der sie gebraucht wurde, eine unerfreuliche Vorstellung. Kronos verschlingt seine Kinder, etwa wie der Eber den Wurf des Mutterschweins und Zeus entmannt den Vater und setzt sich als Herrscher In seine Stelle. Je unumschränkter der Vater in der alten Familie herrschte, desto mehr muss der Sohn als berufener Nachfolger in die Lage des Feindes gerückt, desto grösser muss seine Ungeduld geworden sein, durch den Tod des Vaters selbst zur Herrschaft zu gelangen. Noch in unserer bürgerlichen Familie pflegt der Vater durch die Verweigerung der Selbstbestimmung und der dazu nöthigen Mittel an den Sohn dem natürlichen Keim zur Feindschaft, der in dem Verhältnisse liegt, zur Entwickelung zu verhelfen. Der Arzt kommt oft genug in die Lage zu bemerken, dass der Schmerz über den Verlust des Vaters beim Sohne die Befriedigung über die endlich erlangte Freiheit nicht unterdrücken kann. Den Rest der in unserer heutigen Gesellschaft arg antiquirten potestas patris familias pflegt jeder Vater krampfhaft festzuhalten, und jeder Dichter ist der Wirkung sicher, der wie Ibsen den uralten Kampf zwischen Vater und Sohn in den Vordergrund seiner Fabeln rückt. Die Anlässe zu Conflicten zwischen Tochter und Mutter ergeben sich, wenn die Tochter heranwächst und in der Mutter die Wächterin findet, während sie nach sexueller Freiheit begehrt, die Mutter aber durch das Aufblühen der Tochter gemahnt wird, dass für sie die Zeit gekommen ist, sexuellen Ansprüchen zu entsagen.

§ 554

Alle diese Verhältnisse liegen offenkundig da vor Jedermanns Augen. Sie fördern uns aber nicht bei der Absicht, die Träume in Tod der Eltern zu erklären, welche sich bei Personen finden, denen die Pietät gegen die Eltern längst etwas Unantastbares geworden ist. Auch sind wir durch die vorhergehenden Erörterungen darauf vorbereitet, dass sich der Todeswunsch gegen die Eltern aus der frühesten Kindheit ableiten wird.

§ 555

Mit einer alle Zweifel anschliessenden Sicherheit bestätigt sich diese Vermuthung für die Psychoneurotiker bei den mit ihnen vorgenommenen Analysen. Man lernt hiebei, dass sehr frühzeitig die sexuellen Wünsche des Kindes erwachen, — soweit sie im keimenden Zustande diesen Namen verdienen — und dass die erste Neigung des Mädchens dem Vater, die ersten infantilen Begierden des Knaben der Mutter gelten. Der Vater wird somit für den Knaben, die Mutter für das Mädchen zum störenden Mitbewerber, und wie wenig für das Kind dazu gehört, damit diese Empfindung zum Todeswunsch führe, haben wir bereits für den Fall der Geschwister ausgeführt. Die sexuelle Auswahl macht sich in der Regel bereits bei den Eltern geltend; ein natürlicher Zug sorgt dafür, dass der Mann die kleinen Töchter verzärtelt, die Frau den Söhnen die Stange hält, während beide wo der Zauber des Geschlechts ihr Urtheil nicht verstört, mit Strenge für die Erziehung der Kleinen wirken. Das Kind bemerkt die Bevorzugung sehr wohl und lehnt sich gegen den Theil des Elternpaares auf, der sich ihr widersetzt. Liebe bei dem Erwachsenen zu finden ist ihm nicht nur die Befriedigung eines besonderen Bedürfnisses, sondern bedeutet auch, dass in allen anderen Stücken seinem Willen nachgegeben wird. So folgt es dem eigenen sexuellen Triebe und erneuert gleichzeitig die von den Eltern ausgehende Anregung, wenn es seine Wahl zwischen den Eltern im gleichen Sinne wie diese trifft.

§ 556

Von den Zeichen dieser infantilen Neigungen seitens der Kinder pflegt man die meisten zu übersehen; einige kann man auch nach den ersten Kinderjahren bemerken. Ein achtjähriges Mädchen meiner Bekanntschaft benützt die Gelegenheit, wenn die Mutter vom Tische abberufen wird, um sich als ihre Nachfolgerin zu proclamiren. „Jetzt will ich die Mama sein. Karl, willst Du noch Gemüse? Nimm doch, ich bitte Dich“ u. s. w. Ein besonders begabtes und lebhaftes Mädchen von nicht vier Jahren, an der dies Stück Kinderpsychologie besonders durchsichtig ist, äussert direct: „Jetzt kann das Muatterl einmal fortgehen, dann muss das Vaterl mich heiraten, und ich will seine Frau sein.“ Im Kinderleben schliesst dieser Wunsch durchaus nicht aus, dass das Kind auch seine Mutter zärtlich liebe. Wenn der kleine Knabe neben der Mutter schlafen darf, sobald der Vater verreist ist, und nach dessen Rückkehr in´s Kinderzimmer zurück muss zu einer Person, die ihm weit weniger gefällt, so mag sich leicht der Wunsch bei ihm gestalten, dass der Vater immer abwesend sein möge, damit er seinen Platz bei der lieben, schönen Mama behalten kann, und ein Mittel zur Erreichung dieses Wunsches ist es offenbar, wenn der Vater todt ist, denn das Eine hat ihn seine Erfahrung gelehrt: „Todte“ Leute, wie der Grosspapa z. B., sind immer abwesend, kommen nie wieder.

§ 557

Wenn sich solche Beobachtungen an kleinen Kindern der vorgeschlagenen Deutung zwanglos fügen, so ergeben sie nicht die volle Ueberzeugung, welche die Psychoanalysen erwachsener Neurotiker dem Arzte aufdrängen. Die Mittheilung der betreffenden Träume erfolgt hier mit solchen Einleitungen, dass ihre Deutung als Wunschträume unausweichlich wird. Ich finde eines Tages eine Dame betrübt und verweint. Sie sagt: Ich will meine Verwandten nicht mehr sehen, es muss ihnen ja vor mir grausen. Dann erzählt sie fast ohne Uebergang, dass sie sich an einen Traum erinnert, dessen Bedeutung sie natürlich nicht kennt. Sie hat ihn mit vier Jahren geträumt, er lautet folgendermassen: Ein Luchs oder Fuchs geht auf dem Dache spazieren, dann fällt etwas herunter oder sie fällt herunter, und dann trägt man die Mutter todt aus dem Hause, wobei sie schmerzlich weint. Ich habe ihr kaum mitgetheilt, dass dieser Traum den Wunsch aus ihrer Kindheit bedeuten muss, die Mutter todt zu sehen, und dass sie, dieses Traumes wegen meinen muss, die Verwandten grausen sich vor ihr, so liefert sie bereits etwas Material, den Traum aufzuklären. „Luchsaug“ ist ein Schimpfwort, mit dem sie einmal als kleines Kind von einem Gassenjungen belegt wurde; ihrer Mutter ist, als das Kind drei Jahre alt war, ein Ziegelstein vom Dach auf den Kopf gefallen, so dass sie heftig geblutet hat.

§ 558

Ich hatte einmal Gelegenheit, ein junges Mädchen, das verschiedene psychische Zustände durchmuchte, eingehend zu studiren. In einer tobsüchtigen Verworrenheit, mit der die Krankheit begann, zeigte die Kranke eine ganz besondere Abneigung gegen ihre Mutter, schlug und beschimpfte sie, sobald sie sich dem Bette näherte, während sie gegen eine um vieles ältere Schwester zu derselben Zeit liebevoll und gefügig blieb. Dann folgte ein klarer, aber etwas apathischer Zustand mit sehr gestörtem Schlaf; in dieser Phase begann ich die Behandlung und analysirte ihre Träume. Eine Unzahl derselben handelte mehr oder minder verhüllt vom Tode der Mutter; bald wohnte sie dem Leichenbegängnis einer alten Frau bei, bald sah sie sich und ihre Schwester in Trauerkleidern bei Tische sitzen; ea blieb über den Sinn dieser Träume kein Zweifel. Bei noch weiter fortschreitender Besserung treten hysterische Phobien auf; die quälendste darunter war, dass der Mutter etwas geschehen sei. Von wo sie immer sich befand, musste sie dann nach Hause eilen, um sich zu überzeugen, dass die Mutter noch lebe. Der Fall war nun, zusammengehalten mit meinen sonstigen Erfahrungen, sehr lehrreich; er zeigte in gleichsam mehrsprachiger Uebersetzung verschiedene Functionsweisen des psychischen Apparates auf dieselbe erregende Vorstellung. In der Verworrenheit, die ich als Ueberwältigung dar zweiten psychischen Instanz durch die sonst unterdrückte erste auffasse, wurde die unbewusste Feindseligkeit gegen die Mutter motorisch mächtig; als dann die erste Beruhigung eintrat, der Aufruhr unterdrückt, die Herrschaft der Censur wieder hergestellt war, blieb dieser Feindseligkeit nur mehr das Gebiet des Träumens offen, um den Wunsch nach ihrem Tod zu verwirklichen; als das Normale sich noch weiter gestärkt hatte, schuf es als hysterische Gegensatzreaction und Abwehrerscheinung die übermässige Sorge um die Mutter. In diesem Zusammenhange ist es nicht mehr unerklärlich, warum die hysterischen Mädchen so oft überzärtlich an ihren Müttern hängen.

§ 559

Ein andermal hatte ich Gelegenheit, tiefe Einblicke in das Imbewusste Seelenleben einer jungen Mannes zu thun, der durch Zwengsneurose fast existenzunfähig, nicht auf die Strasse gehen konnte, weil ihn die Sorge quälte, er bringe alle Leute, die an ihm vorbeigingen, um. Er verbrachte seine Tage damit, die Beweisstücke für sein Alibi in Ordnung zu halten, falls die Anklage wegen eines der in der Stadt vorgefallenen Morde gegen ihn erhoben werden sollte. Ueberflüssig zu bemerken, dass er ein ebenso moralischer wie fein gebildeter Mensch war. Die — übrigens zur Heilung führende — Analyse deckte als die Begründung dieser peinlichen Zwangsvorstellung Mordimpulse gegen seinen etwas überstrengen Vater auf, die sich, als er sieben Jahre alt war, zu seinem Erstaunen bewusst geäussert hatten, aber natürlich aus weit früheren Kindesjahren stammten. Nach der qualvollen Krankheit und dem Tode des Vaters trat im 31. Lebensjahr der Zwangsvorwurf auf, der sich in Form jener Phobie auf Fremde übertrug. Wer im Stande war, seinen eigenen Vater von einem Berggipfel in den Abgrund stossen zu wollen, dem ist allerdings zuzutrauen, dass er auch das Leben ferner Stehender nicht schone; der thut darum recht deren, sich in seine Zimmer einzuschliessen.

§ 560

Nach meinen bereits zahlreichen Erfahrungen spielen die Eltern im Kinderseelenleben aller späteren Psychoneurotiker die Hauptrolle, und Verliebtheit gegen den einen, Hass gegen den anderen Theil des Elternpaares gehören zum eisernen Bestand des in jener Zeit gebildeten und für die Symptomatik der späteren Neurose sich so bedeutsamen Materials an psychischen Regungen. Ich glaube aber nicht, dass die Psychoneurotiker sich hierin von anderen normal verbleibenden Menschenkindern scharf sondern, indem sie absolut Neues und ihnen Eigenthümliches zu schaffen vermögen. Es ist bei Weitem wahrscheinlicher und wird durch gelegentliche Beobachttungen an normalen Kindern unterstützt, dass sie auch mit diesen verliebten und feindseligen Wünschen gegen ihre Eltern uns nur durch die Vergrösserung kenntlich machen, was minder deutlich und weniger intensiv in der Seele der meisten Kinder vorgeht. Das Alterthum hat uns zur Unterstützung dieser Erkenntnis einen Sagenstoff überliefert, dessen durchgreifende und allgemeingiltige Wirksamkeit nur durch eine ähnliche Allgemeingiltigkeit der besprochenen Voraussetzung aus der Kinderpsychologie verständlich wird.

§ 561

Ich meine die Sage vom König Oedipus und das gleichnamige Drama des Sophokles. Oedipus, der Sohn den Laïos, Königs von Theben, und der Jokaste wird als Säugling ausgesetzt weil ein Orakel dem Vater verkündet hatte, der noch ungeborene Sohn werde sein Mörder sein. Er wird gerettet und wächst als Königssohn an einem fremden Hofe auf, bis er seiner Herkunft unsicher selbst das Orakel befragt und von ihm den Rath erhält, die Heimat zu meiden, weil er der Mörder seines Vaters und der Ehegemahl seiner Mutter werden müsste. Auf dem Wege von seiner vermeintlichen Heimat weg hilft er mit König Laïos zusammen und erschlägt ihn in rasch entbranntem Streit. Dann kommt er vor Theben, wo er die Räthsel der den Weg sperrenden Sphinx löst und zum Dank dafür von den Thebanern zum König gewählt und mit Jokaste´s Hand beschenkt wird. Er regiert lange Zeit in Frieden und Würde und zeugt mit der ihm unbekannten Mutter zwei Söhne und zwei Töchter, bis eine Pest ausbricht, welche eine neuerliche Befragung des Orakels von Seiten der Thebaner veranlasst. Hier setzt die Tragödie des Sophokles ein. Die Boten bringen den Bescheid, dass die Pest aufhören werde, wenn der Mörder des Laïos aus dem Lande getrieben sei. Wo aber weilt der? "„Wo findet sich die schwererkennbar dunkle Spur der alten Schuld?“" (Übersetzung von Donner, v. 109)

§ 562

Die Handlung des Stückes besteht nun in nichts anderem als in der schrittweise gesteigerten und kunstvoll verzögerten Enthüllung, — der Arbeit einer Psychoanalyse vergleichbar — dass Oedipus selbst der Mörder des Laïos, aber auch der Sohn des Ermordeten und der Jokaste ist. Durch seine unwissentlich verübten Greuel erschüttert, blendet sich Oedipus und verlässt die Heimat. Der Orakelspruch ist erfüllt.

§ 563

König Oedipus ist eine sogenannte Schickselstragödie; ihre tragische Wirkung soll auf dem Gegensatz zwischen dem übermächtigen Willen der Götter und dem vergeblichen Sträuben der vom Unheil bedrohten Menschen beruhen; Ergebung in den Willen der Gottheit, Einsicht in die eigene Ohnmacht soll der tief ergriffene Zuschauer aus dem Trauerspiele lernen. Folgerichtig haben moderne Dichter es versucht, eine ähnliche tragische Wirkung zu erzielen, indem sie den männlichen Gegensatz mit einer selbsterfundenen Fabel verwoben. Allein die Zuschauer haben ungerührt angesehen, wie trotz alles Sträubens schuldloser Menschen ein Fluch oder Orakelspruch sich an ihnen vollzog; die späteren Schicksalstragödien sind ohne Wirkung geblieben.

§ 564

Wenn der König Oedipus den modernen Menschen nicht minder zu erschüttern weiss als den zeitgenössischen Griechen, so kann die Lösung wohl nur darin liegen, dass die Wirkung der griechischen Tragödie nicht auf dem Gegensatz zwischen Schicksal und Menschenwillen ruht, sondern in der Besonderheit des Stoffes zu suchen ist, an welchem dieser Gegensatz erwiesen wird. Es muss eine Stimme in unserem Innern geben, welche die zwingende Gewalt des Schick sals im Oedipus anzuerkennen bereit ist, während wir Verfügungen wie in der „Ahnfrau“ oder in anderen Schicksalstragödien als willkürliche zurückzuweisen vermögen. Und ein solches Moment ist in der That in der Geschichte des Königs Oedipus enthalten. Sein Schicksal ergreift uns nur darum, weil es auch das unserige hätte werden können, weil das Orakel vor unserer Geburt denselben Fluch über uns verhängt hat wie über ihn. Uns allen vielleicht war es beschieden, die erste sexuelle Regung auf die Mutter, den ersten Hass und gewaltthätigen Wunsch gegen den Vater zu richten; unsere Träume überzeugen uns davon. König Oedipus, der seinen Vater Laïos erschlagen und seine Mutter Jokeste geheiratet hat, ist nur die Wunscherfüllung unserer Kindheit. Aber glücklicher als er, ist es uns seitdem, insoferne wir nicht Psychoneurotiker geworden sind, gelungen, unsere sexuellen Reguugen von unseren Müttern abzulösen, unsere Eifersucht gegen unsere Väter zu vergessen. Vor der Person, an welcher sich jener urzeitliche Kindheitswunsch erfüllt hat, schaudern wir zurück mit dem ganzen Betrag der Verdrängung, welche diese Wünsche in unserem Innern seither erlitten haben. Während der Dichter in jener Untersuchung die Schuld des Oedipus an´s Licht bringt, nöthigt er uns zur Erkenntnis unseres eigenen Inneren, in dem jene Impulse, wenn auch unterdrückt, noch immer vorhanden sind. Die Gegenüberstellung, mit der uns der Chor verlässt, ... „sehet, das ist Oedipus, der entwirrt die hohen Räthsel und der Erste war an Macht, dessen Glück die Bürger alle priesen und beneideten; Seht, in welches Missgeschickes grause Wogen er versank!“ diese Mahnung trifft uns selbst und unseren Stolz, die wir seit den Kindesjahren so weise und so mächtig geworden sind in unserer Schätzung. Wie Oedipus leben wir in Unwissenheit der die Moral beleidigenden Wünsche, welche die Natur uns aufgenöthigt hat, und nach deren Enthüllung möchten wir wohl alle den Blick abwenden von den Scenen unserer Kindheit.

§ 565

Dass die Sage von Oedipus einem uralten Traumstoff entsprossen ist, welcher jene peinliche Störung des Verhältnisses zu den Eltern durch die ersten Regungen der Sexualität zum Inhalte hat, dafür findet sich im Texte der Sophoklei’schen Tragödie selbst ein nicht misszuverstehender Hinweis. Jokaste tröstet den noch nicht aufgeklärten, aber durch die Erinnerung der Orakelsprüche besorgt gemachten Oedipus durch die Erwähnung eines Traumes, den ja so viele Menschen träumen, ohne dass er, meint sie, etwas bedeute:Denn viele Menschen sehen auch in Träumen schon (V. 995) Sich zugesellt der Mutter: Doch wer alles dies Für nichtig achtet, trägt die Last des Lebens leicht.“

§ 566

Der Traum, mit der Mutter sexuell zu verkehren, wird ebenso wie damals auch heute vielen Menschen zu Theil, die ihn empört und verwundert erzählen. Er ist wie begreiflich der Schlüssel der Tragödie und das Ergänzungsstück zum Traum vom Tod des Vaters. Die Oedipus fabel ist die Reaction der Phantasie auf diese beiden typischen Träume, und wie die Träume vom Erwachsenen mit Ablehnungsgefühlen erlebt werden, so muss die Sage Schreck und Selbstbestrafung in ihren Inhalt mitaufnehmen. Ihre weitere Gestaltung rührt wiederum von einer missverständlichen secundären Bearbeitung des Stoffes her, welche ihn einer theologisirenden Absicht dienstbar zu machen sucht. (Vergleiche den Tranmstoff von der Exhibition Seite 168.) Der Versuch die göttliche Allmacht mit der menschlichen Verantwortlichkeit zu vereinigen, muss natürlich an diesem Material wie an jedem anderen misslingen.*)*)

*) Auf demselben Boden wie „König Oedipus“ wurzelt eine andere der grossen tragischen Dichterschöpfungen, der Hamlet Shakespeare´s. Aber in der veränderten Behandlung des nämlichen Stoffes offenbart sich der ganze Unterschied im Seelenleben der beiden weit auseinander liegenden Culturperioden, das saeculare Fortschreiten der Verdrängung im Gemüthsleben der Menschheit. Im Oedipus wird die zu Grunde liegende Wunschphantasie des Kindes wie im Traum an´s Licht gezogen und realisirt; im Hamlet bleibt sie verdrängt und wir erfahren von ihrer Existenz — dem Sachverhalt bei einer Neurose ähnlich — nur durch die von ihr ausgehenden Hemmungswirkungen. Mit der überwältigenden Wirkung des moderneren Dramas hat es sich eigenthümlicher Weise als vereinbar gezeigt, dass man über den Charakter des Helden in voller Unklarheit verbleiben könne. Das Stück ist auf die Zögerung Hamlet´s gebaut, die ihm zugetheilte Aufgabe der Rache zu erfüllen; welches die Gründe oder Motive dieser Zögerung sind, gesteht der Text nicht ein; die vielfältigsten Deutungsversuche haben es nicht anzugeben vermocht. Nach der heute noch herrschenden, durch Goethe begründeten Auffassung stellt Hamlet den Typus des Menschen der, dessen frische Thatkraft durch die überwuchernde Entwicklung der Gedankenthätigkeit gelähmt wird („Von des Gedankens Blässe angekränkelt“). Nach Anderen hat der Dichter einen krankhaften, unentschlosssnen, in das Bereich der Neurasthenie fallenden Charakter zu schildern versucht. Allein die Fabel des Stückes lehrt, dass Hamlet uns keineswegs als eine Person erscheinen soll, die des Handelns überhaupt unfähig ist. Wir sehen ihn zweimal handelnd auftreten, das eine Mal in rasch auffahrender Leidenschaft, wie er den Lauscher hinter der Tapete niederstösst, ein anderes Mal planmäßig, ja selbst arglistig, indem er mit der vollen Unbedenklichlichkeit des Renaissance-Prinzen die zwei Höflinge in den ihm selbst zugedachten Tod schickt. Was hemmt ihn also bei der Erfüllung der Aufgabe, die der Geist seines Vaters ihm gestellt hat? Hier bietet sich wieder die Auskunft, dass es die besondere Natur dieser Aufgabe ist. Hamlet kann alles, nur nicht die Rache an dem Mann vollziehen, der seinen Vater beseitigt und bei seiner Mutter dessen Stelle eingenommen hat, an dem Mann, der ihm die Realisirung seiner verdrängten Kinderwünsche zeigt. Der Abscheu, der ihn zur Rache drängen sollte, versetzt sich so bei ihm durch Selbstvorwürfe, durch Gewissensscrupel, die ihm vorhalten, dass er, wörtlich verstanden, selbst nicht besser sei als der von ihm zu strafende Sünder. Ich habe dabei in’s Bewusste übersetzt, was in der Seele des Helden unbewusst bleiben muss; wenn Jemand Hamlet einen Hysteriker nennen will, kann ich es nur als Folgerung aus meiner Deutung anerkennen. Die Sexualabneigung stimmt sehr wohl dazu, die Hamlet dann im Gespräch mit Ophelia äussert, die nämliche Sexualabneigung, die von der Seele des Dichters in den nächsten Jahren immer mehr Besitz nehmen sollte, bis zu ihren Gipfeläusserungen im Timon von Athen. Es kann natürlich nur das eigene Seelenleben des Dichters gewesen sein, das uns im Hamlet entgegentritt; ich entnehme dem Werk von Georg Brandes über Shakespeare (1896) die Notiz, dass das Drama unmittelbar nach dem Tod von Shakespeare´s Vater (1601), also in der frischen Trauer um ihn, in der Wiederbelebung, dürfen wir annehmen, der auf den Vater bezüglichen Kindheitsempfindungen gedichtet § 567

Ich kann die typischen Träume vom Tode theurer Verwandten nicht verlassen, ohne dass ich deren Bedeutung für die Theorie des Traumes überhaupt noch mit einigen Worten beleuchte. Diese Träume zeigen uns den recht ungewöhnlichen Fall verwirklicht, dass der durch den verdrängten Wunsch gebildete Traumgedanke jeder Censur entgeht und unverändert in den Traum übertritt. Es müssen besondere Verhältnisse sein, die solches Schicksal ermöglichen. Ich finde die Begünstigung für diese Träume in folgenden zwei Momenten: Erstens gibt es keinen Wunsch, von dem wir uns ferner glauben; wir meinen, das zu wünschen könnte „uns auch im Trauma mehr einfallen“, und darum ist die Traumcensur gegen dieses Ungeheuerliche nicht gerüstet, ähnlich etwa wie die Gesetzgebung Solon´s keine Strafe für den Vatermord aufzustellen wusste. Zweitens aber kommt dem verdrängten und nicht geahnten Wunsch gerade hier besonders häufig ein Tagesrest entgegen in Gestalt einer Sorge um das Leben der theuren Person. Diese Sorge kann sich nicht anders in den Traum eintragen, als indem sie sich des gleichlautenden Wunsches bedient; der Wunsch aber kann sich mit der am Tage rege gewordenen Sorge maskiren. Wenn man meint, dass dies alles einfacher zugeht, dass man eben bei Nacht und im Traum nur fortsetzt, was man bei Tag angesponnen hat, so lässt man die Träume vom Tode theurer Personen eben ausser allem Zusammenhang mit der Traumerklärung und hält ein sehr wohl reducirbares Räthsel überflüssiger Weise fest.

§ 568

Lehrreich ist es auch, die Beziehung dieser Träume zu den Angstträumen zu verfolgen. In den Träumen vom Tode theurer Personen hat der verdrängte Wunsch einen Weg gefunden, auf dem er sich der Censur — und der durch sie bedingten Entstellung — entziehen kann. Die nie fehlende Begleiterscheinung ist dann, dass schmerzliche Empfindungen im Traume verspürt werden. Ebenso kommt der Angsttraum nur zu Stande, wenn die Censur ganz oder theilweise überwältigt wird, und andererseits erleichtert es die Ueberwältigung der Censur, wenn Angst als actuelle Sensation aus somatischen Quellen bereits gegeben ist. Es wird so handgreiflich, in welcher Tendenz die Censur ihres Amtes weitet, die Traumentstellung ausübt: es geschieht, um die Entwickelung von Angst oder anderen Formen peinlichen Affectes zu verhüten.

worden ist. Bekannt ist auch, dass Shakespeare´s früh verstorbener Sohn den Namen Hamnet (identisch mit Hamlet) trug. Wie Hamlet das Verhältnis des Sohnes zu den Eltern behandelt, so ruht der in der Zeit nahe stehende, Macbeth auf dem Thema der Kinderlosigkeit. Wie übrigens jedes neurotische Symptom, wie selbst der Traum, der Ueberdeutung fähig ist, ja dieselbe zu seinem vollen Verständnis fordert, so wird auch jede echte dichterische Schöpfung am mehr als aus einem Motiv und einer Anregung in der Seele des Dichters hervorgegangen sein und mehr als eine Deutung zulassen. Ich habe hier nur die Deutung der tiefsten Schicht von Regungen in der Seele des schaffenden Dichters versucht. § 569

Ich habe im Vorstehenden von dem Egoismus der Kinderseele gesprochen und knüpfe nun daran mit der Absicht, hier einen Zusammenhang ahnen zu lassen, dass die Träume auch diesen Charakter bewahrt haben. Sie sind sämmtlich absolut egoistisch, in allen tritt das liebe Ich auf, wenn auch verkleidet. Die Wünsche, die in ihnen erfüllt werden, sind regelmässig Wünsche dieses Ich’s; es ist nur ein täuschender Anschein, wenn je das Interesse für einen Anderen einen Traum hervorgerufen haben sollte. Ich will einige Beispiele, welche dieser Behauptung widersprechen, der Analyse unterziehen.

§ 570

I. Ein noch nicht vierjähriger Knabe erzählt: Er hat eine grosse garnirte Schüssel gesehen, worauf ein grosses Stück Fleisch gebraten war, und das Stück war auf einmal ganz — nicht zerschnitten — aufgegessen. Die Person, die es gegessen hat, hat er nicht gesehen. *)*)

§ 571

Wer mag der fremde Mensch sein, von dessen üppiger Fleischmahlzeit unser Kleiner träumt? Die Erlebnisse des Traumtages müssen uns darüber aufklären. Der Knabe bekömmt seit einigen Tagen nach ärztlicher Vorschrift Milchdiät; am Abend des Traumes war er aber unartig, und da wurde ihm zur Strafe die Abendmahlzeit entzogen. Er hat schon früher einmal eine solche Hungercur durchgemacht und sich sehr tapfer dabei benommen. Er wusste, dass er nichts bekommen wird, getraute sich aber auch nicht, mit einem Worte anzudeuten, dass er Hunger hat. Die Erziehung fängt, bei ihm zu wirken; sie äussert sich bereits im Traum, der einen Anfang von Traumentstellung zeigt. Es ist kein Zweifel dass er selbst die Person ist, deren Wünsche auf eine so reiche Mahlzeit, und zwar eine Bratenmahlzeit, zielen. Da er aber weiss, dass diese ihm verboten ist, wagt er es nicht, wie die hungerigen Kinder es im Traum thun (vgl. den Erdbeertraum meiner kleinen Anna, Seite 91), sich selbst zur Mahlzeit hinzusetzen. Die Person bleibt anonym.

§ 572

II. Ich träume einmal, dass ich in der Auslage einer Buchhandlung ein neues Heft jener Sammlung im Liebhabereinband sehe, die ich sonst zu kaufen pflege (Künstlermonographien, Monographien zur Weltgeschichte, Berühmte Kunststätten u. s. w). Die neue SammIung nennt sich: Berühmte Redner (oder Reden) und das Heft I derselben trägt den Namen Dr. Lecher.

§ 573

In der Analyse wird es mir unwahrscheinlich, dass mich der Ruhm Dr. Lecher’s, des Dauerredners der deutschen Obstruction im Parlamente, während meiner Träume beschäftige. Der Sachverhalt ist der, dass ich vor einigen Tagen neue Patienten zu psychischen Cur aufgenommen habe, und nun zehn bis elf Stunden täglich zu sprechen genöthigt bin. Ich bin also selbst so ein Dauerredner.

*) Auch das Grosse, Ueberreiche, Uebermässige und Uebertriebene der Träume könnte ein Kindheitscharakter sein. Das Kind kennt keinen sehnlicheren Wunsch als gross zu werden, von Allem so viel zu bekommen wie die Grossen; es ist schwer zu befriedigen, kennt kein Genug, verlangt unersättlich nach Wiederholung dessen, was ihm gefallen oder geschmeckt hat. Mass halten, sich bescheiden, resigniren hat es erst durch die Cultur der Erziehung. Bekanntlich neigt auch der Neurotiker zu Masslosigkeit und Unmässigkeit. § 574

III. Ich träume ein andermal, dass ein mir bekannter Lehrer an unserer Universität sagt: Mein Sohn, der Myop. Dann folgt ein Dialog aus kurzen Reden und Gegenreden bestehend. Es folgt aber dann ein drittes Traumstück, in dem ich und meine Söhne vorkommen, und für den latenten Trauminhalt sind Vater und Sohn, Professor M. nur Strohmänner, die mich und meinen Aeltesten, denken. Ich werde diesen Traum wegen einer anderen Eigenthüm-, lichkeit noch weiter unten behandeln.

§ 575

IV. Ein Beispiel von wirklich niedrigen egoistischen Gefühlen, die sich hinter zärtlicher Sorge verbergen, gibt folgender Traum.

§ 576

Mein Freund Otto schaut schlecht aus, ist braun im Gesicht und hat vortretende Augen.

§ 577

Otto ist mein Hausarzt, in dessen Schuld ich hoffnungslos verbleibe, weil er seit Jahren die Gesundheit meiner Kinder überwacht, sie erfolgreich behandelt, wenn sie erkranken, und sie überdies zu allen Gelegenheiten, die einen Vorwand abgeben können, beschenkt. Er war am Traumtage zu Besuch, und da bemerkte meine Frau, das müde und abgespannt aussehe. Nachts kömmt mein Traum und leiht ihm einige der Zeichen der Basedow´schen Krankheit. Wer sich in der Traumdeutung von meinen Regeln freimacht, der wird diesen Traum so verstehen, dass ich um die Gesundheit meines Freundes besorgt bin, und dass diese Besorgnis sich im Traum realisirt. Es wäre ein Widerspruch nicht nur gegen die Behauptung, dass der Traum eine Wunscherfüllung ist, sondern auch gegen die andere, dass er nur egoistischen Regungen zugänglich ist. Aber wer so deutet, möge mir erklären, warum ich bei Otto die Basedow´sche Krankheit befürchte, zu welcher Diagnose sein Aussehen auch nicht den leisesten Anlass gibt? Meine Analyse liefert hingegen folgendes Material aus einer Begebenheit, die sich vor sechs Jahren zugetragen hat. Wir fuhren, eine kleine Gesellschaft, in der sich auch Professor R. befand, in tiefer Dunkelheit durch den Wald von N., einige Stunden weit von unserem Sommeraufenthalt entfernt. Der nicht ganz nüchterne Kutscher warf uns mit dem Wagen einen Abhang herunter, und es war noch glücklich, dass wir alle heil davon kamen. Wir waren aber genöthigt, im nächsten Wirtshause zu übernachten, wo die Kunde von unserem Unfall grosse Sympathie für uns erweckte. Ein Herr, der die unverkennbare Zeichen des Morbus Basedowii an sich trug — übrigens nur Bräunung der Gesichtshaut und vortretende Augen, ganz wie im Traum, kein Struma — stellte sich ganz zu unserer Verfügung und fragte, was er für uns thun könne. Professor R. in seiner bestimmten Art antwortete. Nichts anderes, als dass Sie mir ein Nachthemd leihen. Darauf der Edle: Das thut mir leid, das kann ich nicht, und ging von dannen.

§ 578

Zur Fortsetzung der Analyse fällt mir ein, dass Basedow nicht nur der Name eines Arztes ist, sondern auch der eines berühmten Pädagogen. (Im Wachen fühle ich mich jetzt dieses Wissens nicht recht sicher). Freund Otto ist aber diejenige Person, die ich gebeten habe, für den Fall, dass mir etwas zustösst, die körperliche Erziehung meiner Kinder, speciell in der Pubertätszeit (daher das Nachthemd) zu überwachen. Indem ich nun Freund Otto im Traum mit den Krankheitssymptomen jenes edlen Helfers sehe, will ich offenbar sagen: Wenn mir etwas zustösst, wird von ihm ebensowenig etwas für die Kinder zu haben sein, wie damals von Herrn Baron L. trotz seiner liebenswlirdigen Anerbietungen. Der egoistische Einschlag dieses Traumes dürfte nun wohl aufgedeckt sein.

§ 579

Wo steckt aber hier die Wunscherfüllung? Nicht in der Rache an Freund Otte, dessen Schicksal es nun einmal ist, in meinen Träumen schlecht behandelt zu werden, sondern in folgender Beziehung. Indem ich Otto als Baron L. im Traum darstelle, habe ich gleichzeitig meine eigene Person mit; einer anderen identificirt, nämlich mit der des Professors R., denn ich fordere ja etwas von Otto, wie in jener Begebenheit R. vom Baron L. gefordert hat. Und daran liegt es. Professor R., dem ich mich sonst wirklich nicht zu vergleichen wage, hat ähnlich wie ich seinen Weg ausserhalb der Schule selbstständig verfolgt und ist erst in späten Jahren zu dem längst verdienten Titel gelangt. Ich will also wieder einmal Professor werden! Ja selbst das „in späten Jahren“ ist eine Wunscherfüllung, denn es besagt, dass ich lange genug lebe, um meine Knaben selbst durch die Pubertät zu geleiten.

§ 580

Von anderen typischen Träumen, in denen man mit Behagen fliegt oder mit Angstgefühlen fällt, weiss ich nichts aus eigener Erfahrung und verdanke Alles, was ich über sie zu sagen habe, den Psychoanalysen. Aus den Auskünften, die man dort erhält, muss man schliessen, dass auch diese Träume Eindrücke der Kinderzeit wiederholen, nämlich sich auf die Bewegungssziele beziehen, die für das Kind eine so außerordentliche Anziehung haben. Welcher Onkel hat nicht schon ein Kind fliegen lassen, indem er die Arme ausstreckend durch´s Zimmer mit ihm eilte, oder Fallen mit ihm gespielt, indem er es auf den Knien schaukelte und das Bein plötzlich streckte, oder es hoch hob und plötzlich that, als ob er ihm die Unterstützung entziehen wollte. Die Kinder jauchzen dann und verlangen unermüdlich nach Wiederholung, besonders wenn etwas Schreck und Schwindel mit dabei ist; ann schaden sie sich nach Jahren die Wiederholung im Traum, lassen aber im Traum die Hände weg, die sie gehalten haben, so dass sie nun frei schweben und fallen. Die Vorliebe aller kleinen Kinder für solche Spiele wie für Schaukeln und Wippen ist bekannt; wenn sie dann gymnastische Kunststücke im Circus sehen, wird die Erinnerung von Neuem aufgefrischt. Bei manchen Knaben besteht dann der hysterische Anfall nur aus Reproductionen solcher Kunststücke, die sie mit grosser Geschicklichkeit ausführen. Nicht selten sind bei diesen an sich harmluoen Bewegungsspielen auch sexuelle Empfindungen wach gerufen worden.*)*) Um es mit einem bei uns gebräuchlichen, all diese Verunstaltungen deckenden Worte zu sagen: es ist das „Hetzen“ in der Kindheit welches die Träume vom Fliegen, Fallen, Schwindeln u. dgl. wiederholen, dessen Lustgefühle jetzt in Angst verkehrt sind. Wie aber als Mutter weiss, ist auch das Hetzen der Kinder in der Wirklichkeit häufig genug in Zwist und Weinen ausgegangen.

§ 581

Ich habe also guten Grund die Erklärung abzulehnen, dass der Zustand unserer Hautgefühle während des Schlafes, die Sensationen von der Bewegung unserer Lungen u. dgl. die Träume vom Fliegen und Fallen hervorrufen. Ich sehe, dass diese Sensationen selbst aus der Erinnerung reproducirt sind, auf welche der Traum sich bezieht, dass sie also Trauminhalt sind und nicht Traumquellen.

§ 582

Jeder der mit der Maturitätsprüfung seine Gymnasalstudien abgeschlossen hat, klagt über die Hartnäckigkeit, mit welcher der Angsttraum, dass er durchgefallen sei, die Classe wiederholen müsse u. dgl. ihn verfolgt. Für den Besitzer eines akademischen Grades ersetzt sich dieser typische Traum durch einen anderen, der ihm vorhalt, dass er beim Rigorosum nicht bestanden habe, und gegen den er vergeblich noch im Schlaf einwendet, dass er ja schon seit Jahren prakticire, Privatdocent sei oder Kanzleileiter. Es sind die unauslöschlichen Erinnerungen an die Strafen, die wir in der Kindheit für verübte Unthaten erlitten haben, die sich so an den beiden Knotenpunkten unserer Studien, an dem „dies irae, dies illa“ der strengen Prüfungen in unserem Innern wieder geregt haben. Auch die „Prüfungsangst“ der Neurotiker findet in dieser Kinderangst ihre Verstärkung. Nachdem wir aufgehört haben Schüler zu sein, sind es nicht mehr wie zuerst die Eltern und Erzieher oder später die Lehrer, die unsere Bestrafung besorgen; die unerbittliche Causalverkettung des Lebens hat unsere weitere Erziehung übernommen, und nun träumen wir von der Matura oder von dem Rigorosum, — und wer hat damals nicht selbst als Gerechter gezagt? — so oft wir erwarten, dass der Erfolg uns bestrafen werde, weil wir etwas nicht recht gemacht, nicht ordentlich zu Stande gebracht haben, so oft wir den Druck einer Verantwortung fühlen.

*) Ein junger, von Nervosität völlig freier College theilt mir hierzu mit: „Ich weiss aus eigener Erfahrung, drum ich früher heim Schaukeln, und zwar in dem Moment, wo die Abwärtsbewegung die grösste Wucht hat, ein eigentümliches Gefühl in den Genitalien bekam, das ich, obwohl es mir eigentlich nicht angenehm war, doch als Lustgefühl bezeichnen muss.“ — Von Patienten habe ich oftmals gehört, dass die ersten Eroctionen mit Lustgefühl, die sie erinnern, in der Knabenzeit beim Klettern aufgetreten sind. — Aus den Psychoanalysen ergibt sich mit aller Sicherheit, dass häufig die ersten sexuellen Regungen in den Rauf- und Ringspielen der Kinderjahre wurzeln. § 583

Ich verhehle mir aber keineswegs, dass ich für diese Reihe von typischen Träumen eine volle Aufklärung nicht erbringen kann. Mein Material hat mich gerade hiebei im Stiche gelassen. Den allgemeinen Gesichtspunkt, dass alle die Haut- und Bewegungssensationen dieser typischen Träume wachgerufen werden, sobald irgend ein psychisches Motiv ihrer bedarf, und dass sie vernachlässigt werden können, wenn ihnen ein solches Bedürfnis nicht entgegenkommt, muss ich festhalten. Auch die Beziehung zu den infantilen Erlebnissen scheint mir aus den Andeutungen, die ich in der Analyse der Psychoneurotiker erhalten habe, sicher hervorzugehen. Aber welche anderen Bedeutungen sich im Laufe des Lebens an die Erinnerung jener Sensationen geknüpft haben mögen, — vielleicht bei jeder Person andere trotz der typischen Erscheinung dieser Träume — weiss ich nicht anzugeben, und möchte gerne in die Lage kommen, diese Lücke durch sorgfältige Analyse von guten Beispielen auszufüllen. Wer sich darüber verwundert, dass ich trotz der Häufigkeit gerade der Träume vom Fliegen, Fallen, Zahnausziehen u. dgl. mich über Mangel an Material beklagte, dem bin ich die Aufklärung schuldig, dass ich an mir selbst solche Träume nicht erfahren habe, seitdem ich dem Thema der Traumdeutung Aufmerksamkeit schenke. Die Träume der Neurotiker, die mir sonst zu Gebote stehen, sind aber nicht alle und oft nicht bis an das Ende ihrer verborgenen Absicht deutbar; eine gewisse psychische Macht, die beim Aufbau der Neurose betheiligt war und bei deren Auflösung wieder zur Wirksamkeit gebracht wird, stellt sich der Deutung bis zum letzten Räthsel entgegen.

§ 584

VI. Die Traumarbeit.

§ 585

Alle anderen bisherigen Versuche, die Traumprobleme zu erledigen, knüpften direct an den in der Erinnerung gegebenen manifesten Trauminhalt an und bemühten sich, aus diesem die Traumdeutung zu gewinnen, oder, wenn sie auf eine Deutung verzichteten, ihr Urtheil über den Traum durch den Hinweis auf den Trauminhalt zu begründen. Nur wir allein stehen einem anderen Sachverhalt gegenüber; für uns schiebt sich zwischen den Trauminhalt und die Resultate unserer Betrachtung ein neues psychisches Material ein: der durch unser Verfahren gewonnene latente Trauminhalt oder die Traumgedanken. Aus diesem letzteren, nicht aus dem manifesten Trauminhalt entwickelten wir die Lösung des Traumes. An uns tritt darum auch als neu eine Aufgabe heran, die es vordem nicht gegeben hat, die Aufgabe, die Beziehungen des manifesten Trauminhaltes zu den latenten Traumgedanken zu untersuchen und nachzuspüren, durch welche Vorgänge aus den letzteren der erstere geworden ist.

§ 586

Traumgedanken und Trauminhalt liegen vor uns wie zwei Darstellungen desselben Inhaltes in zwei verschiedenen Sprachen, oder besser gesagt, der Trauminhalt erscheint uns als eine Uebertragung der Traumgedanken in eine andere Ausdrucksweise, deren Zeichen und Fügungsgesetze wir durch die Vergleichung von Original und Uebersetzung kennen lernen sollen. Die Traumgedanken sind uns ohne weiteres verständlich, sobald wir sie erfahren haben. Der Trauminhalt ist gleichsam in einer Bilderschrift gegeben, deren Zeichen einzeln in die Sprache der Traumgedanken zu übertragen sind. Man würde offenbar in die Irre geführt, wenn man diese Zeichen nach ihrem Bilderwerth anstatt nach ihrer Zeichenbeziehung lesen wollte. Ich habe etwa ein Bilderräthsel (Rebus) vor mir: ein Haus, auf dessen Dach ein Boot zu sehen ist, dann ein einzelner Buchstabe, dann eine laufende Figur, deren Kopf wegapostrophirt ist u. dgl. Ich könnte nun in die Kritik verfallen, diese Zusammenstellung und deren Bestandtheile für unsinnig zu erklären. Ein Boot gehört nicht auf das Dach eines Hauses, und eine Person ohne Kopf kann nicht laufen; auch ist die Person grösser als das Haus, und wenn das Ganze eine Landschaft darstellen soll, so fügen sich die einzelnen Buchstaben nicht ein, die ja in freier Natur nicht vorkommen. Die richtige Beurtheilung des Rebus ergibt sich offenbar erst dann, wenn ich gegen das Ganze und die Einzelheiten desselben keine solchen Einsprüche erhebe, sondern mich bemühe, jedes Bild durch eine Silbe oder ein Wort zu ersetzen, welches nach irgend welcher Beziehung durch das Bild darstellbar ist. Die Worte, die sich so zusammenfinden, sind nicht mehr sinnlos, sondern können den schönsten und sinnreichsten Dichterspruch ergeben. Ein solches Bilderräthsel ist nun der Traum, und unsere Vorgänger auf dem Gebiete der Traumdeutung haben den Fehler begangen, den Rebus als zeichnerische Composition zu beurtheilen. Als solche erschien er ihnen unsinnig und werthlos.

§ 587

a) Die Verdichtungsarbeit.

§ 588

Das Erste, was dem Untersucher bei der Vergleichung von Trauminbalt und Traumgedanken klar wird, ist, dass hier eine grossartige Verdichtungsarbeit geleistet wurde. Der Traum ist knapp, armselig, lakonisch im Vergleich zu dem Umfang und zur Reichhaltigkeit der Traumgedanken. Der Traum füllt niedergeschrieben eine halbe Seite; die Analyse, in der die Traumgedanken enthalten sind, bedarf das sechs-, acht-, zwölffache an Schriftraum. Die Relation ist für verschiedene Träume wechselnd; sie ändert, soweit ich es controliren konnte, niemals ihren Sinn. In der Regel unterschätzt man das Mass der statthabenden Compression, indem man die an’s Licht gebrachten Traumgedanken für das vollständige Material hält, während weitere Deutungsarbeit neue, hinter dem Traum versteckte Gedanken enthüllen kann. Wir haben bereits anführen müssen, dass man eigentlich niemals sicher ist, einen Traum vollständig gedeutet zu haben; selbst wenn die Auflösung befriedigend und lückenlos erscheint, bleibt es doch immer möglich, dass sich noch ein anderer Sinn durch denselben Traum kundgibt. Die Verdichtungsquote ist also — streng genommen — unbestimmbar. Man könnte gegen die Behauptung, dass aus dem Missverhältnis zwischen Trauminhalt und Traumgedanken der Schluss zu ziehen sei, es finde eine ausgiebige Verdichtung des psychischen Materiales bei der Traumbildung statt, einen Einwand geltend: machen, der für denersten Eindruck recht bestechend scheint. Wir haben ja so oft die Empfindung, dass wir sehr viel die ganze Nacht hindurch geträumt und dann das Meiste wieder vergessen haben. Der Traum, den wir beim Erwachen erinnert, wäre dann blos ein Rest der gesammten Traumarbeit, welche wohl den Traumgedanken an Umfang gleichkäme, wenn wir sie eben vollständig erinnern könnten. Daran ist ein Stück sicherlich richtig; man kann sich nicht mit der Beobachtung täuschen, dass ein Traum am getreuesten reproducirt wird, wenn man ihn bald nach dem Erwachen zu erinnern versucht, und dass seine Erinnerung gegen den Abend hin immer mehr und mehr lückenhaft wird. Zum andern Theil aber lässt sich erkennen, dass die Empfindung, man habe sehr viel mehr geträumt als man reproduciren kann, sehr häufig auf einer Illusion beruht, deren Entstehung späterhin erläutert werden soll. Die Annahme einer Verdichtung in der Traumarbeit wird überdies von der Möglichkeit des Traumvergessens nicht berührt, denn sie wird durch die Vorstellungsmassen erwiesen, die zu den einzelnen erhalten gebliebenen Stücken des Traumes gehören. Ist thatsächlich ein grosses Stück des Traumes für die Erinnerung verloren gegangen, so bleibt uns hiedurch etwa der Zugang zu einer neuen Reihe von Traumgedanken versperrt. Es ist eine durch nichts zu rechtfertigende Erwartung, dass die unter gegangenen Traumstücke sich gleichfalls nur auf jene Gedanken bezogen hätten, die wir bereits aus der Analyse der erhalten gebliebenen kennen.

§ 589

Angesichts der überreichen Menge von Einfällen, welche die Analyse zu jedem einzelnen Element des Trauminhaltes beibringt, wird sich bei manchem Leser der principielle Zweifel regen, ob man denn all das, was Einem bei der Analyse nachträglich einfällt, zu den Traumgedanken rechnen darf, d. h. annehmen darf, all diese Gedanken seien schon während des Schlafzustandes thätig gewesen und hätten an der Traumbildung mitgewirkt? Ob nicht vielmehr während des Analysirens neue Gedankenverbindungen entstehen, die an der Traumbildung unbetheiligt waren? Ich kann diesem Zweifel nur bedingt beitreten. Dass einzelne Gedankenverbindungen erst während der Analyse entstehen, ist allerdings richtig; aber man kann sich jedesmal überzeugen, dass solche neue Verbindungen sich nur zwischen Gedanken herstellen, die schon in den Traumgedanken in anderer Weise verbunden sind; die neuen Verbindungen sind gleichsam Nebenschliessungen, Kurzschlüsse, ermöglicht durch den Bestand anderer und tiefer liegender Verbindungswege. Für die Ueberzahl der bei der Analyse aufgedeckten Gedankenmassen muss man zugestehen, dass sie schon bei der Traumbildung thätig gewesen sind, denn wenn man sich durch eine Kette solcher Gedanken, die ausser Zusammenhang mit der Traumbildung scheinen, durchgearbeitet hat, stösst man dann plötzlich auf einen Gedanken, der im Trauminhalt vertreten, für die Traumdeutung unentbehrlich ist und doch nicht anders als durch jene Gedankenkette zugänglich war. Man vergleiche hiezu etwa den Traum von der botanischen Monographie, der als das Ergebnis einer erstaunlichen Verdichtungsleistung erscheint, wenngleich ich seine Analyse nicht vollständig mitgetheilt habe.

§ 590

Wie soll man sich aber dann den psychischen Zustand während des Schlafens, der dem Träumen vorangeht, vorstellen? Bestehen die Traumgedanken neben einander, oder werden sie nach einander durchlaufen, oder werden mehrere gleichzeitige Gedankengänge von verschiedenen Centren aus gebildet, die dann zusammentreffen? Ich meine, es liegt noch keine Nöthigung vor, sich von dem psychischen Zustand bei der Traumbildung eine plastische Vorstellung zu schaffen. Vergessen wir nur nicht, dass es sich um unbewusstes Denken handelt, und dass der Vorgang leicht ein anderer sein kann als der, welchen wir beim absichtlichen, von Bewusstsein begleiteten, Nachdenken in uns wahrnehmen.

§ 591

Die Thatsache aber, dass die Traumbildung auf einer Verdichtung, beruht, steht unerschütterlich fest. Wie kommt diese Verdichtung nun zu Stande?

§ 592

Wenn man erwägt, dass von den aufgefundenen Traumgedanken nur die wenigsten durch eines ihrer Vorstellungselemente im Traum vertreten sind, so sollte man schliessen, die Verdichtung geschehe auf dem Wege der Auslassung, indem der Traum nicht eine getreuliche Uebersetzung oder eine Projection Punkt für Punkt der Traumgedanken, sondern eine höchst unvollständige und lückenhafte Wiedergabe derselben sei. Diese Einsicht ist, wie wir bald finden werden, eine sehr mangelhafte. Doch fussen wir zunächst auf ihr und fragen uns weiter: Wenn nur wenige Elemente aus den Traumgedanken in den Trauminhalt gelangen, welche Bedingungen bestimmen die Auswahl derselben?

§ 593

Um hierüber Aufschluss zu bekommen, wendet man nun seine Aufmerksamkeit den Elementen des Trauminhaltes zu, welche die gesuchten Bedingungen ja erfüllt haben miissen. Ein Traum, zu dessen Bildung eine besonders starke Verdichtung beigetragen, wird für diese Untersuchung das günstigste Material sein. Ich wähle den auf Seite 114 mitgetheilten Traum von der botanischen Monographie.

§ 594

Trauminhalt: Ich habe eine Monographie über eine (unbestimmt gelassene) Pflanzenart geschrieben. Das Buch liegt vor mir, ich blättere eben eine eingeschlagene farbige Tafel um. Dem Exemplar ist ein getrocknetes Specimen der Pflanze beigebunden.

§ 595

Das augenfälligste Element dieses Traumes ist die botanische Monographie. Diese stammt aus den Eindrücken des Traumtages; in einem Schaufenster einer Buchhandlung hatte ich thatsächlich eine Monographie über die Gattung „Cyclamen“ gesehen. Die Erwähnung dieser Gattung fehlt im Trauminhalt, in dem nur die Monographie und ihre Beziehung zur Botanik übrig geblieben sind. Die „botanische Monographie“ erweist sofort ihre Beziehung zu der Arbeit über Cocain, die ich einmal geschrieben habe; vom Cocain aus geht die Gedankenverbindung einerseits zur Festschrift und zu gewissen Vorgängen in einem Universitätslaboratorium, andererseits zu meinem Freund, dem Augenarzt Dr. Königstein, der an der Verwerthung des Cocains seinen Antheilgehabt hat. An die Person des Dr. K. knüpft sich weiter die Erinnerung an das unterbrochene Gespräch, das ieh,abends zuvor mit ihm geführt, und die vielfältigen Gedanken über die Entlohnung ärztlicher Leistungen unter Collegen. Dieses Gespräch ist nun der eigentliche actuelle Traumerreger; die Monographie über Cyclamen ist gleichfalls eine Actualität, aber indifferenter Natur; wie ich sehe, erweist sich die „botanische Monographie“ des Traumes als ein mittleres Gemeinsames zwischen beiden Erlebnissen des Tages, von dem indifferenten Eindruck unverändert übernommen, mit dem psychisch bedeutsamen Erlebnis durch ausgiebigste Associationsverbindungen verknüpft.

§ 596

Aber nicht nur die zusammengesetzte Vorstellung „botanische Monographie“, sondern auch jedes ihrer Elemente „botanisch“ undMonographie“ gesondert geht durch mehrfache Verbindungen tiefer und tiefer in das Gewirre der Traumgedanken ein. Zu „botanisch gehören die Erinnerungen an die Person des Professors Gärtner, an seine blühende Frau, an meine Patientin, die Flora heisst, und an die Dame, von der ich die Geschichte mit den vergessenen Blumen erzählt habe. Gärtner führt neuerdings auf das Laboratorium und auf das Gespräch mit Königstein; in dasselbe Gespräch gehört die Erwähnung der beiden Patientinnen. Von der Frau mit den Blumen zweigt ein Gedankenweg zu den Lieblingsblumen meiner Frau ab, dessen anderer Ausgang im Titel der bei Tag flüchtig gesehenen Monographie liegt. Ausserdem erinnert „botanisch“ an eine Gymnasialepisode und an ein Examen der Universitätszeit, und ein neues in jenem Gespräch angeschlagenes Thema, das meiner Liebhabereien, knüpft sich durch Vermittlung meiner scherzhaft so genannten Lieblingsblume, der Artischocke an die von den von den vergessenen Blumen ausgehende Gedankenkette an; hinter „Artischocke“ steckt die Erinnerung an Italien einerseits und an eine Kinderscene andererseits, in der ich meine seither intim gewordenen Beziehungen zu Büchern eröffnet habe. „Botanisch“ ist also ein wahrer Knotenpunkt, in welchem für den Traum zahlreiche Gedankengänge zusammentreffen, die, wie ich versichern kann, in jenem Gespräch mit Fug und Recht in Zusammenhang gebracht worden sind. Man befindet sich hier mitten in einer Gedankenfabrik, in der wie im WeberMeisterstück.

§ 597

"„Ein Tritt tausend Fäden regt, Die Schifflein herüber, hinüber schiessen, Die Fäden ungesehen fliessen, Ein Schlag tausend Verbindungen schlägt“."

§ 598

Monographie“ im Traum rührt wiederum an zwei Themata, an die Einseitigkeit meiner Studien und an die Kostspieligkeit meiner Liebhabereien.

§ 599

Aus dieser ersten Untersuchung holt man sich den Eindruck, dass die Elemente „botanisch“ und „Monographie“ darum in den Trauminhalt Aufnahme gefunden haben, weil sie mit den meisten Traumgedanken die ausgiebigsten Berührungen aufweisen können, also Knotenpunkte darstellen, in denen sehr viele der Traum danken zusammentreffen, weil sie mit Bezug auf die Traumdeutung vieldeutig sind. Man kann die dieser Erklärung zu Grunde liegende Thatsache auch anders aussprechen und dann sagen: Jedes der Elemente des Trauminhaltes erweist sich als überdeterminirt, als mehrfach in den Traumgedanken vertreten.

§ 600

Wir erfahren mehr, wenn wir die übrigen Bestandtheile des Traumes auf ihr Vorkommen in den Traumgedanken prüfen. Die farbige Tafel, die ich aufschlage, geht (vergleiche die Analyse Seite 117) auf ein neues Thema, die Kritik der Collegen an meinen Arbeiten, und auf ein bereits im Traum vertretenes, meine Liebhabereien, ausserdem auf die Kindererinnerung, in der ich ein Buch mit farbigen Tafeln zerpflüicke; das getroeknete Exemplar der Pflanze rührt an das Gymnasialerlebnis vom Herbarium und hebt diese Erinnerung besonders hervor. Ich sehe also, welcher Art die Beziehung zwischen Trauminhalt und Traumgedanken ist: Nicht nur die Elemente des Traumes sind durch die Traumgedanken mehrfach determinirt, sondern die einzelnen Traumgedanken sind auch im Traum durch mehrere Elemente vertreten. Von einem Element des Traumes führt der Associationsweg zu mehreren Traumgedanken; von einem Traumgedanken zu mehreren Traumelementen. Die Traumbildung erfolgt also nicht so, dass der einzelne Traumgedanke oder eine Gruppe von solchen eine Abkürzung für den Trauminhalt liefert, und dann der nächste Traumgedanke eine nächste Abkürzung als Vertretung, etwa wie aus einer Bevölkerung Volksvertreter gewählt werden, sondern die ganze Masse der Traumgedanken unterliegt einer gewissen Bearbeitung, nach welcher die meist- und bestunterstützten Elemente sich für den Eintritt in den Trauminhalt herausheben, etwa der Wahl durch Listenscrutinium analog. Welchen Traum immer ich einer ähnlichen Zergliederung unterziehe, ich finde stets die nämlichen Grundsätze bestätigt, dass die Traumelemente aus der ganzen Masse der Traumgedanken gebildet werden, und dass jedes von ihnen in Bezug auf die Traumgedanken mehrfach determinirt erscheint.

§ 601

Es ist gewiss nicht überflüssig, diese Relation von Trauminhalt und Traumgedanken an einem neuen Beispiel zu erweisen, welches sich durch besonders kunstvolle Verschlingung der wechselseitigen Beziehungen auszeichnet. Der Traum rührt von einem Patienten her, den ich wegen Angst in geschlossenen Räumen behandle. Es wird sich bald ergeben, weshalb ich mich veranlasst finde, diese ausnehmend geistreiche Traumleistung in folgender Weise zu überschreiben:

§ 602

II. „Ein schöner Traum.“

§ 603

Er fährt mit grosser Gesellschaft in die Xstrasse, in der sich ein bescheidenes Einkehrwirthshaus befindet (was nicht richtig ist). In den Räumen desselben

§ 604

wird Theater gespielt; er ist bald Publicum, bald Schauspieler. Am Ende heisst es, man müsse sich umziehen, um wieder in die Stadt zukommen. Ein Theil des Personals wird in die Parterreräume verwiesen ein anderer in die des ersten Stockes. Dann entsteht ein Streit. Die oben ärgern sich, dass die unten noch nicht fertig sind, so dass sie nicht herunter können. Sein Bruder ist oben, er unten, und er ärgert sich über den Bruder, dass man so gedrängt wird. (Diese Parie unklar) Es war übrigens sehon beim Ankommen bestimmt und eingetheilt, wer oben und wer unten sein soll. Dann gehterallein über die Anhöhe, welche die Xstrasse gegen die Stadt hin macht, und geht so schwer, so mühselig, dass er nicht von der Stelle kommt. Ein älterer Herr gesellt sich zu ihm und schimpft über den König von Italien. Am Ende der Anhöhe geht er dann viel leichter.

§ 605

Die Beschwerden beim Steigen waren so deutlich, dass er nach dem Erwachen eine Weile zweifelte, ob es Traum oder Wirklichkeit war.

§ 606

Dem manifesten Inhalt nach wird man diesen Traum kaum loben können. Die Deutung will ich regelwidrig mit jenem Stück beginnen, welches vom Träumer als das deutlichste bezeichnet wurde.

§ 607

Die geträumte und wahrscheinlich im Traum verspürte Beschwerde, das mühselige Steigen unter Dyspnoe, ist eines der Symptome, die der Patient vor Jahren wirklich gezeigt hatte, und wurde damals im Verein mit anderen Erscheinungen auf eine (wahrscheinlich hysterisch vorgetäuschte) Tuberculose bezogen. Wir kennen bereits diese dem Traum eigenthümliche Sensation der Gehhemmung aus den Exhibitionsträumen und finden hier wieder, dass sie als ein allezeit bereit liegendes Material zu Zwecken irgend welcher anderen Darstellung verwendet wird. Das Stück des Trauminhaltes, welches beschreibt, wie das Steigen anfänglich schwer war, und am Ende der Anhöhe leicht wurde, erinnerte mich bei der Erzählung des Traumes an die bekannte meisterhafte Introduction der „Sappho“ von A. Daudet. Dort trägt ein junger Mann die Geliebte die Treppen hinauf, anfänglich wie federleicht; aber je weiter er steigt, desto schwerer lastet sie auf seinen Armen, und diese Scene ist vorbildlich für den Verlauf des Verhältnisses, durch dessen Schilderung Daudet die Jugend mahnen will, eine ernstere Neigung nicht an Mädchen von niedriger Herkunft und zweifelhafter Vergangenheit zu verschwenden. Obwohl ich wusste, dass mein Patient vor Kurzem ein Liebesverhältnis mit einer Dame vom Theater unterhalten und gelöst hatte, erwartete ich doch nicht, meinen Deutungseinfall berechtigt zu finden. Auch war es ja in der Sappho umgekehrt wie im Traum; in letzterem war das Steigen anfänglich schwer und späterhin leicht; im Roman diente es der Symbolik nur, wenn das, was zuerst leicht genommen wurde, sich am Ende als eine schwere Last erwies. Zu meinem Erstaunen bemerkte der Patient, die Deutung stimme sehr wohl zum Inhalt des Stückes, das er am Abend vorher im Theater gesehen. Das Stück hiess: „Rund um Wien“ und behandelte den Lebenslauf eines Mädchens, das zuerst anständig, dann zur Demimonde übergeht, Verhältnisse mit hochstehenden Personen anknüpft, dadurch „in die Höhe kommt“, endlich ,aber immer mehr „herunter kommt“. Das Stück hatte ihn auch, an ein anderes vor Jahren gespieltes erinnert, welches den Titel trug: „Von Stufe zu Stufe“, und auf dessen Ankündigung eine. aus mehreren Stufen bestehende Stiege zu sehen war.

§ 608

Nun die weitere Deutung. In der Xstrasse hatte die Schauspielerin gewohnt, mit welcher er das letzte, beziehungsreiche Verhältnis unterhalten. Ein Wirthshaus gibt es in dieser Strasse nicht. Allein, als er der Dame zuliebe einen Theil des Sommers in Wien verbrachte, war er in einem kleinen Hotel in der Nähe abgestiegen. Beim Verlassen des Hotels sagte er dem Kutscher: Ich bin froh, dass ich wenigstens kein Ungeziefer bekommen habe: (Uebrigens auch eine seiner Phobien.) Der Kutscher darauf: Wie kann man aber da absteigen! Das ist ja gar kein Hotel, eigentlich nur ein Einkehrwirthshaus.

§ 609

An das Einkehrwirthshaus knüpft sich ihm sofort die Erinnerung eines Citates:

§ 610

"„Bei einem Wirthe wundermild, Da war ich jüngst zu Gaste.“"

§ 611

Der Wirth im Uhland’schen Gedicht ist aber ein Apfelbaum.

§ 612

Nun setzt ein zweites Citat die Gedankenkette fort:

§ 613

" Faust (mit der Jungen tanzend)."

§ 614

"Einst hatt’ ich einen schönen Traum; Da sah ich einen Apfelbaum, Zwei schöne Aepfel glänzten dran, Sie reizten mich, ich stieg hinan."

§ 615

" Die Schöne."

§ 616

"Der Aepfelchen begehrt ihr sehr, Und schon vom Paradiese her. Von Freuden fühl’ ich mich bewegt, Dass auch mein Garten solche trägt."

§ 617

Es ist nicht der leiseste Zweifel möglich was unter dem Apfelbaum und den Aepfelchen gemeint ist. Ein schöner Busen stand auch obenan unter den Reizen, durch welche die Schauspielerin meinen Träumer gefesselt hatte.

§ 618

Wir hatten nach dem Zusammenhang der Analyse allen Grund anzunehmen, dass der Traum auf einen Eindruck aus der Kindheit zurückgehe. Wenn dies richtig war, so musste er sich auf die Amme des jetzt bald fünfzigjährigen Mannes beziehen. Für das Kind ist der Busen der Amme thatsächlich das Einkehrwirthshaus. Die Amme sowohl als die Sappho Daudet’s erscheinen als Anspielung auf die vor Kurzem verlassene Geliebte.

§ 619

Im Trauminhalt erscheint auch der (ältere) Bruder des Patienten, und zwar ist dieser oben, er selbst unten. Dies ist wieder eine Umkehrung des wirklichen Verhältnisses, denn der Bruder hat, wie mir bekannt ist, seine sociale Position verloren, mein Patient sie erhalten. Der Träumer vermied bei der Reproduetion des Trauminhaltes zu sagen: Der Bruder sei oben, er selbst „parterre“ gewesen. Es wäre eine zu deutliche Aeusserung geworden, denn man sagt bei uns von einer Person, sie ist „parterre“, wenn sie Vermögen und Stellung eingebüsst hat, also in ähnlicher Uebertragung, wie man „heruntergekonmmen“ gebraucht. Es muss nun einen Sinn haben, dass an dieser Stelle im Traum etwas umgekehrt dargestellt ist. Die Umkehrung muss auch für eine andere Beziehung zwischen Traumgedanken und Trauminhalt gelten. Es liegt der Hinweis darauf vor, wie diese Umkehrung vorzunehmen ist. Ofenbar am Ende des Traumes, wo es sich mit dem Steigen wiederum umgekehrt verhält wie in der Sappho. Dann ergibt sich leicht, welche Umkehrung gemeint ist: In der Sappho trägt der Mann das zu ihm in sexuellen Beziehungen stehende Weib; in den Traumgedanken handelt es sich also umgekehrt um ein Weib; das den Mann trägt, und da dieser Fall sich nur in der Kindheit ereignen kann, bezieht er sich wieder auf die Amme, die schwer an dem Säugling trägt. Der Schluss des Traumes trifft es also, die Sappho und die Amme in der nämlichen Andeutung darzustellen.

§ 620

Wie der Name Sappho vom Dichter nicht ohne Beziehung auf eine lesbische Gewohnheit gewählt ist, so deuten die Stücke de Traumes, in denen Personen oben und unten beschäftigt sind auf Phantasien sexuellen Inhalts, die den Träumer beschäftigen und als unterdrückte Gelüste nicht ausser Zusammenhang mit seiner Neurose stehen. Dass es Phantasien und nicht Erinnerungen der thatsächlichen Vorgänge sind, die so im Traum dargestellt werden, zeigt die Traumdeutung selbst nicht an; dieselbe liefert uns nur einen Gedankeninhalt und überlässt es uns, dessen Realitätswerth festzustellen. Wirkliche und phantasirte Begebenheiten erscheinen hier — und nicht nur hier, auch bei der Schöpfung wichtigerer psychischer Gebilde als der Träume — zunächst als gleichwertig. Grosse Gesellschaft bedeutet, wie wir bereits wissen, Geheimnis. Der Bruder ist nichts Anderes, als der in die Kindheitsscene durch „Zurückphantasiren“ eingetragene Vertreter aller späteren Nebenbuhler beim Weibe. Die Episode von dem Herrn, der auf den König von Italien schimpft, bezieht sich dureh Vermittlung eines recenten und an sich gleichgiltigen Erlebnisses wiederum auf das Eindrängen von Personen niederen Standes in höhere Gesellschaft. Es ist, als ob der Warnung, welche Daudet dem Jüngling ertheilt, eine ähnliche, für das säugende Kind giltige, an die Seite gestellt werden sollte.*)*)

§ 621

Um ein drittes Beispiel für das Studium der Verdichtung bei der Traumbildung bereit zu haben, theile ich die partielle Analyse eines anderen Traumes mit, den ich einer älteren, in psychoanalytischer Behandlung stehenden Dame verdanke. Den schweren Angstzuständen entsprechend, an denen die Kranke litt, enthielten ihre Träume überreichlich sexuelles Gedankenmaterial, dessen Kenutnisnahme sie Anfangs ebenso sehr überraschte wie erschreckte. Da ich die Traumdeutung nicht bis an’s Ende führen kann, scheint das Traummaterial in mehrere Gruppen ohne sichtbaren Zusammenhang zu zerfallen.

§ 622

III. Trauminhalt: Sie besinn tsich, dass sie zwei Maikäfer in einer Schachtel hat, denen sie die Freiheit geben muss, weil sie sonst ersticken. Sie öffnet die Schachtel, die Käfer sind ganz matt; einer fliegt zum geöffneten Fenster heraus, der andere aber wird vom Fensterflügel zerquetscht, während siedas Fenster schliesst, wie irgend jemand von ihr verlangt (Aeusserungen des Ekels).

§ 623

Analyse: Ihr Mann ist verreist, die vierzehnjährige Tochter schläft im Bette neben ihr. Die Kleine macht sie am Abend aufmerksam, dass eine Motte in ihr Wasserglas gefallen ist; sie versäumt es aber sie herauszuholen und bedauert das arme Thierchen am MöOrgen. In ilirer Abendlectüre war erzählt, wie Buben eine Katze. in siedendes Wasser werfen, und die Zuckungen des Thieres geschildert. Dies sind die beiden an sich gleichgiltigen Traumanlässe. Das Thema von der Grausamkeit gegen Thiere beschäftigt sie weiter. Ihre Tochter war vor Jahren, als sie in einer gewissen Gegend zum Sommer wohnten, sehr grausam gegen das Gethier. Sie legte sich eine Schmetterlingsammlung an und verlangte, von ihr Arsenik zur Tödtung der Schmetterlinge. Einmal kam es vor, dass ein Nachtfalter mit der Nadel durch den Leib noch lange im Zimmer herum flog; ein andermal fanden sich einige Raupen, die zur Verpuppung aufbewahrt wurden, verhungert. Dasselbe Kind pflegte in noch zarterem Alter Käfern und Schmetterlingen die Flügel auszureissen; heute würde sie vor all diesen grausamen Handlungen zurückschrecken; sie ist so gutmüthig geworden.

*) Die phantastische Natur der auf die Amme des Träumers bezüglichen Situation wird durch den objectiv erhobenen Umstand erwiesen, dass die Amme in diesem Fall die Mutter war, Ich erinnere übrigens an das auf Seite 141 erwähnte Bedauern des jungen Mannes der Anekdote, die Situation bei seiner Amme nicht besser ausgenützt zu haben, welches wohl die Quelle dieses Traumes ist. § 624

Dieser Widerspruch beschäftigt sie. Er erinnert an einen anderen Widerspruch, den zwischen Aussehen und Gesinnung, wie er in Adam Bede von der Elliot dargestellt ist. Ein schönes, aber eitles und ganz dummes Mädchen, daneben ein hässliches, aber edles. Der Aristokrat, der das Gänschen verführt; der Arbeiter, der adelig fühlt und sich ebenso benimmt. Man kann das den Leuten nicht ansehen. Wer würde ihr ansehen, dass sie von sinnlichen Wünschen geplagt wird?

§ 625

In demselben Jahre, als die Kleine ihre Schmetterlingssammlung anlegte, litt die Gegend arg unter der Maikäferplage. Die Kinder wütheten gegen die Käfer, zerquetschten sie grausam. Sie hat damals einen Menschen gesehen, der den Maikäfern die Flügel ausriss und die Leiber dann verspeiste. Sie selbst ist im Mai geboren, hat auch im Mai geheirathet. Drei Tage nach der Hochzeit schrieb sie den Eltern einen Brief nach Hause, wie glücklich sie sei. Sie war es aber keineswegs.

§ 626

Am Abend vor dem Traum hatte sie in alten Briefen gekramt und verschiedene ernste und komische Briefe den Ihrigen vorgelesen so einen höchst lächerlichen Brief eines Clavierlehrers, der ihr als Mädchen den Hof gemacht hatte, auch den eines aristokratischen Verehrers.*)*)

§ 627

Sie macht sich Vorwürfe, dass eine ihrer Töchter ein schlechtes Buch von Maupassant in die Hand bekommen.**)**) Der Arsenik, den ihre Kleine verlangt, erinnert sie an die Arsenikpillen, die dem Duc de Mora im Nabab die Jugendkraft wiedergeben.

§ 628

Zu „Freiheit geben“ fällt ihr die Stelle aus der Zauberflöte ein:

§ 629

"„Zur Liebe kann ich Dich nicht zwingen, Doch geb’ ich Dir die Freiheit nicht.“"

§ 630

Zu den „Maikäfern“ noch die Rede des Käthchens:***)***)

§ 631

"„Verliebt ja bist Du wie ein Käfer mir.“"

§ 632

Dazwischen Tannhäuser: „Weil Du von böser Lust beseelt —“

§ 633

Sie lebt in Angst und Sorge um den abwesenden Mann. Die Furcht, dass ihm auf der Reise etwas zustosse, äussert sich in zahlreichen Phantasien des Tages. Kurz vorher hatte sie in ihren unbewussten Gedanken während der Analyse eine Klage über seine „Greisenhaftigkeit“ gefunden. Der Wunschgedanke, welchen dieser Traum verhüllt, lässt sich vielleicht am besten errathen, wenn ich erzähle, dass sie mehrere Tage vor dem Traum plötzlich mitten in ihren Beschäftigungen durch den gegen ihren Mann gerichteten Imperativ erschreckt wurde: Häng’ Dich auf. Es ergab sich, dass sie einige Stunden vorher irgendwo gelesen hatte, beim Erhängen stelle sich eine kräftige Erection ein. Es war der Wunsch nach dieser Erection, der in dieser Schrecken erregenden Verkleidung aus der Verdrängung wiederkehrtee „Häng’ Dich auf“, besagte so viel als „Verschaff’ Dir eine Erection um jeden Preis“. Die Arsenikpillen des Dr. Jenkins im Nabab gehören hieher; es war der Patientin aber auch bekannt, dass man das stärkste Aphrodisiacum, Canthariden, durch Zerquetschen von Käfern bereitet (sog. spanische Fliegen). Auf diesen Sinn zielt der Hauptbestandtheil des Trauminhaltes.

*) Dies ist der eigentliche Traumerreger. **) Zu ergänzen: Solche Lectüre sei Gift für ein junges Mädchen. Sie selbst hat in ihrer Jugend viel aus verbotenen Büchern geschöpft. ***) Ein weiterer Gedankengang führt zur Penthesileia desselben Dichters; Grausamkeit gegen den Geliebten. § 634

Das Fensteröffnen und Schliessen ist eine der ständigen Differenzen mit ihrem Manne. Sie selbst schläft aërophil, der Mann aërophob. Die Mattigkeit ist das Hauptsymptom, über das sie in diesen Tagen zu klagen gehabt hat.

§ 635

In allen drei hier mitgetheilten Träumen habe ich durch die Schrift hervorgehoben, wo eines der Traumelemente in den Traumgedanken wiederkehrt, um die mehrfache Beziehung der ersteren augenfällig zu machen. Da aber für keinen dieser Träume die Analyse bis an’s Ende geführt ist, verlohnt es sich wohl, auf einen Traum mit ausführlicher mitgetheilter Analyse einzugehen, um die Ueberdeterminirung des Trauminhaltes an ihm zu erweisen. Ich wähle hiefür den Traum von Irma’s Injection. Wir werden an diesem Beispiel mühelos erkennen, dass die Verdichtungsarbeit bei der Traumbildung sich mehr als nur eines Mittels bedient.

§ 636

Die Hauptperson des Trauminhaltes ist die Patientin Irma, die mit den ihr im Leben zukommenden Zügen gesehen wurde und also zunächst sich selbst darstellt. Die Stellung aber, in welcher ich sie beim Fenster untersuche, ist von einer Erinnerung an eine andere Person hergenommen, von jener Dame, mit der ich meine Patientin vertauschen möchte, wie die Traumgedanken zeigen. Insoferne Irma einen diphtheritischen Belag erkennen lässt, bei dem die Sorge um meine älteste Tochter erinnert wird, gelangt sie zur Darstellung dieses meines Kindes, hinter welchem, durch die Namensgleichheit mit ihr verknüpft, die Person einer durch Intoxication verlorenen Patientin sich verbirgt. Im weiteren Verlauf des Traumes wandelt sich die Bedeutung von Irma’s Persönlichkeit (ohne dass ihr im Traum gesehenes Bild sich änderte); sie wird zu einem der Kinder, die wir in der öffentlichen Ordination des Kinder Krankeninstitutes untersuchen, wobei meine Freunde die Verschiedenheit ihrer geistigen Anlagen erweisen. Der Uebergang wurde offenbar durch die Vorstellung meiner kindlichen Tochter vermittelt. Durch das Sträuben beim Mundöffnen wird dieselbe Irma zur Anspielung auf eine andere, einmal von mir untersuchte Dame, ferner in demselben Zusammenhang auf meine eigene Frau. In den krankhaften Veränderungen, die ich in ihrem Hals entdecke, habe ich überdies Anspielungen auf eine ganze Reihe von noch anderen Personen zusammengetragen.

§ 637

All diese Personen, auf die ich bei der Verfolgung von „Irma“ gerathe, treten im Traum nicht leibhaftig auf; sie verbergen sich hinter der Traumperson „Irma“, welche so zu einem Sammelbild mit allerdings widerspruchsvollen Zügen ausgestaltet wird. Irma wird zur Vertreterin dieser anderen, bei der Verdichtungsarbeit, hingeopferten Personen, indem ich an ihr all das vorgehen lasse, was mich Zug für Zug an diese Personen erinnert.

§ 638

Ich kann mir eine Sammelperson auch auf andere Weise für die Traumverdichtung herstellen, indem ich actuelle Züge zweier oder mehrerer Personen zu einem Traumbilde vereinige. Solcher Art ist der Dr. M. meines Traumes entstanden, er trägt den Namen des Dr. M., spricht und handelt wie er; seine leibliche Charakteristik und sein Leiden sind die einer anderen Person, meines ältesten Bruders; ein einziger Zug, das blasse Aussehen, ist doppelt determinirt, indem er in der Realität beiden Personen gemeinsam ist. Eine ähnliche Mischperson ist der Dr. R. meines Onkeltraumes. Hier aber ist das Traumbild noch auf andere Weise bereitet. Ich habe nicht Züge, die dem Einen eigen sind, mit Zügen des Anderen vereinigt und dafür das Erinnerungsbild jedes Einen um gewisse Züge verkürzt, sondern ich habe das Verfahren eingeschlagen, nach welchem Galton seine Familienporträts erzeugt, nämlich beide Bilder auf einander projicirt, wobei die gemeinsamen Züge verstärkt hervortreten, die nicht zusammen stimmenden einander auslöschen und im Bilde undeutlich werden. Im Onkeltraum hebt sich’so als verstärkter Zug aus der zwei Personen gehörigen und darum verschwommenen Physiognomie der blonde Bart kervor, der überdies eine Anspielung auf meinen Vater und auf mich enthält, vermittelt durch die Beziehung zum Ergrauen.

§ 639

Die Herstellung von Sammel- und Mischpersonen ist eines der Hauptarbeitsmittel der Traumverdichtung. Es wird sich bald der Anlass ergeben, sie in einem anderen Zusammenhange zu behandeln.

§ 640

Der Einfall „Dysenterie“ im Injectionstraum ist gleichfalls mehrfach determinirt, einerseits durch den parapbasischen Gleichklang mit Diphtherie, andererseits durch die Beziehung auf den von mir in den Orient geschiekten Patienten, dessen Hysterie verkannt wird.

§ 641

Als ein interessanter Fall von Verdichtung erweist sich auch die Erwähnung von „Propylen“ im Traum. In den Traumgedanken war nicht „Propylen“ sondern „Amylen“ enthalten. Man könnte meinen, dass hier eine einfache Verschiebung bei der Traumbildung Platz gegriffen hat. So ist es auch, allein diese Verschiebung dient den Zwecken der Verdichtung, wie folgender Nachtrag zur Traumanalyse zeigt. Wenn meine Aufmerksamkeit bei dem WortePropylen“ noch einen Moment Halt macht, so fällt mir der Gleichklang mit dem Worte „Propyläen“ ein. Die Propyläen befinden sich aber nicht nur in Athen, sondern auch in München. In dieser Stadt habe ich ein Jahr vor dem Traum meinen damals schwer kranken Freund aufgesucht, dessen Erwähnung durch das bald auf Propylen folgende Trimethylamin des Traumes unverkennbar wird.

§ 642

Ich gehe über den auffälligen Umstand hinweg, dass hier und anderswo bei der Traumanalyse Assoeiationen von der verschiedensten Werthigkeit, wie gleichwerthig, zur Gedankenverbindung benutzt werden, und gebe der Versuchung nach, mir den Vorgang bei der Ersetzung von Amylen in den Traumgedanken durch Propylen in dem Trauminhalt gleichsam plastisch vorzustellen.

§ 643

Hier befinde sich die Vorstellungsgruppe meines Freundes Otto, der mich nicht versteht, mir Unrecht gibt und mir nach Amylen duftenden Liqueur schenkt; dort durch Gegensatz verbunden die meines Berliner Freundes, der mich versteht, mir Recht geben würde, und dem ich soviel werthvolle Mittheilungen, auch über die Chemie der Sexualvorgänge, verdanke.

§ 644

Was aus der Gruppe Otto meine Aufmerksamkeit besonders erregen soll, ist durch die recenten, den Traum erregenden Anlässe bestimmt; das Amylen gehört zu diesen ausgezeichneten, für den Trauminhalt prädestinirten Elementen. Die reiche Vorstellungsgruppe „Wilhelm“ wird geradezu durch den Gegensatz zu Otto belebt und die Elemente in ihr hervorgehoben, welche an die bereits erregten in Otto anklingen. In diesem ganzen Traum recurrire ich ja von einer Person, die mein Missfallen erregt, auf eine andere, die ich ihr nach Wunsch entgegenstellen kann, rufe ich Zug für Zug den Freund gegen den Widersacher auf. So erweckt das Amylen bei Otto auch in der anderen Gruppe Erinnerungen aus dem Kreis der Chemie; das Trimethylamin, von mehreren Seiten her unterstützt, gelangt in den Trauminhalt. Auch „Amylen“ könnte unverwandelt in den Trauminhalt kommen, es unterliegt aber der Einwirkung der Gruppe „Wilhelm“ indem aus demganzen Erinnerungsumfang, den dieser Name deckt, ein Element hervorgesucht wird, welches eine doppelte Determinirung für Amylen ergeben kann. Inder Nähe von Amylen liegt für die Association „Propylen“; aus dem Kreise „Wilhelm“ kommt ihm München mit den Propyläen entgegen. In Propylen-Propyläen treffen beide Vorstellungskreise zusammen. Wie durch einen Compromiss gelangt dieses mittlere Element dann in den Trauminhalt. Es ist hier ein mittleres Gemeinsames geschaffen worden, welches mehrfache Determinirung zulässt. Wir greifen so mit Händen, dass die mehrfache Determinirung das Durchdringen in den Trauminbalt erleichtern muss. Zum Zwecke dieser Mittelbildung ist unbedenklich eine Verschiebung der Aufmerksamkeit von dem eigentlich Gemeinten zu einem in der Assoeiation nahe Liegenden vorgenommen worden.

§ 645

Das Studium des Injectionstraumes gestattet uns bereits einige Uebersicht über die Verdichtungsvorgänge bei der Traumbildung zu gewinnen. Wir konnten die Auswahl der mehrfach in den Traumgedanken vorkommenden Elemente, die Bildung neuer Einheiten (Sammelpersonen, Mischgebilde) und die Herstellung von mittleren Gemeinsamen als Einzelheiten der Verdichtungsarbeit erkennen. Wozu die Verdichtung dient und wodurch sie gefordert wird, werden wir uns erst fragen, wenn wir die psychischen Vorgänge bei der Traumbildung im Zusammenhange erfassen wollen. Begnügen wir uns jetzt mit der Feststellung der Traumverdichtung als einer bemerkenswerthen Relation zwischen Traumgedanken und Trauminhalt.

§ 646

Am greifbarsten wird die Verdichtungsarbeit des Traumes, wenn sie Worte und Namen zu ihren Objecten gewählt hat. Worte werden vom Traum überhaupt häufig wie Dinge behandelt und erfahren dann dieselben Zusammensetzungen, Verschiebungen, Ersetzungen und also auch Verdichtungen wie die Dingvorstellungen. Komische und seltsame Wortschöpfungen sind das Ergebnis solcher Träume. Als mir einmal ein College einen von ihm verfassten Aufsatz überschickte, in welchem eine physiologische Entdeckung der Neuzeit nach meinem Urtheil überschätzt und vor Allem in überschwänglichen Ausdrücken abgehandelt war, da träumte ich die nächste Nacht einen Satz, der sich offenbar auf diese Abhandlung bezog: „Das ist ein wahrhaft norekdaler Styl.“ Die Auflösung des Wortgebildes bereitete mir anfänglich Schwierigkeiten; es war nicht zweifelhaft, dass es den Superlativen „kolossal, pyramidal“ parodistisch nachgeschaffen war; aber woher es stammte, war nicht leicht zu sagen. Endlich zerfiel mir das Ungethüm in die beiden Namen Nora und Ekdal aus zwei bekannten Schauspielen von Ibsen. Von demselben Autor, dessen letztes Opus ich im Traum also kritisirte, hatte ich vorher einen Zeitungsaufsatz über Ibsen gelesen.

§ 647

II. Eine meiner Patientinnen theilt mir einen kurzen Traum mit, der in eine unsinnige Wortcombination ausläuft. Sie befindet sich mit ihrem Manne bei einer Bauernfestlichkeit und sagt dann: Das wird in einen allgemeinenMaistollmütz“ ausgehen. Dabei im Traum der dunkle Gedanke, das sei eine Mehlspeise aus Mais, eine Art Polenta. Die Analyse zerlegt das Wort in Mais—toll—mannstoll—Olmütz, welche Stücke sich sämmtlich als Reste einer Conversation bei Tisch mit ihren Verwandten erkennen lassen. Hinter Mais verbargen sich ausser der Anspielung auf die eben eröffnete Jubiläumsausstellung die Worte: Meissen (eine Meissner Porzellanfigur, die einen Vogel darstellt), Miss (die Engländerin ihrer Verwandten war nach Ölmütz gereist) mies=ekel, übel im scherzhaft gebrauchten jüdischen Jargon, und eine lange Kette von Gedanken und Anknüpfungen ging von jeder der Silben des Wortklumpens ab.

§ 648

Ill. Ein junger Mann, bei dem ein Bekannter spät Abends angeläutet hat, um eine Besuchskarte abzugeben, träumt in der darauffolgenden Nacht: Ein Geschäftsmann wartet spät Abends, um den Zimmertelegraphen zu richten. Nachdem er weggegangen ist, läutet es noch immer nieht continuirlich, sondern nur in einzelnen Schlägen. Der Diener holt den Mann wieder, und der sagt: Es ist doch merkwürdig, dass auch Leute, die sonst tutelrein sind, solche Angelegenheiten nicht zu behandeln verstehen.

§ 649

Der indifferente Traumanlass deckt, wie man sieht, nur eines der Elemente des Traumes. Zur Bedeutung ist er überhaupt nur gekommen, indem er sich an ein früheres Erlebnis des Träumers angereiht hat, das, an sich auch gleichgiltig, von seiner Phantasie mit stellvertretender Bedeutung ausgestattet wurde. Als Knabe, der mit seinem Vater wohnte, schüttete er einmal schlaftrunken ein Glas Wasser auf den Boden, so dass das Kabel des Zimmertelegraphen durchtränkt wurde, und das continuirliche Läuten den Vater im Schlaf störte. Da das continuirliche Läuten dem Nasswerden entspricht, so werden dann „einzelne Schläge“ zur Darstellung des Tropfenfallens verwendet. Das Wort „tutelrein zerlegt sich aber nach drei Richtungen und zielt damit auf drei der.in den Traumgedanken vertretenen Materien: „Tutel“=Curatel bedeutet Vormundschaft; Tutel (vielleicht „Tuttel“) ist eine vulgäre Bezeichnung der weiblichen Brust, und der Bestandtheilrein“ übernimmt die ersten Silben des Zimmertelegraphen um „Zimmerrein“ zu bilden, was mit dem Nassmachen des Fussbodens viel zu thun bat und überdies an einen der in der Familie des Träumers vertretenen Namen anklingt.*)*)

§ 650

IV. In einem längeren wüsten Traum von mir, der eine Schiffsreise zum scheinbaren Mittelpunkt hat, kommt es vor, dass die nächste Station Hearsing heisst, die nächst weitere aber Fliess. Letzteres ist der Name meines Freundes in B., der oft das Ziel meiner Reise gewesen ist. Hearsing aber ist combinirt aus den Ortsnamen unserer Wiener Localstrecke, die so häufig auf ing ausgehen: Hietzing, Liesing, Mödling (Medelitz, „meae deliciae“ der alte Name, also „meine Freud’“) und dem englischen Hearsay=Hörensagen, was auf Verleumdung deutet und die Beziehung zu dem indifferenten Traumerreger des Tages herstellt, einem Gedicht in den „Fliegenden Blättern“ von einem verleumderischen Zwerg, „Sagter Hatergesagt“. Durch Beziehung der Endsilbe „ing“ zum Namen Fliess gewinnt man „Vlissingen“, wirklich die Station der Seereise, die mein Bruder berührt, wenn er von England zu uns auf Besuch kommt. Der englische Name von Vlissingen lautet aber Flushing, was in englischer Sprache Erröthen bedeutet und an die Patienten mit „Erröthensangst“ mahnt, die ich behandle, auch an eine recente Publication Bechterew’s über diese Neurose, die mir Anlass zu ärgerlichen Empfindungen gegeben hat.

*) Die nämliche Zerlegung und Zusammensetzung der Silben — eine wahre Silbenchemie — dient uns im Wachen zu mannigfachen Scherzen, „Wie gewinnt man auf die billigste Art Silber? Man begibt sich in eine Allee, in der Silberpappeln stehen, gebietet Schweigen, dann hört das „Pappeln” (Schwätzen) auf, und das Silber wird frei.“ Der erste Leser und Kritiker dieses Buches hat mir den Einwand gemacht, den die späteren wahrscheinlich wiederholen werden, „dass der Träumer oft zu witzig erscheine“. Das ist richtig, so lange es nur auf den Träumer bezogen wird, involvirt einen Vorwurf nur dann, wenn es auf den Traumdeuter übergreifen soll. In der wachen Wirklichkeit kann ich wenig Anspruch auf das Prädicat „witzig“ erheben; wenn meine Träume witzig erscheinen, so liegt es nicht an meiner Person, sondern an den eigenthümlichen psychologischen Bedingungen, unter denen der Traum gearbeitet wird, und hängt mit der Theorie des Witzigen und Komischen intim zusammen. Der Traum wird witzig, weil ihm der gerade und nächste Weg zum Ausdruck seiner Gedanken gesperrt ist; er wird es nothgedrungen. Die Leser können sich überzeugen, dass die Träume meiner Patienten den Eindruck des Witzigen (Witzelnden) im selben und im höheren Grade machen wie die meinen. § 651

V. Ein anderes Mal habe ich einen Traum, der aus zwei gesonderten Stücken besteht. Das erste ist das lebhaft erinnerte Wort „Autodidasker“, das andere deckt sich getreu mit einer vor Tagen producirten, kurzen und harmlosen Phantasie des Inhalts, dass ich dem Professor N., wenn ich ihn nächstens sehe, sagen muss: „Der Patient, über dessen Zustand ich Sie zuletzt consultirt habe, leidet wirklich nur an einer Neurose, ganz wie Sie vermuthet haben.“ Das neugebildete „Autodidasker“ hat nun nicht nur der Anforderung zu genügen, dass es comprimirten Sinn enthält oder vertritt, es soll auch dieser Sinn in gutem Zusammenhange mit meinem aus dem Wachen wiederholten Vorsatze stehen, dem Professor N. jene Genugthuung zu geben.

§ 652

Nun zerlegt sich Autodidasker leicht in Autor, Autodidakt und Lasker, an den sich der Name Lasalle schliesst. Die ersten dieser Worte führen zu der — dieses Mal bedeutsamen — Veranlassung des Traumes. Ich hatte meiner Frau mehrere Bände eines bekannten Autors mitgebracht, mit dem mein Bruder befreundet ist, und der, wie ich erfahren habe, aus demselben Orte stammt wie ich (J. J. David). Eines Abends sprach sie mit mir über den tiefen Eindruck, den ihr die ergreifend traurige Geschichte eines verkommenen Talentes in einer der David’schen Novellen gemacht hatte, und unsere Unterhaltung wendete sich darauf den Spuren von Begabung zu, die wir an unseren eigenen Kindern wahrnehmen. Unter der Herrschaft des eben Gelesenen äusserte sie eine Besorgnis, die sich auf die Kinder bezog, und ich tröstete sie mit der Bemerkung, dass gerade solehe Gefahren durch die Erziehung abgewendet werden können. In der Nacht ging mein Gedankengang weiter, nahm die Besorgnisse meiner Frau auf und verwob allerlei Anderes damit. Eine Aeusserung, die der Dichter gegen meinen Bruder in Bezug auf das Heirathen gethan hatte, zeigte meinen Gedanken einen Nebenweg, der zur Darstellung im Traum führen konnte. Dieser Weg leitete nach Breslau, wohin eine uns sehr befreundete Dame geheirathet hatte. Für die Besorgnis, am Weibe zu Grunde zu gehen, die den Kern meiner Traumgedanken bildete, fand ich in Breslau die Exempel Lasker und Lasalle auf, die mir gleichzeitig. die beiden Arten dieser Beeinflussung zum Unheil darzustellen gestatteten.*)*) Das „Cherchez la femme“, in dem sich diese Gedanken zusammenfassen lassen, bringt mich in anderem Sinn auf meinen noch unverheiratheten Bruder, der Alexander heisst. Nun merke ich, dass Alex, wie wir den Namen abkürzen, fast wie eine Umstellung von Lasker klingt, und dass dieses Moment mitgewirkt haben muss, meinen Gedanken die Umwegsriehtung iiber Breslau mitzutheilen.

§ 653

Die Spielerei mit Namen und Silben, die ich hier treibe, enthält aber noch einen weiteren Sinn. Sie vertritt den Wunsch eines glücklichen Familienlebens für meinen Bruder und zwar auf folgendem Weg. Indem Künstlerroman L’oeuvre, der meinen Traumgedanken inhaltlich nahe liegen musste, hat der Dichter bekanntlich sich selbst und sein eigenes Familienglück episodisch mitgeschildert und tritt darin unter dem Namen Sandoz auf. Wahrscheinlich hat er bei der Namensverwandlung folgenden Weg eingeschlagen. Zola gibt umgekehrt (wie die Kinder so gerne zu thun pflegen) Aloz. Das war ihm wohl noch zu unverhüllt; darum ersetzte sich ihm die Silbe Al, die auch den Namen Alexander einleitet, durch die dritte Silbe desselben Namens sand, und so kam Sandoz zu Stande. So ähnlich entstand also auch mein Autodidasker.

§ 654

Meine Phantasie, dass ich Professor N. erzähle, der von uns Beiden gesehene Kranke leide nur an einer Nevrose, ist auf folgende Weise in den Traum gekommen. Kurz vor Schluss meines Arbeitsjahres bekam ich einen Patienten, bei dem mich meine Diagnostik im Stiche liess. Es war ein schweres organisches Leiden, vielleicht eine Rückenmarksveränderung, anzunehmen, aber nicht zu beweisen. Eine Neurose zu diagnosticiren wäre verlockend gewesen und hätte allen Schwierigkeiten ein Ende bereitet, wenn nicht die sexuelle Anamnese, ohne die ich keine Neurose anerkennen will, vom Kranken so energisch in Abrede gestellt worden wäre. In meiner Verlegenheit, rief ich den Arzt zur Hilfe, den ich menschlich am meisten verehre (wie Andere auch), und vor dessen Autorität ich mich am ehesten beuge. Er hörte meine Zweifel an, hiess sie berechtigt und meinte dann: „Beobachten Sie den Mann weiter, es wird eine Neurose sein.“ Da ich weiss, dass er meine Ansichten über die Aetiologie der Neurosen nicht theilt, hielt ich meinen Widerspruch zurück, verbarg aber nicht meinen Unglauben. Einige Tage später machte ich dem Kranken die Mittheilung, dass ich mit ihm nichts anzufangen wisse, und rieth ihm, sich an einen Anderen zu wenden. Da begann er zu meiner höchsten Ueberrasehung, mich um Verzeihung zu bitten, dass er mich belogen habe; er habe sich so sehr geschämt, und nun enthüllte er mir gerade das Stück sexueller Aetiologie, das ich erwartet hatte, und dessen ich zur Annahme einer Neurose bedurfte. Mir war es eine Erleichterung, aber auch gleichzeitig eine Beschämung; ich musste mir zugestehen, dass mein Consiliarius, durch die Berücksichtigung der Anamnese unbeirrt, richtiger gesehen hatte. Ich nahm mir vor es ihm zu sagen, wenn ich ihn wiedersehe, ihm zu sagen, dass er Recht gehabt habe und ich Unrecht.

*) Lasker starb an progressiver Paralyse, also an den Folgen der beim Weib erworbenen Infection (Lues); Lasalle, wie bekannt, im Duell wegen einer Dame. § 655

Gerade dies thue ich nun im Traum. Aber was für Wunscherfüllung soll es denn sein, wenn ich bekenne, dass ich Unrecht habe? Gerade das ist mein Wunsch; ich möchte Unrecht haben mit meinen Befürchtungen, resp. ich möchte, dass meine Frau, deren Befürchtungen ich in den Traumgedanken mir angeeignet habe, Unrecht behält. Das Thema, auf welches sich das Recht- oder Unrechtbehalten im Traum bezieht, ist von dem für die Traumgedanken wirklich interessanten nicht weit ab gelegen. „Dieselbe Alternative der organischen oder der functionellen Schädigung durch das Weib, eigentlich durch das Sexualleben: Tabes-Paralyse oder Neurose, an welch letztere sich die Art des Unterganges yon Lasalle lockerer anreiht.

§ 656

Professor N. spielt in diesem festgefügten (und bei sorgfältiger Deutung ganz durchsichtigen) Traum nicht nur wegen dieser Analogie und wegen meines Wunsches, Unrecht zu behalten, eine Rolle — auch nicht wegen seiner neberher gehenden Beziehungen zu Breslau und zur Familie unserer dorthin verheiratheten Freundin — sondern auch wegen folgender kleinen Begebenheit, die sich an unsere Consultation anschloss. Nachdem er mit jener Vermuthung, die ärztliche Aufgabe erledigt hatte, wandte sich sein Interesse persönlichen Dingen zu. „Wie viel Kinder haben Sie jetzt?“ — „Sechs.“ — Eine Geberde von Respect und Bedenklichkeit. — „Mädel, Buben?“ — „Drei und drei, das ist mein Stolz und mein Reichthum.“ — „Nun, geben Sie Acht, mit den Mädeln geht es ja gut, aber die Buben machen Einem später Schwierigkeiten in der Erziehung.“ — Ich wendete ein, dass sie bis jetzt recht zahm geblieben sind; offenbar behagte mir diese zweite Diagnose über die Zukunft meiner Buben ebenso wenig wie die früher gefällte, dass mein Patient nur eine Neurose habe. Diese beiden Eindrücke sind also durch Contiguität, durch das Erleben in einem Zuge verbunden, und wenn ich die Geschichte von der Neurose in den Traum nehme, ersetze ich durch sie die Rede über die Erziehung, die noch mehr Zusammenhang mit den Traumgedanken aufweist, da sie so nahe an die später geäusserten Besorgnisse meiner Frau rührt. So findet selbst meine Angst, dass N. mit den Bemerkungen über die Erziehungsschwierigkeiten bei den Buben Recht behalten möge, Eingang in den Trauminhalt, indem sie sich hinter der Darstellung meines Wunsches, dass ich mit solchen Befürchtungen Unrecht haben möge, verbirgt. Dieselbe Phantasie dient unverändert der Darstellung beider gegensätzlichen Glieder der Alternative.

§ 657

Diese Wortverbildungen des Traumes ähneln sehr den bei der Paranoia bekannten, die aber auch bei Hysterie und Zwangsvorstellungen nicht vermisst werden. Die Sprachkünste der Kinder, die zu gewissen Zeiten die Worte thatsächlich wie Objecte behandeln, auch neue Sprachen und arteficielle Wortfügungen erfinden, sind für den Traum wie für die Psyehoneurosen hier die gemeinsame Quelle.

§ 658

Wo in einem Traum Reden vorkommen, die ausdrücklich als solche von Gedanken unterschieden werden, da gilt als ausnahmslose Regel, dass Traumrede von erinnerter Rede im Traummaterial abstammt. Der Wortlaut der Rede ist entweder unversehrt erhalten oder leise im Ausdruck verschoben; häufig ist die Traumrede aus verschiedenen Redeerinnerungen zusammengestückelt; der Wortlaut dabei das sich gleich gebliebene, der Sinn wo möglich mehroder andersdeutig verändert. Die Traumrede dient nicht selten als blosse Anspielung auf ein Ereignis, bei dem die erinnerte Rede vorfiel.

§ 659

b) Die Verschiebungsarbeit.

§ 660

Eine andere, wahrscheinlich nicht minder bedeutsame, Relation musste uns bereits auffallen, während wir die Beispiele für die Traumverdichtung sammelten. Wir konnten bemerken, dass die Elemente, welche im Trauminhalt sich als die wesentlichen Bestandtheile hervordrängen, in den Traumgedanken keineswegs die gleiche Rolle spielen. Als Correlat dazu kann man auch die Umkehrung dieses Satzes aussprechen. Was in den Traumgedanken offenbar der wesentliche Inhalt ist, braucht im Traum gar nicht vertreten zu sein. Der Traum ist gleichsam anders centrirt, sein Inhalt um andere Elemente als Mittelpunkt geordnet als die Traumgedanken. So z. B. ist im Traum von der botanischen Monographie Mittelpunkt des Trauminhaltes offenbar das Element „botanisch“; in den Traumgedanken handelt es sich um die Complicationen und Conflicte, die sich aus verpflichtenden Leistungen zwischen Collegen ergeben, in weiterer Folge um den Vorwurf, dass ich meinen Liebhabereien allzu grosse Opfer zu bringen pflege, und das Element „botanisch“ findet in diesem Kern der Traumgedanken überhaupt keine Stelle, wenn es nicht durch eine Gegensätzliehkeit locker damit verbunden ist, denn Botanik hatte niemals einen Platz unter meinen Lieblingsstudien. In dem Sapphotraum meines Patienten ist das Auf- und Niedersteigen, Oben- und Untensein zum Mittelpunkt gemacht; der Traum handelt aber von den Gefahren sexueller Beziehungen zu niedrig stehenden Personen, so dass nur eines der Elemente der Traumgedanken, dies aber in ungebührlicher Verbreiterung, in den Trauminhalt eingegangen scheint. Aehnlich ist im Traum von den Maikäfern, welcher die Beziehungen der Sexualität zur Grausamkeit zum Thema hat, zwar das Moment der Grausamkeit im Trauminhalt wieder

§ 661

erschienen, aber in andersartiger Verknüpfung und ohne Erwähnung des Sexuellen, also aus dem Zusammenhang gerissen und dadurch zu etwas Fremdem uingestaltet. In dem Onkeltraum wiederum scheint der blonde Bart, der dessen Mittelpunkt bildet, ausser aller Sinnbeziehung zu den Grössenwünschen, die wir als den Kern der Traumgedanken erkannt haben. Solche Träume machen dann mit gutem Recht einen „verschobenen“ Eindruck. Im vollen Gegensatz zu diesen Beispielen zeigt dann der Traum von Irma’s Injection, dass bei der Traumbildung die einzelnen Elemente auch wohl den Platz behaupten können, den sie in den Traumgedanken einnehmen. Die Kenntnisnahme dieser neuen, in ihrem Sinne durchaus inconstanten, Relation zwischen Traumgedanken und Trauminhalt ist zunächst geeignet, unsere Verwunderung zu erregen. Wenn wir bei einem psychischen Vorgang des Normallebens finden, dass eine, Vorstellung aus mehreren anderen herausgegriffen wurde und, für das Bewusstsein besondere Lebhaftigkeit erlangt hat, so pflegen wir diesen Erfolg als Beweis dafür anzusehen, dass der siegenden Vorstellung eine besonders hohe psychische Werthigkeit (ein gewisser Grad von Interesse) zukommt. Wir machen nun die Erfahrung, das diese Wertligkeit der einzelnen Elemente in den Traumgedanken für die Traumbildung nicht erhalten bleibt oder nicht in Betracht kommt. Es ist ja kein Zweifel darüber, welches die höchstwerthigen Elemente der Traumgedanken sind; unser Urtheil sagt es uns unmittelbar. Bei der Traumbildung können diese wesentlichen, mit intensivem Interesse betonten Elemente nun so behandelt werden, als ob sie minderwerthig wären, und an ihre Stelle treten im Traum andere Elemente, die in den Traumgedanken sicherlich minderwerthig waren. Es macht zunächst den Eindruck, als käme die psychische Intensität*)*) der einzelnen Vorstellungen für die Traumauswahl überhaupt nicht in Betracht, sondern blos die mehr oder minder vielseitige Determinirung derselben. Nicht was in den Traumgedanken wichtig ist, kommt in den Traum, sondern was in ihnen mehrfach enthalten, könnte man meinen; das Verständnis der Traumbildung wird aber durch diese Annahme nicht sehr gefördert, denn von vorne herein wird man nicht glauben können, dass die beiden Momente der mehrfachen Determinirung und der eigenen Werthigkeit bei der Traumauswahl anders als gleichsinnig wirken können. Jene Vorstellungen, welche in den Traumgedanken, die wichtigsten sind, werden wohl auch die am häufigsten in ihnen wiederkehrenden sein, da von ihnen wie von Mittelpunkten die einzelnen Traumgedanken ausstrahlen. Und doch kann der Traum diese intensiv betonten und vielseitig unterstützten Elemente ablehnen, und andere Elemente, denen nur die letztere Eigenschaft zukommt, in seinen Inhalt aufnehmen.

*) Psychische Intensität, Werthigkeit, Interessebetonung einer Vorstellung ist natürlich, von sinnlicher Intensität, Intensität des Vorgestellten, gesondert zu halten. § 662

Zur Lösung dieser Schwierigkeit wird man einen anderen Eindruck verwenden, den man bei der Untersuchung der Ueberdeterminirung des Trauminhaltes empfangen hat. Vielleicht hat schon mancher Leser dieser Untersuchung bei sich geurtheilt, die Ueberdeterminirung der Traumelemente sei kein bedeutsamer Fund, weil sie ein selbstverständlicher ist. Man geht ja bei der Analyse von den Traumelementen aus und verzeichnet alle Einfälle, die sich an dieselben knüpfen; kein Wunder dann, dass in dem so gewonnenen Gedankenmaterial eben diese Elemente sich besonders häufig wiederfinden. Ich könnte diesen Einwand nicht gelten lassen, werde aber selbst etwas ihm ähnlich Klingendes zur Sprache bringen: Unter den Gedanken, welche die Analyse zu Tage fördert, finden sich viele, die dem Kern des Traumes ferner stehen und die sich wie künstliche Einschaltungen zu einem gewissen Zwecke ausnehmen. Der Zweck derselben ergibt sich leicht; gerade sie stellen eine Verbindung, oft eine gezwungene und gesuchte Verbindung, zwischen Trauminhalt und Traumgedanken her, und wenn diese Elemente aus der Analyse ausgemerzt würden, entfiele für die Bestandtheile des Trauminhaltes oftmals nicht nur die Ueberdeterminirung, sondern überhaupt eine genügende Determinirung durch die Traumgedanken. Wir werden so zum Schlusse geleitet, dass die mehrfache Determinirung, die für die Traumauswahl entscheidet, wohl nicht immer ein primäres Moment der Traumbildung, sondern oft ein secundäres En einer uns noch unbekannten psychischen Macht ist. Sie muss aber bei alledem für das Eintreten der einzelnen Elemente in den Traum von Bedeutung sein, denn wir können beobachten, dass sie mit einem gewissen Aufwand hergestellt wird, wo sie sich aus dem Traummaterial nicht ohne Nachhilfe ergibt.

§ 663

Es liegt nun der Einfall nahe, dass bei der Traumarbeit eine psychische Macht sich äussert, die einerseits die psychisch hochwerthigen Elemente ihrer Intensität entkleidet, und andererseits auf dem Wege der Ueberdeterminirung aus minderwertigen neue Werthigkeiten schafft, die dann in den Trauminhalt gelangen. Wenn das so zugeht, so hat bei der Traumbildung eine Uebertragung und Verschiebung der psychischen Intensitäten der einzelnen Elemente stattgefunden, als deren Folge die Textverschiedenheit von Trauminhalt und Traumgedanken erscheint. Der Vorgang, den wir so supponiren, ist geradezu das wesentliche Stück der Traumarbeit; er verdient den Namen der Traumverschiebung. Traumverschiebung und Traumverdichtung sind die beiden Werkmeister, deren Thätigkeit wir die Gestaltung des Draumes hauptsächlich zuschreiben dürfen.

§ 664

Ieh denke, wir haben es auch leicht, die psychische Macht, die sich in den Thatsachen der Traumverschiebung äussert, zu erkennen. Der Erfolg dieser Verschiebung ist, dass der Trauminhalt dem Kern der Traumgedanken nicht mehr gleich sieht, dass der Traum nur eine Entstellung des Traumwunsches im Unbewussten wiedergibt. Die Traumentstellung aber ist uns bereits bekannt; wir haben sie auf die Censur zurückgeführt, welche die eine psychische Instanz im Gedankenleben gegen eine andere ausübt. Die Traumverschiebung ist eines der Hauptmittel zur Erzielung dieser Entstellung. Is fecit cui profuit. Wir dürfen annehmen, dass die Traumverschiebung durch den Einfluss jener Censur, der endopsychischen Abwehr, zu Stande kommt.

§ 665

In welcher Weise die Momente der Verschiebung, Verdichtung und Ueberdeterminirung bei der Traumbildung in einander spielen, welches der übergeordnete und welches der nebensächliche Factor wird, das würden wir späteren Untersuchungen vorbehalten. Vorläufig können wir als eine zweite Bedingung, der die in den Traum gelangenden Elemente genügen müssen, angeben, dass sie der Censur des Widerstandes entzogen seien. Die Traumverschiebung aber wollen wir von nun an als unzweifelhafte Thatsache, bei der Traumdeutung in Rechnung ziehen.

§ 666

c) Die Darstellungsmittel des Traumes.

§ 667

Ausser den beiden Momenten der Traumverdichtung und Traumverschiebung, die wir bei der Verwandlung des latenten Gedankenmateriales in den manifesten Trauminhalt als wirksam aufgefunden haben, werden wir bei der Fortführung dieser Untersuchung noch zwei weiteren Bedingungen begegnen, die unzweifelhaften Einfluss auf die Auswahl des in den Traum gelangenden Materiales üben. Vorher möchte ich, selbst auf die Gefahr hin, dass wir auf unserem Wege Halt zu machen scheinen, einen ersten Blick auf die Vorgänge bei der Ausführung der Traumdeutung werfen. Ich verhehle mir nicht, dass es am ehesten gelingen würde, dieselben klarzustellen und ihre Zuverlässigkeit gegen Einwendungen zu sichern, wenn ich einen einzelnen Traum zum Muster nähme, seine Deutung entwickle, wie ich es in Abschnitt II. bei dem Traum von Irma’s Injection gezeigt habe, dann aber die Traumgedanken, die ich aufgedeckt habe, zusammenstelle, und nun die Bildung des Traumes aus ihnen reconstruire, also die Analyse der Träume durch eine Synthese derselben ergänze. Diese Arbeit habe ich an mehreren Beispielen zu meiner eigenen Belehrung vollzogen; ich kann sie aber hier nicht aufnehmen, weil mannigfache und von jedem billig Denkenden gutzuheissende Rücksichten auf das psychische Material zu dieser Demonstration mich daran verhindern. Bei der Analyse der Träume störten diese Rücksichten weniger, denn die Analyse durfte unvollständig sein und behielt ihren Werth, wenn sie auch nur ein Stück weit in das Gewebe des Traumes hineinführte. Von der Synthese wüsste ich es nicht anders, als dass sie, um zu überzeugen, vollständig sein muss. Eine vollständige Synthese könnte ich nur von Träumen solcher Personen geben, die dem lesenden Publicum unbekannt sind. Da aber nur Patienten, Neurotiker, mir dazu die Mittel bieten, so muss dies Stück Darstellung des Traumes einen Aufschub erfahren, bis ich — an anderer Stelle — die psychologische Aufklärung der Neurosen so weit führen kann, dass der Anschluss an unser Thema herzustellen ist.

§ 668

Aus meinen Versuchen, Träume aus den Traumgedanken synthetisch herzustellen, weis ich, dass das bei der Deutung sich erbende Material von verschiedenartigem Werth ist. Den einen Theil desselben bilden die wesentlichen Traumgedanken, die also den Traum voll ersetzen und allein zu dessen Ersatz hinreichen würden, wenn es für den Traum keine Censur gäbe. Den anderen Theil kann man unter dem Namen „Collateralen“ zusammenfassen; in ihrer Gesammtheit stellen sie die Wege dar, auf denen der wirkliche Wunsch, der sich aus den Traumgedanken erhebt, in den Traumwunsch übergeführt wird. Von diesen „Collateralen“ besteht ein erster Antheil aus Anknüpfungen an die eigentlichen Traumgedanken, welche, schematisch genommen, Verschiebungen vom Wesentlichen auf’s Nebensächliche entsprechen. Ein zweiter Antheil umfasst die Gedanken, welche diese durch Verschiebung bedeutsam gewordenen, nebensächlichen Materialien unter sich verbinden und von ihnen bis zum Trauminhalt reichen. Ein dritter Antheil endlich entbält die Einfälle und Gedankenverbindungen, durch die man bei der Deutungsarbeit vom Trauminhalt zu den mittleren Collateralen geräth, und die nicht nothwendig sämmtlich auch bei der Traumbildung betheiligt gewesen sein müssen.

§ 669

Uns interessiren an dieser Stelle ausschliesslich die wesentlichen Traumgedanken. Diese euthüllen sich zumeist als ein Complex von Gedanken und Erinnerungen vom allerverwickeltsten Aufbau mit allen Eigenschaften der uns aus dem Wachen bekannten Gedankengänge. Nicht selten sind es Gedankenzüge, die von mehr als einem Centrum ausgehen, aber der Berührungspunkte nicht entbehren; fast regelmässig steht neben einem Gedankengang sein contradictorisches Widerspiel, durch Contrastassociation mit ihm verbunden.

§ 670

Die einzelnen Stücke dieses complicirten Gebildes stehen natürlich in den mannigfaltigsten logischen Relationen zu einander. Sie bilden Vorder- und Hintergrund, Abschweifungen und Erläuterungen, Bedingungen, Beweisgänge und Einsprüche. Wenn dann die ganze Masse dieser Traumgedanken der Pressung der Traumarbeit unterliegt, wobei die Stücke gedreht, zerbröckelt und zusammengeschoben werden, etwa wie treibendes Eis, so entsteht die Frage, was aus den logischen Banden wird, welche bishin das Gefüge gebildet hatten. Welche Darstellung erfahren im Traum das „Wenn, weil, gleichwie, obgleich, entweder — oder und alle anderen Präpositionen, ohne die wir Satz und Rede nicht verstehen können?”

§ 671

Man muss zunächst darauf antworten, der Traum hat für diese logischen Relationen unter den Traumgedanken keine Mittel der Darstel lung zur Verfügung. Zumeist lässt er all diese Präpositionen unberücksichtigt und übernimmt nur den sachlichen Inhalt der Traumgedanken zur Bearbeitung. Der Traumdeutung bleibt es überlassen, den Zusammenhang wieder herzustellen, den die Traumarbeit vernichtet hat.

§ 672

Es muss am psychischen Material liegen, in dem der Traum gearbeitet ist, wenn ihm diese Ausdrucksfähigkeit abgeht. In einer ähnlichen Beschränkung befinden sieh ja die darstellenden Künste, Malerei und Plastik im Vergleich zur Poesie, die sich der Rede bedienen kann, und auch hier liegt der Grund des Unvermögensin dem Material, durch dessen Bearbeitung die beiden Künste etwas zum Ausdruck zu bringen streben. Ehe die Malerei zur Kenntnis der für sie giltigen Gesetze des Ausdrucks gekommen war, bemühte sie sich noch, diesen Nachtheil auszugleichen. Aus dem Munde der gemalten Personen liess man auf alten Bildern Zettelchen heraushängen, welche als Schrift die Rede brachten, die im Bilde darzustellen der Maler verzweifelte.

§ 673

Vielleicht wird sich hier ein Einwand erheben, der für den Traum den Verzicht auf die Darstellung logischer Relationen bestreitet: „Es gibt ja Träume, in welchen die complicirtesten Geistesoperationen vor sich gehen, begründet und widersprochen, gewitzelt und verglichen wird wie im wachen Denken. Allein auch hier trügt der Schein; wenn man auf die Deutung solcher Träume eingeht, erfährt man, dass das alles Traummaterial ist, nicht Darstellung intellectueller Arbeit im Traum. Der Inhalt der Traumgedanken ist durch das scheinbare Denken des Traumes wiedergegeben, nicht die Beziehungen der Traumgedanken zu einander, in deren Feststellung das Denken besteht. Ich werde hiefür Beispiele erbringen. Am leichtesten ist es aber zu constatiren, dass alle Reden, die im Träumen vorkommen, und die ausdrücklich als solche bezeichnet werden, unveränderte oder nur wenig modificirte Nachbildungen von Reden sind, die sich ebenso in den Erinnerungen des Traummateriales vorfinden. Die Rede ist oft nur eine Anspielung auf ein in den Traumgedanken enthaltenes Ereignis; der Sinn es Traumes ein ganz anderer.

§ 674

Allerdings werde ich nieht bestreiten, dass auch kritische Denkarbeit, die nicht einfach Material aus den Traumgedanken wiederholt, ihren Antheil an der Traumbildung nimmt. Den Einfluss dieses Factors werde ich zu Ende dieser Erörterung beleuchten müssen. Es wird sich dann ergeben, dass diese Denkarbeit nicht durch die Traumgedanken, sondern durch den in gewissem Sinne bereits fertigen Traum hervorgerufen wird.

§ 675

Es bleibt also vorläufig dabei, dass die logischen Relationen zwischen den Traumgedanken im Traume eine besondere Darstellung nicht finden. Wo sich z. B. Widerspruch im Traum findet, da ist es entweder Widerspruch gegen den Traum oder Widerspruch aus dem Inhalt eines der Traumgedanken; einem Widerspruch zwischen den Traumgedanken, entspricht der Widerspruch im Traum nur in höchst indirect vermittelter Weise.

§ 676

Wie es aber endlich der Malerei gelungen ist, wenigstens die Redeabsicht der dargestellten Personen, Zärtlichkeit, Drohung, Verwarnung u. dgl. anders zum Ausdruck zu bringen als durch den flatternden Zettel, so hat sich auch für den Traum die Möglichkeit ergeben, einzelnen der logischen Relationen zwischen seinen Traumgedanken durch eine zugehörige Modification der eigenthümlichen Traumdarstellung Rücksicht zuzuwenden. Man kann die Erfahrung machen, dass die verschiedenen Träume in dieser Berücksichtigung verschieden weit gehen; während sich der eine Traum über das logische Gefüge seines Materials völlig hinaussetzt, sucht einanderer dasselbe möglichst vollständig anzudeuten. Der Traum entfernt sich hierin mehr oder weniger weit von dem ihm zur Bearbeitung vorliegenden Text. Aehnlich wechselnd benimmt sich der Traum übrigens auch gegen das zeitliche Gefüge der Traumgedanken, wenn ein solches im Unbewussten hergestellt ist (wie z. B. im Traum von Irma’s Injection).

§ 677

Durch welche Mittel vermag aber die Traumarbeit die schwer darstellbaren Relationen im Traummaterial anzudeuten? Ich werde versuchen, sie einzeln aufzuzählen.

§ 678

Zunächst wird der Traum dem unleugbar vorhandenen Zusammenhang zwischen allen Stücken der Traumgedanken dadurch im Ganzen gerecht, dass er dieses Material in einer Zusammenfassung als Situation oder Vorgang vereinigt. Er gibt logischen Zusammenhang wieder als Gleichzeitigkeit; er verführt darin ähnlich wie der Maler, der alle Philosophen oder Dichter zum Bild einer Schule von Athen oder des Parnass zusammenstellt, die niemals in einer Halle oder auf einem Berggipfel beisammen gewesen sind, wohl aber für die denkende Betrachtung eine Gemeinschaft bilden.

§ 679

Diese Darstellungsweise setzt der Traum in’s Einzelne fort. So oft er zwei Elemente nahe bei einander zeigt, bürgt er für einen besonders innigen Zusammenhang zwischen ihren Entsprechenden in den Traumgedanken. Es ist, wie in unserem Schriftsystem. ab bedeutet, dass die beiden Buchstaben in einer Silbe ausgesprochen werden sollen. a und b nach einer freien Lücke lässt a als den letzten Buchstaben des einen Wortes und b als den ersten eines anderen Wortes erkennen. Demzufolge bilden sich die Traumcombinationen nicht aus beliebigen, völlig disparaten Bestandtheilen des Traummaterials, sondern aus solchen, die auch in den Traumgedanken in innigerem Zusammenhange stehen.

§ 680

Die Causalbeziehungen darzustellen hat der Traum zwei Verfahren, die im Wesen auf dasselbe hinauslaufen. Die häufigere Darstellungsweise, wenn die Traumgedanken etwa lauten: Weil dies so und so war, musste dies und jenes geschehen, besteht darin, den Nebensatz als Vortraum zu bringen und dann den Hauptsatz als Haupttraum anzufügen. Wenn ich recht gedeutet habe, kann die Zeitfolge auch die umgekehrte sein. Stets entspricht dem Hauptsatz der breiter ausgeführte Theil des Traumes.

§ 681

Ein schönes Beispiel von solcher Darstellung der Causalität hat mir einmal eine Patientin geliefert, deren Traum ich späterhin vollständig mittheilen werde. Er hestand aus einem kurzem Vorspiel und einem sehr weitläufigen Traumstück, das in hohem Grade centrirt war und etwa überschrieben werden konnte: Durch die Blume. Der Vortraum lautete so: Sie geht in die Küche zu den beiden Mägden und tadelt sie, dass sie nicht fertig werden „mit dem Bissel Essen“. Dabei sieht sie sehr viel grobes Küchengeschirr zum Abtropfen umgestürzt in der Küche stehen, und zwar in Haufen auf einander gestellt. Die beiden Mägde gehen Wasser holen und müssen dabei wie in einen Fluss steigen, der bis ans Haus oder in den Hof reicht.

§ 682

Dann folgt der Haupttraum, der sich so einleitet: Sie steigt von hoch herab, über eigenthümlich gebildete Geländer, und freut sich, dass ihr Kleid dabei nirgends hängen bleibt u. s. w. Der Vortraum bezieht sich nun auf das elterliche Haus der Dame. Die Worte in der Küche hat sie wohl oft so von ihrer Mutter gehört. Die Haufen von rohem Geschirr stammen aus der einfachen Geschirrhandlung, die sich in demselben Hause befand. Der zweite Theil des Traumes enthält eine Anspielung auf den Vater der sich viel mit Dienstmädchen zu schaffen machte und dann bei einer Ueberschwemmung — das Haus stand nahe am Ufer des Flusses — sich eine tödtliche Erkrankung holte. Der Gedanke, der sich hinter diesem Vortraum verbirgt, heisst also: Weil ich aus diesem Hause, aus so kleinlichen und unerquicklichen Verhältnissen stamme. Der Haupttraum nimmt denselben Gedanken wieder auf und bringt ihn in durch Wunscherfüllung verwandelter Form: Ich bin von hoher Abkunft. Eigentlich also: Weil ich von so niedrige Abkunft bin, war mein Lebenslauf so und so.

§ 683

Soviel ich sehe, bedeutet eine Theilung des Traumes in zwei ungleiche Stücke nicht jedesmal eine causale Beziehung zwischen den Gedanken der beiden Stücke. Oft scheint es, als ob in den beiden Träumen dasselbe Material von verschiedenen Gesichtspunkten aus dargestellt würde; oder die beiden Träume sind aus gesonderten Centren im Traummaterial hervorgegangen und überschneiden einander im Inhalt, so dass in dem einen Traumcentrum ist, was im anderen als Andeutung mitwirkt und umgekehrt. In einer gewissen Anzahl von Träumen bedeutet aber die Spaltung in kürzeren Vor- und längeren Nachtraum thatsächlich causale Beziehung zwischen beiden Stücken. Die andere Darstellungsweise des Causalverhältnisses findet Anwendung bei minder umfangreichem Material und besteht darin, dass ein Bild im Traume, sei es einer Person oder einer Sache, sich in ein anderes verwandelt. Nur wo wir diese Verwandlung im Traume vor sich gehen sehen, wird der causale Zusammenhang ernstlich behauptet; nicht wo wir blos merken, es sei an Stelle des Einen jetzt das Andere gekommen. Ich sagte, die beiden Verfahren, Causalbeziehung darzustellen, liefen auf dasselbe hinaus; in beiden Fällen wird die Verursachung dargestellt durch ein Nacheinander, einmal durch das Aufeinanderfolgen der Träume, das andere Mal durch die unmittelbare Verwandlung eines Bildes in ein anderes. In den allermeisten Fällen freilich wird die Causalrelation üherhaupt nicht dargestellt, sondern fällt unter das auch im Traumvorgang unvermeidliche Nacheinander der Elemente.

§ 684

Die Alternative „Entweder—Oder“ kann der Traum überhaupt nicht ausdrücken; er pflegt die Glieder derselben wie gleichberechtigt in einen Zusammenhang aufzunehmen. Ein classisches Beispiel hiefür enthält der Traum von Irma’s Injection. In dessen latenten Gedanken heisst es offenbar: Ich bin unschuldig an dem Fortbestand von Irma’s Schmerzen; die Schuld liest entweder an ihrem Sträuben gegen die Annahme der Lösung oder daran, dass sie unter ungünstigen sexuellen Bedingungen lebt, die ich nicht ändern kann, oder ihre Schmerzen sind überhaupt nicht hysterischer, sondern organischer Natur. Der Traum vollzieht aber alle diese einander fast ausschliessenden Möglichkeiten und nimmt keinen Anstoss, aus dem Traumwunsch eine vierte solche Lösung hinzuzufügen. Das Entweder—Oder habe ich dann nach der Traumdeutung in den Zusammenhang der Traumgedanken eingesetzt.

§ 685

Wo aber der Erzähler bei der Reproduction des Traumes ein Entweder—Oder gebrauchen möchte: Es war entweder ein Garten oder ein Wohnzimmer u. s. w,, da kommt in den Traumgedanken nicht etwa eine Alternative, sondern ein „und“, eine einfache Anreihung, vor. Mit Entweder—Oder beschreiben wir zumeist einen noch auflösbaren Charakter von Verschwommenheit an einem Traumelemente. Die Deutungsregel für diesen Fall lautet: Die einzelnen Glieder der scheinbaren Alternative sind einander gleich zu setzen und durch „und“ zu verbinden. Ich träume z. B., nachdem ich längere Zeit vergeblich auf die Adresse meines in Italien weilenden Freundes gewartet habe, dass ich ein Telegramm erhalte, welches mir diese Adresse mittheilt. Ich sehe sie in blauem Druck auf den Papierstreifen des Telegrammes; das erste Wort ist verschwommen, etwa via,

§ 686

oder Villa, das zweite deutlich: Sezerno. oder sogar (Casa).

§ 687

Das zweite Wort, das an italienische Namen anklingt, und mich an unsere etymologischen Besprechungen erinnert, drückt auch meinen Aerger aus, dass er seinen Aufenthalt so lange vor mir geheim gehalten; jedes der Glieder aber des Ternavorschlages zum ersten Wort lässt sich bei der Analyse als selbständiger und gleichberechtigter Ausgangspunkt der Gedankenverkettung erkennen.

§ 688

In der Nacht vor dem Begräbnis meines Vaters träume ich von einer bedruckten Tafel, einem Placat oder Anschlagezettel, — ctwa wie die das Rauchverbot verkündesden Zetteln’ in den Wartesälen der Eisenbahnen — auf dem zu lesen ist, entweder:

§ 689

Man bittet, die Augen zuzudrücken. oder Man bittet, ein Auge zuzudrücken.

§ 690

was ich in folgender Form darzustellen gewohnt bin: die Man bittet, ein Auge(n) zuzudrücken.

§ 691

Jede der beiden Fassungen hat ihren besonderen Sinn und führt in der Traumdeutung auf besondere Wege. Ich hatte das Ceremoniell möglichst einfach gewählt, weil ich wusste, wie der Verstorbene über solche Veranstaltungen gedacht hatte. Andere Familienmitglieder waren aber mit solch puritanischer Einfachheit, nicht einverstanden; sie meinten, man werde sich vor den Trauergästen schämen müssen. Daher bittet der eine Wortlaut des Traumes, „ein Auge zuzudrücken“, d. h. Nachsicht zu üben. Die Bedeutung der Verschwommenheit, die wir mit einem Entweder—Oder beschrieben, ist hier besonders leicht zu erfassen. Es ist der Traumarbeit nicht gelungen, einen einheitlichen, aber dann zweideutigen, Wortlaut für die Traumgedanken herzustellen. So sondern sich die beiden Hauptgedankenzüge schon im Trauminhalt von einander.

§ 692

In einigen Fällen drückt die Zweitheilung des Traumes in zwei gleich grosse Stücke die schwer darstellbare Alternative aus.

§ 693

Höchst auffällig ist das Verhalten des Traumes gegen die Kategorie von Gegensatz und Widerspruch. Dieser wird schlechtweg vernachlässigt, das „Nein“ scheint für den Traum nicht zu existiren. Gegensätze werden mit besonderer Vorliebe zu einer Einheit zusammengezogen oder in Einem dargestellt. Der Traum nimmt sich ja auch die Freiheit, ein beliebiges Element durch seinen Wunschgegensatz darzustellen, so dass man zunächst von keinem eines Gegentheils fähigen Elemente weiss, ob es in den Traumgedanken positiv oder negativ enthalten ist. In dem einen der letzterwähnten Träume, dessen Vordersatz wir bereits gedeutet haben, („weil ich von solcher Abkunft bin“), steigt die Träumerin über ein Geländer herab und hält dabei einen blühenden Zweig in den Händen. Da ihr zu diesem Bilde einfällt, wie der Engel einen Lilienstengel auf den Bildern von Mariä Verkündigung (sie heisst selbst Maria) in der Hand trägt, und wie die weissgekleideten Mädchen bei der Frohnleichnamsprocession gehen, während die Strassen mit grünen Zweigen geschmückt sind, so ist der blühen Zweig im Traume ganz gewiss eine Anspielung auf sexuelle Unschuld. Der Zweig ist aber dicht mit rothen Blüthen besetzt, von denen jede einzelne einer Camelie gleicht. Am Ende ihres Weges heisst es im Traum weiter, sind die Blüthen schon ziemlich abgefallen; dann folgen unverkennbare Anspielungen auf die Periode. Somit ist der nämliche Zweig, der getragen wird wie eine Lilie und wie von einem unschuldigen Mädchen, gleichzeitig eine Anspielung auf die Cameliendame, die, wie bekannt, stets eine weisse Camelie trug, zur Zeit der Periode aber eine rothe. Der nämliche Blüthenzweig („des Mädchens Blüthen“ in den Liedern von der Müllerin bei Goethe) stellt die sexuelle Unschuld dar und auch ihr Gegentheil. Der nämliche Traum auch, welcher die Freude ausdrückt, dass es ihr gelungen, unbefleckt durch’s Leben zu gehen, lässt an einigen Stellen (wie an der vom Abfallen der Blüthen) den gegensätzlichen Gedankengang durchschimmern, dass sie sich verschiedene Sünden gegen die sexuelle Reinheit habe zu Schulden kommen lassen (in der Kindheit nämlich). Wir könnten bei der Analyse des Traumes deutlich die beiden Gedankengänge unterscheiden, von denen der tröstliche oberflächlich, der vorwurfswolle tiefer gelagert scheint, die einander schnurstracks zuwiderlaufen, und deren gleiche aber gegentheilige Elemente durch die nämlichen Traumelemente Darstellung gefunden haben.

§ 694

Einer einzigen unter den logischen Relationen kommt der Mechanismus der Traumbildung im höchsten Ausmasse zu Gute. Es ist dies die Relation der Aehnlichkeit, Uebereinstimmung, Berührung, das „Gleichwie“, die im Traume wie keine andere mit mannigfachen Mitteln dargestellt werden kann. Die im Traummaterial vorhandenen Deckungen oder Fälle von „Gleichwie“ sind ja die ersten Stützpunkte der Traumbildung, und ein nieht unbeträchtliches Stück der Traumarbeit besteht darin, neue solche Deckungen zu schaffen, wenn die vorhandenen der Widerstandscensur wegen nicht in den Traum gelangen können. Das Verdichtungsbestreben der Traumarbeit kommt der Darstellung der Aehnlichkeitsrelation zu Hilfe.

§ 695

Aehnlichkeit, Uebereinstimmung, Gemeinsamkeit wird vom Traum ganz allgemein dargestellt durch Zusammenziehung zu einer Einheit, welche entweder im Traummaterial bereits vorgefunden oder neu gebildet wird. Den ersten Fall kann man als Identificirung, den zweiten als Mischbildung benennen. Die Identificirung kommt zur Anwendung, wo es sich um Personen handelt; die Mischbildung, wo Dinge das Material der Vereinigung sind, doch werden Mischbildungen auch von Personen hergestellt. Oertlichkeiten werden oft wie Personen behandelt.

§ 696

Die Identificirung besteht darin, dass nur eine der durch ein Gemeinsames verknüpften Personen im Trauminhalt zur Darstellung gelangt, während die zweite oder die anderen Personen für den Traum unterdrückt scheinen. Diese eine deckende Person geht aber im Traum in alle die Beziehungen und Situationen ein, welche sich von ihr oder von den gedeckten Personen ableiten. Bei der Mischbildung, die sich auf Personen erstreckt, sind bereits im Traumbild Züge, die den Personen eigenthümlich, aber nicht gemeinsam sind, vorhanden, so dass durch die Vereinigung dieser Züge eine neue Einheit, eine Mischperson, bestimmt erscheint. Die Mischung selbst kann auf verschiedenen Wegen zu Siande gebracht werden. Entweder die Traumperson hat von der Einen ihrer Beziehungspersonen den Namen, — wir wissen dann in einer Art, die dem Wissen im Wachen ganz analog ist, dass diese oder jene Person gemeint ist — während die visuellen Züge der anderen Person angehören; oder das Traumbild selbst ist aus visuellen Zügen, die sich in Wirklichkeit auf Beide vertheilen, zusammengesetzt. Anstatt durch visuelle Züge kann der Antheil der zweiten Person auch vertreten werden durch die Geberden die man ihr zuschreibt, die Worte, die man sie sprechen lässt, oder die Situation, in welche man sie versetzt. Bei der letzteren Art der Kennzeichnung beginnt der scharfe Unterschied zwischen Identificirung und Mischpersonbildung sich zu verflüchtigen.

§ 697

Das Gemeinsame, welches die Vereinigung der beiden Personen rechtfertigt, d. h. veranlasst, kann im Traume dargestellt sein oder fehlen. In der Regel dient die Identificirung oder Mischpersonbildung eben dazu, die Darstellung dieses Gemeinsamen zu ersparen. Anstatt zu wiederholen: A ist mir feindlich gesinnt, B aber auch, bilde ich im Traum eine Mischperson aus A und B, oder stelle mir A vor in einer andersartigen Action, welche uns B charakterisirt. Die so gewonnene Traumperson tritt mir im Traum in irgend welcher neuen Verknüpfung entgegen, und aus dem Umstande, dass sie sowohl A als auch B bedeutet, schöpfe ich dann die Berechtigung, in die betreffende Stelle der Traumdeutung einzusetzen, was den Beiden meinsam ist, nämlich das feindselige Verhältnis zu mir. Auf solche Weise erziele ich oft eine ganz ausserordentliche Verdichtung für den Trauminhalt; ich kann mir die directe Darstellung sehr complicirter Verhältnisse, die mit einer Person zusammenhängen, ersparen; wenn ich zu dieser Person eine andere gefunden habe, die auf einen Theil dieser Beziehungen den gleichen Anspruch hat. Es ist leicht zu verstehen, inwieferne diese Darstellung durch Identificirung auch dazu dienen kann, die Widerstandscensur zu umgehen, welche die Traumarbeit unter so harte Bedingungen setzt. Der Anstoss für die Zensur mag gerade in jenen Vorstellungen liegen, welche im Material mit der einen Person verknüpft sind; ich finde nun eine zweite Person, welche gleichfalls Beziehungen zu dem beanständeten Material hat, aber nur zu einem Theil desselben. Die Berührung in jenem nicht censurfreien Punkte gibt mir jetzt das Recht, eine Mischperson zu bilden, die nach beiden Seiten hin durch indifferente Züge charakterisirt. ist. Diese Misch- oder Identificirungsperson ist nun als censurfrei zur Aufnahme in den Trauminhalt geeignet, und ich habe durch Anwendung der Traumverdichtung den Anforderungen der, Traumcensur genügt.

§ 698

Wo im Traum auch ein Gemeinsames der beiden Personen dargestellt ist, da ist dies gewöhnlich ein Wink, nach einem anderen verhüllten Gemeinsamen zu suchen, dessen Darstellung durch die Censur unmöglich gemacht wird. Es hat hier gewissermassen zu Gunsten der Darstellbarkeit eine Verschiebung in Betreff des Gemeinsamen stattgefunden. Daraus, dass mir die Mischperson mit einem indifferenten Gemeinsamen im Traum gezeigt wird, soll ich ein anderes keineswegs indifferentes Gemeinsame in den Traumgedanken erschliessen.

§ 699

Die ldentificirung oder Mischpersonbildung dient demnach im Traum versehiedenen Zwecken, erstens der Darstellung eines beiden Personen Gemeinsamen, zweitens der Darstellung einer verschobenen Gemeinsamkeit, drittens aber noch, um eine blos gewünschte Gemeinsamkeit zum Ausdrucke zu bringen. Da das Herbeiwünschen einer Gemeinsamkeit zwischen zwei Personen haufig mit einem Ver tauschen derselben zusammenfällt, so ist auch diese Relation im Traum durch Identificirung ausgedrückt. Ich wünsche im Traume von Irma’s Injection diese Patientin mit einer anderen zu vertauschen, wünsche also, dass die andere meine Patientin sein möge, wie es die eine ist; der Traum trägt diesem Wunsche Rechnung, indem er mir eine Person zeigt, die Irma heisst, die aber in einer Position untersucht wird, wie ich sie nur bei der anderen zu sehen Gelegenheit hatte. Im Onkeltraum ist diese Vertauschung zum Mittelpunkt des Traumes gemacht; ich identificire mich mit dem Minister, indem ich meine Collegen nicht besser als er behandle und beurtheile.

§ 700

Es ist eine Erfahrung, von der ich keine Ausnahme gefunden habe; dass jeder Traum die eigene Person behandelt. Träume sind absolut egoistisch. Wo im Trauminhalt nicht mein Ich, sondern nur eine fremde Person vorkommt, da darf ich ruhig annehmen, dass mein Ich durch Identificirung hinter jener Person versteckt ist. Ich darf mein Ich ergänzen. Andere Male, wo mein Ich im Traum erscheint, lehrt mich die Situation, in der es sich befindet, dass hinter dem Ich eine andere Person durch Identificirung sich verbirgt. Der Traum soll mich dann mahnen, in der Traumdeutung etwas, was dieser Person anhängt, das verhüllte Gemeinsame, auf mich zu übertragen. Es gibt auch Träume, in denen mein Ich nebst anderen Personen vorkommt, die sich durch Lösung der Identificirung wiederum als mein Ich enthüllen. Ich soll dann mit meinem Ich vermittelst dieser Identificirungen gewisse Vorstellungen vereinigen, gegen deren Anfnahme sich die Censur erhoben hat. Ich kann also mein Ich in einem Traum mehrfach darstellen, das eine Mal direct, das andere Mal vermittelst der Identificirung mit fremden Personen. Mit mehreren solchen Identificirungen lässt sich ein ungemein reiches Gedankenmaterial vordichten.*)*)

*) Wenn ich im Zweifel bin, hinter welcher der im Traume auftretenden Personen ich mein Ich zu suchen habe, so halte ich mich an folgende Regel: Die Person, die im Traume einem Affect unterliegt, den ich als Schlafender verspüre, die verbirgt mein Ich. § 701

Durchsichtiger noch als bei Personen gestaltet sich die Auflösung der Identificirungen bei mit Eigennamen bezeichneten Oertlichkeiten, da hier die Störung durch das im Traume übermächtige Ich entfällt. In einem meiner Romträume (Seite 134) heisst der Ort, an dem ich mich befinde, Rom; ich erstaune aber über die Menge von deutschen Placaten an einer Strassenecke. Letzteres ist eine Wunscherfüllung, zu der mir sofort Prag einfällt; der Wunsch selbst mag aus einer heute überwundenen deutschnationalen Periode der Jugendzeit stammen, Um die Zeit, da ich träumte, war in Prag ein Zusammentreffen mit meinem Freunde in Aussicht genommen; die Identificirung von Rom und Prag erklärt sich also durch eine gewünschte Gemeinsamkeit; ich möchte meinen Freund lieber in Rom treffen als in Prag, für diese Zusammenkunft Prag und Rom vertauschen.

§ 702

Die Möglichkeit, Mischbildungen zu schaffen, steht obenan unter den Zügen, welche den Träumen so oft ein phantastisches Gepräge verleihen, indem durch sie Elemente in den Trauminhalt eingeführt werden, welche niemals Gegenstand der Wahrnehmung sein konnten. Der psychische Vorgang bei der Misehbildung im Traume ist offenbar der nämliche, wie wenn wir im Wachen einen Centauren oder Drachen uns vorstellen oder nachbilden. Der Unterschied liegt nur darin, dass bei der phantastischen Schöpfung im Wachen der beabsichtigte Eindruck des Neugebildes selbst das Massgebende ist, während die Mischbildung des Traumes durch ein Moment, welches ausserhalb ihrer Gestaltung liegt, das Gemeinsame in den Traumgedanken, determinirt wird. Die Mischbildung des Traumes kann in sehr mannigfaltiger Weise ausgeführt werden. In der kunstlosesten Ausführung werden nur die Eigenschaften des einen Dinges dargestellt, und diese Darstellung ist von einem Wissen begleitet, dass sie auch für ein anderes Object gelte. Eine sorgfältigere Technik vereinigt Züge des einen wie des anderen Objeetes zu einem neuen Bilde und bedient sich dabei geschickt der etwa in der Realität gegebenen Achnlichkeiten zwischen beiden Objecten. Das Neugebildete kann günzlich absurd ausfallen oder selbst als phantastisch gelungen erscheinen, je nachdem Material und Witz bei der Zusammensetzung es ermöglichen. Sind die Objecte, welche zu einer Einheit verdichtet werden sollen, gar zu disparat, so begnügt sieh die Traumarbeit oft damit, ein Mischgebilde mit einem deutlicheren Kern zu schaffen, an den sich, undeutlichere Bestimmungen anfügen. Die Vereinigung zu einem Bilde ist hier gleichsam nicht gelungen; die beiden Darstellungen überdecken einander und erzeugen etwas wie einen Wettstreit der visuellen Bilder. Wenn man sich die Bildung eines Begriffes aus individuellen Wahrnehmungsbildern vorführen wollte, könnte man zu ähnlichen Darstellungen in einer Zeichnung gelangen.

§ 703

Es wimmelt natürlich in den Träumen von solchen Mischgebilde einige Beispiele habe ich in den bisher analysirten Träumen bereits mitgetheilt; ich werde nun weitere hinzufügen. In dem Traum auf

§ 704

Seite 216, welcher den Lebenslauf der Patientin „durch die Blume“ oder „verblümt“ beschreibt, trägt das Traum-Ich einen blühenden Zweig in der Hand, der, wie wir erfahren haben, gleichzeitig Unschuld und sexuelle Stindigkeit bedeutet. Der Zweig erinnert durch die Art, wie die Blüthen stehen, ausserdem an Kirschblüthen; die Blüthen selbst, einzeln genommen, sind Camelien, wobei dabei das Ganze noch den Eindruck eines exotischen Gewächses macht. Das Gemeinsame an den Elementen dieses Mischgebildes ergiebt sich aus den Traumgedanken. Der blühende Zweig ist aus Anspielungen an Geschenke zusammengesetzt, durch welche sie bewogen wurde oder werden sollte, sich gefällig zu erweisen. So in der Kindheit die Kirschen, in späteren Jahren ein Camelienstock; das Exotische ist eine Anspielung auf einen vielgereisten Naturforscher, welcher mit einer Blumenzeichnung um ihre Gunst werben wollte. Eine andere Patientin schafft sich im Traum ein Mittelding aus Badecabinen im Seebad, ländlichen Aborthäuschen und den Bodenkammern unserer städtisehen Wohnhäuser. Den beiden ersten Elementen ist die Beziehung auf menschliche Nacktheit und Entblössung gemeinsam; es lässt sich aus der Zusammensetzung mit dem dritten Element schliessen, dass (in ihrer Kindheit) auch die Bodenkammer der Schauplatz von Entblössung war. Eine Andere träumt, nachdem der ältere Bruder versprochen hat, sie mit Caviar zu regaliren, von diesem Bruder, dass dessen Beine von den schwarzen Caviarperlen übersät sind. Die Elemente ,Ansteckung“ im moralischen Sinn und die Erinnerung an einen Ausschlag der Kindheit, der die Beine mit rothen anstatt mit schwarzen Pünktchen übersät erscheinen liess, haben sich hier mit den Caviarperlen zu einem neuen Begriff vereinigt, dessen, „was sie von ihrem Bruder bekommen hat“. Theile des menschlichen Körpers werden in diesem Traum behandelt wie Objecte, wie auch in sonstigen Träumen.

§ 705

Ich habe vorhin behauptet, dass der Traum kein Mittel hat, die Relation des Widerspruches, Gegensatzes, das „Nein“ auszudrücken. Ich gehe daran, dieser Behauptung zum ersten Male zu widersprechen. Ein Theil der Fälle, die sich als „Gegensatz“ zusammenfassen lassen, findet seine Darstellung einfach durch Identificirung, wie wir gesehen haben, wenn nämlich mit der Gegenüberstellung ein Vertauschen, an die Stelle setzen, verbunden werden kann. Davon haben wir wiederholt Beispiele erwähnt. Ein anderer Theil der Gegensätze in den Traumgedanken, der etwa unter die Kategorie „Umgekehrt, im Gegentheile“ fällt, gelangt zu seiner Darstellung im Traum auf folgende merkwürdige, beinahe witzig zu nennende Weise. Das „Umgekehrt“ nicht für sich in den Trauminhalt, sondern äussert seine Anwesenheit im Material dadurch, dass ein aus sonstigen Gründen nahe liegendes Stück des schon gebildeten Trauminhaltes — gleichsam nachträglich — umgekehrt wird. Der Vorgang ist leichter zu illustriren als zu beschreiben. Im schönen Traum von „Auf und Nieder“ (Seite 195) ist die Traumdarstellung des Steigens umgekehrt wie das Vorbild in den Traumgedanken, nämlich die Introductionsscene der Sappho Daudet’s; es geht im Traume anfangs schwer, später leicht, während in der Scene das Steigen anfangs leicht, später immer schwerer wird. Auch das „Oben“ und „Unten“ in Bezug auf den Bruder ist verkehrt im Traum dargestellt. Dies deutet auf eine Relation von Umkehrung oder Gegensatz, die zwischen zwei Stücken des Materiales in den Traumgedanken besteht, und die wir darin gefunden haben, dass in der Kindheitsphantasie des Träumers er von seiner Amme getragen wird, umgekehrt wie im Roman der Held die Geliebte trägt. Auch mein Traum von Goethe’s Angriff gegen Herrn M. (Seite 252) enthält ein solches „Umgekehrt“, das erst redressirt werden muss, ehe man auf die Deutung des Traumes gelangen kann. Im Traum hat Goethe einen jungen Mann Herrn N. angegriffen; in der Realität, wie sie die Traumgedanken enthalten, ist ein bedeutender Mann, mein Freund, von einem unbekannten jungen Autor angegriffen worden. Im Traum rechne ich vom Sterbedatum Goethe’s an; in der Wirklichkeit ging die Rechnung vom Geburtsjahr des Paralytikers aus. Der Gedanke, der in dem Traummaterial massgebend ist, ergibt sich als der Widerspruch dagegen, dass Goethe behandelt werden soll, als sei er ein Verrückter. Umgekehrt, sagt der Traum, wenn du das Buch nicht verstehst, bist du der Schwachsinnige, nicht der Autor. In all diesen Träumen von Umkehrung scheint mir über die eine Beziehung auf die verächtliche Wendung („einem die Kehrseite zeigen“) enthalten zu sein (die Umkehrung in Bezug auf den Bruder im Sapphotraum).

§ 706

Will man die Beziehungen zwischen Trauminhalt und Traumgedanken weiter verfolgen, so nimmt man jetzt am besten den selbst zum Ausgangspunkt und stellt sich die Frage, was gewisse formale Charaktere der Traumdarstellung in Bezug auf die Traumgedanken bedeuten. Zu diesen formalen Charakteren, die uns im Traume auffallen müssen, gehören vor Allem die Unterschiede in der sinnlichen Intensität der einzelnen Traumgebilde und in der Deutlichkeit einzelner Traumpartien oder ganzer Träume unter einander verglichen. Die Unterschiede in der Intensität der einzelnen Traumgebilde umfassen eine ganze Scala von einer Schärfe der Ausprägung, die man — wiewohl ohne Gewähr — geneigt ist, über die der Realität zu stellen, bis zu einer ärgerlichen Verschwommenheit, die man als charakteristisch für den Traum erklärt, weil sie eigentlich mit keinem der Grade der Undeutlichkeit, die wir gelegentlich an den Objecten der Realität wahrnehmen, vollkommen zu vergleichen ist. Gewöhnlich bezeichnen wir überdies den Eindruck, den wir von einem undeutlichen Traumobject empfangen, als „flüchtig“, während wir von den deutlicheren Traumbildern meinen, dass sie auch durch längere Zeit der Wahrnehmung Stand gehalten haben. Es fragt sich nun, durch welche Bedingungen im Traummaterial diese Unterschiede in der Lebhaftigkeit der einzelnen Stücke des Trauminhaltes hervorgerufen werden.

§ 707

Man hat hier zunächst gewissen Erwartungen entgegenzutreten, die sich wie unvermeidlich einstellen. Da zu dem Material des Traumes auch wirkliche Sensationen während des Schlafes gehören können, wird man wahrscheinlich voraussetzen, dass diese oder die von ihnen abgeleiteten Traumelemente im Trauminhalt durch besondere Intensität hervorstechen, oder umgekehrt, dass, was im Traum ganz besonders lebhaft ausfällt, auf solche reale Schlafsensationen zurückführbar sein wird. Meine Erfahrung hat dies aber niemals bestätigt. Es ist nicht richtig, dass die Elemente des Traumes, welche Abkömmlinge von realen Eindrücken während des Schlafes (Nervenreizen) sind, sich vor den anderen, die aus Erinnerungen stammen, durch Lebhaftigkeit auszeichnen. Das Moment der Realität geht für die Intensitätsbestimmung der Traumbilder verloren.

§ 708

Ferner könnte man an der Erwartung festhalten, dass die sinnliche Intensität (Lebbaftigkeit) der einzelnen Traumbilder eine Beziehung habe zur psychischen Intensität der ihnen entsprechenden Elemente in den Traumgedanken. In den letzteren fällt Intensität mit psychischer Werthigkeit zusammen; die intensivsten Elemente sind keine anderen als die bedeutsamsten, welche den Mittelpunkt der Traumgedanken bilden. Nun wissen wir zwar, dass gerade diese Elemente der Censur wegen meist keine Aufnahme in den Trauminhalt finden. Aber es könnte doch sein dass ihre sie vertretenden nächsten Abkömmlinge im Traum einen höheren Intensitätsgrad aufbringen, ohne dass sie darum das Centrum der Traumdarstellung bilden müssten. Auch diese Erwartung wird indess durch die vergleichende Betrachtung von Traum und Traummaterial zerstört. Die Intensität der Elemente hier hat mit der Intensität der Elemente dort nichts zu schaffen; es findet zwischen Traummaterial und Traum thatsächlich eine völlige „Umwerthung aller psychischen Werthe“ statt. Gerade in einem flüchtig hingehauchten, durch künftigere Bilder verdeckten Element des Traumes kann man oft einzig und allein einen directen Abkömmling dessen entdecken, was in den Traumgedanken übermässig dominirte.

§ 709

Die Intensität der Elemente des Traumes zeigt sich anders determinirt, und zwar durch zwei von einander unabhängige Momente. Zunächst ist es leicht zu sehen, dass jene Elemente besonders intensiv dargestellt sind, durch welche die Wunscherfüllung sich ausdrückt. Dann aber lehrt die Analyse, dass von den lebhaftesten Elementen des Traumes auch die meisten Gedankengänge ausgehen, dass die lebhaftesten gleichzeitig die bestdeterminirten sind. Es ist keins Aenderung des Sinnes, wenn wir den letzten empirisch genommenen Satz in nachstehender Form aussprechen: Die grösste Intensität zeigen jene Elemente des Traumes, für deren Bildung die ausgiebigste Verdichtungsarbeit in Anspruch genommen wurde. Wir dürfen dann erwarten, dass diese Bedingung und die andere der Wunscherfüllung auch in einer einzigen Formel ausgedrückt werden können.

§ 710

Das Problem, das ich jetzt behandelt habe, die Ursachen der grösseren oder geringeren Intensität oder Deutlichkeit der einzelnen Traumelemente, möchte ich vor Verwechslung mit einem anderen Problem schützen, welches sich auf die verschiedene Deutlichkeit ganzer Träume oder Traumabschnitte bezieht. Dort ist der Gegensatz von Deutlichkeit: Versehwommenheit, hier Verworrenheit. Es ist allerdings unverkennbar, dass in beiden Scalen die steigenden und fallenden Qualitäten einander im Vorkommen begleiten. Eine Partie des Traumes, die uns klar erscheint, enthält zumeist intensive Elemente; em unklarer Traum ist im Gegentheil aus wenig intensiven Elementen zusammengesetzt. Doch ist das Problem, welches die Scala vom anscheinend Klaren bis zum Undeutlich—Verworrenen bietet, weit complicirter als das der Lebhaftigkeitsschwankungen der Traumelemente; ja ersteres entzieht sich aus später anzuführenden Gründen hier noch der Erörterung. In einzelnen Fällen merkt man nicht ohne Ueberraschung, dass der Eindruck von Klarheit oder Undeutlichkeit, den man von einem Traum empfängt, überhaupt nichts für das Traumgefüge bedeutet, sondern aus dem Traummaterial als ein Bestandtheil desselben herrührt. So erinnere ich mich an einen Traum, der mir nach dem Erwachen so besonders gut gefügt, lückenlos und klar erschien, dass ich noch in der Schlaftrunkenheit mir vorsetzte, eine neue Kategorie von Träumen zuzulassen, die nicht dem Mechanismus der Verdichtung und Verschiebung unterlegen waren, sondern als „Phantasien während des Schlafens“ bezeichnet werden durften. Nähere Prüfung ergab, dass dieser rare Traum dieselben Risse und Sprünge in seinem Gefüge zeigte wie jeder andere; ich liess darum die Kategorie der Traumphantasien auch wieder fallen. Der reducirte Inhalt des Traumes war aber, dass ich meinem Freunde eine schwierige und lange gesuchte Theorie der Bisexualität vortrug, und die wunscherfüllende Kraft des Traumes hatte es zu verantworten, dass uns diese Theorie (die übrigens im Traum nicht mitgetheilt wurde) klar und lückenlos erschien. Was ich also für ein Urtheil über den fertigen Traum gehalten hatte, war ein Stück, und zwar das wesentliche Stück des Trauminhaltes. Die Traumarbeit griff hier gleichsam in das erste wache Denken über und übermittelte mir als Urtheil über den Traum jenes Stück des Traummateriales, dessen genaue Darstellung im Traum ihr nicht gelungen war. Ein vollkommenes Gegenstück hiezu erlebte ich einmal bei einer Patientin, die einen in die Analyse gehörigen Traum zuerst überhaupt nicht erzählen wollte, „weil er so undeutlich und verworren sei“, und endlich unter wiederholten Protesten gegen die Sicherheit ihrer Darstellung angab, es seien im Traum mehrere Personen vorgekommen, sie, ihr Mann und ihr Vater, und als ob sie nicht gewusst hatte, ob ihr Mann ihr Vater sei, oder wer eigentlich ihr Vater sei oder so ähnlich. Die Zusammenstellung dieses Traumes mit ihren Einfällen in der Sitzung ergab als unzweifelhaft, dass es sich um die ziemlich alltägliche Geschichte eines Dienstmädchens handle, welches bekennen musste, dass sie ein Kind erwarte, und nun Zweifel zu hören bekomme, „wer eigentlich der Vater (des Kindes) sei“.*)*) Die Unklarheit, die der Traum zeigte, war also auch hier ein Stück aus dem traumerregenden Material. Ein Stück dieses Inhaltes war in der Form des Traumes dargestellt worden.

§ 711

In solche Lage, Klarheit oder Verworrenheit des Traumes auf Sicherheit oder Zweifel im Traummaterial umdeuten zu künnen, kommt man aber nach meiner Erfahrung nur in wenigen Fällen. Ich werde späterhin den bisher nicht erwähnten Factor bei der Traumbildung aufzudecken haben, von dessen Einwirkung diese Qualitätenscala des Traumes wesentlich abhängt.

§ 712

In manchen Träumen, die ein Stück weit eine gewisse Situation und Scenerie festhalten, kommen Unterbrechungen vor, die mit folgenden Worten beschrieben werden: „Es ist dann aber, als wäre es gleichzeitig ein anderer Ort und dort ereignete sich dies und jenes“. Was in solcher Weise die Haupthandlung des Traumes unterbricht, die nach einer Weile wieder fortgesetzt werden kann, das stellt sich im Traummaterial als ein Nebensatz, als ein eingeschobener Gedanke heraus. Die Condition in den Traumgedanken wird im Traum durch Gleichzeitigkeit dargestellt (wenn — wann).

§ 713

Was bedeutet die so häufig im Traum erscheinende Sensation der gehemmten Bewegung, die so nahe an Angst streift? Man will gehen und kommt nicht von der Stelle, will etwas herrichten und stösst fortwährend auf Hindernisse. Der Eisenbahnzug will sich in Bewegung setzen, und man kann ihn nicht erreichen; man hebt die Hand, um eine Beleidigung zu rächen, und sie versagt u. s. w. Wir sind dieser Sensation im Traume schon bei den Exhibitionsträumen begegnet, haben ihre Deutung aber noch nicht ernstlich versucht. Es ist bequem aber unzureichend, zu antworten, im Schlaf bestehe motorische Lähmung, die sich durch die erwähnte Sensation bemerkbar macht. Wir dürfen fragen: Warum träumt man dann nicht beständig von solchen gehemmten Bewegungen?, und wir dürfen erwarten, dass diese im Schlaf jederzeit hervorzurufende Sensation irgend welchen Zwecken der Darstellung diene und nur durch das im Traummaterial gegebene Bedürfnis nach dieser Darstellung erweckt werde.

§ 714

Das Nichts-zu-Stande-bringen tritt im Traum nicht immer als Sensation, sondern auch einfach als Stück des Trauminhaltes auf. Ich halte einen solchen Fall für besonders geeignet, uns über die

*) Begleitende hysterische Symptome: Ausbleiben der Periode und grosse Verstimmung, das Hauptleiden dieser Kranken. § 715

Bedeutung dieses Traumrequisites aufzuklären. Ich werde verkürzt einen Traum mittheilen, in dem ich der Unredlichkeit beschuldigs erscheine. Die Oertlichkeit ist ein Gemenge aus einer Privatheilanstalt und mehreren anderen Localen. Ein Diener erscheint, um mich zu einer Untersuchung zu rufen. Im Traum weiss ich, dass etwas vermisst wird, und dass die Untersuchung wegen des Verdachtes er folgt, dass ich mir das Verlorene angeeignet. Die Analyse zeigt, dass Untersuchung zweideutig zu nehmen ist und ärztliche Untersuchung mit einschliesst. Im Bewusstsein meiner Unschuld und meiner Consiliarfunction in diesem Hause gehe ich ruhig mit dem Diener. An einer Thüre empfängt uns ein anderer Diener und sagt, auf mich deutend: Den haben Sie mitgebracht, der ist ja ein anständiger Mensch. Ich gehe dann ohne Diener in einen grossen Saal, in dem Maschinen stehen, der mich an ein Inferno mit seinen höllischen Strafaufgaben, erinnert. An einem Apparat sehe ich einen Collegen eingespannt, der allen Grund hätte, sich um mich zu bekümmern; er beachtet mich aber nicht. Es heisst dann, dass ich jetzt gehen kann. Da finde ich meinen Hat nicht und kann doch nicht gehen.

§ 716

Es ist offenbar die Wunscherfüllung des Traumes, dass ich als ehrlicher Mann anerkannt werde und gehen darf; in den Traumgedanken muss also allerlei Material vorhanden sein, welches den Widerspruch dagegen enthält. Dass ich gehen darf, ist das Zeichen meiner Absolution; wenn also der Traum am Ende ein Ereignis bringt, das mich im Gehen aufhält, so liegt es wohl nahe schliessen, dass durch diesen Zug das unterdrückte Material des Widerspruches sich zur Geltung bringt. Dass ich den Hut nicht finde, bedeutet also: Du bist doch kein ehrlicher Mensch. Das Nichtzu-Stande-bringen des Traumes ist ein Ausdruck des Widerspruches, ein „Nein“, wonach also die frühere Behauptung zu corrigiren ist, dass der Traum das Nein nicht auszudrücken vermag.*)*)

§ 717

In anderen Träumen, welche das Nicht-zu-Stande-kommen der Bewegung nicht blos als Situation sondern als Sensation enthalten, ist derselbe Widerspruch durch die Sensation der Bewegungshemmung kräftiger ausgedrückt, als ein Wille, dem ein Gegenwille sich widersetzt. Die Sensation der Bewegungshemmung stellt also einen Willensconflict dar. Wir werden später hören, dass gerade die motorische Lähmung im Schlaf zu den fundamentalen Bedingungen des psychischen Vorganges während des Träumens gehört. Der auf die motorischen Bahnen übertragene Impuls ist nun nichts anderes als der Wille, und dass wir sicher sind, im Schlaf diesen Impuls als gehemmt zu empfinden, macht den ganzen Vorgang so überaus geeignet zur Darstellung des Wollens und des „Nein“, das sich ihm entgegensetzt. Nach meiner Erklärung der Angst begreift es sich auch leicht, dass die Sensation der Willenshemmung der Angst so nahe steht und sich im Traume so oft mit ihr verbindet. Die Angst ist ein libidinöser Impuls, der vom Unbewussten ausgeht und vom Vorbewussten gehemmt wird. Wo also im Traume die Sensation der Hemmung mit Angst verbunden ist, da muss es sich um ein Wollen handeln, das einmal fähig war Libido zu entwickeln, um eine sexuelle Regung.

*) Eine Beziehung zu einem Kindheitserlebnis ergiebt sich in der vollständigen Analyse durch folgende Vermittlung: — Der Mohr hat seine Schuldigkeit gethan, der Mohr kann gehen. Und dann die Scherzfrage: Wie alt ist der Mohr, wenn er seine Schuldigkeit gethan hat? Ein Jahr, dann kann er gehen. (Ich soll soviel wirres schwarzes Haar mit zur Welt gebracht haben, dass mich die junge Mutter für einen kleinen Mohren erklärte.) — Dass ich den Hut nicht finde, ist ein mehrsinnig verwerthetes Tageserlebnis. Unser im Aufbewahren geniales Stubenmädchen hatte ihn versteckt. — Auch die Ablehnung trauriger Todesgedanken verbirgt sich hinter diesem Traumende: Ich habe meine Schuldigkeit noch lange nicht gethan; ich darf noch nicht gehen. — Geburt und Tod wie in dem kurz vorher erfolgten Traume von Goethe und dem Paralytiker (Seite 252). § 718

d) Die Rücksicht auf Darstellbarkeit.

§ 719

Wir haben es bisher mit der Untersuchung zu thun gehabt, wie der Traum die Relationen zwischen den Traumgedanken darstellt, griffen dabei aber mehrfach auf das weitere Thema zurück, welche Veränderung das Traummaterial überhaupt für die Zwecke der Traumbildung erfährt. Wir wissen nun, dass das Traummaterial, seiner Relationen zum guten Theile entblösst, einer Compression unterliegt, während gleichzeitig Intensitätsverschiebungen zwischen seinen Elementen eine psychische Umwerthung dieses Materiales erzwingen. Die Verschiebungen, die wir berücksichtigt haben, erwiesen sich als Ersetzungen einer bestimmten Vorstellung durch eine andere ihr in der Association irgendwie nahestehende, und sie wurden der Verdichtung dienstbar gemacht, indem auf solche Weise anstatt zweier Elemente ein mittleres Gemeinsames zwischen ihnen zur Aufnahme in den Traum gelangte. Von einer anderen Art der Verschiebung haben wir noch keine Erwähnung gethan. Aus den Analysen erfährt man aber, dass eine solche besteht, und dass sie sich in einer Vertauschung des sprachlichen Ausdruckes für den betreffenden Gedanken kund gibt. Es handelt sich beide Male um Verschiebung längs einer Associationskette, aber der gleiche Vorgang, findet in verschiedenen psychischen Sphären statt, und das Ergebnis dieser Verschiebung ist das eine Mal, dass ein Element durch ein anderes substituirt wird, während im anderen Falle ein Element seine Wortfassung gegen eine andere vertauscht.

§ 720

Diese zweite Art der bei der Traumbildung vorkommenden Verschiebungen hat nicht nur grosses theoretisches Interesse, sondern ist auch besonders gut geeignet, den Anschein phantastischer Ab surdität, mit dem der Traum sich verkleidet, aufzuklären. Die Verschiebung erfolgt in der Regel nach der Richtung, dass ein farbloser und abstracter Ausdruck des Traumgedankens gegen einen bildlichen und concreten eingetauscht wird, Der Vortheil, und somit die Absicht dieses Ersatzes, liegt auf der Hand. Das Bildliche ist für den Traum darstellungsfähig, lässt sich in eine Situation einfügen, wo der abstracte Ausdruck der Traumdarstellung ähnliche Schwieriekeiten bereiten würde, wie etwa ein politischer Leitartikel einer Zeitung der Illustration. Aber nicht nur die Darstellbarkeit, auch die Interessen der Verdiehtung und der Censur können bei diesem Tausche gewinnen. Ist erst der abstract ausgedrückt, unbrauchbare Traumgedanke in eine bildliche Sprache umgeformt, so ergeben sich zwischen diesem neuen Ausdruck und dem übrigen Traummateriale leichter als vorher die Berührungen und Identitäten, welcher die Traumarbeit bedarf, und die sie schafft, wo sie nicht vorhanden sind, denn die conereten Termini sind in jeder Sprache ihrer Entwickelung zufolge anknüpfungsreicher als die begrifflichen. Man kann sich vorstellen, dass ein gutes Stück der Zwischenarbeit bei der Traumbildung, welche die gesonderten Traumgedanken auf möglichst knappen und einheitlichen Ausdruck im Traume zu reduciren auch auf solche Weise, durch passende sprachliche Umformung der einzelnen Gedanken vor sich geht. Der eine Gedanke, dessen Ausdruck etwa aus anderen Gründen fest steht, wird dabei vertheilend und auswählend auf die Ausdrucksmöglichkeiten des anderen einwirken, und dies vielleicht von vorne herein, ähnlich wie bei der Arbeit des Dichters. Wenn ein Gedicht in Reimen entstehen soll, so ist die zweite Reimzeile an zwei Bedingungen gebunden; sie muss den ihr zukommenden Sinn ausdrücken, und ihr Ausdruck muss den Gleichklang mit der ersten Reimzeile finden. Die besten Gedichte sind wohl die, wo man die Absicht den Reim zu finden nicht merkt, sondern wo beide Gedanken von vorneherein durch gegenseitige Inducirung den sprachlichen Ausdruck gewählt haben, der mit leichter Nachbearbeitung den Gleichklang entstehen lässt.

§ 721

In einigen Fällen dient die Ausdrucksvertauschung der Traumverdichtung noch auf kürzerem Wege, indem sie eine Wortfügung finden lässt, welehe als zweideutig mehr als einem der Traumgedanken Ausdruck gestattet. Das ganze Gebiet des Wortwitzes wird so der Traumarbeit dienstbar gemacht. Man darf sich über die Rolle, welche dem Worte bei der Traumbildung zufällt, nicht wundern. Das Wort, als der Knotenpunkt mehrfacher Vorstellungen, ist sozusagen eine prädestinirte Vieldeutigkeit, und die Neurosen (Zwangsvorstellungen, Phobien) benützen die Vortheile, die das Wort so zur Verdichtung und Verkleidung bietet, nicht minder ungescheut wie der Traum. Dass die Traumverstellung bei der Verschiebung des Ausdruckes mitprofitirt, ist leicht zu zeigen. Es ist ja irreführend, wenn ein zweideutiges Wort anstatt zweier eindeutiger gesetzt wird; und der Ersatz der alltäglich nüchternen Ausdrucksweise durch eine bildliche hält unser Verständnis auf, besonders da der Traum niemals aussagt, ob die von ihm gebrachten Elemente wörtlich oder im übertragenen Sinne zu deuten sind, direct oder durch Vermittlung eingeschobener Redensarten auf das Traummaterial bezogen werden sollen. Beispiele von Darstellungen im 'Traume, die nur durch Zweideutigkeit des Ausdruckes zusammengehalten werden, habe ich bereits mehrere angeführt („Der Mund geht gut auf“ im Injectionstraum; „Ich kann noch nicht gehen“ im letzten Traum S. 228) u.s. w. Ich werde nun einen Traum mittheilen, in dessen Analyse die Verbildlichung des abstracten Gedankens eine grössere Rolle spielt. Der Unterschied solcher Traumdeutung von der Deutung mittelst Symbolik lässt sich noch immer scharf bestimmen; beider symbolischen Traumdeutung wird der Schlüssel der Symbolisirung vom Traumdeuter willkürlich gewählt; in unseren Fällen von sprachlicher Verkleidung sind diese Schlüssel allgemein bekannt und durch feststehende Sprachübung gegeben. Verfügt man über den richtigen Einfall zur rechten Gelegenheit, so kann man Träume dieser Art auch unabhängig von den Angaben des Träumers ganz oder stückweise auflösen.

§ 722

Eine mir befreundete Dame träumt: Sie befindet sich in der Oper. Es ist eine Wagner-Vorstellung, die bis 3/48 Uhr morgens gedauert hat. Im Parquet und Parterre stehen Tische, an denen gespeist und getrunken wird. Ihr eben von der Hochzeitsreise heimgekehrter Vetter sitzt an einem solchen Tische mit seiner jungen Frau; neben ihnen ein Aristokrat. Von diesem heisst es, die junge Frau habe sich ihn von der Hochzeitsreise mitgebracht, ganz offen, etwa wie man einen Hut von der Hochzeitsreise mitbringt. Inmitten des Parquets befindet sich ein hoher Thurm, der oben eine Plattform trägt, die mit einem eisernen Gitter umgeben ist. Dort hoch oben ist der Dirigent mit den Zügen Hans Richter’s; er läuft beständig hinter seinem Gitter herum, schwitzt furchtbar und leitet von diesem Posten aus das unten um die Basis des Thurmes angeordnete Orchester. Sie selbst sitzt mit einer (mir bekannten) Freundin in einer Loge. Ihre jüngere Schwester will ihr aus dom Parquet ein grosses Stück Kohle hinaufreichen mit der Motivirung, sie habe doch nicht gewusst, dass es so lange dauern werde, und müsse jetzt wohl erbärmlich frieren. (Etwa als ob die Logen während der langen Vorstellung geheizt werden müssten.)

§ 723

Der Traum ist wohl unsinnig genug, obwohl sonst gut auf eine Situation gebracht. Der Thurm mitten im Parquet, von dem aus der Dirigent das Orchester leitet; vor allem aber die Kohle, die ihr die Schwester hinaufreicht! Ich habe von diesem Traume absichtlich keine Analyse verlangt; mit etwas Kenntnis von den persönlichen Beziehungen der Träumerin, gelang es mir Stücke von ihm selbständig zu deuten. Ich wusste, dass sie viel Sympathie für einen Musiker gehabt hatte, dessen Laufbahn vorzeitig durch Geisteskrankheit unterbrochen worden war. Ich entschloss mich also den Thurm im Parquet wörtlich zu nehmen. Dann kam heraus, dass der Mann, den sie an Hans Richter’s Stelle zu sehen gewünscht hätte, die übrigen Mitglieder des Orchester’s thurmhoch überragt. Dieser Thurm ist als ein Mischgebilde durch Apposition zu bezeichnen; mit seinem Unterbau stellt er die Grösse des Mannes dar, mit dem Gitter oben, hinter dem er wie ein Gefangener oder wie ein Thier im Käfig (Anspielung auf den Namen des Unglücklichen) herumläuft, das spätere Schicksal desselben. „Narrenthurm“ wäre etwa das Wort, in dem die beiden Gedanken hätten zusammentreffen können.

§ 724

Nachdem so die Darstellungsweise des Traumes aufgedeckt war, konnte man versuchen, die zweite scheinbare Absurdität, die mit den Kohlen, die ihr von der Schwester gereicht werden, mit demselben Schlüssel aufzulösen. „Kohle“ musste „heimliche Liebe bedeuten

§ 725

Kein Feuer, keine Kohle kann brennen so heiss, als wie heimliche Liebe, von der niemand was weiss.“

§ 726

Sie selbst und ihre Freundin waren sitzen geblieben; die jüngere Schwester, die noch Aussicht hat zu heirathen, reicht ihr die Kohle hinauf, „weil sie doch nicht gewusst habe, dass es so lange dauern wird“. Was so lange dauern wird, ist im Traume nicht gesagt; in einer Erzählung würden wir ergänzen: die Vorstellung; im Traume dürfen wir den Satz für sieh in’s Auge fassen, ihn für zweideutig erklären und hinzufügen, „bis sie heirathet“. Die Deutung „heimliche Liebe“ wird dann unterstützt durch die Erwähnung des Vetters, der mit seiner Frau im Parquet sitzt, und durch die dieser letzteren angedichtete offene Liebschaft. Die Gegensätze zwischen heimlicher und offener Liebe, zwischen ihrem Feuer und der Kälte der jungen Frau beherrscht den Traum. Hier wie dort übrigens ein „Hochstehender“ als Mittelwort zwischen dem Aristokraten und dem zu grossen Hoffnungen berechtigenden Musiker.

§ 727

Mit den vorstehenden Erörterungen haben wir endlich ein drittes Moment aufgedeckt, dessen Antheil bei der Verwandlung der Traumgedanken in den Trauminhalt nicht gering anzuschlagen ist: Die Rücksicht auf die Darstellbarkeit in dem eigenthümlichen psychischen Material, dessen sich der Traum bedient, also zumeist in visuellen Bildern. Unter den verschiedenen Nebenanknüpfungen an die wesentlichen Traumgedanken wird diejenige bevorzugt werden, welche eine visuelle Darstellung erlaubt, und die Traumarbeit scheut nicht die Mühe, den spröden Gedanken etwa zuerst in eine andere sprachliche Form umzugiessen, sei diese auch die ungewöhnlichere, wenn sie nur die Darstellung ermöglicht und so der psychologischen Bedrängnis des eingeklemmten Denkens ein Ende macht. Diese Umleerung des Gedankeninhaltes in eine andere Form kann sich aber gleichzeitig in den Dienst der Verdichtungsarbeit stellen und Beziehungen zu einem anderen Gedanken schaffen, die sonst nicht vorhanden wären. Dieser andere Gedanke mag etwa selbst zum Zwecke des Entgegenkommens vorher seinen ursprünglichen Ausdruck verändert haben.

§ 728

Angesichts der Rolle, welche Witzworte, Citate, Lieder und Sprichwörter im Gedankenleben der Gebildeten spielen, wäre es vollKommen der Erwartung gemäss, wenn Verkleidungen solcher Art überaus häufig für Darstellung der Traumgedanken verwendet werden sollten. Was bedeuten z. B. im Traume Wagen, von denen jeder mit anderem Gemüse angefüllt ist? Es ist der Wunschgegensatz von „Kraut und Rüben“, also „Durcheinander“ und bedeutet demnach „Unordnung“. Ich habe mich gewundert, dass mir dieser Traum nur ein einziges Mal berichtet worden ist. Nur für wenige Materien hat sich eine allgemein giltige Traumsymbolik herausgebildet, auf Grund allgemein bekannter Anspielungen und Wortersetzungen. Ein gutes Theil dieser Symbolik hat übrigens der Traum mit den Psychoneurosen, den Sagen und Volksgebräuchen gemeinsam.

§ 729

Ja, wenn man genauer zusieht, muss man erkennen, dass die Traumarbeit mit dieser Art von Ersetzung überhaupt nichts originelles leistet. Zur Erreichung ihrer Zwecke, in diesem Falle der censurfreien Darstellbarkeit, wandelt sie eben nur die Wege, die sie im unbewussten Denken bereits gebahnt vorfindet, bevorzugt sie jene Umwandlungen des verdrängten Materials, die als Witz und Anspielung auch bewusst werden dürfen, und mit denen alle Phantasien der Neurotiker erfüllt sind. Hier eröffnet sich dann plötzlich ein Verständnis für die Traumdeutungen Scherner's, deren richtigen Kern ich an anderer Stelle vertheidigt habe. Die Phantasiebeschäftigung mit dem eigenen Körper ist keineswegs dem Traume allein eigenthümlich oder für ihn charakteristisch. Meine Analysen haben mir gezeigt, dass sie im unbewussten Denken der Neurotiker ein regelmässiges Vorkommnis ist und auf die sexuelle Neugierde zurückgeht, deren Gegenstand die Genitalien des anderen, aber doch auch des eigenen Geschlechtes für den heranwachsenden Jüngling oder für die Jungfrau werden. Wie aber Scherner und Volkelt ganz zutreffend hervorheben, ist das Haus nicht der einzige Vorstellungskreis, der zur Symbolisirung der Leiblichkeit verwendet wird — im Traume so wenig wie im unbewussten Phantasiren der Neurose. Ich kenne Patienten, die allerdings die architektonische Symbolik des Körpers und der Genitalien (reicht doch das sexuelle Interesse weit über das Gebiet der äusseren Genitalien hinaus) beibehalten haben, denen Pfeiler und Säulen Beine bedeuten (wie im Hohen Lied), die jedes Thor an eine der Körperöffnungen („Loch“), die jede Wasserleitung an den Harnapparat denken lässt u. s. w. Aber ebenso gerne wird der Vorstellungskreis des Pflanzenlebens oder der Küche zum Versteck sexueller Bilder gewählt; im ersteren Falle hat der Sprachgebrauch, der Niederschlag von Phantasievergleichungen ältester Zeiten, reichlich vorgearbeitet (der „Weinberg“ des Herrn, der „Samen“, der „Garten“ des Mädchens im Hohen Lied). In scheinbar harmlosen Anspielungen an die Verrichtungen der Küche lassen sich die hässlichsten wie die intimsten Einzelheiten des Sexuallebens denken und träumen, und die Symptomatik der Hysterie wird geradezu undeutbar, wenn man vergisst, dass sich sexuelle Symbolik hinter dem Alltäglichen und Unauffälligen als seinem besten Verstecke verbergen kann. Es hat seinen guten sexuellen Sinn, wenn neurotische Kinder kein Blut und kein rohes Fleisch sehen wollen, bei Eiern und Nudeln erbrechen, wenn die dem Menschen natürliche Furcht vor der Schlange beim Neurotiker eine ungeheuerliche Steigerung erfährt, und überall wo die Neurose sich solcher Verhüllung bedient, wandelt sie die Wege, die einst in alten Culturperioden die ganze Menschheit begangen hat, und von deren Existenz unter leichter Verschüttung heute noch Sprachgebrauch, Aberglaube und Sitte Zeugnis ablegen.

§ 730

Ich füge hier den angekündigten Blumentraum einer Patientin ein, in dem ich alles, was sexuell zu deuten ist, unterstreiche. Der schöne Traum wollte der Träumerin nach der Deutung gar nicht mehr gefallen.

§ 731

a) Vortraum: Sie geht in die Küche zu den beiden Mädchen und tadelt sie, dass sie nicht fertig werden, „mit dem Bissel Essen“ und sieht dabei soviel umgestürztes Geschirr zum Abtropfen stehen, grobes Geschirr in Haufen zusammengestellt. Späterer Zusatz: Die beiden Mädchen gehen Wasser holen, und müssen dabei wie in einen Fluss steigen, der bis in’s Haus oder in den Hof reicht. *)*)

§ 732

b) Haupttraum:**)**) Sie steigt von hoch herab***)***) über eigenthümliche Geländer oder Zäune, die zu grossen Carreau’s vereinigt sind und aus Flechtwerk von kleinen Quadraten bestehen.†)†) Es ist eigentlich nicht zum Steigen eingerichtet; sie hat immer Sorge, dass sie Platz für den Fuss findet, und freut sich, dass ihr Kleid dabei nirgends hängen bleibt, dass sie im Gehen so anständig bleibt.††)††) Dabei trägt sie einen grossen Ast in der Hand,†††)†††) eigentlich wie einen Baum, der dick mit rothen Blüthen besetzt ist, verzweigt und ausgebreitet.*)*) Dabei ist die Idee Kirschblüthen, sie sehen aber auch aus wie gefüllte Camelien, die freilich nicht auf Bäumen wachsen. Während des Herabgehens hat sie zuerst einen, dann plötzlich zwei, später wieder einen.**)**) Wie sie unten anlangt, sind die unteren Blüthen schon ziemlich abgefallen. Sie sieht dann, untenangelangt, einen Hausknecht, der einen eben solchen Baum, sie möchte sagen — kämmt, d. h. mit einem Holz dicke Haarbüschel, die wie Moos von ihm herabhängen, rauft, Andere Arbeiter haben solche Aeste aus einem Garten abgehauen und auf die Strasse geworfen, wo sie herumliegen, so dass viele Leute sich davon nehmen. Sie fragt aber, ob das recht ist, ob man sich auch einen nehmen kann.***)***) Im Garten steht ein junger Mann (von ihr unbekannter Persönlichkeit, ein Fremder), auf den sie zugeht, um ihn zu fragen, wie man solche Aeste in ihren eigenen Garten umsetzen könne.†)†) Er umfängt sie, worauf sie sich sträubt und ihn ragt was ihm einfällt, ob man sie denn so umfangen darf. Er sagt, das ist kein Unrecht, das ist erlaubt.††)††) Er erklärt sich dann bereit, mit ihr in den anderen Garten zu gehen, um ihr das Einsetzen zu zeigen, und sagt ihr etwas, was sie nicht recht versteht: Es fehlen mir ohnedies drei Meter(später sagt sie: Quadratmeter) oder drei Klafter Grund. Es ist, als ob er für seine Bereitwilligkeit etwas von ihr verlangen würde, als ob er die Absicht hätte, sich in ihrem Garten zu entschädigen, oder als wollte er irgend ein Gesetz betrügen, einen Vortheil davon haben, ohne dass sie einen Schaden hat. Ob er ihr dann wirklich etwas zeigt, weiss sie nicht.

*) Zur Deutung dieses als „causal“ zu nehmenden Vortraumes siehe S. 216. **) Ihr Lebenslauf. ***) Hohe Abkunft, Wunschgegensatz zum Vortraume. †) Mischgebilde, das zwei Localitäten vereinigt, den sogenannten Boden des Vaterhauses, auf dem sie mit dem Bruder spielte, dem Gegenstande ihrer späteren Phantasien, und den Hof eines schlimmen Onkels, der sie zu necken pflegte. ††) Wunschgegensatz zu einer realen Erinnerung vom Hofe des Onkels, dass sie sich im Schlafe zu entblössen pflegte. †††) Wie der Engel in der Verkündigung Mariä einen Lilienstengel. § 733

Ich muss noch einen anderen Vorstellungskreis erwähnen, der im Träumen wie in der Neurose häufig zur Verhüllung sexuellen Inhaltes dient. Ich meine den des Wohnungswechsels. Seine Wohnung wechseln ersetzt sich leicht durch Ausziehen, also durch ein mehrdeutiges Wort, das in den Vorstellungskreis der Kleidung führt. Ist dann noch im Traume ein Lift dabei, so erinnert man sich, dass „to lift“ im Englischen aufheben bedeutet, also „Kleider aufheben“.

§ 734

Ich habe natürlich gerade an solchem Material Ueberfluss, aber dessen Mittheilung würde zu tief in die Erörterung neurotischer Verhältnisse führen. Alles leitete zum gleichen Schluss, dass man keine besondere symbolisirende Thätigkeit der Seele bei der Traumarbeit anzunehmen braucht, sondern dass der Traum sich solcher Symbolisirungen, welche im unbewussten Denken bereits fertig enthälten sind, bedient, weil sie wegen ihrer Darstellbarkeit, zumeist auch wegen ihrer Censurfreiheit, den Anforderungen der Traumbildung besser genügen.

*) Die Erklärung dieses Mischgebildes siehe S. 223: Unschuld, Periode, Cameliendame. **) Auf die Mehrheit der ihrer Phantasien dienenden Personen. ***) Ob man sich auch einen herunterreissen darf i. e. masturbiren. †) Der Ast hat längst die Vertretung des männlichen Genitales übernommen, enthält übrigens eine sehr deutliche Anspielung an den Familiennamen. ††) Bezieht sich wie das Nächstfolgende auf eheliche Vorsichten. § 735

e) Beispiele. — Rechnen und Reden im Traum.

§ 736

Ehe ich nun das vierte der die Traumbildung beherrschenden Momente an die ihm gebührende Stelle setze, will ich aus meiner Traumsammlung einige Beispiele heranziehen, welche theils das Zusammenwirken der drei uns bekannten Momente erläutern, theils Beweise für frei hingestellte Behauptungen nachtragen oder unabweisbare Folgerungen aus ihnen ausführen können. Es ist mir ja in der vorstehenden Darstellung der Traumarbeit recht schwer geworden, meine Ergebnisse an Beispielen zu erweisen. Die Beispiele für die einzelnen Sätze sind nur im Zusammerhange einer Traumdeutung beweiskräftig; aus dem Zusammenhange gerissen büssen sie ihre Schönheit ein, und eine auch nur wenig vertiefte Traumdeutung wird bald so umfangreich, dass sie den Faden der Erörterung, zu deren Illustrirung sie dienen soll, verlieren lässt. Dieses technische Motiv mag entschuldigen, wenn ich nun allerlei an einander reihe, was nur durch die Beziehung auf den Text des vorstehenden Absehnittes zusammengehalten wird.

§ 737

Zunächst einige Beispiele von besonders eigenthümlichen oder von ungewöhnlichen Darstellungsweisen im Traume. Im Traume einer Dame heisst es: Ein Stubenmädchen steht auf der Leiter wie zum Fensterputzen und hat einen Schimpanse und eine Gorillakatze (später corrigirt: Angorakatze) bei sich. Sie wirft die Thiere auf die Träumerin; der Schimpanse schmiegt sich an die letztere an, und das ist sehr ekelhaft. Dieser Traum hat seinen Zweck durch ein höchst einfaches Mittel erreicht, indem er nämlich eine Redensart wörtlich nahm und nach ihrem Wortlaute darstellte. „Affe“ wie Thiernamen überhaupt sind Schimpfwörter, und die Traumsituation besagt nichts anderes ale „mit Schimpfworten um sich werfen“. Diese selbe Sammlung wird alsbald weitere Beispiele für die Anwendung. dieses einfachen Kunstgriffes bei der Traumarbeit bringen.

§ 738

Ganz ähnlich verfährt ein anderer Traum: Eine Frau mit einem Kind, das einen auffällig missbildeten Schädel hat; von diesem Kinde hat sie gehört, dass er durch die Lage im Mutterleibe so geworden. Man könnte den Schädel, sagt der Arzt, durch Compression in eine bessere Form bringen, allein das würde dem Gehirn schaden. Sie denkt, da es ein Bub ist, schadetes ihm weniger. — Dieser Traum enthält die plastische Darstellung des abstracten Begriffes: „Kindereindrücke“, den die Träumerin in den Erklärungen zur Cur gehört.

§ 739

Einen etwas anderen Weg schlägt die Traumarbeit im folgenden Beispiel ein. Der Traum enthält die Erinnerung an einen Ausflug zum Hilmteich bei Graz: Es ist ein schreckliches Wetter draussen; ein armseliges Hötel, von den Wänden tropft das Wasser, die Betten sind feucht. (Letzteres Stück des Inhalts ist minder direct im Traum, als ich es bringe.) Der Traum bedeutet „überflüssig“. Das Abstractum, das sich in den Traumgedanken fand, ist zunächst etwas gewaltsam äquivok gemacht worden, etwa durch „überfliessend“ ersetzt oder durch „flüssig und überflüssig“, und dann durch eine Häufung gleichartiger Eindrücke zur Darstellung gebracht. Wasser draussen, Wasser innen an den Wänden, Wasser als Feuchtigkeit in den Betten, alles flüssig undüber“ flüssig. —

§ 740

Es wäre eine besondere Arbeit, solche Darstellungsweisen zu. sammeln und nach den ihnen zu Grunde liegenden Principien zu ordnen.

§ 741

Der Traumarbeit gelingt oft auch die Darstellung von sehr sprödem Material, wie es etwa Eigennamen sind, durch gezwungene Verwerthung sehr entlegener Beziehungen. In einem meiner Träume hat mir der alte Brücke eine Aufgabe gestellt. Ich fertige ein Präparat an und klaube etwas heraus, was wie zerknülltes Silberpapier aussieht. (Von diesem Traume noch später mehr.) Der nicht leicht auffindbare Einfall dazu ergibt: „Stanniol“, und nun weiss ich, dass ich den Autornamen Stannius meine, den eine von mir in früberen Jahren mit Ehrfurcht betrachtete Abhandlung über das Nervensystem der Fische trägt. Die erste wissenschaftliche Aufgabe, die mir mein Lehrer gestellt, bezog sich wirklich auf das Nervensystem eines Fische, des Ammocoetes. Letzterer Name war im Bilderräthsel offenbar gar nicht zu gebrauchen.

§ 742

Worin die Traumarbeit besteht und wie sie mit ihrem Material, den Traumgedanken, umspringt, lässt sich in lehrreicher Weise an den Zahlen und Rechnungen zeigen, die in Träumen vorkommen. Geträumte Zahlen gelten überdies dem Aberglauben als besonders verheissungsvoll. Ich werde also einige Beispiele solcher Art aus meiner Sammlung heraussuchen.

§ 743

I. Aus dem Traum einer Dame, kurz vor Beendigung ihrer Cur:

§ 744

Sie will irgend etwas bezahlen; ihre Tochter nimmt ihr 3 fl. 65 kr. aus der Geldtasche; sie sagt aber: Was thust Du? Es kostet ja nur 21 kr. Dieses Stückchen Traum war mir durch die Verhältnisse der Träumerin ohne weitere Aufklärung ihrerseits verständlich. Die Dame war eine Fremde, die ihre Tochter in einem Wiener Erziehungsinstitute untergebracht hatte und meine Behandlung fortsetzen konnte, so lange ihre Tochter in Wien blieb. In drei Wochen war deren Schuljahr zu Ende und damit endete auch die Cur. Am Tage vor dem Traum hatte ihr die Institutsvorsteherin nahe gelegt, ob sie sich nicht entschliessen könnte, das Kind noch ein weiteres Jahr bei ihr zu lassen. Sie hatte dann offenbar bei sieh diese Anregung dahin fortgesetzt, dass sie in diesem Falle auch die Behandlung um ein Jahr verlängern könnte. Darauf bezieht sich nun der Traum, denn ein Jahr ist gleich 365 Tagen, die drei Wochen bis zum Abschluss des Schuljahres und der Cur lassen sich ersetzen durch 21 Tage (wenngleich nicht ebensoviele Behandlungsstunden). Die Zahlen, die in den Traumgedanken bei Zeiten standen, werden im Traum Geldwerthen beigesetzt, nicht ohne dass damit ein tieferer Sinn zum Ausdruck käme, denn „Time is money“, Zeit hat Geldwerth. 365 Kreuzer sind dann allerdings 3 Gulden 65 Kreuzer. Die Kleinheit der im Traum erscheinenden Summen ist offenkundige Wunscherfüllung; der Wunsch hat die Kosten der Behandlung wie des Lehrjahres im Institut verkleinert.

§ 745

II. Zu complicirteren Beziehungen führen die Zahlen in einem anderen Traum. Eine junge, aber schon seit einer Reihe von Jahren verheirathete Dame erfährt, dass eine ihr fast gleichalterige Bekannte, Elise L., sich eben verlobt hat. Daraufhin träumt sie: Sie sitzt mit ihrem Manne im Theater, eine Seite des Parquets ist ganz unbesetzt. Ihr Mann erzählt ihr, Elise L. und ihr Bräutigam hätten auch gehen wollen, hätten aber nur schlechte Sitze bekommen, 3 für 1 fl. 50 kr., und die konnten sie ja nicht nehmen. Sie meint, es wäre auch kein Unglück gewesen.

§ 746

Woher rühren die 1 fl. 50 kr.? Aus einem eigentlich indifferenten Anlass des Vortages. Ihre Schwägerin hatte von ihrem Manne 150 fl. zum Geschenk bekommen und sich beeilt, sie los zu werden, indem sie sich einen Schmuck dafür kaufte. Wir wollen anmerken, dass 150 fl. 100 mal mehr als 1 fl. 50 kr. Woher die 3, die bei den Theatersitzen steht? Dafür ergibt sich nur die eine Anknüpfung, dass die Braut um ebensoviel Monate — drei — jünger ist als sie. Zur Auflösung des Traumes führt dann die Erkundigung, was der Zug im Traum, dass eine Seite des Parquets leer bleibt, bedeuten kann. Derselbe ist eine unveränderte Anspielung auf eine kleine Begebenheit, die ihrem Manne guten Grund zur Neckerei gesehen hat. Sie hatte sich vorgenommen, zu einer der angekündigten Theatervorstellungen der Woche zu gehen, und war so vorsorglich, mehrere Tage vorher Karten zu nehmen, für die sie Vorkaufsgebühr zu zahlen hatte. Als sie dann in’s Theater kamen, fanden sie, dass die eine Seite des Hauses fast leer war; sie hätte es nicht nöthig gehabt, sich so sehr zu beeilen.

§ 747

Ich werde jetzt den Traum durch die Traumgedanken ersetzen: „Ein Unsinn war es doch, so früh zu heirathen, ich hättees nicht nöthig gehabt, mich so zu beeilen; An dem Beispiele der Elise L. sehe ich, dass ich noch immer einen Mann bekommen hätte, Und zwar einen hundertmal besseren (Mann, Schatz), wenn ich nur gewartet hätte (Gegensatz zu dem Beeilen der Schwägerin). Drei solche Männer hätte ich für das Geld (die Mitgift) kaufen können!“ Wir werden darauf aufmerksam, dass in diesem Traum die Zahlen in weit höherem Grade Bedeutung und Zusammenhang verändert haben, als im vorher behandelten. Die Umwandlungs- und Eintstellungsarbeit des Traumes ist hier ausgiebiger gewesen, was wir so deuten, dass diese Traumgedanken bis zu ihrer Darstellung ein besonders hohes Mass von innerpsychischem Widerstand zu überwinden hatten. Wir wollen auch nicht übersehen, dass in diesem Traum ein absurdes Element enthalten ist, nämlich, dass zwei Personen drei Sitze nehmen sollen. Wir greifen in die Deutung der Absurdität im Traume über, wenn wir anführen, dass dieses absurde Detail des Trauminhaltes den meistbetonten der Traumgedanken darstellen soll: Ein Unsinn war es, so früh zu heirathen. Die in einer ganz nebensächlichen Beziehung der beiden verglichenen Personen enthaltene 3 (3 Monate Unterschied im Alter) ist dann geschickt zur Production des für den Traum erforderlichen Unsinns verwendet worden. Die Verkleinerung der realen 150 fl. auf 1 fl. 50 entspricht der Geringschätzung des Mannes (oder Schatzes) in den: unterdrückten Gedanken der Träumerin.

§ 748

III. Ein anderes Beispiel führt uns die Rechenkunst des Traumes vor, die ihm soviel Missachtung eingetragen hat. Ein Mann träumt: Er sitzt bei B ... (einer Familie seiner früheren Bekanntschaft) und sagt: Es war ein Unsinn, dass Sie mir die Mali nicht gegeben haben. Darauf fragt er das Mädchen: Wie alt sind Sie denn? Antwort: Ich bin 1882 geboren. — Ah, dann sind Sie 28 Jahre alt.

§ 749

Da der Traum im Jahre 1898 vorfällt, so ist das offenbar schlecht gerechnet, und die Rechenschwäche des Träumers darf der des Paralytikers an die Seite gestellt werden, wenn sie sich etwa nicht anders aufklären lässt. Mein Patient gehörte zu jenen Personen, deren Gedanken kein Frauenzimmer, das sie sehen, in Ruhe lassen können. Seine Nachfolgerin in meinem Ordinationszimmer war einige Monate hindurch regelmässig eine junge Dame, der er begegnete, nach der er sich häufig erkundigte, und mit der er durchaus höflich sein wollte. Diese war es, deren Alter er auf 28 Jahre schätzte. Soviel zur Aufklärung des Resultates der scheinbaren Rechnung. 1882 war aber das Jahr, in dem er geheirathet hatte. Er hatte es nicht unterlassen können, auch mit den beiden anderen weiblichen Persönen, die er bei mir traf, Gespräche anzuknüpfen, den beiden keineswegs jugendlichen Mädchen, die ihm abwechselnd die Thüre zu öffnen pflegten, und als er die Mädchen wenig zutraulich fand, sieh die Erklärung gegeben, sie hielten ihn wohl für einen älterengesetzten“ Herrn.

§ 750

Wenn wir diese und ähnliche (später folgende Beispiele) zusammenhalten, dürfen wir sagen: Die Traumarbeit rechnet überhaupt nicht, weder richtig noch falsch; sie fügt nur Zahlen, die in den Traumgedanken vorkommen und als Anspielungen auf ein nicht darstellbares Material dienen können, in der Form einer Rechnung zusammen. Sie behandelt dabei die Zahlen in genau der nämlichen Weise als Material zum Ausdruck ihrer Absichten wie alle anderen Vorstellungen, wie auch die Namen und die als Wortrorstellungen kenntlichen Reden.

§ 751

Denn die Traumarbeit kann auch keine Rede neu schaffen. So viel von Rede und Gegenrede in den Träumen vorkommen mag, die an sich sinnig oder unvernünftig sein können, die Analyse zeigt uns jedesmal, dass der Traum dabei nur Bruchstücke von wirklich geführten oder gehörten Reden den Traumgedanken entnommen hat und höchst willkürlich mit ihnen verfahren ist. Er hat sie nicht nur aus ihrem Zusammenhange gerissen und zerstückt, das eine Stück aufgenommen, das andere verworfen, sondern auch oft neu zusammengefügt, so dass die zusammenhängend scheinende Traumrede bei der Analyse in drei oder vier Brocken zerfällt. Bei dieser Neuverwendung hat er oft den Sinn, den die Worte in den Traumgedanken hatten, bei Seite gelassen, und dem Wortlaut einen neuen Sinn abgewonnen. Bei näherem Zusehen unterscheidet man an der Traumrede deutlichere, compacte Bestandtheile von änderen, die als Bindemittel dienen und wahrscheinlich ergänzt worden sind, wie wir ausgelassene Buchstaben und Silben beim Lesen ergänzen. Die Traumrede hat so den Aufbau eines Brecciengesteines, in dem grössere Brocken verschiedenen Materials durch eine erhärtete Zwischenmasse zusammengehalten werden.

§ 752

In voller Strenge richtig ist diese Beschreibung allerdings nur für jene Reden im Traum, die etwas vom sinnlichen Charakter der Rede haben und als „Reden“ beschrieben werden. Die anderen, die nicht gleichsam als gehört oder als gesagt empfunden werden (keine akustische oder motorische Mitbetonung im Traum haben), sind einfach Gedanken, wie sie in unserer wachen Denkthätigkeit vorkommen und unverändert in viele Träume übergehen. Für das indifferent gehaltene Redematerial des Traumes scheint auch die Lectüre eine reich fliessende und schwer zu verfolgende Quelle ab zugeben. Alles aber, was im Traum als Rede irgendwie auffällig hervortritt, unterwirft sich der Zurückführung auf reale, selbst gehaltene oder gehörte Rede.

§ 753

Beispiele für die Ableitung solcher Traumreden haben wir bereits bei der Analyse von Träumen gefunden, die zu anderen Zwecken mitgetheilt worden sind. So in dem „harmlosen Markttraum“ auf Seite 125, in dem die Rede: Das ist nicht mehr zu haben, dazu dient, mich mit dem Fleischhauer zu identificiren, während ein Stück der anderen Rede: Das kenne ich nicht, das nehme ich nicht, geradezu die Aufgabe erfüllt, den Traum harmlos zu machen. Die Träumerin hatte nämlich am Vortage irgendwelche Zumuthung ihrer Köchin mit den Worten zurückgewiesen: Das kenne ich nicht, benehmen Sie sich anständig, und nun von dieser Rede das indifferent klingende erste Stück in den Traum genommen, um mit ihm auf das spätere Stück anzuspielen, das in die Phantasie, welche dem Traum zu Grunde lag, sehr wohl gepasst, aber auch dieselbe verrathen hätte.

§ 754

Ein ähnliches Beispiel an Stelle vieler, die ja alle das nämliche ergehen:

§ 755

Ein grosser Hof, in dem Leichen verbrannt werden. Er sagt: Da geh’ ich weg, das kann ich nicht sehen. (Keine deutliche Rede.) Dann trifft er zwei Fleischhauerbuben und fragt: Na, hat's geschmeckt? Der eine antwortet: Na, nöt gut war’s. Als ob es Menschenfleisch gewesen wäre.

§ 756

Der harmlose Anlass dieses Traumes ist folgender: Er macht nach dem Nachtmahl mit seiner Frau einen Besuch bei den braven, aber keineswegs appetitlichen Nachbarsleuten. Die gastfreundliche alte Dame befindet sich eben bei ihrem Abendessen und nöthigt ihn (man gebraucht dafür scherzhaft unter Männern ein zusammengesetztes, sexuell bedeutsames Wort) davon zu kosten. Er lehnt ab, er habe keinen Appetit mehr. „Aber gehen’s weg, das werden Sie noch vertragen“ oder so ähnlich. Er muss also kosten und rühmt dann das Gebotene vor ihr. „Das ist aber gut.“ Mit seiner Frau wieder allein, schimpft er dann sowohl über die Aufdringlichkeit der Nachbarin, als auch über die Qualität der gekosteten Speise. „Das kann ich nicht sehen,“ das auch im Traum nicht als eigentliche Rede auftritt, ist ein Gedanke, der sich auf die körperlichen Reize der einladenden Dame bezieht, und zu übersetzen wäre, dass er diese zu schauen nicht begehrt.

§ 757

Lehrreicher wird sich die Analyse eines anderen Traumes gestalten, den ich wegen der sehr deutlichen Rede, die seinen Mittelpunkt bildet, schon an dieser Stelle mittheile, aber erst bei der Würdigung der Affecte im Traume aufklären werde. Ich träume sehr klar: Ich bin Nachts in’s Brücke’sche Laboratorium gegangen und öffne auf ein leises Klopfen an der Thüre dem (verstorbenen) Professor Fleischl, der mit mehreren Fremden eintritt und sich nach einigen Worten an seinen Tisch setzt. Dann folgt ein zweiter Traum: Mein Freund Fl. ist im Juli unauffällig nach Wien gekommen; ich begegne ihn auf der Strasse im Gespräch mit meinem (verstorbenen) Freunde P. und gehe mit ihnen irgendwohin, wo sie einander wie an einem kleinen Tisch gegenübersitzen, ich an der schmalen Seite des Tischchens vorne. Fl. erzählt von seiner Schwester und sagt: In 3/4, Stunden war sie todt, und dann etwas wie: Das ist die Schwelle. Da P. ihn nicht versteht, wendet sich Fl. an mich und fragt mich, wieviel von seinen Dingen ich P. denn mitgetheilt habe. Darauf ich, von merkwürdigen Affecten ergriffen, Fl. mittheilen will, dass P. (ja gar nichts wissen kann, weil er) gar nicht am Leben ist. Ich sage aber, den Irrthum selbst bemerkend: Non vixit. Ich sehe dann P. durchdringend an, unter meinem Blicke wird er bleich, verschwommen, seine Augen werden krankhaft blau — und endlich löst er sich auf. Ich bin ungemein erfreut darüber, verstehe jetzt, dass auch Ernst Fleischl nur eine Erscheinung, ein Revenant war, und finde es ganz wohl möglich, dass eine solche Person nur so lange besteht, als man es mag, und dass sie durch den Wunsch des Anderen beseitigt werden kann.

§ 758

Dieser schöne Traum vereinigt so viele der am Traviminhalt räthselhaften Charaktere, — die Kritik während des Traumes selbst, dass ich meinen Irrthum, Non vixit zu sagen anstatt Non vivit, selbst bemerke; den unbefangenen Verkehr mit Verstorbenen, die der Traum selbst für verstorben erklärt; die Absurdität der Schlussfolgerung und die hohe Befriedigung, die dieselbe mir bereitet, — dass ich „für mein Leben gern“ die volle Lösung dieser Räthsel mittheilen möchte, Ich bin aber in Wirklichkeit unfähig, das zu thun — was ich nämlich im Traum thue — die Rücksicht auf so theure Personen meinem Ehrgeiz aufzuopfern. Bei jeder Verhüllung wäre aber der mir wohlbekannte Sinn des Traumes zu Schanden geworden. So begnüge ich mich denn, zuerst hier, und dann an späterer Stelle einige Elemente des Traumes zur Deutung herauszugreifen.

§ 759

Das Centrum des Traumes bildet eine Scene, in der ich P. durch einen Blick vernichte. Seine Augen werden dabei so merkwürdig und unheimlich blau, und dann löst er sich auf. Diese Scene ist die unverkennbare Nachbildung einer wirklich erlebten. Ich war Demonstrator am physiologischen Institut, hatte den Dienst in den Frühstunden, und Brücke hatte erfahren, dass ich einige Male zu spät in’s Schülerlaboratorium gekommen war. Da kam er einmal pünktlich zur Eröffnung und wartete mich ab. Was er mir sagte, war karg und bestimmt; es kam aber gar nicht auf die Worte an. Das Ueberwältigende waren die fürchterlichen blauen Augen mit denen er mich ansah, und vor denen ich verging — wie P. im Traum, der zu meiner Erleichterung die Rollen verwechselt hat. Wer sich an die bis in’s hohe Greisenalter wunderschönen Augen des grossen Meisters erinnern kann und ihn je im Zorn gesehen wird sich in die Affecte des jugendlichen Sünders von damals leicht versetzen können.

§ 760

Es wollte mir aber lange nicht gelingen, das „Non vixit“ ab zuleiten, mit dem ich im Traum jene Justiz. übe, bis ich mich besann, dass diese zwei Worte nicht als gehörte oder gerufene, sondern als gesehene so hohe Deutlichkeit im Traum besessen hatten. Dann wusste ich sofort, woher sie stammten. Auf dem Postament des Kaiser JosefDenkmals in der Wiener Hofburg sind die schönen Worte zu lesen:Saluti patriae vixit non diu sed totus.

§ 761

Aus dieser Inschrift hatte ich herausgeklaubt, was zu der einen, feindseligen, Gedankenreihe in meinen Traumgedanken passte, und was heissen sollte: Der Kerl hat ja gar nichts dreinzureden, er lebt ja gar nicht. Und nun musste ich mich erinnern, dass der Traum wenige Tage nach der Enthüllung des Fleischldenkmals in den Arkaden der Universität geträumt worden war, wobei ich das Denkmal Brücke’s wiedergesehen hatte und (im Unbewussten) mit Bedauern erwogen haben muss, wie mein hochbegabter, und ganz der Wissenschaft ergebener Freund P. durch einen allzufrühen Tod seinen begründeten Anspruch auf ein Denkmal in diesen Räumen verloren. So setzte ich ihm dies Denkmal im Traum; mein Freund P. hiess mit dem Vornamen Josef.*)*)

§ 762

Nach den Regeln der Traumdeutung wäre ich man noch immer nicht berechtigt, das non vivit, das ich brauche, durch non vixit, das mir die Erinnerung an das Josefsmonument zur Verfügung stellt, zu ersetzen. Ein anderes Element der Traumgedanken muss dies durch seinen Beitrag ermöglicht haben. Es heisst mich nun etwas darauf achten, dass in der Traumscene eine feindselige und eine zärtliche Gedankenströmung gegen meinen Freund P. zusammentreffen, die erstere oberflächlich, die letztere verdeckt, und in den nämlichen Worten: Non vixit ihre Darstellung erreichen. Weil er sich um die Wissenschaft verdient gemacht hat, errichte ich ihm ein Denkmal; aber weil er sich eines bösen Wunsches schuldig gemacht hat (der am Ende des Traumes ausgedrückt ist), darum vernichte ich ihn. Ich habe da einen Satz von ganz besonderem Klang gebildet, bei dem mich ein Vorbild beeinflusst haben muss. Wo findet sich nur eine ähnliche Antithese, ein solches Nebeneinanderstellen zweier entgegengesetzter Reactionen gegen dieselbe Person, die beide den Anspruch erheben, voll berechtigt zu sein, und doch einander nicht stören wollen? An einer einzigen Stelle, die sich aber dem Leser tief einprägt; in der Rechtfertigungsrede des Brutus in Shakespeare’s Julius Cäsar: „Weil Cäsar mich liebte, wein’ ich um ihn; weil er glücklich war, freue ich mich; weil er tapfer war, ehr’ ich ihn, aber weil er herrschsüchtig war, erschlug ich ihn“. Ist das nicht der nämliche Satzbau und Gedankengegensatz wie in dem Traumgedanken, den ich aufgedeckt habe? Ich spiele also den Brutus im Traum. Wenn ich nur von dieser überraschenden Collateralverbindung noch eine andere bestätigende Spur im Trauminhalt aufünden könnte! Ich denke, dies könnte folgende sein: Mein Freund Fl. kommt im Juli nach Wien. Diese Einzelheit findet gar keine Stütze in der Wirklichkeit. Mein Freund ist im Monat Juli meines Wissens niemals in Wien gewesen. Aber der Monat Juli ist nach Julius Cäsar benannt und könnte darum sehr wohl die von mir gesuchte Anspielung auf den Zwischengedanken, dass ich den Brutus spiele, vertreten.*)*)

*) Als Beitrag zur Ueberdeterminirung: Meine Entschuldigung für mein Zuspätkommen lag darin, dass ich nach langer Nachtarbeit am Morgen den weiten Weg von der Kaiser Josefstrasse in die Währingerstrasse zu machen hatte. § 763

Merkwürdiger Weise habe ich nun wirklich einmal den Brutus gespielt. Ich habe die Scene Brutus und Cäsar aus Schiller’s Gedichten vor einem Auditorium von Kindern aufgeführt, und zwar als 14jähriger Knabe im Verein mit meinem um ein Jahr älteren Neffen, der damals aus England zu uns gekommen war, — auch so ein Revenant — denn es war der Gespiele meiner ersten Kinderjahre, der mit ihm wieder auftauchte. Bis zu meinem vollendeten dritten Jahre waren wir unzertrennlich gewesen, hatten einander geliebt und mit einander gerauft, und diese Kinderbeziehung hat, wie ich schon einmal angedeutet, über all’ meine späteren Gefühle im Verkehr mit Altersgenossen entschieden. Mein Neffe John hat seither sehr viele Incarnationen gefunden, die bald diese, bald jene Seite seines in meiner unbewussten Erinnerung unauslöschlich fixirten Wesens wiederbelebten. Er muss mich zeitweilig sehr schlecht behandelt haben, und ich muss Muth bewiesen haben gegen meinen Tyrannen, denn es ist mir in späteren Jahren oft eine kurze Rechtfertigungrede wiedererzählt worden, mit der ich mich vertheidigte, als mich der Vater — sein Grossvater — zur Rede stellte: Warum schlägst Du den John? Sie lautete in der Sprache des noch nicht Zweijährigen: Ich habe ihn ge(sch)lagt, weil er mich ge(sch)lagt hat. Diese Kinderscene muss es sein, die non vivit zum non vixit ablenkt, denn in der Sprache späterer Kinderjahre heisst ja das SchlagenWichsen; die Traumarbeit verschmäht es nicht, sich solcher Zusammenhänge zu bedienen. Die in der Realität so wenig begründete Feindseligkeit gegen meinen Freund P., der mir vielfach überlegen war und darum auch eine Neuausgabe des Kindergespielen abgeben konnte, geht sicherlich auf die complicirte infantile Beziehung zu John zurück.

§ 764

Ich werde also auf diesen Traum noch zurückkommen.

§ 765

f) Absurde Träume. Die intellektuellen Leistungen im Traum.

§ 766

Bei unseren bisherigen Traumdeutungen sind wir so oft auf das Element der Absurdität im Trauminhalt gestossen, dass wir die Untersuchung nicht länger aufschieben wollen, woher dasselbe rührt, und was es etwa bedeutet. Wir erinnern uns ja, dass die Absurdität der Träume den Gegnern der Traumschätzung ein Hauptargument bot, um im Traum nichts anderes als ein sinnloses Produet einer reducirten und zerbröckelten Geistesthätigkeit zu sehen.

*) Dazu noch Cäsar-Kaiser. § 767

Ich beginne mit einigen Beispielen, in denen die Absurdität des Trauminhaltes nur ein Anschein ist, der bei besserer Vertiefung in den Sinn des Traumes sofort verschwindet. Es sind einige Träume, die — wie man zuerst meint, zufällig — vom todten Vater handeln.

§ 768

I. Der Traum des Patienten, der seinen Vater vor sechs Jahren verlören:

§ 769

Dem Vater ist ein grosses Unglück widerfahren. Er ist mit dem Nachtzug gefahren, da ist eine Entgleisung erfolgt, die Sitze sind zusammengekommen, und ihm ist der Kopf quer zusammengedrückt worden. Er sieht ihn dann auf dem Bette liegen, mit einer Wunde über dem Augenbrauenrand links, die vertical verläuft. Er wundert sich darüber, dass der Vater verunglückt ist ja er doch schon todt ist, wie er bei der Erzählung ergänzt). Die Augen sind so klar.

§ 770

Nach der herrschenden Beurtheilung der Träume hätte man sich diesen Trauminhalt so aufzuklären: Der Träumer hat zuerst, während er sich den Unfall seines Vaters vorstellt, vergessen, dass dieser schon seit Jahren im Grabe ruht; im weiteren Verlaufe des Träumens wacht diese Erinnerung auf und bewirkt, dass er sich über den eigenen Traum noch selbst träumend verwundert. Die Analyse lehrt aber, dass es vor Allem überflüssig ist, nach solchen Erklärungen zu greifen. Der Träumer hatte bei einem Künstler eine Büste des Vaters bestellt, die er zwei Tage vor dem Traume in Augenschein genommen hat. Diese ist es, die ihm verunglückt vorkommt. Der Bildhauer hat den Vater nie gesehen, er arbeitet nach ihm vorgelegten Photographie. Am Tage vor dem Traume selbst hat der pietätvolle Sohn einen alten Diener der Familie in’s Atelier geschickt, ob auch der dasselbe Urtheil über den marmornen Kopf fällen wird, nämlich dass er zu schmal in der Querrichtung von Schläfe zu Schläfe ausgefallen ist. Nun folgt das Erinnerungsmaterial, das zum Aufbau dieses Traumes beigetragen hat. Der Vater hatte die Gewohnheit, wenn geschäftliche Sorgen oder Schwierigkeiten in der Familie ihn quälten, sich beide Hände gegen die Schläfen zu drücken, als ob er seinen Kopf, der ihm zu weit würde, zusammenpressen wollte. — Als Kind von vier Jahren war unser Träumer zugegen, wie das Losgehen einer zufällig geladenen Pistole dem Vater die Augen schwärzte (die Augen sind so klar). — An der Stelle, wo der Traum die Verletzung des Vaters zeigt, trug der Lebende, wenn er nachdenklich oder traurig war, eine tiefe Längsfurche zur Schau. Dass diese Furche im Traum durch eine Wunde ersetzt ist, deutet auf die zweite Veranlassung des Traumes hin. Der Träumer hatte sein kleines Töchterchen photographirt; die Platte war ihm aus der Hand gefallen und zeigte, als er sie auflob, einen Sprung, der wie eine senkrechte Furche über die Stirne der Kleinen lief und bis zum Augenbrauenbogen reichte. Da konnte er sich abergläubischer Ahnungen nicht erwehren, denn einen Tag vor dem Tode der Mutter war ihm die photographische Platte mit deren Abbild gesprungen.

§ 771

Die Absurdität dieses Traumes ist also blos der Erfolg einer Nachlässigkeit des sprachlichen Ausdruckes, der die Büste und die Photographie von der Person nicht unterscheiden will. Wir sind alle gewöhnt so zu reden: Findest Du den Vater nicht getroffen? Freilich wäre der Anschein der Absurdität in diesem Traume leicht zuvermeiden gewesen. Wenn man schon nach einer einzigen Erfahrung urtheilen dürfte, so möchte man sagen, dieser Anschein von Absurdität ist ein zugelassener oder gewollter.

§ 772

II. Ein zweites ganz ähnliches Beispiel aus meinen eigenen Träumen: (Ich habe meinen Vater im Jahre 1896 verloren.)

§ 773

Der Vater hat nach seinem Tode eine politische Rolle bei den Magyaren gespielt, sie politisch geeinigt, wozu ich ein kleines undentliches Bild sehe: eine Menschenmenge wie im Reichstag; eine Person, die auf einem oder auf zwei Stühlen steht, Andere um ihn herum. Ich erinnere mich daran, dass er auf dem Todtenbette Garibaldi so ähnlich gesehen hat, und freue mich, dass diese Verheissung doch wahr geworden ist.

§ 774

Das ist doch absurd genug. Es ist zur Zeit geträumt, da die Ungarn durch parlamentarische Obstruction in den gesetzlosen Zustand geriethen und jene Krise durchmachten, aus der Koloman Szell sie befreite. Der geringfügige Umstand, dass die im Traum gesehene Scene aus so kleinen Bildern besteht, ist nicht ohne Bedeutung für die Aufklärung dieses Elementes. Die gewöhnliche Visuelle Traumdarstellung unserer Gedanken ergibt Bilder, die uns etwa den Eindruck der Lebensgrösse machen; mein Traumbild ist aber die Reproduction eines in den Text einer illustrirten Geschichte Oesterreichs eingeschobenen Holzschnittes, der Maria Theresia auf dem Reichstage von Pressburg darstellt; die berühmte Scene des „Moriamur pro rege nostro“*)*). Wie dort Maria Theresia, so steht im Traume der Vater von der Menge umringt; er steht aber auf einem oder zwei Stühlen, also als Stuhlrichter. (Er hat sie geeinigt: — hier vermittelt die Redensart: Wir werden keinen Richter brauchen.) Dass er auf dem nodtenbette Garibaldi so ähnlich sah, haben wir Umstehenden wirklich alle bemerkt. Er hatte postmortale Temperatursteigerung, seine Wangen glühten roth und röther ... unwillkürlich setzen wir fort: Und hinter ihm, in wesenlosem Scheine lag, was uns alle bändigt, das Gemeine.

*) Ich weiss nicht mehr, bei welchem Autor ich einen Traum erwähnt gefunden habe, in dem es von ungewöhnlich kleinen Gestalten wimmelte, und als dessen Quelle sich einer der Stiche Jacques Callot’s herausstellte, die der Träumer bei Tag betrachtet hatte. Diese Stiche enthalten allerdings eine Unzahl sehr kleiner Figuren; eine Reihe derselben behandelt die Greuel des 30jährigen Krieges. § 775

Diese Erhebung unserer Gedanken bereitet uns darauf vor, dass wir gerade mit dem „Gemeinen“ zu thun bekommen sollen. Das „postmortale“ der Temperaturerhöhung entspricht den Worten „nach seinem Tode“ im Trauminhalt. Das Quälendste seiner Leiden war die völlige Darmlähmung (Obstruction) der letzten Wochen gewesen. An diese knüpfen allerlei unehrbietige Gedanken an. Einer meiner Altersgenossen, der seinen Vater noch als Gymnasiast verlor, bei welchem Anlass ich ihm dann tief erschüttert meine Freundschaft antrug, erzählte mir einmal höhnend von dem Schmerz einer Verwandten, deren Vater auf der Strasse gestorben und nach Hause gebracht worden war, wo sich dann bei der Entkleidung der Leiche fand, dass im Moment des Todes oder postmortal eine Stuhlentleerung stattgefunden hatte. Die Tochter war so tief unglücklich darüber, dass ihr dieses hässliche Detail die Erinnerung an den Vater stören musste. Hier sind wir nun zu dem Wunsch vorgedrungen, der sich in diesem Traume verkörpert. Nach seinem Tode rein und gross vor seinen Kindern dastehen, wer möchte das nicht wünschen? Wohin ist die Absurdität dieses Traumes gerathen? Ihr Anschein ist nur dadurch zu Stande gekommen, dass eine völlig zulässige Redensart, bei welcher wir gewöhnt sind über die Absurdität hinwegzusehen, die zwischen ihren Bestandtheilen vorhanden sein mag, im Traume getreulich dargestellt wird. Auch hier können wir den Eindruck nicht abweisen, dass der Anschein der Absurdität ein gewollter, absichtlich hervorgerufener, ist.

§ 776

III. In dem Beispiel, das ich jetzt anführe, kann ich die Traumarbeit dabei ertappen, wie sie. eine Absurdität, zu der im Material gar kein Anlass ist, absichtlich fabricirt. Es stammt aus dem Traume, den mir die Begegnung mit dem Grafen Thun vor meiner Ferialreise eingegeben hat. „Ich fahre in einem Einspänner und gebe Auftrag zu einem Bahnhof zu fahren. „Auf der Bahnstrecke selbst kann ich natürlich nicht mit Ihnen fahren“ sage ich, nachdem er einen Einwand gemacht, als ob ich ihn übermüdet hätte; dabei ist es so, als wäre ich schon eine Strecke mit ihm gefahren, die man sonst mit der Bahn fährt. Zu dieser verworrenen und unsinnigen Geschichte gibt die Analyse folgende Aufklärungen: Ich hatte am Tage einen Einspänner genommen, der mich nach Dornbach in eine entlegene Strasse führen sollte. Er kannte aber den Weg nicht und fahr nach Art dieser guten Leute immer weiter, bis ich es merkte und ihm den Weg zeigte, wobei ich ilim einige spöttische Bemerkungen nicht ersparte. Von diesem Kutscher spinnt sich eine Gedankenverbindung zu den Aristokraten an, mit der ich später noch zusammentreffen werde. Vorläufig nur die Andentung, dass uns bürgerlichem Plebs die Aristokratie dadurch auffällig wird, dass sie sich mit Vorliebe an die Stelle des Kutschers setzt. Graf Thun lenkt ja auch den Staatswagen von Oesterreich. Der nächste Satz im Traum bezieht sich aber auf meinen Bruder, den ich also mit dem Einspännerkutscher identificire. Ich hatte ihm heuer die gemeinsame Italienfahrt abgesagt („Auf die Bahnstrecke selbst kann ich mit Ihnen nicht fahren“), und diese Absage war eine Art Bestrafung für seine sonstige Klage, dass ich ihn auf diesen Reisen zu übermüden pflege (was unverändert in den Traum gelangt), indem ich ihm zu rasche Ortsveränderung, zuviel des Schönen an einem Tage, zumuthe. Mein Bruder hatte mich an diesem Abend zum Bahnhofe begleitet, war aber kurz vorher bei der Stadtbahnstation Westbahnhof ausgesprungen, um mit der Stadtbahn nach Purkersdorf zu fahren. Ich hatte ihm bemerkt, er könne noch eine Weile länger bei mir bleiben, indem er nicht mit der Stadtbahn, sondern mit der Westbahn nach Purkersdorf fahre. Davon ist in den Traum gekommen, dass ich mit dem Wagen eine Strecke gefahren bin, die man sonst mit der Bahn fährt. In Wirklichkeit war es umgekehrt (und „Umgekehrt ist auch gefahren“); ich hatte meinem Bruder gesagt: Die Strecke, die Du mit der Stadtbahn fährst, kannst Du auch in meiner Gesellschaft in in der Westbahn fahren. Die ganze Traumverwirrung richte ich dadurch an, dass ich anstatt „Stadtbahn“ — „Wagen“ in den Traum einsetze, was allerdings zur Zusammenziehung des Kutschers mit dem Bruder gute Dienste leistet. Dann bekomme ich im Traume etwas Unsinniges heraus, was bei der Erklärung kaum entwirrbar scheint, und beinahe einen Widerspruch mit einer früheren Rede von mir („Auf die Bähnstrecke selbst kann ich mit Ihnen nicht fahren“) herstellt. Da ich aber Stadtbahn und Einspännerwagen überhaupt nicht zu verwechseln brauche, muss ich diese ganze räthselhafte Geschichte im Traume absichtlich so gestaltet haben.

§ 777

In welcher Absicht aber? Wir sollen nun erfahren, was die Absurdität im Traume bedeutet, und aus welchen Motiven sie zugelassen oder geschaffen wird. Die Lösung des Geheimnisses im vorliegenden Falle ist Folgende: Ich brauche im Traume eine Absurdität und etwas Unverständliches in Verbindung mit dem „Fahren“, weil ich in den Traumgedanken ein gewisses Urtheil habe, das nach Darstellung verlangt. An einem Abende bei jener gastfreundlichen und geistreichen Dame, die in einer anderen Scene des nämlichen Traumes als „Haushälterin“ auftritt, hatte ich zwei Räthsel gehört, die ich nicht auflösen konnte. Da sie der übrigen Gesellschaft bekannt waren, machte ich mit meinen erfolglosen Bemühungen die Lösung zu finden einer etwas lächerliche Figur. Es waren zwei Aequivoke mit „Nachkommen* und „Vorfahren“. Sie lauteten, glaube ich, so:

§ 778

Der Herr befiehlt’s, Der Kutscher thut’s. Ein Jeder hat’s, Im Grabe ruhts. (Vorfahren.)

§ 779

Verwirrend wirkte es, dass das zweite Räthsel zur einen Hälfte sch mit dem ersten war:

§ 780

Der Herr befiehlt’s, Der Kutscher thut’s. Nicht Jeder hat’s, In der Wiege ruht’s. (Nachkommen.)

§ 781

Als ich nun den Grafen Thun so grossmächtig vorfahren in die Figaro-Stimmung gerieth, die das Verdienst der hohen Herren darin findet, dass sie sich die Mühe gegeben haben, geboren zu werden (Nachkommen zu sein), wurden diese beiden Räthsel zu Zwischengedanken für die Traumarbeit. Da man Aristokraten leicht mit Kutschern verwechseln kann, und man dem Kutscher früher einmal in unseren Landen „Herr Schwager“ zu sagen pflegte, konnte die Verdichtungsarbeit meinen Bruder in dieselbe Darstellung einbeziehen. Der Traumgedanke aber, der dahinter gewirkt hat, lautet: Es ist ein Unsinn, auf seine Vorfahren stolz zu sein. Lieber bin ich selber ein Vorfahr, ein Ahnherr. Wegen dieses Urtheils: Es ist ein Unsinn, also der Unsinn im Traum. Jetzt sich wohl auch das letzte Räthsel dieser dunklen Traumstelle, dass ich mit dem Kutscher schon vorher gefahren, mit ihm schon vorgefahren.

§ 782

Der Traum wird also dann absurd gemacht, wenn in den Traumgedanken als eines der Elemente des Inhalts das Urtheil vorkommt: Das ist ein Unsinn, wenn überhaupt Kritik und Spott einen der unbewussten Gedankenzüge des Träumers motiviren. Das Absurde wird eines der Mittel, durch welches die Traumarbeit den Widerspruch darstellt, wie die Umkehrung einer Materialbeziehung zwischen Traumgedanken und Trauminhalt, wie die Verwerthung der motorischen Hemmungsempfindung. Das Absurde des Traumes ist aber nicht mit einem einfachen „Nein“ zu übersetzen, sondern soll die Disposition der Traumgedanken wiedergeben, gleichzeitig mit dem Widerspruch zu höhnen oder zu lachen. Nur in dieser Absicht liefert die Traumetwas Lächerliches. Sie verwandelt hier wiederum ein Stück latenten Inhaltes in eine manifeste Form.*)*)

§ 783

Eigentlich sind wir einem überzeugenden Beispiel von solcher Bedeutung eines absurden Traumes schon begegnet. Jener ohne Analyse gedeutete Traum von der Wagnervorstellung, die bis morgens 3/48 Uhr dauert, bei der das Orchester von einem Thurme aus dirigirt wird u. s. w. (siehe Seite 231) will offenbar besagen: Das ist eine verdrehte Welt und eine verrückte Gesellschaft. Wer’s verdient, den trifft es nicht, und wer sich nichts daraus macht, der hat’s, womit sie ihr Schicksal im Vergleich zu dem ihrer Cousine meint. — Dass sich uns als Beispiele für die Absurdität der Träume zunächst solche vom todten Vater dargeboten haben, ist auch keineswegs ein Zufall. Hier finden sich die Bedingungen für die Schöpfung absurder Träume in typischer Weise zusammen. Die Autorität, die dem Vater eigen ist, hat frühzeitig die Kritik des Kindes hervorgerufen; die strengen Anforderungen, die er gestellt, haben das Kind veranlasst, zu seiner Erleichterung auf jede Schwäche des Vaters scharf zu achten; aber die Pietät, mit der die Person des Vaters besonders nach seinem Tode für unser Denken umgeben ist, verschärft die Censur, welche die Aeusserungen dieser Kritik vom Bewusstwerden abdrängt.

*) Die Traumarbeit parodirt also den ihr als lächerlich bezeichneten Gedanken, indem sie etwas Lächerliches in Beziehung mit ihm erschafft. So ähnlich verfährt Heine, wenn er die schlechten Verse des Baierkönigs verspotten will. Er thut es in noch schlechteren: Herr Ludwig ist ein grosser Poet, Und singt er, so stürzt Apollo Vor ihm auf die Knie und bittet und fleht, „Halt ein, ich werde sonst toll oh!“ § 784

IV. Ein neuer absurder Traum vom todten Vater:

§ 785

Ich erhalte eine Zuschrift vom Gemeinderath meiner Geburtsstadt betreffend die Zahlungskosten für eine Unterbringung im Spital im Jahre 1851, die wegen eines Anfalls bei mir nothwendig war. Ich mache mich darüber lustig, denn erstens war ich 1851 noch nicht am Leben, zweitens ist mein Vater, auf den es sich beziehen kann, schon todt. Ich gehe zu ihm in’s Nebenzimmer, wo er auf dem Bette liegt und erzähle es ihm. Zu meiner Ueberraschung erinnert er sich, dass er damals 1851 einmal betrunken war und eingesperrt oder verwahrt werden musste. Es war, als er für das Haus T... gearbeitet. Du hast also auch getrunken, frage ich. Bald darauf hast Du geheirathet? Ich rechne, dass ich ja 1856 geboren bin, was mir als unmittelbar folgend vorkommt.

§ 786

Die Aufdringlichkeit, mit welcher dieser Traum seine Absurditäten zur Schau trägt, werden wir nach den letzten Erörterungen nur als Zeichen einer besonders erbitterten und leidenschaftlichen Polemik in den Traumgedanken übersetzen. Mit um so grösserer Verwunderung constatiren wir aber, dass in diesem Traum die Polemik offen betrieben, und der Vater als diejenige Person bezeichnet ist, die zum Ziele des Gespöttes gemacht wird. Solche Offenheit scheint unseren Voraussetzungen über die Censur bei der Traumarbeit zu widersprechen. Zur Aufklärung dient aber, dass hier der Vater nur eine vorgeschobene Person ist, während der Streit mit einer anderen wird, die im Traume durch eine einzige Anspielung zum Vorschein kommt. Während sonst der Traum von Auflehnung gegen andere Personen handelt, hinter denen sich der Vater verbirgt, ist es hier umgekehrt; der Vater wird ein Strohmann zur Deckung Anderer, und der Traum darf darum so unverhüllt sich mit seiner sonst heiligten Person beschäftigen, weil dabei ein sicheres Wissen mitspielt, dass er nicht in Wirklichkeit gemeint ist. Man erfährt diesen Sachverhalt aus der Veranlassung des Traumes. Er erfolgte nämlich, nachdem ich gehört hatte, ein älterer College, dessen Urtheil für unanstastbar gilt, äussere sich abfällig und verwundert darüber, dass einer meiner Patienten die psychoanalytische Arbeit bei mir jetzt schon in’s fünfte Jahr fortsetze. Die einleitenden Sätze des Traumes deuten in durchsichtiger Verhüllung darauf hin, dass dieser College eine Zeit lang die Pflichten übernommen, die der Vater nicht mehr erfüllen konnte (Zahlungskosten, Unterbringung im Spitale); und als unsere freundschaftlichen Beziehungen sich zu lösen begannen, gerieth ich in denselben Empfindungsconflict, der im Falle einer Misshelligkeit zwischen Vater und Sohn durch die Rolle und die früheren Leistungen des Vaters erzwungen wird. Die Traumgedanken wehren sich nun erbittert gegen den Vorwurf, dass ich nicht schneller vorwärts komme, der von der Behandlung dieses Patienten her sich dann auch auf anderes erstreckt. Kennt er denn jemanden, der das schneller machen kann? Weiss er nicht, dass Zustände dieser Art sonst überaupt unheilbar sind und lebenslange dauern? Was sind vier bis fünf Jahre gegen die Dauer eines ganzen Lebens, zumal, wenn dem Kranken die Existenz während der Behandlung so sehr erleichtert den ist?

§ 787

Das Gepräge der Absurdität wird in diesem Traume zum guten Theile dadurch erzeugt, dass Sätze aus verschiedenen Gebieten der Traumgedanken ohne vermittelnden Uebergang an einander gereiht werden. So verlässt der Satz: Ich gehe zu ihm in’s Nebenzimmer etc. das Thema, aus dem die vorigen Sätze geholt sind, und reproducirt getreulich die Umstände, unter denen ich dem Vater meine eigenmächtige Verlobung mitgetheilt habe, Er will mich also an die vornehme Uneigennützigkeit mahnen, die der alte Mann damals bewies, diese in Gegensatz zu dem Benehmen eines Anderen, einer neuen Person, bringen. Ich merke hier, dass der Traum darum den Vater spotten darf, weil er in den Traumgedanken in voller Anerkennung Anderen als Muster vorgehalten wird. Es liegt im Wesen jeder Censur, dass man von den unerlaubten Dingen das, was unwahr ist, eher sagen darf als die Wahrheit. Der nächste Satz, dass er sich erinnert, einmal betrunken und darum eingesperrt gewesen zu sein, enthält nichts mehr, was sich in der Realität auf den Vater bezieht. Die von ihm gedeckte Person ist hier niemand geringerer als der grossee — Meynert, dessen Spuren ich mit so hoher Verehrung gefolgt bin, und dessen Benehmen gegen mich nach einer kurzen Periode der Bevorzugung in unverhüllte Feindseligkeit umschlug. Der Traum erinnert mich an seine eigene Mittheilung, er habe in jungen Jahren einmal der Gewohnheit gefröhnt, sich mit Chloroform zu berauschen, und habe darum die Anstalt aufsuchen müssen, und an ein zweites Erlebnis mit ihm kurz vor seinem Ende. Ich hatte einen erbitterten litterarischen Streit mit ihm geführt in Sachen der männlichen Hysterie, die er leugnete, und als ich ihn als Todtkranken besuchte und nach seinem Befinden fragte, verweilte er bei der Beschreibung seiner Zustände und schloss mit den Worten: „Sie wissen, ich war immer einer der schönsten Fälle von männlicher Hysterie“. So hatte er zu meiner Genugthuung und zu meinem Erstaunen zugegeben, wogegen er sich so lange hartnäckig gesträubt. Dass ich aber in dieser Scene des Traumes Meynert durch meinen Vater verdecken kann, hat seinen Grund nicht in einer zwischen beiden Personen aufgefundenen Analogie, sondern ist die knappe, aber völlig zureichende Darstellung eines Conditionalsatzes in den Traumgedanken, der ausführlich lautet: Ja, wenn ich zweite Generation, der Sohn eines Professors oder Hofrathes, wäre, dann wäre ich freilich rascher vorwärtsgekommen. Im Traume mache ich nun meinen Vater zum Hofrath und Professor. Die gröbste und störendste Absurdität des Traumes liegt in der Behandlung der Jahreszahl 1851, die mir von 1856 gar nicht verschieden vorkommt, als würde die Differenz von fünf Jahren gar nichts bedeuten. Gerade das soll aber aus den Traumgedanken zum Ausdruck gebracht werden. Vier bis fünf Jahre, das ist der Zeitraum, während dessen ich die Unterstützung des Eingangs erwähnten Collegen genoss, aber auch die Zeit, während welcher ich meine Braut auf die Heirath warten liess; und durch ein zufälliges, von den Traumgedanken gern ausgenütztes Zusammentreffen auch die Zeit, während welcher ich jetzt meinen vertrautesten Patienten auf die völlige Heilung warten lasse. „Was sind fünf Jahre?“ fragen die Traumgedanken. „Das ist für mich keine Zeit, das kommt nicht in Betracht. Ich habe Zeit genug vor mir, und wie jenes endlich geworden ist, was Ihr auch nicht glauben wolltet, so werde ich auch dies zu Stande bringen“, Ausserdem aber ist die Zahl 51, vom Jahrhundert abgelöst, noch anders und zwar im gegensätzlichen Sinne determinirt; sie kommt darum auch mehrmals im Traume vor. 51 ist das Alter, in dem der Mann besonders gefährdet erscheint, in dem ich Collegen plötzlich habe sterben sehen, darunter einen, der nach langem Harren einige Tage vorher zum Professor ernannt worden war.

§ 788

V. Ein anderer absurder Traum, der mit Zahlen spielt.

§ 789

Einer meiner Bekannten, Herr M., ist von keinem Geringeren als von Goethe in einem Aufsatze angegriffen worden, wie wir alle meinen, mit ungerechtfertigt grosser Heftigkeit. Herr M. ist durch diesen Angriff natürlich vernichtet. Er beklagt sich darüber bitter bei einer Tischgesellschaft; seine Verehrung für Goethe hat aber unter dieser persönlichen Erfahrung nicht gelitten. Ich suche mir die zeitlichen Verhältnisse, die mir unwahrscheinlieh vorkommen, ein wenig aufzuklären. Goethe ist 1832 gestorben; da sein Angriff auf M. natürlich früher erfolgt sein muss, so war Herr M. damals ein ganz junger Mann Es kommit mir plausibel vor, dass er 18 Jahre alt war. Ich weiss aber nicht sicher, welches Jahr wir gegenwärtig schreiben, und so versinkt die ganze Berechnung im Dunkel. Der Angriff ist übrigens in dem bekannten Aufsatz von Goethe „Natur“ enthalten.

§ 790

Wir werden bald die Mittel in der Hand haben, den Blödsinn dieses Traumes zu rechtfertigen. Herr M., den ich aus einer Tischgesellschaft kenne, hatte mich unlängst aufgefordert seinen Bruder zu untersuchen, bei dem sich Zeichen von paralytischer Geistesstörung bemerkbar machten. Die Vermuthung war richtig; es ereignete sich bei diesem Besuch das Peinliche, dass der Kranke ohne jeden Anlass im Gespräch den Bruder durch Anspielung auf dessen Jugendstreiche blosstellte. Den Kranken hatte ich nach seinem Geburtsjahre gefragt und ihn wiederholt zu kleinen Berechnungen veranlasst, um seine Gedächtnisschwächung klar zu legen; Proben, die er übrigens noch recht gut bestand. Ich merke schon, dass ich mich im Traume benehme wie ein Paralytiker. (Ich weiss nicht sicher, welches Jahr wir schreiben.) Anderes Material des Traumes stammt aus einer anderen recenten Quelle. Ein mir befreundeter Redacteur einer medicinischen Zeitschrift hatte eine höchst ungnädige, eine „vernichtende“ Kritik über das letzte Buch meines Freundes Fl. in Berlin in sein Blatt aufgenommen, die ein recht jugendlicher und wenig urtheilsfähiger Referent verfasst hatte. Ich glaubte ein Recht zur Einmengung zu haben und stellte den Redacteur zur Rede, der die Aufnahme der Kritik lebhaft bedauerte, aber eine Remedur nicht versprechen wollte. Daraufhin brach ich meine Beziehungen zur Zeitschrift ab und hob in meinem Absagebriefe die Erwartung hervor, dass unsere persönlichen Beziehungen unter diesem Vorfall nicht leiden würden. Die dritte Quelle dieses Traumes ist die damals frische Erzählung einer Patientin von der psychischen Erkrankung ihres Bruders, der mit dem Ausrufe „Natur, Natur“ in Tobsucht verfallen war. Die Aerzte hatten gemeint, der Ausruf stamme aus der Lectüre jenes schönen Aufsatzes von Goethe und deute auf die Ueberarbeitung des Erkrankten bei seinen naturphilosophischen Studien. Ich zog es vor, an den sexuellen Sinn zu denken, in dem auch die Mindergebildeten bei uns von der „Natur“ reden, und dass der Unglückliche ich später an den Genitalien verstümmelte, schien mir wenigstens nicht Unrecht zu geben. 18 Jahre war das Alter dieses Kranken, als jener Tobsuchtsanfall sich einstellte.

§ 791

Wenn ich noch hinzufüge, dass das so hart kritisirte Buch meines Freundes („Man fragt sich, ist der Autor verrückt oder ist man es selbst,“ hatte ein anderer Kritiker geäussert) sich mit den zeitlichen Verhältnissen des Lebens beschäftigt und auch Goethe’s Lebensdauer auf ein. Vielfaches einer für die Biologie bedentsamen Zahl zurückführt, so ist es leicht einzusehen, dass ich mich im Traume an die Stelle meines Freundes setze. (Ich suche mir die zeitlichen Verhältnisse... ein wenig aufzuklären.) Ich benehme mich aber wie ein Paralytiker und der Traum schwelgt in Absurdität. Das heisst also, die Traumgedanken sagen ironisch: „Natürlich, er ist der Narr, der Verrückte, und Ihr seid die genialen Leute, die es besser verstehen. Vielleicht aber doch umgekehrt?“ Und diese Umkehrung ist nun ausgiebig im Trauminhalt vertreten, indem Goethe den jungen Mann angegriffen hat, was absurd ist, während leicht ein ganz junger Mensch noch heute den unsterblichen Goethe angreifen könnte, und indem ich vom Sterbejahre Goethe’s an rechne, während ich den ParaIytiker von seinem Geburtsjahre an rechnen liess.

§ 792

Ich habe aber auch versprochen zu zeigen, dass kein Traum von anderen als egoistischen Regungen eingegeben wird. Somit muss ich rechtfertigen, dass ich in diesem Traume die Sache meines Freundes zu der meinigen mache und mich an seine Stelle setze. Meine kritische Ueberzeugung in Wachen reicht hiefür nicht aus. Nun spielt aber die Geschichte des 18jährigen Kranken und die verschiedenartige Deutung seines Ausrufes „Natur“ auf den Gegensatz an, in den ich mich mit meiner Behauptung einer sexuellen Aetiologie für die Psychoneurosen zu den meisten Aerzten gebracht habe. Ich kann mir sagen: So wie Deinem Freunde, so wird es auch Dir mit der Kritik ergehen, ist Dir zum Theil auch bereits so ergangen, und nun darf ich das „Er“ in den Traumgedanken durch ein „Wir“ ersetzen. „Ja, Ihr habt Recht, wir zwei sind die Narren“. Dass „mea res agitur“, daran mahnt mich energisch die Erwähnung des kleinen, unvergleichlich schönen Aufsatzes von Goethe, denn der Vortrag dieses Aufsatzes in einer populären Vorlesung war es, der mich schwankenden Abiturienten zum Studium der Naturwissenschaft drängte.

§ 793

VI. Ich bin es schuldig geblieben, noch von einem anderen Traum, in dem mein Ich nicht vorkommt, zu zeigen, dass er egoistisch ist. Ich erwähnte auf Seite 186 einen kurzen Traum, : dass Professor L. sagt: „Mein Sohn, der Myop...“ und gab an, das sei nur ein Vortraum zu einem anderen, in dem ich eine Rolle spiele. Hier ist der fehlende Haupttraum, der uns eine absurde und unverständliche Wortbildung zur Aufklärung bietet:

§ 794

Wegen irgend welcher Vorgänge in der Stadt Rom ist es nothwendig, die Kinder zu flüchten, was auch geschieht. Die Scene ist dann vor einem Thore, Doppelthor nach antiker Art (die Porta romana in Siena, wie ich nochim Traume weiss). Ich sitze auf dem Rand eines Brunnens und bin sehr betrübt, weine fast. Eine weibliche Person — Wärterin, Nonne — bringt die zwei Knaben heraus und übergiebt sie dem Vater, der nicht ich bin. Der Aeltere der Beiden ist deutlich mein Aeltester, das Gesicht des Anderen sehe ich nicht; die Frau, die den Knaben bringt, verlangt zum Abschied einen Kuss von ihm. Sie zeichnet sich durch eine rothe Nase aus. Der Knabe verweigert ihr den Kuss, sagt aber, ihr zum Abschied die Hand reichend: Auf Geseres und zu uns Beiden (oder zu einem von uns): Auf Ungeseres. Ich habe die Idee, dass letzteres einen Vorzug bedeutet.

§ 795

Dieser Traum baut sich auf einem Knäuel von Gedanken auf, die durch ein im Theater gesehenes Schauspiel „Das neue Ghetto angeregt wurden. Die Judenfrage, die Borg um die Zukunft der Kinder, denen man ein Vaterland nicht geben kann, die Sorge, sie so zu erziehen, dass sie freizügig werden können, sind in den zugehörigen Traumgedanken leicht zu erkennen.

§ 796

An den Wässern Babel’s sassen wir und weinten. Siena ist wie Rom durch seine schönen Brunnen berühmt; für Rom muss ich im Traume (vgl. Seite 138) mir irgend einen Ersatz aus bekannten Oertlichkeiten suchen. Nahe der Porta Romana von Siena sahen wir ein grosses, hell erleuchtetes Haus. Wir erfuhren, dass es das Manicomio, die Irrenanstalt sei. Kurz vor dem Traume hatte ich gehört, dass ein Glaubensgenosse seine mühselig erworbene Anstellung an einer staatlichen Irrenanstalt hatte aufgeben müssen.

§ 797

Unser Interesse erweckt die Rede: Auf Geseres, wo man nach der im Traume festgehaltenen Situation erwarten müsste: Auf Wiedersehen, und ihr ganz sinnloser Gegensatz: Auf Ungeseres.

§ 798

Geseres ist nach den Auskünften, die ich mir bei Schriftgelehrten geholt habe, ein echt hebräisches Wort, abgeleitet von einem Verbum goiser und lässt sich am besten durch „anbefohlene Leiden, Verhängnis“, wiedergeben. Nach der Verwendung des Wortes im Jargon sollte man meinen, es bedeute „Klagen und Jammern“. Ungeseres ist meine eigenste Wortbildung und zieht meine Aufmerksamkeit zuerst auf sich, macht mieh aber auch zunächst rathlos. Die kleine Bemerkung zu Ende des Traumes, dass Ungeseres einen Vorzug gegen Geseres bedeute, öffnet den Einfällen und damit dem Verständnis die Pforten. Ein solches Verhältnis findet ja beim Caviar statt; der ungesalzene wird höher geschätzt als der gesalzene. Caviar für’s Volk, „noble Passionen“: darin liegt eine scherzhafte Anspielung an eine der Personen meines Haushaltes verborgen, von der ich hoffe, dass sie, jünger als ich, die Zukunft meiner der in Acht nehmen wird. Dazu stimmt es dann, dass eine andere Person meines Haushaltes, unsere brave Kinderfrau, in der Wärterin (oder Nonne) vom Traume wohl kenntlich gezeigt wird. Zwischen dem Paar gesalzen-ungesalzen und Geseres-Ungeseres fehlt es aber noch an einem vermittelnden Uebergang. Dieser findet sich ingesäuert und ungesäuert“; bei ihrem fluchtartigen Auszug aus Aegypten hatten die Kinder Israel’s nicht die Zeit, ihren Brodteig gühren zu lassen, und essen zur Erinnerung daran noch heute ungesäuertes Brod zur Osterzeit. Hier kann ich auch den plötzlichen Einfall unterbringen, der mir während dieses Stückes der Analyse gekommen ist. Ich erinnerte mich, wie wir in den letzten Ostertagen, in den Strassen der uns fremden Stadt Breslau herumspazirten, mein Freund aus Berlin und ich. Ein kleines Mädchen fragte mich um den Weg in eine gewisse Strasse; ich musste mich entschuldigen, dass ich ihn nicht wisse, und äusserte dann zu meinem Freunde: Hoffentlich beweist die Kleine später im Leben mehr Scharfblick bei der Auswahl der Personen, von denen sie sich leiten lässt. Kurz darauf fiel mir ein Schild in die Augen: Dr. Herodes, Sprechstunde .... Ich meinte: Hoffentlich ist der College nicht gerade Kinderarzt. Mein Freund hatte mir unterdessen seine Ansichten über die biologische Bedeutung der bilateralen Symmetrie entwickelt und einen Satz mit der Einleitung begonnen: „Wenn wir das eine Auge mitten auf der Stirne trügen wie der Cyclop...“ Das führt nun zur Rede des Professors im Vortraum: Mein Sohn, der Myop. Und nun bin ich zur Hauptquelle für das Geseres geführt worden. Vor vielen Jahren, als dieser Sohn des Professors L., der heute ein selbständiger Denker ist, noch auf der Schulbank sass, erkrankte er an einer Augenaffection, die der Arzt für Besorgnis erweckend erklärte. Er meinte, so lange sie einseitig bleibe, habe sie nichts zu bedeuten, sollte sie aber auch auf das andere Auge übergreifen, so wäre es ernsthaft. Das Leiden heilte auf dem einen Auge schadlos ab; kurz darauf stellten sich aber die Zeichen für die Erkrankung des zweiten wirklich ein. Die entsetzte Mutter liess sofort den Arzt in die Einsamkeit ihres Landaufenthaltes kommen. Der schlug sich aber jetzt auf die andere Seite. „Was machen Sie für Geseres? herrschte er die Mutter an. Ist es auf der einen Seite gut geworden, so wird es auch auf der anderen gut werden“. Und so ward es auch.

§ 799

Und nun die Beziehung zu mir und den meinigen. Die Schulbank, auf der der Sohn des Professors L. seine erste Weisheit erlernt, ist durch Schenkung der Mutter in das Eigenthum meines Aeltesten. übergegangen, dem ich im Traume die Abschiedsworte in den Mund lege. Der eine der Wünsche, die sich an diese Uebertragung knüpfen lassen, ist nun leicht zu errathen. Diese Schulbank soll aber auch durch ihre Construction das Kind davor schützen, kurzsichtig und einseitig zu werden. Daher im Traum Myop, (dahinter Cyclop) und die Erörterungen über Bilateralität. Die Sorge um die, Einseitigkeit ist eine mehrdeutige; es kann neben der körperlichen. Einseitigkeit die der intellectuellen Entwiekelung gemeint sein. Ja, scheint es nicht, dass die Traumscene in ihrer Tollheit gerade dieser Sorge widerspricht? Nachdem das Kind nach der einen Seite hin sein Abschiedswort gesprochen, ruft es nach der anderen hin das Gegentheil davon, wie um das Gleichgewicht herzustellen. Es handelt gleichsam in Beachtung der bilateralen Symmetrie!

§ 800

So ist der Traum oft am tiefsinnigsten, wo er am tollsten erscheint. Zu allen Zeiten pflegten die, welehe etwas zu sagen hatten es nicht gefahrlos sagen konnten, gerne die Narrenkappe aufzusetzen. Der Hörer, für den die untersagte Rede bestimmt war, duldete sie eher, wenn er dabei lachen und sich mit dem Urtheil schmeicheln konnte, dass das Unliebsame offenbar etwas Närrisches sei. Ganz so wie in Wirklichkeit der Traum, verfährt im Schauspiel der Prinz, der sich zum Narren verstellen muss, und darum kann man auch vom Traume aussagen, was Hamlet, wobei er die eigentlichen Bedingungen durch witzig unverständliche ersetzt, von sich behauptet: „Ich bin nur toll bei Nord-Nord-West; weht der Wind aus Süden, so kann ich einen Reiher von einem Falken unterscheiden.“*)*)

§ 801

Ich habe also das Problem der Absurdität des Traumes dahin aufgelöst, dass die Traumgedanken niemals absurd sind, — wenigstens nicht von den Träumen geistesgesunder Menschen — und dass die Traumarbeit absurde Träume und Träume mit einzelnen absurden Elementen producirt, wenn ihr in den Traumgedanken Kritik, Spott und Hohn zur Darstellung in ihrer Ausdrucksform vorliegt. Es liegt mir nun daran zu zeigen, dass die Traumarkeit überhaupt das Zusammenwirken der drei erwähnten Momente — und eines vierten noch zu erwähnenden — erschöpft ist, dass sie sonst nichts leistet als eine Uebersetzung der Traumgedanken unter Beachtung der vier ihr vorgeschriebenen Bedingungen, und dass die Frage, ob die Seele im Traume mit all ihren geistigen Fähigkeiten arbeitet oder nur mit einem Theile derselben, schief gestellt ist und an den thatsächlichen Verhältnissen abgleite. Da es aber reichlich Träume gibt, in deren Inhalt geurtheilt, kritisirt und anerkannt wird, in denen Verwunderung über ein einzelnes Element des Traumes aufritt, Erklärungsversuche gemacht und Argumentationen angestellt werden, muss ich die Einwendungen, die aus solchen Vorkommnissen sich ableiten, an ausgewählten Beispielen erledigen.

§ 802

Meine Erwiderung lautet: Alles, was sich als scheinbare Bethätigung der Urtheilsfunction in den Träumen vorfindet, ist nicht etwa als Denkleistung der Traumarbeit aufzufassen, sondern gehört dem Material der Traumgedanken an und ist von dorther als fertiges Gebilde in den manifesten Trauminhalt gelangt. Ich kann meinen Satz zunächst noch überbieten. Auch von den Urtheilen, die man nach dem Erwachen über den erinnerten Traum fällt, den Empfindungen, die die Reproduction dieses Traumes in uns hervorruft, gehört ein guter Theil dem latenten Trauminhalt an und ist in Deutung des Traumes einzufügen.

*) Dieser Traum gibt auch ein gutes Beispiel für den allgemein giltigen Satz, dass die Träume derselben Nacht, wenngleich in der Erinnerung getrennt, auf dem des nämlichen Gedankenmateriales erwachsen sind. Die Traumsituation, dass ich meine Kinder aus der Stadt Rom flüchte, ist übrigens durch die Rückbeziehung auf einen anologen, in meine Kindheit fallenden, Vorgang entstellt. Der Sinn ist, dass ich Verwandte beneide, denen sich bereits vor vielen Jahren ein Anlass geboten hat, ihre Kinder auf einen anderen Boden zu versetzen. § 803

I. Ein auffälliges Beispiel hiefür habe ich bereits angeführt. Eine Patientin will ihren Traum nicht erzählen, weil er zu unklar ist. Sie hat eine Person im Traume gesehen, und weiss nicht, ob es der Mann oder der Vater war. Dann folgt ein zweites Traumstück, in dem ein „Misttrügerl“ vorkommt, an das folgende Erinnerung sich anschliesst. Als junge Hausfrau äusserte sie einmal scherzhaft vor einem jungen Verwandten, der im Hause verkehrte, dass ihre nächste Sorge die Anschaffung eines neuen Misttrügerls sein müsse. Sie bekam am nächsten Morgen ein solches zugeschickt, das aber mit Maiglöckehen gefüllt war. Dieses Stück Traum dient der Darstellung der Redensart „Nicht auf meinem eigenen Mist gewachsen“. Wenn man die Analyse vervollständigt, erfährt man, dass es sich in dem Traumgedanken um die Nachwirkung einer in der Jugend gehörten Geschichte handelt, dass ein Mädchen ein Kind bekommen, von dem es unklar war, wer eigentlich der Vater sei. Die Traumdarstellung greift also hier in’s Wachdenken über und lässt eines der Elemente der Traumgedanken durch ein im Wachen gefälltes Urtheil über den ganzen Traum vertreten sein.

§ 804

II. Ein ähnlicher Fall: Einer meiner Patienten hat einen Traum der ihm interessant vorkommt, denn er sagt sich unmittelbar nach dem Erwachen: Das muss ich dem Doctor erzählen. Der Traum wird analysirt und ergibt die deutlichsten Anspielungen auf ein Verhältniss, das er während der Behandlung begonnen, und von dem er sich vorgenommen hatte, mir nichts zu erzählen.

§ 805

III. Ein drittes Beispiel aus meiner eigenen Erfahrung:

§ 806

Ich gehe mit P. durch eine Gegend, in der Häuser und Gärten vorkommen, in’s Spital. Dabei die Idee, das ich diese Gegend schon mehrmals im Traume gesehen habe. Ich kenne mich nicht sehr gut aus; er zeigt mir einen Weg, der durch eine Ecke in eine Restauration führt (Saal, nicht Garten); dort frage ich nach Frau Doni und höre, sie wohnt im Hintergrunde in einer kleinen Kammer mit drei Kindern. Ich gehe hin und treffe schon vorber eine undeutliche Person mit mit meinen zwei kleinen Mädchen, die ich dann mit mir nehme, nach dem ich eine Weile mit ihnen gestanden bin. Eine Art Vorwurf gegen meineFraäu, dass sie sie dort gelassen hat.

§ 807

Beim Erwachen fühle ich dann grosse Befriedigung, die ich damit motivire, dass ich jetzt aus der Analyse erfahren werde, was es bedeutet: Ich habe schon davon geträumt. *)*) Die Analyse lehrt mich aber nichts darüber; sie zeigt mir nur, dass die Befriedigung zum latenten Trauminhalt und nicht zu einem Urtheile über den Traum gehört. Es ist die Befriedigung darüber, das ich in meiner Ehe Kinder bekommen habe. P. ist eine Person, mit der ich ein Stück weit im Leben den gleichen Weg gangen bin, die mich dann social und materiell weit überholt hat, aber in ihrer Ehe kinderlos geblieben ist. Die beiden Anlässe des Traumes können den Beweis durch eine vollständige Analyse ersetzen. Tags zuvor las ich in der Zeitung die Todesanzeige einer Frau Dona A.. y (woraus ich Doni mache), die im Kindbett gestorben; ich hörte von meiner Frau, dass die Verstorbene von derselben Hebamme gepflegt worden sei wie sie selbst bei unseren beiden Jüngsten. Der Name Dona war mir aufgefallen, denn ich hatte ihn kurz vorher in einem englischen Romane zum ersten Mal gefunden. Der andere Anlass des Traumes ergibt sich aus dem Datum desselben; es war die Nacht vor dem Geburtstage meines ältesten, wie es scheint, dichterisch begabten Knaben.

*) Ein Thema, über welches sich eine weitläufge Discussion in den letzten Jahrgängen der Revue philosophique angesponnen hat (Paramnesie im Traume). § 808

IV. Dieselbe Befriedigung verbleibt mir nach dem Erwachen aus dem absurden Traum, dass der Vater nach seinem Tode eine politische Rolle bei den Magyaren gespielt, und motivirt sich durch die Fortdauer der Empfindung, die den letzten Satz des Traumes begleitete:Ich erinnere mich daran, dass er auf dem Todtenbett Garibaldi so ähnlich gesehen, und freue mich darüber , dass es doch wahr geworden ist... (Dazu eine vergessene Fortsetzung.) Aus der Analyse kann ich nun einsetzen, was in diese Traumlücke gehört. Es ist die Erwähnung meines zweiten Knaben, dem ich den Vornamen einer grossen historischen Persönlichkeit gegeben habe, die mich in den Knabenjahren, besonders seit meinem Aufenthalte in England, mächtig angezogen. Ich hatte das Jahr der Erwartung über den Vorsatz, gerade diesen Namen zu verwenden, wenn es ein Sohn würde, und begrüsste mit ihm hoch befriedigt schon den eben Geborenen. Es ist leicht zu merken, wie die unterdrückte Grössensucht des Vaters sich in seinen Gedanken auf die Kinder überträgt; ja man wird gerne glauben, dass dies einer der Wege ist, auf denen die im Leben nothwendig gewordene Unterdrückung derselben vor sich geht. Sein Anrecht, in den Zusammenhang dieses Traumes aufgenommen zu werden, erwarb der Kleine dadurch, dass ihm damals der nämliche — beim Kind und beim Sterbenden leicht verzeihliche — Unfall widerfahren war, die Wäsche zu beschmutzen. Vergleiche hiezu die Anspielung „Stuhlrichter“ und den Wunsch des Traumes: Vor seinen Kindern gross und rein dazustehen.

§ 809

V. Wenn ich nun Urtheilsäusserungen, die im Traume selbst verbleiben, sich nicht in’s Wachen fortsetzen oder sich dahin verlegen, heraussuchen soll, so werde ich’s als grosse Erleichterung empfinden, dass ich mich hiefür solcher Träume bedienen darf, die bereits in anderer Absicht mitgetheilt worden sind. Der Traum von Goethe, der Herrn M. angegriffen hat, scheint eine ganze Anzahl von Urtheilsacten zu enthalten. Ich suche mir die zeitlichen Verhält- nisse, die mir unwahrscheinlich vorkommen, ein wenig aufzuklären. Sieht das nicht einer kritischen Regung gegen den Unsinn gleich, dass Goethe einen jungen Mann meiner Bekanntschaft litterarisch angegriffen haben soll? „Es kommt mir plausibel vor, dass er 18 Jahre alt war.” Das klingt doch ganz wie das Ergebnis einer allerdings schwachsinnigen Berechnung; und „Ich weiss nieht sicher, welches Jahr wir schreiben“, wäre ein Beispiel von Unsicherheit oder Zweifel im Traum.

§ 810

Nun weiss ich aber aus der Analyse dieses Traumes, dass, diese scheinbar erst im Traume vollzogenen Urtheilsacte in ihrem Wortlaute eine andere Auffassung zulassen, durch welche sie für die Traumdeutung unentbehrlich werden und gleichzeitig jede Absurdität. vermieden wird. Mit dem Satze: „Ich suche mir die zeitlichen Verhältnisse ein wenig aufzuklären“, setze ich mich an die Stelle meines Freundes, der wirklich die zeitlichen Verhältnisse des Lebens aufzuklären sucht. Der Satz verliert hiemit die Bedeutung eines Urtheils, welches sich gegen den Unsinn der vorhergehenden Sätze sträubt. Die Einschaltung „die mir unwahrscheinlich vorkommt“, gehört zusammen mit dem späteren „Es kommt mir plausibel vor“. Ungefähr mit den gleichen Worten habe ich der Dame, die mir die Krankengeschichte ihres Bruders erzählte, erwidert: Es kommt mir unwahrscheinlich vor, dass der Ausruf „Natur, Natur“, etwas mit Goethe zu thun hatte; es ist mir viel plausibler, dass er die Ihnen bekannte sexuelle Bedeutung gehabt hat.“ Es ist hier allerdings ein Urtheil gefällt worden, aber nicht im Traum, sondern in der Realität, bei einer Veranlassung, die von den Traumgedanken erinnert und verwerthet wird. Der Trauminhalt eignet sich dieses Urtheil an wie irgend ein anderes Bruchstück der Traumgedanken.

§ 811

Die Zahl 18, mit der das Urtheil im Traume unsinniger Weise in Verbindung gesetzt ist, bewahrt noch die Spur des Zusammenhanges, aus dem das reale Urtheil gerissen wurde. Endlich dass „ich nicht sicher bin, welches Jahr wir schreiben“, soll nichts anderes als meine Identificirung mit dem Paralytiker durchsetzen, in dessen Examen sich dieser eine Anhaltspunkt wirklich ergeben hatte.

§ 812

Bei der Auflösung der scheinbaren Urtheilsacte des Traumes kann man sich an die Eingangs gegebene Regel für die Ausführung der Deutungsarbeit mahnen lassen, dass man den im Traume hergestellten Zusammenhang der Traumbestandtheile als einen unwesentlichen Schein bei Seite lassen und jedes Traumelement für sich der Zurückführung unterziehen möge. Der Traum ist ein Conglomerat, das für die Zwecke der Untersuchung wieder zerbrückelt werden soll. Man wird aber andererseits aufmerksam gemacht, dass sich in den Träumen eine psychische Kraft äussert, welche diesen scheinbaren Zusammenhang herstellt, also das durch die Traumarbeit gewonnene Material einer secundären Bearbeitung unterzieht. Wir haben hier Aeusserungen jener Macht vor uns, die wir als das vierte der bei der Traumbildung betheiligten Momente später würdigen werden.

§ 813

VI. Ich suche nach anderen Beispielen von Urtheilsarbeit in den bereits mitgetheilten Träumen. In dem absurden Traum von der Zuschrift des Gemeinderathes frage ich: Bald darauf hast Du geheirathet? Ich rechne, dass ich ja 1856 geboren bin, was mir unmittelbar folgend vorkommt. Das kleidet sich ganz in die Form einer Schlussfolge. Der Vater hat bald nach dem Anfall im Jahre 1851 geheirathet; ich bin ja der Aelteste, 1856 geboren; also das stimmt. Wir wissen, dass dieser Schluss durch die Wunscherfüllung verfälscht ist, dass der in den Traumgedanken herrschende Satz lautet: 4 oder 5 Jahre, das ist kein Zeitraum, das ist nicht zu rechnen. Aber jedes Stück dieser Schlussfolge ist nach Inhalt wie nach Form aus den Traumgedanken anders zu determiniren: Es ist der Patient, über dessen Geduld der College sich beschwert, der unmittelbar nach Beendigung der Cur zu heirathen gedenkt. Die Art, wie ich mit dem Vater im Traume verkehre, erinnert an ein Verhör oder ein Examen, und damit an einen Universitätslehrer, der in der Inscriptionsstunde ein vollständiges Nationale aufzunehmen pflegte: Geboren, wann? 1856. — Patre? Darauf sagte man den Vornamen des Vaters mit lateinischer Endung, und wir Studenten nahmen an, der Hofrath ziehe aus dem Vornamen des Vaters Schlüsse, die ihm der Vorname des Inscribirten nicht jedesmal gestattet hätte. Somit wäre das Schlussziehen des Traumes nur die Wiederholung des Schlussziehens, das als ein Stück Material in den Traumgedanken auftritt. Wir erfahren hieraus etwas Neues. Wenn im Trauminhalte ein Schluss vorkommt, so kommt er ja sicherlich aus den Traumgedanken; in diesen mag er aber enthalten sein als ein Stück des erinnerten Materials oder er kann als logisches Band eine Reihe von Traumgedanken mit einander verknüpfen. In jedem Falle stellt der Schluss im Traume einen Schluss aus den Traumgedanken dar.*)*)

§ 814

Die Analyse dieses Traumes wäre hier fortzusetzen. An das Verhör des Professors reiht sich die Erinnerung an den (zu meiner Zeit lateinisch Abgefassten) Index des Universitätsstudenten. Ferner an meinen Studiengang. Die fünf Jahre, die für das medicinische Studium vorgesehen sind, waren wiederum zu wenig für mich. Ich arbeitete unbekümmert in weitere Jahre hinein, und im Kreise meiner Bekannten hielt man mich für verbummelt, zweifelts man, dass ich „fertig“ werden würde. Da entschloss ich mich schnell, meine Prüfungen zu machen, und würde doch fertig; trotz des Aufschubs. Eine neue Verstärkung der Traumgedanken, die ich meinen Kritikern trotzig entgegenhalte. „Und wenn Ihr es auch nicht glauben wollt, weil ich mir Zeit lasse; ich werde doch fertig, ich komme doch zum Schluss. Es ist schon oft so gegangen.“ Derselbe Traum enthält in seinem Anfangsstück einige Sätze, denen man den Charakter einer Argumentation nicht gut absprechen kann. Und diese Argumentation ist nicht einmal absurd, sie könnte ebensowohl dem wachen Denken angehören. Ich mache mich im Traume über die Zuschrift des Gemeinderathes lustig, denn erstens war ich 1851 noch nicht auf der Welt, zweitens ist mein Vater, auf den es sich beziehen kann, schon todt. Beides ist nieht nur an sich richtig, sondern deckt sich auch völlig mit den wirklichen Argumenten, die ich im Falle einer derartigen Zuschrift in Anwendung bringen würde, Wir wissen aus der früheren Analyse (Seite 250), dass dieser Traum auf dem Boden von tief erbitterten und hohngetränkten Traumgedanken erwachsen ist; wenn wir ausserdem noch die Motive zur Censur als recht starke annehmen dürfen, so werden wir verstehen, dass die Traumarbeit eine tadellose Widerlegung einer unsinnigen Zumuthung nach dem in den Traumgedanken enthaltenen Vorbild zu schaffen allen Anlass hat. Die Analyse zeigt uns aber, dass der Traumarbeit hier doch keine freie Nachschöpfung auferlegt worden ist, sondern dass Material aus den Traumgedanken dazu verwendet werden musste. Es ist, als kämen in einer algebraischen Gleichung ausser den Zahlen ein + und —, ein Potenz- und ein Wurzelzeichen vor, und jemand, der diese Gleichung abschreibt, ohne sie zu verstehen, nähme die Operationszeichen wie die Zahlen in seine Abschrift hinüber, würfe aber dann beiderlei durch einander. Die beiden Argumente lassen sich auf folgendes Material zurückführen. Es ist mir peinlich zu denken, dass manche der Voraussetzungen, die ich meiner psychologischen Auflösung der Psychoneurosen zu Grunde lege, wenn sie erst bekannt geworden sind, Unglauben und Gelächter hervorrufen werden. So muss ich behaupten, dass bereits Eindrücke aus dem zweiten Lebensjahr, mitunter auch schon aus dem ersten, eine bleibende Spur im Gemüthsleben der später Kranken zurücklassen und — obwohl von der Erinnerung vielfach verzerrt und übertrieben — die erste und unterste Begründung für ein hysterisches Symptom abgeben können. Patienten, denen ich dies an passender Stelle auseinandersetze pflegen die neugewounene Aufklärung zu parodiren, indem sie sich bereit erklären, nach Erinnerungen aus der Zeit zu suchen, da sie noch nieht am Leben waren. Eine ähnliche Aufnahme dürfte nach meiner Erwartung die Aufdeckung der ungeahnten Rolle finden, welche bei weiblichen Kranken der Vater in den frühesten sexuellen Regungen spielt. (Vgl. die Auseinandersetzung Seite 117.) Und doch ist nach meiner gut begründeten Ueberzeugung Beides wahr. Ich denke zur Bekräftigung an einzelne Beispiele, bei denen der Tod des Vaters in ein sehr frühes Alter des Kindes fiel, und spätere sonst unerklärbare Vorfälle bewiesen, dass das Kind doch Erinnerungen an die ihm so früh entschwundene Person unbewusst bewahrt hatte. Ich weiss, dass meine beiden Behauptungen auf Schlüssen beruhen, deren Giltigkeit man anfechten wird. Es ist also eine Leistung der Wunscherfüllung, wenn gerad das Material dieser Schlüsse, deren Beanständung

*) Diese Ergebnisse corrigiren in einigen Punkten meine früheren Angaben über die Darstellung der logischen Relationen (Seite 214). Letztere beschreiben das allgemeine Verhalten der Traumarbeit, berücksichtigen aber nicht die feinsten und sorgfältigsten Leistungen derselben. § 815

VII. In einem Traume, den ich bisher nur gestreift habe, wirdEingangs die Veerwunderung über das auftauchende Thema deutlich ausgesprochen.

§ 816

„Der alte Brücke muss mir irgend eine Aufgabe gestellt haben; sonderbar genug bezieht sie sich auf Präparation meines eigenen Untergestells, Becken und Beine, das ich vor mir sehe wie im Secirsaal, doch ohne den Mangel am Körper zu spüren, auch ohne Spur von Grauen. Louise N. steht dabei und macht die Arbeit bei mir. Das Becken ist ausgeweidet, man sieht bald die obere, bald die untere Ansicht desselben, was sich vermengt. Dicke, fleischrothe Knollen (bei denen ich noch im Traume an Hämorrhoiden denke) sind zu sehen. Auch musste etwas sorgfältig ausgeklaubt werden, was darüber lag und zerknülltem Silberpapier glich.*)*) Dann war ich wieder im Besitz meiner Beine und machte einen Weg durch die Stadt, nahm aber (aus Müdigkeit) einen Wagen. Der Wagen fuhr zu meinem Erstaunen in ein Hausthor hinein, das sich öffnete und ihn durch einen Gang passiren liess, der am Ende abgeknickt, schliesslich weiter in´s Freie führte.**)**) Schliesslich wanderte ich mit einem alpinen Führer, der meine Sachen trug, durch wechselnde Landschaften. Auf einer Strecke trug er mich mit Rücksicht auf meine müden Beine. Der Boden war sumpfig; wir gingen am Rand hin; Leute sassen am Boden, ein Mädchen unter ihnen, wie lndianer oder Zigeuner. Vorher hatte ich auf dem schlüpfrigen Boden mich selbst weiter bewegt unter steter Verwunderung, dass ich es nach der Präparation so gut kann. Endlich kamen wir zu einem kleinen Holzhaus, das in in ein offenes Fenster ausging. Dort setzte mich der Führer ab und legte zwei bereit stehende Holzbretter auf das Fensterbrett, um so den Abgrund zu überbrücken, der vom Fenster aus zu überschreiten war. Ich bekam jetzt wirklich Angst für meine Beine. Anstatt des erwarteten Ueberganges sah ich aber zwei erwachsene Männer auf Holzbänken liegen, die an den Wänden der Hütte waren, und wie zwei Kinder schlafend neben ihnen. Als ob nicht die Bretter, sondern die Kinder den Uebergang ermöglichen sollten. Ich erwache mit Gedankenschreck.

§ 817

Wer sich nur einmal einen ordentlichen Eindruck von der Ausgiebigkeit der Traumverdichtung geholt hat, der wird sich leicht vor stellen können, welche Anzahl von Blättern die ausführliche Analyse dieses Traumes einnehmen muss. Zum Glück für den Zusammenhang entlehne ich dem Traume aber blos das eine Beispiel für die Verwunderung im Traum, die sich in der Einschaltung „sonderbar genug“ kundgibt. Ich gehe auf den Anlass des Traumes ein. Es ist ein Besuch jener Dame Louise N., die auch im Traum der Arbeit assistirt. „Leih’ mir etwas zum Lesen.“ Ich biete ihr „She" von Rider Haggard an. „Ein sonderbares Buch, aber voll von verstecktem Sinn“, will ich ihr auseinandersetzen; „das ewig Weibliche, die Unsterblichkeit unserer Affecte. — —“ Da unterbricht sie mich: Das kenne ich schon. Hast Du nichts Eigenes? — „Nein, meine eigenen unsterblichen Werke sind noch nicht geschrieben.“ — Also wann erscheinen denn Deine sogenannten letzten Aufklärungen, die, wie Du versprichst, auch für uns lesbar sein werden? fragt sie etwas anzüglich. Ich merke jetzt, dass mich ein Anderer durch ihren Mund mahnen lässt und verstumme. Ich denke an die Ueberwindung, die es mich kostet, auch nur die Arbeit über den Traum, in der ich soviel vom eigenen intimen Wesen preisgeben muss, in die Oeffentlichkeit zu schicken. „Das Beste, was Du wissen kannst, darfst Du den Buben doch nicht sagen.“ Die Präparation am eigenen Leib, die mir im Traume aufgetragen wird, ist also die mit der Mittheilung der Träume verbundene Selbstanalyse. Der alte Brücke kommt mit Recht hiezu; schon in diesen ersten Jahren wissenschaftlicher Arbeit traf es sich, dass ich einen Fund liegen liess, bis sein energischer Auftrag mich zur Veröffentlichung zwang. Die weiteren Gedanken aber, die sich an die Unterredung mit Louise N. anspinnen, greifen zu tief, um bewusst zu werden; sie erfahren eine Ablenkung über das Material, das in mir nebstbei durch die Erwähnung der „She“ von Rider Haggard geweckt worden ist. Auf dieses Buch und auf ein zweites desselben Autors, „Heart of the world“, geht das Urtheil „sonderbar genug“, und zahlreiche Elemente des Traumes sind den beiden phantastischen Romanen entnommen. Der sumpfige Boden, über den man getragen wird; der Abgrund, der mittelst der mitgebrachten Bretter zu überschreiten ist, stammen aus der „She“; die Indianer, das Mädchen, das Holzhaus aus „Heart of the world“. In beiden Romanen ist eine Frau die Führerin, in beiden handelt es sich um gefährliche Wanderungen, in She um einen abenteuerlichen Weg in´s Unentdeckte, kaum je Betretene. Die müden Beine sind nach einer Notiz, die ich bei dem Traume finde, reale Sensation jener Tage gewesen. Wahrscheinlich entsprach ihnen eine müde Stimmung und die zweifelnde Frage: Wie weit werden mich meine Beine noch tragen? In der „She“ endet das Abenteuer damit, dass die Führerin, anstatt sich und den Anderen die Unsterblichkeit zu holen, im geheimnisvollen Centralfeuer den Tod findet. Eine solche Angst hat sich unverkennbar in den Traumgedanken geregt. Das „Holzhaus“ ist sicherlich auch der Sarg, also das Grab. Aber in der Darstellung

*) Stanniol, Anspielung auf Stannius, Nervensystem der Fische, vgl. Seite 237. **) Die Oertlichkeit im Flur meines Wohnhauses, wo die Kinderwagen der Parteien stehen; sonst aber mehrfach überbestimmt. § 818

VIII. In dem Zusammenhange eines anderen Traumes findet sich gleichfalls ein Ausdruck der Verwunderung über das im Traume Erlebte, aber verknüpft mit einem so auffälligen, weit hergeholten und beinahe geistreichen Erklärungsversuche, dass ich blos seinetwegen den ganzen Traum der Analyse unterwerfen müsste, auch wenn der Traum nicht noch zwei andere Anziehungspunkte für unser Interesse besässe. Ich reise in der Nacht vom 18. auf den 19. Juli auf der Südbahnstrecke und höre im Schlaf: „Hollthurn, 10 Minuten“ ausrufen. Ich denke sofort an Holothurien — ein naturhistorisches Museum —, dass hier ein Ort ist, wo sich tapfere Männer erfolglos gegen die Uebermacht ihres Landesherrn gewehrt haben. — Ja, die Gegenreformation in Oesterreich! — Als ob es ein Ort in Steiermark oder Tirol wäre. Nun sehe ich undeutlich ein kleines Museum, in dem die Reste oder Erwerbungen dieser Männer aufbewahrt werden. Ich möchte Aussteigen, verzögere es aber. Es stehen Weiber mit Obst auf dem Perron, sie kauern auf dem Boden und halten die Körbe so einladend hin. — Ich habe gezögert aus Zweifel, ob wir noch Zeit haben, und jetzt stehen wir noch immer. — Ich bin plötzlich in einem anderen Coupé, in dem Leder und Sitze so schmal sind, dass man mit dem Rücken direct an die Lehne stösst.*)*) Ich wundere mich darüber, aber ich kann ja im schlafenden Zustande umgestiegen sein . Mehrere Leute, darunter ein englisches Geschwisterpaar; eine Reihe Bücher deutlich auf einem Gestell an der Wand. Ich sehe „Wealth of nations“, „Matter and Motion“ (von Maxwell), diek und in braune Leinwand gebunden. Der Mann fragt die Schwester nach einem Buch von Schiller, ob sie das vergessen hat. Es sind die Bücher bald wie die meinen, bald die der Beiden. Ich möchte mich da bestätigend oder unterstützend in´s Gespräch mengen — — —. Ich wache, am ganzen Körper schwitzend, auf, weil alle Fenster geschlossen sind. Der Zug hält in Marburg.

*) Diese Beschreibung ist für mich selbst nicht verständlich, aber ich folge dem Grundsatze, den Traum in jenen Worten wiederzugeben, die mir beim Niederschreiben einfallen. Die Wortfassung ist selbst ein Stück der Traumdarstellung. § 819

Während der Niederschrift fällt mir ein Traumstück ein, das die Erinnerung übergehen wollte. Ich sage dem Geschwisterpaare auf ein gewisses Werk: It is from..., corrigire mich aber: It is by... Der Mann bemerkt zur Schwester: Er hat es ja richtig gesagt.

§ 820

Der Traum beginnt mit dem Namen der Station, der mich wohl unvollständig geweckt haben muss. Ich ersetze diesen Namen, der Marburg lautete, durch Hollthurn. Dass ich Marburg beim ersten oder vielleicht bei einem späteren Ausrufen gehört habe, beweist die Erwähnung Schiller’s im Traum, der ja in Marburg, wenngleich nicht im steirischen, geboren ist. Nun reiste ich diesmal, obwohl erster Classe, unter sehr unangenehmen Verhältnissen. Der Zug war überfüllt, in dem Coupé hatte ich einen Herrn und eine Dame angetroffen, die sehr vornehm schienen und nicht die Lebensart besassen oder es nicht der Mühe werth hielten, ihr Missvergnügen über den Eindringling irgendwie zu verbergen. Mein höflicher Gruss wurde nieht erwidert; obwohl Mann und Frau neben einander sassen (gegen die Fahrrichtung), beeilte sich die Frau doch, den Platz ihr gegenüber am Fenster vor meinen Augen mit einem Schirm zu belegen; die Thüre wurde sofort geschlossen, demonstrative Reden über das Oeffnen der Fenster gewechselt. Wahrscheinlich sah man mir den Lufthunger bald an. Es war eine heisse Nacht und die Luft im allseitig abgeschlossenen Coupé bald zum Ersticken. Nach meinen Reiseerfahrungen kennzeichnet ein so rücksichtslos übergreifendes Benehmen Leute, die ihre Karte nicht oder nur halb bezahlt haben. Als der Conducteur kam und ich mein theuer erkauftes Billet vorzeigte, tönte es aus dem Munde der Dame unnahbar und wie drohend: Mein Mann hat Legitimation. Sie war eine stattliche Erscheinung mit missvergnügten Zügen, im Alter nicht weit von der Zeit des Verfalls weiblicher Schönheit; der Mann kam überhaupt nicht zu Worte, er sass regungslos da. Ich versuchte zu schlafen: Im Traume nehme ich fürchterliche Rache an meinen unliebenswürdigen Reisegeführten; man würde nicht ahnen, welche Beschimpfungen und Demüthigungen sich hinter den abgerissenen Brocken der ersten Traumhälfte verbergen. Nachdem dies Bedürfnis befriedigt war, machte sich der zweite Wunsch geltend, das Coupé zu wechseln. Der Traum wechselt so oft die Scene, und ohne dass der mindeste Anstoss an der Veränderung genommen wird, dass es nicht im Geringsten auffällig gewesen wäre, wenn ich mir alsbald meine Reisegesellschaft durch eine angenehmere aus meiner Erinnerung ersetzt hätte. Hier aber tritt der Fall ein, dass irgend etwas den Wechsel der Scene beanständete und es für nothwendig hielt, ihn zu erklären. Wie kam ich plötzlich in ein anderes Coupé? Ich konnte mich doch nicht erinnern umgestiegen zu sein. Da gab es nur eine Erklärung: ich musste im schlafenden Zustande den Wagen verlassen haben, ein seltenes Vorkommnis, wofür aber doch die Erjahrung des Neuropathologen Beispiele liefert. Wir wissen von Personen, die Eisenbahnfahrten in einem Dämmerzustand unternehmen, ohne durch irgend ein Anzeichen ihren abnormen Zustand zu verrathen, bis sie an irgend einer Station der Reise voll zu sich kommen und dann die Lücke in ihrer Erinnerung bestaunen. Für einen solchen Fall von „Automatisme ambulatoire“ erkläre ich also noch im Traume den meinigen.

§ 821

Die Analyse gestattet eine andere Auflösung zu geben. Der Erklärungsversuch, der mich so frappirt, wenn ich ihn der Traumarbeit zuschreiben müsste, ist nicht originell, sondern aus der Neurose eines meiner Patienten copirt. Ich erzählte bereits an anderer Stelle von einem hochgebildeten und im Leben weichherzigen Manne, der kurz nach dem Tode seiner Eltern begann, sich mörderischer Neigungen anzuklagen, und nun unter den Vorsichtsmassregeln litt, die er zur Sicherung gegen dieselben treffen musste. Es war ein Fall von schweren Zwangsvorstellungen bei voll erhaltener Einsicht. Zuerst wurde ihm das Passiren der Strasse durch den Zwang verleidet; sich von allen Begegnenden Rechenschaft abzulegen, wohin sie verschwunden seien; entzog sich Einer plötzlich seinem verfolgenden Blick, so blieb ihm die peinliche Empfindung und die Möglichkeit in Gedanken, er könnte ihn beseitigt haben. Es war unter Anderem eine Kainsphantasie dahinter, denn „alle Menschen sind Brüder“. Wegen der Unmöglichkeit, diese Aufgabe zu erledigen, gab er das Spazierengehen auf und verbrachte sein Leben eingekerkert zwischen seinen vier Wänden. In sein Zimmer gelangten aber durch die Zeitung beständig Nachrichten von Mordthaten, die draussen geschehen waren, und sein Gewissen wollte ihm in der Form des Zweifels nahe legen, dass er der gesuchte Mörder sei. Die Gewissheit, dass er ja seit Wochen seine Wohnung nicht verlassen habe, schützte ihn eine Weile gegen diese Anklagen, bis ihm eines Tages die Möglichkeit durch den Sinn fuhr, dass er sein Haus im bewusstlosen Zustand verlassen und so den Mord begangen haben könne, ohne etwas davon zu wissen. Von da an schloss er die Hausthüre ab, übergab den Schlüssel der alten Haushälterin und verbot ihr eindringlich, denselben auch nicht auf sein Verlangen in seine Hände gelangen zu lassen.

§ 822

Daher stammt also der Erklärungsversuch, dass ich im bewusstlosen Zustande umgestiegen bin, — er ist aus dem Material der Traumgedanken fertig in den Traum eingetragen worden und soll im Traume offenbar dazu dienen, mich mit der Person jenes Patienten zu identificiren. Die Erinnerung an ihn wurde in mir durch naheliegende Association geweckt. Mit diesem Manne hatte ich einige Wochen vorher die letzte Nachtreise gemacht. Er war geheilt, begleitete mich in die Provinz zu seinen Verwandten, die mich beriefen; wir hatten ein Coupé für uns, liessen alle Fenster die Nacht hindurch offen und hatten uns, so lange ich wach blieb, vortrefflich unterhalten. Ich wusste, dass feindselige Impulse gegen seinen Vater aus seiner Kindheit in sexuellem Zusammenhange die Wurzel seiner Erkrankung gewesen waren. Indem ich mich also mit ihm identificirte, wollte ich mir etwas Analoges eingestehen. Die zweite Scene des Traumes löst sich auch wirklich in eine übermüthige Phantasie auf, dass meine beiden ältlichen Reisegefährten sich darum so abweisend gegen mich benehmen, weil ich sie durch mein Kommen an dem beabsichtigten nächtlichen Austausch von Zärtlichkeiten gehindert habe. Diese Phantasie aber geht auf eine frühe Kinderscene zurück, in der das Kind, wahrscheinlich von sexueller Neugierde getrieben, in das Schlafzimmer der Eltern eindringt und durch das Machtwort des Vaters daraus vertrieben wird.

§ 823

Ich halte es für überflüssig, weitere Beispiele zu häufen. Sie würden alle nur bestätigen, was wir aus den bereits angeführten entnommen haben, dass ein Urtheilsact im Traume nur die Wiederholung eines Vorbildes aus dem Traumgedanken ist. Zumeist eine übel angebrachte, in unpassendem Zusammenhange eingefügte Wiederholung; gelegentlich aber, wie in unseren letzten Beispielen, eine so geschickt verwendete, dass man zunächst den Eindruck einer selbstständigen Denkthätigkeit im Traume empfangen kann. Von hier aus könnten wir unser Interesse jener psychischen Thätigkeit zuwenden, die zwar nicht regelmässig bei der Traumbildung mitzuwirken scheint, die aber, wo sie es thut, bemüht ist, die nach ihrer Herkunft disparaten Traumelemente widerspruchsfrei und sinnvoll zu verschmelzen. Wir empfinden es aber vorher noch als dringlich, uns mit den Affectäusserungen zu beschäftigen, die im Traume auftreten; und dieselben mit den Affeeten zu vergleichen, welche die Analyse in den Traumgedanken aufdeckt.

§ 824

g) Die Affecte im Traume.

§ 825

Eine scharfsinnige Bemerkung von Stricker 77) hat uns aufmerksam gemacht, dass die Affectäusserungen des Traumes nicht die geringschätzige Art der Erledigung gestatten, mit der wir erwacht den Trauminhalt abzuschütteln pflegen. „Wenn ich mich im Traume vor Räubern fürchte, so sind die Räuber zwar imaginär, aber die Furcht ist real“, und ebenso geht es, wenn ich mich im Traume freue. Nach dem Zeugnis unserer Empfindung ist der im Traume erlebte Affect keineswegs minderwerthig gegen den im Wachen erlebten von gleicher Intensität, und energischer als mit seinem Vorstellungsinhalte, erhebt der Traum mit seinem Affectinhalt den Anspruch, unter die wirklichen Erlebnisse unserer Seele aufgenommen zu werden. Wir bringen diese Einreihung nun im Wachen nicht zu Stande, weil wir einen Affect nicht anders psychisch zu würdigen verstehen, als in der Verknüpfung mit einem Vorstellungsinhalte. Passen Affect und Vorstellung der Art und der Intensität nach nieht zu einander, so wird unser waches Urtheil irre.

§ 826

An den Träumen hat immer Verwunderung erregt, dass Vorstellungsinhalte nicht die Affectwirkung mit sich bringen, die wir als nothwendig im wachen Denken erwarten würden. Strümpell äusserte, im Traume seien die Vorstellungen von ihren psychischen Werthen entblösst. Es fehlt im Traume aber auch nicht am gegentheiligen Vorkommen, dass intensive Affectäusserung bei einem Inhalte auftritt, der zur Entbindung von Affect keinen Anlass zu bieten scheint. Ich bin im Traume in einer grässlichen, gefahrvollen, ekelhaften Situation, verspüre aber dabei nichts von Furcht oder Abscheu; hingegen entsetze ich mich andere Male über harmlose, und frene wich über kindische Dinge.

§ 827

Dieses Räthsel des Traumes verschwindet uns so plötzlich und so vollständig wie vielleicht kein anderes der Traumräthsel, wenn wir vom manifesten Trauminhalt zum latenten übergehen. Wir werden mit seiner Erklärung nichts zu schaffen haben, denn es besteht nicht mehr. Die Analyse lehrt uns, dass die Vorstellungsinhalte Verschiebungen und Ersetzungen erfahren haben, während die Affecte unverrücktgeblieben sind. Kein Wunder, dass der durch die Traumentstellung veränderte Vorstellungsinhalt zum erhalten gebliebenen Aftect dann nicht mehr passt; aber auch keine Verwunderung mehr, wenn die Analyse den richtigen Inhalt an seine frühere Stelle eingesetzt hat.

§ 828

An einem psychischen Complex, welcher die Beeinflussung der Widerstandscensur erfahren hat, sind die Affecte der resistente Antheil, der uns allein den Fingerzeig zur richtigen. Ergänzung geben kann. Deutlicher noch als beim Traum enthällt sich dies Verhältnis bei den Psychoneurosen. Der Affect hat hier immer Recht, wenigstens seiner Qualität nach; seine Intensität ist ja durch Verschiebungen der neurotischen Aufmerksamkeit zu steigern. Wenn der Hysteriker sich wundert, dass er sich vor einer Kleinigkeit so sehr fürchten muss, oder der Mann mit Zwangsvorstellungen, dass ihm aus einer Nichtigkeit ein so peinlicher Vorwurf erwächst, so gehen Beide irre, indem sie den Vorstellungsinhalt — die Kleinigkeit oder die Nichtigkeit — für das Wesentliche nehmen, und sie wehren sich erfolglos, indem sie diesen Vorstellungsinhalt zum Ausgangspunkt ihrer Denkarbeit machen. Die Psychoanalyse zeigt ihnen dann den richtigen Weg, indem sie im Gegentheile den Affect als berechtigt anerkennt, und die zu ihm gehörige, durch eine Ersetzung verdrängte Vorstellung aufsucht. Voraussetzung ist dabei, dass Affectentbindung und Vorstellungsinhalt nicht diejenige unauflösbare organische Einheit bilden, als welche wir sie zu behandeln gewöhnt sind, sondern dass beide Stücke aneinander gelöthet sein können, so dass sie durch Analyse von einander lösbar sind. Die Traumdeutung zeigt, dass dies in der That der Fall ist.

§ 829

Ich bringe zuerst ein Beispiel, in dem die Analyse das scheinbare Ausbleiben des Affectes bei einem Vorstellungsinhalte aufklärt, der Affectentbindung erzwingen sollte.

§ 830

I. Sie sieht in einer Wüste drei Löwen, von denen einer lacht, fürchtet sich aber nicht vor ihnen. Dann muss sie doch vor ihnen geflüchtet sein, denn sie will auf einen Baum klettern, findet aber ihre Cousine, die französische Lehrerin ist, schon oben u. s. w.

§ 831

Dazu bringt die Analyse folgendes Material: Der indifferente Anlass zum Traum ist ein Satz ihrer englischen Aufgabe geworden: Die Mähne ist der Schmuck des Löwen. Ihr Vater trug einen solchen Bart, der wie eine Mähne das Gesicht umrahmte. Ihre englische Sprachlehrerin heisst Miss Lyons (Lions = Löwen). Ein Bekannter hat ihr die Balladen von Loewe zugeschickt. Das sind also die drei Löwen; warum sollte sie sich vor ihnen fürchten? — Sie hat eine Erzählung gelesen, in welcher ein Neger, der die Anderen zum Aufstand aufgehetzt, mit Bluthunden gejagt wird und zu seiner Rettung auf einen Baum kletter. Dann folgen in übermüthigster Stimmung Erinnerungsbrocken wie die: Die Anweisung, wie man Löwen fängt, aus den „Fliegenden Blättern“: Man nehme eine Wüste und siebe sie durch, dann bleiben die Löwen übrig. Ferner die höchst lustige, aber nicht sehr anständige Anekdote von einem Beamten, der gefragt wird, warum er sich denn nicht um die Gunst seines Chefs ausgiebiger bemühe, und der zur Antwort gibt, er habe sich wohl bemüht da hineinzukriechen, aber sein Vordermann war schon oben. Das ganze Material wird verständlich, wenn man erfährt, dass die Dame am Traumtage den Besuch des Vorgesetzten ihres Mannes empfangen hatte. Er war sehr höflich mit ihr, küsste ihr die Hand, und sie fürchtete sich gar nicht vor ihm, obwohl er ein sehr „grosses Thier“ ist und in der Hauptstadt ihres Landes die Rolle eines „Löwen der Gesellschaft“ spielt. Dieser Löwe ist also vergleichbar dem Löwen im Sommernachtstraum, der sich als Schnock, der Schreiner demaskirt, und so sind alle Traumlöwen, vor denen man sich nicht fürchtet.

§ 832

II. Als zweites Beispiel ziehe ich den Traum jenes Mädchens heran, das den kleinen Sohn ihrer Schwester als Leiche im Sarg liegen sah, dabei aber, wie ich jetzt hinzufüge, keinen Schmerz und keine Trauer verspürte. Wir wissen aus der Analyse, warum nicht. Der Traum verhüllte nur ihren Wunsch, den geliebten Mann wieder zusehen; der Affect musste auf den Wunsch abgestimmt sein und nicht auf dessen Verhüllung. Es war also zur Trauer gar kein Anlass.

§ 833

In einer Anzahl von Träumen bleibt der Affect wenigstens noch in Verbindung mit jenem Vorstellungsinhalte, welcher den zu ihm passenden ersetzt hat. In anderen geht die Auflockerung des Complexes weiter. Der Affect erscheint völlig gelöst von seiner zugehörigen Vorstellung, und findet sich irgendwo anders im Traume untergebracht, wo er in die neue Anordnung der Traumelemente hineinpasst. Es ist dann ähnlich, wie wir’s bei den Urtheilsacten des Traumes erfabren haben. Findet sich in den Traumgedanken ein bedeutsamer Schluss, so enthält auch der Traum einen solchen; aber der Schluss im Traume kann auf ein ganz anderes Material verschoben sein. Nicht selten erfolgt diese Verschiebung nach dem Princip der Gegensätzlichkeit.

§ 834

Die letztere Möglichkeit erläutere ich an folgendem Traumbeispiele, das ich der erschöpfendsten Analyse unterzogen habe.

§ 835

III. Ein Schloss am Meere, später liegt es nicht direct am Meer, sondern an einem schmalen Canal, der ins Meer führt. Ein Herr P. ist der Gouverneur. Ich stehe mit ihm in einem grossen dreifenstrigen Salon, vor dem sich Mauervorsprünge wie Festungszinnen erheben. Ich bin etwa als freiwilliger Marineoffizier der Besatzung zugetheilt. Wir befürchten das Eintreffen von feindlichen Kriegsschiffen, da wir uns im Kriegszustande befinden. Herr P. hat die Absicht wegzugehen; er ertheilt mir Instructionen, was in dem befürchteten Falle zu geschehen hat. Seine kranke Frau befindet sich mit den Kindern im gefährdeten Schlosse. Wenn das Bombardement beginnt, soll der grosse Saal geräumt werden. Er athmet schwer und will sich entfernen; ich halte ihn zurück und frage, auf welche Weise ich ihm nöthigen Falls Nachricht zukommen lassen soll. Darauf sagt er noch etwas, sinkt aber gleich darauf todt um. Ich habe ihn wohl mit den Fragen überflüssiger Weise angestrengt. Nach seinem Tode, der mir weiter keinen Eindruck macht, Gedanken, ob die Witwe im Schlosse bleiben wird, ob ich dem Obercommando den Tod anzeigen und als der nächste im Befehl die Leitung des Schlosses übernehmensoll. Ich stehe nun am Fenster und mustere die vorbeifahrenden Schiffe; es sind Kauffahrer, die auf dem dunklen Wasser rapid vorbeisausen, einige mit mehreren Kaminen, andere mit bauschiger Decke (die ganz ähnlich ist, wie die Bahnhofsbauten im [nicht erzählten] Vortraum). Dann steht mein Bruder neben mir und wir schauen Beide aus dem Fenster auf den Canal. Bei einem Schiff erschrecken wir und rufen: Da kommt das Kriegsschiff. Es zeigt sich aber, dass nur dieselben Schiffe zurückkehren, die ich schon kenne. Nun kommt ein kleines Schiff, komisch abgeschnitten, so dass es mitten in seiner Breite endigt; auf Deck sieht man eigenthümliche becher- oder dosenartige Dinge. Wir rufen wie aus einem Munde: Das ist das Frühstücksschiff.

§ 836

Die rasche Bewegung der Schiffe, das tiefdunkle Blau des Wassers, der braune Rauch der Kamine, das Alles ergiebt zusammen einen hochgespannten, düsteren Eindruck.

§ 837

Die Öertlichkeiten in diesem Traume sind aus mehreren Reisen an die Adria zusammengetragen (Miramare, Duino, Venedig, Aquileja). Eine kurze, aber genussreiche Osterfahrt nach Aquileja mit meinem Bruder, wenige Wochen vor dem Traume, war mir noch in frischer Erinnerung. Auch der Seekrieg zwischen Amerika und Spanien und an ihn geknüpfte Besorgnisse um das Schicksal meiner in Amerika lebenden Verwandten spielen mit hinein. An zwei Stellen dieses Traumes treten Affectwirkungen hervor. An der einen Stelle bleibt ein zu erwartender Affect aus, es wird ausdrücklich hervorgehoben, das mir der Tod des Gouverneurs keinen Eindruck macht; an einer anderen Stelle, wie ich das Kriegsschiff zu sehen glaube, erschrecke ich und verspüre im Schlaf alle Sensationen des Schreckens. Die Unterbringung der Affecte ist in diesem gut gebauten Traum so erfolgt, dass jeder auffällige Widerspruch vermieden ist. Es ist ja kein Grund, dass ich beim Tode des Gouverneurs erschrecken sollte, und es ist wohl angebracht, dass ich als Commandant des Schlosses bei dem Anblicke des Kriegsschiffes erschrecke. Nun weist aber die Analyse nach, dass Herr P. nur ein Ersatzmann für mein eigenes Ich ist (im Traum bin ich sein Ersatzmann). Ich bin der Gouverneur, der plötzlich stirbt. Die Traumgedanken handeln von der Zukunft der Meinigen nach meinem vorzeitigen Tode. Kein anderer peinlicher Gedanke findet sich in den Traumgedanken. Der Schreck, der im Traume an den Anblick des Kriegsschiffes gelöthet ist, muss von dort los gemacht und hieher gesetzt werden. Umgekehrt zeigt die Analyse, dass die Region der Traumgedanken, aus der das Kriegsschiff genommen ist, mit den heitersten Reminiscenzen erfüllt ist. Es war ein Jahr vorher in Venedig, wir standen an einem zauberhaft schönen Tag an den Fenstern unseres Zimmers auf der Riva Schiavoni und schauten auf die blaue Lagune, in der heute mehr Bewegung zu finden war als sonst. Es wurden englische Schiffe erwartet, die feierlich empfangen werden sollten, und plötzlich rief meine Frau heiter wie ein Kind: Da kommt das englische Kriegsschiff! Im Traume erschrecke ich bei den nämlichen Worten; wir sehen wieder, dass Rede im Traum von Rede im Leben abstammt. Dass auch das Element „englisch“ in dieser Rede für die Traumarbeit nicht verloren gegangen ist, werde ich alsbald zeigen. Ich verkehre also hier zwischen Traumgedanken und Trauminhalt Fröhlichkeit in Schreck, und brauche nur anzudeuten, dass ich mit dieser Verwandlung selbst ein Stück des latenten Trauminhaltes zum Ausdruck bringe. Das Beispiel beweist aber, dass es der Traumarbeit freisteht, den Affectanlass aus seinen Verbindungen in den Traumgedanken zu lösen und beliebig wo anders im Trauminhalte einzufügen.

§ 838

Ich ergreife die nebstbei sich bietende Gelegenbeit, das „Frühstücksschiff“, dessen Erscheinen im Traume eine rationell festgehaltene Situation so unsinnig abschliesst, einer näheren Analyse zu unterziehen. Wenn ich das Traumobject besser in’s Auge fasse, so fällt mir nachträglich auf, dass es schwarz war und durch sein Abschneiden in seiner grössten Breite an diesem Ende eine weitgehende Aehnlichkeit mit einem Gegenstand erzielte, der uns in den Museen etruskischer Städte interessant geworden war. Es war dies eine rechteckige Tasse aus schwarzen Thon, mit zwei Henkeln, auf der Dinge wie Kaffee- oder Theetassen standen, nicht ganz unähnlich einem unserer modernen Service für den Frühstückstisch. Auf Befragen erfuhren wir, das sei die Toilette einer etruskischen Dame mit den Schminke- und Puderbüchsen darauf; und wir sagten uns im Scherz, es wäre nicht übel, so ein Ding der Hausfrau mitzubringen. Das Traumobject bedeutet also — schwarze Toilette, Trauer und spielt direct auf einen Todesfall an. Mit dem anderen Ende mahnt das Traumobject an den „Nachen“ vom Stamme [altgr. einfügen], wie mein sprachgelehrter Freund mir mitgetheilt, auf den in Vorzeiten die Leiche gelegt und dem Meer zur Bestattung überlassen wurde. Hieran reiht sich, warum im Traume die Sehiffe zurückkehren.

§ 839

„Still, auf gerettetem Boot, treibt in den Hafen der Greis“.

§ 840

Es ist die Rückfahrt nach dem Schiffbruch, das Frühstücksschiff ist ja wie in seiner Breite abgebrochen. Woher aber der Name „Frühstücks“schiff? Hier kommt nun das „Englische“ zur Verwendung, das wir bei den Kriegsschiffen erübrigt haben. Frühstück = breakfast, Fastenbrecher. Das Brechen gehört wieder zum Schiffbruch, das Fasten schliesst sich der schwarzen Toilette an. An diesem Frühstücksschiffe ist aber nur der Name vom Traume neugebildet. Das Ding hat existirt und mahnt mich an eine der heitersten Stunden der letzten Reise. Der Verpfegung in Aquileja misstrauend, hatten wir uns von Görz Esswaaren mitgenommen, eine Flasche des vorzüglichen Istrianerweines in Aquileja eingekauft, und während der kleine Postdampfer durch den Kanal delle Mee langsam in die öde Lagunenstrecke nach Grado fuhr, nahmen wir, die einzigen Passagiere, in heiterster Laune auf Deck das Frühstück ein, das uns schmeckte wie selten eines zuvor. Das war also das „Frühstücksschiff“, und gerade hinter dieser Reminiscenz frohesten Lebensgenusses verbirgt der Traum die betrübendsten Gedanken an eine unbekannte und unheimliche Zukunft.

§ 841

Die Ablösung der Affecte von den Vorstellungsmassen, die ihre Entbindung hervorgerufen haben, ist das Auffälligste, was ihnen bei der Traumbildung widerfährt, aber weder die einzige noch die wesentlichste Veränderung, die sie auf dem Wege von den Traumgedanken zum manifesten Traum erleiden. Vergleicht man die Affecte in den Traumgedanken mit denen im Traume, so wird Eines sofort klar: Wo sich im Traume ein Affect findet, da findet er sich auch in den Traumgedanken, aber nicht umgekehrt. Der Traum ist im Allgemeinen affectärmer als das psychische Material, aus dessen Bearbeitung er hervorgegangen ist. Wenn ich die Traumgedanken reconstruirt habe, so übersehe ich, wie in ihnen regelmässig die intensivsten Seelenregungen nach Geltung ringen, zumeist im Kampfe mit anderen, die ihnen scharf zuwiderlaufen. Blicke ich dann auf den Traum zurück, so finde ich ihn nicht selten farblos, ohne jeden intensiveren Geftühlston. Es ist durch die Traumarbeit nicht blos der Inhalt, sondern auch oft der Gefühlston meines Denkens auf das Niveau des Indifferenten gebracht. Ich könnte sagen, durch die Traumarbeit wird eine Unterdrückung der Affecte zu Stande gebracht. Man nehme z. B. den Traum von der botanischen Monographie. Ihm entspricht im Denken ein leidenschaftlich bewegtes Plaidoyer für meine Freiheit, so zu handeln, wie ich handle, mein Leben so einzurichten, wie es mir einzig und allein richtig scheint. Der daraus hervorgegangene Traum klingt gleichgiltig: Ich habe eine Monographie geschrieben, sie liegt vor mir, ist mit farbigen Tafeln versehen, getrocknete Pflanzen sind jedem Exemplare beigelegt. Es ist wie die Ruhe eines Leichenfeldes; man verspürt nichts mehr vom Toben der Schlacht.

§ 842

Es kann auch anders ausfallen, in den Traum selbst können lebhafte Affectäusserungen eingehen; aber wir wollen zunächst bei der unbestreitbaren Thatsache verweilen, dass so viele Träume indifferent erscheinen, während man sich in die Traumgedanken nie ohne tiefe Ergriffenheit versetzen kann.

§ 843

Die volle theoretische Aufklärung dieser Affectunterdrückung während der Traumarbeit ist hier nicht zu geben; sie würde das sorgfältigste Eindringen in die Theorie der Affecte und in den Mechanismus der Verdrängung voraussetzen. Ich will nur zwei Gedanken hier eine Erwähnung gönnen. Die Affectentbindung bin ich — aus anderen Gründen — genöthigt mir als einen centrifugalen, gegen das Körperinnere gerichteten Vorgang vorzustellen, analog den motorischen und secretorischen Innervationsvorgängen. Wie nun im Schlafzustande die Aussendung motorischer Impulse gegen die Aussenwelt aufgehoben erscheint, so könnte auch die centrifugale Erweckung von Affecten durch das unbewusste Denken während des Schläfes erschwert sein. Die Affectregungen, die während des Ablaufes der Traumgedanken zu Stande kommen, wären also an und für sich schwache Regungen, und darum die in den Traum gelangenden auch nicht stärker. Nach diesem Gedankengange wäre die „Unterdrückung der Affecte“ überhaupt kein Erfolg der Traumarbeit, sondern eine Folge des Schlafzustandes. Es mag so sein, aber es kann unmöglich es sein. Wir müssen auch daran denken, dass jeder zusammengetztere Traum sich auch als das Compromissergebnis eines Widerstreites psychischer Mächte enthüllt hat. Einerseits haben die wunschbildenden Gedanken gegen den Widerspruch einer censurirenden Instanz anzukämpfen, andererseits haben wir oft gesehen, dass im unbewussten Denken selbst ein jeder Gedankenzug mit seinem contradictorischen Gegentheil zusammengespannt war. Da alle diese Gedankenzüge affectfähig sind, so werden wir im Ganzen und Groben kaum irre gehen, wenn wir die Affectunterdrückung auffassen als Folge der Hemmung, welche die Gegensätze gegen einander, und die Censur gegen die von ihr unterdrückten Strebungen übt. Die Affecthemmung wäre dann der zweite Erfolg der Traumcensur, wie die Traumentstellung deren erster war.

§ 844

Ich will ein Traumbeispiel einfügen, in dem der indifferente Empfindungston des Trauminhaltes durch die Gegensätzlichkeit in den Traumgedanken aufgeklärt werden kann. Ich habe folgenden kurzen Traum zu erzählen, den jeder Leser mit Ekel zur Kenntnis nehmen wird:

§ 845

IV. Eine Anhöhe, auf dieser etwas wie ein Abort im Freien, eine sehr lange Bank, an deren Ende ein grosses Abortloch. Die ganze hintere Kante dicht besetzt mit Häufchen Koth von allen Grössen und Stufen der Frische. Hinter derBank ein Gebüsch. Ich urinire auf die Bank; ein langer Harnstrahl spült alles rein, die Kothpatzen lösen sich leicht ab und fallen in die Oeffnung. Als ob am Ende noch etwas übrig bliebe.

§ 846

Warum empfand ich bei diesem Traume keinen Ekel?

§ 847

Weil, wie die Analyse zeigt, an dem Zustandekommen dieses Traumes die angenehmsten und befriedigendsten Gedanken mitgewirkt hatten. Mir fällt in der Analyse sofort der Augiasstall ein, den Herkules reinigt. Dieser Herkules bin ich. Die Anhöhe und das Gebüsch gehören nach Aussee, wo jetzt meine Kinder weilen. Ich habe die Kindheitsätiologie der Neurosen aufgedeckt und dadurch meine eigenen Kinder vor Erkrankung bewahrt. Die Bank ist (bis auf das Abortloch natürlich) die getreue Nachahmung eines Möbels, das mir eine anhängliche Patientin zum Geschenk gemacht hat. Sie mahnt mich daran, wie meine Patienten mich ehren. Ja selbst das Museum menschlicher Exeremente ist einer herzerfreuenden Deutung fähig. So sehr ich mich dort davor ekle, im Traume ist es eine Reminiscenz an das schöne Land Italien, in dessen kleinen Städten bekanntlich die W. C. nicht anders ausgestattet sind. Der Harnstrahl, der alles rein abspült, ist eine unverkennbare Grössenanspielung. So löscht Gulliver bei den Liliputanern den grossen Brand; er zieht dadurch allerdings das Missfallen der allerkleinsten Königin zu. Aber auch Gargantua, der Uebermensch bei Meister Rabelais, nimmt so seine Rache an deu Parisern, indem er auf Notre-Dame reitend seinen Harnstrahl auf die Stadt richtet. In den Garnier’schen Illustrationen zum Rabelais habe ich gerade gestern vor dem Schlafengehen geblättert. Und merkwürdig wieder ein Beweis, dass ich der Uebermensch bin! Die Plattform von Notre-Dame war mein Lieblingsaufenthalt in Paris; jeden freien Nachmittag pflegte ich auf den Thürmen der Kirche zwischen den Ungethümen und Teufelsfratzen dort herumzuklettern. Dass aller Koth vor dem Strahle so rasch verschwindet, das ist das Motto: Flavit et dissipati sunt, mit dem ich einmal den Abschnitt über Therapie der Hysterie überschreiben werde.

§ 848

Und nun die wirksame Veranlassung des Traumes. Es war ein heisser Nachmittag im Sommer gewesen, ich hatte in den Abendstunden meine Vorlesung über den Zusammenhang der Hysterie mit den Perversionen gehalten, und alles, was ich zu sagen wusste, missfiel mir so gründlich, kam mir alles Werthes entkleidet vor. Ich war müde, ohne Spur von Vergnügen an meiner schweren Arbeit, sehnte mich weg von diesem Wühlen im menschlichen Schmutz, nach meinen Kindern und dann nach den Schönheiten Italiens. In dieser Stimmung ging ich vom Hörsaal in ein Café, um dort in freier Luft einen bescheidenen Imbiss zu nehmen, denn die Esslust hatte mich verlassen. Aber einer meiner Hörer ging mit mir; er bat um die Erlaubnis dabei zu sitzen, während ich meinen Café trank und an meinem Kipfel würgte, und begann mir Schmeicheleien zu sagen. Wieviel er bei mir gelernt, und dass er jetzt Alles mit anderen Augen ansehe; dass ich den Augiasstall der Irrthümer und Vorurtheile in der Neurosenlehre gereinigt, kurz dass ich ein sehr grosser Mann sei: Meine Stimmung passte schlecht zu seinem Lobgesang; ich kämpfte mit dem Ekel, ging früher heim, um mich los zu machen, blätterte noch vor dem Schlafengehen im Rabelais und las eine Novelle von C. F. Meyer „Die Leiden eines Knaben“.

§ 849

Aus diesem Material war der Traum hervorgegangen, die Novelle von Meyer brachte die Erinnerung an Kindheitsscenen hinzu (vergl. den Traum vom Grafen Thun, letztes Bild). Die Tagesstimmung von Ekel und Ueberdrnss setzte sich im Traume insoferne durch, als sie fast sämmtliches Material für den Trauminhalt beistellen durfte; Aber in der Nacht wurde die ihr gegensätzliche Stimmung von kräftiger und selbst übermässiger Selbstbetonung rege und hob die erstere auf. Der Trauminhalt musste sich so gestalten, dass er in demselben Material dem Kleinheitswahn wie der Selbstüberschätzung den Ausdruck ermöglichte. Bei dieser Compromissbildung resultirte ein zweideutiger Trauminhalt, aber auch durch gegenseitige Hemmung der Gegensätze ein indifferenter Empfindungston.

§ 850

Nach der Theorie der Wunscherfüllung wäre dieser Traum nicht ermöglicht worden, wenn nicht der gegensätzliche, zwar unterdrückte aber mit Lust betonte, Gedankenzug des Grössenwahnes zu dem des Eikels hinzugetreten wäre. Denn Peinliches soll im Traume nicht dargestellt werden; das Peinliche aus unseren Tagesgedanken kann nur dann den Eintritt in den Traum erringen, wenn es seine Einkleidung gleichzeitig einer Wunscherfüllung leiht.

§ 851

Die Traumarbeit kann mit den Affecten der Traumgedanken noch etwas anderes vornehmen, als sie zuzulassen oder zum Nullpunkt herabzudrücken. Sie kann dieselben in ihr Gegentheil verkehren. Wir haben bereits die Deutungsregel kennen gelernt, dass jedes Element des Traumes für die Deutung auch sein Gegentheil darstellen kann, ebensowohl wie sich selbst. Man weiss nie im Vorhinein, ob das eine oder das andere zu setzen ist; erst der Zusammenhang entscheidet hierüber. Eine Ahnung dieses Sachverhaltes hat sich offenbar dem Volksbewusstsein aufgedrängt; die Traumbücher verfahren bei der Deutung der Träume sehr häufig nach dem Princip des Contrastes. Solche Verwandlung in’s Gegentheil wird durch die innige associative Verkettung ermöglicht, die in unserem Denken die Vorstellung eines Dinges an die ihres Gegensatzes fesselt. Wie jede andere Verschiebung dient sie den Zwecken der Censur, ist aber auch häufig das Werk der Wunscherfüllung, denn die Wunscherfüllung besteht ja in nichts anderem als in der Eirsetzung eines unliebsamen Dinges durch sein Gegentheil. Ebenso wie die Dingvorstellungen können also auch die Affecte der Traumgedanken im Traume in’s Gegentheil verkehrt erscheinen, und es ist wahrscheinlich, dass diese Affectverkehrung zumeist von der Traumeensur bewerkstelligt wird, Affectunterdrückung wie Affectverkehrung dienen ja auch im socialen Leben, das uns die geläufige Analogie zur Traumcensur gezeigt hat; vor Allem der Verstellung. Wenn ich mündlich mit der Person verkehre, vor der ich mir Rücksicht auferlegen muss, während ich ihr Feindseliges sagen möchte, so ist es beinahe wichtiger, dass ich die Aeusserungen meines Affects vor ihr verberge, als dass ich die Wortfassung meiner Gedanken mildere. Spreche ich zu ihr in nicht unhöflichen Worten, begleite diese aber mit einem Blick oder einer Geberde des Hasses und der Verachtung, so ist die Wirkung, die ich bei dieser Person erziele, nicht viel anders, als wenn ich ihr meine Verachtung ohne Schonung in’s Gesicht geworfen hätte. Die Censur heisst mich also vor Allem meine Affecte unterdrücken, und wenn ich ein Meister in der Verstellung bin, werde ich den entgegengesetzten Affect heucheln, lächeln, wo ich zürnen, und mich zärtlich stellen, wo ich vernichten möchte.

§ 852

Wir kennen bereits ein ausgezeichnetes Beispiel solcher Affectverkehrung im Traum im Dienste der Traumcensur. Im Traume „von des Onkels Bart“ empfinde ich grosse Zärtlichkeit für meinen Freund R., während und weil die Traumgedanken ihn einen Schwachkopf schelten. Aus diesem Beispiele von Verkehrung der Affecte haben wir uns den ersten Hinweis auf die Existenz einer Traum censur geholt. Es ist auch hier nicht nöthig anzunehmen, dass die Traumarbeit einen derartigen Gegenaffeet ganz von neuem schafft; sie findet ihn gewöhnlich im Materiale der Traumgedanken bereitliegend und erhöht ihn blos mit der psychischen Kraft der Abwehrmotive, bis er für die Traumbildung überwiegen kann. Im letzterwähnten Onkeltraum stammt der zärtliche Gegenaffect wahrscheinlich aus infantiler Quelle (wie die Fortsetzung des Traumes nahe legt), denn das Verhältnis Onkel und Neffe ist durch die besondere Natur meiner frühesten Kindererlebnisse (vergl. die Analyse Seite 244) bei mir die Quelle aller Freundschaften und alles Hasses geworden.

§ 853

Die Complication der Aufhebungs-, Subtractions- und Verkehrungsvorgänge, durch welche endlich aus den Affecten der Traumgedanken die des Traumes werden, lässi sich an geeigneten Synthesen vollständig analysirter Träume gut überblicken. Ich will hier noch einige Beispiele von Affectregung im Traume behandeln, die etwa einige der besprochenen Fälle als realisirt erweisen.

§ 854

V. In dem Traume von der sonderbaren Aufgabe, die mir der alte Brücke stellt, mein eigenes Becken zu präpariren, vermisse ich im Traume selbst das dazugehörige Grauen. Dies ist nun Wunscherfüllung in mehr als einem Sinne. Die Präparation bedeutet die Selbstanalyse, die ich gleichsam durch die Veröffentlichung des Traumbuches vollziehe, die mir in Wirklichkeit so peinlich war, dass ich den Druck des bereitliegenden Manuscriptes um mehr als ein Jahr aufgesehoben habe. Es regt sich nun der Wunsch, dass ich mich über diese abhaltende Empfindung hinaussetzen möge, darum verspüre ich im Traume kein Grauen. Das „Grauen“ im anderen Sinne möchte ich auch gerne vermissen; es graut bei mir schon ordentlich, und dies Grau der Haare mahnt mich gleichfalls, nicht länger zurückzuhalten. Wir wissen ja, dass am Schlusse des Traumes der Gedanke zur Darstellung durehdringt, ich würde es den Kindern überlassen müssen, in der schwierigen Wanderung an´s Ziel zu kommen.

§ 855

In den zwei Träumen, die den Ausdruck der Befriedigung in die nächsten Augenblicke nach dem Erwachen verlegen, ist diese Befriedigung das eine Mal motivirt durch die Erwartung, ich werde jetzt erfahren, was es heisst, „ich habe schon davon geträumt“, und bezieht sich eigentlich auf die Geburt der ersten Kinder, das andere Mal durch die Ueberzeugung, es werde jetzt eintreffen, „was sich durch ein Vorzeichen angekündigt hat“, und diese Befriedigung ist die nämliche, die seinerzeit den zweiten Sohn begrüsst hat. Es sind hier im Traume die Affecte verblieben, die in den Traumgedanken herrschen, aber es geht wohl in keinem Traume so ganz einfach zu. Vertieft man sich ein wenig in beide Analysen, so erfährt man, dass diese der Censur nieht unterliegende Befriedigung einen Zuzug aus einer Quelle erhält, welche die Censur zu fürchten hat, und deren Affect sicherlich Widerspruch erregen würde, wenn er sich nicht durch den gleichartigen, gerne zugelassenen Befriedigungsaffect der erlaubten Quelle decken, sich gleichsam hinter ihm einleichen würde. Ich kann dies leider nicht an dem Traumbeispiel selbst erweisen, aber ein Beispiel aus anderer Sphäre wird meine Meinung verständlich machen. Ich setze folgenden Fall: Es gäbe in meiner Nähe eine Person, die ich hasse, so dass in mir eine lebhafte Regung zu Stande kommt, mich zu freuen, wenn ihr etwas widerfährt. Dieser Regung gibt aber das Moralische in meinem Wesen nicht nach; ich wage es nicht, den Unglückswunsch zu äussern, und nachdem ihr unverschuldet etwas zugestossen ist, unterdrücke ich meine Befriedigung darüber und nöthige mich zu Aeusserungen und Gedanken des Bedauerns. Jedermann wird sich in solcher Lage schon befunden haben. Nun ereigne es sich aber, dass die gehasste Person sich durch eine Ueberschreitung eine wohlverdiente Unannchmlichkeit zuziehe; dann darf ich meiner Befriedigung darüber freien Lauf lassen, dass sie von der gerechten Strafe getroffen worden ist, und äussere mich darin übereinstimmend mit vielen Anderen, die unparteiisch sind. Ich kann aber die Beobachtung machen, dass meine Befriedigung intensiver ausfällt als die der Anderen; sie hat einen Zuzug aus der Quelle meines Hasses erhalten, der bis dahin von der inneren Censur verhindert war, Affect zu liefern, unter den geänderten Verhältnissen aber nicht mehr gehindert wird. Dieser Fall trifft in der Gesellschaft allgemein zu, wo antipathische Personen oder Angehörige einer ungern gesehenen Minorität eine Schuld auf sich laden. Ihre Bestrafung entspricht dann gewöhnlich nicht ihrem Verschulden, sondern dem Verschulden vermehrt um das bisher effectlose Uebelwollen, das sich gegen sie richtet. Die, Strafenden begehen dabei zweifellos eine Ungerechtigkeit; sie werden an der Wahrnehmung derselben gehindert durch die Befriedigung, welche ihnen die Aufhebung einer lange festgehaltenen Unterdrückung in ihrem Inneren bereitet. In solchen Füllen ist der Affect seiner Qualität nach zwar berechtigt, aber nicht sein Ausmass; und die in dem einen Punkt beruhigte Selbstkritik vernachlässigt nur zu leicht die Prüfung des zweiten Punktes. Wenn einmal die Thüre geöffnet ist, so drängen sich leicht mehr Leute durch, als man ursprünglich einzulassen beabsichtigte.

§ 856

Der auffällige Zug des neurotischen Charakters, dass affectfähige Anlässe bei ihm eine Wirkung erzielen, die qualitativ berechtigt, quantitativ tiber das Mass hinausgeht, erklärt sich auf diese Weise, soweit er überhaupt eine psychologische Erklärung zulässt. Der Ueberschuss rührt aber aus unbewusst gebliebenen, bis dahin unterdrückten Affectquellen her, die mit dem realen Anlass eine associative Verbindung herstellen können, und für deren Affectentbindung die einspruchsfreie und zugelassene Affectquelle die erwünschte Bahnung eröffnet. Wir werden so aufmerksam gemacht, dass wir zwischen der unterdrückten und der unterdrückenden seelischen Instanz nicht ausschliesslich die Beziehungen gegenseitiger Hemmung in’s Auge fassen dürfen. Ebensoviel Beachtung verdienen die Fälle, in denen die beiden Instanzen durch Zusammenwirken, durch gegenseitige Verstärkung einen pathologischen Effect zu Stande bringen. Diese andeutenden Bemerkungen über psychische Mechanik wolle man nun zum Verständnis der Affeetäusserungen des Traumes verwenden. Eine Befriedigung, die sich im Traume kundgibt, und die natürlich alsbald an ihrer Stelle in den Traumgedanken aufzufinden ist, ist durch diesen Nachweis allein nicht immer vollständig aufgeklärt. In der Regel wird man für sie eine zweite Quelle in den Traumgedanken aufzusuchen haben, auf welche der Druck der Censur lastet, und die unter dem Drucke nicht Befriedigung, sondern den gegentheiligen Affect ergeben hätte, die aber durch die Anwesenheit der ersten Traumquelle in den Stand gesetzt wird, ihren Befriedigungsaffect der Verdrängung zu entziehen und als Verstärkung zu der Befriedigung aus anderer Quelle stossen zu lassen. So erscheinen die Affecte im Traume als zusammengefasst aus mehreren Zuflüssen und als überdeterminirt in Bezug auf das Material der Traumgedanken; Affectquellen, dieden nämlichen Affect liefern können, treten bei der Traumarbeit zur Bildung desselben zusammen.

§ 857

Ein wenig Einblick in diese verwickelten Verhältnisse erhält man durch die Analyse des schönen Traumes, in dem „Non vixit den Mittelpunkt bildet (vergl. Seite 241). In diesem Traum sind die Affectäusserungen von verschiedener Qualität an zwei Stellen des manifesten Inhaltes zusammengedrängt. Feindselige und peinliche Regungen (im Traume selbst heisst es „von merkwürdigen Affecten ergriffen“) überlagern einander dort, wo ich den gegnerischen Freund mit den beiden Worten vernichte. Am Ende des Traumes bin ich ungemein erfreut und urtheile dann anerkennend über eine im Wachen als absurd erkannte Möglichkeit, dass es nämlich Revenants gibt, die man durch den blossen Wunsch beseitigen kann.

§ 858

Ich habe die Veranlassung dieses Traumes noch nicht mitgetheilt. Sie ist eine wesentliche und führt tief in das Verständnis des Traumes hinein. Ich hatte von meinem Freunde in Berlin (den ich mit Fl. bezeichnet habe) die Nachricht bekommen, dass er sich einer Operation unterziehen werde, und dass in Wien lebende Verwandte mir die weiteren Auskünfte über sein Befinden geben würden; Diese ersten Nachrichten nach der Operation lauteten nicht erfreulich und machten mir Sorge. Ich wäre am liebsten selbst zu ihm gereist, aber ich war gerade zu jener Zeit mit einem schmerzhaften Leiden behaftet, das mir jede Bewegung zur Qual machte. Aus den Traumgedanken erfahre ich nun, dass ich für das Leben des theuern Freundes fürchtete. Seine einzige Schwester, die ich nicht gekannt, war, wie ich wusste, in jungen Jahren nach kürzester Krankheit gestorben. (Im Traum: Fl. erzählt von seiner Schwester und sagt: in 3/4 Stunden war sie todt.) Ich muss mir eingebildet haben, dass sein eigene Natur nicht viel resistenter sei, und mir vorgestellt, dass auf weit schlimmere Nachrichten nun endlich doch reise — und spät komme, worüber ich mir ewige Vorwürfe machen könnte.*)*) Dieser Vorwurf wegen des Zuspätkommens ist zum Mittelpunkt des Traumes geworden, hat sich aber in einer Scene dargestellt, in der der verehrte Meister meiner Studentenjahre Brücke mir mit einem fürchterlichen Blicke seiner blauen Augen den Vorwurf macht. Was diese Ablenkung der Scene zu Stande gebracht, wird sich bald ergeben; die Scene selbst kann der Traum nicht so reproduciren, wie ich sie erlebt habe. Er lässt zwar dem Anderen die blauen Augen, aber er gibt mir die vernichtende Rolle, eine Umkehrung, die offenbar das Werk der Wunscherfüllung ist. Die Sorge um das Leben des Freundes, der Vorwurf, dass ich nicht zu ihm hinreise, meine Beschämung (er ist unauffällig (zu mir) nach Wien gekommen), mein Bedürfnis, mich durch meine Krankheit für entschuldigt zu halten, dass alles setzt den Gefühlssturm zusammen, der im Schlaf deutlich verspürt, in jener Region der Traumgedanken tobt.

§ 859

An der Traumveranlassung war aber noch etwas Anderes, was auf mich eine ganz entgegengesetzte Wirkung hatte. Bei den ungünstigen Nachrichten aus den ersten Tagen der Operation erhielt ich auch die Mahnung, von der ganzen Angelegenheit Niemandem zu sprechen, die mich beleidigte, weil sie ein überflüssiges Misstrauen in meine Verschwiegenheit zur Voraussetzung hatte. Ich wusste zwar, dass dieser Auftrag nicht von meinem Freunde ausging, sondern einer Ungeschicklichkeit oder Ueberängstlichkeit des vermittelnden Boten entsprach, aber ich wurde von dem versteckten Vorwurf sehr peinlich berührt, weil er — nicht ganz unberechtigt war. Andere Vorwürfe als solche, an denen „etwas daran ist“, haften bekanntlich nicht, haben keine aufregende Kraft. Zwar nicht in der Sache meines Freundes, aber früher einmal in viel jüngeren Jahren hatte ich zwischen zwei Freunden, die beide auch mich zu meiner Ehrung so nennen wollten, überflüssiger Weise etwas ausgeplaudert, was der eine über den anderen gesagt hatte. Auch die Vorwürfe, die ich damals zu hören bekam, habe ich nicht vergessen: Der eine der beiden Freunde, zwischen denen ich damals den Unfriedensstifter machte, war Professor Fleischl; der andere kann durch den Vornamen Josef, den auch mein im Traume auftretender Freund und Gegner P. führte, ersetzt werden.

§ 860

Von dem Vorwurf, dass ich nichts für mich zu behalten vermöge, zeugen im Traume die Elemente unauffällig und die Frage Fl.’s, wieviel von seinen Dingen ich P. denn mitgetheilt habe. Die Einmengung dieser Erinnerung ist es aber, welche den Vorwurf des Zuspätkommens aus der Gegenwart in die Zeit, da ich im Brücke’schen Laboratorium lebte, verlegt, und indem ich die zweite Person in der Vernichtungsscene des Traumes durch einen Josef ersetze, lasse ich diese Scene nicht nur den einen Vorwürf darstellen, dass ich zu spät komme, sondern auch den von der Verdrängung stärker betroffenen, dass ich kein Geheimnis bewahre. Die Verdichtungs- und Verschiebungsarbeit des Traumes, sowie deren Motive werden hier augenfällig.

*) Diese Phantasie aus den unbewussten Traumgedanken ist es, die gebieterisch non vivit anstatt non vixit verlangt. „Du bist zu spät gekommen, er lebt nicht mehr.“ Dass auch die manifeste Situation des Traumes auf non vivit zielt, ist Seite 243 angegeben worden. § 861

Der in der Gegenwart geringfügige Aerger über die Mahnung, nichts zu verrathen, holt sich aber Verstärkungen aus in der Tiefe fliessenden Quellen und schwillt so zu einem Strom feindseliger Regungen gegen in Wirklichkeit geliebte Personen an. Die Quelle, welche die Verstärkung liefert, fliesst im Infantilen. Ich habe schon erzählt, dass meine warmen Freundschaften wie meine Feindschaften mit Gleichalterigen auf meinen Kinderverkehr mit einem um ein Jahr älteren Neffen zurückgehen, in dem er der Ueberlegene war, ich mich frühzeitig zur Wehre setzen lernte, wir unzertrennlich mit einander lebten und einander liebten, dazwischen, wie Mittheilungen älterer Personen bezeugen, uns rauften und — verklagten. Alle meine Freunde sind in gewissem Sinne Incarnationen dieser ersten Gestalt, die „früh sich einst dem trüben Blick gezeigt“, Revenants. Mein Neffe selbst kam in den Jünglingsjahren wieder, und damals führten wir Cäsar und Brutus mit einander auf. Ein intimer Freund und ein gehasster Feind waren mir immer nothwendige Erfordernisse meines Gefühlslebens; ich wusste Beide mir immer von Neuem zu verschaffen, und nicht selten stellte sich das Kindheitsideal so weit her, dass Freund und Feind in dieselbe Person zusammenfielen, natürlich nieht mehr gleichzeitig oder in mehrfach wiederholter Abwechslung, wie es in den ersten Kinderjahren der Fall gewesen sein mag.

§ 862

Auf welche Weise bei so bestehenden Zusammenhängen sein recenter Anlass zum Affect bis auf den infantilen zurückgreifen kann; um sich durch ihn für die Affectwirkung zu ersetzen, das möchte ich hier nicht verfolgen. Es gehört der Psychologie des unbewussten, Denkens an und fände seine Stelle in einer psychologischen Aufklärung der Neurosen. Nehmen wir für unsere Zwecke der Traumdeutung an, dass sich eine Kindererinnerung einstellt, oder eine solche phantastisch gebildet wird etwa folgenden Inhaltes: Die beiden Kinder gerathen in Streit mit einander um ein Object, — welches, lassen wir dahingestellt, obwohl die Erinnerung oder Erinnerungstäuschung ein ganz bestimmtes im Auge hat; — ein jeder behauptet, er sei früher gekommen, habe also das Vorrecht darauf; es kommt zur Schlägerei, Macht geht vor Recht; nach den Andeutungen des Traumes könnte ich gewusst haben, dass ich im Unrecht bin (den Irrthum selbst bemerkend); ich bleibe aber diesmal der Stärkere, behaupte das Schlachtfeld, der Unterlegene eilt zum Vater, respective Grossvater, verklagt mich, und ich vertheidige mich mit den mir durch die Erzählung des Vaters bekannten Worten: Ich habe ihn gelagt, weil er mich gelagt hat; so ist diese Erinnerung oder wahrscheinlicher Phantasie, die sich mir während der Analyse des Traumes — ohne weitere Gewähr, ich weiss selbst nicht wie — aufdrängt, ein Mittelstück der Traumgedanken, das die in den Traumgedanken waltenden Affectregungen, wie eine Brunnenschale die zugeleiteten Gewässer, sammelt. Von hier aus fliessen die Traumgedanken in folgenden Wegen: Es geschieht dir ganz recht, dass du mir den Platz hast räumen müssen; warum hast du mich vom Platze verdrängen wollen? Ich brauche dich nicht, ich werde mir schon einen anderen verschaffen, mit dem ich spiele u. s. w. Dann eröffnen sich die Wege, auf denen diese Gedanken wieder in die Traumdarstellung einmünden. Ein solehes „Ôte-toi que je m’y mette“ musste ich seiner Zeit meinem verstorbenen Freunde Josef zum Vorwurf machen. Er war in meine Fusstapfen als Aspirant im Brücke’schen Laboratorium getreten, aber dort war das Avancement langwierig. Keiner der beiden Assistenten rückte von der Stelle, die Jugend wurde ungeduldig. Mein Freund, der seine Lebenszeit begrenzt wusste, und den kein intimes Verhältnis an seinen Vordermann band, gab seiner Ungeduld gelegentlich lauten Ausdruck. Da dieser Vordermann ein schwer Kranker war, konnte der Wunsch, ihn beseitigt zu wissen, ausser dem Sinn: durch eine Beförderung auch eine anstössige Nebendeutung zulassen. Natürlich war bei mir einige Jahre vorher der nämliche Wunsch, eine frei gewordene Stelle einzunehmen, noch viel lebhafter gewesen; wo immer es in der Welt Rangordnung und Beföderung gibt, ist ja der Weg für der Unterdrückung bedürftige Wünsche eröffnet. Shakespeare’s Prinz Hal kann sich nicht einmal am Bett des kranken Vaters der Versuchung entziehen, einmal zu probiren, wie ihm die Krone steht. Aber der Traum straft, wie begreiflich, diesen rücksichtslosen Wunsch nicht an mir, sondern an ihm.*)*) „Weil er herrschsüchtig war, darum erschlug ich ihn.“ Weil er nicht erwarten konnte, dass ihm der Andere den Platz räume, darum ist er selbst hinweggeräumt worden. Diese Gedanken hege ich unmittelbar, nachdem ich in der Universität der Enthüllung des dem Anderen gesetzten Denkmales beigewohnt habe. Ein Theil meiner im Traume verspürten Befriedigung deutet sich also: Gerechte Strafe; es ist dir recht geschehen.

§ 863

Bei dem Leichenbegängnis dieses Freundes machte ein junger Mann die unpassend scheinende Bemerkung: Der Redner habe so gesprochen, als ob jetzt die Welt ohne den einen Menschen nicht mehr bestehen könne. Es regte sieh in ihm die Auflehnung des wahrhaften Mensehen, dem man den Schmerz durch Uebertreibung stört. Aber an diese Rede knüpfen sich die Traumgedanken an: Es ist wirklich niemand unersetzlich; wie viele habe ich schon zum Grabe geleitet; ich aber lebe noch, ich habe sie alle überlebt, ich behaupte den Platz. Ein solcher Gedanke im Moment, da ich fürchte, meinen Freund nieht mehr unter den Lebenden anzutreffen, wenn ich zu ihm reise, lässt nur die weitere Entwickelung zu, dass ich mich freue wieder jemanden zu überleben, dass nicht ich gestorben bin, sondern er, dass ich den Platz behaupte wie damals in der phantasirten Kinderscene. Diese aus dem Infantilen kommende Befriedigung darüber, dass ich den Platz behaupte, deckt den Hauptantheil des in den Traum aufgenommenen Affectes. Ich freue mich darüber, dass ich überlebe, ich äussere das mit dem naiven Egoismus der Anekdote zwischen Ehegatten: „Wenn eines von uns stirbt, übersiedle ich nach Paris“. Es ist für meine Erwartung so selbstverständlich, dass nicht ich der eine bin.

*) Es wird aufgefallen sein, dass der Name Josef eine so grosse Rolle in meinen Träumen spielt (siehe den Onkeltraum). Hinter den Personen, die so heissen, kann sich mein Ich im Traume besonders leicht verbergen, denn Josef hiess auch der aus der Bibel bekannte Traumdeuter. § 864

Man kann sich’s nicht verbergen, dass schwere Selbstüberwindung dazu gehört, seine Träume zu deuten und mitzutheilen. Man muss sich als den einzigen Bösewicht enthüllen unter all den Edlen, mit denen man das Leben theilt. Ich finde es also ganz begreiflich, dass die Revenants nur so lange bestehen, als man sie mag, und dass sie durch den Wunsch beseitigt werden können. Das ist also das, wofür mein Freund Josef gestraft worden ist. Die Revenants sind aber die auf einander folgenden Incarnationen meines Kindheitsfreundes; ich bin also aueh befriedigt darüber, dass ich mir diese Person immer wieder ersetzt habe, und auch für den, den ich jetzt zu verlieren im Begriffe bin, wird sich der Ersatz schon finden. Es ist niemand unersetzlich.

§ 865

Wo bleibt hier aber die Traumcensur? Warum erhebt sie nicht den energischesten Widerspruch gegen diesen Gedankengang der rohesten Selbstsucht und verwandelt die an ihm haftende Befriedigung nicht in schwere Unlust? Ich meine, weil andere einwurfsfreie Gedankenzüge über die nämlichen Personen gleichfalls in Befriedigung ausgehen und mit ihrem Affect jenen aus der verbotenen infantilen Quelle decken. In einer anderen Schicht von Gedanken habe ich mir bei jener feierlichen Denkmalsenthüllung gesagt: Ich habe so viele theure Freunde verloren, die einen durch Tod, die anderen durch Auflösung der Freundschaft; es ist doch schön, dass sie sich mir ersetzt haben, dass ich den Einen gewonnen habe, der mir mehr bedeutet, als die Anderen konnten, und den ich jetzt in dem Alter, wo man nicht mehr leicht neue Freundschaften schliesst, für immer festhalten werde. Die Befriedigung, dass ich diesen Ersatz für die verlorenen Freunde gefunden habe, darf ich ungestört in den Traum hinübernehmen, aber hinter ihr schleicht sich die feindselige Befriedigung aus infantiler Quelle mit ein. Die infantile Zärtlichkeit hilft sicherlich die heute berechtigte verstärken; aber auch der infantile Hass hat sich seinen Weg in die Darstellung gebahnt.

§ 866

Im Traume ist aber ausserdem ein deutlicher Hinweis auf einen anderen Gedankengang enthalten, der in Befriedigung auslaufen darf. Mein Freund hat kurz vorher nach langem Warten ein Töchterchen bekommen. Ich weiss, wie sehr er seine früh verlorene Schwester betrauert hat, und schreibe ihm, auf dieses Kind würde er die Liebe übertragen, die er zur Schwester empfunden; dieses kleine Mädchen würds ihm den unersetzlichen Verlust endlich vergessen machen.

§ 867

So knüpft auch diese Reihe wieder an den Zwischengedanken des latenten Trauminhaltes an, von dem die Wege nach entgegengesetzten Richtungen auseinandergehen: Es ist niemand unersetzlich. Sieh’, nur Revenants; alles was man verloren hat, kommt wieder. Und nun werden die associativen Bande zwischen den widerspruchswollen Bestandtheilen der Traumgedanken enger angezogen durch den zufälligen Umstand, dass die kleine Tochter meines Freundes denselben Namen trägt wie meine eigene kleine Jugendgespielin, die mit mir gleichalterige Schwester meines ältesten Freundes und Gegners. Ich habe den Namen „Pauline“ mit Befriedigung gehört, und um auf dieses Zusammentreffen anzuspielen, habe ich im Traume einen Josef durch einen anderen Josef ersetzt und fand es unmöglich, den gleichen Anlaut in den Namen Fleischl und Fl. zu unterdrücken. Von hier aus läuft dann ein Gedankenfaden zur Namengebung bei meinen eigenen Kindern. Ich hielt darauf, dass ihre Namen nicht nach der Mode des Tages gewählt, sondern durch das Andenken an theure Personen bestimmt sein sollten. Ihre Namen machen die Kinder zu „Revenants“. Und schliesslich, ist Kinder haben nicht für uns Alle der einzige Zugang zur Unsterblichkeit?

§ 868

Ueber die Affecte des Traumes werde ich nur noch wenige Bemerkungen von einem anderen Gesichtspunkte aus anfügen. In der Seele des Schlafenden kann eine Affectneigung — was wir Stimmung heissen — als dominirendes Element enthalten sein und dann den Traum mitbestimmen. Diese Stimmung kann aus den Erlebnissen und Gedankengängen des Tages hervorgehen, sie kann somatische Quellen haben; in beiden Fällen wird sie von ihr entsprechenden Gedankengängen begleitet sein. Dass dieser Vorstellungsinhalt der Traumgedanken eine Mal primär die Affectneigung bedingt, das andere Mal secundär durch die somatisch zu erklärende Gefühlsdisposition geweckt wird, bleibt für die Traumbildung gleichgiltig. Dieselbe steht alle Male unter der Einschränkung, dass sie nur darstellen kann, was Wunscherfüllung ist, und dass sie nur dem Wunsche ihre psychische Triebkraftsentlehnen kann. Die actuell vorhandene Stimmung wird dieselbe Behandlung erfahren wie die actuell während des Schlafes auftauchende Sensation (vergl. Seite 161), die entweder vernachlässigt wird oder im Sinne einer Wunscherfüllung umgedeutet. Peinliche Stimmungen während des Schlafes werden zu Triebkräften des Traumes, indem sie energische Wünsche wecken, die der Traum erfüllen soll. Das Material, an dem sie haften, wird so lange umgearbeitet, bis es zum Ausdruck der Wunscherfüllung verwendbar ist. Je intensiver und je dominirender das Element der peinlichen Stimmung in den Traumgedanken ist, desto sicherer werden die stärkst unterdrückten Wunschregungen die Gelegenheit zur Darstellung zu kommen benützen, da sie durch die actuelle Existenz der Unlust, die sie sonst aus Eigenem erzeugen müssten, den schwereren Theil der Arbeit für ihr Durchdringen zur Darstellung bereits erledigt finden, und mit diesen Erörterungen streifen wir wieder das Problem der Angstträume, die sich als der Grenzfall für die Traumleistung herausstellen werden.

§ 869

g) Die secundäre Bearbeitung.

§ 870

Wir wollen endlich an die Hervorhebung des vierten der bei der Traumbildung betheiligten Momente gehen.

§ 871

Setzt man die Untersuchung des Trauminhaltes in der vorhin eingeleiteten Weise fort, indem man auffällige Vorkommnisse im Trauminhalt auf ihre Herkunft aus den Traumgedanken prüft, so stösst man auch auf Elemente, für deren Aufklärung es einer völlig neuen Annahme bedarf. Ich erinnere an die Fälle, wo man sich im Traume wundert, ärgert, sträubt, und zwar gegen ein Stück des Trauminhaltes selbst. Die meisten dieser Regungen von Kritik im Traum sind nicht gegen den Trauminhalt gerichtet, sondern erweisen sich als übernommene und passend verwendete Theile des Traummateriales, wie ich an geeigneten Beispielen dargelegt habe. Einiges der Art fügt sich aber einer solehen Ableitung nicht; man kann das Correlat dazu im Traummaterial nicht auffinden. Was bedeutet z. B. die im Traum nicht gar seltene Kritik: Das ist ja nur ein Traum? Dies ist eine wirkliche Kritik des Traumes, wie ich sie im Wachen üben könnte, Gar nicht selten ist sie auch nur die Vorläuferin des Erwachens; noch häufiger geht ihr selbst ein peinliches Gefühl vorher, das sich nach der Constatirung des Traumzustandes beruhigt. Der Gedanke: „Das ist ja nur ein Traum“ während des Traumes beabsichtigt aber dasselbe, was er auf offener Bühne im Munde der schönen Helena von Offenbach besagen soll; er will die Bedeutung des eben Erlebten herabdrücken und die Duldung des Weiteren ermöglichen. Er dient zur Einschläferung einer gewissen Instanz, die in dem gegebenen Moment alle Veranlassung hätte, sich zu regen und die Fortsetzung des Traumes — oder der Scene — zu verbieten. Es ist aber bequemer weiter zu schlafen und den Traum zu dulden; „weil’s doch nur ein Traum ist“. Ich stelle mir vor, dass die verächtliche Kritik: Es ist ja nur ein Traum, dann im Traum auftritt, wenn die niemals ganz schlafende Censur sich durch den bereits zugelassenen Traum überrumpelt fühlt. Es ist zu spät ihn zu unterdrücken, somit begegnet sie mit jener Bemerkung der Angst, oder der peinlichen Empfindung, welche sich auf den Traum hin erhebt: Es ist eine Aeusserung des esprit d’escalier von Seiten der psychischen Censur.

§ 872

An diesem Beispiel haben wir aber einen einwandfreien Beweis dafür, dass nicht alles, was der Traum enthält, aus den Traumgedanken stammt, sondern dass eine psychische Function, die von unserem wachen Denken nicht zu unterscheiden ist, Beiträge zum Trauminhalt liefern kann. Es fragt sich nun, kommt dies nur ganz ausnahmsweise vor, oder kommt der sonst nur als Censur thätigen psychischen Instanz ein regelmässiger Antheil an der Traumbildung zu?

§ 873

Man muss sich ohne Schwanken für das Letztere entscheiden. Es ist unzweifelhaft, dass die censurirende Instanz, deren Einfluss wir bisher nur in Einschränkungen und Auslassungen im Trauminhalte erkannten, auch Einschaltungen und Vermehrungen desselben verschuldet. Diese Einschaltungen sind oft leicht kenntlich; sie werden zaghaft berichtet, mit einem „als ob“ eingeleitet, haben an und für sich keine besonders hohe Lebhaftigkeit und sind stets an Stellen gebracht, wo sie zur Verknüpfung zweier Stücke des Trauminhaltes, Anbahnung eines Zusammenhanges zwischen zwei Traumpartien dienen können. Sie zeigen eine geringere Haltbarkeit im Gedächtnis die echten Abkömmlinge des Traummateriales; unterliegt der Traum dem Vergessen, so fallen sie zuerst aus, und ich hege eine starke Vermuthung, dass unsere häufige Klage, wir hätten soviel geträumt, das Meiste davon vergessen und nur Bruchstücke behalten auf den alsbaldigen Ausfall gerade dieser Kittgedanken beruht. Bei vollständiger Analyse verrathen sich diese Einschaltungen manchmal dadurch, dass sich zu ihnen kein Material in den Traumgedanken findet. Doch muss ich bei sorgfältiger Prüfung diesen Fall als den selteneren bezeichnen; zumeist lassen sich die Schaltgedanken immerhin auf Material in den Traumgedanken zurückführen, welches aber weder durch seine eigene Werthigkeit noch durch Ueberdeterminirung Anspruch auf Aufnahme in den Traum erheben könnte. Die psychische Function bei der Traumbildung, die wir jetzt betrachten, erhebt sich, wie es scheint, nur im äussersten Falle zu Neuschöpfungen; so lange es noch möglich ist, verwerthet sie, was sie Taugliches im Traummaterial auswählen kann.

§ 874

Was dieses Stück der Traumarbeit auszeichnet und verräth, ist seine Tendenz. Diese Function verfährt ähnlich, wie es der Dichter boshaft vom Philosophen behauptet; mit ihren Fetzen und Flicken stopft sie die Lücken im Aufbau des Traumes. Die Folge ihrer Bemühung ist, dass der Traum den Anschein der Absurdität und Zummenhanglosigkeit verliert und sich dem Vorbilde eines verbindlichen Erlebnisses annähert. Aber die Bemühung ist nicht jedesmal vom vollen Erfolge gekrönt. Es kommen so Träume zu Stande, die für die oberflächliche Betrachtung tadellos logisch und correct erscheinen mögen; sie gehen von einer möglichen Situation aus, führen dieselbe durch widerspruchsfreie Veränderungen fort und bringen es, wiewohl dies am seltensten, zu einem nicht befremdenden Abschluss. Diese Träume haben die tiefgehendste Bearbeitung durch die dem wachen Denken ähnliche psychische Function erfahren; sie scheinen einen Sinn zu haben, aber dieser Sinn ist von der wirklichen Bedeutung des Traumes auch am weitesten entfernt. Analysirt man sie, so überzeugt man sich, dass hier die secundäre Bearbeitung des Traumes am freiesten mit dem Material umgesprungen ist, am wenigsten von dessen Relationen beibehalten hat. Es sind das Träume, die sozusagen schon einmal gedeutet worden sind, ehe wir sie im Wachen der Deutung unterziehen. In anderen Träumen ist diese tendenziöse Bearbeitung nur ein Stück weit gelungen; so weit scheint Zusammenhang zu herrschen, dann wird der Traum unsinnig oder verworren, vielleicht um sich noch ein zweites Mal in seinem Verlaufe zum Anschein des Verständigen zu erheben, In anderen Träumen hat die Bearbeitung überhaupt versagt; wir stehen wie hilflos einem sinnlosen Haufen von Inhaltsbrocken gegenüber.

§ 875

Ich möchte dieser vierten, den Traum gestaltenden Macht, die uns ja bald als eine bekannte erscheinen wird — sie ist in Wirklichkeit die einzige uns auch sonst vertraute unter den vier Traumbildnern; — ich möchte diesem vierten Momente also die Fähigkeit, schöpferisch neue Beiträge zum Traume zu liefern, nicht peremptorisch absprechen. Sicherlich aber äussert sich auch ihr Einfluss, wie der der anderen, vorwiegend in der Bevorzugung und Auswahl von bereits gebildetem psychischem Material in den Traumgedanken. Es giebt nun einen Fall, in dem ihr die Arbeit, an den Traum gleichsam eine Façade anzubauen, zum grösseren Theil dadurch erspart bleibt, dass im Materiale der Traumgedanken ein solches Gebilde, seiner Verwendung harrend, bereits fertig vorgefunden wird. Das Element der Traumgedanken, das ich im Auge habe, pflege ich als „Phantasie zu bezeichnen; ich gehe vielleicht Missverständnissen aus dem Wege, wenn ich sofort als das Analoge aus dem Wachleben den Tagtraum namhaft mache.*)*) Die Rolle dieses Elementes in unserem Seelenleben ist von den Psychiatern noch nicht erschöpfend erkannt und aufgedeckt worden; M. Benedikt hat mit dessen Würdigung einen, mir wie scheint, vielversprechenden Anfang gemacht. Dem unbeirrten Scharfblick der Dichter ist die Bedeutung des Tagtraumes nicht entgangen; allgemein bekannt ist die Schilderung, die A. Daudet im Nabab von den Tagträumen einer der Nebenfiguren des Romanes entwirft. Das Studium der Psychoneurosen führt zur überraschenden Erkenntnis, dass diese Phantasien oder Tagträume die nächsten Vorstufen der hysterischen Symptome — wenigstens einer ganzen Reihe von ihnen — sind; nicht an den Erinnerungen selbst, sondern an den auf Grund der Erinnerungen aufgebauten Phantasien hängen erst die hysterischen Symptome. Das häufige Vorkommen bewusster Tagesphantasien bringt diese Bildungen unserer Kenntnis nahe; wie es aber bewusste solche Phantasien gibt, so kommen überreichlich un bewusste vor, die wegen ihres Inhaltes und ihrer Abkunft vom verdrängten Material unbewusst bleiben müssen. Eine eingehendere Vertiefung in die Charaktere dieser Tagesphantasien lehrt uns, mit wie gutem Rechte diesen Bildungen derselbe Name zugefallen ist, den unsere nächtlichen Denkproductionen tragen, der Name: Träume. Sie haben einen wesentlichen Theil ihrer Eigenschaften mit den Nachtträumen gemein; ihre Untersuchung hätte uns eigentlich den nächsten und besten Zugang zum Verständnis der Nachtträume eröffnen können.

*) rêve, petit roman — day-dream, story. § 876

Wie die Träume sind sie Wunscherfüllungen; wie die Träume basiren sie zum guten Theil auf den Eindrücken infantiler Erlebnisse; wie die Träume erfreuen sie sich eines gewissen Nachlasses der Censur für ihre Schöpfungen. Wenn man ihrem Aufbaue nachspürt, so wird man inne, wie das Wunschmotiv, das sich in ihrer Production bethätig, das Material, aus dem sie gebaut sind, durcheinander geworfen, umgeordnet und zu einem neuen Ganzen zusammengefügt hat. Sie stehen zu den Kindheitserinnerungen, auf die sie zurückgehen, etwa in demselben Verhältnis, wie manche Barockpaläste Rom’s zu den antiken Ruinen, deren Quadern und Säulen das Material für den Bau in moderneren Formen hergegeben haben.

§ 877

In der „secundären Bearbeitung“, die wir unserem vierten traumbildenden Moment gegen den Trauminhalt zugeschrieben haben, finden wir dieselbe Thätigkeit wieder, die sich bei der Schöpfung der Tagträume ungehemmt von anderen Einflüssen äussern darf. Wir könnten ohne Weiteres sagen, dies unser viertes Moment sucht aus dem ihm dargebotenen Material etwas wie einen Tagtraum zu gestalten. Wo aber ein solcher Tagtraum bereits im Zusammenhange des Traumgedanken gebildet ist, da wird dieser Factor der Traumarbeit sich seiner mit Vorliebe bemächtigen und dahin wirken, dass er in den Trauminhalt gelange. Es gibt solche Träume, die nur in der Wiederholung einer Tagesphantasie, einer vielleicht unbewusst gebliebenen, bestehen, so z. B, der Traum des Knaben, dass er mit den Helden des trojanischen Krieges im Streitwagen führt. In meinem Traume „Autodidasker“ ist wenigstens das zweite Traumstück die getreue Wiederholung einer an sich harmlosen Tagesphantasie über meinen Verkehr mit dem Professor N. Es rührt aus der Complication der Bedingungen her, denen der Traum bei seinem Entstehen zu genügen hat, dass häufiger die vorgefundene Phantasie nur ein Stück des Traumes bildet, oder dass nur ein Stück von ihr zum Trauminhalt hin durchdringt. Im Ganzen wird dann die Phantasie behandelt wie jeder andere Bestandtheil des latenten Materiales; sie ist aber oft im Traume noch als Ganzes kenntlich. In meinen Träumen kommen oft Partien vor, die sieh durch einen von den übrigen verschiedenen Eindruck hervorheben. Sie erscheinen mir wie fliessend, besser zusammenhiängend und dabei flüchtiger als andere Stücke desselben Traumes; ich weiss, dies sind unbewusste Phantasien, die im Zusammenhange in den Traum gelangen, aber ich habe es nie erreicht, eine solche Phantasie zu fixiren. Im Uebrigen werden diese Phantasien wie alle anderen Bestandtheile der Traumgedanken zusammengeschoben, verdichtet, die eine durch die andere überlagert u. dgl.; es gibt aber Uebergänge von dem Falle, wo sie fast unverändert den Trauminhalt oder wenigstens die Traumfagade bilden dürfen, bis zu dem entgegengesetzten Fall, wo sie nur durch eines ihrer Elemente oder eine entfernte Anspielung an ein solches im Trauminhalt vertreten sind. Es bleibt offenbar auch für das Schicksal der Phantasien in den Traumgedanken massgebend, welche Vortheile sie gegen die Ansprüche der Censur und des Verdichtungszwanges zu bieten vermögen.

§ 878

Bei meiner Auswahl von Beispielen für die Traumdeutung bin ich Träumen, in denen unbewusste Phantasien eine erheblichere Rolle spielen, möglichst ausgewichen, weil die Einführung dieses psychischen Elementes weitläufige Erörterungen aus der Psychologie des unbebewussten Denkens erfordert hätte. Gänzlich umgehen kann ich jedoch die „Phantasie“ auch in dieseni Zusammenhange nicht, da sie häufig voll in den Traum gelangt und noch häufiger deutlich durch ihn durchschimmert. Ich will etwa noch einen Traum anführen, der aus zwei verschiedenen, gegensätzlichen und einander an einzelnen Stellen deekenden, Phantasien zusammengesetzt erscheint, von denen die eine die oberflächliche ist, die andere gleichsam zur Deutung der ersteren wird.

§ 879

Der Traum lautet — es ist der einzige, über den ich keine sorgfältigen Aufzeichnungen besitze — ungefähr so: Der Träumer — ein unverheiratheter junger Mann — sitzt in seinem, richtig gesehenen, Stammwirthshause; da erscheinen mehrere Personen, ihn abzuholen, darunter eine, die ihn verhaften will. Er sagt zu seinen Tischgenossen: Ich zahle später, ich komme wieder zurück. Aber die rufen hohnlächelnd: Das kennen wir schon, das sagt ein Jeder. Ein Gast ruft ihm noch nach: Da geht wieder einer dahin. Er wird dann in ein enges Local geführt, wo er eine Frauensperson mit einem Kinde auf dem Arm findet, Einer seiner Begleiter sagt: Das ist der Herr Müller. Ein Commissär, oder sonst eine Amtsperson; blättert in einem Packe von Zetteln oder Schriften und wiederholt dabei: Müller, Müller, Muller. Endlich stellt er an ihn eine Frage, die er mit Ja beantwortet. Er sieht sich dann nach der Frauensperson um und merkt, dass sie einen grossen Bart bekommen hat.

§ 880

Die beiden Bestandtheile sind hier leicht zu sondern. Das Oberflächliche ist eine Verhaftungsphantasie, sie scheint uns von der Traumarbeit neu gebildet. Dahinter aber wird als das Material, das von der Traumarbeit eine leichte Umformung erfahren hat, die Phantasie der Verheirathung, sichtbar, und die Züge, die beiden meinsam sein können, treten wieder wie bei einer Galton’schen Mischphotographie besonders deutlich hervor. Das Versprechen des bisherigen Junggesellen, seinen Platz am Stammtische wieder aufzu suchen, der Unglaube der durch viele Erfahrungen gewitzigten Kneipgenossen, der Nachruf: Da geht (heirathet) wieder einer dahin, das sind auch für die andere Deutung leicht verständliche Züge. Ebenso das Jawort, das man der Amtsperson gibt. Das Blättern in einem Stoss von Papieren, wobei man denselben Namen wiederholt, entspricht einem untergeordneten, aber gut kenntlichen Zug aus den Hochzeitsfeierlichkeiten, dem Vorlesen der stossweise angelangten Glückwunschtelegramme, die ja alle auf denselben Namen lauten. In dem persönlichen Auftreten der Braut in diesem Traum hat sogar die Heiratbsphantasie den Sieg über die sie deckende Verhaftungsphantasie davongetragen. Dass diese Braut am Ende einen Bart zur Schau trägt, konnte ich durch eine Erkundigung — zu einer Analyse kam es nicht — aufklären. Der Träumer war Tags vorher mit einem Freunde, der ebenso ehefeindlich ist wie er, über die Strasse gegangen und hatte diesen Freund auf eine brünette Schönheit aufmerksam gemacht, die ihnen entgegen kam. Der Freund aber hatte bemerkt: Ja, wenn diese Frauen nur nicht mit den Jahren Bärte bekämen wie ihre Väter.

§ 881

Natürlich fehlt es auch in diesem Traume nicht an Elementen, bei denen die Traumentstellung tiefer gehende Arbeit verrichtet hat. So mag die Rede: „Ich werde später zahlen“ auf das zu befürchtende Benehmen des Schwiegervaters in Betreff der Mitgift zielen. Offenbar halten den Träumer allerlei Bedenken ab, sich mit Wohlgefällen der Heirathsphantasie hinzugeben. Eines dieser Bedenken, dass man mit der Heirath seine Freiheit verliert, hat sich in der Umwandlung zu einer Verhaftungsscene verkörpert.

§ 882

Wenn wir nochmals darauf zurückkommen wollen, dass die Traumarbeit sich gerne einer fertig vorgefundenen Phantasie bedient, anstatt eine solche aus dem Material der Traumgedanken erst zusammenzusetzen, so lösen wir mit dieser Einsicht vielleicht eines der interessantesten Räthsel des Traumes. Ich habe auf Seite 17 den Traum von Maury 48) erzählt, der von einem Brettchen im Genick getroffen mit einem langen Traum, einem completen Roman aus den Zeiten der grossen Revolution, erwacht. Da der Traum für zusammenhängend ausgegeben wird und ganz auf die Erklärung des Weckreizes angelegt ist, von dessen Eintreffen der Schläfer nichts ahnen konnte, so scheint nur die eine Annahme übrig zu bleiben, dass der ganze reiche Traum in dem kurzen Zeitraume zwischen dem Auffallen des Brettes auf Maury’s Halswirbel und seinem durch diesen Schlag erzwungenen Erwachen componirt worden und stattgefunden haben muss: Wir würden uns nicht getrauen, der Denkarbeit im Wachen eine solche Raschheit zuzuschreiben, und gelangten so dazu, der Traumarbeit eine bemerkenswerthe Beschleunigung des Ablaufes als Vorrecht zuzugestehen.

§ 883

Gegen diese rasch populär gewordene Folgerung haben neuere Autoren (Le Lorrain 45), Egger 20) u. A) lebhaften Einspruch er hoben. Sie zweifeln theils die Exactheit des Traumberichtes von Seiten Maury’s an, theils versuchen sie darzuthun, dass die Raschheit unserer wachen Denkleistungen nicht hinter dem zurückbleibt, was man der Traumleistung ungesehmälert lassen kann. Die Discussion rollt principielle Fragen auf, deren Erledigung mir nicht nahe bevorzustehen scheint. Ich muss aber bekennen, dass die Argumentation, z. B. Egger´s, gerade gegen den Guillotinentraum Maury’s mir keinen überzeugenden Eindruck gemacht hat. Ich würde folgende Erklärung dieses Traumes vorschlagen: Wäre es denn so sehr unwahrscheinlich, dass der Traum Maury’s eine Phantasie darstellt, die in seinem Gedächtnis seit Jahren fertig aufbewahrt war und in dem Momente geweckt — ich möchte sagen: angespielt — wurde, da er den Weckreiz erkannte? Es entfällt dann zunächst die ganze Schwierigkeit, eine so lange Geschichte mit all ihren Einzelheiten in dem überaus kurzen Zeitraum, der hier dem Träumer zur Verfügung steht, zu componiren; sie ist bereits componirt. Hätte das Holz Maury’s Nacken im Wachen getroffen, so wäre etwa Raum für den Gedanken gewesen: Das ist ja gerade so, als ob man guillotinirt würde. Da er aber im Schlaf von dem Brette getroffen wird, so benützt die Traumarbeit den anlangenden Reiz rasch zur Herstellung einer Wunscherfüllung, als ob sie denken würde (dies ist durchaus figürlich zu nehmen): „Jetzt ist eine gute Gelegenheit, die Wunschphantasie wahr zu machen, die ich mir zu der und der Zeit bei der Lectüre gebildet habe. Dass der geträumte Roman gerade ein solcher ist, wie ihn der Jüngling unter mächtig erregenden Eindrücken zu bilden pflegt, scheint mir nicht bestreitbar. Wer hätte sich nicht gefesselt gefühlt — und zumal als Franzose und Culturbistoriker — durch die Schilderungen aus der Zeit des Schreckens, in der der Adel, Männer und Frauen, die Blüthe der Nation, zeigte, wie man mit heiterer Seele sterben kann, die Frische ihres Witzes und die Feinheit ihrer Lebensformen bis zur verhängnisvollen Abberufung festhielt? Wie verlockend, sich da mitten hinein zu phantasiren als einer der jungen Männer, die sich mit einem Handkuss von der Dame verabschieden, um unerschrocken das Gerüst zu besteigen! Oder wenn der Ehrgeiz das Hauptmotiv des Phantasirens gewesen ist, sich in eine jener gewaltigen Individualitäten zu versetzen, die nur durch die Macht ihrer Gedanken und ihrer flammenden Beredsamkeit die Stadt beherrschen, in der damals das Herz der Menschheit krampfhaft schlägt, die Tausende von Menschen aus Ueberzeugung in den Tod schicken und die Umwandlung Europa’s anbahnen, dabei selbst ihrer Häupter nicht sicher sind, und sie eines Tages unter das Messer der Guillotine legen, etwa in die Rolle der Girondisten oder des Heros Danton? Dass die Phantasie Maury’s eine solche ehrgeizige gewesen ist, darauf scheint der in der Erinnerung erhaltene Zug hinzuweisen „von einer unübersehbaren Menschenmenge begleitet“.

§ 884

Diese ganze seit langem fertige Phantasie braucht aber während des Schlafes auch nicht durchgemacht zu werden; es genügt, wenn sie sozusagen „angetupft“ wird. Ich meine das folgendermassen: Wenn ein paar Takte angeschlagen werden und jemand wie im Don Juan dazu sagt: Das ist aus Figaro’s Hochzeit von Mozart, so wogt es in mir mit einem Male von Erinnerungen, aus denen sich im nächsten Moment nichts Einzelnes zum Bewusstsein erheben kann. Das Schlagwort dient als Einbruchsstation, von der aus ein Ganzes gleichzeitig in Erregung versetzt wird. Nicht anders brauchte es im unbewussten Denken zu sein. Durch den Weckreiz wird die psychische Station erregt, die den Zugang zur ganzen Guillotinenphantasie eröffnet. Diese wird aber nicht noch im Schlaf durchlaufen, sondern erst in der Erinnerung des Erwachten. Erwacht, erinnert man jetzt in ihren Einzelheiten die Phantasie, an die als Ganzes im Traum gerührt wurde. Man hat dabei kein Mittel zur Versicherung, dass man wirklich etwas Geträumtes erinnert. Man kann dieselbe Erklärung, dass es sich um fertige Phantasien handelt, die durch den Weckreiz als Ganzes in Erregung gebracht werden, noch für ändere auf den Weckreiz eingestellte Träume verwenden, z. B. für den Schlachtentraum Napoleon’s vor der Explosion der Höllenmaschine. Ich will nicht behaupten, dass alle Weckträume diese Erklärung zulassen, oder dass das Problem des beschleunigten Vorstellungsablaufes im Traume auf diese Weise überhaupt wegzuräumen ist.

§ 885

Es ist unvermeidlich, dass man sich hier um das Verhältnis dieser secundären Bearbeitung des T'rauminhaltes zu den übrigen Factoren der Traumarbeit bekümmere. Geht es etwa so vor sich, dass die traumbildenden Factoren, das Verdichtungsbestreben, der Zwang der Censur auszuweichen und die Rücksicht auf Darstellbarkeit in den psychischen Mitteln des Traumes vorerst aus dem Material einen vorläufigen Trauminhalt bilden, und das dieser dann nachträglich umgeformt wird, bis er den Ansprüchen einer zweiten Instanz möglichst genügt? Dies ist kaum wahrscheinlich. Man muss eher annehmen, dass die Anforderungen dieser Instanz von allem Anfange an eine der Bedingungen abgeben, denen der Traum genügen soll, und dass diese Bedingung ebenso wie die der Verdichtung, der Widerstandscensur und der Darstellbarkeit gleichgeitig auf das grosse Material der Traumgedanken inducirend und auswählend einwirken. Unter den vier Bedingungen der Traumbildung ist aber die letzterkannte jedenfalls die, deren Anforderungen für den Traum am wenigsten zwingend erscheinen. Die Identificirung dieser psychischen Function, welche die sogenannte secundäre Bearbeitung des Trauminhaltes vornimmt, mit der Arbeit unseres wachen Denkens ergibt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit aus folgender Erwägung: Unser waches (vorbewusstes) Denken benimmt sich gegen ein beliebiges Wahrnehmungsmaterial ganz ebenso wie die in Frage stehende Function gegen den Trauminhalt. Es ist ihm natürlich, in einem solchen Material Ordnung zu schatten, Relationen herzustellen, es unter die Erwartung eines intelligibeln Zusammenhanges zu bringen. Wir gehen darin eher zu weit; die Kunststücke der Taschenspieler äffen uns, indem sie sich auf diese unsere intellectuelle Gewohnheit stützen. In dem Bestreben, die gebotenen Sinneseindrücke verständlich zusammen zu setzen, begehen wir oft die seltsamsten Irrthümer oder fälschen selbst die Wahrheit des uns vorliegenden Materiales. Die hieher gehörigen Beweise sind zu sehr allgemein bekannt, um breiter Anführung zu bedürfen. Wir lesen über sinnstörende Druckfehler hinweg, indem wir das Richtige illusioniren. Ein Redacteur eines vielgelesenen französischen Journals soll die Wette gewagt haben, er werde in jeden Satz eines langen Artikels durch den Druck einschalten lassen, „von vorne“ oder „von hinten“, ohne dass einer der Leser es bemerken würde. Er gewann die Wette. Ein komisches Beispiel von falschem Zusammenhange ist mir vor Jahren bei der Zeitungslectüre aufgefallen. Nach jener Sitzung der französischen Kammer, in welcher Dupuy durch das beherzte Wort: La séance continue den Schreck über das Platzen der von einem Anarchisten in den Saal geworfenen Bombe aufhob, wurden die Besucher der Galerie als Zeugen über ihre Eindrücke von dem Attentat vernommen. Unter ihnen befanden sich zwei Leute aus der Provinz, deren einer erzählte, unmittelbar nach Schluss einer Rede habe er wohl eine Detonation vernommen, aber gemeint, es sei im Parlament Sitte, jedesmal wenn ein Redner geendigt, einen Schuss abzufeuern. Der Andere, der wahrscheinlich schon mehrere Redner angehört hatte, war in dasselbe Urtheil verfallen, jedoch mit der Abänderung, dass solches Schiessen eine Anerkennung sei, die nur nach besonders gelungenen Reden erfolge.

§ 886

Es ist also wohl keine andere psychische Instanz als unser normales Denken, welche an den Trauminhalt mit dem Anspruch herantritt, er müsse verständlich sein, ihn einer ersten Deutung unterzieht und dadurch das volle Missverständnis desselben herbeiführt. Für unsere Deutung bleibt es Vorschrift, den scheinbaren Zusammenhang im Traum, als seiner Herkunft nach verdächtig, in allen Fällen unbeachtet zu lassen und vom Klaren wie vom Verworrenen den gleichen Weg des Rückganges zum Traummaterial einzuschlagen.

§ 887

Wir merken aber dabei, wovon die oben, Seite 226, erwähnte Qualitätenscala der Träume von der Verworrenheit bis zur Klarheit wesentlich abhängt. Klar erscheinen uns jene Traumpartien, an denen die secundäre Bearbeitung etwas ausrichten konnte, verworren jene anderen, wo die Kraft dieser Leistung versagt hat. Da die verworrenen Traumpartien so häufig auch die minder lebhaft ausgeprägten sind, so dürfen wir den Schluss ziehen, dass die secundäre Traumarbeit auch für einen Beitrag zur plastischen Intensität der einzelnen Traumgebilde verantwortlich zu machen ist.

§ 888

Soll ich für die definitive Gestaltung des Traumes, wie sie sich unter der Mitwirkung des normalen Denkens ergibt, irgendwo ein Vergleichsobject suchen, so bietet sich mir kein anderes als jene rätselhaften Inschriften, mit denen die „Fliegenden Blätter“ so lange ihre Leser unterhalten haben. Für einen gewissen Satz, des Contrastes halber dem Dialect angehörig und von möglichst scurriler Bedeutung, soll die Erwartung erweckt werden, dass er eine lateinische Inschrift enthalte. Zu diesem Zwecke werden die Buchstabenelemente der Worte aus ihrer Zusammenfügung zu Silben gerissen und neu anordnet. Hie und da kommt ein echt lateinisches Wort zu Stande, an anderen Stellen glauben wir Abkürzungen solcher Worte vor uns zu haben, und an noch anderen Stellen der Inschrift lassen wir uns mit dem Anscheine von verwitterten Partien oder von Lücken der Inschrift über die Sinnlosigkeit der vereinzelt stehenden Buchstaben hinwegtäuschen. Wenn wir dem Scherze nicht aufsitzen wollen, müssen wir uns über alle Requisite einer Inschrift hinwegsetzen, die Buchstaben in’s Auge fassen und sie unbekümmert um die gebotene Anordnung zu Worten unserer Muttersprache zusammensetzen.

§ 889

Ich gehe nun daran, diese ausgedehnten Erörterungen über die Traumarbeit zu resumiren. Wir fanden die Fragestellung vor, ob die Seele alle ihre Fähigkeiten in ungehemmter Entfaltung an die Traumbildung verwende, oder nur einen in seiner Leistung gehemmten Bruchtheil derselben. Unsere Untersuchungen leiten uns dazu, solche Fragestellung überhaupt als den Verhältnissen inadäquat zu verwerfen: Sollen wir aber bei der Antwort auf demselben Boden bleiben, auf den uns die Frage drängt, so müssen wir beide, einander scheinbar durch Gegensatz ausschliessenden, Auffassungen bejagen. Die seelische Arbeit bei der Traumbildung zerlegt sich in zwei Leistungen: die Herstellung der Traumgedanken und die Umwandlung derselben zum Trauminhalt. Die Traumgedanken sind correct und mit allem psychischen Aufwand, dessen wir fähig sind, gebildet; sie gehören unserem nicht bewusst gewordenen Denken an, aus dem durch eine gewisse Umsetzung auch die bewussten Gedanken hervorgehen. So viel an ihnen auch wissenswerth und räthselhaft sein möge, diese Räthsel haben doch keine besondere Beziehung zum Traume und verdienen nicht, unter den Traumproblemen behandelt zu werden. Hingegen ist jenes andere Stück Arbeit, welches die unbewussten Gedanken in den Trauminhalt verwandelt, dem Traumleben eigenthümlich und für dasselbe charakteristisch. Diese eigentliche Traumarbeit entfernt sich nun von dem Vorbild des wachen Denkens viel weiter, als selbst die entschiedensten Verkleinerer der psychischen Leistung bei der Traumbildung gemeint haben. Sie ist nicht etwa nachlässiger, incorrecter, vergesslicher, unvollständiger als das wache Denken; sie ist etwas davon qualitativ völlig Verschiedenes und darum zunächst nicht mit ihm vergleichbar. Sie denkt, rechnet, urtheilt überhaupt nicht, sondern sie beschränkt sich darauf, umzuformen. Sie lässt sich erschöpfend beschreiben, wenn man die Bedingungen in’s Auge fasst, denen ihr Erzeugnis zu genügen hat. Dieses Product, der Traum, soll vor Allem der Censur entzogen werden und zu diesem Zwecke bedient sich die Traumarbeit der Verschiebung der psychischen Intensitäten bis zur Umwerthung aller psychischen Werthe; es sollen Gedanken ausschliesslich oder vorwiegend in dem Material visueller und akustischer Erinnerungsspuren wiedergegeben werden, und aus dieser Anforderung. erwächst für die Traumarbeit die Rücksicht auf Darstellbarkeit, der sie durch neue Verschiebungen entspricht. Es sollen (wahrscheinlich) grössere Intensitäten hergestellt werden, als in den Traumgedanken nächtlich zur Verfügung stehen, und diesem Zwecke dient die ausgiebige Verdichtung, die mit den Bestandtheilen der Traumgedanken vorgenommen werden. Auf die logischen Relationen des Gedankenmateriales entfällt wenig Rücksicht; sie finden schliesslich in formalen Eigenthümlichkeiten der Träume eine versteckte Darstellung. Die Affecte der Traumgedanken unterliegen geringeren Veränderungen als deren Vorstellungsinhalt. Sie werden in der Regel unterdrückt; wo sie erhalten bleiben, von den Vorstellungen abgelöst und nach ihrer Gleichartigkeit zusammengesetzt. Nur ein Stück der Traumarbeit, die in ihrem Ausmass inconstante Ueberarbeitung durch das zum Theil geweckte Wachdenken, fügt sich etwa der Auffassung, welche die Autoren für die gesammte Thätigkeit der Traumbildung geltend machen wollten.

§ 890

VII. Zur Psychologie der Traumvorgänge.

§ 891

Unter den Träumen, die ich durch Mittheilung von Seiten derer erfahren habe, befindet sich einer, der jetzt einen ganz sonderen Anspruch auf unsere Beachtung erhebt. Er ist mir von Patientin erzählt worden, die ihn selbst in einer Vorlesung über Traum kennen gelernt hat; seine eigentliche Quelle ist mir unbekannt geblieben. Jener Dame aber hat er durch seinen Inhalt Eindruck gemacht, denn sie hat es nicht versäumt, ihn „nachzuträumen“, d. h. Elemente des Traumes in einem eigenen Traum zu erholen, um dureh diese Uebertragung eine Uebereinstimmung in einem bestimmten Punkte auszudrücken.

§ 892

Die Vorbedingungen dieses vorbildlichen Traumes sind folgende: Vater hat Tage und Nächte lang am Krankenbette seines Kindes gewacht. Nachdem das Kind gestorben, begibt er sich in einem Nebenzimmer zur Ruhe, lässt aber die Thüre geöffnet, um aus seinem Schlafraum in jenen zu blicken, worin die Leiche des Kindes aufgebahrt liegt, von grossen Kerzen umstellt. Ein alter Mann ist zur Wache bestellt worden und sitzt neben der Leiche, Gebete murmelnd. Nach einigen Stunden Schlafes träumt der Vater, dass das Kind an seinem Bette steht, ihn am Arme fasst und ihm vorwurfsvoll zuraunt: Vater, siehst Du denn nicht, dass ich verbrenne? Er erwacht, merkt einen hellen Lichtschein, der aus dem Leichenzimmer kommt, eilt hin, findet den greisen Wächter eingeschlummert, die Hüllen und einen Arm der theuren Leiche verbrannt durch eine Kerze, die brennend auf sie gefallen war.

§ 893

Die Erklärung dieses rührenden Traumes ist einfach genug und wurde auch von dem Vortragenden, wie meine Patientin erzählt, richtig gegeben. Der helle Lichtschein drang durch die offen stehende Thüre in’s Auge des Schlafenden und regte denselben Schluss bei ihm an, den er als Wachender gezogen hätte, es sei durch Umfallen der Kerze ein Brand in der Nähe der Leiche entstanden. Vielleicht hatte selbst der Vater die Besorgnis mit in den Schlaf hinüber genommen, dass der greise Wächter seiner Aufgabe nicht gewachsen sein dürfte.

§ 894

Auch wir fänden an dieser Deutung nichts zu verändern, es sei denn, dass wir die Forderung hinzufügten, der Inhalt des Traumes müsse überdeterminirt, und die Rede des Kindes aus Reden zusammengesetzt sein, die es im Leben wirklich geführt, und die an dem Vater wichtige Ereignisse anknüpfen. Etwa die Klage: Ich verbrenne, an das Fieber, in dem das Kind gestorben, und die Worte: Vater, siehst Du denn nicht? an eine andere uns unbekannte, aber affectreiche Gelegenheit.

§ 895

Nachdem wir aber den Traum als einen sinnvollen, in den Zusammenhang des psychischen Geschehens einfügbaren Vorgang erkannt haben, werden wir uns verwundern dürfen, dass unter solchen Verhältnissen überhaupt ein Traum zu Stande kam, wo das rascheste Erwachen geboten war. Wir werden dann aufmerksam, dass auch dieser Traum einer Wunscherfüllung nicht entbehrt. Im Traum benimmt sich das todte Kind wie ein lebendes, es mahnt selbst den Vater, kommt an sein Bett und zieht ihn am Arm, wie es wahrscheinlich in jener Erinnerung that, aus welcher der Traum das erste Stück der Rede des Kindes geholt hat. Dieser Wunscherfüllung zu Liebe hat der Vater nun seinen Schlaf um einen Moment verlängert. Der Traum erhielt das Vorrecht vor der Ueberlegung im Wachen, weil er das Kind noch einmal lebend zeigen konnte. Wäre der Vater zuerst erwacht und hätte dann den Schluss gezogen, der ihn in’s Leichenzimmer führte, so hätte er gleichsam das Leben des Kindes um diesen einen Moment verkürzt.

§ 896

Es kann kein Zweifel darüber sein, durch welche Eigenthümlichkeit dieser kleine Traum unser Interesse fesselt. Wir haben uns bisher vorwiegend darum gekümmert, worin der geheime Sinn der Träume besteht, auf welchem Weg derselbe gefunden wird, und welcher Mittel sich die Traumarbeit bedient hat, ihn zu verbergen. Die Aufgaben der Traumdeutung standen bis jetzt im Mittelpunkte unseres Blickfeldes. Und nun stossen wir auf diesen Traum, welcher der Deutung keine Aufgabe stellt, dessen Sinn unverhüllt gegeben ist, und werden aufmerksam, dass dieser Traum noch immer die wesentlichen Charaktere bewahrt, durch die ein Traum auffällig von unserem wachen Denken abweicht und unser Bedürfnis nach Erklärung rege macht. Nach der Beseitigung alles dessen, was die Deutungsarbeit angeht, können wir erst merken, wie unvollständig unsere Psychologie des Traumes geblieben ist.

§ 897

Ehe wir aber mit unseren Gedanken diesen neuen Weg einschlagen, wollen wir Halt machen und zurückschauen, ob wir auf unserer Wanderung bis hieher nichts Wichtiges unbeachtet gelassen haben. Denn wir müssen uns klar darüber werden, dass die bequeme und behagliche Strecke unseres Weges hinter uns liegt. Bisher haben alle Wege, die wir gegangen sind, wenn ich nicht sehr irre, in’s Lichte, zur Aufklärung und zum vollen Verständnis geführt; von dem Moment an, da wir in die seelischen Vorgänge beim Träumen tiefer eindringen wollen, werden alle Pfade in’s Dunkel münden. Wir können es unmöglich dahin bringen, den Traum als psychischen Vorgang aufzuklären, denn erklären heisst auf Bekanntes zurückführen, und es gibt derzeit keine psychologische Kenntnis, der wir unterordnen könnten, was sich aus der psychologischen Prüfung der Träume als Erklärungsgrund erschliessen lässt. Wir werden im Gegentheile genöthigt sein, eine Reihe von neuen Annahmen aufzustellen, die den Bau des seelischen Apparates und das Spiel der in thätigen Kräfte mit Vermuthungen streifen, und die wir bedacht sein müssen, nicht zu weit über die erste logische Angliederung auszuspinnen, weil sonst ihr Werth sich in’s Unbestimmbare verläuft. SeIbst wenn wir keinen Fehler im Schliessen begehen und alle logisch sich ergebenden Möglichkeiten in Rechnung ziehen, droht uns die wahrscheinliche Unvollständigkeit im Ansatz der Elemente mit dem völligen Fehlschlagen der Rechnung. Einen Aufschluss über die Construction und Arbeitsweise des Seeleninstrumentes wird man durch die sorgfältigste Untersuchung des Traumes oder einer anderen vereinzelten Leistung nicht gewinnen oder wenigstens nicht begründen können, sondern wird zu diesem Zwecke zusammentragen müssen, was sich bei dem vergleichenden Studium einer ganzen Reihe von psychischen Leistungen als eonstant erforderlich herausstellt. So werden die psychologischen Annahmen, die wir aus der Analyse der Traumvorgänge schöpfen, gleichsam an einer Haltestelle warten müssen, bis sie den Anschluss an die Ergebnisse anderer Untersuchungen gefunden haben, die von einem anderen Angriffspunkte zum Kern des nämlichen Problems vordringen wollen.

§ 898

a) Das Vergessen der Träume.

§ 899

Ich meine also, wir wenden uns vorber zu einem Thema, aus dem sich ein bisher unbeachteter Einwand ableitet, der doch geeignet ist, unseren Bemühungen um die Traumdeutung den Boden zu entziehen. Es ist uns von mehr als einer Seite vorgehalten worden, dass wir den Traum, den wir deuten wollen, eigentlich gar nicht kennen, richtiger, dass wir keine Gewähr dafür haben, ihn so zu kennen, wie er wirklich vorgefallen ist (vgl. Seite 31). Was wir vom Traum erinnern, ünd woran wir unsere Deutungskünste üben, das ist erstens verstümmelt durch die Untreue unseres Gedächtnisses, welches in ganz besonders hohem Grade zur Bewahrung des Traumes unfähig scheint, und hat vielleicht gerade die bedeutsamsten Stücke seines Inhaltes eingebüsst. Wir finden uns ja so oft, wenn wir unseren Träumen Aufmerksamkeit schenken wollen, zur Klage veranlasst, dass wir viel mehr geträumt haben und leider davon nichts mehr wissen als dies eine Bruchstück, dessen Erinnerung selbst uns eigen thümlich unsicher vorkommt. Zweitens aber spricht alles dafür, dass unsere Erinnerung den Traum nicht nur lückenbaft, sondern auch ungetreu und verfälscht wiedergibt. So wie man einerseits daran zweifeln kann, ob das Geträumte wirklich so unzusammenhängend und verschwommen war, wie wir’s im Gedächtnis haben, so lässt sich andererseits in Zweifel ziehen, ob ein Traum so zusammenhängend gewesen ist, wie wir ihn erzählen, ob wir bei dem Versuch der Reproduction nicht vorhandene oder durch Vergessen geschaffene Lücken mit willkürlich gewähltem neuen Materiale ausfüllen, den Traum ausschmücken, abrunden, zurichten, so dass jedes Urtheil unmöglich wird, was der wirkliche Inhalt unseres Traumes war. Ja bei einem Autor (Spitta 64) haben wir die Muthmassung gefunden, dass alles, was Ordnung und Zusammenhang ist, überhaupt erst bei dem Versuch, sich den Traum zurückzurufen, in ihn hineingetragen wird. So sind wir in Gefahr, dass man uns den Gegenstand selbst aus der Hand winde, dessen Werth zu bestimmen wir unternommen haben.

§ 900

Wir haben bei unseren Traumdeutungen bisher diese Warnungen überhört. Ja wir haben im Gegentheile in den kleinsten, unscheinbarsten und unsichersten Inhaltsbestandtheilen des Traumes die Aufforderung zur Deutung nicht minder vernehmlich gefunden, als in dessen deutlich und sieher erhaltenen. Im Traum von Irma’s Injection hiess es: Ich rufe schnell den Doctor M. herbei, und wir nahmen an, auch dieser kleine Zusatz wäre nicht in den Traum gelangt, wenn er nicht eine besondere Ableitung zuliesse. So kamen wir zur Geschichte jener unglücklichen Patientin, an deren Bett ich „schnell“ den älteren Collegen berief. In dem scheinbar absurden Traum, der den Unterschied von 51 und 56 als quantité négligeable behandelt, war die Zahl 51 mehrmal erwähnt. Anstatt dies selbstverständlich oder gleichgiltig zu finden, haben wir daraus auf einen zweiten Gedankengang in dem latenten Trauminhalt geschlossen, der zur Zahl 51 hinführt, und die Spur, die wir weiter verfolgten, führte uns zu Befürchtungen, welche 51 Jahre als Lebensgrenze hinstellen, im schärfsten Gegensatz zu einem dominirenden Gedankenzug, der prahlerisch mit den Lebensjahren um sich wirft. In dem TraumeNon vixit“ fand sich als unscheinbares Einschiebsel, das ich anfangs übersah, die Stelle: „Da P. ihn nicht versteht, fragt mich Fl. etc.“ Als dann die Deutung stockte, griff ich auf diese Worte zurück, und fand von ihnen aus den Weg zu der Kinderphantasie, die in den Traumgedanken als intermediärer Knotenpunkt auftritt. Es geschah dies mittelst der Zeilen des Dichters:

§ 901

Selten habt Ihr mich verstanden, Selten auch verstand ich Euch, Nur wenn wir im Koth uns fanden, So verstanden wir uns gleich!

§ 902

Jede Analyse könnte mit Beispielen belegen, wie gerade die geringfügigsten Züge des Traumes zur Deutung unentbehrlich sind, und wie die Erledigung der Aufgabe verzögert wird, indem sich die Aufmerksamkeit solchen erst spät zuwendet. Die gleiche Würdigung haben wir bei der Traumdeutung jeder Nuance des sprachlichen Ausdruckes geschenkt, in welchem der Traum uns vorlag; ja, wenn uns ein unsinniger oder unzureichender Wortlaut vorgelegt wurde, als ob es der Anstrengung nicht gelungen wäre, den Traum in die richtige Fassung zu übersetzen, haben wir auch diese Mängel des Ausdruckes respectirt. Kurz, was nach der Meinung der Autoren eine willkürliche, in der Verlegenheit eilig zusammengebraute Improvisation sein soll, das haben wir behandelt wie einen heiligen Text. Dieser Widerspruch bedarf der Aufklärung.

§ 903

Sie lautet zu unseren Gunsten, ohne darum den Autoren Unrecht zu geben. Vom Standpunkte unserer neu gewonnenen Einsichten über die Entstehung des Traumes vereinigen sich die Widersprüche ohne Rest. Es ist richtig, dass wir den Traum beim Versuch der Reproduction entstellen; wir finden darin wieder, was wir als secundäre und oft missverständliche Bearbeitung des Traumes durch die Instanz des normalen Denkens bezeichnet haben. Aber jede Entstellung ist selbst nichts anderes als ein Stück der Beartung, welcher die Traumgedanken gesetzmässig in Folge der Traumcensur unterliegen. Die Antoren haben hier das manifest arbeitende Stück der Traumentstellung geahnt oder bemerkt; uns verschlägt es wenig, da wir wissen, dass eine weit ausgiebigere Entungsarbeit, minder leicht fassbar, den Traum bereits von den verborgenen Traumgedanken her zum Object erkoren hat. Die Autoren irren nur darin, dass sie die Modification des Traumes bei seinem Erinnern und In-Worte-Fassen für willkürlich, also für nicht weiter auflösbar und demnach für geeignet halten, uns an der Erkenntnis des Traumes irre zu leiten. Sie unterschätzen die Determinirung im Psychischen. Es gibt da nichts Willkürliches. Es lässt sich ganz allgemein zeigen, dass ein zweiter Gedankenzug sofort die Bestimmmung des Elementes übernimmt, welches vom ersten unbestimmt gelassen wurde. Ich will mir z. B. ganz willkürlich eine Zahl einfallen lassen; es ist nicht möglich; die Zahl, die mir einfällt, ist durch Gedanken in mir, die meinem momentanen Vorsatz ferne stehen mögen, eindeutig und nothwendig bestimmt. Ebenso wenig willkürlich sind die Veränderungen, die der Traum bei der Redaction des Wachens erführt. Sie bleiben in associativer Verknüpfung mit dem Inhalt, an dessen Stelle sie sich setzen, und dienen dazu, uns den Weg zu diesem Inhalt zu zeigen, der selbst wieder der Ersatz eines anderen sein mag.

§ 904

Ich pflege bei den Traumanalysen mit Patienten folgende Probe auf diese Behauptung nie ohne Erfolg anzustellen. Wenn mir der Bericht eines Traumes zuerst schwer verständlich erscheint, so bitte ich den Erzähler, ihn zu wiederholen. Das geschieht dann selten mit den nämlichen Worten. Die Stellen aber, an denen er den Ausdruck verändert hat, die sind mir als die schwachen Stellen der Traumverkleidung kenntlich gemacht worden, die dienen mir wie Hagen das gestickte Zeichen an Sigfried’s Gewand. Dort kann die Traumdeutung ansetzen. Der Erzähler ist durch meine Aufforderung gewarnt worden, dass ich besondere Mühe zur Lösung des Traumes anzuwenden gedenke; er schützt also rasch, unter dem Drange des Widerstandes, die schwachen Stellen der Traumverkleidung, indem er einen verrätherischen Ausdruck durch einen ferner abliegenden ersetzt. Er macht mich so auf den von ihm fallen gelassenen Ausdruck aufmerksam. Aus der Mühe, mit der die Traumlösung vertheidigt wird, darf ich auch auf die Sorgfalt schliessen, die dem Traum sein Gewand gewebt hat.

§ 905

Minder Recht haben die Autoren, wenn sie dem Zweifel, mit dem unser Urtheil der Traumerzählung begegnet, so sehr viel Raum machen. Dieser Zweifel entbehrt nämlich einer intellectuellen Gewähr; unser Gedächtnis kennt überhaupt keine Garantien, und doch unterliegen wir viel öfter, als objectiv gerechtfertigt ist, dem Zwange, seinen Angaben Glauben zu schenken. Der Zweifel an der richtigen Wiedergabe des Traumes oder einzelner Traumdaten ist wieder nur ein Abkömmling der Traumcensur, des Widerstandes gegen das Durchdringen der Traumgedanken zum Bewusstsein. Dieser Widerstand hat sich mit den von ihm durchgesetzten Verschiebungen und Ersetzungen nicht immer erschöpft, er heftet sich dann noch an das Durchgelassene als Zweifel. Wir verkennen diesen Zweifel um so leichter, als er die Vorsicht gebraucht, niemals insentive Elemente des Traumes anzugreifen, sondern blos schwache und undeutliche. Wir wissen aber jetzt bereits, dass zwischen Traumgedanken und Traum eine völlige Umwerthung aller psychischen Werthe stattgefunden hat; die Entstellung war nur möglich durch Werthentziehung, sie äussert sich regelmässig darin und begnügt sich gelegentlich damit. Wenn zu einem undeutlichen Element des Trauminhaltes noch der Zweifel hinzutrit, so können wir dem Fingerzeige folgend in diesem einen directeren Abkömmling eines der vervehmten Traumgedanken erkennen. Es ist damit, wie nach einer grossen Umwälzung in einer der Republiken des Alterthums oder der Renaissance. Die früher herrschenden edlen und mächtigen Familien sind nun verbannt, alle hohen Stellungen mit Emporkömmlingen besetzt; in der Stadt geduldet sind nur noch ganz verarmte und machtlose Mitglieder oder entfernte Anhänger der Gestürzten. Aber auch diese geniessen nicht die vollen Bürgerrechte, sie werden misstrauisch überwacht. An der Stelle des Misstrauens im Beispiel steht in unserem Falle der Zweifel. Ich verlange darum bei der Analyse eines Traumes, dass man sich von der ganzen Scala der Sicherheitsschätzung frei mache, die leiseste Möglichkeit,

§ 906

dass etwas der oder jener Art im Traum vorgekommen sei, behandle die volle Gewissheit. So lange jemand bei der Verfolgung eines Traumelementes sich nicht zum Verzicht auf diese Rücksicht entschlossen, so lange stockt hier die Analyse. Die Geringschätzung für das betreffende Element hat bei dem Analysirten die psychische Wirkung, dass ihm von den ungewollten Vorstellungen hinter demselben nichts einfallen will. Solche Wirkung ist eigentlich nicht selbstverständlich; es wäre nicht widersinnig, wenn jemand sagte: Ob dies oder jenes im Traume enthalten war, weiss ich nicht sicher; fallt mir aber dazu folgendes ein. Niemals sagt er so, und gerade diese die Analyse störende Wirkung des Zweifels lässt ihn als einen Abkömmling und als ein Werkzeug des psychischen Widerstandes entlarven. Die Psychoanalyse ist mit Recht misstrauisch. Eine ihrer Regeln lautet: Was immer die Fortsetzung der Arbeit stört, ist ein Widerstand.

§ 907

Auch das Vorgessen der Träume bleibt so lange unergründlich, als man nicht die Macht der psychischen Censur zu seiner Erklärung mit, heranzieht. Die Empfindung, dass man in einer Nacht sehr viel geträumt und davon nur wenig behalten hat, mag in einer Reihe von Fällen einen anderen Sinn haben, etwa den, dass die Traumarbeit die Nacht hindurch spürbar vor sich gegangen ist und nur den einen kurzen Traum hinterlassen hat. Sonst ist an der Thatsache, dass man den Traum nach dem Erwachen immer mehr vergisst, ein Zweifel nicht möglich. Man vergisst ihn oft trotz peinlicher Bemühungen ihn zu merken. Ich meine aber, so wie man in der Regel den Umfang dieses Vergessens überschätzt, so überschätzt man auch die mit der Lückenhaftigkeit des Traumes verbundene Einbusse an seiner Kenntnis. Alles, was das Vergessen am Trauminhalt gekostet hat, kann man oft durch die Analyse wieder hereinbringen; wenigstens in einer ganzen Anzahl von Fällen kann man von einem einzelnen stehen gebliebenen Brocken aus, zwar nicht den Traum — aber an dem liegt ja auch nichts — doch die Traumgedanken alle auffinden. Es verlangt einen grösseren Aufwand an Aufmerksamkeit und Selbstüberwindung bei der Analyse; das ist alles, zeigt aber doch an, dass das Vergessen des Traumes seine feindselige Absicht nicht verfehlt hat.

§ 908

Einen überzeugenden Beweis für die tendenziöse, dem Widerstand dienende Natur des Traumvergessens*)*) gewinnt man bei den Analysen aus der Würdigung einer Vorstufe des Vergessens. Es kommt gar nicht selten vor, dass mitten in der Deutungsarbeit plötzlich ein ausgelassenes Stück des Traumes auftaucht, das als bisher vergessen bezeichnet wird. Dieser der Vergessenheit entrissene Traumtheil ist nun jedesmal der wichtigste; er liegt auf dem kürzesten Wege zur Traumlösung und war darum dem Widerstande am meisten ausgesetzt. Unter den Traumbeispielen, die ich in den Zusammenhang dieser Abhandlung eingestreut habe, trifft es sich einmal, dass ich so ein Stück Trauminbalt nachträglich einzuschalten habe. Es ist dies ein Reisetraum, der Rache nimmt an einer unliebenswürdigen Reisegefährtin, den ich wegen seines zum Theil grob unfläthigen Inhalts fast ungedeutet gelassen habe. Das ausgelassene Stück lautet: Ich sage aufein Buch von Schiller: It is from ... corrigire mich aber, den Irrthum selbst bemerkend: It is by... Der Mann bemerkt hierauf zu seiner Schwester: „Er hat es ja richtig gesagt.“

*) Vergl. über die Absicht beim Vergessen überhaupt meine kleine Abhandlung über den „psychischen Mechanismus der Vergesslichkeit“ in der Monatsschrift für Psychiatrie und Neurologie, 1898. § 909

Die Selbstcorrectur im Traum, die manchen Autoren so wunderbar erschienen ist, verdient wohl nieht uns zu beschäftigen. Ich werde lieber für den Sprachirrthum im Traum das Vorbild aus meiner Erinnerung aufzeigen. Ich war 17jährig zum ersten Mal in England und einen Tag lang am Strande der Irish Sea. Ich schwelgte natürlich im Fang der von der Fluth zurückgelassenen Seethiere und beschäftigte mich gerade mit einem Seestern (der Traum beginnt mit: HollthurnHolothurien), alsein reizendes kleines Mädchen zu mir trat und mich fragte: Is it a starfish? Is it alive? Ich antwortete: Yes he is alive, schämte mich aber dann der Incorrectheit und wiederholte den Satz richtig. An Stelle des Sprachfehlers, den ich damals begangen habe, setzt nun der Traum einen anderen, in den der Deutsche ebenso leicht verfällt, „Das Buch ist von Schiller“, soll man nicht mit from, ... sondern mit by... übersetzen. Dass die Traumarbeit diesen Ersatz vollzieht, weil from durch den Gleichklang mit dem deutschen Eigenschaftswort fromm eine grossartige Verdichtung ermöglicht, das nimmt uns nach allem, was wir von den Absichten der Traumarbeit und von ihrer Rücksichtslosigkeit in der Wahl der Mittel gehört haben, nicht mehr Wunder. Was will aber die harmlose Erinnerung vom Meeresstrand im Zusammenhang des Traumes besagen? Sie erläutert an einem möglichst unschuldigen Beispiel, dass ich das Geschlechtswort am unrechten Platz gebrauche, also das Geschlechtliche (he) dort anbringe, wo es nicht hingehört. Dies ist allerdings einer der Schlüssel zur Lösung des Traumes. Wer dann noch die Ableitung des Buchtitels „ Matter and Motion“ angehört hat ( Molière im Malade Imaginaire: La matière est-elle Jaudable? — a motion of the bowels), der wird sich das Fehlende leicht ergänzen können.

§ 910

Ich kann übrigens den Beweis, dass das Vergessen des Traumes zum grossen Theil Widerstandsleistung ist, durch eine Demonstration ad oculos erledigen. Ein Patient erzählt, er habe geträumt; aber den Traum spurlos vergessen; dann gilt er eben als nicht vorgefallen. Wir setzen die Arbeit fort, ich stosse auf einen Widerstand, mache dem Kranken etwas klar, helfe ihm durch Zureden und Drängen, sich mit irgend einem unangenehmen Gedanken zu versöhnen, und kaum ist das gelungen, so ruft er aus: Jetzt weiss ich auch wieder, was ich geträumt habe. Derselbe Widerstand, der ihn an diesem Tage in der Arbeit gestört hat, hat ihn auch den Traum vergessen lassen. Durch die Ueberwindung dieses Widerstandes habe ich den raum zur Erinnerung gefördert.

§ 911

Ebenso kann sich der Patient, bei einer gewissen Stelle der Arbeit angelangt, an einen Traum erinnern, der vor drei, vier oder mehr Tagen vorgefallen ist, und bis dahin in der Vergessenheit geruht hat. Dass die Träume eben so wenig vergessen werden wie andere seelische Acte, und dass sie auch in Bezug auf ihr Haften im Gedächtnis den anderen seelischen Leistungen ungeschmälert gleichzustellen sind, zeigt mir eine Erfahrung, die ich bei der Abfassung dieses Manuscriptes machen konnte, Ich hatte in meinen Notizen reichlich eigene Träume aufbewahrt, die ich damals aus irgend einem Grunde nur sehr unvollständig oder auch überhaupt nicht der Deutung unterziehen konnte. Bei einigen derselben habe ich nun ein bis zwei Jahre später den Versuch, sie zu deuten, unternommen, in der Absicht mir Material zur Illustration meiner Behauptungen zu sehaffen. Dieser Versuch gelang mir ausnahmslos; ja ich möchte behaupten, die Deutung ging so lange Zeit später leichter vor sich als damals, so lange die Träume frische Erlebnisse waren, wofür ich als mögliche Erklärung angeben möchte, dass ich seither über manche Widerstände in meinem Inneren weggekommen bin, die mich damals störten. Ich habe bei solchen nachträglichen Deutungen die damaligen Ergebnisse an Traumgedanken mit den heutigen, meist viel reichhaltigeren, verglichen und das damalige unter dem heutigen unverändert wiedergefunden. Ich trat meinem Erstaunen hierüber rechtzeitig in den Weg, indem ich mich besann, dass ich ja bei meinen Patienten längst in Uebung habe, Träume aus früheren Jahren, die sie mir gelegentlich erzählen, deuten zu lassen, als ob es Träume aus der letzten Nacht wären, nach demselben Verfahren und mit demselben Erfolg. Bei der Besprechung der Angstträume werde ich zwei Beispiele von solch’ verspäteter Traumdeutung mittheilen. Als ich diesen Versuch zum ersten Male anstellte, leitete mich die berechtigte Erwartung, dass der Traum sich auch hierin nur verhalten werde wie ein neurotisches Symptom. Wenn ich nämlich einen Psychoneurotiker, eine Hysterie etwa, mittelst Psychoanalyse behandle, so muss ich für die ersten, längst überwundenen Symptome seines Leidens ebenso Aufklärung schaffen wie für die noch heute bestehenden, die ihn zu mir geführt haben, und finde erstere Aufgabe nur leichter zu lösen als die heute dringende. Schon in den 1895 publicirten „Studien über Hysterie“ konnte ich die Aufklärung eines ersten hysterischen Anfalles mittheilen, den die mehr als 40jährige Frau in ihrem 15. Lebensjahre gehabt hatte.

§ 912

In loserer Anreihung will ich hier noch einiges vorbringen, was ich über die Deutung der Träume zu bemerken habe, und was vielleicht den Leser orientiren wird, der mich durch Nacharbeit an seinen eigenen Träumen controliren will.

§ 913

Es wird Niemand erwarten dürfen, dass ihm die Deutung seiner Träume mühelos in den Schoss falle. Schon zur Wahrnehmung endoptischer Phänomene und anderer für gewöhnlich der Aufmerksamkeit entzogener Sensationen bedarf es der Uebung, obwohl kein psychisches Motiv sich gegen diese Gruppe von Wahrnehmungen sträubt. Es ist erheblich schwieriger, der „ungewollten Vorstellungen“ habhaft zu werden. Wer dies verlangt, wird sich mit den Erwartungen erfüllen müssen, die in dieser Abhandlung rege gemacht werden, und wird in Befolgung der hier gegebenen Regeln jede Kritik, jede Voreingenommenheit, jede affective oder intellectuelle Parteinahme während der Arbeit bei sich niederzuhalten bestrebt sein. Er wird der Vorschrift eingedenk bleiben, die Claude Bernard für den Experimentator im physiologischen Laboratorium aufgestellt hat: Travailler comme une bête, d. h. so ausdauernd, aber auch so unbekümmert um das Ergebnis. Wer diese Rathschläge befolgt, der wird die Aufgabe allerdings nicht mehr schwierig finden. Die Deutung eines Traumes vollzieht sich auch nicht immer in Einem Zuge; nicht selten fühlt man seine Leistungsfähigkeit erschöpft, wenn man einer Verkettung von Einfüllen gefolgt ist, der Traum sagt einem niehts mehr an diesem Tage; man thut dann gut, abzubrechen und an einem nächsten zur Arbeit zurückzukehren. Dann lenkt ein anderes Stück des Trauminhaltes die Aufmerksamkeit auf sich, und man findet den Zugang zu einer neuen Schicht von Traumgedanken. Man kann das die „fractionirte“ Traumdeutung heissen.

§ 914

Am schwierigsten ist der Anfänger in der Traumdeutung zur Anerkennung der Thatsache zu bewegen, dass seine Aufgabe nicht voll erledigt ist, wenn er eine vollständige Deutung des Traumes in Händen hat, die sinnreich, zusammenhängend ist und über alle Elemente des Trauminhaltes Auskunft gibt. Es kann ausserdem eine andere, eine Ueberdeutung desselben Traumes möglich sein, die ihm entgangen ist. Es ist wirklich nicht leicht, sich von dem Reichthum an unbewussten, nach Ausdruck ringenden, Gedankengängen in unserem Denken eine Vorstellung zu machen und an die Geschicklichkeit der Traumarbeit zu glauben, durch mehrdeutige Ausdrucksweise jedesmal gleichsam sieben Fliegen mit einem Schlage zu treffen, wie der Schneidergeselle im Märchen. Der Leser wird immer geneigt sein, dem Autor vorzuwerfen, dass er seinen Witz überflüssig vergeude; wer sich selbst Erfahrung erworben hat, wird sich eines Besseren belehrt finden.

§ 915

Die Frage, ob jeder Traum zur Deutung gebracht werden kann, ist mit Nein zu beantworten. Man darf nicht vergessen, dass man bei der Deutungsarbeit die psychischen Mächte gegen sich hat, welche die Entstellung des Traumes verschulden. Es wird so eine Frage des Kräfteverhältnisses, ob man mit seinem intellectuellen Interesse, seiner Fähigkeit zur Selbstüberwindung, seinen psycholo gischen Kenntnissen und seiner Uebung in der Traumdeutung den inneren Widerstinden den Herren zeigen kann. Ein Stück weit ist das immer möglich, so weit wenigstens, um die Ueberzeugung zu gewinnen, dass der Traum eine sinnreiche Bildung ist, und meist auch, um eine Ahnung dieses Sinnes zu gewinnen. Recht häufig gestattet ein nächstfolgender Traum, die für den ersten angenommene Deutung zu versichern und weiter zu führen. Eine ganze Reihe von Träumen, die sich durch Wochen oder Monate zieht, ruht oft auf gemeinsamem Boden, und ist dann im Zusammenhange der Deutung zu unterwerfen. Von auf einander folgenden Träumen kann man oft merken, wie der eine zum Mittelpunkte nimmt, was in dem nächsten nur in der Peripherie angedeutet wird, und umgekehrt, so dass die beiden einander auch zur Deutung ergänzen. Dass die verschiedenen Träume derselben Nacht ganz regelmässig von der Deutungsarbeit wie ein Ganzes zu behandeln sind, habe ich bereits durch Beispiele erwiesen.

§ 916

In den bestgedeuteten Träumen muss man oft eine Stelle im Dunkeln lassen, weil man bei der Deutung merkt, dass dort ein Knäuel von Traumgedanken anhebt, der sich nicht entwirren will, aber auch zum Trauminhalt keine weiteren Beiträge geliefert hat. Dies ist dann der Nabel des Traumes, die Stelle, an derer dem Unerkannten aufsitzt. Die Traumgedanken, auf die man bei der Deutung geräth, müssen ja ganz allgemein ohne Abschluss bleiben und nach allen Seiten hin in die netzartige Verstrickung unserer Gedankenwelt auslaufen. Aus einer dichteren Stelle dieses Geflechtes erhebt sich dann der Traumwunsch wie der Pilz aus seinem Mycelium.

§ 917

Wir kehren zu den Thatsachen des Traumvergessens zurück. Wir haben es nämlich versäumt, einen wichtigen Schluss aus ihnen zu ziehen. Wenn das Wachleben die unverkennbare Absicht zeigt, den Traum, der bei Nacht gebildet worden ist, zu vergessen, entweder als Ganzes unmittelbar nach dem Erwachen oder stückweise im Laufe des Tages, und wenn wir als den Hauptbetheiligten bei diesem Vergessen den seelischen Widerstand gegen den Traum erkennen, der doch schon in der Nacht das Seinige gegen den Traum gethan hat, so liegt die Frage nahe, was eigentlich gegen diesen Widerstand die Traumbildung überhaupt ermöglicht hat. Nehmen wir den grellsten Fall, in dem das Wachleben den Traum wieder beseitigt, als ob er gar nicht vorgefallen wäre. Wenn wir dabei das Spiel der psychischen Kräfte in Betracht ziehen, so müssen wir aussagen, der Traum wäre überhaupt nicht zu Stande gekommen, wenn der Widerstand bei Nacht gewaltet hätte wie bei Tage. Unser Schluss ist, dass dieser während der Nachtzeit einen Theil seiner Macht eingebüsst hatte; wir wissen, er war nicht aufgehoben, denn wir haben seinen Antheil an der Traumbildung in der Traumentstellung nachgewiesen. Aber die Möglichkeit drängt sich uns auf, dass er des Nachts verringert war, dass durch diese Abnahme des Wider standes die Traumbildung möglich wurde, und wir verstehen so leicht, dass er, mit dem Erwachen in seine volle Kraft eingesetzt, sofort wieder beseitigt, was er, so lange er schwach war, zulassen musste. Die beschreibende Psychologie lehrt uns ja, dass die Hauptbedingung der Traumbildung der Schlafzustand der Seele ist; wir könnten nun die Erklärung hinzufügen: der Schlafzustand ermöglicht die Traumbildung, indem er die endopsychische Censur herabsetzt.

§ 918

Wir sind gewiss in Versuchung, diesen Schluss als den einzig möglichen aus den Thatsachen des Traumvergessens anzusehen, und weitere Folgerungen über die Energieverhältnisse des Schlafens und des Wachens aus ihm zu entwickeln. Wir wollen aber vorläufig hierin innehalten. Wenn wir uns in die Psychologie des Traumes ein Stück weiter vertieft haben, werden wir erfahren, dass man sich die Ermöglichung der Traumbildung auch noch anders vorstellen kann. Der Widerstand gegen das Bewusstwerden der Traumgedanken kann vielleicht auch umgangen werden, ohne dass er an sich eine Herabsetzung erfahren hätte. Es ist auch plausibel, dass beide der Traumbildung günstigen Momente, die Herabsetzung sowie die Umgehung des Widerstandes, durch den Schlafzustand gleichzeitig ermöglicht werden. Wir brechen hier ab, um nach einer Weile hier fortzusetzen.

§ 919

Es gibt eine andere Reihe von Einwendungen gegen unser Verfahren bei der Traumdeutung, um die wir uns jetzt bekümmern müssen. Wir gehen ja so hervor, dass wir alle sonst das Nachdenken beherrsehenden Zielvorstellungen fallen lassen, unsere Aufmerksamkeit auf ein einzelnes Traumelement richten und dann notiren, was uns, an ungewollten Gedanken zu demselben einfällt. Dann greifen wir einen nächsten Bestandtheil des Trauminhaltes auf, wiederholen an ihm dieselbe Arbeit und lassen uns, unbekümmert um die Richtung, nach der die Gedanken treiben, von ihnen weiter führen, wobei wir — wie man zu sagen pflegt — vom Hundertsten in’s Tausendste gerathen. Dabei hegen wir die zuversichtliche Erwartung, am Ende ganz ohne unser Dazuthun auf die Traumgedanken zu gerathen, aus denen der Traum entstanden ist. Dagegen wird die Kritik nun etwa Folgendes einzuwenden haben: Dass man von einem einzelnen Elemente des Traumes irgendwohin gelangt, ist nichts Wunderbares. An jede Vorstellung lässt sich assoeiativ etwas knüpfen; es ist nur merkwürdig, dass man bei diesem ziellosen und willkürlichen Gedankenablauf gerade zu den Traumgedanken gerathen soll. Wahrscheinlich ist das eine Selbsttäuschung; man folgt der Associationskette von dem einen Elemente aus, bis man sie aus irgend einem Grunde abreissen merkt; wenn man dann ein zweites Element aufnimmt, so ist es nur natürlich, dass die ursprüngliche Unbeschränktheit der Association jetzt eine Einengung erfährt. Man hat die frühere Gedankenkette noch in Erinnerung und wird darum bei der Analyse der zweiten Traumvorstellung leichter auf einzelne Einfälle stossen, die auch mit den Einfällen aus der ersten Kette irgend etwas gemein haben. Dann bildet man sich ein, einen Gedanken gefunden zu haben, der einen Knotenpunkt zwischen zwei Traumelementen darstellt. Da man sich sonst jede Freiheit der Gedankenverbindung gestattet und eigentlich nur die Uebergänge von einer Vorstellung zur anderen ausschliesst, die beim normalen Denken in Kraft treten, so wird es schliesslich nicht schwer, aus einer Reihe von „Zwischengedanken“ etwas zusammenzubrauen, was man die Traumgedanken benennt, und ohne jede Gewähr, da diese sonst nicht bekannt sind, für den psychischen Ersatz des Traumes ausgibt. Es ist aber alles Willkür und witzig erscheinende Ausnützung des Zufalls dabei, und jeder, der sich dieser unnützen Mühe unterzieht, kann zu einem beliebigen Traume auf diesem Wege eine ihm beliebige Deutung herausgrübeln.

§ 920

Wenn uns solche Einwände wirklich vorgerückt werden, so können wir uns zur Abwehr auf den Eindruck unserer Traumdeutungen berufen, auf die tiberraschenden Verbindungen mit anderen Traumelementen, die sich während der Verfolgung der einzelnen Worstellungen ergeben, und auf die Unwahrscheinlichkeit, dass etwas, was den Traum so erschöpfend deckt und aufklärt wie eine unserer Traumdeutungen, anders gewonnen werden künne, als indem man vorher hergestellten psychischen Verbindungen nachfährt. Wir könnten auch zu unserer Rechtfertigung heranziehen, dass das Verfahren bei der Traumdeutung identisch ist mit dem bei der Auflösung der hysterischen Symptome, wo die Richtigkeit des Verfahrens durch das Auftauchen und Schwinden der Symptome zu ihrer Stelle gewährleistet wird, wo also die Auslegung des Textes an den eingeschalteten Illustrationen einen Anhalt finde. Wir haben aber keinen Grund, dem Problem, wieso man durch Verfolgung einer sich willkürlich und ziellos weiter spinnenden Gedankenkette zu einem präexistenten Ziele gelangen könne, aus dem Wege zu gehen, da wir dieses Problem zwar nicht zu lösen, aber voll zu beseitigen vermögen.

§ 921

Es ist nämlich nachweisbar unrichtig, dass wir uns einem ziellosen Vorstellungsablauf hingeben, wenn wir, wie bei der Traumdeutungsarbeit, unser Nachdenken fallen und die ungewollten Vorstellungen auftauchen lassen. Es lässt sich zeigen, dass wir immer nur auf die uns bekannten Zielvorstellungen verzichten können, und dass mit dem Aufhören dieser sofort unbekannte — wie wir ungenau sagen: unbewusste — Zielvorstellungen zur Macht kommen, die jetzt den Ablauf der ungewollten Vorstellungen determinirt halten. Ein Denken ohne Zielvorstellungen lässt sieh durch unsere eigene Beeinflussung unseres Seelenlebens überhaupt nicht herstellen; es ist mir aber auch unbekannt, in welehen Zuständen psychischer Zerrüttung es sich sonst herstellt. Die Psychiater haben hier viel zu früh auf die Festigkeit des psychischen Gefüges verzichtet. Ich weiss, dass ein ungeregelter, der Zielvorstellungen entbehrender Gedankenablauf im Rahmen der Hysterie und der Parnoia ebenso wenig vorkommt wie bei der Bildung oder bei der Auflösung der Träume. Er tritt vielleicht bei den endogenen psychischen Affectionen überhaupt nicht ein; selbst die Delirien der Verworrenen sind nach einer geistreichen Vermuthung von Leuret sinnvoll und werden nur durch Auslassungen für uns unverständlich. Ich habe die nämliche Ueberzeugung gewonnen, wo mir Gelegenheit zur Beobachtung geboten war. Die Delirien sind das Werk einer Censur, die sich keine Mühe mehr gibt ihr Walten zu verbergen, die anstatt ihre Mitwirkung zu einer nicht mehr anstössigen Umarbeitung zu leihen, rücksichtslos ausstreicht, wogegen sie Einspruch erhebt, wodurch dann das übriggelassene zusammenhangslos wird. Diese Censur verfährt ganz analog der russischen Zeitungscensur an der Grenze, welche ausländische Journale nur von schwarzen Strichen durchsetzt in die Hände der zu behütenden Leser gelangen lässt.

§ 922

Das freie Spiel der Vorstellungen nach beliebiger Associationsverkettung kommt vielleicht bei destructiven organischen Gehirnprocessen zum Vorschein; was bei den Psychoneurosen für solches gehalten wird, lässt sich allemal durch Einwirkung der Censur auf eine Gedankenreihe aufklären, welche von verborgen gebliebenen Zielvorstellungen in den Vordergrund geschoben wird. Als ein untrügliches Zeichen der von Zielvorstellungen freien Association hat man es betrachtet, wenn die auftauchenden Vorstellungen (oder Bilder) unter einander durch die Bande der sogenannten oberflächlichen Associationen verknüpft erscheinen, also durch Assonanz, Wortzweideutigkeit, zeitliches Zusammentreffen ohne innere Sinnbeziehung, durch alle die Associationen, die wir im Witz und beim Wortspiel zu verwerthen uns gestatten. Dieses Kennzeichen trifft für die Gedankenverbindungen, die uns von den Elementen des Trauminhaltes zu den Collateralen und von diesen zu den eigentlichen Traumgedanken führen, zu; wir haben bei vielen Traumanalysen Beispiele davon gefunden, die unser Befremden wecken mussten. Keine Anknüpfung war da zu locker, kein Witz zu verwerflich, als dass er nicht die Brücke von einem Gedanken zum anderen hätte bilden dürfen. Aber das richtige Verständnis solcher Nachsichtigkeit liegt nicht ferne. Jedesmal, wenn ein psychisches Element mit einem anderen durch eine anstössige und oberflächliche Association verbunden ist, existirt auch eine correcte und tiefergehende Verknüpfung zwischen den beiden, welche dem Widerstande der Censur unterliegt.

§ 923

Druck der Censur, nicht Aufhebung der Zielvorstellungen ist die richtige Begründung für das Vorherrschen der oberflächlichen Associationen. Die oberflächlichen Associationen ersetzen in der Darstellung die tiefen, wenn die Censur diese normalen Verbindungswege ungangbar macht. Es ist, wie wenn ein allgemeines Ver kehrshindernis, z. B. eine Ueberschwemmung, im Gebirge die grossen und breiten Strassen unwegsam werden lässt; der Verkehr wird dann auf unbequemen und steilen Fusspfaden aufrecht erhalten, die sonst nur der Jäger begangen hat.

§ 924

Man kann hier zwei Fälie von einander trennen, die im wesentlichen Eins sind. Entweder die Censur richtet sich nur gegen den Zusammenhang zweier Gedanken, die von einander losgelöst, dem Einspruch entgehen. Dann treten die beiden Gedanken nach einander in’s Bewusstsein; ihr Zusammenhang bleibt verborgen; aber dafür fällt uns eine oberflächliche Verknüpfung zwischen beiden ein, an die wir sonst nicht gedacht hätten, und die in der Regel an einer anderen Ecke des Vorstellungscomplexes ansetzt, als von welcher die unterdrückte, aber wesentliche Verbindung ausgeht. Oder aber, beide Gedanken unterliegen an sich wegen ihres Inhaltes der Censur; dann erscheinen beide nicht in der richtigen, sondern in modifieirter, ersetzter Form, und die beiden Ersatzgedanken sind so gewählt, dass sie durch eine oberflächliche Association die wesentliche Verbindung wiedergeben, in der die von ihnen ersetzten stehen. Unter dem Drucke der Censur hat hier in beiden Fällen eine Verschiebung stattgefunden von einernormalen, ernsthaften Association auf eine oberflächliche, absurd erscheinende.

§ 925

Weil wir von diesen Verschiebungen wissen, vertrauen wir uns bei der Traumdeutung auch den oberflächlichen Associationen ganz ohne Bedenken an.*)*)

§ 926

Von den beiden Sätzen, dass mit dem Aufgeben der bewussten Zielvorstellungen die Herrschaft über den Vorstellungsablauf an verborgene Zielvorstellungen übergeht, und dass oberflächliche Associationen nur ein Verschiebungsersatz sind für unterdrückte tiefer gehende, macht die Psychoanalyse bei Neurosen den ausgiebigsten Gebrauch; we sie erhebt die beiden Sätze zu Grundpfeilern ihrer Technik. Wenn ich einem Patienten auftrage, alles Nachdenken fahren zu lassen und mir zu berichten, was immer ihm dann in den Sinn kommt, so halte ich die Voraussetzung fest, dass er die Zielvorstellungen der Behandlung nicht fahren lassen kann, und halte mich für berechtigt zu folgern, dass das scheinbar Harmloseste und Willkürlichste, das er mir berichtet, im Zusammenhange mit seinem Krankheitszustande steht. Eine andere Zielvorstellung, von der dem Patienten nichts ahnt, ist die meiner Person. Die volle Würdigung,

*) Dieselben Erwägungen gelten natürlich auch für den Fall, dass die oberflächlichen Associationen im Trauminhalt blossgelegt werden, wie z. B. in den beiden von Maury mitgetheilten Träumen [Seite 41: pélerinage — Pelletier — pelle; Kilometer — Kilogramm — Gilolo — Lobelia — Lopez — Lotto]. Aus der Arbeit mit Neurotikern weiss ich, welche Reminiscenz sich so darzustellen liebt. Es ist das Nachschlagen im Conversationslexieon (Lexicon überhaupt), aus dem ja die Meisten in der Zeit der Pubertätsneugierde ihr Bedürfnis nach Aufklärung der sexuellen Rätlisel gestillt haben. § 927

sowie der eingehende Nachweis der beiden Aufklärungen gehört demnach in die Darstellung der psyehoanalytischen Technik als therapeutischen Methode. Wir haben hier einen der Anschlüsse erreicht, bei denen wir das Thema der Traumdeutung vorsätzlich fallen lassen.

§ 928

Eines nur ist riehtig und bleibt von den Einwendungen bestehen, nämlich dass wir nicht alle Einfälle der Deutungsarbeit auch in die nächtliche Traumarbeit zu versetzen brauchen. Wir machen ja beim Deuten im Wachen einen Weg, der von den Traumelementen zu den Traumgedanken rückläuft. Die Traumarbeit hat den umgekehrten Weg genommen, und es ist gar nicht wahrscheinlich, dass diese Wege in umgekehrter Richtung gangbar sind. Es erweist sich vielmehr, dass wir bei Tag über neue Gedankenverbindungen Schachte führen, welche die Zwischengedanken und die Traumgedanken bald an dieser, bald an jener Stelle treffen. Wir können sehen, wie sich das frische Gedankenmaterial des Tages in die Deutungsreihen einschiebt, und wahrscheinlich nöthigt auch die Widerstandssteigerung, die seit der Nachtzeit eingetreten ist, zu neuen und ferneren Umwegen. Die Zahl oder Art der Collateralen aber, die wir so bei Tage anspinnen, ist psychologisch völlig bedeutungslos, wenn sie uns nur den Weg zu den gesuchten Traumgedanken führen.

§ 929

b) Die Regression.

§ 930

Nun aber, da wir uns gegen die Einwendungen verwahrt oder wenigstens angezeigt haben, wo unsere Waffen zur Abwehr ruhen, dürfen wir es nieht länger verschieben, in die psychologischen Untersuchungen einzutreten, für die wir uns längst gerüstet haben. Wir stellen die Hauptergebnisse unserer bisherigen Untersuchung zusammen. Der Traum ist ein vollwichtiger psychischer Act; seine Triebkraft ist allemale ein zu erfüllender Wunsch; seine Unkenntlichkeit als Wunsch und seine vielen Sonderbarkeiten und Absurditäten rühren von dem Einfluss der psychischen Censur her, den er bei der Bildung erfahren hat; ausser der Nöthigung, sich dieser Censur zu entziehen, haben bei seiner Bildung mitgewirkt eine Nöthigung zur Verdichtung des psychischen Materiales, eine Rücksicht auf Darstellbarkeit in Sinnesbildern und — wenn auch nicht regelmässig — eine Rücksicht auf ein rationelles und intelligibles Aeussere des Traumgebildes. Von jedem dieser Sätze führt der Weg weiter zu psychologischen Postulaten und Muthmassungen; die gegenseitige Beziehung des Wünschmotives und der vier Bedingungen, sowie dieser untereinander, ist zu untersuchen; der Traum ist in den Zusammenhang des Seelenlebens einzureihen.

§ 931

Wir haben einen Traum an die Spitze dieses Abschnittes gestellt, um uns an die Räthsel zu mahnen, deren Lösung noch aus steht. Die Deutung dieses Traumes vom brennenden Kind bereitete uns keine Schwierigkeiten, wenngleich sie nicht in unserem Sinne vollständig gegeben war. Wir fragten uns, warum hier überhaupt geträumt wurde, anstatt zu erwachen, und erkannten als das eine Motiv des Träumens den Wunsch, das Kind als lebend vorzustellen. Dass noch ein anderer Wunsch dabei eine Rolle spielt, werden wir nach späteren Erörterungen einsehen können. Zunächst also ist es die Wunscherfüllung, der zu Liebe der Denkvorgang des Sehlafens in einen Traum verwandelt wurde.

§ 932

Macht man diese rückgängig, so bleibt nur noch ein Charakter übrig, welcher die beiden Arten des psychischen Geschehens von einander scheidet. Der Traumgedanke hätte gelautet: Ich sehe einen Schein aus dem Zimmer, in dem die Leiche liegt. Vielleicht ist eine Kerze umgefallen und das Kind brennt! Der Traum gibt das Resultat dieser Ueberlegung unverändert wieder, aber dargestellt in einer Situation, die gegenwärtig und mit den Sinnen wie ein Ergebnis des Wachens zu erfassen ist. Das ist aber der allgemeinste und auffälligste psychologische Charakter des Träumens; ein Gedanke, in der Regel der gewünschte, wird im Traume objectivirt, als Scene dargestellt oder, wie wir meinen, erlebt.

§ 933

Wie soll man nun diese charakteristische Eigenthümlichkeit der Traumarbeit erklären oder — bescheidener ausgedrückt — in den Zusammenhang der psychischen Vorgänge einfügen?

§ 934

Bei näherem Zusehen merkt man wohl, dass in der Erscheinungsform des Traumes zwei von einander fast unabhängige Charaktere ausgeprägt sind. Der eine ist die Darstellung als gegenwärtige Situation mit Weglassung des vielleicht; der andere die Umsetzung des Gedankens in visuelle Bilder und in Rede.

§ 935

Die Umwandlung, welche die Traumgedanken dadurch erfahren, dass die in ihnen ausgedrückte Erwartung in’s Präsens gesetzt wird, scheint vielleicht gerade an diesem Traume nicht sehr auffällig. Es hängt dies mit der besonderen, eigentlich nebensächlichen Rolle der Wunscherfüllung in diesem Traume zusammen. Nehmen wir einen anderen Traum vor, in dem sich der Traumwunsch nicht von der Fortsetzung der Wachgedanken in den Schlaf absondert, z. B. den von Irma’s Injection. Hier ist der zur Darstellung gelangende Traumgedanke ein Optativ: Wenn doch der Otto-an-der Krankheit Irma’s Schuld sein möchte! Der Traum verdrängt den Optativ und ersetzt ihn durch ein simples Präsens: Ja, Otto ist Schuld an der Krankheit Irma’s. Das ist also die erste der Verwandlungen, die auch der entstellungsfreie Traum mit den Traumgedanken vornimmt. Bei dieser ersten Eigenthümlichkeit des Traumes werden wir uns aber nicht lange aufhalten. Wir erledigen sie durch den Hinweis auf die bewusste Phantasie, auf den Tagtraum, der mit seinem Vorstellungsinhalt ebenso verfährt. Wenn Daudet’s Mr. Joyeuse beschäftigungslos durch die Strassen von Paris irrt, während seine Töchter glauben müssen, er habe eine Anstellung und sitze in seinem Bureau, so träumt er von den Vorfällen. die ihm zur Protection und zu einer Anstellung verhelfen sollen, gleichfalls im Präsens. Der Traum gebraucht also das Präsens in derselben Weise und mit demselben Rechte wie der Tagtraum. Das Präsens ist die Zeitform, in welcher der Wunsch als erfüllt dargestellt wird.

§ 936

Dem Traume allein zum Unterschiede vom Tagtraume eigenthümlich ist aber der zweite Charakter, dass der Vorstellungsinhalt nicht gedacht, sondern in sinnliche Bilder verwandelt wird, denen man dann Glauben schenkt, und die man zu erleben meint. Fügen wir gleich hinzu, dass nicht alle Träume die Umwandlung von Vorstellung in Sinnesbild zeigen; es gibt Träume, die nur aus Gedanken bestehen, denen man die Wesenheit der Träume darum doch nicht bestreiten wird. Mein Traum: „Autodidasker — die Tagesphantasie mit Professor N.“ ist ein solcher, in den sich kaum mehr sinnliche Elemente einmengten, als wenn ich seinen Inhalt bei Tag gedacht hätte. Auch gibt es in jedem längeren Traum Elemente, welche die Umwandlung in’s Sinnliche nicht mitgemacht haben, die einfach gedacht oder gewusst werden, wie wir’s vom Wachen her gewöhnt sind. Ferner wollen wir gleich hier daran denken, dass solche Verwandlung von Vorstellungen in Sinnesbilder nicht dem Traume allein zukommt, sondern ebenso der Hallucination, den Visionen, die etwa selbständig in der Gesundheit auftreten oder als Symptome der Psychoneurosen. Kurz, die Beziehung, die wir hier untersuchen, ist nach keiner Richtung eine ausschliessliche; es bleibt aber bestehen, dass dieser Charakter des Traumes, wo er vorkommt, uns als der bemerkenswertheste erscheint, so dass wir ihn nicht aus dem Traumleben weggenommen denken könnten. Sein Verständnis erfordert aber weit ausgreifende Erörterungen.

§ 937

Unter allen Bemerkungen zur Theorie des Träumens, welche man bei den Autoren finden kann, möchte ich eine als anknüpfenswerth hervorheben. Der grosse G. Th. Fechner 25) spricht in seiner Psychophysik (II. Th. p. 520) im Zusammenhange einiger Erörterungen, die er dem Traume widmet, die Vermuthung aus, dass der Schauplatz der Träume ein anderer sei, als der des wachen Vorstellungslebens. Keine andere Annahme gestatte es, die besonderen Eigenthümlichkeiten des Traumlebens zu begreifen.

§ 938

Die Idee, die uns so zur Verfügung gestellt wird, ist die einer psychischen Localität. Wir wollen ganz bei Seite lassen, dass der seelische Apparat, um den es sich hier handelt, uns auch als anatomisches Präparat bekannt ist, und wollen der Versuchung sorgfältig aus dem Wege gehen, die psychische Localität etwa anatomisch zu bestimmen. Wir bleiben auf psychologischem Boden und gedenken nur der Aufforderung zu folgen, dass wir uns das Instrument, welches den Seelenleistungen dient, vorstellen wie etwa ein zusammengesetztes Mikroskop, einen photographischen Apparat u. dgl. Die psychische Localität entspricht dann einem Orte innerhalb eines solchen Apparates, an dem eine der Vorstufen des Bildes zu Stande kommt. Beim Mikroskop und Fernrohr sind dies bekanntlich zum Theil ideelle Oertlichkeiten, Gegenden, in denen kein greifbarer Bestandtheil des Apparates gelegen ist. Für die Unvollkommenheiten dieser und aller ähnlichen Bilder Entschuldigung zu erbitten, halte ich für überflüssig. Diese Gleichnisse sollen uns nur bei einem Versuch unterstützen, der es unternimmt, uns die Complication der psychischen Leistung verständlich zu machen, indem wir diese Leistung zerlegen, und die Einzelleistung den einzelnen Bestandtheilen des Apparates zuweisen. Der Versuch, die Zusammensetzung des seelischen Instrumentes aus solcher Zerlegung zu errathen, ist meines Wissens noch nicht gewagt worden. Er scheint mir harmlos. Ich meine, wir dürfen unseren Vermuthungen freien Lauf lassen, wenn wir dabei nur unser kühles Urtheil bewahren, das Gerüste nicht für den Bau halten. Da wir nichts Anderes benöthigen als Hilfsvorstellungen zur ersten Annäherung an etwas Unbekanntes, so werden wir die rohesten und greifbarsten Annahmen zunächst allen anderen vorziehen.

§ 939

Wir stellen uns also den seelischen Apparat vor als ein zusammengesetztes Instrument, dessen Bestandtheile wir Instanzen oder der Anschaulichkeit zu Liebe Systeme heissen wollen. Dann bilden wir die Erwartung, dass diese Systeme vielleicht eine constante räumliche Orientirung gegen einander haben, etwa wie die verschiedenen Linsensysteme des Fernrohres hinter einander stehen. Streng genommen brauchen wir die Annahme einer wirklich räumlichen Anordnung der psychischen Systeme nicht zu machen. Es genügt uns, wenn eine feste Reihenfolge dadurch hergestellt wird, dass bei gewissen psychischen Vorgängen die Systeme in einer bestimmten zeitlichen Folge von der Erregung durchlaufen werden. Diese Folge mag bei anderen Vorgängen eine Abänderung erfahren; eine solche Möglichkeit wollen wir uns offen lassen. Von den Bestandtheilen des Apparates wollen wir von nun an der Kürze halber als „ψ-Systeme“ sprechen.

§ 940

Das Erste, das uns auffällt, ist nun, dass dieser aus ψ-Systemen zusammengesetzte Apparat eine Richtung hat. All unsere psychische Thätigkeit geht von (inneren oder äusseren) Reizen aus und endigt in Innervationen. Somit schreiben wir dem Apparat ein sensibles und ein motorisches Ende zu; an dem sensibeln Ende befindet sich ein System, welches die Wahrnehmungen empfängt, am motorischen Ende ein anderes, welches die Schleusen der Motilität eröffnet. Der psychische Vorgang verläuft im Allgemeinen vom Wahrnehmungsende zum Motilitätsende. Das allgemeinste Schema des psychischen Apparates hätte also folgendes Ansehen:

§ 941

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§ 942

Das ist aber nur die Erfüllung der uns längst vertrauten Forderung, der psychische Apparat müsse gebaut sein wie ein Reflexapparat. Der Reflexvorgang bleibt das Vorbild auch aller psychischen Leistung.

§ 943

Wir haben nun Grund, am sensibeln Ende eine erste Differenzirung eintreten zu lassen. Von den Wahrnehmungen, die an uns herankomnmen, verbleibt in unserem psychischen Apparat eine Spur, die wir „Erinnerungsspur“ heissen können. Die Function, die sich auf diese Erinnerungsspur bezieht, heissen wir ja „Gedächtnis“. Wenn wir Ernst mit dem Vorsatz machen, die psychischen Vorgänge an Systeme zu knüpfen, so kann die Erinnerungsspur nur bestehen in bleibenden Veränderungen an den Elementen der Systeme. Nun bringt es, wie schon von anderer Seite ausgeführt, offenbar Schwierigkeiten mit sich, wenn ein und dasselbe System an seinen Elementen Veränderungen getreu bewahren und doch neuen Anlässen zur Veränderung immer frisch und aufnahmsfähig entgegentreten soll. Nach dem Princip, das unseren Versuch leitet, werden wir also diese beiden Leistungen auf verschiedene Systeme verthelen. Wir nehmen an, dass ein vorderstes System des Apparates die Wahrnehmungsreize aufnimmt, aber nichts von ihnen bewahrt, also kein Gedächtnis hat, und dass hinter diesem ein zweites System liegt, welches die momentane Erregung des ersten in Dauerspuren umsetzt. Dann wäre dies das Bild unseres psychischen Apparates (Fig. 2):

§ 944

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§ 945

Es ist bekannt, dass wir von den Wahrnehmungen, die auf System W einwirken, noch etwas anderes als bleibend bewahren als den Inhalt derselben. Unsere Wahrnehmungen erweisen sich auch als im Gedächtnis mit einander verknüpft, und zwar vor Allem nach ihrem einstigen Zusammentreffen in der Gleichzeitigkeit. Wir heissen das die Thatsache der Association. Es ist nun klar, wenn das W-System überhaupt kein Gedächtnis hat, dass es auch die Spuren für die Association nicht aufbewahren kann; die einzelnen W-Elemente wären in ihrer Function unerträglich behindert, wenn sich gegen eine neue Wahrnehmung ein Rest früherer Verknüpfung geltend machen würde. Wir müssen also als die Grundlage der Association vielmehr die Erinnerungssysteme annehmen. Die Thatsache der Association besteht dann darin, dass in Folge von Widerstandsverringerungen und Bahnungen von einem der Er-Elemente die Erregung sich eher nach einem zweiten als nach einem dritten Er-Element fortpflanzt.

§ 946

Bei näherem Eingehen ergibt sich die Nothwendigkeit, nicht eines, sondern mehrere solcher Er-Systeme anzunehmen, in denen dieselbe durch die W-Elemente fortgepflanzte, Erregung eine verschiedenartige Fixirung erfährt. Das erste dieser Er-Systeme wird jedenfalls die Fixirung der Association durch Gleichzeitigkeit enthalten, in den weiter entfernt liegenden wird dasselbe Erregungsmaterial nach anderen Arten des Zusammentreffens angeordnet sein, so dass etwa Beziehungen der Aehnlichkeit u. A. durch diese späteren Systeme dargestellt würden. Es wäre natürlich müssig, die psychische Bedeutung eines solchen Systemes in Worten angeben zu wollen. Die Charakteristik desselben läge in der Innigkeit seiner Beziehungen zu Elementen des Erinnerungsrohmateriales, das heisst, wenn wir auf eine tiefer greifende Theorie hinweisen wollen, in den Abstufungen des Leitungswiderstandes nach diesen Elementen hin.

§ 947

Eine Bemerkung allgemeiner Natur, die vielleicht auf Bedeutsames hinweist, wäre hier einzuschalten. Das W-System, welches keine Fähigkeiten hat, Veränderungen zu bewahren, also kein Gedächtnis, ergibt für unser Bewusstsein die ganze Mannigfaltigkeit der sinnlichen Qualitäten. Umgekehrt sind unsere Erinnerungen, die am tiefsten uns eingeprägten nicht ausgenommen, an sich unbewusst. Sie können bewusst gemacht werden; es ist aber kein Zweifel, dass sie im unbewussten Zustand alle ihre Wirkungen entfalten. Was wir unseren Charakter nennen, beruht ja auf den Erinnerungsspuren unserer Eindrücke, und zwar sind gerade die Eindrücke, die am stärksten auf uns gewirkt hatten, die unserer ersten Jugend, solche, die fast nie bewusst werden. Werden aber Erinnerungen wieder bewusst, so zeigen sie keine sinnliche Qualität oder eine sehr geringfügige im Vergleiche zu den Wahrnehmungen. Liesse sich nun bestätigen, dass Gedächtnis und Qualität für das Bewusstsein an den ψ-Systemen einander aus schliessen, so eröffnete sich in die Bedingungen der Neuronerregung ein vielversprechender Einblick.

§ 948

Was wir bisher über die Zusammensetzung des psychischen Apparates am sensibeln Ende angenommen haben, erfolgte ohne Rücksicht auf den Traum und die aus ihm ableitbaren psychologischen Aufklärungen. Für die Erkenntnis eines anderen Stückes des Apparates wird uns aber der Traum zur Beweisquellee Wir haben gesehen, dass es uns unmöglich wurde, die Traumbildung zu erklären, wenn wir nicht die Annahmen zweier psychischen Instanzen wagen wollten, von denen die eine die Thätigkeit der anderen einer Kritik unterzieht, als deren Folge sich die Ausschliessung vom Bewausstwerden ergibt.

§ 949

Die kritisirende Instanz, haben wir geschlossen, unterhält nähere Beziehungen zum Bewusstsein als die kritisirte. Sie steht zwischen dieser und dem Bewusstsein wie ein Schirm. Wir haben ferner Anhaltspunkte gefunden, die kritisirende Instanz mit dem zu identificiren, was unser waches Leben lenkt und über unser willkürliches, bewusstes Handeln entscheidet. Ersetzen wir nun diese Instanzen im Sinne unserer Annahmen durch Systeme, so wird durch die letzterwähnte Erkenntnis das kritisirende System an’s motorische Ende gerückt. Wir tragen nun die beiden Systeme in unser Schema ein und drücken in den ihnen verliehenen Namen ihre Beziehung zum Bewusstsein aus.

§ 950

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§ 951

Das letzte der Systeme am motorischen Ende heissen wir das Vorbewusste, um anzudeuten, dass die Erregungsvorgänge in demselben ohne weitere Aufhaltung zum Bewustsein gelangen können, falls noch gewisse Bedingungen erfüllt sind, z. B. die Erreichung einer gewissen Intensität, eine gewisse Vertheilung jener Function, die man Aufmerksamkeit zu nennen hat, und dergleichen. Es ist gleichzeitig das System, welches die Schlüssel zur willkürlichen Motilitätinne hat. Das System dahinter heissen wir das Unbewusste, weil es keinen Zugang zum Bewusstsein hat, ausser durch das Vor- bewusste, bei welehem Durchgang sein Erregungsvorgang sich Abänderungen gefallen lassen muss.

§ 952

In welches dieser Systeme verlegen wir nun den Anstoss zur Traumbildung? Der Vereinfachung zu Liebe in das System Ubw. Wir werden zwar in späteren Erörterungen hören, dass dies nicht richtig ist, dass die Traumbildung genöthigt ist an Traumgedanken anzuknüpfen, die dem System des Vorbewussten angehören. Wir werden aber auch an anderer Stelle, wenn wir vom Traumwunsch handeln, erfahren, dass die Triebkraft für den Traum vom Ubw beigestellt wird, und wegen dieses letzteren Momentes wollen wir das unbewusste System als den Ausgangspunkt der Traumbildung annehmen. Diese Traumerregung wird nun wie alle anderen Gedankenbildungen das Bestreben äussern, sich in’s Vbw fortzusetzen und von diesem aus den Zugang zum Bewusstsein zu gewinnen.

§ 953

Die Erfahrung lehrt uns, dass den Traumgedanken tagsüber dieser Weg, der durch’s Vorbewusste zum Bewusstsein führt, durch die Widerstandscensur verlegt ist. In der Nacht schaffen sie sich den Zugang zum Bewusstsein; aber es erhebt sieh die Frage, auf welchem Wege und Dank welcher Veränderung. Würde dies den Traumgedanken dadurch ermöglicht, dass Nachts der Widerstand absinkt, der an der Grenze zwischen Unbewusstem und Vorbewusstem wacht, so bekämen wir Träume in dem Material unserer Vorstellungen, die nicht den hallucinatorischen Charakter zeigen, der uns jetzt interessirt.

§ 954

Das Absinken der Censur zwischen den beiden Systemen Ubw und Vbw kann uns also nur solche Traumbildungen erklären wie Autodidasker, aber nicht Träume wie den vom brennenden Kinde, den wir uns als Problem an den Eingang dieser Untersuchungen gestellt haben.

§ 955

Was im hallucinatorischen Traum vor sich geht, können wir nicht anders beschreiben, als indem wir sagen: Die Erregung nimmt einen rückläufigen Weg. Anstatt gegen das motorische Ende des Apparates pflanzt sie sich gegen das sensible fort und langt schliesslich beim System der Wahrnehmungen an. Heissen wir die Richtung, nach weleher sich der psychische Vorgang aus dem Unbewussten im Wachen fortsetzt, die progrediente, so dürfen wir vom Traum aussagen, er habe regredienten Charakter.

§ 956

Diese Regression ist dann sicherlich eine der wichtigsten psychologischen Eigenthümlichkeiten des Traumvorganges; aber wir dürfen nicht vergessen, dass sie dem Träumen nicht allein zukommt. Auch das absichtliche Erinnern und andere Theilvorgänge unseres normalen Denkens entsprechen einem Rückschreiten im psychischen Apparat von irgend welchem complexen Vorstellungsact auf das Rohmaterial der Erinnerungsspuren, die ihm zu Grunde liegen. Während des Wachens aber reicht dieses Zurückgreifen niemals über die Erinnerungsbilder hinaus; es vermag die hallucinatorische Belebung der Wahmehmungsbilder nicht zu erzeugen. Warum ist dies im Traume anders? Als wir von der Verdichtungsarbeit des Traumes sprachen, konnten wir der Annahme nicht ausweichen, dass durch die Traumarbeit die an den Vorstellungen haftenden Intensitäten von einer zur anderen voll übertragen werden. Wahrscheinlich ist es diese Abänderung des sonstigen psychischen Vorganges, welche es ermöglicht, das System der W bis zur vollen sinnlichen Lebhaftigkeit in umgekehrter Richtung, von den Gedanken her, zu besetzen.

§ 957

Ich hoffe, wir sind weit davon entfernt, uns über die Tragweite dieser Erörterungen zu täuschen. Wir haben nichts anderes gethan, als für ein nicht zu erklärendes Phänomen einen Namen gegeben. Wir heissen es Regression, wenn sich im Traum die Vorstellung in das sinnliche Bild rückverwandelt, aus dem sie irgend einmal hervorgegangen ist. Auch dieser Schritt verlangt aber Rechtfertigung. Wozu die Namengebung, wenn sie uns nichts Neues lehrt? Nun ich meine, der Name „Regression“ dient uns insoferne, als er die uns bekannte Thatsache an das Schema des mit einer Richtung versehenen seelischen Apparates knüpft. An dieser Stelle verlohnt es sich aber zum ersten Male, ein solehes Schema aufgestellt zu haben. Denn eine andere Eigenthümlichkeit der Traumbildung wird uns ohne neue Ueberlegung allein mit Hilfe des Schemas einsichtlich werden. Wenn wir den Traumvorgang als eine Regression innerhalb des von uns angenommenen seelischen Apparates ansehen, so erklärt sich uns ohne Weiteres die empirisch festgestellte Thatsache, dass alle Denkrelationen der Traumgedanken bei der Traumarbeit verloren gehen oder nur mühseligen Ausdruck finden. Diese Denkrelationen sind nach unserem Schema nicht in den ersten Er-Systemen, sondern in weiter nach vorn liegenden enthalten und müssen bei der Regression bis auf die Wahrnehmungsbilder ihren Ausdruck einbüssen. Das Gefüge der Traumgedanken wird bei der Regression in sein Rohmaterial aufgelöst.

§ 958

Durch welche Veränderung wird aber die bei Tag unmögliche Regression ermöglicht? Hier wollen wir es bei Vermuthungen bewenden lassen. Es muss sich wohl um Veränderungen in den Energiebesetzungen der einzelnen Systeme handeln, durch welche sie wegsamer oder unwegsamer für den Ablauf der Erregung werden; aber in jedem derartigen Apparat könnte der nämliche Effect für den Weg der Erregung durch mehr als eine Art von solchen Abänderungen zu Stande gebracht werden. Man denkt natürlich sofort an den Schlafzustand, und an Besetzungsänderungen, die er am sensibeln Ende des Apparates hervorruft. Bei Tag gibt es eine continuirlich laufende Strömung von dem ψ-System der W her zur Motilität; diese hat bei Nacht ein Ende und könnte einer Rückströmung der Erregung kein Hindernis mehr bereiten. Es wäre dies die „Abschliessung von der Aussenwelt“, welche in der Theorie einiger Autoren die psychologischen Charaktere des Traumes aufklären soll (vergl. Seite 35). Indess wird man bei der Erklärung, der Regression des Traumes Rücksicht auf jene anderen Regressionen nehmen müssen, die in krankhaften Wachzuständen zu Stande kommen. Bei diesen Formen lässt natürlich die eben gegebene Auskunft im Stiche. Es kommt zur Regression trotz der ununterbrochenen sensibeln Strömung in progredienter Richtung.

§ 959

Für die Hallucinationen der Hysterie, der Paranoia, die Visionen geistesnormaler Personen kann ich die Aufklärung geben, dass sie thatsächlich Regressionen entsprechen, d. h. in Bilder verwandelte Gedanken sind, und dass nur solche Gedanken diese Verwandlung erfahren, welche mit unterdrückten oder unbewusst gebliebenen Erinnerungen im intimen Zusammenhange stehen. Z. B. einer meiner jüngsten Hysteriker, ein zwölfjähriger Knabe, wird am Einschlafen gehindert durch „grüne Gesichter mit rothen Augen“, vor denen er sich entsetzt. Quelle dieser Erscheinung ist die unterdrückte, aber einstens bewusste Erinnerung an einen Knaben, den er vor vier Jahren oftmals sah, und der ihm ein abschreckendes Bild vieler Kinderunarten bot, darunter auch jener der Onanie, aus der er sich selbst jetzt einen nachträglichen Vorwurf macht. Die Mama hatte damals bemerkt, dass der ungezogene Junge eine grünliche Gesichtsfarbe habe und rothe (d. h. roth geränderte) Augen. Daher das Schreckgespenst, das übrigens nur dazu bestimmt ist, ihn an eine andere Vorhersage der Mama zu erinnern, dass solche Jungen blödsinnig werden, in der Schule nichts erlernen können und früh sterben. Unser kleiner Patient lässt den einen Theil der Prophezeiung eintreffen; er kommt im Gymnasium nicht weiter, und fürchtet sich, wie das Verhör seiner ungewollten Einfälle zeigt, entsetzlich vor dem zweiten Theil. Die Behandlung hat allerdings nach kurzer Zeit den Erfolg, dass er schläft, seine Aengstlichkeit verliert und sein Schuljahr mit einem Vorzugszeugnis abschliesst.

§ 960

Hier kann ich die Auflösung einer Vision anreihen, die mir eine 40jährige Hysterica aus ihren gesunden Tagen erzählt hat. Eines Morgens schlägt sie die Augen auf und sieht ihren Bruder im Zimmer, der doch, wie sie weiss, sich in der Irrenanstalt befindet. Ihr kleiner Sohn schläft im Bette neben ihr. Damit das Kind nicht erschrickt und in Krämpfe verfällt, wenn es den Onkel sieht, zieht sie die Bettdecke über dasselbe, und dann verschwindet die Erscheinung. Die Vision ist die Umarbeitung einer Kindererinnerung der Dame, die zwar bewusst war, aber mit allem unbewusstem Materiale in ihrem Innern in intimster Beziehung stand. Ihre Kinderfrau hatte ihr erzählt, dass die sehr früh verstorbene Mutter (sie war zur Zeit des Todesfalles erst 11/2, Jahre alt) an epileptischen oder hysterischen Krämpfen gelitten hatte und zwar seit einem Schreck, den ihr der Bruder (der Onkel meiner Patientin) dadurch verursachte, dass er ihr als Gespenst mit einer Bettdecke über dem Kopf erschien. Die Vision enthält dieselben Elemente wie die Erinnerung: Die Erscheinung des Bruders, die Bettdecke, den Schreck und seine Wirkung. Diese Elemente sind aber zu neuem Zusammhange angeordnet und auf andere Personen übertragen. Das offenkundige Motiv der Vision, der durch sie ersetzte Gedanke, ist die Besorgnis, dass ihr kleiner Sohn, der seinem Onkel physisch so ähnlich war, das Schicksal desselben theilen könnte.

§ 961

Beide hier angeführte Beispiele sind nicht frei von aller Beziehung zum Schlafzustande und darum vielleicht zu dem Beweise ungeeignet, für den ich sie brauche. Ich verweise also auf meine Analyse einer hallucinirenden Paranoica*)*) und auf die Ergebnisse meiner noch nicht veröffentlichten Studien über die Psychologie der Psychoneurosen, um zu bekräftigen, dass man in diesen Fällen von regredienter Gedankenverwandlung den Einfluss einer unterdrückten oder unbewusst gebliebenen Erinnerung, meist einer infantilen, nicht übersehen darf. Diese Erinnerung zieht gleichsam den mit ihr in Verbindung stehenden, an seinem Ausdruck durch die Censur verhinderten Gedanken, in die Regression als in jene Form der Darstellung, in der sie selbst psychisch vorhanden ist. Ich darf hier als ein Ergebnis der Studien über Hysterie anführen, dass die infantilen Scenen (seien sie nun Erinnerungen oder Phantasien), wenn es gelingt, sie bewusst zu machen, hallucinatorisch gesehen werden und erst beim Mittheilen diesen Charakter abstreifen. Es ist auch bekannt, dass selbst bei Personen, die sonst im Erinnern nieht visuell sind, die frühesten Kindererinnerungen den Charakter der sinnlichen Lebhaftigkeit bis in späte Jahre bewahren.

§ 962

Wenn man sich nun erinnert, welche Rolle in den Traumgedanken den infantilen Erlebnissen oder den auf sie gegründeten Phantasien zufällt, wie häufig Stücke derselben im Trauminhalt wieder auftauchen, wie die Traumwünsche selbst häufig aus ihnen abgeleitet sind, so wird man auch für den Traum die Wahrscheinlichkeit nicht abweisen, dass die Verwandlung von Gedanken in visuelle Bilder mit die Folge der Anziehung sein möge, welche dienach Neubelebung strebende visuell dargestellte Erinnerung auf den nach Ausdruck ringenden vom Bewusstsein abgeschnittenen Gedanken ausübt. Nach dieser Auffassung liesse sich der Traum auch beschreiben als der durch Uebertragung auf Recentes veränderte Ersatz der infantilen Scene. Die Infantilscene kann ihre Erneuerung nicht durchsetzen; sie muss sich mit der Wiederkehr als Traum begnügen.

§ 963

Der Hinweis auf die gewissermassen vorbildliche Bedeutung der Infantilscenen (oder ihrer phantastischen Wiederholungen) für den Trauminhalt, macht eine der Annabmen Scherner’s und seiner Anhänger über die inneren Reizquellen überflüssig. Scherner nimmt einen Zustand von „Gesichtsreiz“, von innerer Erregung im Sehorgan an, wenn die Träume eine besondere Lebhaftigkeit ihrer visuellen Elemente oder einen besonderen Reichthum an solchen erkennen lassen. Wir brauchen uns gegen diese Annahme nicht zu sträuben, dürfen uns etwa damit begnügen, einen solehen Erregungszustand blos für das psychische Wahrnehmungssystem des Sehorgans zu statuiren, werden aber geltend machen, dass dieser Erregungszustand ein durch die Erinnerung hergestellter, die Auffrischung der seinerzeit actuellen Seherregung ist. Ich habe aus eigener Erfahrung kein gutes Beispiel für solehen Einfluss einer infantilen Erinnerung zur Hand; meine Träume sind überhaupt weniger reich an sinnlichen Elementen, als ich die Anderer schätzen muss; aber in dem schönsten and lebhaftesten Traume dieser letzten Jahre wird es mir leicht, die hallucinatorische Deutlichkeit des Trauminhaltes auf sinnliche Qualitäten recenter und kürzlich erfolgter Eindrücke zurückzuführen. Ich habe auf Seite 272 einen Traum erwähnt, in dem die tiefblaue Farbe des Wassers, die braune Farbe des Rauches aus den Kaminen der Schiffe und das düstere Braun und Roth der Bauwerke, die ich sah, mir einen tiefen Eindruck hinterliessen. Wenn irgend einer, so musste dieser Traum auf Gesichtsreiz gedeutet werden. Und was hatte mein Sehorgan in diesen Reizzustand versetzt? Ein recenter Eindruck der sich mit einer Reihe früherer zusammenthat. Die Farben, die ich sah, waren zunächst die des Ankersteinbaukastens, mit dem die Kinder am Tage vor meinem Traume ein grossartiges Bauwerk aufgeführt hatten, um es meiner Bewunderung zu zeigen. Da fanden sich das nämliche düstere Roth an den grossen, das Blau und Braun an den kleinen Steinen. Dazu gesellten sich die Farbeneindrücke der letzten italienischen Reisen, das schöne Blau des Isonzo und der Lagune und das Braun des Karstes. Die Farbenschönheit des Traumes war nur eine Wiederholung der in der Erinnerung gesehenen.

*) Weitere Bemerkungen über die Abwehr-Neuropsychosen. Neurologisches Centralblatt, 1896. Nr. 10. § 964

Fassen wir zusammen, was wir über die Eigenthümlichkeit des Traumes, seinen Vorstellungsinhalt in sinnliche Bilder umzugiessen, erfahren haben. Wir haben diesen Charakter der Traumarbeit nicht etwa erklärt, auf bekannte Gesetze der Psychologie zurückgeführt, sondern haben ihn als auf unbekannte Verhältnisse hindeutend herausgegriffen und durch den Namen des „regredienten“ Charakters ausgezeichnet. Wir haben gemeint, diese Regression sei wohl überall, wo sie vorkommt, eine Wirkung des Widerstandes, der sich dem Vordringen des Gedankens zum Bewusstsein auf dem normalen Wege entgegensetzt, sowie der gleichzeitigen Anziehung, welche als sinnesstark vorhandene Erinnerungen auf ihn ausüben. Beim Traume käme vielleicht zur Erleichterung der Regression hiezu das Aufhören der progredienten Tagesströmung von den Sinnesorganen, welches Hilfsmoment bei den anderen Formen von.Regression durch Verstärkung der anderen Regressionsmotive wett gemacht werden muss. Wir wollen auch nicht vergessen uns zu merken, dass bei diesen pathologischen Fällen von Regression wie im Traume der Vorgang der Energieübertragung ein anderer sein dürfte als bei den Regressionen des normalen seelischen Lebens, da durch ihn eine volle hallucinatorische Besetzung der Wahrnehmungssysteme ermöglicht wird. Was wir bei der Analyse der Traumarbeit als die „Rücksicht auf Darstellbarkeit“ beschrieben haben, dürfte auf die auswählende Anziehung der von den Traumgedanken berührten, visuell erinnerten Scenen zu beziehen sein.

§ 965

Leicht möglich, dass dieses erste Stück unserer psychologischen Verwerthung des Traumes uns selbst nicht sonderlich befriedigt. Wir wollen uns damit trösten, dass wir ja genöthigt sind, in’s Dunkle hinaus zu bauen. Sind wir nieht völlig in die Irre gerathen, so müssen wir von einem anderen Angriffspunkte her in ungefähr die nämliche Region gerathen, in weleher wir uns dann vielleicht besser zurecht finden werden.

§ 966

c) Zur Wunscherfüllung.

§ 967

Der vorangestellte Traum vom brennenden Kinde gibt uns einen willkommenen Anlass, Schwierigkeiten, auf welche die Lehre von der Wunscherfülung stösst, zu würdigen. Wir haben es gewiss Alle mit Befremden aufgenommen, dass der Traum nichts anderes als eine Wunscherfüllung sein soll, und nicht etwa allein wegen des Widerspruches, der vom Angsttraum ausgeht. Nachdem uns die ersten Aufklärungen durch die Analyse belehrt hatten, hinter dem Traum verberge sich Sion und psychischer Werth, so wäre unsere Erwartung keineswegs auf eine so eindeutige Bestimmung dieses Sinnes gefasst gewesen. Nach der correcten, aber kärglichen Definition des Aristoteles ist der Traum das in den Schlafzustand — insoferne man schläft — fortgesetzte Denken. Wenn nun unser Denken bei Tage so verschiedenartige psychische Acte schafft, Urtheile, Schlussfolgerungen, Widerlegungen, Erwartungen, Vorsätze u. dgl., wodurch soll es bei Nacht genöthigt sein, sich allein auf die Erzeugung von Wünschen einzuschränken? Gibt es nicht vielmehr reichlich Träume, die einen andersartigen psychischen Act in Traumgestalt verwandelt bringen, z. B. eine Besorgnis, und ist nicht gerade der vorangestellte, ganz besonders durchsichtige Traum des Vaters ein solcher? Er zieht auf den Lichtschein hin, der ihm auch schlafend in’s Auge fällt, den besorgten Schluss, dass eine Kerze umgefallen sei und die Leiche in Brand gesteckt haben könne; diesen Schluss verwandelt er in einen Traum, indem er ihn in eine sinnfällige Situation und in das Präsens einkleidet. Welche Rolle spielt dabei die Wunscherfüllung, und ist denn die Uebermacht des vom Wachen her sich fortsetzenden oder durch den neuen Sinneseindruck angeregten Gedankens dabei irgend zu verkennen?

§ 968

Das ist alles richtig und nöthigt uns, auf die Rolle der Wunscherfüllung im Traume und auf die Bedeutung der in den Schlaf sich fortsetzenden Wachgedanken näher einzugehen.

§ 969

Gerade die Wunscherfüllung hat uns bereits zu einer Scheidung der Träume in zwei Gruppen veranlasst. Wir haben Träume gefunden, die sich offen als Wunscherfüllungen gaben; andere, deren Wunscherfüllung unkenntlich, oft mit allen Mitteln versteckt war. In den letzteren erkannten wir die Leistungen der Traumcensur. Die unentstellten Wunschträume fanden wir hauptsächlich bei Kindern; kurze, offenherzige Wunschträume schienen — ich lege Nachdruck auf diesen Vorbehalt — auch bei Erwachsenen vorzukommen.

§ 970

Wir können nun fragen, woher jedesmal der Wunsch stammt, der sich im Traume verwirklicht. Aber auf welchen Gegensatz oder auf welche Mannigfaltigkeit beziehen wir dieses „Woher“? Ich meine, auf den Gegensatz zwischen dem bewusst gewordenen Tagesleben und einer unbewusst gebliebenen psychischen Thätigkeit, die sich erst zur Nachtzeit bemerkbar machen kann. Ich finde dann eine dreifache Möglichkeit für die Herkunft eines Wunsches. Er kann 1. bei Tage erregt worden sein und infolge äusserer Verhältnisse keine Befriedigung gefunden haben; es erübrigt dann für die Nacht ein anerkannter und unerledigter Wunsch; 2. er kann bei Tage aufgetaucht sein, aber Verwerfung gefunden haben; es erübrigt uns dann ein unerledigter, aber unterdrückter Wunsch oder 3. er kann ausser Beziehung mit dem Tagesleben sein und zu jenen Wünschen gehören, die erst Nachts aus dem Unterdrückten in uns rege werden. Wenn wir unser Schema des psychischen Apparates vornehmen, so localisiren wir einen Wunsch der ersten Art in das System Vbw; vom Wunsch der zweiten Art nehmen wir an, dass er aus dem System Vbw in das Ubw zurückgedrängt worden ist, und wenn überhaupt, nur dort sich erhalten hat; und von der Wunschregung der dritten Art glauben wir, dass sie überhaupt unfähig ist, das System des Ubw zu überschreiten. Haben nun Wünsche aus diesen verschiedenen Quellen den gleichen Werth für den Traum, die gleiche Macht einen Traum anzuregen?

§ 971

Eine Ueberschau über die Träume, die uns für die Beantwortung dieser Frage zu Gebote stehen, mahnt uns zunächst, als vierte Quelle des Traumwunsches hinzuzufügen die actuellen bei Nacht sich erhebenden Wunschregungen (z. B. auf den Durstreiz, das sexuelle Bedürfnis). Sodann wird uns wahrscheinlich, dass die Herkunft des Traumwunsches an seiner Fähigkeit, einen Traum anzuregen, nichts ändert. Ich erinnere an den Traum der Kleinen, welcher die bei Tage unterbrochene Seefahrt fortsetzt, und an die nebenstehenden Kinderträume; sie werden durch einen unerfüllten, aber nicht unterdrückten Wunsch vom Tage erklärt. Beispiele dafür, dass ein bei Tage unterdrückter Wunsch sich im Traume Luft macht, sind überaus reichlich nachzuweisen; ein einfachstes solcher Art könnte ich hier nachtragen. Eine etwas spottlustige Dame, deren jüngere Freundin sich verlobt hat, beantwortet tagsüber die Anfragen der Bekannten, ob sie den Bräutigam kenne, und was sie von ihm halte, mit uneingeschränkten Lobsprüchen, bei denen sie ihrem Urtheil Schweigen auferlegt, denn sie hätte gern die Wahrheit gesagt: Er ist ein Dutzendmensch. Nachts träumt sie, dass dieselbe Frage an sie gerichtet wird, und antwortet mit der Formel: Bei Nachbestellungen genügt die Angabe der Nummer. Endlich, dass in allen Träumen, die der Entstellung unterlegen sind, der Wunsch aus dem Unbewussten stammt und bei Tage nicht vernehmbar werden konnte, haben wir als das Ergebnis zahlreicher Analysen erfahren. So scheinen zunächst alle Wünsche für die Traumbildung von gleichem Werth und gleicher Macht.

§ 972

Ich kann hier nicht beweisen, dass es sich doch eigentlich anders verhält, aber ich neige sehr zur Annahme einer strengeren Bedingtheit des Traumwunsches. Die Kinderträume lassen ja keinen Zweifel darüber, dass ein bei Tage unerledigter Wunsch der Traumerreger sein kann. Aber es ist nicht zu vergessen, das ist dann der Wunsch eines Kindes, eine Wunschregung von der dem Infantilen eigenen Stärke. Es ist mir durchaus zweifelhaft, ob ein am Tage nicht erfüllter Wunsch bei einem Erwachsenen genügt, um einen Traum zu schaffen. Es scheint mir vielmehr, dass wir mit der fortschreitenden Beherrschung unseres Trieblebens durch die denkende Thätigkeit auf die Bildung oder Erhaltung so intensiver Wünsche, wie das Kind sie kennt, als unnütz immer mehr verzichten. Es mögen sich dabei ja individuelle Verschiedenheiten geltend machen, der Eine den infantilen Typus der seelischen Vorgänge länger bewahren als ein Anderer, wie ja solche Unterschiede auch für die Abschwächung des ursprünglich deutlich visuellen Vorstellens bestehen. Aber im Allgemeinen, glaube ich, wird beim Erwachsenen der unerfüllt vom Tage übrig gebliebene Wunsch nicht genügen, einen Traum zu schaffen. Ich gebe gerne zu, dass die aus dem Bewussten stammende Wunschregung einen Beitrag zur Anregung des Traumes liefern wird, aber wahrscheinlich auch nicht mehr. Der Traum entstünde nicht, wenn der vorbewusste Wunsch sich nicht eine Verstärkung von anderswoher zu holen wüsste.

§ 973

Aus dem Unbewussten nämlich. Ich stelle mir vor, dass der bewusste Wunsch nur dann zum Traumerreger wird, wenn es ihm gelingt, einen gleichlautenden unbewussten zu wecken, durch den er sich verstärkt. Diese unbewussten Wünsche betrachte ich, nach den Andeutungen aus der Psychoanalyse der Neurosen, als immer rege, jederzeit bereit, sich Ausdruck zu verschaffen, wenn sich ihnen Gelegenheit bietet, sich mit einer Regung aus dem Bewussten zu alliiren, ihre grosse Intensität auf deren geringere zu übertragen*)*).

*) Sie theilen diesen Charakter der Unzerstörbarkeit mit allen anderen wirklich unbewussten, d.h. dem System Ubw allein angehörigen seelischen Acten. Diese sind ein für allemale gebahnte Wege, die nie veröden und den Erregungsvorgang immer wieder zur Abfuhr leiten, so oft die unbewusste Erregung sie wiederbesetzt. Um § 974

Es muss dann zum Anschein kommen, als hätte allein der bewusste Wunsch sich im Traume realisirt; allein eine kleine Auffälligkeit in der Gestaltung dieses Traumes wird uns ein Fingerzeig werden, dem mächtigen Helfer aus dem Unbewussten auf die Spur zu kommen. Diese immer regen, so zu sagen unsterblichen Wünsche unseres Unbewussten, welche an die Titanen der Sage erinnern, auf denen seit Urzeiten die schweren Gebirgsmassen lasten, die einst von den siegreichen Göttern auf sie gewälzt wurden, und die unter den Zuckungen ihrer Glieder noch: jetzt von Zeit zu Zeit erbeben: — diese in der Verdrängung befindlichen Wünsche, sage ich, sind aber selbst infantiler Herkunft, wie wir durch die psychologische Erforschung der Neurosen erfahren. Ich möchte also den früher ausgesprochenen Satz, die Herkunft des Traumwunsches sei gleichgiltig, beseitigen und durch einen anderen ersetzen, der lautet: Der Wunsch, welcher sich im Traume darstellt, muss ein infantiler sein. Er stammt dann beim Erwachsenen aus dem Ubw; beim Kind, wo es die Sonderung und Censur zwischen Vbw und Ubw noch nicht giebt, oder wo sie sich erst allmählich herstellt, ist es ein unerfüllter, unverdrängter Wunsch des Wachlebens. Ich weiss, diese Anschauung ist nicht allgemein zu erweisen; aber ich behaupte, sie ist häufig zu erweisen, auch wo man es nicht vermuthet hätte, und ist nicht allgemein zu widerlegen.

§ 975

Die aus dem bewussten Wachleben erübrigten Wunschregungen lasse ich also für die Traumbildung in den Hintergrund treten. Ich will ihnen keine andere Rolle zugestehen, als etwa dem Material an actuellen Sensationen während des Schlafes für den Trauminhalt (vergl. Seite 157 u. ff.). Ich bleibe auf der Linie, die mir dieser Gedankengang vorschreibt, wenn ich jetzt die anderen psychischen Anregungen in Betracht ziehe, die vom Tagesleben übrig bleiben und die nicht Wünsche sind. Es kann uns gelingen, den Energiebesetzungen unseres wachen Denkens ein vorläufiges Ende zu machen, wenn wir beschliessen den Schlaf aufzusuchen. Wer das gut kann, der ist ein guter Schläfer; der erste Napoleon soll ein Muster dieser Gattung gewesen sein. Aber es gelingt uns nicht immer und nicht immer vollständig. Unerledigte Probleme, quälende Sorgen, eine Uebermacht von Eindrücken, setzen die Denkthätigkeit auch während des Schlafes fort und unterhalten seelische Vorgänge in dem System, das wir als das Vorbewusste bezeichnet haben. Wenn uns um eine Eintheilung dieser in den Schlaf sich fortsetzenden Denkregungen zu thun ist, so können wir folgende Gruppen derselben aufstellen: 1. Das während des Tages durch zufällige Abhaltung nicht zu Ende Gebrachte, 2. das durch Erlahmen unserer Denkkraft Unerledigte, das Ungelöste, 3. das bei Tage Zurückgewiesene und Unterdrückte. Dazu gesellt sich als eine mächtige 4. Gruppe, was durch die Arbeit des Vorbewussten tagsüber in unserem Ubw rege gemacht worden ist, und endlich können wir als 5. Gruppe anfügen: die indifierenten und darum unerledigt gebliebenen Eindrücke des Tages.

mich eines Gleichnisses zu bedienen: es gibt für sie keine andere Art der Vernichtung als für die Schatten der odysseischen Unterwelt, die zum neuen Leben erwachen, sobald sie Blut getrunken haben. Die vom vorbewussten System abhängigen Vorgänge sind in ganz anderem Sinne zerstörbar. Auf diesem Unterschiede ruht die Psychotherapie der Neurosen. § 976

Die psychischen Intensitäten, welche durch diese Reste des Tageslebens in den Schlafzustand eingeführt werden, zumal aus der Gruppe des Ungelösten, braucht man nicht zu unterschätzen. Sicherlich ringen diese Erregungen auch zur Nachtzeit nach Ausdruck, und ebenso sicher dürfen wir annehmen, dass der Schlafzustand die gewohnte Fortführung des Erregungsvorganges im Vorbewussten und deren Abschluss durch das Bewusstwerden unmöglich macht. Insoferne wir unserer Denkvorgänge auf dem normalen Wege bewusst werden können, auch zur Nachtzeit, insoferne schlafen wir eben nicht. Was für Veränderung der Schlafzustand im System Vbw hervorruft, weiss ich nicht anzugeben; aber es ist unzweifelhaft, dass die psychologische Charakteristik des Schlafes wesentlich in den Besetzungsveränderungen gerade dieses Systemes zu suchen ist, das auch den Zugang zu der im Schlaf gelühmten Motilität beherrscht. Im Gegensatze dazu wüsste ich von keinem Anlass aus der Psychologie des Traumes, der uns annehmen hiesse, dass der Schlaf anders als secundär in den Verhältnissen des Systems Ubw etwas verändere. Der nächtlichen Erregung im Vbw bleibt also kein anderer Weg als der, den die Wunscherregungen aus dem Ubw nehmen; sie muss die Verstärkung aus dem Ubw suchen und die Umwege der unbewussten Erregungen mitmachen. Wie stellen sich aber die vorbewussten Tagesreste zum Traume? Es ist kein Zweifel, dass sie reichlich in den Traum eindringen, dass sie den Trauminhalt benützen, um sich auch zur Nachtzeit dem Bewusstsein aufzudrängen; ja sie dominiren gelegentlich den Trauminhalt, nöthigen ihn, die Tagesarbeit fortzusetzen; es ist auch sicher, dass die Tagesreste jeden anderen Charakter ebensowohl haben können wie den der Wünsche; aber es ist dabei höchst lehrreich und für die Lehre von der Wunscherfüllung geradezu entscheidend zu sehen, welcher Bedingung sie sich fügen müssen, um in den Traum Aufnahme zu finden.

§ 977

Greifen wir eines der früheren Traumbeispiele heraus, z. B. den Traum, der mir Freund Otto mit den Zeichen der Basedow’schen Krankheit erscheinen lässt. (Seite 186.) Ich hatte am Tage eine Besorgnis gebildet, zu der mir das Aussehen Otto’s Anlass gab, und die Sorge ging mir nahe, wie Alles, was diese Person betrifft. Sie folgte mir auch, darf ich annehmen, in den Schlaf. Wahrscheinlich wollte ich ergründen, was ihm fehlen könnte. Zur Nachtzeit fand diese Sorge Ausdruck in dem Traume, den ich mitgetheilt habe, dessen Inhalt erstens unsinnig war und zweitens keiner Wunscherfüllung entsprach. Ich begann aber nachzuforschen, woher der unangemessene Ausdruck der bei Tag verspürten Besorgnis rühre, und durch die Analyse fand ich einen Zusammenhang, indem ich ihn mit einem Baron L., mich selbst aber mit Professor R. identificirte. Warum ich gerade diesen Ersatz des Tagesgedanken hatte wählen müssen, dafür gab es nur eine Erklärung. Zu der Identificirung mit Professor R. musste ich im Ubw immer bereit sein, da durch sie einer der unsterblichen Kinderwünsche, der Wunsch der Grössensucht, sich erfüllte. Hässliche, der Verwerfung bei Tage sichere Gedanken gegen meinen Freund hatten die Gelegenheit benutzt, sich zur Darstellung mit einzuschleichen, aber auch die Sorge des Tages war zu einer Art von Ausdruck durch einen Ersatz im Trauminhalte gekommen. Der Tagesgedanke, der an sich kein Wunsch, sondern im Gegentheil eine Besorgnis war, musste sich auf irgend einem Wege die Anknüpfung an einen infantilen, nun unbewussten und unterdrückten, Wunsch verschaffen, der ihn dann, wenn auch gehörig zugerichtet, für das Bewusstsein „entstehen“ liess. Je dominirender diese Sorge war, desto gewaltsamer durfte die herzustellende Verbindung sein; zwischen dem Inhalt des Wunsches und dem der Besorgnis brauchte ein Zusammenhang gar nicht zu bestehen und bestand auch keiner in unserem Beispiele.

§ 978

Ich kann es nun scharf bezeichnen, was der unbewusste Wunsch für den Traum bedeutet. Ich will zugeben, dass es eine ganze Classe von Träumen gibt, zu denen die Anregung vorwiegend oder selbst ausschliesslich. aus den Resten des Tageslebens stammt, und ich meine, selbst mein Wunsch, endlich einmal Professor extraordinarius zu werden, hätte mich diese Nacht in Ruhe schlafen lassen können, wäre nicht die Sorge um die Gesundheit meines Freundes vom Tage her noch rührig gewesen. Aber diese Sorge hätte noch keinen Traum gemacht; die Triebkraft, die der Traum bedurfte, musste von einem Wunsche beigesteuert werden; es war Sache der Besorgnis, sich einen solchen Wunsch als Triebkraft des Traumes zu verschaffen. Um es in einem Gleichnis zu sagen: Es ist sehr wohl möglich, dass ein Tagesgedanke die Rolle des Unternehmers für den Traum spielt; aber der Unternehmer, der, wie man sagt, die Idee hat und den Drang sie in That umzusetzen, kann doch ohne Capital nichts machen; er braucht einen Capitalisten, der den Aufwand bestreitet, und dieser Capitalist, der den psychischen Aufwand für den Traum beistellt, ist alle Male und unweigerlich, was immer auch der Tagesgedanke sein mag, ein Wunsch aus dem Unbewussten.

§ 979

Andere Male ist der Capitalist selbst der Unternehmer; das ist für den Traum sogar der gewöhnlichere Fall. Es ist durch die Tagesarbeit ein unbewusster Wunsch angeregt worden, und der schafft nun den Traum. Auch für alle anderen Möglichkeiten des hier als Beispiel verwendeten. wirthschaftliehen Verhältnisses bleiben die Traumvorgänge parallel; der Unternehmer kann selbst eine Kleinigkeit an Capital mitbringen; es können mehrere Unternehmer sich an denselben Capitalisten wenden; es können mehrere Capitalisten gemeinsam das für die Unternehmer Erforderliche zusammensteuern. So gibt es auch Träume, die von mehr als einem Traumwunsche getragen werden, und dergleichen Variationen mehr, die leicht zu übersehen sind und uns kein Interesse mehr bieten. Was an dieser Erörterung über den Traumwunsch noch unvollständig ist, werden wir erst später ergänzen können.

§ 980

Das Tertium comparationis der hier gebrauchten Gleichnisse, die in zugemessener Menge zur freien Verfügung gestellte Quantität, lässt noch feinere Verwendung zur Beleuchtung der Traumstructur zu. In den meisten Träumen lässt sich ein mit besonderer sinnlicher Intensität ausgestattetes Centrum erkennen, wie auf Seite 209 ausgeführt. Das ist in der Regel die directe Darstellung der Wunscherfüllung, denn, wenn wir die Verschiebungen der Traumarbeit rückgängig machen, finden wir die psychische Intensität der Elemente in den Traumgedanken durch die sinnliche Intensität der Elemente im Trauminhalt ersetzt. Die Elemente in der Nähe der Wunscherfüllung haben mit deren Sinn oft nichts zu thun, sondern erweisen sich als Abkömmlinge peinlicher, dem Wunsch zuwiderlaufender Gedanken. Durch den oft künstlich hergestellten Zusammenhang mit dem centralen Element haben sie aber soviel Intensität abbekommen, dass sie zur Darstellung fähig geworden sind. So diffundirt die darstellende Kraft der Wunscherfüllung über eine gewisse Sphäre von Zusammenhang, innerhalb deren alle Elemente, auch die an sich mittellosen, zur Darstellung gehoben werden. Bei Träumen mit mehreren treibenden Wünschen gelingt es leicht, dieSphären der einzelnen Wunscherfüllungen von einander abzugrenzen, oft auch die Lücken im Traume als Grenzzonen zu verstehen.

§ 981

Wenn wir auch die Bedeutung der Tagesreste für den Traum durch die vorstehenden Bemerkungen eingeschränkt haben, so verlohnt es doch der Mühe, ihnen noch einige Aufmerksamkeit zu schenken. Sie miissen doch ein nothwendiges Ingrediens der Traumbildung sein, wenn uns die Erfahrung mit der Thatsache überraschen kann, dass jeder Traum eine Anknüpfung an einen recenten Tageseindruck, oft der gleichgiltigsten Art, mit in seinem Inhalt erkennen lässt. Die Nothwendigkeit für diesen Zusatz zur Traummischung vermöchten wir noch nicht einzusehen. (Seite 124) Sie ergibt sich auch nur, wenn man an der Rolle des unbewussten Wunsches festhält und dann die Neurosenpsychologie um Auskunft befragt. Aus dieser erfährt man, dass die unbewusste Vorstellung als solche überhaupt unfähig ist in’s Vorbewusste einzutreten, und dass sie dort nur eine Wirkung zu äussern vermag, indem sie sich mit einer harmlosen, dem Vorbewussten bereits angehörigen Vorstellung in Verbindung setzt, auf sie ihre Intensität überträgt und sich durch sie decken lässt. Es ist dies die Thatsache der Uebertragung, welche für so viele auffällige Vorfälle im Seelenleben der Neurotiker die Aufklärung enthält. Die Uebertragung kann die Vorstellung aus dem Vorbewussten, welche somit zu einer unverdient grossen Intensität ge langt, unverändert lassen, oder ihr selbst eine Modification durch den Inhalt der übertragenden Vorstellung aufdrängen. Man verzeihe mir die Neigung zu Gleichnissen aus dem täglichen Leben, aber ich bin versucht zu sagen, die Verhältnisse liegen für die verdrängte Vorstellung ähnlich wie in unserem Vaterlande für den amerikanischen Zahnarzt, der seine Praxis nicht ausüben darf, wenn er sich nicht eines rite promovirten Doctors der Medicin als Aushängeschild und Deckung vor dem Gesetz bedient. Und ebenso wie es nicht gerade die beschäftigtesten Aerzte sind, die solche Alliancen mit dem Zahntechniker eingehen, so werden auch im Psychischen nicht jene vorbewussten oder bewussten Vorstellungen zur Deckung einer verdrängten erkoren, die selbst genügend von der im Vorbewussten thätigen Aufmerkkeit auf sich gezogen haben. Das Unbewusste umspinnt mit seinen Verbindungen vorzugsweise jene Eindrücke und Vorstellungen des Vorbewussten, die entweder als indifferent ausser Beachtung geblieben sind, oder denen diese Beachtung durch Verwerfung alsbald wieder entzogen wurde. Es ist ein bekannter Satz aus der Associationslehre, durch alle Erfahrung bestätigt, dass Vorstellungen, die eine sehr innige Verbindung nach der einen Seite angeknüpft haben, sich wie ablehnend gegen ganze Gruppen von neuen Verbindungen verhalten; ich habe einmal den Versuch gemacht, eine Theorie der hysterischen Lähmungen auf diesen Satz zu begründen.

§ 982

Wenn wir annehmen, dass das nämliche Bedürfnis zur Uebertragung von den verdrängten Vorstellungen aus, das uns die Analyse der Neurosen kennen lehrt, sich auch im Traume geltend macht, so erklären sich aueh mit einem Schlage zwei der Räthsel des Traumes, dass jede Traumanalyse eine Verwebung eines recenten Eindruckes nachweist, und dass dies recente Element oft von der gleichgiltigsten Art ist. Wir fügen hinzu, was wir bereits an anderer Stelle gelernt haben, dass diese recenten und indifferenten Elemente als Ersatz der allerältesten aus den Traumgedanken darum so häufig in den Trauminhalt gelangen, weil sie gleichzeitig von der Widerstandscensur am wenigsten zu befürchten haben. Während aber die Censurfreiheit uns nur die Bevorzugung der trivialen Elemente anfklärt, lässt die Constanz der recenten Elemente auf die Nöthigung zur Uebertragung durchblicken. Dem Anspruch des Verdrängten auf noch associationsfreies Material gentigen beide Gruppen von Eindrücken, die indifferenten, weil sie zu ausgiebigen Verbindungen keinen Anlass geboten haben, die recenten, weil dazu noch die Zeit gefehlt hat.

§ 983

Wir sehen so, dass die Tagesreste, denen wir die indifferenten Eindrücke jetzt zurechnen dürfen, nicht nur vom Ubw etwas entlehnen, wenn sie an der Traumbildung Antheil gewinnen, nämlich die Triebkraft, über die der verdrängte Wunsch verfügt, sondern dass sie auch dem Unbewussten etwas unentbehrliches bieten, die nothwendige Anheftung zur Uebertragung. Wollten wir hier in die seelischen Vorgänge tiefer eindringen, so müssten wir das Spiel der Erregungen zwischen Vorbewusstem und Unbewusstem schärfer be leuchten, wozu wohl das Studium der Psychoneurosen drängt, aber gerade der Traum keinen Anhalt bietet.

§ 984

Nur noch eine Bemerkung über die Tagesreste. Es ist kein Zweifel, dass sie die eigentlichen Störer des Schlafes sind, und nicht der Traum, der sich vielmehr bemüht den Schlaf zu hüten. Hierauf werden wir noch später zurückkommen.

§ 985

Wir haben bisher den Traumwunsch verfolgt, ihn aus dem Gebiet des Ubw abgeleitet und sein Verhältnis zu den Tagesresten zergliedert, die ihrerseits Wünsche sein können oder psychische Regungen irgend welcher anderen Art oder einfach recente Eindrücke. Wir haben so Raum geschaflen für die Ansprüche, die man zu Gunsten der traumbildenden Bedeutung der wachen Denkarbeit in all ihrer Mannigfaltigkeit erheben kann. Es wäre nicht einmal unmöglich, dass wir auf Grund unserer Gedankenreihe selbst jene extremen Fälle aufklären, in denen der Traum als Fortsetzer der Tagesarbeit eine ungelöste Aufgabe des Wachens zum glücklichen Ende bringt. Es mangelt uns nur an einem Beispiel solcher Art, um durch dessen Analyse die infantile oder verdrängte Wunschquelle aufzudecken, deren Heranziehung die Bemühung der vorbewussten Thätigkeit so erfolgreich verstärkt hat. Wir sind aber um keinen Schritt der Lösung des Räthsels näher gekommen, warum das Unbewusste im Schlafe nichts anderes bieten kann als die Triebkraft zu einer Wunscherfüllung? Die Beantwortung dieser Frage muss ein Licht auf die psychische Natur des Wünschens werfen; sie soll an der Hand des Schemas vom psychischen Apparat gegeben werden.

§ 986

Wir zweifeln nicht daran, dass auch dieser Apparat seine heutige Vollkommenheit erst über den Weg einer langen Entwickelung erreicht hat. Versuchen wir’s, ihn in eine frühere Stufe seiner Leistungsfähigkeit zurückzuversetzen. Anderswie zu begründende Annahmen sagen uns, dass der Apparat zunächst dem Bestreben folgte, sich möglichst reizlos zu erhalten, und darum in seinem ersten Aufbau das Schema des Reflexapparates annahm, das ihm gestattete, eine von aussen an ihn anlangende sensible Erregung alsbald auf motorischem Wege abzuführen. Aber die Noth des Lebens stört diese einfache Function; ihr verdankt der Apparat auch den Anstoss zur weiteren Ausbildung. In der Form der grossen Körperbedürfnisse tritt die Noth des Lebens zuerst an ihn heran. Die durch das innere Bedürfnis gesetzte Erregung wird sich einen Abfluss in die Motilität suchen, die man als „Innere Veränderung“ oder als „Ausdruck der Gemüthsbewegung“ bezeichnen kann. Das hungerige Kind wird hilflos schreien oder zappeln. Die Situation bleibt aber unverändert, denn die vom inneren Bedürfnis ausgehende Erregung entspricht nicht einer momentan stossenden, sondern einer continuirlich wirkenden Kraft. Eine Wendung kann erst eintreten, wenn auf irgend einem Wege, beim Kinde durch fremde Hilfeleistung, die Erfahrung des Befriedigungserlebnisses gemacht wird, das den inneren Reiz aufhebt. Ein wesentlicher Bestandtheil dieses Erlebnisses ist das Erscheinen einer gewissen Wahrnehmung (der Speise im Beispiel), deren Erinnerungsbild von jetzt an mit der Gedächtnisspur der Bedürfniserregung associirt bleibt. Sobald dies Bedürfnis ein nächstes Mal auftritt, wird sich, Dank der hergestellten Verknüpfung, eine psychische Regung ergeben, welche das Brinnerungsbild jener Wahrnehmung wieder besetzen und die Wahrnehmung selbst wieder hervorrufen, also eigentlich die Situation der ersten Befriedigung wiederherstellen will. Eine solche Regung ist das, was wir einen Wunsch heissen; das Wiedererscheinen der Wahrnehmung ist die Wunscherfüllung, und die volle Besetzung der Wahrnehmung von der Bedürfniserregung her der kürzeste Weg zur Wunscherfüllung. Es hindert uns nichts, einen primitiven Zustand des psychischen Apparates anzunehmen, in dem dieser Weg wirklich so begangen wird, das Wünschen alsoin ein Halluciniren ausläuft. Diese erste psychische Thätigkeit zielt also auf eine Wahrnehmungsidentität, nämlich auf die Wiederholung jener Wahrnehmung, welche mit der Befriedigung des Bedürfnisses verknüpft ist.

§ 987

Eine bittere Lebenserfahrung muss diese primitive Denkthätigkeit zu einer zweckmässigeren, secundären, modificirt haben. Die Herstellung der Wahrnehmungsidentität auf dem kurzen regredienten Wege im Innern des Apparates hat an anderer Stelle nicht die Folge, welche mit der Besetzung derselben Wahrnehmung von aussen her verbunden ist. Die Befriedigung tritt nicht ein, das Bedürfnis dauert fort. Um die innere Besetzung der äusseren gleichwerthig zu machen, müsste dieselbe fortwährend aufrecht erhalten werden, wie es in den hallucinatorischen Psychösen und in den Hungerphantasien auch wirklich geschieht, die ihre psychische Leistung in der Festhaltung des gewünschten Objectes erschöpfen. Um eine zweekmässigere Verwendung der psychischen Kraft zu erreichen, wird es nothwendig, die volle Regression aufzuhalten, so dass sie nicht über das Erinnerungsbild Hinausgeht und von diesem aus andere Wege suchen kann, die schliesslich zur Herstellung der gewünschten Identität von der Aussenwelt her führen. Diese Hemmung sowie die darauf folgende Ablenkung der Erregung wird zur Aufgabe eines zweiten Systems, welches die willkürliche Motilität beherrscht, d. h. an dessen Leistung sich erst die Verwendung der Motilität zu vorher erinnerten Zwecken anschliesst. All die complicirte Denkthätigkeit aber, welche sich vom Erinnerungsbild bis zur Herstellung der Wahrnehmungsidentität durch die Aussenwelt fortspinnt, stellt doch nur einen durch die Erfahrung nothwendig gewordenen Umweg zur Wunscherfüllung dar.*)*) Das Denken ist doch nichts anderes als der Ersatz des hallucinatorischen Wunsches, und wenn der Traum eine Wunscherfüllung ist, so wird das eben selbstverständlich, da nichts anderes als ein Wunsch unseren seelischen Apparat zur Arbeit anzutreiben vermag. Der Traum, der seine Wünsche auf kurzem regredienten Wege erfüllt, hat uns hiemit nur eine Probe der primären, als unzweekmässig verlassenen Arbeitsweise des psychischen Apparates aufbewahrt. In das Nachtleben scheint verbannt. was einst im Wachen herrsehte, als das psychische Leben noch jung und untüchtig war, etwa wie wir in der Kinderstube die abgelegten primitiven Waffen der erwachsenen Menschheit, Pfeil und Bogen, wiederfinden. Das Träumen ist ein Stück des überwundenen Kinderseelenlebens. In den Psychosen werden diese sonst im Wachen unterdrückten Arbeitsweisen des psychischen Apparates sich wiederum Geltung erzwingen und dann ihre Unfähigkeit zur Befriedigung unserer Bedürfnisse gegen die Aussenwelt an den Tag legen.

*) Von der Wunscherfüllung des Traumes rühmt Le Lorrain 45) mit Recht: „Sans fatigue sérieuse, sans être obligé de recourir à cette lutte opiniâtre et longue qui use et corrode les jouissanees poursuivies.“ § 988

Die unbewussten Wunschregungen streben offenbar auch bei Tage sich geltend zu machen, und die Thatsache der Uebertragung, sowie die Psychosen belehren uns, dass sie auf dem Wege durch das System des Vorbewussten zum Bewusstsein und zur Beherrschung der Motilität durchdringen möchten. In der Censur zwischen Ubw und Vbw, deren Annahme uns der Traum geradezu aufnöthigt, haben wir also den Wächter unserer geistigen Gesundheit zu erkennen und zu ehren. Ist es nun nicht eine Unvorsichtigkeit dieses Wächters, dass er zur Nachtzeit seine Thätigkeit verringert, die unterdrückten Regungen des Ubw zum Ausdrucke kommen lässt, die hallucinatorische Regression wieder ermöglicht? Ich denke nicht, denn wenn sich der kritische Wächter zur Ruhe begibt, — wir haben die Beweise dafür, dass er doch nicht tief schlummert — so schliesst er auch das Thor zur Motilität. Welche Regungen aus dem sonst gehemmten Ubw sich auch auf dem Schauplatz tummeln mögen, man kann sie gewähren lassen, sie bleiben harmlos, weil sie nicht im Stande sind, den motorischen Apparat in Bewegung zu setzen, welcher allein die Aussenwelt verändernd beeinflussen kann. Der Schlafzustand garantirt die Sicherheit der zu bewachenden Festung. Minder harmlos gestaltet es sich, wenn die Kräfteverschiebung nicht durch den nächtlichen Nachlass im Kräfteaufwand der kritischen Censur, sondern durch pathologische Schwächung derselben oder durch pathologische Verstärkung der unbewussten Erregungen hergestellt wird, so lange das Vorbewusste besetzt und die Thore zur Motilität offen sind. Dann wird der Wächter überwältigt, die unbewussten Erregungen unterwerfen sich das Vbw, beherrschen von ihm aus unser Reden und Handeln, oder erzwingen sich die hallucinatorische Regression und lenken. den nicht für sie bestimmten Apparat vermöge der Anziehung, welche die Wahrnehmungen auf die Vertheilung unserer psychischen Energie ausüben. Diesen Zustand heissen wir Psychose.

§ 989

Wir befinden uns da auf dem besten Wege, an dem psychologischen Gerüste weiter zu bauen, das wir mit der Einfügung der beiden Systeme Ubw und Vbw verlassen haben. Wir haben aber noch Motive genug, bei der Würdigung des Wunsches als einziger psychischer Triebkraft für den Traum zu verweilen. Wir haben die Aufklärung entgegengenommen, dass der Traum darum jedesmal eine Wunscherfüllung ist, weil er eine Leistung des Systems Ubw ist, welches kein anderes Ziel seiner Arbeit als Wunscherfüllung kennt und über keine anderen Kräfte als die der Wunschregungen verfügt. Wenn wir nun auch nur einen Moment länger an dem Recht festhalten wollen, von der Traumdeutung aus so weitgreifende psychologische Speculationen aufzuführen, so obliegt uns die Verpflichtung zu zeigen, dass wir durch sie den Traum in einen Zusammenhang einreihen, welcher auch andere psychische Bildungen umfassen kann. Wenn ein System des Ubw — oder etwas ihm für unsere Erörterungen analoges — existirt, so kann der Traum nicht dessen einzige Aeussezung sein; jeder Traum mag eine Wunscherfüllung sein, aber es muss noch andere Formen abnormer Wunscherfüllungen geben als die Träume. Und wirklich gipfelt die Theorie aller psychoneurotischen Symptome in dem einen Satz, dass auch sie als Wunscherfüllungen des Unbewussten aufgefasst werden müssen. Der Traum wird durch unsere Auiklärung nur das erste Glied einer für den Psychiater höchst bedeutungsvollen Reihe, deren Verständnis die Lösung des rein psycholo ischen Antheils der psychiatrischen Aufgabe bedeutet. Von anderen Gliedern dieser Reihe von Wunscherfüllungen, z. B. von den hysterischen Symptomen, kenne ich aber einen wesentlichen Charakter, den ich am Traume noch vermisse. Ich weiss nämlich aus den im Laufe dieser Abhandlung oftmals angedeuteten Untersuchungen, dass zur Bildung eines Tysterischen Symptoms beide Strömungen unseres Seelenlebens zusammentreffen müssen. Das Symptom ist nicht blos der Ausdruck eines realisirten unbewussten Wunsches; es muss noch ein Wunsch aus dem Vorbewussten dazukommen, der sich durch das nämliche Symptom erfüllt, so dass das Symptom mindestens zweifach determinirt wird, je einmal von einem der im Conflict befindlichen Systeme her. Einer weiteren Ueberdeterminirung sind — ähnlich wie beim Traum — keine Schranken gesetzt. Die Determinirung, die nicht dem Ubw entstammt, ist, soviel ich sehe, regelmässig ein Gedankenzug der Reaktion gegen den unbewussten Wunsch, z. B. eine Selbstbestrafung. Ich kann also ganz allgemein sagen, ein hysterisches Sympton entsteht nur dort, wo zwei gegensätzliche Wunscherfüllungen, jede aus der Quelle eines anderen psychischen Systems, in einem Ausdruck zusammentreffen können. Beispiele würden hier wenig fruchten, da nur die vollständige Enthüllung der vorliegenden Complication Ueberzeugung erwecken kann. Ich lasse es darum bei der Behauptung und bringe ein Beispiel blos seiner Anschaulichkeit, nicht seiner Beweiskraft wegen. Das hysterische Erbrechen also bei einer Patientin erwies sich einerseits als die Erfüllung einer unbewussten Phantasie aus

§ 990

Dieser festgehaltene Wunsch des Vorbewussten zu schlafen, wirkt nun ganz allgemein erleichternd auf die Traumbildung. Denken wir an den Traum des Vaters, den der Lichtschein aus dem Todtenzimmer zur Folgerung anregt, die Leiche könne in Brand gerathen sein. Wir haben als die eine der psychischen Kräfte, die den Ausschlag dafür geben, dass der Vater im Traume diesen Schluss zieht, anstatt sich durch den Lichtschein weeken zu lassen, den Wunsch aufgewiesen, der das Leben des im Traume vorgestellten Kindes um den einen Moment verlängert. Andere aus dem Verdrängten stammenden Wünsche entgehen uns wahrscheinlich, weil wir die Analyse dieses Traumes nicht machen können. Aber als zweite Triebkraft dieses Traumes dürfen wir das Schlafbedürfnis des Vaters hinzunehmen; sowie durch den Traum das Leben des Kindes, so wird auch der Schlaf des Vaters um einen Moment verlängert. Den Traum gewähren lassen, heisst diese Motivirung, sonst muss ich erwachen. Wie bei diesem Traume, so leiht auch bei allen anderen der Schlafwunsch dem unbewussten Wunsch seine Unterstützung. Wir haben auf Seite 161 von Träumen berichtet, die sich offenkundig als Bequemlichkeitsträume geben. Eigentlich haben alle Träume Anspruch auf diese Bezeichnung. Bei den Weckträumen, die den äusseren Sinnesreiz so verarbeiten, dass er mit der Fortsetzung des Schlafens verträglich wird, ihn in einen Traum verweben, um ihm die Ansprüche zu entreissen, die er als Mahnung an die Aussenwelt erheben könnte, ist die Wirksamkeit des Wunsches, weiter zu schlafen, am leichtesten zu erkennen. Derselbe muss aber ebenso seinen Antheil an der Gestattung aller anderen Träume haben, die nur von innen her als Wecker am Schlafzustand rütteln können. Was das Vbw in manchen Fällen dem Bewusstsein mittheilt, wenn der Traum es zu arg treibt: Aber lass’ doch und schlaf’ weiter, es ist ja nur ein Traum; das beschreibt, auch ohne dass es laut wird, ganz allgemein das Verhalten unserer herrschenden Seelenthätigkeit gegen das Träumen. Ich muss die Folgerung ziehen, dass wir den ganzen Schlafzustand über ebenso sieher wissen, dass wir träumen, wie wir es wissen, dass wir schlafen. Es ist durchaus nothwendig, den Einwand dagegen gering zu schätzen, dass unser Bewusstsein auf das eine Wissen nie gelenkt wird, auf das andere nur bei bestimmtem Anlass, wenn sich die Censur wie überrumpelt fühlt.

*) Diesen Gedanken entlehne ich der Schlaftheorie von Liébault, des Erweckers der hypnotischen Forschung in unseren Tagen. (Du sommeil provoqué etc., Paris, 1889.) § 991

d) Das Wecken durch den Traum. Die Function des Traumes. Der Angsttraum.

§ 992

Seitdem wir wissen, dass das Vorbewusste über die Nacht auf den Wunsch zu schlafen eingestellt ist, können wir den Traumvorgang mit Verständnis weiter verfolgen. Wir fassen aber zunächst unsere bisherige Kenntnis desselben zusammen. Es seien also von der Wacharbeit Tagesreste übrig geblieben, denen sich die Energiebesetzung nicht völlig entziehen liess. Oder es sei durch die Wacharbeit tagsüber einer der unbewussten Wünsche rege geworden, oder es treffe beides zusammen; wir haben die hier mögliche Mannigfaltigkeit bereits erörtert. Schon im Laufe des Tages oder erst mit Herstellung des Schlafzustandes hat der unbewusste Wunsch sich den Weg zu den Tagesresten gebahnt, seine Uebertragung auf sie bewerkstelligt. Es entsteht nun ein auf das recente Material übertragener Wunsch, oder der unterdrückte recente Wunsch hat sich durch Verstärkung aus dem Unbewussten neu belebt. Er möchte nun auf dem normalen Wege der Gedankenvorgänge durch das Vbw, dem er mit einem Bestandtheil ja angehört, zum Bewusstsein vordringen. Aber er stösst auf die Censur, die noch besteht, und deren Einfluss er jetzt unterliegt. Hier nimmt er die Entstellung an, die schon durch die Uebertragung auf das Recente angebahnt war. Bis jetzt ist er nun auf dem Wege, etwas ähnliches zu werden wie eine Zwangsvorstellung, eine Wahnidee u. dgl., nämlich ein durch Uebertragung verstärkter, durch Censur im Ausdruck entstellter Gedanke. Nun aber gestattet der Schlafzustand des Vorbewussten nicht das weitere Vordringen; wahrscheinlich hat sich das System durch Herabsetzung seiner Erregungen gegen das Eindringen geschützt. Der Traumvorgang sehlägt also den Weg der Regression ein, der gerade durch die Eigenthümlichkeit des Schlafzustandes eröffnet ist, und folgt dabei der Anziehung, welche Erinnerungsgruppen auf ihn ausüben, die zum Theil selbst nur als visuelle Besetzungen, nicht als Uebersetzung in die Zeichen der späteren Systeme vorhanden sind. Auf dem Wege zur Regression erwirbt er die Darstellbarkeit. Von der Compression werden wir später handeln. Er hat jetzt das zweite Stück seines mehrmals geknickten Verlaufes zurückgelegt. Das erste Stück spann sich progredient von den unbewussten Scenen oder Phantasien zum Vorbewussten; das zweite Stück strebt von der Censurgrenze an wieder zu den Wahrnehmungen hin. Wenn der Traumvorgang aber Wahrnehmungsinhalt geworden ist, so hat er das ihm durch Censur und Schlafzustand im Vbw gesetzte Hindernis gleichsam umgangen. Es gelingt ihm, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und vom Bewusstsein bemerkt zu werden. Das Bewusstsein nämlich, dass uns ein Sinnesorgan für die Auffassung psychischer Qualitäten bedeutet, ist im Wachen von zwei Stellen her erregbar. Von der Peripherie des ganzen Apparates, dem Wahrnehmungssystem, in erster Linie; ausserdem von den Lust- und Unlusterregungen, die sich als einzige psychische Qualität bei den Energieumsetzungen im Innern des Apparates ergeben. Alle Vorgänge in den ψ-Systemen sonst, auch die im Vbw, entbehren jeder psychischen Qualität und sind darum kein Object des Bewusstseins, insoferne sie ihm nicht Lust oder Unlust zur Wahrnehmung liefern. Wir werden uns zur Annahme entschliessen müssen, dass diese Lustund Unlustentbindungen automatisch den Ablauf der Besetzungsvorgänge reguliren. Es hat sich aber später die Nothwendigkeit herausgestellt, zur Ermöglichung feinerer Leistungen den Vorstellungsablauf unabhängiger von den Unlustzeichen zu gestalten. Zu diesem Zwecke bedurfte das Vbw-System eigener Qualitäten, die das Bewusstsein anziehen könnten, und erhielt sie höchst wahrscheinlich durch die Verknüpfung der vorbewussten Vorgänge mit dem nicht qualitätslosen Erinnerungssystem der Sprachzeichen. Durch die Qualitäten dieses Systems wird jetzt das Bewusstsein, das vorher nur Sinnesorgan für die Wahrnehmungen war, auch zum Sinnesorgan für einen Theil unserer Denkvorgänge. Es gibt jetzt gleichsam zwei Sinnesoberflächen, die eine dem Wahrnehmen, die andere den vorbewussten Denkvorgängen zugewendet.

§ 993

Ich muss annehmen, dass die dem Vbw zugewendete Sinnesfläche des Bewusstseins durch den Schlafzustand weit unerregbarer gemacht wird, als die gegen die W-Systeme gerichtete. Das Auf geben des Interesses für die nächtlichen Denkvorgänge ist ja auch zweckmässig. Es soll im Denken nichts vorfallen; das Vbw verlangt zu schlafen. Ist der Traum aber einmal Wahrnehmung geworden, so vermag er dureh die jetzt gewonnenen Qualitäten das Bewusstsein zu erregen. Diese Sinneserregung leistet das, worin überhaupt ihre Funetion besteht; sie dirigirt einen Theil der im Vbw verfügbaren Besetzungsenergie als Aufmerksamkeit auf das Erregende. So muss man also zugeben, dass der Traum jedesmal weckt, einen Theil der ruhenden Kraft des Vbw in Thätigkeit versetzt. Er erfährt nun von dieser jene Beeinflussung, die wir als seeundäre Bearbeitung mit Rücksicht auf Zusammenhang und Verständlichkeit bezeichnet haben. Das will besagen, der Traum wird von ihr behandelt wie jeder andere Wahrnehmungsinhalt; er wird denselben Erwartungsvorstellungen unterzogen, soweit sein Material sie eben zulässt. Soweit bei diesem dritten Stück des Traumvorganges eine Ablaufsrichtung in Betracht kommt, ist es wieder die progrediente.

§ 994

Zur Verhütung von Missverständnissen wird ein Wort über die zeitlichen Eigenschaften dieser Traumvorgänge wohl angebracht sein. Ein sehr anziehender Gedankengang Goblot’s29), der offenbar durch das Räthsel des Maury’schen Guillotinentraumes angeregt ist, sucht darzuthun, dass der Traum keine andere Zeit in Anspruch nimmt als die der Uebergangsperiode zwischen Schlafen und Erwachen. Das Erwachen braucht Zeit; in dieser Zeit füllt der Traum vor. Man meint, das letzte Bild des Traumes war so stark, dass es zum Erwachen nöthigte. In Wirkliehkeit war es nur darum so stark, weil wir bei ihm dem Erwachen schon so nahe waren. „Un rêve c’est un réveil qui commence“.

§ 995

Es ist schon von Dugas 18) hervorgehoben worden, dass Goblot viel Thatsächliches beseitigen muss, um seine These allgemein zu halten. Es gibt auch Träume, aus denen man nieht erwacht, z. B. manche, in denen man träumt, dass man träumt. Nach unserer Kenntnis der Traumarbeit können wir unmöglich zugeben, dass sie sich nur über die Periode des Erwachens erstrecke. Es muss uns im Gegentheil wahrscheinlich werden, dass das erste Stück der Traumarbeit bereits am Tage, noch unter der Herrschaft des Vorbewussten beginnt. Das zweite Stück derselben, die Veränderung durch die Censur, die Anziehung durch die unbewussten Scenen, das Durchdringen zur Wahrnehmung, das geht wohl die ganze Nacht hindurch fort, und insoferne dürften wir immer Recht haben, wenn wir eine Empfindung angeben, wir hätten die ganze Nacht geträumt, auch wenn wir nicht zu sagen wissen, was. Ich glaube aber nicht, dass es nothwendig ist anzunehmen, die Traumvorgänge hielten bis zum Bewusstwerden wirklich die zeitliche Folge ein, die wir beschrieben haben; es sei zuerst der übertragene Traumwunsch vorhanden, dann gehe die Entstellung durch die Censur vor sich, darauf folge die Richtungsänderung zur Regression u. s. w. Wir haben eine solche Succession bei der Beschreibung herstellen müssen: in Wirklichkeit handelt es sich wohl vielmehr um gleichzeitiges Erproben dieser und jener Wege, um ein Hin- und Herwogen der Erregung, bis endlich durch deren zweckmässigste Anhäufung gerade die eine Gruppirung die bleibende wird. Ich möchte selbst nach gewissen persönlichen Erfahrungen glauben, dass die Traumarbeit oft mehr als einen Tag und eine Nacht braucht, um ihr Ergebnis zu liefern, wobei dann die ausserordentliche Kunst im Aufbau des Traumes alles Wunderbare verliert. Selbst die Rücksicht auf die Verständlichkeit als Wahrnehmungsereignis kann meiner Meinung nach zur Wirkung kommen, ehe der Traum das Bewusstsein an sich zieht. Von da an erfährt der Vorgang allerdings eine Beschleunigung, da der Traum ja jetzt dieselbe Behandlung erfährt wie etwas anderes Wahrgenommenes. Es ist wie mit einem Feuerwerk, das Stunden lang hergerichtet und dann in einem Moment entzündet wird.

§ 996

Durch die Traumarbeit gewinnt der Traumvorgang nun entweder die genügende Intensität, um das Bewusstsein auf sich zu ziehen und das Vorbewusste zu wecken, ganz unabhängig von der Zeit und Tiefe des Schlafes; oder seine Intensität ist dazu nicht genügend, und er muss bereit bleiben, bis ihm unmittelbar vor dem Erwachen die beweglicher gewordene Aufmerksamkeit entgegenkommt. Die meisten Träume scheinen mit vergleichsweise geringen psychischen Intensitäten zu arbeiten, denn sie warten das Erwachen ab. Es erklärt sich so aber auch, dass wir in der Regel etwas Geträumtes wahrnehmen, wenn man uns plötzlich aus tiefem Schlafe reisst. Der erste Blick dabei wie beim spontanen Erwachen trifft den von der Traumarbeit geschaffenen Wohrnehmungsinhalt, der nächste dann den von aussen gegebenen.

§ 997

Das grössere theoretische Interesse wendet sich aber den Träumen zu, die mitten im Schlafe zu wecken vermögen. Man darf der sonst überall nachweisbaren Zweckmässigkeit gedenken und sich fragen, warim dem Traum, also dem unbewussten Wunsch, die Macht gelassen wird, den Schlaf, also die Erfüllung des vorbewussten Wunsches, zu stören. Es muss das wohl an Energierelationen liegen, in welche uns die Einsicht fehlt. Besässen wir diese, so würden wir wahrscheinlich finden, dass das Gewährenlassen des Traumes und der Aufwand einer gewissen detachirten Aufmerksamkeit für ihn eine Ersparnis an Energie darstellt gegen den Fall, dass das Unbewusste Nachts ebenso in Schranken gehalten werden sollte wie Tagsüber. Wie die Erfahrung zeigt, bleibt das Träumen, selbst wenn es mehrmals in einer Nacht den Schlaf unterbricht, mit dem Schlafen vereinbar. Man erwacht für einen Moment und schläft sofort wieder ein. Es ist, wie wenn man schlafend eine Fliege wegscheucht; man erwacht ad hoc. Wenn man wieder einschläft, hat man die Störung beseitigt. Die Erfüllung des Schlafwunsches ist, wie bekannte Beispiele vom Ammenschlaf u. dgl. zeigen, ganz gut mit der Unterhaltung eines gewissen Aufwandes von Aufmerksamkeit nach einer bestimmten Richtung vereinbar.

§ 998

Hier verlangt aber ein Einwand gehört zu werden, der auf einer besseren Kenntnis der unbewussten Vorgänge fusst. Wir haben selbst die unbewussten Wünsche als immer rege bezeichnet. Trotzdem seien sie bei Tag nicht stark genug, sich vernehmbar zu machen. Wenn aber der Schlafzustand besteht, und der unbewusste Wunsch die Kraft gezeigt hat, einen Traum zu bilden und mit ihm das Vorbewusste zu wecken, warum versiegt diese Kraft, nachdem der Traum zur Kenntnis genommen worden ist? Sollte der Traum sich nicht vielmehr fortwährend erneuern, gerade wie die störende Fliege es liebt, immer wieder nach ihrer Vertreibung wiederzukehren? Mit welchem Recht haben wir behauptet, dass der Traum die Schlafstörung beseitigt?

§ 999

Es ist ganz richtig, dass die unbewussten Wünsche immer rege bleiben. Sie stellen Wege dar, die immer gangbar sind, so oft ein Erregungsquantum sich ihrer bedient. Es ist sogar eine hervorragende Besonderheit unbewusster Vorgänge, dass sie unzerstörbar bleiben. Im Unbewussten ist nichts zu Ende zu bringen, ist nichts vergangen oder vergessen. Man bekommt hievon den stärksten Eindruck beim Studium der Neurosen, speciell der Hysterie. Der unbewusste Gedankenweg, der zur Entladung im Anfall führt, ist sofort wieder gangbar, wenn sich genug Erregung angesammelt hat. Die Kränkung, die vor dreissig Jahren vorgefallen ist, wirkt, nachdem sie sich den Zugang zu den unbewussten Affectquellen verschaftt hat, alle die dreissig Jahre wie eine frische. So oft ihre Erinnerung angerührt wird, lebt sie wieder auf und zeigt sich mit Erregung besetzt, die sich in einem Anfall motorische Abfuhr verschafft. Gerade hier hat die Psychotherapie einzugreifen. Ihre Aufgabe ist es, für die unbewussten Vorgänge eine Erledigung und ein Vergessen zu schaffen. Was wir nämlich geneigt sind, für selbstverständlich zu halten und für einen primären Einfluss der Zeit auf die seelischen Erinnerungsreste erklären, das Abblassen der Erinnerungen und die Affectschwäche der nicht mehr recenten Eindrücke, das sind in Wirklichkeit secundäre Veränderungen, die durch mühevolle Arbeit zu Stande kommen. Es ist das Vorbewusste, welches diese Arbeit leistet, und die Psychotherapie kann keinen andern Weg einschlagen, als das Ubw der Herrschaft des Vbw zu unterwerfen.

§ 1000

Für den einzelnen unbewussten Erregungsvorgang gibt es also zwei Ausgänge. Entweder er bleibt sich selbst überlassen, dann bricht er endlich irgendwo durch und schafft seiner Erregung für dies eine Mal einen Abfluss in die Motilität, oder er unterliegt der Beeinflussung des Vorbewussten, und seine Erregung wird durch dasselbe gebunden anstatt abgeführt. Letzteres aber geschieht beim Traumvorgang. Die Besetzung, die dem zur Wahrnehmun gewordenen Traum von Seiten des Vbw entgegenkommt, weil sie durch die Bewustseinserregung hingelenkt worden ist, bindet die unbewusste Erregung des Traumes und macht sie als Störung unschädlich. Wenn der Träumer für einen Augenblick erwacht, so hat er wirklich die Fliege weggescheucht, die den Schlaf zu stören drohte. Es kann uns jetzt ahnen, dass es wirklich zweckmässiger und wohlfeiler war, den unbewussten Wunsch gewähren zu lassen, ihm den Weg zur Regression frei zu geben, damit er einen Traum bilde, und dann diesen Traum durch einen kleinen Aufwand von vorbewusster Arbeit zu binden und zu erledigen, als das Unbewusste auch die ganze Zeit des Schlafens über im Zaume zu halten. Es stand ja zu erwarten, dass der Traum, auch wenn er ursprünglich kein zweckmässiger Vorgang war, im Kräftespiel des seelischen Lebens sich einer Function bemächtigt haben würde. Wir sehen, welches diese Function ist. Er hat die Aufgabe übernommen, die frei gelassene Erregung des Ubw wieder unter die Herrschaft des Vorbewussten zu bringen; er führt dabei die Erregung des Ubw ab, dient ihm als Ventil und sichert gleichzeitig gegen einen geringen Aufwand an Wachthätigkeit den Schlaf des Vorbewussten. So stellt er sich als ein Compromiss, ganz wie die anderen psychischen Bildungen seiner Reihe, gleichzeitig in den Dienst der beiden Systeme, indem er beider Wünsche, insoweit sie mit einander verträglich sind, erfüllt. Ein Blick auf die Seite 55 mitgetheilte Robert’sche „Ausscheidungstheorie“ wird zeigen, dass wir diesem Autor in der Hauptsache, in der Bestimmung der Function des Traumes, Recht geben müssen, während wir in den Voraussetzungen und in der Würdigung des Traumvorganges von ihm abweichen.

§ 1001

Die Einschränkung, insofern beide Wünsche mit einander verträglich sind, enthält einen Hinweis auf die möglichen Fülle, in denen die Function des Traumes zum Scheitern gelangt. Der Traumvorgang wird zunächst als Wunscherfüllung des Unbewussten zugelassen; wenn diese versuchte Wunscherfüllung am Vorbewussten so intensiv rüttelt, dass dies seine Ruhe nicht mehr bewahren kann, so hat der Traum das Compromiss gebrochen, das andere Stück seiner Aufgabe nicht mehr erfüllt. Er wird dann sofort abgebrochen und durch das volle Erwachen ersetzt. Es ist eigentlich auch hier nicht die Schuld des Traumes, wenn er, sonst der Hüter des Schlafes, als Störer desselben auftreten muss, und braucht uns gegen seine Zweckmässigkeit nicht einzunehmen. Es ist dies nicht der einzige Fall im Organismus, dass eine sonst zweckmässige Einrichtung unzweckmässig und störend wird, sobald an den Bedingungen ihres Entstehens etwas geändert ist, und dann dient die Störung wenigstens dem neuen Zweck, die Veränderung anzuzeigen und die Regulirungsmittel des Organismus wider sie wach zu rufen. Ich habe natürlich den Fall des Angsttraumes im Auge, und um nicht dem Anscheine Recht zu geben, dass ich diesem Zeugen gegen die Theorie der Wunscherfüllung ausweiche, wo immer ich auf ihn stosse, will ich der Erklärung des Angsttraumes wenigstens mit Andeutungen näher treten.

§ 1002

Dass ein psychischer Vorgang, der Angst entwickelt, darum doch eine Wunscherfüllung sein kann, enthält für uns längst keinen Widerspruch mehr. Wir wissen uns das Vorkommnis so zu erklären, dass der Wunsch dem einen System, dem Ubw, angehört, während das System des Vbw diesen Wunsch verworfen und unterdrückt hat. Die Unterwerfung des Ubw durch das Vbw ist auch bei völliger psychischer Gesundheit keine durchgreifende; das Mass dieser Unterdrückung ergibt den Grad unserer psychischen Normalität. Neurotische Symptome zeigen uns an, dass sich die beiden Systeme im Conflict mit einander befinden; sie sind die Compromissergebnisse dieses Confliets, die ihm ein vorläufiges Ende setzen. Sie gestatten einerseits dem Ubw einen Ausweg für den Abfluss seiner Erregung, dienen ihm als Ausfallsthor, und geben doch andererseits dem Vbw die Möglichkeit, das Ubw einigermassen zu beherrschen. Lehrreich ist es z. B. die Bedeutung einer hysterischen Phobie oder der Platzangst in Betracht zu ziehen. Ein Neurotiker sei unfähig allein über die Strasse zu gehen, was wir mit Recht als „Symptom“ anführen. Man hebe nun dieses Symptom auf, indem man ihm zu dieser Handlung nöthigt, für die er sich unfähig glaubt. Es erfolgt dann ein Angstanfall, wie auch oft ein Angstanfall auf der Strasse die Veranlassung für die Herstellung der Platzangst geworden ist. Wir erfahren so, dass das Symptom constituirt worden ist, um den Ausbruch der Angst zu verhüten; die Phobie ist der Angst wie eine Grenzfestung vorgelegt.

§ 1003

Unsere Erörterung lässt sich nicht weiter führen, wenn wir nicht auf die Rolle der Affecte bei diesen Vorgängen eingehen, was aber hier nur unvollkommen möglich ist. Stellen wir also den Satz auf, dass die Unterdrückung des Ubw vor Allem darum nothwendig wird, weil der sich selbst überlassene Vorstellungsablauf im Ubw einen Affect entwickeln würde, der ursprünglich den Charakter der Lust hatte, aber seit dem Vorgang der Verdrängung den Charakter der Unlust trägt. Die Unterdrückung hat den Zweck, aber auch den Erfolg, diese Unlustentwickelung zu verhüten. Die Unterdrückung erstreckt sich auf den Vorstellungsinhalt des Ubw, weil vom Vorstellungsinhalt her die Entbindung der Unlust erfolgen könnte. Eine ganz bestimmte Annahme über die Natur der Affectentwickelung ist hier zu Grunde gelegt. Dieselbe wird als eine motorische oder sekretorische Leistung angesehen, zu welcher der Innervationsschlüssel in den Vorstellungen des Ubw gelegen ist. Durch die Beherrschung von Seiten des Vbw werden diese Vorstellungen gleichsam gedrosselt, an der Aussendung der Affect entwickelnden Impulse gehemmt. Die Gefahr, wenn die Besetzung von Seiten des Vbw aufhört, besteht also darin, dass die unbewussten Erregungen solchen Affect entbinden, der — in Folge der früher stattgehabten Verdrängung — nur als Unlust, als Angst verspürt werden kann.

§ 1004

Diese Gefahr wird durch das Gewährenlassen des Traumvorganges entfesselt. Die Bedingungen für deren Realisirung liegen darin, dass Verdrängungen stattgefunden haben, und dass die unterdrückten Wunschregungen stark genug werden können. Sie stehen also ganz ausserhalb des psychologischen Rahmens der Traumbildung. Wäre es nicht, dass unser Thema durch dies eine Moment, die Befreiung des Ubw während des Schlafes, mit dem Thema der Angstentwickelung zusammenhinge, so könnte ich auf die Besprechung des Angsttraumes verzichten und mir alle ihm anhängenden Dunkelheiten hier ersparen.

§ 1005

Die Lehre vom Angsttraum gehört, wie ich schon wiederholt ausgesprochen habe, in die Neurosenpsychologie. Wir haben weiter nichts mit ihr zu schaffen, nachdem wir einmal ihre Berührungsstelle mit dem Thema des Traumvorganges aufgezeigt haben. Ich kann nur noch eines thun. Da ich behauptet babe, dass die neurotische Angst aus sexuellen Quellen stammt, kann ich Angstträume der Analyse unterziehen, um das sexuelle Material in deren Traumgedanken nachzuweisen.

§ 1006

Aus guten Gründen verzichte ich hier auf alle die Beispiele, die mir neurotische Patienten in reicher Fülle bieten, und bevorzuge Angstträume von jugendlichen Personen.

§ 1007

Ich selbst habe seit Jahrzehnten keinen eigentlichen Angsttraum mehr gehabt. Aus meinem siebenten oder achten Jahre erinnere ich mich an einen solchen, den ich etwa 30 Jahre später der Deutung unterworfen habe. Er war sehr lebhaft, und zeigte mir die geliebte Mutter mit eigenthümlich ruhigem, schlafendem Gesichtsausdruck, die von zwei (oder drei) Personen mit Vogelschnäbeln in’s Zimmer getragen und auf's Bett gelegt wird. Ich erwachte weinend und schreiend und störte den Schlaf der Eltern. Die — eigenthümlich drapirten — überlangen Gestalten mit Vogelschnäbeln hatte ich den Illustrationen der Philippson’schen Bibel entnommen; ich glaube, es waren Götter mit Sperberköpfen von einem ägyptischen Grabrelief Sonst aber liefert mir die Analyse die Erinnerung an einen ungezogenen Hausmeistersjungen, der mit uns Kindern auf der Wiese vor dem Hause zu spielen pflegte; und ich möchte sagen, der hiess Philipp. Es ist mir dann, als hätte ich von dem Knaben zuerst das vulgäre Wort gehört, welches den sexuellen Verkehr bezeichnet und von den Gebildeten nur durch ein lateinisches, durch „coitiren” ersetzt wird, das aber durch die Auswahl der Sperberköpfe deutlich genug gekennzeichnet ist. Ich muss die sexuelle Bedeutung des Wortes aus der Miene des welterfährenen Lehrmeisters errathen haben. Der Gesichtsausdruck der Mutter im Traume war vom Angesicht des Grossvaters copirt, den ich einige Tage vor seinem Tode im Coma schnarchend gesehen hatte. Die Deutung der secundären Bearbeitung im Traume muss also gelautet haben, dass die Mutter stirbt, auch das Grabrelief stimmt dazu. In dieser Angst erwachte ich und liess nicht ab, bis ich die Eltern geweckt hatte. Ich erinnere mich, dass ich mich plötzlich beruhigte, als ich die Mutter zu Gesicht bekam, als ob ich die Beruhigung bedurft hätte: sie ist also nicht gestorben. Diese secundäre Deutung des Traumes ist aber schon unter dem Einfluss der entwickelten Angst geschehen. Nicht dass ich ängstlich war, weil ich geträumt hatte, dass die Mutter stirbt; sondern ich deutete den Traum in der vorbewussten Bearbeitung so, weil ich schon unter der Herrschaft der Angst stand. Die Angst aber lässt sich mittelst der Verdrängung zurückführen auf ein dunkles, offenkundig sexuelles Gelüste, das in dem visuellen Inhalt des Traumes seinen guten Ausdruck gefunden hatte.

§ 1008

Ein 27jähriger Mann, der seit einem Jahre schwer leidend ist, hat zwischen 11 und 13 Jahren wiederholt unter schwerer Angst geträumt, dass ein Mann mit einer Hacke ihm nachsetzt; er möchte laufen, ist aber wie gelähmt und kommt nicht von der Stelle. Das ist wohl ein gutes Muster eines sehr gemeinen und sexuell unverdächtigen Angsttraumes. Bei der Analyse geräth der Träumer zuerst auf eine, der Zeit nach spätere, Erzählung seines Onkels, dass er auf der Strasse von einem verdächtigen Individuum nächtlich angefallen wurde, und schliesst selbst aus diesem Einfall, dass er zur Zeit des Traumes von einem ähnlichen Erlebnis gehört haben kann. Zur Hacke erinnert er, dass er sich in jener ebenszeit einmal beim Holzverkleinern mit der Hacke an der Hand verletzt. Er geräth dann unvermittelt auf sein Verhältnis zu seinem jüngeren Bruder, den er zu misshandeln und hinzuwerfen pflegte, erinnert sich speciell eines Male, wo er ihn mit dem Stiefel an den Kopf traf, so dass er blutete und die Mutter dann äusserte: Ich habe Angst, er wird ihn noch einmal umbringen. Während er so beim Thema der Gewaltthat festgehalten scheint, taucht ihm plötzlich eine Erinnerung aus dem neunten Lebensjahr auf. Die Eltern waren spät nach Hause gekommen, gingen, während er sich schlafend stellte, zu Bette, und er hörte dann ein Keuchen und andere Geräusche, die ihm unheimlich vorkamen, konnte auch die Lage der Beiden im Bette errathen. Seine weiteren Gedanken zeigen, dass er zwischen dieser Beziehung der Eltern und seinem Verhältnis zu seinem jüngeren Bruder eine Analogie hergestellt hatte. Er subsummirte, was bei den Eltern vorfiel, unter den Begriff: Gewaltthat und Rauferei. Ein Beweis für diese Auffassung war ihm, dass er oft Blut im Bette der Mutter bemerkt hatte.

§ 1009

Dass der sexuelle Verkehr Erwachsener den Kindern, die ihn bemerken, unheimlich vorkommt und Angst in ihnen erweckt, ist, möchte ich sagen, Ergebnis der täglichen Erfahrung. Ich habe für diese Angst die Erklärung gegeben, dass es sich um eine sexuelle Erregung handelt, die von ihrem Verständnis nicht bewältigt wird, auch wohl darum auf Ablehnung stösst, weil die Eltern in sie ver flochten sind, und die darum sich in Angst verwandelt. In einer noch früheren Lebensperiode stösst die sexuelle Regung für den gegengeschlechtlichen Theil des Elternpaares noch nicht auf Verdrängung und äussert sich frei, wie wir gehört haben (Seite 178).

§ 1010

Auf die bei Kindern so häufigen nächtlichen Angstanfälle mit Hallucinationen (den Pavor nocturnus) würde ich dieselbe Erklärung unbedenklich anwenden. Es kann sich auch da nur um unverstandene und abgelehnte sexuelle Regungen handeln, bei deren Aufzeichnung sich auch wahrscheinlich eine zeitliche Periodieität herausstellen würde, da eine Steigerung der sexuellen Libido ebensowohl durch zufällige erregende Eindrücke, als auch durch die spontanen, sehubweise eintreffenden, Entwickelungsvorgänge erzeugt werden kann.

§ 1011

Mir fehlt es an dem erforderlichen Beobachtungsmaterial, um diese Erklärung durchzuführen. Den Kinderärzten scheint es dagegen an dem Gesichtspunkte zu fehlen, der allein das Verständnis der ganzen Reihe von Phänomenen, sowohl nach der somatischen als auch nach der psychischen Seite gestattet. Als ein komisches Beispiel, wie nahe man, durch die Scheuklappen der medicinischen Mythologie geblendet, am Verständnis solcher Fälle vorbeigehen kann, möchte ich einen Fall anführen, den ich in der These über den Pavor noeturnus von Debacker 17) 1881 (p. 66) gefunden habe.

§ 1012

Ein 13jähriger Knabe von schwacher Gesundheit begann ängstlich und verträumt zu werden, sein Schlaf wurde unruhig und fast jede Woche einmal durch einen schweren Anfall von Angst mit Hallucinationen unterbrochen. Die Erinnerung an diese Träume war immer sehr deutlich. Er konnte also erzählen, dass der Teufel ihn angeschrieen habe: Jetzt haben wir dich, jetzt haben wir dich, und dann roch es nach Pech und Schwefel, und das Feuer verbrannte seine Haut. Aus diesem Traum schreckte er dann auf, konnte zuerst nicht schreien, bis die Stimme frei wurde und man ihn deutlich sagen hörte: „Nein, nein, nicht mich, ich hab’ ja nichts gethan,“ oder auch: „Bitte, nicht, ich werd’ es nie mehr thun“. Einige Male sagte er auch: „Albert hat das nicht gethan.“ Er vermied es später sich auszukleiden, „weil das Feuer ihn nur ergreife, wenn er ausgekleidet sei“. Mitten aus diesen Teufelsträumen, die seine Gesundheit in Gefahr brachten, wurde er auf’s Land geschickt, erholte sich dort im Verlaufe von 11/2 Jahren und gestand dann einmal 15 Jahre alt: „Je n’osais pas l’avouer, mais j’éprouvais continuellement des pieotements et des surexeitations aux parties *)*); à la fin, cela m’énervait tant que plusieurs fois, j’ai pensé me jeter par la fenêtre au dortoir“.

§ 1013

Es ist wahrlich nicht schwer zu errathen, 1) dass der Knabe in früheren Jahren masturbirt, es wahrscheinlich geleugnet hatte und mit schweren Strafen für seine Unart bedroht worden war. (Sein Ge ständnis: Je ne le ferai plus; sein Leugnen: Albert n’a jamais fait ça); 2) dass unter dem Andrang der Pubertät die Versuchung zu masturbiren in dem Kitzel an den Genitalien wieder erwachte; dass aber jetzt 3) ein Verdrängungskampf in ihm losbrach, der die Libido unterdrückte und sie in Angst verwandelte, welche Angst nachträglich die damals angedrohten Strafen aufnahm.

*) Von mir hervorgehoben; übrigens nicht missverständlich. § 1014

Hören wir dagegen die Folgerungen unseres Autors (p. 69) „Es geht aus dieser Beobachtung hervor, dass 1) der Einfluss der Pubertät bei einem Knaben von geschwächter Gesundheit einen Zustand von grosser Schwäche herbeiführen, und dass es dabei zu einer sehr erheblichen Gehirnanämie *)*) kommen kann.

§ 1015

2) Diese Gehirnanämie erzeugt eine Charakterveränderung, dämonomanische Hallucinationen und sehr heftige nächtliche, vielleicht auch tägliche Angstzustände.

§ 1016

3) Die Dämonomanie und die Selbstvorwürfe des Knaben eben auf die Einflüsse der religiösen Erziehung zurück, die als Kind auf ihn gewirkt hatten.

§ 1017

4) Alle Erscheinungen sind in Folge eines längeren Landaufenthaltes durch körperliche Uebung und Wiederkehr der Kräfte nach abgelaufener Pubertät verschwunden.

§ 1018

5) Vielleicht darf man der Heredität und der alten Syphilis des Vaters einen prädisponirenden Einfluss auf die Entstehung des Gehirnzustandes beim Kinde zuschreiben.

§ 1019

Das Schlusswort: „Nous avons fait entrer cette observation dans le cadre des delires apyrétiques d’inanition, car c’est à l’ischémie cérébrale que nous rattachons cet état particulier.“

§ 1020

e) Der Primär- und der Seeundärvorgang. Die Verdrängung.

§ 1021

Indem ich den Versuch wagte, tiefer in die Psychologie der Traumvorgänge einzudringen, habe ich eine schwierige Aufgabe unternommen, welcher auch meine Darstellungskunst kaum gewachsen ist. Die Gleichzeitigkeit eines so complicirten Zusammenhanges durch ein Nacheinander in der Beschreibung wiederzugeben und dabei bei jeder Aufstellung voraussetzungslos zu erscheinen, will meinen Kräften zu schwer werden. Es rächt sich nun an mir, dass ich bei der Darstellung der Traumpsychologie nicht der historischen Entwickelung meiner Einsichten folgen kann. Mir waren die Gesichtspunkte für die Auffassung des Traumes durch vorhergegangene Arbeiten über die Psychologie der Neurosen gegeben, auf die ich mich hier nicht beziehen soll und doch immer wieder beziehen muss, während ich in umgekehrter Richtung vorgehen und vom Traume aus den Anschluss an die Psychologie der Neurosen erreichen möchte. Ich kenne alle Beschwerden, die sich hieraus für den Leser ergeben; aber ich weiss kein Mittel, sie zu vermeiden.

*) Meine Hervorhebung. § 1022

Unbefriedigt von dieser Sachlage verweile ich gerne bei einem anderen Gesichtspunkte, der mir den Werth meiner Bemühung zu heben scheint. Ich fand ein Thema vor, das von den schärfsten Widersprüchen in den Meinungen der Autoren beherrscht war, wie die Einführung des ersten Abschnittes gezeigt hat. Nach unserer Bearbeitung der Traumprobleme ist für die meisten dieser Widersprüche Raum geschaffen worden. Nur zweien der geäusserten Ansichten, dass der Traum ein sinnloser und ein somatischer Vorgang sei, mussten wir selbst entschieden widersprechen; sonst aber haben wir allen einander widersprechenden Meinungen an irgend einer Stelle des verwiekelten Zusammenhanges Recht geben und nachweisen können, dass sie etwas Richtiges herausgefunden hatten. Dass der Traum die Anregungen und Interessen des Wachlebens fortsetzt, hat sich durch die Aufdeckung der verborgenen Traumgedanken ganz allgemein bestätigt. Diese beschäftigen sich nur mit dem, was uns wichtig scheint und uns mächtig interessirt. Der Traum gibt sich nie mit Kleinigkeiten ab. Aber auch das Gegentheil haben wir gelten lassen, dass der Traum die gleichgiltigen Abfälle des Tages aufklaubt und sich eines grossen Tagesinteresses nicht eher bemächtigen kann, als bis es sich der Wacharbeit einigermassen entzogen hat. Wir fanden dies giltig für den Trauminhalt, der den Traumgedanken einen durch Entstellung veränderten Ausdruck gibt. Der Traumvorgang, sagten wir, bemächtigt sich aus Gründen der Associationsmechanik leichter des frischen oder des gleichgiltigen Vorstellungsmateriales, welches von der wachen Denkthätigkeit noch nicht mit Beschlag belegt ist, und aus Gründen der Censur übertragt er die psychische Intensität von dem Bedeutsamen, aber auch Anstössigen, auf das Indifferente. Die Hypermnesie des Traumes und die Verfügung über das Kindheitsmaterial sind zu Grundpfeilern unserer Lehre geworden; in unserer Traumtheorie haben wir dem aus dem Infantilen stammenden Wunsch die Rolle des unenthehrlichen Motors für die Traumbildung zugeschrieben. An der experimentell nachgewiesenen Bedeutung der äusseren Sinnesreize während des Schlafes zu zweifeln, konnte uns natürlich nicht einfallen, aber wir haben dieses Material in dasselbe Verhältnis zum Traumwunsch gesetzt wie die von der Tagarbeit erübrigten Gedankenreste. Dass der Traum den objectiven Sinnesreiz nach Art einer Illusion deutet, brauchten wir nicht zu bestreiten; aber wir haben das von den Autoren unbestimmt gelassene Motiv für diese Deutung hinzugefügt. Die Deutung erfolgt so, dass das wahrgenommene Object für die Schlafstörung unschädlich und für die Wunscherfüllung verwendbar wird. Den subjectiven Erregungszustand der Sinnesorgane während des Schlafes, der durch Trumbull Ladd 46) nachgewiesen scheint, lassen wir zwar nicht als besondere Traumquelle gelten, aber wir wissen ihn durch regrediente Belebung der hinter dem Traum wirkenden Erinnerungen zu erklären. Auch den inneren organischen Sensationen, die gern zum Angelpunkt der Traumerklärung genommen werden, ist in unserer Auffassung eine, wenngleich bescheidenere, Rolle verblieben. Sie stellen uns — die Sensationen des Fallens, Schwebens, Gehemmtseins — ein allezeit bereites Material dar, dessen sich die Traumarbeit zum Ausdruck der Traumgedanken so oft es Noth thut, bedient.

§ 1023

Dass der Traumvorgang ein rapider, momentaner ist, erscheint uns richtig für die Wahrnehmung des vorgebildeten Trauminhaltes durch das Bewusstsein; für die vorhergehenden Stücke des Traumvorganges haben wir einen langsamen, wogenden Ablauf wahrscheinlich gefunden. Zum Räthsel des überreichen, in den kürzesten Moment zusammengedrängten Trauminhaltes konnten wir den Beitrag liefern, dass es sich dabei um das Aufgreifen bereits fertiger Gebilde des psychischen Lebens handle. Dass der Traum von der Erinnerung entstellt und verstümmelt wird, fanden wir richtig, aber nicht hinderlich, da dies nur das letzte manifeste Stück einer von Anfang der Traumbildung an wirksamen Entstellungsarbeit ist. In dem erbitterten und einer Versöhnung scheinbar unfähigen Streite, ob das Seelenleben Nachts schlafe oder über all seine Leistungsfühigkeit wie bei Tage verfüge, haben wir beiden Theilen Recht und doch keinem ganz Recht geben können. In den Traumgedanken fanden wir die Beweise einer höchst complicirten, mit fast allen Mitteln des seelischen Apparates arbeitenden, intellectuellen Leistung; doch ist es nicht abzuweisen, dass diese Traumgedanken hei Tage entstanden sind, und es ist unentbehrlich anzunehmen, dass es einen Schlafzustand des Seelenlebens gibt. So kam selbst die Lehre vom partiellen Schlaf zur Geltung; aber nicht in dem Zerfall der seelischen Zusammenhänge haben wir die Charakteristik des Schlafzustandes gefunden, sondern in der Einstellung des den Tag beherrschenden psychischen Systems auf den Wunsch zu schlafen. Die Ablenkung von der Aussenwelt bewahrte auch für unsere Auffassung ihre Bedeutung; sie hilft, wenn auch nicht als einziges Moment, die Regression der Traumdarstellung ermöglichen. Der Verzicht auf die willkurliche Lenkung des Vorstellungsablaufes ist unbestreitbar; aber das psychische Leben wird darum nicht ziellos, denn wir haben gehört, dass nach dem Aufgeben der gewollten Zielvorstellungen ungewollte zur Herrschaft geangen. Die lockere Associationsverknüpfung im Traume haben wir nicht nur anerkannt, sondern ihrer Herrschaft einen weit grösseren Umfang zugewiesen, als geahnt werden konnte; wir haben aber gefunden, dass sie nur der erzwungene Ersatz für eine andere, correcte und sinnvolle ist. Gewiss nannten auch wir den Traum absurd; aber Beispiele konnten uns lehren, wie klug der Traum ist, wenn er sich absurd stellt. Von den Functionen, die dem Traume zuerkannt worden sind, trennt uns kein Widerspruch. Dass der Traum die Seele wie ein Ventil entlaste. und dass nach Robert’s Ausdruck allerlei Schädliches durch das Vorstellen im Traume unschädlich gemacht wird, trifft nicht nur genau mit unserer Lebre von der zweifachen Wunscherfüllung durch den Traum zusammen, sondern wird für uns sogar nach seinem Wortlaut verständlicher als bei Robert. Das freie sich Ergehen der Seele im Spiele ihrer Fähigkeiten findet sich bei uns wieder in dem Gewährenlassen des Traumes durch die vorbewusste Thätigkeit. Die „Rückkehr auf den embryonalen Standpunkt des Seelenlebens im Traume“ und die Bemerkung von Havelock Ellis 23), „an archaic world of vast emotions and imperfect thoughts“ erscheinen und als glückliche Vorwegnahmen unserer Ausführungen, die primitive, bei Tage unterdrückte Arbeitsweisen an der Traumbildung betheiligt sein lassen; und wie bei Delage 15) wird bei uns das „Unterdrückte“ zur Triebfeder des Träumens.

§ 1024

Die Rolle, welche Scherner der Traumphantasie zuschreibt, und die Deutungen Scherner’s selbst, haben wir in vollem Umfange anerkannt, aber ihnen gleichsam eine andere Localität im Problem anweisen müssen. Niehbt der Traum bildet die Phantasie, sondern an der Bildung der Traumgedanken hat die unbewusste Phantasiethätigkeit den grössten Antheil. Wir bleiben Scherner für den Hinweis auf die Quelle der Traumgedanken verpflichtet; aber fast alles, was er der Traumarbeit zuschreibt, ist der Thätigkeit des bei Tage regsamen Unbewussten zuzurechnen, welche die Anregungen für die Träume nicht minder ergibt als die für die neurotischen Symptome. Die Traumarbeit mussten wir von dieser Thätigkeit als etwas gänzlich Verschiedenes und weit mehr Gebundenes absondern. Endlich haben wir die Beziehung des Traumes zu den Seelenstürungen keineswegs aufgegeben, sondern sie auf neuem Boden fester begründet.

§ 1025

Durch das Neue in unserer Traumlehre wie durch eine höhere Einheit zusammengehalten, finden wir also die verschiedenartigsten und widersprechendsten Ergebnisse der Autoren unserem Gebäude eingefügt, manche derselben anders gewendet, nur wenige gänzlich verworfen. Aber auch unser Aufbau ist noch unfertig. Von den vielen Unklarheiten abgesehen, die wir durch unser Vordringen in das Dunkel der Psychologie auf uns gezogen haben, scheint auch noch ein neuer Widerspruch uns zu bedrücken. Wir haben einerseits die Traumgedanken durch völlig normale geistige Arbeit entstehen lassen, andererseits aber eine Reihe von ganz abnormen Denkvorgängen unter den Traumgedanken, und von ihnen aus zum Trauminhalt aufgefunden, welche wir dann bei der Traumdeutung wiederholen. Alles, was wir die „Traumarbeit“ geheissen haben, scheint sich von den uns als correct bekannten psychischen Vorgängen so weit zu entfernen, dass die härtesten Urtheile der Autoren über die niedrige psychische Leistung des Träumens uns wohl angebracht dünken müssen.

§ 1026

Hier schaffen wir vielleicht nur durch noch weiteres Vordringen Aufklärung und Abhilfe. Ich will eine der Constellationen herausgreifen, die zur Traumbildung führen:

§ 1027

Wir haben erfahren, dass der Traum eine Anzahl von Gedanken ersetzt, die aus unserem Tagesleben stammen und vollkommen logisch gefügt sind. Wir können darum nicht bezweifeln, dass diese Gedanken unserem normalen Geistesleben entstammen. Alle Eigenschaften, welche wir an unseren Gedankengängen hochschätzen, durch welche sie sich als complicirte Leistungen hoher Ordnung kennzeichnen, finden wir an den Traumgedanken wieder. Es besteht aber keine Nöthigung anzunehmen, dass diese Gedankenarbeit während des Schlafes vollzogen wurde, was unsere bisher festgehaltene Vorstellung vom psychischen Schlafzustand arg beirren würde. Diese Gedanken können vielmehr sehr wohl vom Tage stammen, sich von ihrem Anstoss an, unserem Bewusstsein unbemerkt, fortgesetzt haben und fanden sich dann mit dem Einschlafen als fertig vor. Wenn wir aus dieser Sachlage etwas entnehmen sollen, so ist es höchstens der Beweis, dass die complicirtesten Denkleistungen ohne Mitthun des Bewusstseins möglich sind, was wir ohnedies aus jeder Psychoanalyse eines Hysterischen oder einer Person mit Zwangsvorstellungen erfahren mussten. Diese Traumgedanken sind an sich sicherlich nicht bewusstseinsunfähig; wenn sie uns tagsüber nicht bewusst worden sind, so mag dies verschiedene Gründe haben. Das Bewusstwerden hängt mit der Zuwendung einer bestimmten psychischen Function, der Aufmerksamkeit, zusammen, die, wie es scheint, nur in bestimmter Quantität aufgewendet wird, welche von dem betreffenden Gedankengang durch andere Ziele abgelenkt sein mochte. Eine andere Art, wie solche Gedankengänge dem Bewusstsein vorenthalten werden können, ist folgende: Von unserem bewussten Nachdenken her wissen wir, dass wir bei Anwendung der Aufmerksamkeit einen bestimmten Weg verfolgen. Kommen wir auf diesem Wege an eine Vorstellung, welche der Kritik nicht Stand halt, so brechen wir ab; wir lassen die Aufmerksamkeitsbesetzung fallen. Es scheint nun, dass der begonnene und verlassene Gedankengang sich dann fortspinnen kann, ohne dass sich ihm die Aufmerksamkeit wieder zuwendet, wenn er nicht an einer Stelle eine besonders hohe Intensität erreicht, welche die Aufmerksamkeit erzwingt. Eine anfängliche, etwa mit Bewusstsein erfolgte Verwerfung durch das Urtheil, als unrichtig oder als unbrauchbar für den actuellen Zweck des Denkactes, kann also die Ursache sein, dass ein Denkvorgang vom. Bewusstsein unbemerkt sich bis zum Einschlafen fortsetzt.

§ 1028

Resumiren wir, dass wir einen solchen Gedankengang einen vorbewussten heissen, ihn für völlig correct halten, und dass er ebensowohl ein blos vernachlässigter, wie ein abgebrochener, unterdrückter sein kann. Sagen wir auch frei heraus, in welcher Weise wir uns den Vorstellungsablauf veranschaulichen. Wir glauben, dass von einer Zielvorstellung aus eine gewisse Erregungsgrösse, die wir „Besetzungsenergie“ heissen, längs der durch diese Zielvorstellung ausgewählten Associationswege verschoben wird. Ein „vernachlässigter“ Gedankengang hat eine solche Besetzung nicht erhalten; von einem „unterdrückten“ oder „verworfenen“ ist sie wieder zurückgezogen worden; beide sind ihren eigenen Erregungen überlassen. Der zielbesetzte Gedankengang wird unter gewissen Bedingungen fähig, die Aufmerksamkeit des Bewusstseins auf sich zu ziehen, und erhält dann durch dessen Vermittlung eine „Ueberbesetzung“. Unsere Annahmen über die Natur und Leistung des Bewusstseins werden wir ein wenig später klarlegen müssen.

§ 1029

Ein so im Vorbewussten angeregter Gedankengang kann spontan erlöschen oder sich erhalten. Den ersteren Ausgang stellen wir uns so vor, dass seine Energie nach allen von ihm ausgehenden Associationsrichtungen diffundirt, die ganze Gedankenkette in einen erregten Zustand versetzt, der für eine Weile anhält, dann aber abklingt, indem die abfuhrbedürftige Erregung sich in ruhende Besetzung umwandelt. Tritt dieser erste Ausgang ein, so hat der Vorgang weiter keine Bedeutung für die Traumbildung. Es lauern aber in unserem Vorbewussten andere Zielvorstellungen, die aus den Quellen unserer unbewussten und immer regen Wünsche stammen. Diese können sich der Erregung in dem sich selbst überlassenen Gedankenkreise bemächtigen, stellen die Verbindung zwischen ihm und dem unbewussten Wunsche her, übertragen ihm die dem unbewussten Wunsch eigene Energie, und von jetzt an ist der vernachlässigte oder unterdrückte Gedankengang im Stande, sich zu erhalten, obwohl er durch diese Verstärkung keinen Anspruch auf den Zugang zum Bewusstsein erhält. Wir können sagen, der bisher vorbewusste Gedankengang ist in’s Unbewusste gezogen worden.

§ 1030

Andere Constellationen zur Traumbildung wären, dass der vorbewusste Gedankengang von vorne herein in Verbindung mit dem unbewussten Wunsche stand, und darum auf Abweisung von Seiten der herrschenden Zielbesetzung stiess, oder dass ein unbewusster Wunsch aus anderen (etwa somatischen) Gründen rege geworden ist, und ohne Entgegenkommen eine Uebertragung auf die vom Vbw nicht besetzten psychischen Reste sucht. Alle drei Fälle treffen endlich in einem Ergebnis zusammen, dass ein Gedankenzug im Vorbewussten zu Stande kommt, der von der vorbewussten Besetzung verlassen, vom unbewussten Wunsch her Besetzung gefunden hat.

§ 1031

Von da an erleidet der Gedankenzug eine Reihe von Umwandlungen, die wir nicht mehr als normale psychische Vorgänge anerkennen, und die ein uns befremdendes Resultat, eine psychopathologische Bildung, ergeben. Wir wollen dieselben herausheben und zusammenstellen:

§ 1032

1. Die Intensitäten der einzelnen Vorstellungen werden nach ihrem ganzen Betrage abflussfühig und übergehen von einer Vorstellung auf die andere, so dass einzelne mit grosser Intensität versehene Vorstellungen gebildet werden. Indem sich dieser Vorgang mehrmals wiederholt, kann die Intensität eines ganzen Gedankenzuges schliesslich in einem einzigen Vorstellungselement gesammelt sein. Dies ist die Thatsache der Compression oder Verdichtung, die wir während der Traumarbeit kennen gelernt haben. Sie trägt die Hauptschuld an dem befremdenden Eindruck des Traumes, denn etwas ihr analoges ist uns aus dem normalen und dem Bewusstsein zugänglichen Seelenleben ganz unbekannt. Wir haben auch hier Vorstellungen, die als Knotenpunkte, oder als Endergebnisse ganzer Gedankenketten eine grosse psychische Bedeutung besitzen, aber diese Werthigkeit äussert sich in keinem für die innere Wahrnehmung sinnfälligen Charakter; das in ihr Vorgestellte wird darum in keiner Weise intensiver. Im Verdichtungsvorgang setzt sich aller psychische Zusammenhang in die Intensität des Vorstellungsinhaltes um. Es ist der nämliche Fall, wie wenn ich in einem Buch ein Wort, dem ich einen überragenden Werth für die Auffassung des Textes beilege, gesperrt oder fett drucken lasse. In der Rede würde ich dasselbe Wort laut und langsam sprechen und nachdrücklich betonen. Das erstere Gleichnis führt unmittelbar zu einem der Traumarbeit entlehnten Beispiele (Trimethylamin im Traum von Irma’s Injection). Die Kunsthistoriker machen uns darauf aufmerksam, dass die ältesten historischen Sculpturen ein ähnliches Princip befolgen, indem sie die Ranggrüsse der dargestellten Personen durch die Bildgrösse zum Ausdruck bringen. Der König wird zwei- oder dreimal so gross gebildet als sein Gefolge oder der überwundene Feind. Ein Bildwerk aus der Römerzeit wird sich zu demselben Zweck feinerer Mittel bedienen. Es wird die Figur des Imperators in die Mitte stellen, ihn hoch aufgerichtet zeigen, besondere Sorgfalt auf die Durchbildung seiner Gestalt verwenden, die Feinde zu seinen Füssen legen, ihn aber nicht mehr als Riesen unter Zwergen erscheinen lassen. Indess ist die Verbeugung des Untergebenen vor seinem Vorgesetzten in unserer Mitte noch heute ein Nachklang jenes alten Darstellungsprincips.

§ 1033

Die Richtung, nach welcher die Verdichtungen des Traumes fortschreiten, ist einerseits durch die correcten vorbewussten Relationen der Traumgedanken, andererseits durch die Anziehung der visuellen Erinnerungen im Unbewussten vorgeschrieben. Der Erfolg der Verdichtungsarbeit erzielt jene Intensitäten, die zum Durchbruch gegen die Wahrnehmungssysteme erfordert werden.

§ 1034

2. Es werden wiederum durch freie Uebertragbarkeit der Intensitäten und im Dienste der Verdiehtung Mittelvorstellungen gebildet, Compromisse gleichsam (vgl. die zahlreichen Beispiele). Gleichfalls etwas Unerhörtes im normalen Vorstellungsablauf, bei dem es vor allem auf die Auswahl und Festhaltung des „richtigen“ Vorstellungselementes ankommt. Dagegen ereignen sich Misch- wie Compromissbildungen ausserordentlich häufig, wenn wir für die vorbewussten Gedanken den sprachlichen Ausdruck suchen, und werden als Arten des „Versprechens“ angeführt.

§ 1035

3. Die Vorstellungen, die einander ihre Intensitäten übertragen, stehen in den lockersten Beziehungen zu einander und sind durch solche Arten von Associationen verknüpft, welche von unserem Denken verschmäht und nur dem witzigen Effect zur Ausnützung überlassen werden. Insbesondere gelten Gleichklangs- und Wortlautassociationen als den anderen gleichwerthig.

§ 1036

4. Einander widersprechende Gedanken streben nicht darnach, einander aufzuheben, sondern bestehen neben einander, setzen sich oft, als ob kein Widerspruch bestünde, zu Verdichtungsproducten zusammen, oder bilden Compromisse, die wir unserem Denken nie verzeihen würden, in unserem Handeln aber oft gutheissen.

§ 1037

Dies wiren einige der auffülligsten abnormen Vorgänge, denen im Laufe der Traumarbeit die vorher rationell gebildeten Traumgedanken unterzogen werden. Man erkennt als den Hauptcharakter derselben, dass aller Werth darauf gelegt wird, die besetzende Energie beweglich und abfuhrfähig zu machen; der Inhalt und die eigene Bedeutung der psychischen Elemente, an denen diese Besetzungen haften, wird zur Nebensache. Man könnte noch meinen, die Verdichtung und Compromissbildung geschehe nur im Dienste der Regression, wenn es sich darum handelt, Gedanken in Bilder zu verwandeln. Allein die Analyse — und noch deutlicher — die Synthese solcher Träume, die der Regression auf Bilder entbehren, z. B. des Traumes „Autodidasker — Gespräch mit Professor N.“ ergeben die nämlichen Verschiebungs- und Verdichtungsvorgänge wie die anderen.

§ 1038

So können wir uns also der Einsicht nicht verschliessen, dass an der Traumbildung zweierlei wesensverschiedene psychische Vorgänge betheiligt sind; der eine schafft vollkommen correcte, dem normalen Denken gleichwerthige Traumgedanken; der andere verfährt mit denselben auf eine höchst befremdende, incorrecte Weise. Den letzteren haben wir schon im Abschnitt VI als die eigentliche Traumarbeit abgesondert. Was haben wir nun zur Ableitung dieses letzteren psychischen Vorgangs vorzubringen?

§ 1039

Wir könnten hier eine Antwort nicht geben, wenn wir nicht ein Stück weit in die Psychologie der Neurosen, speciell der Hysterie, eingedrungen wären. Aus dieser aber erfahren wir, dass die nämlichen incorrecten psychischen Vorgänge — und noch andere nicht aufgezählte — die Herstellung der hysterischen Symptome beherrschen. Auch bei der Hysterie finden wir zunächst eine Reihe von völlig correcten, unseren bewussten ganz gleichwerthigen Gedanken, von deren Existenz in dieser Form wir aber nichts erfahren können, die wir erst nachträglich reconstruiren. Wenn sie irgendwo zu unserer Wahrnehmung durchgedrungen sind, so ersehen wir aus der Analyse des gebildeten Symptoms, dass diese normalen Gedanken eine abnorme Behandlung erlitten haben und mittelst Verdichtung, Compro- missbildung, über oberflächliche Associationen, unter Deckung der Widersprüche, eventuell auf dem Wege der Regression in das Symptom übergeführt wurden. Bei der vollen Identität zwischen den Eigenthümlichkeiten der Traumarbeit und der psychischen Thätigkeit, welehe in die psychoneurotischen Symptome ausläuft, werden wir uns für berechtigt halten, die Schlüsse, zu denen uns die Hysterie nöthigt, auf den Traum zu übertragen.

§ 1040

Aus der Lehre von der Hysterie entnehmen wir den Satz, dass solche abnorme psychische Bearbeitung eines normalen Gedankenzuges nur dann vorkommt, wenn dieser zur Uebertragung eines unbewussten Wunsches geworden ist, der aus dem Infantilen stammt und sich in der Verdrängung befindet. Diesem Satz zu Liebe haben wir die Theorie des Traumes auf die Aufnahme gebaut, dass der treibende Traumwunsch allemale aus dem Unbewussten stammt, was, wie wir selbst zugestanden, sich nicht allgemein nachweisen, wenn auch nicht zurückweisen, lässt. Um aber sagen zu können, was die „Verdrängung“ ist, mit deren Namen wir schon so oft gespielt haben, müssen wir ein Stück an unserem psychologischen Gerüste weiter bauen.

§ 1041

Wir hatten uns in die Fiction eines primitiven psychischen Apparates vertieft, dessen Arbeit durch das Bestreben geregelt wird, Anhäufung von Erregung zu vermeiden und sich möglichst erregungslos zu erhalten. Er war darum nach dem Schema eines Reflexapparates gebaut; die Motilität, zunächst der Weg zur inneren Veränderung des Körpers, war die ihm zu Gebote stehende Abfuhrbahn. Wir erörterten dann die psychischen Folgen eines Befriedigungserlebnisses und hätten dabei schon die zweite Annahme einfügen können, dass Anhäufung der Erregung — nach gewissen uns nicht bekümmernden Modalitäten — als Unlust empfunden wird und den Apparat in Thätigkeit versetzt, um das Befriedigungserlebnis, bei dem dis Verringerung der Erregung als Lust verspürt wird, wieder herbeizuführen. Eine solche, von der Unlust ausgehende, auf die Lust zielende, Strömung im Apparat heissen wir einen Wunsch; wir haben gesagt, nichts anderes als ein Wunsch sei im Stande, den Apparat in Bewegung zu bringen, und der Ablauf der Erregung in ihm werde automatisch durch die Wahrnehmungen von Lust und Unlust geregelt. Das erste Wünschen dürfte ein hallucinatorisches Besetzen der Befriedigungserinnerung gewesen sein. Diese Hallucination erwies sich aber, wenn sie nicht bis zur Erschöpfung festgehalten werden sollte, als untüchtig, das Aufhören des Bedürfnisses, also die mit der Befriedigung verbundene Lust, herbeizuführen.

§ 1042

Es wurde so eine zweite Thätigkeit — in unserer Ausdrucksweise die Thätigkeit eines zweiten Systems — nothwendig, welche nicht gestattete, dass die Erinnerungsbesetzung zur Wahrnehmung vordringe und von dort aus die psychischen Kräfte binde, sondern die vom Bedürfnisreiz ausgehende Erregung auf einen Umweg leite, der endlich über die willkürliche Motilitit die Aussenwelt so verändert, dass die reale Wahrnehmung des Befriedigungsobjectes eintreten kann. So weit haben wir das Schema des psychischen Apparates bereits verfolgt; die beiden Systeme sind der Keim zu dem, was wir als Ubw und Vbw in den voll ausgebildeten Apparat einsetzen.

§ 1043

Um die Aussenwelt zweckmässig durch die Motilität verändern zu können, bedarf es der Anhäufung einer grossen Summe von Erfahrungen in den Erinnerungssystemen und einer mannigfachen Fixirung der Beziehungen, die durch verschiedene Zielvorstellungen in diesem Erinnerungsmaterial hervorgerufen werden. Wir gehen nun in unseren Annahmen weiter. Die vielfach tastende, Besetzungen aussendende und wieder einziehende Thätigkeit des zweiten Systems bedarf einerseits der freien Verfügung über alles Erinnerungsmaterial; andererseits wäre es überflüssiger Aufwand, wenn sie grosse Besetzungsquantitäten auf die einzelnen Denkwege schickte, die dann unzweckmässig abströmen und die für die Veränderung der Aussenwelt nothwendige Quantität verringern würden. Der Zweckmässigkeit zu Liebe postulire ich also, dass es dem zweiten System gelingt, die Energiebesetzungen zum grösseren Antheil in Ruhe zu erhalten, und nur einen kleineren Theil zur Verschiebung zu verwenden. Die Mechanik dieser Vorgänge ist mir ganz unbekannt; wer mit diesen Vorstellungen Ernst machen wollte, müsste die physikalischen Analogien heraussuchen und sich einen Weg zur Veranschaulichung des Bewegungsvorganges bei der Neuronerregung bahnen. Ich halte nur an der Vorstellung fest, dass die Thätigkeit des ersten ψ-Systems auf freies Abströmen der Erregungsquantitäten gerichtet ist, und dass das zweite System durch die von ihm ausgehenden Besetzungen eine Hemmung dieses Abströmens, eine Verwandlung in ruhende Besetzung, wohl unter Niveauerhöhung, herbeiführt. Ich nehme also an, dass der Ablauf der Erregung unter der Herrschaft des zweiten Systems an ganz andere mechanische Verhältnisse geknüpft wird, als unter der Herrschaft des ersten. Hat das zweite System seine probende Denkarbeit beendigt, so hebt es auch die Hemmung und Stauung der Erregungen auf und lässt dieselben zur Motilität abfliessen.

§ 1044

Es ergibt sich nun eine interessante Gedankenfolge, wenn man die Beziehungen dieser Abflusshemmung durch das zweite System zur Regulirung durch das Unlustprineip in’s Auge fasst. Suchen wir uns das Gegenstück zum primären Befriedigungserlebnis auf, das äussere Schreckerlebnis. Es wirke ein Wahrnehmungsreiz auf den primitiven Apparat ein, der die Quelle einer Schmerzerregung ist. Es werden dann so lange ungeordnete motorische Aeusserungen erfolgen, bis eine derselben den Apparat der Wahrnehmung und gleichzeitig dem Schmerz entzieht, und diese wird bei Wiederauftreten der Wahrnehmung sofort wiederholt werden (etwa als Fluchtbewegung), bis die Wahrnehmung wieder versöhwunden ist. Es wird aber hier keine Neigung übrig bleiben, die Wahrnehmung der Schmerzquelle hallucinatorisch oder anderswie wieder zu besetzen. Vielmehr wird im primären Apparat die Neigung bestehen, dies peinliche Erinnerungsbild sofort, wenn es irgendwie geweckt wird, wieder zu verlassen, weil ja das Ueberfliessen seiner Erregung auf die Wahrnehmung Unlust hervorrufen wiirde (genauer: hervorzurufen beginnt). Die Abwendung von der Erinnerung, die nur eine Wiederholung der einstigen Flucht vor der Wahrnehmung ist, wird auch dadurch erleichtert, dass die Erinnerung nicht wie die Wahrnehmung genug Qualität besitzt, um das Bewusstsein zu erregen und hiedurch neue Besetzung an sich zu ziehen. Diese mühelos und regelmässig erfolgende Abwendung des psychischen Vorganges von der Erinnerung des einst Peinlichen, gibt uns das Vorbild und das erste Beispiel der psychischen Verdrängung. Es ist allgemein bekamnt, wie viel von dieser Abwendung vom Peinlichen, von der Taktik des Vogels Strauss, noch im normalen Seelenleben des Erwachsenen nachweisbar geblieben ist.

§ 1045

Zufolge des Unlustprincipes ist das erste ψ-System also überhaupt unfähig, etwas Unangenehmes in den Denkzusammenhang zu ziehen. Das System kann nichts anderes, als wünschen. Bliebe es so, so wäre die Denkarbeit des zweiten Systems gehindert, welches die Verfügung über alle in der Erfahrung niedergelegten Erinnerungen braucht. Es eröffnen sich nun zwei Wege; entweder macht sich die Arbeit des zweiten Systems vom Unlustprincip völlig frei, setzt ihren Weg fort, ohne sich um die Erinnerungsunlust zu kümmern; oder sie versteht es, die Unlusterinnerung in solcher Weise zu besetzen, dass die Unlustentbindung dabei vermieden wird. Wir können die erste Möglichkeit zurückweisen, denn das Unlustprincip zeigt sich auch als Regulator für den Erregungsablauf des zweiten Systems; somit werden wir auf die zweite gewiesen, dass dies System eine Erinnerung so besetzt, dass der Abfluss von ihr gehemmt wird, also auch der einer motorischen Innervation vergleiehbare Abfluss zur Entwickelung der Unlust. Zur Hypothese, dass die Besetzung durch das zweite System gleichzeitig eine Hemmung für den Abfluss der Erregung darstellt, werden wir also von zwei Ausgangspunkten her geleitet, von der Rücksicht auf das Unlustprincip und von dem Princip des kleinsten Innervationsaufwandes. Halten wir aber daran fest, — es ist der Schlüssel zur Verdrängungslehre — dass das zweite System nurdann eine Vorstellung besetzenkann, wenn es im Stande ist, die von ihr ausgehende Unlustentwickelung zu hemmen. Was sich etwa dieser Hemmung entzüge, bliebe auch für das zweite System unzugänglich, würde dem Unlustprincip zufolge alsbald verlassen werden. Die Hemmung der Unlust braucht indess keine vollständige zu sein; ein Beginn derselben muss zugelassen werden, da es dem zweiten System die Natur der Erinnerung und etwa deren mangelnde Eignung für den vom Denken gesuchten Zweck anzeigt.

§ 1046

Den psychischen Vorgang, welchen das erste System allein zulässt, werde ich jetzt Primärvorgang nennen; den, der sich unter der Hemmung des zweiten ergibt, Secundärvorgang. Ich kann noch an einem anderen Punkte zeigen, zu welchem Zwecke das zweite System den Primärvorgang corrigiren muss. Der Primärvorgang strebt nach Abfuhr der Erregung, um mit der so gesammelten Erregungsgrösse eine Wahrnehmungsidentität herzustellen; der Secundärvorgang hat diese Absicht verlassen und an ihrer Statt die andere aufgenommen, eine Denkidentität zu erzielen. Das ganze Denken ist nur ein Umweg von der als Zielvorstellung genommenen Befriedigungserinnerung bis zur identischen Besetzung derselben Erinnerung, die auf dem Wege über die motorischen Erfahrungen wieder erreicht werden soll. Das Denken muss sich für die Verbindungswege zwischen den Vorstellungen interessiren, ohne sich durch die Intensitäten derselben heirren zu lassen. Es ist aber klar, dass die Verdiehtungen von Vorstellungen, Mittel- und Compromissbildungen in der Erreichung dieses Identitätszieles hinderlich sind; indem sie die eine Vorstellung für die andere setzen, lenken sie vom Wege ah, der von der ersteren weiter geführt hatte. Solche Vorgänge werden also im secundären Denken sorgfältig vermieden. Es ist auch nicht schwer zu übersehen, dass das Unlustprincip dem Denkvorgang, welchem es sonst die wichtigsten Anhaltspunkte bietet, auch Schwierigkeiten in der Verfolgung der Denkidentität in den Weg legt. Die Tendenz des Denkens muss also dahin gehen, sich von der äusschliesslichen Regulirung durch das Unlustprineip immer mehr zu befreien und die Affectentwickelung durch die Denkarbeit auf ein Mindestes, das noch als Signal verwerthbar ist, einzuschränken. Durch eine neuerliche Ueberbesetzung, die das Bewusstsein vermittelt, soll diese Verfeinerung der Leistung erzielt werden. Wir wissen aber, dass diese selbst im normalsten Seelenleben selten vollständig gelingt, und dass unser Denken der Fälschung durch die Einmengung des Unlustprincipes immer zugänglich bleibt.

§ 1047

Aber nicht dies ist die Lücke in der Functionstüchtigkeit unseres seelischen Apparates, durch welche es möglich wird, dass Gedanken, die sich als Ergebnisse der secundären Denkarbeit darstellen, dem primären psychischen Vorgang verfallen, mit welcher Formel wir jetzt die zum Traume und zu den hysterischen Symptomen führende Arbeit beschreiben können. Der Fall von Unzulänglichkeit ergibt sich durch das Zusammentreffen zweier Momente aus unserer Entwickelungsgeschichte, von denen das eine ganz dem seelischen Apparat anheimfällt, und einen massgebenden Einfluss auf das Verhältnis der beiden Systeme ausgeübt hat, das andere aber im wechselnden Betrage zur Geltung kommt und Triebkräfte organischer Herkunft in’s Seelenleben einführt. Beide stammen aus dem Kinderleben und sind ein Niederschlag der Veränderung, die unser seelischer und somatischer Organismus seit den infantilen Zeiten erfahren hat.

§ 1048

Wenn ieh den einen psychischen Vorgang im Seelenapparat den primären benannt habe, so that ich dies nicht allein mit Rücksicht auf die Rangordnung und Leistungsfüähigkeit, sondern durfte auch die zeitlichen Verhältnisse bei der Namengebung mitsprechen lassen. Ein psychischer Apparat, der nur den Primärvorgang besisse, existirt zwar unseres Wissens nicht und ist insoferne eine theoretische Fiction; aber soviel ist thatsächlich, dass die Primärvorgänge in ihm von Anfang an Regeben sind, während die secundären erst allmälieb im Laufe des Lebens sich ausbilden, die primären hemmen und überlagern und ihre volle Herrschaft über sie vielleicht erst mit der Lebenshöhe erreichen. Infolge dieses verspäteten Eintreffens der secundären Vorgänge bleibt der Kern unseres Wesens, aus unbewussten Wunschregungen bestehend, unfassbar und unhemmbar für das Vorbewusste, dessen Rolle ein für allemale daraut beschränkt wird, den aus dem Unbewussten stammenden Wunschregungen die zweckmässigsten Wege anzuweisen. Diese unbewussten Wünsche stellen für alle späteren seelischen Bestrebungen einen Zwang dar, dem sie sich zu fügen haben, den etwa abzuleiten und auf höher stehende Ziele zu lenken sie sich bemühen dürfen. Ein grosses Gebiet des Erinnerungsmaterials bleibt auch infolge dieser Verspätung der vorbewussten Besetzung unzugänglich.

§ 1049

Unter diesen aus dem Infantilen stammenden, unzerstörbaren und unhemmbaren Wunschregungen befinden sich nun auch solche, deren Erfüllungen in das Verhältnis des Widerspruches zu den Zielvorstellungen des secandären Denkens getreten sind. Die Erfüllung dieser Wünsche würde nicht mehr einen Lust-, sondern einen Unlustaffect hervorrufen, und eben diese Affectverwandlung macht das Wesen dessen aus, was wir als „Verdrängung“ bezeichnen. Auf welchem Wege, durch welche Triebkräfte eine solche Verwandlung vor sich gehen kann, darin besteht das Problem der Verdrängung, das wir hier nur zu streifen brauchen. Es genügt uns festzuhalten, dass eine solche Affectverwandlung im Laufe der Entwickelung vorkommt (man denke nur an das Auftreten des anfänglich fehlenden Ekels im Kinderleben), und dass sie an die Thätigkeit des secundären Systems geknüpft ist. Die Erinnerungen, von denen aus der unbewusste Wunsch die Affectentbindung, hervorruft, waren dem Vbw niemals zugänglich; darum ist deren Affectentbindung auch nicht zu hemmen. Eben wegen dieser Affectentwickelung sind diese Vorstellungen jetzt auch nicht von den vorbewussten Gedanken her zugänglich, auf die sie ihre Wunschkraft übertragen haben. Vielmehr tritt das Unlnstprincip in Kraft und veranlasst, dass das Vbw sich von diesen Uebertragungsgedanken abwendet. Dieselben werden sich selbst überlassen, „verdrängt“, und somit wird das Vorhandensein eines infantilen, dem Vbw von Anfang an entzogenen Erinnerungsschatzes zur Vorbedingung der Verdrängung.

§ 1050

Im günstigsten Falle nimmt die Unlustentwickelung ein Ende, sowie den Uebertragungsgedanken im Vbw die Besetzung entzogen ist, und dieser Erfolg kennzeichnet das Eingreifen des Unlustprincips als zweckmässig, Anders aber, wenn der verdrängte unbewusste Wunsch eine organische Verstärkung erfährt, die er seinen Uebertragungsgedanken leihen, wodurch er sie in den Stand setzen kann, mit ihrer Erregung den Versuch zum Durchdringen zu machen, auch wenn sie von der Besetzung des Vbw verlassen worden sind. Es kommt dann zum Abwehrkampf, indem das Vbw den Gegensatz gegen die verdrängten Gedanken verstärkt, und in weiterer Folge zum Durchdringen der Uebertragungsgedanken, welche Träger des unbewussten Wunsches sind, in irgend einer Form von Compromiss durch Symptombildung. Von dem Moment aber, da die verdrängten Gedanken von der unbewussten Wunscherregung kräftig besetzt, von der vorbewussten Besetzung dagegen verlassen sind, unterliegen sie dem primären psychischen Vorgang, zielen sie nur auf motorische Abfuhr oder, wenn der Weg frei ist, auf, hallucinatorische Belebung der gewünschten Wahrnehmungsidentität. Wir haben früher empirisch gefunden, dass die beschriebenen incorrecten Vorgänge sich nur mit Gedanken abspielen, die in der Verdrängung stehen. Wir erfassen jetzt ein weiteres Stück des Zusammenhanges. Diese incorrecten Vorgänge sind die in psychischen Apparat primären; sie treten überall dort ein, wo Vorstellungen von der vorbewussten Besetzung verlassen, sich selbst überlassen werden und sich mit der ungehemmten nach Abfluss strebenden Energie vom Unbewussten her erfüllen können. Einige andere Beobachtungen kommen hinzu, die Auffassung zu stützen, dass diese incorrect genannten Vorgänge nicht wirklich Fälschungen der normalen, Denkfehler, sind, sondern die von einer Hemmung befreiten Arbeitsweisen des psychischen Apparates. So sehen wir, dass die Ueberleitung der vorbewussten Erregung auf die Motilität nach denselben Vorgängen geschieht, und dass die Verknüpfung der vorbewussten Vorstellungen mit Worten leicht die nämlichen, der Unaufmerksamkeit zugeschriebenen Verschiebungen und Vermengungen zeigt. Endlich möchte sich ein Beweis für den Arbeitszuwachs, der bei der Hemmung dieser primären Verlaufsweisen nothwendig wird, aus der Thatsache ergeben, dass wir einen komischen Effect, einen durch Lachen abzuführenden Ueberschuss erzielen, wenn wir diese Verlaufsweisen des Denkens zum Bewusstsein vordringen lassen.

§ 1051

Die Theorie der Psychoneurosen behauptet mit ausschliessender Sicherheit, dass es nur sexuelle Wunschregungen aus dem Infantilen sein können, welche in den Entwiekelungsperioden der Kindheit die Verdrängung (Affectverwandlung) erfahren haben, in späteren Entwickelungsperioden dann einer Erneuerung fähig sind; sei es infolge der sexuellen Constitution, die sich ja aus der ursprünglichen Bisexualität herausbildet, sei es infolge ungünstiger Einflüsse des sexuellen Lebens, und die somit die Triebkräfte für alle psychoneurotische Symptombildung abgeben. Nur durch die Einführung dieser sexuellen Kräfte sind die in der Theorie der Verdrängung noch aufweisbaren Lücken zu schliessen. Ich will es dahingestellt sein lassen, ob die Forderung des Sexuellen und Infantilen auch für die Theorie des Traumes erhoben werden darf; ich lasse diese hier unvollendet, weil ich schon durch die Annahme, der Traumwunsch stamme jedesmal aus dem Unbewussten, einen Schritt weit über das Beweisbare hinausgegangen bin.*)*) Ich will auch nicht weiter untersuchen, worin der Unterschied im Spiel der psychischen Kräfte bei der Traumbildung und bei der Bildung der hysterischen Symptome gelegen ist; es fehlt uns ja hiezu die genauere Kenntnis des einen der in Vergleich zu bringenden Glieder. Aber auf einen anderen Punkt lege ich Werth und schicke das Bekenntnis voraus, dass ich nur dieses Punktes wegen all die Erörterungen über die beiden psychischen Systeme, ihre Arbeitsweisen und die Verdrängung hier aufgenommen habe. Es kommt jetzt nämlich nicht darauf an, ob ich die in Rede stehenden psychologischen Verhältnisse annähernd richtig, oder, wie bei so schwierigen Dingen leicht möglieh, schief und lückenhaft aufgefasst habe. Wie immer die Deutung der psychischen Censur, der correcten und der abnormen Bearbeitung des Trauminhaltes sich verändern mag, es bleibt giltig, dass solehe Vorgänge bei der Traumbildung wirksam sind, und dass sie die grösste Analogie im Wesentlichen mit den bei der hysterischen Symptombildung erkannten Vorgängen zeigen. Nun ist der Traum kein pathologisches Phänomen; er hat keine Störung des psychischen Gleiehgewichtes zur Voraus

*) Es sind hier wie an anderen Stellen Lücken in der Bearbeitung des Themas, die ich absichtlich belassen habe, weil deren Ausfüllung einerseits einen zu grossen Aufwand, andererseits die Anlehnung an ein dem Traume fremdes Material erfordern würde. So habe ich es z. B. vermieden anzugeben, ob ich mit dem Worte „unterdrückt“ einen anderen Sinn verbinde als mit dem Worte „verdrängt“. Es dürfte nur klar geworden sein, dass letzteres die Zugehörigkeit zam Unbewussten stärker als das erstere betont. Ich bin auf das nahe liegende Problem nicht eingegangen, warum die Traumgedanken die Entstellung durch die Censur auch für den Fall erfahren, dass sie auf die progrediente Fortsetzung zum Bewusstsein verzichten und sich für den Weg der Regression entscheiden, u. dgl. Unterlassungen mehr. Es kam mir vor Allem darauf an, einen Eindruck von den Problemen zu erwecken, zu denen die weitere Zergliederung der Traumarbeit führt, und die anderen Themata anzudeuten, mit denen dieses auf dem Wege zusammentrifft. Die Entscheidung, an welcher Stelle die Verfolgung abgebrochen werden soll, ist mir dann nicht immer leicht geworden. — Dass ich die Rolle des sexuellen Vorstellungslebens für den Traum nicht erschöpfend behandelt und die Deutung von Träumen mit offenkundig sexuellem Inhalt vermieden habe, beruht auf einer besonderen Motivirung, die sich vielleicht mit der Erwartung der Leser nicht deckt. Es liegt gerade meinen Anschauungen und den Lehrmeinunger, die ich in der Neuropathologie vertrete, völlig ferne, das Sexualleben als ein Pudendum anzusehen, das weder den Arzt noch den wissenschaftlichen Forscher zu. bekümmern hat. Auch finde ich die sittliche Entrüstung lächerlich, durch welche der Uebersetzer des Artemidoros aus Daldis 2) über die „Symbolik der Träume“ sich bewegen liess, das dort enthaltene Kapitel über sexuelle Träume der Kenntnis der Leser zu unterschlagen. Für mich war allein die Einsicht massgebend, dass ich mich bei der Erklärung sexueller Träume tief in die noch ungeklärten Probleme der Perversion und der Bisexualität verstricken müsste, und so sparte ich mir dies Material für einen anderen Zusammenhang. § 1052

Flectere si nequeo Superos, Acheronta movebo.

§ 1053

Indem wir der Analyse des Traumes folgen, bekommen wir ein Stück weit Einsicht in die Zusammensetzung dieses allerwunderbarsten und allergeheimnisvollsten Instrumentes, freilich nur ein kleines Stück weit, aber es ist damit der Anfang gemacht, um von anderen — pathologisch zu heissenden — Bildungen her weiter in die Zerlegung desselben vorzudringen. Denn die Krankheit — wenigstens die mit Recht functionell genannte — hat nicht die Zertrümmerung dieses Apparates, die Herstellung neuer Spaltungen in seinem Inneren zur Voraussetzung; sie ist dynamisch aufzuklären durch Stärkung und Schwächung der Componenten des Kräftespiels, von dem so viele Wirkungen während der normalen Function verdeckt sind. An anderer Stelle könnte noch gezeigt werden, wie die Zusammensetzung des Apparates aus den beiden Instanzen eine Verfeinerung auch der normalen Leistung gestattet, die einer einzigen unmöglich wäre.*)*)

*) Der Traum ist nicht das einzige Phänomen, welches die Psychopathologie auf die Psychologie zu begründen gestattet. In einer kleinen, noch nicht abge § 1054

f) Das Unbewusste und das Bewusstsein. — Die Realität.

§ 1055

Wenn wir genauer zusehen, ist es nicht der Bestand von zwei Systemen nahe dem motorischen Ende des Apparates, sondern von zweierlei Vorgängen oder Ablaufsarten der Erregung, deren Annahme uns durch die psychologischen Erörterungen der vorstehenden Abschnitte nahe gelegt wurde. Es gälte uns gleich; denn unsere Hilfsvorstellungen fallen zu lassen, müssen wir immer bereit sein, wenn wir uns in der Lage glauben, sie durch etwas Anderes zu ersetzen, was der unbekannten Wirklichkeit besser angenähert ist. Versuchen wir es jetzt, einige Anschauungen richtig zu stellen, die sich missverständlich bilden konnten, so lange wir die beiden Systeme im nächsten und rohesten Sinne als zwei Localitäten innerhalb des seelischen Apparates im Auge hatten, Anschauungen, die ihren Niederschlag in den Ausdrücken „verdrängen“ und „durchdringen“ zurückgelassen haben. Wenn wir also sagen, ein unbewusster Gedanke strebe nach Uebersetzung in’s Vorbewusste, um dann zum Bewusstsein durchzudringen, so meinen wir nicht, dass ein zweiter an neuer Stelle gelegener Gedanke gebildet werden soll, eine Ueberschrift gleichsam, neben welcher das Original fortbesteht; und auch vom Durchdringen zum Bewusstsein wollen wir jede Idee einer Ortsveränderung sorgfältig ablösen. Wenn wir sagen, ein vorbewusster Gedanke wird verdrängt und dann vom Unbewussten aufgenommen, so könnten uns diese dem Vorstellungskreis des Kampfes um ein Terrain entlehnten Bilder zur Annahme verlocken, dass wirklich in der einen psychischen Localität eine Anordnung aufgelöst und durch eine neue in der anderen Localität ersetzt wird. Für diese Gleichnisse setzen wir ein, was dem realen Sachverhalt besser zu entsprechen scheint, dass eine Energiebesetzung auf eine bestimmte Anordnung verlegt oder von ihr zurückgezogen wird, so dass das psychische Gebilde unter die Herrschaft einer Instanz geräth oder ihr entzogen ist. Wir ersetzen hier wiederum eine topische Vorstellungsweise durch eine dynamische; nicht das psychische Gebilde erscheint uns als das Bewegliche, sondern dessen Innervation.

§ 1056

Dennoch halte ich es. für zweckmässig und berechtigt, die anschauliche Vorstellung der beiden Systeme weiter zu pflegen. Wir weichen jedem Missbrauch dieser Darstellungsweise aus, wenn wir uns erinnern, dass Vorstellungen, Gedanken, psychische Gebilde im Allgemeinen überhaupt nicht in organischen Elementen des Nervensystems localisirt werden dürfen, sondern so zu sagen zwischen ihnen, wo Widerstände und Bahnungen das ihnen entsprechende Correlat bilden, Alles, was Gegenstand unserer inneren Wahr nehmung werden kann, ist virtuell, wie das durch den Gang der Lichtstrahlen gegebene Bild im Fermrohr. Die Systeme aber, die selbst nichts Psychisches sind und nie unserer psychischen Wahrnehmung zugänglich werden, sind wir berechtigt anzunehmen gleich den Linsen des Fernrohrs, die das Bild entwerfen. In der Fortsetzung dieses Gleichnisses entspräche die Censur zwischen zwei Systemen der Strahlenbrechung beim Uebergange in ein neues Medium.

schlossenen Reihe von Aufsätzen in der Monatsschrift für Psychiatrie und Neurologie (über den psychischen Mechanismus der Vergesslichkeit 1898 — über Denkerinnerungen 1899) suche ich eine Anzahl von alltäglichen psychischen Erscheinungen als Stützen der nämlichen Erkenntnis zu deuten. § 1057

Wir haben bisher Psychologie auf eigene Faust getrieben; es ist Zeit, sich nach den Lehrmeinungen umzusehen, welche die heutige Psychologie beherrschen, und deren Verhältnis zu unseren Aufstellungen zu prüfen. Die Frage des Unbewussten in der Psychologie ist nach dem kräftigen Worte von Lipps *)*) weniger eine psychologische Frage, als die Frage der Psychologie. So lange die Psychologie diese Frage durch die Worterklärung erledigte, das „Psychische“ sei eben das „Bewusste“, und „unbewusste psychische Vorgänge“ ein greifbarer Widersinn, blieb eine psychologische Verwerthung der Beobachtungen, welche ein Arzt an abnormen Seelenzuständen gewinnen konnte, ausgeschlossen. Erst dann treffen der Arzt und der Philosoph zusammen, wenn beide anerkennen, unbewusste psychische Vorgänge seien „der zweckmässige und wohlberechtigte Ausdruck für eine feststehende Thatsache“. Der Arzt kann nicht anders, als die Versicherung, „das Bewusstsein sei der unentbehrliche Charakter des Psychischen“, mit Achselzucken zurückweisen, und etwa, wenn sein Respect vor den Aeusserungen der Philosophen noch stark genug ist, annehmen, sie behandelten nicht dasselbe Object und trieben nicht die gleiche Wissenschaft. Denn auch nur eine einzige verständnisvolle Beobachtung des Seelenlebens eines Neurotikors, eine einzige Traumanalyse, muss ihm die unerschütterliche Weberzeugung aufdrängen, dass die complicirtesten und correctesten Denkvorgänge, denen man doch den Namen psychischer Vorgänge nicht versagen wird, vorfallen können, ohne das Bewusstsein der Person zu erregen. Gewiss erhält der Arzt von diesen unbewussten Vorgängen nicht eher Kunde, als bis sie eine Mittheilung oder Beobachtung zulassende Wirkung auf das Bewusstsein ausgeübt haben. Aber dieser Bewusstseinseffect kann einen von dem unbewussten Vorgang ganz abweichenden psychischen Charakter zeigen, so dass die innere Wahrnehmung unmöglich den einen als den Ersatz des anderen erkennen kann. Der Arzt muss sich das Recht wahren, durch einen Schlussprocess vom Bewusstseinseffect zum unbewussten psychischen Vorgang vorzudringen; er erfährt auf diesem Wege, dass der Bewusstseinseffect nur eine entfernte psychische Wirkung des unbewussten Vorganges ist, und dass letzterer nicht als solcher bewusst geworden ist, auch dass er bestanden und gewirkt hat, ohne sich noch dem Bewusstsein irgendwie zu verrathen.

*) Der Begriff des Unbewussten in der Psychologie. — Vortrag auf dem dritten internationalen Congress für Psychologie zu München 1897. § 1058

Die Rückkehr von der Ueberschätzung der Bewusstseinseigenschaft wird zur unerlässlichen Vorbedingung für jede richtige Einsicht in den Hergang des Psychischen. Das Unbewusste muss nach dem Ausdrucke von Lipps als allgemeine Basis des psychischen Lebens angenommen werden. Das Unbewusste ist der grössere Kreis, der den kleineren des Bewussten in sich einschliesst; alles Bewusste hat eine unbewusste Vorstufe, während das Unbewusste auf dieser Stufe stehen bleiben und doch den vollen Werth einer psychischen Leistung beanspruchen kann. Das Unbewusste ist das eigentlich reale Psychische, uns nach seiner inneren Natur so unbekannt wie das Reale der Aussenwelt, und uns durch die Daten des Bewusstseins ebenso unvollständig gegeben wie die Aussenwelt durch die Angaben unserer Sinnesorgane.

§ 1059

Wenn der alte Gegensatz von Bewusstleben und Traumleben durch die Einsetzung des unbewussten Psychischen in die ihm gebührende Stellung entwerthet ist, so werden eine Reihe von Traumproblemen abgestreift, welche frühere Autoren noch eingehend beschäftigt haben. So manche Leistungen, über deren Vollziehung im Traume man sich wundern konnte, sind nun nicht mehr dem Traum anzurechnen, sondern dem auch bei Tage arbeitenden unbewussten Denken. Wenn der Traum mit einer symbolisirenden Darstellung des Körpers, nach Scherner, zu spielen scheint, so wissen wir, dies ist die Leistung gewisser unbewusster Phantasien, die wahrscheinlich sexuellen Regungen nachgeben, und die nicht nur im Traum sondern auch in den hysterischen Phobien und anderen Symptomen zum Ausdruck kommen. Wenn der Traum Arbeiten des Tages fortführt und erledigt, und selbst werthvolle Einfälle an’s Licht fördert, so haben wir hievon nur die Traumverkleidung abzuziehen als Leistung der Traumarbeit und als Marke der Hilfeleistung dunkler Mächte der Seelentiefen (vgl. den Teufel in Tartini’s Sonatentraum). Die intellectuelle Leistung selbst füllt denselben Seelenkräften zu, die tagsüber alle solche vollbringen. Wir neigen wahrscheinlich in viel zu hohem Masse zur Ueberschätzung des bewussten Oharakters auch der intellectuellen und künstlerischen Production. Aus den Mittheilungen einiger höchstproductiven Menschen, wie Goethe und Helmholtz, erfahren wir doch eher, dass das Wesentliche und Neue ihrer Schöpfungen ihnen einfallsartig gegeben wurde und fast fertig zu ihrer Wahrnehmung kam. Die Mithilfe der bewussten Thätigkeit in anderen Fällen hat nichts Befremdendes, wo eine Anstrengung aller Geisteskräfte vorlag. Aber es ist das viel missbrauchte Vorrecht der bewussten Thätigkeit, dass sie uns alle anderen verdecken darf, wo immer sie mitthut.

§ 1060

Es verlohnt sich kaum der Mühe, die historische Bedeutung der Träume als ein besonderes Thema aufzustellen. Wo ein Häuptling etwa durch einen Traum zu einem kühnen Unternehmen bestimmt wurde, dessen Erfolg verändernd in die Geschichte eingegriffen hat, da ergibt sich ein neues Problem nur so lange, als man den Traum wie eine fremde Maeht anderen vertrauteren Seelenkräften gegenüber stellt, nicht mehr, wenn man den Traum als eine Form des Ausdrucks für Regungen betrachtet, auf denen bei Tage ein Widerstand lastete, und die sich bei Nacht Verstärkung aus tiefliegenden Erregungsquellen holen konnten. Die Achtung aber, mit der dem ‘Traum bei den alten Völkern begegnet wurde, ist eine auf richtige psychologische Ahnung gegründete Huldigung vor dem Ungebändigten und Unzerstörbaren in der Menschenseele, dem Dämonischen, welches den Trraumwunsch hergibt, und das wir in unserem Unbewussten wiederfinden.

§ 1061

Ich sage nicht ohne Absicht, in unserem Unbewussten, denn was wir so heissen, deckt sich nicht mit dem Unbewussten der Philosophen, auch nicht mit dem Unbewussten bei Lipps. Dort soll es blos den Gegensatz zu dem Bewussten bezeichnen; dass es ausser den bewussten Vorgängen auch unbewusste psychische gibt, ist die heiss bestrittene und energisch vertheidigte Erkenntnis. Bei Lipps hören wir von dem weiter reichenden Satz, dass alles Psychische als unbewusst vorhanden ist, einiges davon dann auch als bewusst. Aber nicht zum Erweis für diesen Satz haben wir die Phänomene des Traumes und der hysterischen Symptombildung herangezogen; die Beobachtung des normalen Tageslebens reicht allein hin, ihn über jeden Zweifel festzustellen. Das Neue, was uns die Analyse der psychopathologischen Bildungen und schon ihres erstes Gliedes, der Träume, gelehrt, besteht darin, dass das Unbewusste — also das Psychische — als Function zweier gesonderter Systeme vorkommt und schon im normalen Seelenleben so vorkommt. Es gibt also zweierlei Unbewusstes, was wir von den Psychologen noch nicht gesondert finden. Beides ist Unbewusstes im Sinne der Psychologie; aber in unserem ist das eine, das wir Ubw heissen, auch bewusstseinsunfähig, während das andere Vbw von uns darum genannt wird, weil dessen Erregungen, zwar auch nach Einhaltung gewisser Regeln, vielleicht erst unter Ueberstehung einer neuen Censur, aber doch ohne Rücksicht auf das Ubw-System zum Bewusstsein gelangen können. Die Thatsache, dass die Erregungen, um zum Bewusstsein zu kommen, eine unabänderliche Reihenfolge, einen Instanzenzug durchzumachen haben, der uns durch ihre Censurveränderung verrathen wurde, diente uns zur Aufstellung eines Gleichnisses aus dem Räumlichkeit. Wir beschrieben die Beziehungen der beiden Systeme zu einander und zum Bewusstsein, indem wir sagten, das System Vbw stehe wie ein Schirm zwischen dem System Ubw und dem Bewusstsein. Das System Vbw sperre nicht nur den Zugang zum Bewusstsein, es beherrsche auch den Zugang zur willkürlichen Motilität und verfüge über die Aussendung einer mobilen Besetzungsenergie, von der uns ein Antheil als Aufmerksamkeit vertraut ist.

§ 1062

Auch von der Unterscheidung Ober- und Unterbewusstsein, die in der neueren Litteratur der Psychoneurosen so beliebt geworden ist, missen wir uns ferne halten, da gerade sie die Gleichstellung des Psychischen und des Bewussten zu betonen scheint.

§ 1063

Welche Rolle verbleibt in unserer Darstellung dem einst allmächtigen, alles Andere verdeckenden Bewusstsein? Keine andere, als die eines Sinnesorganes zur Wahrnehmung psychischer Qualitäten. Nach dem Grundgedanken unseres schematischen Versuches können wir die Bewustseinswahrnehmung nur als die eigene Leistung eines besonderen Systems auffassen, für welches sich die Abkürzungsbezeichnung Bw empfiehlt. Dies System denken wir uns in seinen mechanischen Charakteren ähnlich wie die Wahrnehmungssysteme W, also erregbar durch Qualitäten, und unfähig die Spur von Veränderungen zu bewahren, also ohne Gedächtnis. Der psychische Apparat, der mit dem Sinnesorgan der W-Systeme der Aussenwelt zugekehrt ist, ist selbst Aussenwelt für das Sinnesorgan des Bw, dessen teleologische Rechtfertigung in diesem Verhältnisse ruht. Das Princip des Instanzenzuges, welches den Bau des Apparates zu beherrschen scheint, tritt uns hier nochmals entgegen. Das Material an Erregungen fliesst dem Bw-Sinnesorgan von zwei Seiten her zu, von dem W-System her, dessen durch Qualitäten bedingte Erregung wahrscheinlich eine neue Verarbeitung durchmacht, bis sie zur bewussten Einpfindung wird, und aus dem Innern des Apparates selbst, dessen quantitative Vorgänge als Qualitätenreihe der Lust und Unlust empfunden werden, wenn sie bei gewissen Veränderungen angelangt sind.

§ 1064

Die Philosophen, welehe inne wurden, dass correcte und hoch zusammengesetzte Gedankenbildungen auch ohne Dazuthun des Bewusstseins möglich sind, haben es dann als Schwierigkeit erfunden, dem Bewusstsein eine Verrichtung zuzuschreiben; es erschien ihnen als überflüssige Spiegelung des vollendeten psychischen Vorganges. Die Analogie unseres Bw-Systemes mit den Wahrnehmungssystemen entreisst uns dieser Verlegenheit. Wir sehen, dass die Wahrnehmung durch unsere Sinnesorgane die Folge hat, eine Aufmerksamkeitsbesetzung auf die Wege zu leiten, nach denen die ankommende Sinneserregung sich verbreitet; die qualitative Erregung des W-Systems dient der mobilen Qantität im psychischen Apparat als Regulator ihres Ablaufes. Dieselbe Verrichtung können wir für das überlagernde Sinnesorgan des Bw-Systemes in Anspruch nehmen. Indem es neue Qualitäten wahrnimmt, leistet es einen neuen Beitrag zur Lenkung und zweckmässigen Vertheilung der mobilen Besetzungsquantitäten. Mittelst der Lust- und Unlustwahrnehmung beeinflusst es den Verlauf der Besetzungen innerhalb des sonst unbewusst und durch Quantitätsverschiebungen arbeitenden psychischen Apparates. Es ist wahrscheinlich, dass das Unlustprincip die Verschiebungen der Besetzung zunächst automatisch regelt; aber es ist sehr wohl möglich, dass das Bewusstsein dieser Qualitäten eine zweite und feinere Regulirung hinzuthut, die sich sogar der ersteren widersetzen kann und die Leistungsfähigkeit des Apparats vervollkommnet, indem sie ihn gegen seine ursprüngliche Anlage in den Stand setzt, auch was mit Unlustentbindung verknüpft ist, der Besetzung und Bearbeitung zu unterziehen. Aus der Neurosenpsychologie erfährt man, dass diesen Regulirungen durch die Qualitätserregung der Sinnesorgane eine grosse Rolle bei der Functionsthätigkeit des Apparates zugedacht ist. Die automatische Herrschaft des primären Ualustprincips und die damit verbundene Einschränkung der Leistungsfähigkeit wird durch die sensibeln Regulirungen, die selbst wieder Automatismen sind, gebrochen. Man erfährt, dass die Verdrängung, die, ursprünglich zweckmässig, doch in schädlichen Verzicht auf Hemmung und seelische Beherrschung ausläuft, sich soviel leichter an Erinnerungen als an Wahrnehmungen vollzieht, weil bei ersteren der Besetzungszuwachs durch die Erregung der psychischen Sinnesorgane ausbleiben muss. Wenn ein abzuwehrender Gedanke einerseits nicht bewusst wird, weil er der Verdrängung unterlegen ist, so kann er andere Male nur darum verdrängt werden, weil er aus anderen Gründen der Bewusstseinswahrnehmung entzogen wurde. Es sind das Winke, deren sich die Therapie bedient, um vollzogene Verdrängungen rückgängig zu machen.

§ 1065

Der Werth der Ueberbesetzung, welche durch den regulirenden Einfluss des Bw-Sinnesorgans auf die mobile Quantität hergestellt wird, ist im teleologischen Zusammenhang durch nichts besser dargethan, als durch die Schöpfung einer neuen Qualitätenreihe und somit einer neuen Regulirung, welche das Vorrecht des Menschen vor den Thieren ausmacht. Die Denkvorgänge sind nämlich an sich qualitätslos bis auf die sie begleitenden Lust und Unlusterregungen, die ja als mögliche Störung des Denkens in Schranken gehalten werden sollen. Um ihnen eine Qualität zu verleihen, werden sie beim Menschen mit den Worterinnerungen associirt, deren Qualitätsreste genügen, um die Aufmerksamkeit des Bewusstseins auf sich zu ziehen und von ihm aus dem Denken eine neue mobile Besetzung zuzuwenden.

§ 1066

Die ganze Mannigfaltigkeit der Bewusstseinsprobleme lässt sich erst bei der Zergliederung der hysterischen Denkvorgänge übersehen. Man empfängt dann den Eindruck, dass auch der Uebergang vom Vorbewussten zur Bewusstseinsbesetzung mit einer Censur verknüpft ist, ähnlich der Censur zwischen Ubw und Vbw. Auch diese Censur setzt erst bei einer gewissen quantitativen Grenze ein, so dass ihr wenig intensive Gedankenbildungen entgehen. Alle möglichen Fülle der Abhaltung von dem Bewusstsein, sowie des Durchdringens zu demselben unter Einschränkungen, finden sich im Rahmen der psychoneurotischen Phänomene vereinigt; sämmtlich weisen sie auf den innigen und zweiseitigen Zusammenhang zwischen Censur und Bewusstsein hin. Mit der Mittheilung zweier derartiger Vorkommnisse will ich diese psychologischen Erörterungen beschliessen.

§ 1067

Ein Consilium im Vorjahre führt mich zu einem intelligent und unbefangen blickenden Mädehen. Ihr Aufzug ist befremdend; wo doch sonst die Kleidung des Weibes bis in die letzte Falte beseelt ist, trägt sie einen Strumpf herabhängend und zwei Knöpfe der Blouse offen. Sie klagt über Schmerzen in einem Bein und entblösst unaufgefordert eine Wade. Ihre Hauptklage aber lautet wörtlich: Sie hat ein Gefühl im Leib, als ob etwas darin stecken würde, was sich hin und her bewegt und sie durch und durch erschüttert. Manchmal wird ihr dabei der ganze Leib wie steif. Mein mitanwesender College sieht mich dabei an; er findet die Klage nicht missverständlich. Merkwürdig erscheint uns Beiden, dass die Mutter der Kranken sich dabei nichts denkt; sie muss sich ja wiederholt in der Situation befunden haben, welche ihr Kind beschreibt. Das Mädchen selbst hat keine Ahnung von dem Belang ihrer Rede, sonst würde sie dieselbe nicht im Munde führen. Hier ist es gelungen, die Censur so abzublenden, dass eine sonst im Vorhewussten verbleibende Phantasie wie harmlos in der Maske einer Klage zum Bewusstsein zugelassen wird.

§ 1068

Ein anderes Beispiel. Ich beginne eine psychoanalytische Behandlung mit einem 14jährigen Knaben, der an Tic convulsif, hysterischem Erbrechen, Kopfschmerz u. dgl. leidet, indem ich ihm versichere, er werde nach dem Augenschluss Bilder sehen oder Einfälle bekommen, die er mir mittheilen soll. Er antwortet in Bildern. Der letzte Eindruck, ehe er zu mir gekommen ist, lebt in seiner Erinnerung visuell auf. Er hatte mit seinem Onkel ein Brettspiel gespielt und sieht jetzt das Brett vor sich. Er erörtert verschiedene Stellungen, die günstig sind oder ungünstig, Züge, die man nicht machen darf. Dann sieht er auf dem Brett einen Dolch liegen, einen Gegenstand, den sein Vater besitzt, den aber seine Phantasie auf das Brett verlegt. Dann liegt eine Sichel auf dem Brett, dann kommt eine Sense hinzu, und jetzt tritt das Bild eines, alten Bauern auf, der das Gras vor dem entfernten heimathlichen Hause mit der Sense mäht. Nach wenigen Tagen habe ich das Verständnis für diese Aneinanderreihung von Bildern gewonnen. Unerfreuliche Familienverhältnisse haben den Knaben in Aufregung gebracht. Ein harter, jähzorniger Vater, der mit der Mutter im Unfrieden lebte, dessen Erziehungsmittel Drohungen waren; die Scheidung des Vaters von der weichen und zärtlichen Mutter; die Wiederverheirathung des Vaters, der eines Tages eine junge Frau als die neue Mama nach Hause brachte. In den ersten Tagen nachher brach die Krankheit des 14jährigen Knaben aus. Es ist die unterdrückte Wuth gegen den Vater, die jene Bilder zu verständlichen Anspielungen zusammengesetzt hat. Eine Reminiscenz aus der Mythologie hat das Material gegeben. Die Sichel ist die, mit der Zeus den Vater ent mannte, die Sense und das Bild des Bauern schildern den Kronos, den gewaltthätigen Alten, der seine Kinder frisst, und an dem Zeus so unkindlich Rache nimmt. Die Heirath des Vaters war eine Gelegenheit, ihm die Vorwürfe und Drohungen zurückzugeben, die das Kind früher einmal von ihm gehört hatte, weil es mit den Genitalien spielte (das Brettspiel; die verbotenen Züge; der Dolch, mit dem man umbringen kann). Hier sind es lang verdrängte Erinnerungen und deren unbewusst gebliebene Abkömmlinge, die auf dem ihnen eröffneten Umwege sich als scheinbar sinnlose Bilder in’s Bewusstsein schleichen.

§ 1069

So würde ich also den theoretischen Werth der Beschäftigung mit dem Traum in den Beiträgen zur psychologischen Erkenntnis und in der Vorbereitung für das Verständnis der Psychoneurosen suchen. Wer vermag zu ahnen, zu welcher Bedeutung sich eine gründliche Bekanntschaft mit dem Bau und den Leistungen des Seelenapparates noch erheben kann, wenn schon der heutige Stand unseres Wissens eine glückliche therapeutische Beeinflussung der an sich heilbaren Formen von Psychoneurosen gestattet? Und der praktische Werth dieser Beschäftigung, höre ich fragen, für die Seelenkenntnis, die Aufdeckung der verborgenen Charaktereigenschaften der Einzelnen? Haben denn die unbewussten Regungen, die der Traum offenbart, nicht den Werth von realen Mächten im Seelenleben? Ist die ethische Bedeutung der unterdrückten Wünsche gering anzuschlagen, die, wie sie Träume schaffen, eines Tages Anderes schaffen können?

§ 1070

Ich fühle mich nicht berechtigt, auf diese Fragen zu antworten. Meine Gedanken haben diese Seite des Traumproblems nicht weiter verfolgt. Ich meine nur, jedenfalls hatte der römische Kaiser Unrecht, weleher einen Unterthanen hinrichten liess, weil dieser geträumt hatte, dass er den Imperator ermordet. Er hätte sich zuerst darum bekümmern sollen, was dieser Traum bedeutete; sehr wahrscheinlich war es nicht dasselbe, was er zur Schau trug. Und selbst, wenn ein Traum, der anders lautete, diese majestätsverbrecherische Bedeutung hätte, wäre es noch am Platze, des Wortes von Plato zu gedenken, dass der Tugendhafte sich begnügt, von dem zu träumen, was der Böse im Leben thut. Ich meine also, am besten gibt man die Träume frei. Ob den unbewussten Wünschen Realität zuzuerkennen ist, kann ich nicht sagen. Allen Uebergangs- und Zwischengedanken ist sie natürlich abzusprechen. Hat man die unbewussten Wünsche, auf ihren letzten und wahrsten Ausdruck gebracht, vor sich, so muss man sich wohl erinnern, dass auch dem psychisch Realen mehr als nur eine Existenzform zukommt. Für das praktische Bedürfnis der Charakterbeurtheilung des Menschen genügt zumeist die That und die bewusst sich äussernde Gesinnung, Die That vor Allem verdient in die erste Reihe gestellt zu werden; denn viele zum Bewusstsein durchgedrungene Impulse werden noch durch reale Mächte des Seelenlebens vor ihrem Einmünden in die That aufgehoben; ja, sie begegnen oft darum keinem psychischen Hindernis auf ihrem Wege, weil das Unbewusste ihrer anderweitigen Verhinderung sicher ist. Es bleibt auf alle Fälle lehrreich, den viel durchwühlten Boden kennen zu lernen, auf dem unsere Tugenden sich stolz erheben. Die nach allen Richtungen hin dynamisch bewegte Complication eines menschlichen Charakters fügt sich höchst selten der Erledigung durch eine einfache Alternative, wie unsere überjährte Morallehre es möchte.

§ 1071

Und der Werth des Traumes für die Kenntnis der Zukunft? Daran ist natürlich nicht zu denken. Man möchte dafür einsetzen: Für die Kenntnis der Vergangenheit. Denn aus der Vergangenheit stammt der Traum in jedem Sinne. Zwar entbehrt auch der alte Glaube, dass der Traum uns die Zukunft zeigt, nicht völlig des Gehalts an Wahrheit. Indem uns der Traum einen Wunsch als erfüllt vorstellt, führt er uns allerdings in die Zukunft; aber diese vom Träumer für gegenwärtig genommene Zukunft ist durch den unzerstörbaren Wunsch zum Ebenbild jener Vergangenheit gestaltet.

§ 1072

VIII. Litteraturverzeichnis.

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§ 1150

78. — Studien über die Association der Vorstellungen. Wien 1883.

§ 1151

Nachtrag.

§ 1152

Erst während der Correctur der letzten Bogen im September 1899 erhielt ich Kenntnis von einer kleinen Schrift „Inductive Untersuchungen über die Fundamentalgesetze der psychischen Phänomene“ von Dr. Ch. Ruths, 1898, welche eine grössere Arbeit über die Analyse der Träume ankündigt. Nach den vom Autor gegebenen Andeutungen darf ich erwarten, dass seine Resultate in manchen Punkten mit den meinigen zusammentreffen.

§ 1153

Inhaltsverzeichnis.

§ 1154

Seite

§ 1155

I. Die wissenschaftliche Litteratur der Traumprobleme . . 1

§ 1156

II. Die Methode der Traumdeutung. Die Analyse eines Traummusters . . . 66

§ 1157

III. Der Traum ist eine Wunscherfüllung . . . 85

§ 1158

IV. Die Traumentstellung . . . 93

§ 1159

V. Das Traummaterial und die Traumquellen . . . 112

§ 1160

a) Das Recente und das Indifferente im Traum . . . 113

§ 1161

b) Das Infantile als Traumquelle . . . 128

§ 1162

c) Die somatischen Traumquellen . . . 151

§ 1163

d) Typische Träume . . . 166

§ 1164

VI. Die Traumarbeit. . . 190

§ 1165

a) Die Verdichtungsarbeit . . . 191

§ 1166

b) Die Verschiebungsarbeit . . . 209

§ 1167

c) Die Darstellungsmittel des Traumes . . . 212

§ 1168

d) Die Rücksicht auf Darstellbarkeit . . . 229

§ 1169

e) Beispiele. Rechnen und Reden im Traum . . . 236

§ 1170

f) Absurde Träume. Die intellectuellen Leistungen im Traum . . . 244

§ 1171

g) Die Affecte im Traume . . . 268

§ 1172

h) Die secundäre Bearbeitung . . . 286

§ 1173

VII. Zur Psychologie der Traumvorgänge. . . 297

§ 1174

a) Das Vergessen der Träume . . . 299

§ 1175

b) Die Regression . . . 312

§ 1176

c) Zur Wunscherfüllung . . . 324

§ 1177

d) Das Wecken durch den Traum. Die Function des Traumes. Der Angsttraum . . . 337

§ 1178

e) Der Primär- und der Secundärvorgang. Die Verdrängung . . . 347

§ 1179

f) Das Unbewusste und das Bewusstsein. Die Realität . . . 363

§ 1180

VIII. Litteraturverzeichnis . . . 372