Die Traumdeutung (1900-001/1909)

Über das Werk

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  • Diercks, Christine
  • Rohrwasser, Michael
  • Konzept für die Edition und die Datenbank, Richtlinien, Quellenforschung, Signaturen, Referenzsystem
  • Diercks, Christine
  • Quellenforschung, Digitalisierung der Datenquellen, Bildbearbeitung, Faksimile-Ausgabe, Bibliografie
  • Blatow, Arkadi
  • Diplomatische Umschrift, Lektorat
  • Diercks, Christine
  • Huber, Christian
  • Kaufmann, Kira
  • Liepold, Sophie
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  • Roedelius, Julian
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  • Andorfer, Peter
  • Stoxreiter, Daniel

Freud, Sigmund: Die Traumdeutung (1900-001/1909). In: Andorfer, Peter; Blatow, Arkadi; Diercks, Christine; Huber, Christian; Kaufmann, Kira; Liepold, Sophie; Roedelius, Julian; Rohrwasser, Michael; Stoxreiter, Daniel (2022): Sigmund Freud Edition: Digitale Historisch-Kritische Gesamtausgabe, Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage, Wien. [3.4.2023], file:/home/runner/work/frd-static/frd-static/data/editions/plain/sfe-1900-001__1909.xml
§ 1

DIE

§ 2

TRAUMDEUTUNG.

§ 3

DIE

§ 4

TRAUMDEUTUNG

§ 5

VON

§ 6

PROF. DR. SIGM. FREUD.

§ 7

„FLECTERE SI NEQUEO SUPEROS, ACHERONTA MOVEBO“.

§ 8

ZWEITE VERMEHRTE AUFLAGE.

§ 9

LEIPZIG UND WIEN.

§ 10

FRANZ DEUTICKE. 1909.

§ 11

§ 12

§ 13

Inhaltsverzeichnis.

§ 14

Seite

§ 15

I. Die wissenschaftliche Literatur der Traumprobleme . . .1

§ 16

II. Die Methode der Traumdeutung. Die Analyse eines Traummusters . . . 68

§ 17

III. Der Traum ist eine Wunscherfüllung . . . 88

§ 18

IV. Die Traumentstellung . . . 96

§ 19

V. Das Traummaterial und die Traumquellen . . . 116

§ 20

a) Das Rezente und das Indifferente im Traume . . . 117

§ 21

b) Das Infantile als Traumquelle . . . 132

§ 22

c) Die somatischen Traumquellen . . . 155

§ 23

d) Typische Träume . . . 170

§ 24

VI. Die Traumarbeit. . . 203

§ 25

a) Die Verdichtungsarbeit . . . 204

§ 26

b) Die Verschiebungsarbeit . . . 222

§ 27

c) Die Darstellungsmittel des Traumes . . . 225

§ 28

d) Die Rücksicht auf Darstellbarkeit . . . 243

§ 29

e) Beispiele. Rechnen und Reden im Traume . . . 250

§ 30

f) Absurde Träume. Die intellektuellen Leistungen im Traume . . . 260

§ 31

g) Die Affecte im Traume . . . 284

§ 32

h) Die sekundäre Bearbeitung . . . 302

§ 33

VII. Zur Psychologie der Traumvorgänge. . . 313

§ 34

a) Das Vergessen der Träume . . . 315

§ 35

b) Die Regression . . . 328

§ 36

c) Zur Wunscherfüllung . . . 339

§ 37

d) Das Wecken durch den Traum. Die Funktion des Traumes. Der Angsttraum . . . 353

§ 38

e) Der Primär- und der Sekundärvorgang. Die Verdrängung . . . 363

§ 39

f) Das Unbewußte und das Bewußtsein. Die Realität . . . 378

§ 40

VIII. Literaturverzeichnis . . . 387

§ 41

Vorbemerkung.

§ 42

Indem ich hier die Darstellung der Traumdeutung versuche, glaube ich den Umkreis neuropathologischer Interessen nicht überschritten zu haben. Denn der Traum erweist sich bei der psychologischen Prüfung als das erste Glied in der Reihe abnormer psychischer Gebilde, von deren weiteren Gliedern die hysterische Phobie, die Zwangs- und die Wahnvorstellung den Arzt aus praktischen Gründen beschäftigen müssen. Auf eine ähnliche praktische Bedeutung kann der Traum — wie sich zeigen wird — Anspruch nicht erheben; um so größer ist aber sein theoretischer Wert als Paradigma, und wer sich die Entstehung der Traumbilder nicht zu erklären weiß, wird sich auch um das Verständnis der Phobien, Zwangs- und Wahnideen, eventuell um deren therapeutische Beeinflussung, vergeblich bemühen.

§ 43

Derselbe Zusammenhang aber, dem unser Thema seine Wichtigkeit verdankt, ist auch für die Mängel der vorliegenden Arbeit verantwortlich zu machen. Die Bruchflächen, welche man in dieser Darstellung so reichlich finden wird, entsprechen ebenso vielen Kontaktstellen, an denen das Problem der Traumbildung in umfassendere Probleme der Psychopathologie eingreift, die hier nicht behandelt werden konnten, und denen, wenn Zeit und Kraft ausreichen und weiteres Material sich einstellt, spätere Bearbeitungen gewidmet werden sollen.

§ 44

Eigentümlichkeiten des Materials, an dem ich die Traumdeutung erläuterte, haben mir auch diese Veröffentlichung schwer gemacht. Es wird sich aus der Arbeit selbst ergeben, warum alle in der Literatur erzählten oder von Unbekannten zu sammelnden Träume für meine Zwecke unbrauchbar sein mußten; ich hatte nur die Wahl zwischen den eigenen Träumen und denen meiner, in

§ 45

psychoanalytischer Behandlung stehenden, Patienten. Die Verwendung des letzteren Materials wurde mir durch den Umstand verwehrt, daß hier die Traumvorgänge einer unerwünschten Komplikation durch die Einmengung neurotischer Charaktere unterlagen. Mit der Mitteilung meiner eigenen Träume aber erwies sich als untrennbar verbunden, daß ich von den Intimitäten meines psychischen Lebens fremden Einblicken mehr eröffnete, als mir lieb sein konnte, und als sonst einem Autor, der nicht Poet, sondern Naturforscher ist, zur Aufgabe fällt. Das war peinlich, aber unvermeidlich; ich habe mich also darein gefügt, um nicht auf die Beweisführung für meine psychologischen Ergebnisse überhaupt verzichten zu müssen. Natürlich habe ich doch der Versuchung nicht widerstehen können, durch Auslassungen und Ersetzungen manchen Indiskretionen die Spitze abzubrechen; so oft dies geschah, gereichte es dem Werte der von mir verwendeten Beispiele zum entschiedensten Nachteile. Ich kann nur die Erwartung aussprechen, daß die Leser dieser Arbeit sich in meine schwierige Lage versetzen werden, um Nachsicht mit mir zu üben, und ferner, daß alle Personen, die sich in den mitgeteilten Träumen irgendwie betroffen finden, wenigstens dem Traumleben Gedankenfreiheit nicht werden versagen wollen.

§ 46

Vorwort zur zweiten Auflage.

§ 47

Daß von diesem schwer lesbaren Buche noch vor Vollendung des ersten Jahrzehnts eine zweite Auflage notwendig geworden ist, verdanke ich nicht dem Interesse der Fachkreise, an die ich mich in den vorstehenden Sätzen gewendet hatte. Meine Kollegen von der Psychiatrie scheinen sich keine Mühe gegeben zu haben, über das anfängliche Befremden hinauszukommen, welches meine neuartige Auffassung des Traumes erwecken konnte, und die Philosophen von Beruf, die nun einmal gewöhnt sind, die Probleme des Traumlebens als Anhang zu den Bewußtseinszuständen mit einigen — meist den nämlichen — Sätzen abzuhandeln, haben offenbar nicht bemerkt, daß man gerade an diesem Ende allerlei hervorziehen könne, was zu einer gründlichen Umgestaltung unserer psychologischen Lehren führen muß. Das Verhalten der wissenschaftlichen Buchkritik konnte nur die Erwartung berechtigen, daß Totgeschwiegenwerden das Schicksal dieses meines Werkes sein müsse; auch die kleine Schar von wackeren Anhängern, die meiner Führung in der ärztlichen Handhabung der Psychoanalyse folgen und nach meinem Beispiel Träume deuten, um diese Deutungen in der Behandlung von Neurotikern zu verwerten, hätte die erste Auflage des Buches nicht erschöpft. So fühle ich mich denn jenem weiteren Kreise von Gebildeten und Wißbegierigen verpflichtet, deren Teilnahme mir die Aufforderung verschafft hat, die schwierige und für so vieles grundlegende Arbeit nach neun Jahren von neuem vorzunehmen.

§ 48

Ich freue mich sagen zu können, daß ich wenig zu verändern fand. Ich habe hie und da neues Material eingeschaltet, aus meiner vermehrten Erfahrung einzelne Einsichten hinzugefügt, an einigen wenigen Punkten Umarbeitungen versucht; alles Wesentliche über den Traum und seine Deutung sowie über die daraus ableitbaren psychologischen Lehrsätze ist aber ungeändert geblieben; es hat, we

§ 49

nigstens subjektiv, die Probe der Zeit bestanden. Wer meine anderen Arbeiten (über Ätiologie und Mechanismus der Psychoneurosen) kennt, weiß, daß ich niemals Unfertiges für fertig ausgegeben und mich stets bemüht habe, meine Aussagen nach meinen fortschreitenden Einsichten abzuändern; auf dem Gebiete des Traumlebens durfte ich bei meinen ersten Mitteilungen stehen bleiben. In den langen Jahren meiner Arbeit an den Neurosenproblemen bin ich wiederholt ins Schwanken geraten und an manchem irre geworden; dann war es immer wieder die „Traumdeutung“, an der ich meine Sicherheit wiederfand. Meine zahlreichen wissenschaftlichen Gegner zeigen also einen sicheren Instinkt, wenn sie mir gerade auf das Gebiet der Traumforschung nicht folgen wollen.

§ 50

Auch das Material dieses Buches, diese zum größten Teil durch die Ereignisse entwerteten oder überholten eigenen Träume, an denen ich die Regeln der Traumdeutung erläutert hatte, erwies bei der Revision ein Beharrungsvermögen, das sich eingreifenden Änderungen widersetzte. Für mich hat dieses Buch nämlich noch eine andere subjektive Bedeutung, die ich erst nach seiner Beendigung verstehen konnte. Es erwies sich mir als ein Stück meiner Selbstanalyse, als meine Reaktion auf den Tod meines Vaters, also auf das bedeutsamste Ereignis, den einschneidendsten Verlust im Leben eines Mannes. Nachdem ich dies erkannt hatte, fühlte ich mich unfähig, die Spuren dieser Einwirkung zu verwischen. Für den Leser mag es aber gleichgültig sein, an welchem Material er Träume würdigen und deuten lernt.

§ 51

Wo ich eine unabweisbare Bemerkung nicht in den alten Zusammenhang einfügen konnte, habe ich ihre Herkunft von der zweiten Bearbeitung durch eckige Klammern angedeutet.

§ 52

Berchtesgaden, im Sommer 1908.

§ 53

Der Verfasser.

§ 54

I.

§ 55

Die wissenschaftliche Literatur der Traumprobleme.*)*)

§ 56

Auf den folgenden Blättern werde ich den Nachweis erbringen, daß es eine psychologische Technik gibt, welche gestattet Träume zu deuten, und daß bei Anwendung dieses Verfahrens jeder Traum sich als ein sinnvolles psychisches Gebilde herausstellt, welches an angebbarer Stelle in das seelische Treiben des Wachens einzureihen ist. Ich werde ferner versuchen die Vorgänge klar zu legen, von denen die Fremdartigkeit und Unkenntlichkeit des Traumes herrührt, und aus ihnen einen Rückschluß auf die Natur der psychischen Kräfte ziehen, aus deren Zusammen- oder Gegeneinanderwirken der Traum hervorgeht. So weit gelangt, wird meine Darstellung abbrechen, denn sie wird den Punkt erreicht haben, wo das Problem des Träumens in umfassendere Probleme einmündet, deren Lösung an anderem Material in Angriff genommen werden muß.

§ 57

Eine Übersicht über die Leistungen früherer Autoren sowie über den gegenwärtigen Stand der Traumprobleme in der Wissenschaft stelle ich voran, weil ich im Verlaufe der Abhandlung nicht häufig Anlaß haben werde, darauf zurückzukommen. Das wissenschaftliche Verständnis des Traumes ist nämlich trotz mehrtausendjähriger Bemühung sehr wenig weit gediehen. Dies wird von den Autoren so allgemein zugegeben, daß es überflüssig scheint, einzelne Stimmen anzuführen. In den Schriften, deren Verzeichnis ich zum Schlusse meiner Arbeit anfüge, finden sich viele anregende Bemerkungen und reichlich interessantes Material zu unserem Thema, aber nichts oder wenig, was das Wesen des Traumes träfe oder eines seiner Rätse endgültig löste. Noch weniger ist natürlich in das Wissen der gebil deten Laien übergegangen.

§ 58

Die erste Schrift, in welcher der Traum als ein Objekt der Psychologie abgehandelt wird, scheint die des Aristoteles 1) (Über Träume und Traumdeutung) zu sein. Aristoteles erklärt, der Traum sei zwar dämonischer Natur, aber nicht göttlicher, was wohl einen tiefen Sinn enthüllt, wenn man davon die richtige Übersetzung trifft. Er kennt einige der Charaktere des Traumlebens, z. B daß der Traum kleine, während des Schlafes eintretende Reize ins Große umdeutet („man glaubt, durch ein Feuer zu gehen und heiß zu werden, wenn nur eine ganz unbedeutende Erwärmung dieses oder jenes Gliedes stattfindet“), und zieht aus diesem Verhalten den Schluß, daß die Träume sehr wohl die ersten bei Tag nicht bemerkten Anzeichen einer beginnenden Veränderung im Körper dem Arzte verraten können. Zu einem tieferen Verständnis der aristotelischen Abhandlung vorzudringen, ist mir, bei nicht ausreichender Vorbildung und ohne kundige Hilfe, nicht möglich geworden.

*) [Bis zur ersten Veröffentlichung dieses Buches, 1900.] § 59

Die Alten vor Aristoteles haben den Traum bekanntlich nicht für ein Erzeugnis der träumenden Seele gehalten, sondern für eine Eingebung von göttlicher Seite, und die beiden gegensätzlichen Strömungen, die wir in der Schätzung des Traumlebens als jederzeit vorhanden auffinden werden, machten sich bereits bei ihnen geltend. Man unterschied wahrhafte und wertvolle Träume, dem Schläfer gesandt, um ihn zu warnen oder ihm die Zukunft zu verkünden, von eitlen, trügerischen und nichtigen, deren Absicht es war, ihn in die Irre zu führen oder ins Verderben zu stürzen. Diese vorwissenschaftliche Traumauffassung der Alten stand sicherlich im vollsten Einklange mit ihrer gesamten Weltanschauung, welche als Realität in die Außenwelt zu projizieren pflegte, was nur innerhalb des Seelenlebens Realität hatte. Sie trug überdies dem Haupteindruck Rechnung, welchen das Wachleben durch die am Morgen übrigbleibende Erinnerung von dem Traume empfängt, denn in dieser Erinnerung stellt sich der Traum als etwas Fremdes, das gleichsam aus einer anderen Welt herrührt, dem übrigen psychischen Inhalt entgegen. Es wäre übrigens irrig zu meinen, daß die Lehre von der übernatürlichen Herkunft der Träume in unseren Tagen der Anhänger entbehrt; von allen pietistischen und mystischen Schriftstellern abgesehen — die ja recht daran tun, die Reste des ehemals ausgedehnten Gebietes des Übernatürlichen besetzt zu halten, solange sie nicht durch naturwissenschaftliche Erklärung erobert sind —, trifft man doch auch auf scharfsinnige und allem Abenteuerlichen abgeneigte Männer, die ihren religiösen Glauben an die Existenz und an das Eingreifen übermenschlicher Geisteskräfte gerade auf die Unerklärbarkeit der Traumerscheinungen zu stützen versuchen (Haffner 32). Die Wertschätzung des Traumlebens von seiten mancher Philosophenschulen, z. B. der Schellingianer, ist ein deutlicher Nachklang der im Altertum unbestrittenen Göttlichkeit des Traumes, und auch über die divinatorische, die Zukunft verkündende, Kraft des Traumes ist die Erörterung nicht abgeschlossen, weil die psychologischen Erklärungsversuche zur Bewältigung des angesammelten Materials nicht ausreichen, so unzweideutig auch die Sympathien eines jeden, der sich der wissenschaftlichen Denkungsart ergeben hat, zur Abweisung einer solchen Behauptung hinneigen mögen.

§ 60

Eine Geschichte unserer wissenschaftlichen Erkenntnis der Traumprobleme zu schreiben, ist darum so schwer, weil in dieser Erkenntnis, so wertvoll sie an einzelnen Stellen geworden sein mag, ein Fortschritt längs gewisser Richtungen nicht zu bemerken ist. Es ist nicht zur Bildung eines Unterbaues von gesicherten Resultaten gekommen, auf dem dann ein nächstfolgender Forscher weitergebaut hätte, sondern jeder neue Autor fast die nämlichen Probleme von neuem und wie vom Ursprung her wieder an. Wollte ich mich an die Zeitfolge der Autoren halten und von jedem einzelnen im Auszug berichten, welche Ansichten über die Traumprobleme er geäußert, so müßte ich darauf verzichten, ein übersichtliches Gesamtbild vom gegenwärtigen Stande der Traumerkenntnis zu entwerfen; ich habe es darum vorgezogen, die Darstellung an die Themata anstatt an die Autoren anzuknüpfen und werde bei jedem der Traumprobleme anführen, was an Material zur Lösung desselben in der Literatur niedergelegt ist.

§ 61

Da es mir aber nicht gelungen ist, die gesamte, so sehr verstreute und auf anderes übergreifende Literatur des Gegenstandes zu bewältigen, so muß ich meine Leser bitten sich zu bescheiden, wenn nur keine grundlegende Tatsache und kein bedeutsamer Gesichtspunkt in meiner Darstellung verloren gegangen ist.

§ 62

Bis vor kurzem haben die meisten Autoren sich veranlaßt gesehen, Schlaf und Traum in dem nämlichen Zusammenhange abzuhandeln, in der Regel auch die Würdigung analoger Zustände, welche in die Psychopathologie reichen, und traumähnlicher Vorkommnisse (wie der Halluzinationen Visionen etc.) anzuschließen. Dagegen zeigt sich in den jüngsten Arbeiten das Bestreben, das Thema eingeschränkt zu halten und etwa eine einzelne Frage aus dem Gebiete des Traumlebens zum Gegenstand zu nehmen. In dieser Veränderung möchte ich einen Ausdruck der Überzeugung sehen, daß in so dunklen Dingen Aufklärung und Übereinstimmung nur durch eine Reihe von Detailuntersuchungen zu erzielen sein dürften. Nichts anderes als eine solche Detailuntersuchung, und zwar speziell psychologischer Natur, kann ich hier bieten. Ich hatte wenig Anlaß, mich mit dem Problem des Schlafes zu befassen, denn dies ist ein wesentlich physiologisches Problem, wenngleich in der Charakteristik des Schlafzustandes die Veränderung der Funktionsbedingungen für den seelischen Apparat mit enthalten sein muß. Es bleibt also auch die Literatur des Schlafes hier außer Betracht.

§ 63

Das wissenschaftliche Interesse an den Traumphänomenen an sich führt zu den folgenden, zum Teil ineinander fließenden Fragestellungen:

§ 64

a) Beziehung des Traumes zum Wachleben. Das naive Urteil des Erwachten nimmt an, daß der Traum — wenn er schon nicht aus einer anderen Welt stammt — doch den Schläfer in eine andere Welt entrückt hatte. Der alte Physiologe Burdach 8), dem wir eine sorgfältige und feinsinnige Beschreibung der Traumphänomene verdanken, hat dieser Überzeugung in einem viel bemerkten Satze Ausdruck gegeben (p. 474): „. . . nie wiederholt sich das Leben des Tages mit seinen Anstrengungen und Genüssen, seinen Freuden und Schmerzen, vielmehr geht der Traum darauf aus, uns davon zu befreien. Selbst wenn unsere ganze Seele von einem Gegenstand erfüllt war, wenn tiefer Schmerz unser Inneres zerrissen, oder eine Aufgabe unsere ganze Geisteskraft in Anspruch genommen hatte, gibt uns der Traum entweder etwas ganz Fremdartiges, oder er nimmt aus der Wirklichkeit nur einzelne Elemente zu seinen Kombinationen, oder er geht nur in die Tonart unserer Stimmung ein und symbolisiert die Wirklichkeit.“

§ 65

In ähnlichem Sinne äußert sich noch L. Strümpell 66) in der mit Recht von allen Seiten hoch gehaltenen Studie über die Natur und Entstehung der Träume (p. 16): „Wer träumt, ist der Welt des wachen Bewußtseins abgekehrt“ . . . (p. 17): „Im Traume geht das Gedächtnis für den geordneten Inhalt des wachen Bewußtseins und dessen normales Verhalten so gut wie ganz verloren“ . . . (p. 19): „Die fast erinnerungslose Abgeschiedenheit der Seele im Traume von dem regelmäßigen Inhalt und Verlaufe des wachen Lebens“ . . . .

§ 66

Die überwiegende Mehrheit der Autoren hat aber für die Beziehung des Traumes zum Wachleben die entgegengesetzte Auffassung vertreten. So Haffner 32) (p. 19): „Zunächst setzt der Traum das Wachleben fort. Unsere Träume schließen sich stets an die kurz zuvor im Bewußtsein gewesenen Vorstellungen an. Eine genaue Beobachtung wird beinahe immer einen Faden finden, in welchem der Traum an die Erlebnisse des vorhergehenden Tages anknüpfte.“ Weygandt 75) (p. 6) widerspricht direkt der oben zitierten Behauptung Burdach’s, „denn es läßt sich oft, anscheinend in der überwiegenden Mehrzahl der Träume beobachten, daß dieselben uns gerade ins gewöhnliche Leben zurückführen, statt uns davon zu befreien.“ Maury 48) (p. 56) sagt in einer knappen Formel: „Nous rêvons de ce que nous avons vu, dit, desiré ou fait“; Jessen 36) in seiner 1855 erschienenen Psychologie (p. 530) etwas ausführlicher: „Mehr oder weniger wird der Inhalt der Träume stets bestimmt durch die individuelle Persönlichkeit, durch das Lebensalter, Geschlecht, Stand, Bildungsstufe, gewohnte Lebensweise und durch die Ereignisse und Erfahrungen des ganzen bisherigen Lebens.“

§ 67

Nicht anders dachten die Alten über die Abhängigkeit des Trauminhalts vom Leben. Ich zitiere nach Radestock 54) (p. 139): Als Xerxes vor seinem Zuge gegen Griechenland von diesem seinem Entschluß durch guten Rat abgelenkt, durch Träume aber immer wieder dazu angefeuert wurde, sagte schon der alte rationelle Traumdeuter der Perser, Artabanos, treffend zu ihm, daß die Traumbilder meist das enthielten, was der Mensch schon im Wachen denke.

§ 68

Im Lehrgedichte des Lucretius, De rerum natura, findet sich (IV, v. 959) die Stelle:

" § 69

"„Et quo quisque fere studio devinctus adhaeret, aut quibus in rebus multum sumus ante morati atque in ea ratione fuit contenta magis mens, in somnis eadem plerumque videmur obire; causidici causas agere et componere leges, induperatores pugnare ac proelia obire,“" etc. etc.

"
§ 70

Cicero (De Divinatione II) sagt ganz ähnlich, wie so viel später Maury:

§ 71

"Maximeque reliquiae earum rerum moventur in animis et agitantur, de quibus vigilantes aut cogitavimus aut egimus."

§ 72

Der Widerspruch dieser beiden Ansichten über die Beziehung von Traumleben und Wachleben scheint in der Tat unauflösbar. Es ist darum am Platz, der Darstellung von F. W. Hildebrandt 35) (1875) zu gedenken, welcher meint, die Eigentümlichkeiten des Traumes ließen sich überhaupt nicht anders beschreiben als durch eine „Reihe von Gegensätzen, welche scheinbar bis zu Widersprüchen sich zuspitzen“ (p. 8). „Den ersten dieser Gegensätze bilden einerseits die strenge Abgeschiedenheit oder Abgeschlossenheit des Traumes von dem wirklichen und wahren Leben und anderseits das stete Hinübergreifen des einen in das andere, die stete Abhängigkeit des einen von dem anderen. — Der Traum ist etwas von der wachend erlebten Wirklichkeit durchaus Gesondertes, man möchte sagen ein in sich selbst hermetisch abgeschlossenes Dasein, von dem wirklichen Leben getrennt durch eine unübersteigliche Kluft. Er macht uns von der Wirklichkeit los, löscht die normale Erinnerung an dieselbe in uns aus und stellt uns in eine andere Welt und in eine ganz andere Lebensgeschichte, die im Grunde nichts mit der wirklichen zu schaffen hat . . . .“ Hildebrandt führt dann aus, wie mit dem Einschlafen unser ganzes Sein mit seinen Existenzformen „wie hinter einer unsichtbaren Falltür“ verschwindet. Man macht dann etwa im Traume eine Seereise nach St. Helena, um dem dort gefangenen Napoleon etwas Vorzügliches in Moselweinen anzubieten. Man wird von dem Exkaiser aufs liebenswürdigste empfangen und bedauert fast, die interessante Illusion durch das Erwachen gestört zu sehen. Nun aber vergleicht man die Traumsituation mit der Wirklichkeit. Man war nie Weinhändler und hat’s auch nie werden wollen. Man hat nie eine Seereise gemacht und würde St. Helena am wenigsten zum Ziele einer solchen nehmen. Gegen Napoleon hegt man durchaus keine sympathische Gesinnung, sondern einen grimmigen patriotischen Haß. Und zu alledem war er Träumer überhaupt noch nicht unter den Lebenden, als Napoleon auf der Insel starb; eine persönliche Beziehung zu ihm zu knüpfen, lag außerhalb des Bereiches der Möglichkeit. So erscheint das Traumerlebnis als etwas eingeschobenes Fremdes zwischen zwei vollkommen zueinander passenden und einander fortzetzenden Lebensabschnitten.

§ 73

„Und dennoch“, setzt Hildebrandt fort, „eben so wahr und richtig ist das scheinbare Gegenteil. Ich meine, mit dieser Abgeschlossenheit und Abgeschiedenheit geht doch die innigste Beziehung und Verbindung Hand in Hand. Wir dürfen geradezu sagen: Was der Traum auch irgend biete, er nimmt das Material dazu aus der Wirklichkeit und aus dem Geistesleben, welches an dieser Wirklichkeit sich abwickelt . . . . Wie Wunderlich er's damit treibe, er kann doch eigentlich niemals von der realen Welt los und seine sublimsten wie possenhaften Gebilde müssen immer ihren Grundstoff entlehnen von dem, was entweder in der Sinnwelt uns vor Augen getreten ist, oder in unserem wachen Gedankengange irgendwie bereits Platz gefunden hat, mit anderen Worten, von dem, was wir äußerlich oder innerlich bereits erlebt haben.“

§ 74

b) Das Traummaterial. — Das Gedächtnis im Traume. Daß alles Material, was den Trauminhalt zusammensetzt, auf irgend eine Weise vom Erlebten abstammt, also im Traume reproduziert, erinnert wird, dies wenigstens darf uns als unbestrittene Erkenntnis gelten. Doch wäre es ein Irrtum anzunehmen, daß ein solcher Zusammenhang des Trauminhalts mit dem Wachleben sich mühelos als augenfälliges Ergebnis der angestellten Vergleichung ergeben muß. Derselbe muß vielmehr aufmerksam gesucht werden und weiß sich in einer ganzen Reihe von Fällen für lange Zeit zu verbergen. Der Grund hiefür liegt in einer Anzahl von Eigentümlichkeiten, welche die Erinnerungsfähigkeit im Traume zeigt, und die, obwohl allgemein bemerkt, sich doch bisher jeder Erklärung entzogen haben. Es wird der Mühe lohnen, diese Charaktere eingehend zu würdigen.

§ 75

Es kommt zunächst vor, daß im Trauminhalt ein Material auftritt, welches man dann im Wachen nicht als zu seinem Wissen und Erleben gehörig anerkennt. Man erinnert wohl, daß man das Betreffende geträumt, aber erinnert nicht, daß und wann man es erlebt hat. Man bleibt dann im Unklaren darüber, aus welcher Quelle der Traum geschöpft hat, und ist wohl versucht, an eine selbständig produzierende Tätigkeit des Traumes zu glauben, bis oft nach langer Zeit ein neues Erlebnis die verloren gegebene Erinnerung an das frühere Erlebnis wiederbringt und damit die Traumquelle aufdeckt. Man muß dann zugestehen, daß man im Traume etwas gewußt und erinnert hatte, was der Erinnerungsfähigkeit im Wachen entzogen war.

§ 76

Ein besonders eindrucksvolles Beispiel dieser Art erzählt Delboeuf 16) aus seiner eigenen Traumerfahrung. Er sah im Traume den Hof seines Hauses mit Schnee bedeckt und fand zwei kleine Eidechsen halb erstarrt und unter dem Schnee begraben, die er als Tierfreund aufnahm, erwärmte und in die für sie bestimmte kleine Höhle im Gemäuer zurückbrachte. Außerdem steckte er ihnen einige Blätter von einem kleinen Farrnkraut zu, das auf der Mauer wuchs und das sie, wie er wußte, sehr liebten. Im Traume kannte er den Namen der Pflanze: Asplenium ruta muralis. — Der Traum ging dann weiter, kehrte nach einer Einschaltung zu den Eidechsen zurück und zeigte Delboeuf zu seinem Erstaunen zwei neue Tierchen, die sich über die Reste der Farren hergemacht hatten. Dann wandte er den Blick aufs freie Feld, sah eine fünfte, eine sechste Eidechse den Weg zu dem Loche in der Mauer nehmen, und endlich war die ganze Straße bedeckt von einer Prozession von Eidechsen, die alle in derselben Richtung wanderten etc.

§ 77

Delboeufs Wissen umfaßte im Wachen nur wenige lateinische Pflanzennamen und schloß die Kenntnis eines Asplenium nicht ein. Zu seinem großen Erstaunen mußte er sich überzeugen, daß ein Farren dieses Namens wirklich existiert. Asplenium ruta muraria war seine richtige Bezeichnung, die der Traum ein wenig entstellt hatte. An ein zufälliges Zusammentreffen konnte man wohl nicht denken; es blieb aber für Delboeuf rätselhaft, woher er im Traume die Kenntnis des Namens Asplenium genommen hatte.

§ 78

Der Traum war im Jahre 1862 vorgefallen; sechzehn Jahre später erblickt der Philosoph bei einem seiner Freunde, den er besucht, ein kleines Album mit getrockneten Blumen, wie sie als Erinnerungsgaben in manchen Gegenden der Schweiz an die Fremden verkauft werden. Eine Erinnerung steigt in ihm auf, er öffnet das Herbarium, findet in demselben das Asplenium seines Traumes und erkennt seine eigene Handschrift in den beigefügten lateinischen Namen. Nun ließ sich der Zusammenhang herstellen. Eine Schwester dieses Freundes hatte im Jahre 1860 — zwei Jahre vor dem Eidechsentraume — auf der Hochzeitsreise Delboeuf besucht. Sie hatte damals dieses für ihren Bruder bestimmte Album bei sich und Delboeuf unterzog sich der Mühe, unter dem Diktat eines Botanikers zu jedem der getrockneten Pflänzchen den lateinischen Namen hinzuzuschreiben.

§ 79

Die Gunst des Zufalls, welche dieses Beispiel so sehr mitteilenswert macht, gestattete Delboeuf, noch ein anderes Stück aus dem Inhalt dieses Traumes auf seine vergessene Quelle zurückzuführen. Eines Tages im Jahre 1877 fiel ihm ein alter Bund einer illustrierten Zeitschrift in die Hände, in welcher er den ganzen Eidechsenzug abgebildet sah, wie er ihn 1862 geträumt hatte. Der Band trug die Jahreszahl 1861 und Delboeuf wußte sich zu erinnern, daß er von dem Erscheinen der Zeitschrift an zu ihren Abonnenten gehört hatte.

§ 80

Daß der Traum über Erinnerungen verfügt, welche dem Wachen unzugänglich sind, ist eine so merkwürdige und theoretisch bedeutsame Tatsache, daß ich durch Mitteilung noch anderer „hypermnestischer“ Träume die Aufmerksamkeit für sie verstärken möchte. Maury 48) erzählt, daß ihm eine Zeitlang das Wort Mussidan bei Tag in den Sinn zu kommen pflegte. Er wußte, daß es der Name einer französischen Stadt sei, aber weiter nichts. Eines Nachts träumte ihm von einer Unterhaltung mit einer gewissen Person, die ihm sagte sie käme aus Mussidan, und auf seine Frage, wo die Stadt liege, zur Antwort gab: Mussidan sei eine Kreisstadt im Departement de la Dordogne. Erwacht, schenkte Maury der im Traume erhaltenen Auskunft keinen Glauben; das geographische Lexikon belehrte ihn aber, daß sie vollkommen richtig sei. In diesem Falle ist das Mehrwissen des Traumes bestätigt, die vergessene Quelle dieses Wissens aber nicht aufgespürt worden.

§ 81

Jessen 36) erzählt (p. 55) ein ganz ähnliches Traumvorkommnis aus älteren Zeiten: „ "Dahin gehört u. a. der Traum des älteren Scaliger (Hennings l. c.,p. 300), welcher ein Gedicht zum Lobe der berühmten Männer in Verona schrieb und dem ein Mann, welcher sich Brugnolus nannte, im Traume erschien und sich beklagte, daß er vergessen sei. Obgleich Scaliger sich nicht erinnerte, je etwas von ihm gehört zu haben, so machte er doch Verse auf ihn, und sein Sohn erfuhr nachher in Verona, daß ehemals ein solcher Brugnolus als Kritiker daselbst berühmt gewesen sei."

§ 82

An einer mir leider nicht zugänglichen Stelle (Proceedings of the Society for psychical research) soll Myers eine ganze Sammlung solcher hypermnestischer Träume veröffentlicht haben. Ich meine, jeder, der sich mit Träumen beschäftigt, wird es als ein sehr gewöhnliches Phänomen anerkennen müssen, daß der Traum Zeugnis für Kenntnisse und Erinnerungen ablegt, welche der Wachende nicht zu besitzen vermeint. In den psycho-analytischen Arbeiten mit Nervösen, von denen ich später berichten werde, komme ich jede Woche mehrmals in die Lage, den Patienten aus ihren Träumen zu beweisen, daß sie Zitate, obszöne Worte u. dgl. eigentlich sehr gut kennen, und daß sie sich ihrer im Traume bedienen, obwohl sie sie im wachen Leben vergessen haben. Einen harmlosen Fall von Traumhypermnesie will ich hier noch mitteilen, weil sich bei ihm die Quelle, aus welcher die nur dem Traume zugängliche Kenntnis stammte, sehr leicht auffinden ließ.

§ 83

Ein Patient träumte in einem längeren Zusammenhange, daß er sich in einem Kaffeehause eine „Kontuszówka“ geben lasse, fragte aber nach der Erzählung, was das wohl sei; er habe den Namen nie gehört. Ich konnte antworten, Kontuszówka sei ein polnischer Schnaps, den er im Traume nicht erfunden haben könne, da mir der Name von Plakaten her schon lange bekannt sei. Der Mann wollte mir zuerst keinen Glauben schenken. Einige Tage später, nachdem er seinen Traum im Kaffeehause hatte zur Wirklichkeit werden lassen, bemerkte er den Namen auf einem Plakat, und zwar an einer Straßenecke, welche er seit Monaten wenigstens zweimal im Tage hatte passieren müssen.

§ 84

Ich habe selbst an eigenen Träumen erfahren, wie sehr man mit der Aufdeckung der Herkunft einzelner Traumelemente vom Zufalle abhängig bleibt. So verfolgte mich durch Jahre vor der Abfassung dieses Buches das Bild eines sehr einfach gestalteten Kirchturmes, den gesehen zu haben ich mich nicht erinnern konnte. Ich erkannte ihn dann plötzlich, und zwar mit voller Sicherheit, auf einer kleinen Station zwischen Salzburg und Reichenhall. Es war in der zweiten Hälfte der Neunzigerjahre, und ich hatte die Strecke im Jahre 1886 zum erstenmal befahren. In späteren Jahren, als ich mich bereits intensiv mit dem Studium der Träume beschäftigte, wurde das häufig wiederkehrende Traumbild einer gewissen merkwürdigen Lokalität mir geradezu lästig. Ich sah in bestimmter örtlicher Beziehung zu meiner Person, zu meiner Linken, einen dunklen Raum, aus dem mehrere groteske Sandsteinfiguren hervorleuchteten. Ein Schimmer von Erinnerung, dem ich nicht recht glauben wollte, sagte mir, es sei ein Eingang in einen Bierkeller; es gelang mir aber weder aufzuklären, was dieses Traumbild bedeuten wolle, noch woher es stamme. Im Jahre 1907 kam ich zufällig nach Padua, das ich zu meinem Bedauern seit 1895 nicht wieder hätte besuchen können. Mein erster Besuch in der schönen Universitätsstadt war unbefriedigend geblieben; ich hatte die Fresken Giottos in der Madonna dell’ Arena nicht besichtigen können und machte mitten auf der dahin führenden Straße Kehrt, als man mir mitteilte, das Kirchlein sei an diesem Tage gesperrt. Bei meinem zweiten Besuche, zwölf Jahre später, gedachte ich mich zu entschädigen und suchte vor allem den Weg zur Madonna dell’ Arena auf. An der zu ihr führenden Straße, linkerhand von meiner Wegrichtung, wahrscheinlich an der Stelle, wo ich 1895 umgekehrt war, entdeckte ich die Lokalität, die ich so oft im Traume gesehen hatte, mit den in ihr enthaltenen Sandsteinfiguren. Es war in der Tat der Eingang in einen Restaurationsgarten.

§ 85

Eine der Quellen, aus welcher der Traum Material zur Reproduktion bezieht, zum Teil solches, das in der Denktätigkeit des Wachens nicht erinnert und nicht verwendet wird, ist das Kindheitsleben. Ich werde nur einige der Autoren anführen, die dies bemerkt und betont haben:

§ 86

Hildebrandt 35) (p. 23): „ "Ausdrücklich ist schon zugegeben worden, daß der Traum bisweilen mit wunderbarer Reproduktionkraft uns ganz abgelegene und selbst vergessene Vorgänge aus fernster Zeit treu vor die Seele zurückführt" .“

§ 87

Strümpell 66) p. 40): „ "Die Suche steigert sich noch mehr, wenn man bemerkt, wie der Traum mitunter gleichsam aus den tiefsten und massenhaftesten Verschüttungen, welche die spätere Zeit auf die frühesten Jugenderlebnisse gelagert hat, die Bilder einzelner Lokalitäten, Dinge, Personen ganz unversehrt und mit ursprünglicher Frische wieder hervorzieht. Dies beschränkt sich nicht bloß auf" "solche Eindrücke, die bei ihrer Entstehung ein lebhaftes Bewußtsein gewonnen oder sich mit starken psychischen Werten verbunden haben, und nun später im Traume als eigentliche Erinnerungen wiederkehren, an denen das erwachte Bewußtsein sich erfreut. Die Tiefe des Traumgedächtnisses umfaßt vielmehr auch solche Bilder von Personen, Dingen, Lokalitäten und Erlebnissen der frühesten Zeit, die entweder nur ein geringes Bewußtsein oder keinen psychischen Wert besaßen oder längst das eine wie das andere verloren hatten und deshalb auch sowohl im Trauma wie nach dem Erwachen als gänzlich fremd und unbekannt erscheinen, bis ihr früher Ursprung entdeckt wird."

§ 88

Volkelt 72) (p. 119): „ "Besonders bemerkenswert ist es, wie gern Kindheits- und Jugenderinnerungen in den Traum eingehen. Woran wir längst nicht mehr denken, was längst für uns alle Wichtigkeit verloren: der Traum mahnt uns daran unermüdlich."

§ 89

Die Herrschaft des Traumes über das Kindheitsmaterial, welches bekanntlich zum größten Teil in die Lücken der bewußten Erinnerungsfähigkeit fällt, gibt Anlaß zur Entstehung von interessanten hypermnestischen Träumen, von denen ich wiederum einige Beispiele mitteilen will.

§ 90

Maury 48) erzählt (p. 92), daß er von seiner Vaterstadt Meaux als Kind häufig nach dem nahe gelegenen Trilport gekommen war, wo sein Vater den Bau einer Brücke leitete. In einer Nacht versetzt ihn der Traum nach Trilport und läßt ihn wieder in den Straßen der Stadt spielen. Ein Mann nähert sich ihm, der eine Art Uniform trägt. Maury fragt ihn nach seinem Namen; er stellt sich vor, er heiße C. . . und sei Brückenwächter. Nach dem Erwachen fragt der an der Wirklichkeit der Erinnerung noch zweifelnde Maury eine alte Dienerin, die seit der Kindheit bei ihm ist, ob sie sich an einen Mann dieses Namens erinnern kann. Gewiß, lautet die Antwort, er war der Wächter der Brücke, die Ihr Vater damals gebaut hat.

§ 91

Ein ebenso schön bestätigtes Beispiel von der Sicherheit der im Traume auftretenden Kindheitserinnerung berichtet Maury von einem Herrn F. . ., der als Kind in Montbrison aufgewachsen war. Dieser Mann beschloß 25 Jahre nach seinem Weggang, die Heimat und alte, seither nicht gesehene Freunde der Familie wieder zu besuchen. In der Nacht vor seiner Abreise träumt er, daß er am Ziele ist und in der Nähe von Montbrison einen ihm vom Ansehen unbekannten Herrn begegnet, der ihm sagt, er sei der Herr T., ein Freund seines Vaters. Der Träumer wußte, daß er einen Herrn dieses Namens als Kind gekannt hatte, erinnerte sich aber im Wachen nicht mehr an sein Aussehen. Einige Tage später nun wirklich in Montbrison angelangt, findet er die für unbekannt gehaltene Lokalität des Traumes wieder und begegnet einen Herrn, den er sofort als den T. des Traumes erkennt. Die wirkliche Person war nur stärker gealtert, als sie das Traumbild gezeigt hatte.

§ 92

Ich kann hier einen eigenen Traum erzählen, in dem der zu erinnernde Eindruck durch eine Beziehung ersetzt ist. Ich sah in einem Traume eine Person, von der ich im Traume wußte, es sei der Arzt meines heimatlichen Ortes. Ihr Gesicht war nicht deutlich, sie vermengte sich aber mit der Vorstellung eines meiner Gymnasiallehrer, den ich noch heute gelegentlich treffe. Welche Beziehung die beiden Personen verknüpfe, konnte ich dann im Wachen nicht ausfindig machen. Als ich aber meine Mutter nach dem Arzte dieser meiner ersten Kinderjahre fragte, erfuhr ich, daß er einäugig gewesen war, und einäugig ist auch der Gymnasiallehrer, dessen Person die des Arztes im Traume gedeckt hatte. Es waren 38 Jahre her, daß ich den Arzt nicht mehr gesehen, und ich habe meines Wissens im wachen Leben niemals an seine Person gedacht, obwohl eine Narbe am Kinn mich an seine Hilfeleistung hätte erinnern können.

§ 93

Es klingt, als sollte ein Gegengewicht gegen die übergroße Rolle der Kindheitseindrücke im Traumleben geschaffen werden, wenn mehrere Autoren behaupten, in den meisten Träumen ließen sich Elemente aus den allerjüngsten Tagen nachweisen. Robert 55) (p. 46) äußert sogar: Im allgemeinen beschäftigt sich der normale Traum nur mit den Eindrücken der letztvergangenen Tage. Wir werden allerdings erfahren, daß die von Robert aufgebaute Theorie des Traumes eine solche Zurückdrängung der ältesten und Verschiebung der jüngsten Eindrücke gebieterisch fordert. Die Tatsache aber, der Robert Ausdruck gibt, besteht, wie ich nach eigenen Untersuchungen versichern kann, zu Recht. Ein amerikanischer Autor Nelson 50) meint, am häufigsten finden sich im Traume Eindrücke vom Tage vor dem Traumtage oder vom dritten Tage vorher verwertet, als ob die Eindrücke des dem Traume unmittelbar vorhergehenden Tages nicht abgeschwächt — nicht abgelegen — genug wären.

§ 94

Es ist mehreren Autoren, die den intimen Zusammenhang des Trauminhalts mit dem Wachleben nicht bezweifeln mochten, aufgefallen, daß Eindrücke, welche das wache Denken intensiv beschäftigen, erst dann im Traume auftreten, wenn sie von der Tagesgedankenarbeit einigermaßen zur Seite gedrängt worden sind. So träumt man in der Regel von einem lieben Toten nicht die erste Zeit, solange die Trauer den Überlebenden ganz ausfüllt (Delage) 15). Indes hat eine der letzten Beobachterinnen, Miß Hallam 33), auch Beispiele vom gegenteiligen Verhalten gesammelt und vertritt für diesen Punkt das Recht der psychologischen Individualität.

§ 95

Die dritte, merkwürdigste und unverständlichste Eigentümlichkeit des Gedächtnisses im Trauma zeigt sich in der Auswahl des reproduzierten Materials, indem nicht wie im Wachen nur das Bedeutsamste, sondern im Gegenteil auch das Gleichgültigste, Unscheinbarste der Erinnerung wert gehalten wird. Ich lasse hierüber jene Autoren zum Worte kommen, welche ihrer Verwunderung den kräftigsten Ausdruck gegeben haben. Hildebrandt 35) (p. 11): „ "Denn das ist das Merkwürdige, daß der Traum seine Elemente in der Regel nicht aus den großen und tiefgreifenden Ereignissen, nicht aus den mächtigen und treibenden Interessen des vergangenen Tages, sondern aus den nebensächlichen Zugaben, so zu sagen aus den wertlosen Brocken der jüngst verlebten oder weiter rückwärts liegenden Vergangenheit nimmt. Der erschütternde Todesfall in unserer Familie, unter dessen Eindrücken wir spät einschlafen, bleibt ausgelöscht aus unserem Gedächtnisse, bis ihn der erste wache Augenblick mit betrübender Gewalt in dieselbe zurückkehren läßt. Dagegen die Warze auf der Stirn eines Fremden, der uns begegnete, und an den wir keinen Augenblick mehr dachten, nachdem wir an ihm vorübergegangen waren, die spielt eine Rolle in unserem Traume" “ . . .

§ 96

Strümpell 66) (p. 39): „ ". . solche Fälle, wo die Zerlegung eines Traumes Bestandteile desselben auffindet, die zwar aus den Erlebnissen des vorigen oder vorletzten Tages stammen, aber doch so unbedeutend und wertlos für das wache Bewußtsein waren, daß sie kurz nach dem Erleben der Vergessenheit anheimfielen. Dergleichen Erlebnisse sind etwa zufällig gehörte Äußerungen oder oberflächlich bemerkte Handlungen eines anderen, rasch vorübergegangene Wahrnehmungen von Dingen oder Personen, einzelne kleine Stücke aus einer Lektüre u. dgl."

§ 97

Havelock Ellis 23) (p. 727): „ "The profound emotions of waking life, the questions and problems on which we spread our chief voluntary mental energy, are not those which usually present themselves at once to dreamconsciousness. It is so far as the immediate past is concerned, mostly the trifling, the incidental, the „forgotten“ impressions of daily life which reappear in our dreams. The psychic activities that are awake most intensely are those that sleep most profoundly.“"

§ 98

Binz 4) (p. 45) nimmt gerade die in Rede stehenden Eigentümlichkeiten des Gedächtnisses im Traume zum Anlaß, seine Unbefriedigung mit den von ihm selbst unterstützten Erklärungen des Traumes auszusprechen: „ "Und der natürliche Traum stellt uns ähnliche Fragen. Warum träumen wir nicht immer die Gedächtniseindrücke der letztverlebten Tage, sondern tauchen oft ein ohne irgend erkennbares Motiv in weit hinter uns liegende, fast erloschene Vergangenheit? Warum empfängt im Traume das Bewußtsein so oft den Eindruck gleichgültiger Erinnerungsbilder, während die Gehirnzellen da, wo sie die reizbarsten Aufzeichnungen des Erlebten in sich tragen, meist stumm und starr liegen, es sei denn, daß eine akute Auffrischung während des Wachens sie kurz vorher erregt hatte?"

§ 99

Man sieht leicht ein, wie die sonderbare Vorliebe des Traumgedächtnisses fur das Gleichgültige und darum Unbeachtete an den Tageserlebnissen zumeist dazu führen mußte, die Abhängigkeit des Traumes vom Tagesleben überhaupt zu verkennen und dann wenigstens den Nachweis derselben in jedem einzelnen Falle zu erschweren. So war es möglich, das Miß Whiton Calkins 12) bei der statistischen Bearbeitung ihrer (und ihres Gefährten) Träume doch 11% der Anzahl übrig behielt, in denen eine Beziehung zum Tagesleben nicht ersichtlich war. Sicherlich hat Hildebrandt mit der Behauptung Recht, daß sich alle Traumbilder uns genetisch erklären würden, wenn wir jedesmal Zeit und Sammlung genug darauf verwendeten, ihrer Herkunft nachzuspüren. Er nennt dies freilich „ein äußerst mühseliges und undankbares Geschäft. Denn es liefe ja meistens darauf hinaus, allerlei psychisch ganz wertlose Dinge in den abgelegensten Winkeln der Gedächtniskammer aufzustöbern, allerlei völlig indifferente Momente längst vergangener Zeit aus der Verschüttung, die ihnen vielleicht schon die nächste Stunde brachte, wieder zu Tage zu fördern“. Ich muß aber doch bedauern, daß der scharfsinnige Autor sich von der Verfolgung des so unscheinbar beginnenden Weges abhalten ließ; er hätte ihn unmittelbar zum Zentrum der Traumerklärung geleitet.

§ 100

Das Verhalten des Traumgedächtnisses ist sicherlich höchst bedeutsam für jede Theorie des Gedächtnisses überhaupt. Es lehrt, daß „Nichts, was wir geistig einmal besessen, ganz und gar verloren gehen kann (Scholz,59) p. 34). Oder, wie Delboeuf 16) es ausdrückt, „que toute impression même la plus insignifiante, laisse une trace inaltérable, indéfiniment susceptible de reparaître au jour,“ ein Schluß, zu welchem so viele andere, pathologische Erscheinungen des Seelenlebens gleichfalls drängen. Man halte sich nun diese außerordentliche Leistungsfähigkeit des Gedächtnisses im Traume vor Augen, um den Widerspruch lebhaft zu empfinden, den gewisse später zu erwähnende Traumtheorien aufstellen müssen, wenn sie die Absurdität und Inkohärenz der Träume durch ein partielles Vergessen des uns am Tage Bekannten erklären wollen.

§ 101

Man könnte etwa auf den Einfall geraten, das Phänomen des Träumens überhaupt auf das des Erinnerns zu reduzieren, im Traume die Äußerung einer auch nachts nicht rastenden Reproduktionstätigkeit sehen, die sich Selbstzweck ist. Mitteilungen wie die von Pilcz 51) würden hiezu stimmen, denen zufolge feste Beziehungen zwischen der Zeit des Träumens und dem Inhalt der Träume nachweisbar sind in der Weise, daß im tiefen Schlafe Eindrücke aus den ältesten Zeiten, gegen Morgen aber rezente Eindrücke vom Traume reproduziert werden. Es wird aber eine solche Auffassung von vornherein unwahrscheinlich durch die Art, wie der Traum mit dem zu erinnernden Material verführt. Strümpell 66) macht mit Recht darauf aufmerksam, daß Wiederholungen von Erlebnissen im Traume nicht vorkommen. Der Traum macht wohl einen Ansatz dazu, aber das folgende Glied bleibt aus; es tritt verändert auf oder an seiner Stelle erscheint ein ganz fremdes. Der Traum bringt nur Bruchstücke von Reproduktionen. Dies ist sicherlich so weit die Regel, daß es eine theoretische Verwertung gestattet. Indes kommen Ausnahmen vor, in denen ein Traum ein Erlebnis ebenso vollständig wiederholt wie unsere Erinnerung im Wachen es vermag. Delboeuf erzählt von einem seiner Universitätskollegen, daß er im Traume eine gefährliche Wagenfahrt, bei welcher er einem Unfalle nur wie durch ein Wunder entging, mit all ihren Einzelheiten wieder durchgemacht habe. Miß Calkins 12) erwähnt zweier Träume, welche die genaue Reproduktion eines Erlebnisses vom Vortage zum Inhalt hatten, und ich selbst werde späterhin Anlaß nehmen, ein mir bekannt gewordenes Beispiel von unveränderter Traumwiederkehr eines Kindererlebnisses mitzuteilen.*)*)

§ 102

c) Traumreize und Traumquellen. Was man unter Traumreizen und Traumquellen verstehen soll, das kann durch eine Berufung auf die Volksrede „Träume kommen vom Magen“ verdeutlicht werden. Hinter der Aufstellung dieser Begriffe verbirgt sich eine Theorie, die den Traum als Folge einer Störung des Schlafes erfaßt. Man hätte nicht geträumt, wenn nicht irgend etwas Störendes im Schlafe sich geregt hätte, und der Traum ist die Reaktion auf diese Störung.

§ 103

Die Erörterungen über die erregenden Ursachen der Träume nehmen in den Darstellungen der Autoren den breitesten Raum ein. Daß das Problem sich erst ergeben konnte, seitdem der Traum ein Gegenstand der biologischen Forschung geworden war, ist selbstverständlich. Die Alten, denen der Traum als göttliche Sendung galt, brauchten nach einer Reizquelle für ihn nicht zu suchen; aus dem Willen der göttlichen oder dämonischen Macht erfloß der Traum, aus deren Wissen oder Absicht sein Inhalt. Für die Wissenschaft erhob sich alsbald die Frage, ob der Anreiz zum Träumen stets der nämliche sei oder ein vielfacher sein könne, und damit die Erwägung, ob die ursächliche Erklärung des Traumes der Psychologie oder vielmehr der Physiologie anheimfalle. Die meisten Autoren scheinen anzunehmen, daß die Ursachen der Schlafstörung, also die Quellen des Träumens, mannigfaltiger Art sein können und daß Leibreize ebenso wie seelische Errungen zur Rolle von Traumerregern gelangen. In der Bevorzugung der einen oder der anderen unter den Traumquellen, in der Herstellung einer Rangordnung unter ihnen je nach ihrer Bedeutsamkeit für die Entstehung des Traumes gehen die Ansichten weit auseinander.

§ 104

Wo die Aufzählung der Traumquellen vollständig ist, da ergeben sich schließlich vier Arten derselben, die auch zur Einteilung der Träume verwendet werden sind.

*) [Aus späterer Erfahrung füge ich hinzu, daß gar nicht so selten harmlose und unwichtige Beschäftigungen des Tages vom Traume wiederholt werden, etwa: Koffer packen, in der Küche Speisen zubereiten u. dgl. Bei solchen Träumen betont der Träumer selbst aber nicht den Charakter der Erinnerung, sondern den der „Wirklichkeit“. „Ich habe das alles um Tage wirklich getan.“] § 105

1. Äußere (objektive) Sinneserregung.

§ 106

2. Innere (subjektive) Sinneserregung.

§ 107

3. Innerer (organischer) Leibreiz.

§ 108

4. Rein psychische Reizquellen.

§ 109

ad 1. Die äußeren Sinnesreize. Der jüngere Strümpell, der Sohn des Philosophen, dessen Werk über den Traum uns bereits mehrmals als Wegweiser in die Traumprobleme diente, hat bekanntlich die Beobachtung eines Kranken mitgeteilt, der mit allgemeiner Anästhesie der Körperdecken und Lähmung mehrerer der höheren Sinnesorgane behaftet war. Wenn man bei diesem Manne die wenigen noch offenen Sinnespforten von der Außenwelt abschloß, verfiel er in Schlaf. Wenn wir einschlafen wollen, pflegen wir alle eine Situation anzustreben, die jener im Strümpellschen Experiment ähnlich ist. Wir verschließen die wichtigsten Sinnespforten, die Augen, und suchen von den anderen Sinnen jeden Reiz oder jede Veränderung der auf sie wirkenden Reize abzuhalten. Wir schlafen dann ein, obwohl uns unser Vorhaben nie völlig gelingt. Wir können weder die Reize vollständig von den Sinnesorganen fernhalten, noch die Erregbarkeit unserer Sinnesorgane völlig aufheben. Daß wir durch stärkere Reize jederzeit zu erwecken sind, darf uns beweisen, „daß die Seele auch im Schlafe in fortdauernder Verbindung mit der außerleiblichen Welt“ geblieben ist. Die Sinnesreize, die uns während des Schlafes zukommen, können sehr wohl zu Traumquellen werden.

§ 110

Von solchen Reizen gibt es nun eine große Reihe von den unvermeidlichen an, die der Schlafzustand mit sich bringt oder nur gelegentlich zulassen muß, bis zum zufälligen Weckreize, welcher geeignet oder dazu bestimmt ist, dem Schlafe ein Ende zu machen. Es kann stärkeres Licht in die Augen dringen, ein Geräusch sich vernehmbar machen, ein riechender Stoff die Nasenschleimhaut erregen. Wir können im Schlafe durch ungewollte Bewegungen einzelne Körperteile entblößen und so der Abkühlungsempfindung aussetzen oder durch Lageveränderung uns selbst Druck- und Berührungsempfindungen erzeugen. Es kann uns eine Fliege stechen oder ein kleiner nächtlicher Unfall kann mehrere Sinne zugleich bestürmen. Die Aufmerksamkeit der Beobachter hat eine ganze Reihe von Träumen gesammelt, in welchen der beim Erwachen konstatierte Reiz und ein Stück des Trauminhalts so weit übereinstimmten, daß der Reiz als Traumquelle erkannt werden konnte.

§ 111

Eine Sammlung solcher, auf objektive — mehr oder minder akzidentelle — Sinnesreizung zurückgehender Träume führe ich hier nach Jessen,36) p. 527, an: Jedes undeutlich wahrgenommene Geräusch erweckt entsprechende Traumbilder, das Rollen des Donners versetzt uns mitten in eine Schlacht, das Krähen eines Hahnes kann sich in das Angstgeschrei eines Menschen verwandeln, das Knarren einer Tür Träume von räuberischen Einbrüchen hervorrufen. Wenn wir des Nachts unsere Bettdecke verlieren, so träumen wir vielleicht, daß wir nackt umhergehen oder daß wir ins Wasser gefallen sind. Wenn wir schräg im Bette liegen und die Füße über den Rand desselben herauskommen, so träumt uns vielleicht, daß wir am Rande eines schrecklichen Abgrundes stehen, oder daß wir von einer steilen Höhe hinabstürzen. Kommt unser Kopf zufällig unter das Kopfkissen, so hängt ein großer Felsen über uns und steht im Begriff, uns unter seiner Last zu begraben. Anhäufungen des Samens erzeugen wollüstige Träume, örtliche Schmerzen die Idee erlittener Mißhandlungen, feindlicher Angriffe oder geschehender Körperverletzungen. . . .

§ 112

Meier (Versuch einer Erklärung es Nachtwandelns. Halle 1758, S. 33) träumte einmal, daß er von einigen Personen überfallen würde, welche ihn der Länge nach auf den Rücken auf die Erde hinlegten und ihm zwischen die große und die nächste Zehe einen Pfahl in die Erde schlugen. Indem er sich dies im Traume vorstellte, erwachte er und fühlte, daß ihm ein Strohhalm zwischen den Zehen stecke. Demselben soll nach Hennings (Von den Träumen und Nachtwandlern. Weimar 1784, S. 258) ein anderes Mal, als er sein Hemd am Halse etwas fest zusammengesteckt hatte, geträumt haben, daß er gehenkt würde. Hoffbauer träumte in seiner Jugend, von einer hohen Mauer hinabzufallen und bemerkte beim Erwachen, daß die Bettstelle auseinander gegangen und daß er wirklich gefallen war . . . . . Gregory berichtet, er habe einmal beim Zubettegehen eine Flasche mit heißem Wasser an die Füße gelegt und darauf im Traum eine Reise auf die Spitze des Ätna gemacht, wo er die Hitze des Erdbodens fast unerträglich gefunden. Ein anderer träumte nach einem auf den Kopf gelegten Blasenpflaster, daß er von einem Haufen von Indianern skalpiert werde; ein dritter, der in einem feuchten. Hemden schlief, glaubte durch einen Strom gezogen zu werden. Ein im Schlafe eintretender Anfall von Podagra ließ einen Kranken glauben, er sei in den Händen der Inquisition und erdulde die Qualen der Folter (Macnish).“

§ 113

Das auf die Ähnlichkeit zwischen Reiz und Trauminhalt gegründete Argument eine Verstärkung zu wenn es gelingt, bei einem Schlafenden durch planmäßige Anbringung von Sinnesreizen dem Reize entsprechende Träume zu erzeugen. Solche Versuche hat nach Macnish schon Giron de Buzareingues angestellt. Er ließ seine Knie unbedeckt und träumte, daß er in der Nacht auf einem Postwagen reise. Er bemerkt dabei, daß Reisende wohl wissen würden, wie in einer Kutsche die Knie des Nachts kalt würden. Ein anderes Mal ließ er den Kopf hinten unbedeckt und träumte, daß er einer religiösen Zeremonie in freier Luft beiwohne. Es war nämlich in dem Lande, in welchem er lebte, Sitte, den Kopf stets bedeckt zu tragen, ausgenommen bei solchen Veranlassungen, wie die eben genannte.“

§ 114

Maury 48) teilt neue Beobachtungen von an ihm selbst erzeugte Träumen mit. (Eine Reihe anderer Versuche brachte keinen Erfolg.)

§ 115

1. Er wird an Lippen und Nasenspitze mit einer Feder gekitzelt. — Träumt von einer schrecklichen Tortur; eine Pechlarve wird ihm aufs Gesicht gelegt, dann weggerissen, so daß die Haut mitgeht.

§ 116

2. Man wetzt eine Schere an einer Pinzette. — Er hört Glocken läuten, dann Sturmläuten und ist in die Junitage des Jahres 1848 versetzt.

§ 117

3. Man läßt ihn Kölnerwasser riechen. — Er ist in Kairo im Laden von Johann Maria Farina. Daran schließen sich tolle Abenteuer, die er nicht reproduzieren kann.

§ 118

4. Man kneipt ihn leicht in den Nacken. — Er träumt, daß man ihm ein Blasenpflaster auflegt und denkt an einen Arzt, der ihn als Kind behandelt hat.

§ 119

5. Man nähert ein heißes Eisen seinem Gesicht. Er träumt von den „Chauffeurs“ *)*), die sich ins Haus eingeschlichen haben und die Bewohner zwingen, ihr Geld herauszugeben, indem sie ihnen die Füße ins Kohlenbecken stecken. Dann tritt die Herzogin von Abrantés auf, deren Sekretär er im Traume ist.

§ 120

8. Man gießt ihm einen Tropfen Wasser auf die Stirn. — Er ist in Italien, schwitzt heftig und trinkt den weißen Wein von Orvieto.

§ 121

9. Man läßt wiederholt durch ein rotes Papier das Licht einer Kerze auf ihn fallen. — Er träumt vom Wetter, von Hitze und befindet sich wieder in einem Seesturm, den er einmal auf dem Kanal La Manche mitgemacht.

§ 122

Andere Versuche, Träume experimentell zu erzeugen, rühren von d'Hervey,34) Weygandt 75) u. a. her.

§ 123

Von mehreren Seiten ist die „ "auffällige Fertigkeit des Traumes bemerkt worden, plötzliche Eindrücke aus der Sinneswelt dergestalt in seine Gebilde zu verweben, daß sie in diesen eine allmählich schon vorbereitete und eingeleitete Katastrophe bilden" ” (Hildebrandt).35) "In jüngeren Jahren" “, erzählt dieser Autor, „ "bediente ich mich zu Zeiten, um regelmäßig in bestimmter Morgenstunde aufzustehen, des bekannten, meist an Uhrwerken angebrachten Weckers. Wohl zu hundertmalen ist mir's begegnet, daß der Ton dieses Instruments in einen vermeintlich sehr langen und zusammenhängenden Traum dergestalt hineinpaßte, als ob dieser ganze Traum eben nur auf ihn angelegt sei und in ihm seine eigentliche logisch unentbehrliche Pointe, sein natürlich gewiesenes Endziel fände."

§ 124

Ich werde drei dieser Weckerträume noch in anderer Absicht zitieren.

§ 125

Volkelt (p. 68) erzählt: „ "Einem Komponisten träumte einmal, er halte Schule und wolle eben seinen Schülern etwas klar machen."

*) „Chauffeurs“ hießen Banden von Räubern in der Vendée, die ,ich dieser Tortur bedienten. § 126

Schon ist er damit fertig und wendet sich an einen der Knaben mit der Frage: „Hast du mich verstanden?“ Dieser schreit wie ein. Besessener: „O ja.“ Ungehalten hierüber verweist er ihm das Schreien. Doch schon schreit die ganze Klasse: „Orja.“ Hierauf: „Eurjo.“ Und endlich: „Feuerjo!“ Und nun erwacht er von wirklichem Feuerjogeschrei auf der Straße.

§ 127

Garnier (Traité des facultés de l’âme, 1865) bei Radestock 54) berichtet, daß Napoleon I. durch die Explosion der Höllenmaschine aus einem Traume geweckt wurde, den er im Wagen schlafend hatte; und der ihm den Übergang über den Tagliamento und die Kanonade der Österreicher wieder erleben ließ, bis er mit dem Ausruf aufschreckte: „Wir sind unterminiert.“

§ 128

Zur Berühmtheit gelangt ist ein Traum, den Maury 48) erlebt hat (p. 161). Er war leidend und lag in seinem Zimmer zu Bett; seine Mutter saß neben ihm. Er träumte nun von der Schreckensherrschaft zur Zeit der Revolution, machte greuliche Mordszenen mit und wurde dann endlich selbst vor den Gerichtshof zitiert. Dort sah er Robespierre, Marat, Fouquier-Tinville und alle die traurigen Helden jener gräßlichen Epoche, stand ihnen Rede, wurde nach allerlei Zwischenfällen, die sich in seiner Erinnerung nicht fixierten, verurteilt und dann von einer unübersehbaren Menge begleitet auf den Richtplatz geführt. Er steigt aufs Schafott, der Scharfrichter bindet ihn aufs Brett; es kippt um; das Messer der Guillotine fällt herab; er fühlt, wie sein Haupt vom Rumpfe getrennt wird, wacht in der entsetzlichsten Angst auf — und findet, daß der Bettaufsatz herabgefallen war und seine Halswirbel, wirklich ähnlich wie das Messer einer Guillotine, getroffen hatte.

§ 129

An diesen Traum knüpft sich eine interessante, von Le Lorrain 45) und Egger 20) in der Revue philosophique eingeleitete Diskussion, ob und wie es dem Träumer möglich werde, in dem kurzen Zeitraum, der zwischen der Wahrnehmung des Weckreizes und dem Erwachen verstreicht, eine anscheinend so überaus reiche Fülle von Trauminhalt zusammenzudrängen.

§ 130

Beispiele dieser Art lassen die objektiven Sinnesreizungen während des Schlafes es als die am besten sichergestellte unter den Traumquellen erscheinen. Sie ist es auch, die in der Kenntnis des Laien einzig und allein eine Rolle spielt. Fragt man einen Gebildeten, der sonst der Traumliteratur fremd geblieben ist, wie die Träume zu stande kommen, so wird er zweifellos mit der Berufung auf einen ihm bekannt gewordenen Fall antworten, in dem ein Traum durch einen nach dem Erwachen erkannten objektiven Sinnesreiz aufgeklärt wurde. Die wissenschaftliche Betrachtung kann dabei nicht Halt machen; sie schöpft den Anlaß zu weiteren Fragen aus der Beobachtung, daß der während des Schlafes auf die Sinne einwirkende Reiz im Traume ja nicht in seiner wirklichen Gestalt auftritt, sondern durch irgend eine andere Vorstellung vertreten wird, die in irgend welcher Be ziehung zu ihm steht. Die Beziehung aber, die den Traumreiz und den Traumerfolg verbindet, ist nach den Worten Maurys 47) "une affinité quelconque, mais qui n’est pas unique et exclusive" “ (p. 72). Man höre z. B. drei der Weckerträume Hildebrandts; man wird sich dann die Frage vorzulegen haben, warum derselbe Reiz so verschiedene und warum er gerade diese Traumerfolge hervorrief:

§ 131

(p. 37) „ "Also ich gehe an einem Frühlingsmorgen spazieren und schlendre durch die grünenden Felder weiter bis zu einem benachbarten Dorfe, dort sehe ich die Bewohner in Feierkleidern, das Gesangbuch unter dem Arme, zahlreich der Kirche zuwandern. Richtig! Es ist ja Sonntag und der Frühgottesdienst wird bald beginnen. Ich beschließe, an diesem teilzunehmen, zuvor aber, weil ich etwas echauffiert bin, auf dem die Kirche umgebenden Friedhofe mich abzukühlen. Während ich hier verschiedene Grabschriften lese, höre ich den Glöckner den Turm hinansteigen und sehe nun in der Höhe des letzteren die kleine Dorfglocke, die das Zeichen zum Beginn der Andacht geben wird. Noch eine ganze Weile hängt sie bewegungslos da, dann fängt sie an zu schwingen — und plötzlich ertönen ihre Schläge hell und durchdringend — so hell und durchdringend, daß sie meinem Schlafe ein Ende machen. Die Glockentöne aber kommen von dem Wecker."

§ 132

"Eine zweite Kombination. Es ist heller Wintertag; die Straßen sind hoch mit Schnee bedeckt. Ich habe meine Teilnahme an einer Schlittenfahrt zugesagt, muß aber lange warten, bis die Meldung erfolgt, der Schlitten stehe vor der Tür. Jetzt erfolgen die Vorbereitungen zum Einsteigen — der Pelz wird angelegt, der Fußsack hervorgeholt — und endlich sitze ich auf meinem Platze. Aber noch verzögert sich die Abfahrt, bis die Zügel den harrenden Rossen das fühlbare Zeichen geben. Nun ziehen diese an; die kräftig geschüttelten Schellen beginnen ihre wohlbekannte Janitscharenmusik mit einer Mächtigkeit, die augenblicklich das Spinngewebe des Traumes zerreißt. Wieder ist’s nichts anderes, als der schrille Ton der Weckerglocke."

§ 133

"Noch das dritte Beispiel! Ich sehe ein Küchenmädchen mit einigen Dutzend aufgetürmter Teller den Korridor entlang zum Speisezimmer schreiten. Die Porzellansäule in ihren Armen scheint mir in Gefahr, das Gleichgewicht zu verlieren. „Nimm dich in acht,“ warne ich, „die ganze Ladung wird zur Erde fallen.“ Natürlich bleibt der obligate Widerspruch nicht aus: man sei dergleichen schon gewohnt u. s. w., während dessen ich noch immer mit Blicken der Besorgnis die Wandelnde begleite. Richtig, an der Türschwelle erfolgt ein Straucheln, — das zerbrechliche Geschirr fällt und rasselt und prasselt in hundert Scherben auf dem Fußboden umher. Aber — das endlos sich fortsetzende Getön ist doch, wie ich bald merke, kein eigentliches Rasseln, sondern ein richtiges Klingeln; — und mit diesem Klingeln hat, wie nunmehr der Erwachende erkennt, nur der Wecker seine Schuldigkeit getan."

§ 134

Die Frage, warum die Seele im Traume die Natur des objektiven Sinnesreizes verkenne, ist von Strümpell 66) — und fast ebenso von Wundt 76) — dahin beantwortet worden, daß sie sich gegen solche im Schlaf angreifende Reize unter den Bedingungen der Illusionsbildung befindet. Ein Sinneseindruck wird von uns erkannt, richtig gedeutet, d. h. unter die Erinnerungsgruppe eingereiht, in die er nach allen vorausgegangenen Erfahrungen gehört, wenn der Eindruck stark, deutlich, dauerhaft genug ist, und wenn uns die für diese Überlegung erforderliche Zeit zu Gebote steht. Sind diese Bedingungen nicht erfüllt, so verkennen wir das Objekt, von dem der Eindruck herrührt; wir bilden auf Grund desselben eine Illusion. „Wenn jemand auf freiem Felde spazieren geht und einen entfernten Gegenstand undeutlich wahrnimmt, kann es kommen, daß er denselben zuerst für ein Pferd hält.“ Bei näherem Zusehen kann die Deutung einer ruhenden Kuh sich aufdrängen, und endlich kann sich die Vorstellung mit Bestimmtheit in die einer Gruppe von sitzenden Menschen auflösen. Ähnlich unbestimmter Natur sind nun die Eindrücke, welche die Seele im Schlafe durch äußere Reize empfängt; sie bildet auf Grund derselben Illusionen, indem durch den Eindruck eine größere oder kleinere Anzahl von Erinnerungsbildern wachgerufen wird, durch welche der Eindruck seinen psychischen Wert bekommt. Aus welchem der vielen in Betracht kommenden Erinnerungskreise die zugehörigen Bilder geweckt werden, und welche der möglichen Assoziationsbeziehungen dabei in Kraft treten, dies bleibt auch nach Strümpell unbestimmbar und gleichsam der Willkür des Seelenlebens überlassen.

§ 135

Wir stehen hier vor einer Wahl. Wir können zugeben, daß die Gesetzmäßigkeit in der Traumbildung wirklich nicht weiter zu verfolgen ist, und somit verzichten zu fragen, ob die Deutung der durch den Sinneseindruck hervorgerufenen Illusion nicht noch anderen Bedingungen unterliegt. Oder wir können auf die Vermutung geraten, daß die im Schlafe angreifende objektive Sinnesreizung als Traumquelle nur eine bescheidene Rolle spielt, und daß andere Momente die Auswahl der wachzurufenden Erinnerungsbilder determinieren. In der Tat, wenn man die experimentell erzeugten Träume Maurys prüft, die ich in dieser Absicht so ausführlich mitgeteilt habe, so ist man versucht zu sagen, der angestellte Versuch deckt eigentlich nur eines der Traumelemente nach seiner Herkunft, und der übrige Trauminhalt erscheint vielmehr zu selbständig, zu sehr im einzelnen bestimmt, als daß er durch die eine Anforderung, er müsse sich mit dem experimentell eingeführten Element vertragen, aufgeklärt werden könnte. Ja man beginnt selbst an der Illusionstheorie und an der Macht des objektiven Eindrucks, den Traum zu gestalten, zu zweifeln, wenn man erfährt, daß dieser Eindruck gelegentlich die allersonderbarste und entlegenste Deutung im Traume erfährt. So erzählt z. B. M. Simon 63) einen Traum, in dem er riesenhafte Personen bei Tische sitzen sah und deutlich das furchtbare Geklapper hörte, das ihre aufeinander schlagenden Kiefer beim Kamen erzeugten. Als er erwachte, hörte er den Hufschlag eines vor seinem Fenster vorbeigaloppierenden Pferdes. Wenn hier der Lärm der Pferdehufe gerade Vorstellungen aus dem Erinnerungskreis von Gullivers Reisen, Aufenthalt bei den Riesen von Brobdingnag und bei den tugendheften Pferdewesen wachgerufen hat — wie ich ohne alle Unterstützung von Seite des Autors etwa deuten könnte —, sollte die Auswahl dieses für den Reiz so ungewöhnlichen Erinnerungskreises nicht außerdem durch andere Motive erleichtert gewesen sein?

§ 136

ad 2. Innere (subjektive) Sinneserregung.

§ 137

Allen Einwendungen zum Trotz wird man zugeben müssen, daß die Rolle objektiver Sinneserregungen während des Schlafes als Traumerreger unbestritten feststeht, und wenn diese Reize ihrer Natur und Häufigkeit nach vielleicht unzureichend erscheinen, um alle Traumbilder zu erklären, so wird man darauf hingewiesen, nach anderen, aber ihnen analog wirkenden Traumquellen zu suchen. Ich weiß nun nicht, wo zuerst der Gedanke aufgetaucht ist, neben den äußeren Sinnesreizen die inneren (subjektiven) Erregungen in den Sinnesorganen in Anspruch zu nehmen; es ist aber Tatsache, daß dies in allen neueren Darstellungen der Traumätiologie mehr oder minder nachdrücklich geschieht. „ "Eine wesentliche Rolle spielen ferner, wie ich glaube" ,“ sagt Wundt 76) (p. 363), „ "bei den Traumillusionen jene subjektiven Gesichts- und Gehörsempfindungen, die uns aus dem wachen Zustand als Lichtchaos des dunklen Gesichtsfeldes, als Ohrenklingen, Ohrensausen u. s. w. bekannt sind, unter ihnen namentlich die subjektiven Netzhauterregungen. So erklärt sich die merkwürdige Neigung des Traumes, ähnliche oder ganz übereinstimmende Objekte in der Mehrzahl dem Auge vorzuzaubern. Zahllose Vögel, Schmetterlinge, Fische, bunte Perlen, Blumen u. dgl. sehen wir vor uns ausgebreitet. Hier hat der Lichtstaub des dunklen Gesichtsfeldes phantastische Gestalt angenommen, und die zahlreichen Lichtpunkte, aus denen derselbe besteht, werden von dem Traume in ebenso vielen Einzelbildern verkörpert, die wegen der Beweglichkeit des Lichtchaos als bewegte Gegenstände angeschaut werden. — Hierin wurzelt wohl auch die große Neigung des Traumes zu den mannigfachsten Tiergestalten, deren Formenreichtum sich der besonderen Form der subjektiven Lichtbilder leicht anschmiegt."

§ 138

Die subjektiven Sinneserregungen haben als Quelle der Traumbilder offenbar den Vorzug, daß sie nicht wie die objektiven vom äußeren Zufalle abhängig sind. Sie stehen so zu sagen der Erklärung zu Gebote, so oft diese ihrer bedarf. Sie stehen aber hinter den objektiven Sinnesreizen darin zurück, daß sie jener Bestätigung ihrer Rolle als Traumerreger, welche Beobachtung und Experiment bei den letzteren ergeben, nur schwer oder gar nicht zugänglich sind. Den Haupterweis für die traumerregende Macht subjektiver Sinnes erregungen erbringen die sogenannten hypnagogischen Halluzinationen, die von Joh. Müller als „phantastische Gesichtserscheinungen“ beschrieben worden sind. Es sind dies oft sehr lebhafte wechselvolle Bilder, die sich in der Periode des Einschlafens bei vielen Menschen ganz regelmäßig einzustellen pflegen und auch nach dem Öffnen der Augen eine Weile bestehen bleiben können. Maury,48) der ihnen im hohen Grade unterworfen war, hat ihnen eine eingehende Würdigung zugewendet und ihren Zusammenhang, ja vielmehr ihre Identität mit den Traumbildern (wie übrigens schon Joh. Müller) behauptet. Für ihre Entstehung, sagt Maury, ist eine gewisse seelische Passivität, ein Nachlaß der Aufmerksamkeitsspannung erforderlich (p. 59 u. f.). Es genügt aber, daß man auf eine Sekunde in solche Lethargie verfalle, um bei sonstiger Disposition eine hypnagogische Halluzination zu sehen, nach der man vielleicht wieder aufwacht, bis das sich mehrmals wiederholende Spiel mit dem Einschlafen endigt. Erwacht man dann nach nicht zu langer Zeit, so gelingt es nach Maury häufig, im Traume dieselben Bilder nachzuweisen, die einem als hypnagogische Halluzinationen vor dem Einschlafen vorgeschwebt haben. (p. 134). So erging es Maury einmal mit einer Reihe von grotesken Gestalten mit verzerrten Mienen und sonderbaren Frisuren, die ihn mit unglaublicher Aufdringlichkeit in der Periode des Einschlafens belästigten, und von denen er nach dem Erwachen sich erinnerte, geträumt zu haben. Ein andermal, als er gerade an Hungergefühl litt, weil er sich schmale Diät auferlegt hatte, sah er hypnagogisch eine Schüssel und eine mit einer Gabel bewaffnete Hand, die sich etwas von der Speise in der Schüssel holte. Im Traume befand er sich an einer reich gedeckten Tafel und hörte das Geräusch, das die Speisenden mit ihren Gabeln machten. Ein andermal, als er mit gereizten und schmerzenden Augen einschlief, hatte er die hypnagogische Halluzination von mikroskopisch kleinen Zeichen, die er mit großer Anstrengung einzeln entziffern mußte; nach einer Stunde aus dem Schlafe geweckt, erinnerte er sich an einen Traum, in dem ein aufgeschlagenes Buch, mit sehr kleinen Lettern gedruckt, vorkam, welches er mühselig hatte durchlesen müssen.

§ 139

Ganz ähnlich wie diese Bilder können auch Gehörshalluzinationen von Worten, Namen u. s. w. hypnagogisch auftreten und dann im Traum sich wiederholen, als Ouverture gleichsam, welche die Leitmotive der mit ihr beginnenden Oper ankündigt.

§ 140

Auf den nämlichen Wegen wie Joh. Müller und. Maury wandelt ein neuerer Beobachter der hypnagogischen Halluzinationen, G. Trumbull Ladd 40). Er brachte es durch Übung dahin, daß er sich 2—5 Minuten nach dem allmählichen Einschlafen jäh aus dem Schlafe reißen konnte, ohne die Augen zu öffnen, und hatte dann die Gelegenheit die eben entschwindenden Netzhautempfindungen mit den in der Erinnerung überlebenden Traumbildern zu vergleichen. Er versichert, daß sich jedesmal eine innige Beziehung zwischen beiden erkennen ließ in der Weise, daß die leuchtenden Punkte und Linien des Eigenlichtes der Netzhaut gleichsam die Umrißzeichnung, das Schema für die psychisch wahrgenommenen Traumgestalten brachten. Einem Traume z. B., in welchem er deutlich gedruckte Zeilen vor sich sah, die er las und studierte, entsprach eine Anordnung der leuchtenden Punkte in der Netzhaut in parallelen Linien. Um es mit seinen Worten zu sagen: Die klar bedruckte Seite, die er im Traume gelesen, löste sich in ein Objekt auf, das seiner wachen Wahrnehmung erschien wie ein Stück eines reellen bedruckten Blattes, das man aus allzu großer Entfernung, um etwas deutlich auszunehmen, durch ein Löchelchen in einem Stücke Papier ansieht. Ladd meint, ohne übrigens den zentralen Anteil des Phänomens zu unterschätzen, daß kaum ein visueller Traum in uns abläuft, der sich nicht an das Material der inneren Erregungszustände der Netzhaut anlehnte. Besonders gilt dies für die Träume kurz nach dem Einschlafen im dunklen Zimmer, während für die Träume am Morgen nahe dem Erwachen das objektive, im erhellten Zimmer ins Auge dringende Licht die Reizquelle abgebe. Der wechselvolle, unendlich abänderungsfähige Charakter der Eigenlichterregung entspricht genau der unruhigen Bilderflucht, die unsere Träume uns verführen. Wenn man den Beobachtungen von Ladd Bedeutung beimißt, wird man die Ergiebigkeit dieser subjektiven Reizquelle für den Traum nicht gering anschlagen können, denn Gesichtsbilder machen bekanntlich den Hauptbestandteil unserer Träume aus. Der Beitrag von anderen Sinnesgebieten bis auf den des Gehörs ist geringfügiger und inkonstant.

§ 141

ad 3. Innerer, organischer Liebreiz. Wenn wir auf dem Wege sind, die Traumquellen nicht außerhalb, sondern innerhalb des Organismus zu suchen, so müssen wir uns daran erinnern, daß fast alle unsere inneren Organe, die im Zustand der Gesundheit uns kaum Kunde von ihrem Bestand geben, in Zuständen von Reizung — die wir so heißen — oder in Krankheiten eine Quelle von meist peinlichen Empfindungen für uns werden, welche den Erregern der von außen anlangenden Schmerz- und Empfindungsreize gleichgestellt werden muß. Es sind sehr alte Erfahrungen, welche z. B. Strümpell 66) zu der Aussage veranlassen (p. 107): „Die Seele gelangt im Schlafe zu einem viel tieferen und breiteren Empfindungsbewußtsein von ihrer Leiblichkeit als im Wachen, und ist genötigt, gewisse Reizeindrücke zu empfangen und auf sich wirken zu lassen, die aus Teilen und Veränderungen ihres Körpers herstammen, von denen sie im Wachen nichts wußte.“ Schon Aristoteles 1) erklärt es für sehr wohl möglich, daß man im Traume auf beginnende Krankheitszustände aufmerksam gemacht würde, von denen man im Wachen noch nichts merkt (kraft; der Vergrößerung, die der Traum den Eindrücken angedeihen läßt, siehe p. l), und ärztliche Autoren, deren Anschauung es sicherlich ferne lag, an eine prophetische Gabe des Traumes zu glauben, haben wenigstens für die Krankheitsankündigung diese Bedeutung des Traumes gelten lassen. (Vgl. M. Simon,63) p. 31, und viele ältere Autoren.)

§ 142

Es scheint an beglaubigten Beispielen für solche diagnostische Leistungen des Traumes auch aus neuerer Zeit nicht zu fehlen. So z. B. berichtet Tissié 68) nach Artigues, Essai sur la valeur séméiologique des rêves die Geschichte einer 43jährigen Frau, die durch einige Jahre in scheinbar voller Gesundheit von Angstträumen heimgesucht wurde und bei der ärztliche Untersuchung dann eine beginnende Herzaffektion aufwies, welcher sie alsbald erlag.

§ 143

Ausgebildete Störungen der inneren Organe wirken offenbar bei einer ganzen Reihe von Personen als Traumerreger. Allgemein wird auf die Häufigkeit der Angstträume bei Herz- und Lungenkranken hingewiesen, ja diese Beziehung des Traumlebens wird von vielen Autoren so sehr in den Vordergrund gedrängt, daß ich mich hier mit der bloßen Verweisung auf die Literatur (Radestock,54) Spitta,64) Maury, M. Simon, Tissié) begnügen kann. Tissié meint sogar, daß die erkrankten Organe dem Trauminhalt das charakteristische Gepräge aufdrücken. Die Träume der Herzkranken sind gewöhnlich sehr kurz und enden mit schreckhaftem Erwachen; fast immer spielt im Inhalt derselben die Situation des Todes unter gräßlichen Umständen eine Rolle. Die Lungenkranken träumen von Ersticken, Gedränge, Flucht und sind in auffälliger Zahl dem bekannten Alptraume unterworfen, den übrigens Börner 7) durch Lagerung aufs Gesicht, durch Verdeckung der Respirationsöffnungen experimentell hat hervorrufen können. Bei Digestionsstörung enthält der Traum Vorstellungen aus dem Kreise der Genießens und des Ekels. Der Einfluß sexueller Erregung endlich auf den Inhalt der Träume ist für die Erfahrung eines jeden einzelnen greifbar genug und leiht der ganzen Lehre von der Traumerregung durch Organreiz ihre stärkste Stütze.

§ 144

Es ist auch, wenn man die Literatur des Traumes durcharbeitet, ganz unverkennbar, daß einzelne der Autoren (Maury,48) Weyandt 75) durch den Einfluß ihrer eigenen Krankheitszustände auf den Inhalt ihrer Träume zur Beschäftigung mit den Traumproblemen geführt worden sind.

§ 145

Der Zuwachs an Traumquellen aus diesen unzweifelhaft festgestellten Tatsachen ist übrigens nicht so bedeutsam, als man meinen möchte. Der Traum ist ja ein Phänomen, das sich bei Gesunden — vielleicht bei allen, vielleicht allnächtlich — einstellt, und das Organerkrankung offenbar nicht zu seinen unentbehrlichen Bedingungen zählt. Es handelt sich für uns aber nicht darum, woher besondere Träume rühren, sondern was für die gewöhnlichen Träume normaler Menschen die Reizquelle sein mag.

§ 146

Indes bedarf es jetzt nur eines Schrittes weiter, um auf eine Traumquelle zu stoßen, die reichlicher fließt als jede frühere und eigentlich für keinen Fall zu versiegen verspricht. Wenn es sichergestellt ist, daß das Körperinnere im kranken Zustand zur Quelle der Traumreize wird, und wenn wir zugeben, daß die Seele im Schlafzustand, von der Außenwelt abgelenkt, dem Innern des Leibes größere Aufmerksamkeit zuwenden kann, so liegt es nahe anzunehmen, daß die Organe nicht erst zu erkranken brauchen, um Erregungen, die irgendwie zu Traumbildern werden, an die schlafende Seele gelangen zu lassen. Was wir im Wachen dumpf als Gemeingefühl nur seiner Qualität nach wahrnehmen und wozu nach der Meinung der Ärzte alle Organsysteme ihre Beiträge leisten, das würde nachts, zur kräftigen Einwirkung gelangt und mit seinen einzelnen Komponenten tätig, die mächtigste und gleichzeitig die gewöhnlichste Quelle für die Erweckung der Traumvorstellungen ergeben. Es erübrigte dann noch die Untersuchung, nach welchen Regeln sich die Organreize in Traumvorstellungen umsetzen.

§ 147

Wir haben hier jene Theorie der Traumentstehung berührt, welche die bevorzugte bei allen ärztlichen Autoren geworden ist. Das Dunkel, in welches der Kern unseres Wesens, das „moi splanchnique“, wie Tissié 68) es nennt, für unsere Kenntnis gehüllt ist, und das Dunkel der Traumentstehung entsprechen einander zu gut, um nicht in Beziehung zueinander gebracht zu werden. Der Ideengang, welcher die vegetative Organempfindung zum Traumbildner macht, hat überdies für den Arzt den anderen Anreiz, daß er Traum und Geistesstörung, die soviel Übereinstimmung in ihren Erscheinungen zeigen, auch ätiologisch vereinigen läßt, denn Alterationen des Gemeingefühls und Reize, die von den inneren Organen ausgehen, werden auch einer weitreichenden Bedeutung fur die Entstehung der Psychosen bezichtigt. Es ist darum nicht zu verwundern, wenn die Leibreiztheorie sich auf mehr als einen Urheber, der sie selbständig angeben, zurückführen läßt.

§ 148

Für eine Reihe von Autoren wurde der Gedankengang maßgebend, den der Philosoph Schopenhauer 60) im Jahre 1851 entwickelt hat. Das Weltbild entsteht in uns dadurch, daß unser Intellekt die ihn von außen treffenden Eindrücke in die Formen der Zeit, des Raumes und der Kausalität umgießt. Die Reise aus dem Innern des Organismus, vom sympathischen Nervensystem her, äußern bei Tag höchstens einen unbewußten Einfluß auf unsere Stimmung. Bei Nacht aber, wenn die übertäubende Wirkung der Tageseindücke aufgehört hat, vermögen jene aus dem Innern heraufdringenden Eindrücke sich Aufmerksamkeit zu verschaffen — ähnlich wie wir bei Nacht die Quelle rieseln hören, die der Lärm des Tages unvernehmbar machte. Wie anders aber soll der Intellekt auf diese Reize reagieren, als indem er seine ihm eigentümliche Funktion vollzieht? Er wird also die Reize zu raum- und zeiterfüllenden Gestalten, die sich am Leitfaden der Kausalität bewegen, umformen und so entsteht der Traum. In die nähere Beziehung zwischen Leibreizen und Traumbildern versuchten dann Scherner 58) und nach ihm Volkelt 72) einzudringen, deren Würdigung wir uns auf den Abschnitt über die Traumtheorien aufspüren.

§ 149

In einer besonders konsequent durchgeführten Untersuchung hat der Psychiater Krauss 39) die Entstehung des Traumes wie der Delirien und Wahnideen von dem nämlichen Element, der organisch bedingten Empfindung, abgeleitet. Es lasse sich kaum eine Stelle des Organismus denken, welche nicht der Ausgangspunkt eines Traumes oder Wahnbildes werden könne. Die organisch bedingte Empfindung „läßt sich aber in zwei Reihen trennen: 1. in die der Totalstimmungen (Gemeingefühle), 2. in die spezifischen, den Hauptsystemen des vegetativen Organismus immanenten Sensationen, wovon wir fünf Gruppen unterschieden haben, a) die Muskelempfindungen, b) die pneumatischen, c) die gastrischen, d) die sexuellen und e) die peripherischen" (p. 33 des zweiten Artikels).

§ 150

Den Hergang der Traumbilderentstehung auf Grund der Leibreize nimmt Krauss folgendermaßen an: Die geweckte Empfindung ruft nach irgend einem Assoziationsgesetz eine ihr verwandte Vorstellung wach und verbindet sich mit ihr zu einem organischen Gebilde, gegen welches sich aber das Bewußtsein anders verhält als normal. Denn dies schenkt der Empfindung selbst keine Aufmerksamkeit, sondern wendet sie ganz den begleitenden Vorstellungen zu, was zugleich der Grund ist, warum dieser Sachverhalt solange verkannt werden konnte (p. 11 u. f.). Krauss findet für den Vorgang auch den besonderen Ausdruck der Transsubstantiation der Empfindungen in Traumbilder (p. 24).

§ 151

Der Einfluß der organischen Leibreize auf die Traumbildung wird heute nahezu allgemein angenommen, die Frage nach dem Gesetze der Beziehung zwischen beiden sehr verschiedenartig, oftmals mit dunklen Auskünften, beantwortet. Es ergibt sich nun auf dem Boden der Leibreiztheorie die besondere Aufgabe der Traumdeutung, den Inhalt eines Traumes auf die ihn verursachenden organischen Reize zurückzuführen, und wenn man nicht die von Scherner 58) aufgefundenen Deutungsregeln anerkannt, steht man oft vor der mißlieben Tatsache, daß die organische Reizquelle sich eben durch nichts anderes als durch den Inhalt des Traumes verrät.

§ 152

Ziemlich übereinstimmend hat sich aber die Deutung verschiedener Traumformen gestaltet, die man als „typische“ bezeichnet hat, weil sie bei so vielen Personen mit ganz ähnlichem Inhalt wiederkehren. Es sind dies die bekannten Träume vom Herabfallen von einer Höhe, vom Zahnausfallen, vom Fliegen und von der Verlegenheit, daß man nackt oder schlecht bekleidet ist. Letzterer Traum soll einfach von der im Schlaufe gemachten Wahrnehmung herrühren, daß man die Bettdecke abgeworfen hat und nun entblößt daliegt. Der Traum vom Zahnausfallen wird auf „Zahnreiz“ zurückgeführt, womit aber nicht ein krankhafter Erregungszustand der Zähne gemeint zu sein braucht. Der Traum zu fliegen ist nach Strümpell 66) das von der Seele gebrauchte adäquate Bild, womit sie das von den auf- und. niedersteigenden Lungenflügeln ausgehende Reizquantum deutet, wenn gleichzeitig das Hautgefühl des Thorax schon bis zur Bewußtlosigkeit herabgesunken ist. Durch den letzteren Umstand wird die an die Vorstellungsform des Schwebens gebundene Empfindung vermittelt. Das Herabfallen aus der Höhe soll darin seinen Anlaß haben, daß bei eingetretener Bewußtlosigkeit des Hautdruckgefühles entweder ein Arm vom Körper herabsinkt oder ein eingezogenes Knie plötzlich gestreckt wird, wodurch das Gefühl des Hautdruckes wieder bewußt wird, der Übergang zum Bewußtwerden aber als Traum vom Niederfallen sich psychisch verkörpert (Strümpell, p. 118). Die Schwäche dieser plausiblen Erklärungsversuche liegt offenbar darin, daß sie ohne weiteren Anhalt die oder jene Gruppe von Organempfindungen aus der seelischen Wahrnehmung verschwinden oder sich ihr aufdrängen lassen, bis. die für die Erklärung günstige Konstellation hergestellt ist. Ich werde übrigens später Gelegenheit haben, auf die typischen Träume und ihre Entstehung zurückzukommen.

§ 153

M. Simon 63) hat versucht, aus der Vergleichung einer Reihe von ähnlichen Träumen einige Regeln für den Einfluß der Organreize auf die Bestimmung ihrer Traumerfolge abzuleiten. Er sagt (p. 34): Wenn im Schlafe irgend ein Organapparat, der normaler Weise am Ausdruck eines Affekts beteiligt ist, durch irgend einen anderen Anlaß sich in dem Erregungszustand befindet, in den er sonst bei jenem Affekt versetzt wird, so wird der dabei entstehende Traum Vorstellungen enthalten, die dem Affekt angepaßt sind.

§ 154

Eine andere Regel lautet (p. 35): Wenn ein Organapparat sich im Schlafe in Tätigkeit, Erregung oder Störung befindet, so wird der Traum Vorstellungen bringen, welche sich auf die Ausübung der organischen Funktion beziehen, die jener Apparat versieht.

§ 155

Mourly Vold 73) hat es unternommen, den von der Leibreiztheorie supponierten Einfluß auf die Traumerzeugung für ein einzelnes Gebiet experimentell zu erweisen. Er hat Versuche gemacht, die Stellungen der Glieder des Schlafenden zu verändern und die Traumerfolge mit seinen Abänderungen verglichen. Er teilt folgende Sätze als Ergebnis mit.

§ 156

1. Die Stellung eines Gliedes im Traume entspricht ungefähr der in der Wirklichkeit, d. h. man träumt von einem statischen Zustand des Gliedes, welcher dem realen entspricht.

§ 157

2. Wenn man von der Bewegung eines Gliedes träumt, so ist diese immer so, daß eine der bei ihrer Vollziehung vorkommenden Stellungen der wirklichen entspricht.

§ 158

3. Man kann die Stellung des eigenes Gliedes im Traume auch einer fremden Person zuschieben.

§ 159

4. Man kann auch träumen, daß die betreffende Bewegung gehindert ist.

§ 160

5. Das Glied in der betreffenden Stellung kann im Traume als Tier oder Ungeheuer erscheinen, wobei eine gewisse Analogie beider hergestellt wird.

§ 161

6. Die Stellung eines Gliedes kann im Trauma Gedanken anregen, die zu diesem Gliede irgend eine Beziehung haben. So z. B. träumt man bei Beschäftigung mit den Fingern von Zahlen.

§ 162

Ich würde aus solchen Ergebnissen schließen, daß auch die Leibreiztheorie die scheinbare Freiheit in der Bestimmung der zu erweckenden Traumbilder nicht gänzlich auszulöschen vermag.

§ 163

ad 4. Psychische Reizquellen. Als wir die Beziehungen des Traumes zum Wachleben und die Herkunft des Traummaterials behandelten, erfuhren wir, es sei die Ansicht der ältesten wie der neuesten Traumforscher, daß die Menschen von dem träumen, was sie bei Tag treiben und was sie im Wachen interessiert. Dieses aus dem Wachleben in den Schlaf sich fortsetzende Interesse wäre nicht nur ein psychisches Band, das den Traum ans Leben knüpft, sondern ergibt uns auch eine nicht zu unterschätzende Traumquelle, die neben dem im Schlafe interessant Gewordenen — den während des Schlafes einwirkenden Reizen — ausreichen sollte, die Herkunft aller Traumbilder aufzuklären. Wir haben aber auch den Widerspruch gegen obige Behauptung gehört, nämlich daß der Traum den Schläfer von den Interessen des Tages abzieht und daß wir — meistens — von den Dingen, die uns bei Tag am mächtigsten ergriffen haben, erst dann träumen, wenn sie für das Wachleben den Reiz der Aktualität verloren haben. So erhalten wir in der Analyse des Traumlebens bei jedem Schritte den Eindruck, daß es unstatthaft ist, allgemeine Regeln aufzustellen, ohne durch ein „oft“, „in der Regel“, „meistens“ Einschränkungen vorzusehen und auf die Gültigkeit der Ausnahmen vorzubereiten.

§ 164

Wenn das Wachinteresse nebst den inneren und äußeren Schlafreizen zur Deckung der Traumätiologie ausreichte, so müßten wir im stande sein, von der Herkunft aller Elemente eines Traumes befriedigende Rechenschaft zu geben; das Rätsel der Traumquellen wäre gelöst und es bliebe noch die Aufgabe, den Anteil der psychischen und der somatischen Traumreize in den einzelnen Träumen abzugrenzen. In Wirklichkeit ist diese vollständige Auflösung eines Traumes noch in keinem Falle gelungen und jedem, der dies versucht hat, sind — meist sehr reichlich — Traumbestandteile übrig geblieben, über deren Herkunft er keine Aussage machen konnte. Das Tagesinteresse als psychische Traumquelle trägt offenbar nicht so weit, als man nach den zuversichtlichen Behauptungen, daß jeder im Traume sein Geschäft weiter betreibe, erwarten sollte.

§ 165

Andere psychische Traumquellen sind nicht bekannt. Es lassen also alle in der Literatur vertretenen Traumerklärungen — mit Ausnahme etwa der später zu erwähnenden von Scherner 58) — eine große Lücke offen, wo es sich um die Ableitung des für den Traum am meisten charakteristischen Materials an Vorstellungsbildern handelt. In dieser Verlegenheit hat die Mehrzahl der Autoren die Neigung entwickelt, den psychischen Anteil an der Traumerregung, dem so schwer beizukommen ist, möglichst zu verkleinern. Sie unterscheiden zwar als Haupteinteilung den Nervenreiz- und den Assoziationstraum, welch letzterer ausschließlich in der Reproduktion seine Quelle findet (Wundt,76) p. 365), aber sie können den Zweifel nicht los werden, „ "ob sie sich ohne anstoßgebenden Leibreiz einstellen" “ (Volkelt,72) p. 127). Auch die Charakteristik des reinen Assoziationstraumes versagt: "„In den eigentlichen Assoziationsträumen kann von einem solchen festen Kerne nicht mehr die Rede sein. Hier dringt die lose Gruppierung auch in den Mittelpunkt des Traumes ein. Das ohnedies von Vernunft und Verstand freigelassene Vorstellungsleben ist hier auch von jenen gewichtvolleren Leih- und Seelenerregungen nicht mehr zusammengehalten und so seinem eigenen bunten Schieben und Treiben, seinem eigenen lockeren Durcheinandertaumeln überlassen" “ (Volkelt, p. 118). Eine Verkleinerung des psychischen Anteiles an der Traumerregung versucht dann Wundt, indem er ausführt, daß man die „ "Phantasmen des Traumes wohl mit Unrecht als reine Halluzinationen ansehe. Wahrscheinlich sind die meisten Traumvorstellungen in Wirklichkeit Illusionen, indem sie von den leisen Sinneseindrücken ausgehen, die niemals im Schlafe erlöschen" “ (p. 359 u. f.). Weygandt 75) hat sich diese Ansicht ungeeignet und sie verallgemeinert. Er behauptet für alle Traumvorstellungen, daß ihre nächste Ursache Sinnesreize sind, daran erst schließen sich reproduktive Assoziationen“ (p. 17). Noch weiter in der Verdrängung der psychischen Reizquellen geht Tissié 68) (p. 183): "Les rêves d'origine absolument psychique n’existent pas" , und anderswo (p. 6): l "es pensées de nos rêves nous viennent du dehors" . . . .

§ 166

Diejenigen Autoren, welche wie der einflußreiche Philosoph Wundt eine Mittelstellung einnehmen, versäumen nicht anzumerken, daß in den meisten Träumen somatische Reize und die unbekannten oder als Tagesinteresse erkannten psychischen Anreger des Traumes zusammenwirken.

§ 167

Wir werden Später erfahren, daß das Rätsel der Traumbildung durch die Aufdeckung einer unvermuteten psychischen Reizquelle gelöst werden kann. Vorläufig wollen wir uns über die Überschätzung der nicht aus dem Seelenleben stammenden Reize zur Traumbildung nicht verwundern. Nicht nur daß diese allein leicht aufzufinden und selbst durchs Experiment zu bestätigen sind; es entspricht auch die somatische Auffassung der Traumentstehung durchweg der heute in der Psychiatrie herrschenden Denkrichtung. Die Herrschaft des Gehirns über den Organismus wird zwar nachdrücklichst betont, aber alles, was eine Unabhängigkeit des Seelenlebens von nachweisbaren organischen Veränderungen oder eine Spontaneität in dessen Äußerungen erweisen könnte, schreckt den Psychiater heute so, als ob dessen Anerkennung die Zeiten der Naturphilosophie und des metaphysischen Seelenwesens wiederbringen müßte; Das Mißtrauen des Psychiaters hat die Psyche gleichsam unter Kuratel gesetzt und fordert nun, daß keine ihrer Regungen ein ihr eigenes Vermögen verrate. Doch zeigt dies Benehmen von nichts anderem als von einem geringen Zutrauen in die Haltbarkeit der Kausalverkettung, die sich zwischen Leiblichem und Seelischem erstreckt. Selbst wo das Psychische sich bei der Erforschung als der primäre Anlaß eines Phänomens erkennen läßt, wird ein tieferes Eindringen die Fortsetzung des Weges bis zur organischen Begründung des Seelischen einmal zu finden wissen. Wo aber das Psychische für unsere derzeitige Erkenntnis die Endstation bedeuten müßte, da braucht es darum nicht geleugnet zu werden.

§ 168

d) Warum man den Traum nach dem Erwachen vergißt?

§ 169

Daß der Traum am Morgen „zerrinnt“, ist sprichwörtlich. Freilich ist er der Erinnerung fähig. Denn wir kennen den Traum ja nur aus der Erinnerung an ihn nach dem Erwachen; aber wir glauben sehr oft, daß wir ihn nur unvollständig erinnern, während in der Nacht mehr von ihm da war; wir können beobachten, wie eine des Morgens noch lebhafte Traumerinnerung im Laufe des Tages bis auf kleine Brocken dahinschwindet; wir wissen oft, daß wir geträumt haben, aber nicht, was wir geträumt haben, und wir sind an die Erfahrung, daß der Traum dem Vergessen unterworfen ist, so gewöhnt, daß wir die Möglichkeit nicht als absurd verwerfen, daß auch der bei Nacht geträumt haben könnte, der am Morgen weder vom Inhalt noch von der Tatsache des Träumens etwas weiß. Anderseits kommt es vor, daß Träume eine außerordentliche Haltbarkeit im Gedächtnisse zeigen. Ich habe bei meinen Patienten Träume analysiert, die sich ihnen vor 25 und mehr Jahren ereignet hatten, und kann mich an einen eigenen Traum erinnern, der durch mindestens 37 Jahre vom heutigen Tage getrennt ist und doch an seiner Gedächtnisfrische nichts eingebüßt hat. Dies alles ist sehr merkwürdig und zunächst nicht verständlich.

§ 170

Über das Vergessen der Träume handelt am ausführlichsten Strümpell.66) Dies Vergessen ist offenbar ein komplexes Phänomen, denn Strümpell führt es nicht auf einen einzigen, sondern auf eine ganze Reihe von Gründen zurück.

§ 171

Zunächst sind für das Vergessen der Träume alle jene Gründe wirksam, die im Wachleben das Vergessen herbeiführen. Wir pflegen als Wachende eine Unzahl von Empfindungen und Wahrnehmungen alsbald zu vergessen, weil sie zu schwach waren, weil die an sie geknüpfte Seelenregung einen zu geringen Grad hatte. Dasselbe ist rücksichtlich vieler Traumbilder der Fall; sie werden vergessen, weil sie zu schwach waren, während stärkere Bilder aus ihrer Nähe erinnert werden. Übrigens ist das Moment der Intensität für sich allein sicher nicht entscheidend für die Erhaltung der Traumbilder; Strümpell gesteht wie auch andere Autoren (Calkins 12) zu, daß man häufig Traumbilder rasch vergißt, von denen man weiß, daß sie sehr lebhaft waren, während unter den im Gedächtnis erhaltenen sich sehr viele schattenhafte, sinnessehwache Bilder befinden. Ferner pflegt man im Wachen leicht zu vergessen, was sich nur einmal ereignet hat, und besser zu merken, was man wiederholt wahrnehmen konnte. Die meisten Traumbilder sind aber einmalige Erlebnisse;*)*) diese Eigentümlichkeit wird gleichmäßig mm Vergessen aller Träume beitragen. Weit bedeutsamer ist dann ein dritter Grund des Vergessens. Damit Empfindungen, Vorstellungen, Gedanken u. s. w. eine gewisse Erinnerungsgröße erlangen, ist es notwendig, daß sie nicht vereinzelt bleiben, sondern Verbindungen und Vergesellschaftungen passender Art eingehen. Löst man einen kleinen Vers in seine Worte auf und schüttelt diese durcheinander, so wird es sehr schwer, ihn zu merken. „Wohlgeordnet und in sachgemäßer Folge hilft ein Wort dem anderen und das Ganze steht sinnvoll in der Erinnerung leicht und lange fest. Widersinniges behalten wir im allgemeinen ebenso schwer und ebenso selten wie das Verworrene und Ordnungslose.“ Nun fehlt den Träumen in den meisten Fällen Verständigkeit und Ordnung. Die Traumkompositionen entbehren an sich der Möglichkeit ihres eigenen Gedächtnisses und werden vergessen, weil sie meistens schon in den nächsten Zeitmomenten aneinanderfallen. — Zu diesen Ausführungen stimmt allerdings nicht ganz, was Radestock 54) (p. 168) bemerkt haben will, daß wir gerade die sonderbarsten Träume am besten behalten.

§ 172

Noch wirkungsvoller für das Vergessen des Traumes erscheinen Strümpell andere Momente, die sich aus dem Verhältnis von Traum. und Wachleben ableiten. Die Vergeßlichkeit der Träume für das wache Bewußtsein ist augenscheinlich nur das Gegenstück zu der früher erwähnten Tatsache, daß der Traum (fast) nie geordnete Erinnerungen aus dem Wachleben, sondern nur Einzelheiten aus demselben übernimmt, die er aus ihren gewohnten psychischen Verbindungen reißt, in denen sie im Wachen erinnert werden. Die Traumkomposition hat somit keinen Platz in der Gesellschaft der psychischen Reihen, mit denen die Seele erfüllt ist. Es fehlen ihr alle Erinnerungshilfen. „ "Auf diese Weise hebt sich das Traumgebilde gleichsam von dem Boden unseres Seelenlebens ab und schwebt im psychischen Raume wie eine Wolke am Himmel, die der neu belebte Atem rasch verweht" “ (p. 87). Nach derselben Richtung wirkt der Umstand, daß mit dem Erwachen sofort die herandrängende Sinneswelt die Aufmerksamkeit mit Beschlag belegt, so daß vor dieser Macht die wenigsten Traumbilder stand halten können. Diese weichen vor den Eindrücken des jungen Tages wie der Glanz der Gestirne vor dem Lichte der Sonne.

§ 173

An letzter Stelle ist als förderlich für das Vergessen der Träume der Tatsache zu gedenken, daß die meisten Menschen ihren Träumen überhaupt wenig Interesse entgegenbringen. Wer sich z. B. als Forscher eine Zeitlang für den Traum interessiert, träumt währenddes auch mehr als sonst, das heißt wohl: er erinnert seine Träume leichter und häufiger.

*) Periodisch wiederkehrende Träume sind wiederholt bemerkt worden, vgl. die Sammlung von Chabaneix.11) § 174

Zwei andere Gründe des Vergessens der Träume, die Bonatelli (bei Benini)3) zu den Strümpellschen hinzugefügt, sind wohl bereits in diesen enthalten, nämlich 1. daß die Veränderung des Gemeingefühles zwischen Schlafen und Wachen der wechselseitigen Reproduktion ungünstig ist, und 2. daß die andere Anordnung des Vorstellungsmaterials im Traume diesen so zu sagen unübersetzbar fürs Wachbewußtsein macht.

§ 175

Nach all diesen Gründen fürs Vergessen wird es, wie Strümpell selbst hervorhebt, erst recht merkwürdig, daß soviel von den Träumen doch in der Erinnerung behalten wird. Die fortgesetzten Bemühungen der Autoren, das Erinnern der Träume in Regeln zu fassen, kommen einem Eingeständnis gleich, daß auch hier etwas rätselhaft und ungelöst geblieben ist. Mit Recht sind einzelne Eigentümlichkeiten der Erinnerung an den Traum neuerdings besonders bemerkt worden, z. B. daß man einen Traum, den man am Morgen für vergessen hält, im Laufe des Tages aus Anlaß einer Wahrnehmung erinnern kann, die zufällig an den — doch vergessenen — Inhalt des Traumes anrührt (Radestock,54) Tissié) 68). Die gesamte Erinnerung an den Traum unterliegt aber einer Einwendung, die geeignet ist, ihren Wert in kritischen Augen recht ausgiebig herabzusetzen. Man kann zweifeln, ob unsere Erinnerung, die soviel vom Traume wegläßt, das, was sie erhalten hat, nicht verfälscht.

§ 176

Solche Zweifel an der Exaktheit der Reproduktion des Traumes spricht auch Strümpell aus: „ "Dann geschieht es eben leicht, daß das wache Bewußtsein unwillkürlich manches in die Erinnerung des Traumes einfügt: man bildet sich ein, Allerlei geträumt zu haben, was der gewesene Traum nicht enthielt."

§ 177

Besonders entschieden äußert sich Jessen 36) (p. 547):

§ 178

"Außerdem ist aber bei der Untersuchung und Deutung zusammenhängender und folgerichtiger Träume der, wie es scheint, bisher wenig beachtete Umstand sehr in Betracht zu ziehen, daß es dabei fast immer mit der Wahrheit hapert, weil wir, wenn wir einen gehabten Traum in unser Gedächtnis zurückrufen, ohne es zu bemerken oder zu wollen, die Lücken der Traumbilder ausfüllen und ergänzen. Selten und vielleicht niemals ist ein zusammenhängender Traum so zusammenhängend gewesen, wie er uns in der Erinnerung erscheint. Auch dem wahrheitsliebendsten Menschen ist es kaum möglich, einen gehabten merkwürdigen Traum ohne allen Zusatz und ohne alle Ausschmückung zu erzählen: das Bestreben des menschlichen Geistes, alles im Zusammenhange zu erblicken, ist so groß, daß er bei der Erinnerung eines einigermaßen unzusammenhängenden Traumes die Mängel des Zusammenhanges unwillkürlich ergänzt."

§ 179

Fast wie eine Übersetzung dieser Worte Jessens klingen die doch gewiß selbständig konzipierten Bemerkungen von V. Egger:20) " . . . l’observation des rêves a ses difficultés spéciales et le seul moyen d’éviter toute erreur en pareille matière est de confier au papier sans le moindre retard ce que l’on vieut d’éprouver et de remarquer; sinon, l’oubli vieut vite ou total ou partiel; l’oubli total est sans gravité; mais l’oubli partiel est perfide; car si l’on se met ensuite à raconter ce que l’on n’a pas oublié, on est exposé à compléter par imagination les fragments incohérents et disjointa fourni par la mémoire . . . . . ; on devient artiste à son insu, et le récit periodiquement répété s’impose à la créance de son auteur, qui, de bonne foi, le présente comme un fait authentique, dûment établi selon les bonnes méthodes . . ."

§ 180

Ganz ähnlich Spitta 64) (p. 338), der anzunehmen scheint, daß wir überhaupt erst bei dem Versuche, den Traum zu reproduzieren, die Ordnung in die lose miteinander assoziierten Traumelemente einführen — „ "aus dem Nebeneinander ein Hintereinander, Auseinander machen, also den Prozeß der logischen Verbindung, der im Traume fehlt, hinzufügen" “.

§ 181

Da wir nun eine andere als eine objektive Kontrolle für die Treue unserer Erinnerung nicht besitzen. diese aber beim Traume, der unser eigenes Erlebnis ist und für den wir nur die Erinnerung als Quelle kennen, nicht möglich ist, welcher Wert bleibt da unserer Erinnerung an den Traum noch übrig?

§ 182

e) Die psychologischen Besonderheiten des Traumes.

§ 183

Wir gehen in der wissenschaftlichen Betrachtung des Traumes von der Annahme aus, daß der Traum ein Ergebnis unserer eigenen Seelentätigkeit ist; doch erscheint uns der fertige Traum als etwas Fremdes, zu dessen Urheberschaft zu bekennen es uns so wenig drängt, daß wir ebenso gern sagen: „Mir hat geträumt“ wie: „Ich habe geträumt.“ Woher rührt diese „Seelenfremdheit“ des Traumes? Nach unseren Erörterungen über die Traumquellen sollten wir meinen, sie sei nicht durch das Material bedingt, das in den Trauminhalt gelangt; dies ist ja zum größten Teil dem Traumleben wie dem Wachleben gemeinsam. Man kann sich fragen, ob es nicht Abänderungen der psychischen Vorgänge im Traume sind, welche diesen Eindruck hervorrufen, und kann so eine psychologische Charakteristik des Traumes versuchen.

§ 184

Niemand hat die Wesensverschiedenheit von Traum und Wachleben stärker betont und zu weitgehenderen Schlüssen verwendet als G. Th. Fechner 25) in einigen Bemerkungen seiner Elemente der Psychophysik (p. 520. II. Th ). Er meint, „ "weder die einfache Herabdrückung des bewußten Seelenlebens unter die Hauptschwelle" “, noch die Abziehung der Aufmerksamkeit von den Einflüssen der Außenwelt genüge, um die Eigentümlichkeiten des Traumlebens dem Wachen Leben gegenüber aufzuklären. Er vermutet vielmehr, daß auch der Schauplatz der Träume ein anderer ist als der des wachen Vorstellungslebens. „ "Sollte der Schauplatz der psychophysischen Tätigkeit während des Schlafens und des Wachens derselbe sein, so könnte der Traum meines Erachtens bloß eine, auf einem niederen Grade der Intensität sich haltende Fortsetzung des wachen Vorstellungslebens sein, und müßte übrigens dessen Stoß und dessen Form teilen. Aber es verhält sich ganz anders."

§ 185

Was Fechner mit einer solchen Umsiedelung der Seelentätigkeit meint, ist wohl nicht klar geworden; auch hat kein anderer, soviel ich weiß, den Weg weiter verfolgt, dessen Spur er in jener Bemerkung aufgezeigt. Eine anatomische Deutung im Sinne der physiologischen Gehirnlokalisation oder selbst mit Bezug auf die histologische Schichtung der Hirnrinde wird man wohl auszuschließen haben. Vielleicht aber erweist sich der Gedanke einmal als sinnreich und fruchtbar, wenn man ihn auf einen seelischen Apparat bezieht, der aus mehreren hintereinander eingeschalteten Instanzen aufgebaut ist.

§ 186

Andere Autoren haben sich damit begnügt, die eine oder die anderen der greifbareren psychologischen Besonderheiten des Traumlebens hervorzuheben und etwa zum Ausgangspunkte weiter reichender Erklärungsversuche zu machen.

§ 187

Es ist mit Recht bemerkt worden, daß eine der Haupteigentümlichkeiten des Traumlebens schon im Zustand des Einschlafens auftritt und als den Schlaf einleitendes Phänomen zu bezeichnen ist. Das Charakteristische des wachen Zustandes ist nach Schleiermaoher 61) (p. 351), daß die Denktätigkeit in Begriffen und nicht in Bildern vor sich geht. Nun denkt der Traum hauptsächlich in Bildern und man kann beobachten, daß mit der Annäherung an den Schlaf in demselben Maße, in dem die gewollten Tätigkeiten sich erschwert zeigen, ungewollte Vorstellungen hervortreten, die alle in die Klasse der Bilder gehören. Die Unfähigkeit zu solcher Vorstellungsarbeit, die wir als absichtlich gewollte empfinden, und das mit dieser Zerstreuung regelmäßig verknüpfte Hervortreten von Bildern, dies sind zwei Charaktere, die dem Traume verbleiben, und die wir bei der psychologischen Analyse desselben als wesentliche Charaktere des Traumlebens anerkennen müssen. Von den Bildern — den hypnagogischen Halluzinationen — haben wir erfahren, daß sie selbst dem Inhalt nach mit den Traumbildern identisch sind.

§ 188

Der Traum denkt also vorwiegend in visuellen Bildern, aber doch nicht ausschließlich. Er arbeitet auch mit Gehörsbildern und in geringerem Ausmaße mit den Eindrücken der anderen Sinne. Vieles wird auch im Traume einfach gedacht oder vorgestellt (wahrscheinlich also durch Wortvorstellungsreste vertreten), ganz wie sonst im Wachen. Charakteristisch für den Traum sind aber doch nur jene Inhaltselemente, welche sich wie Bilder verhalten, d. h. den Wahr nehmungen ähnlicher sind als den Erinnerungsvorstellungen. Mit Hinwegsetzung über alle die dem Psychiater wohlbekannten Diskussionen über das Wesen der Halluzination können wir mit allen sachkundigen Autoren aussagen, daß der Traum halluziniert, daß er Gedanken durch Halluzinationen ersetzt. In dieser Hinsicht besteht kein Unterschied zwischen visuellen und akustischen Vorstellungen; es ist bemerkt werden, daß die Erinnerung an eine Tonfolge, mit der man einschläft, sich beim Versinken in den Schlaf in die Halluzination derselben Melodie verwandelt, um beim Zusichkommen, das mit dem Einnicken mehrmals abwechseln kann, wieder der leiseren und qualitativ anders gearteten Erinnerungsvorstellung Platz zu machen.

§ 189

Die Verwandlung der Vorstellung in Halluzination ist nicht die einzige Abweichung des Traumes von einem etwa ihm entsprechenden Wachgedanken. Aus diesen Bildern gestaltet der Traum eine Situation, er stellt etwas als gegenwärtig der, er dramatisiert eine Idee, wie Spitta 64) (p. 145) es ausdrückt. Die Charakteristik dieser Seite des Traumlebens wird aber erst vollständig, wenn man hinzunimmt, daß man beim Träumen — in der Regel; die Ausnahmen fordern eine besondere Aufklärung — nicht zu denken, sondern zu erleben vermeint, die Halluzination also mit vollem Glauben aufnimmt. Die Kritik, man habe nichts erlebt, sondern nur in eigentümlicher Form gedacht — geträumt, regt sich erst beim Erwachen. Dieser Charakter scheidet den echten Schlaftraum von der Tagträumerei, die niemals mit der Realität verwechselt wird.

§ 190

Burdach 8) hat die bisher betrachteten Charaktere des Traumlebens in folgenden Sätzen zusammengefaßt (p. 476): „ "Zu den wesentlichen Merkmalen des Traumes gehört: a) daß die subjektive Tätigkeit unserer Seele als objektiv erscheint, indem das Wahrnehmungsvermögen die Produkte er Phantasie so auffaßt, als ob es sinnliche Rührungen wären; . . . b) der Schlaf ist eine Aufhebung der Eigenmächtigkeit. Daher gehört eine gewisse Passivität zum Einschlafen . . . . Die Schlummerbilder werden durch den Nachlaß der Eigenmächtigkeit bedingt."

§ 191

Es handelt sich nun um den Versuch, die Gläubigkeit der Seele gegen die Traumhalluzinationen, die erst nach Einstellung einer gewissen eigenmächtigen Tätigkeit auftreten können, zu erklären. Strümpell 66) führt aus, daß die Seele sich dabei korrekt und ihrem Mechanismus gemäß benimmt. Die Traumelemente sind keineswegs bloße Vorstellungen, sondern wahrhafte und wirkliche Erlebnisse der Seele, wie sie im Wachen durch Vermittlung der Sinne auftreten (p. 34). Während die Seele wachend in Wortbildern und in der Sprache verstellt und denkt, stellt sie vor und denkt im Trauma in wirklichen Empfindungsbildern (p. 35). Überdies kommt im Traume ein Raumbewußtsein hinzu, indem, wie im Wachen, Empfindungen und Bilder in einen anderen Raum versetzt werden (p. 36). Man muß also zugestehen, daß sich die Seele im Traume ihren Bildern und Wahrnehmungen gegenüber in derselben Lage befindet wie im Wachen (p. 43). Wenn sie dabei dennoch irre geht, so rührt dies daher, daß ihr im Schlafzustand das Kriterium fehlt, welches allein zwischen von außen und von innen gegebenen Sinneswahrnehmungen unterscheiden kann. Sie kann ihre Bilder nicht den Proben unterziehen, welche allein deren objektive Realität erweisen. Sie vernachlässigt außerdem den Unterschied zwischen willkürlich vertauschbaren Bildern und anderen, wo diese Willkür wegfällt. Sie irrt, weil sie das Gesetz der Kausalität nicht auf den Inhalt ihres Traumes anwenden kann (p. 58). Kurz, ihre Abkehrung von der Außenwelt enthält auch den Grund für ihren Glauben an die subjektive Traumwelt.

§ 192

Zum selben Schlusse gelangt nach teilweise abweichenden psychologischen Entwicklungen Delboeuf 16). Wir schenken den Traumbildern den Realitätsglauben, weil wir im Schlafe keine anderen Eindrücke zum Vergleiche haben, weil wir von der Außenwelt abgelöst sind. Aber nicht etwa darum glauben wir an die Wahrheit unserer Halluzinationen, weil uns im Schlafe die Möglichkeit entzogen ist, Proben anzustellen. Der Traum kann uns alle diese Prüfungen vorspiegeln, uns etwa zeigen, daß wir die gesehene Rose berühren und wir träumen dabei doch. Es gibt nach Delboeuf kein stichhaltiges Kriterium dafür, ob etwas ein Traum ist oder wache Wirklichkeit, außer — und dies nur in praktischer Allgemeinheit — der Tatsache des Erwachens. Ich erkläre alles für Täuschung, was zwischen Einschlafen und Erwachen erlebt worden ist, wenn ich durch das Erwachen merke, daß ich ausgekleidet in meinem Bette liege (p. 84). Während des Schlafes habe ich die Traumbilder für wahr gehalten infolge der nicht einzuschlafenden Denkgewohnheit, eine Außenwelt anzunehmen, zu der ich mein Ich in Gegensatz bringe. *)*)

*) Einen ähnlichen Versuch wie Delboeuf, die Traumtätigkeit zu erklären durch die Abänderung, welche eine abnorm eingeführte Bedingung an der sonst korrekten Funktion des intakten seelischen Apparats zur Folge haben muß, hat Haffner 32) unternommen, diese Bedingung aber in etwas anderen Worten beschrieben. Das erste Kennzeichen des Traumes ist nach ihm die Ort- und Zeitlosigkeit, d. i. die Emanzipation der Vorstellung von der dem Individuum zukommenden Stelle in der örtlichen und zeitlichen Ordnung. Mit diesem verbindet sich der zweite Grundcharakter des Traumes, die Verwechslung der Halluzinationen, Imaginationen und Phantasiekombinationen mit äußeren Wahrnehmungen. „ "Da die Gesamtheit der höheren Seelenkräfte, insbesondere Begriffsbildung, Urteil und Schlußfolgerung einerseits und die freie Selbstbestimmung anderseits an die sinnlichen Phantasiebilder sich anschließen und diese jederzeit zur Unterlage haben, so nehmen auch diese Tätigkeiten an der Regellosigkeit der Traumvorstellungen teil. Sie nehmen teil, sagen wir, denn an und für sich ist unsere Urteilskraft, wie unsere Willenskraft, im Schlafe in keiner Weise alteriert. Wir sind der Tätigkeit nach ebenso scharfsinnig und ebenso frei wie im wachen Zustande. Der Mensch kann auch im Trauma nicht gegen die Denkgesetze an auch verstoßen, d. h. nicht das ihm als entgegengesetzt sich Darstellende identisch setzen u. s. w. Er kann auch im Traume nur das begehren, was er als ein Gutes sich vorstellt (sub ratione boni). Aber in dieser Anwendung der Gesetze des Denkens und Wollens wird der menschliche Geist" § 193

Wird so die Abwendung von der Außenwelt zu dem bestimmenden Moment für die Ausprägung der auffälligsten Charaktere des Traumlebens erhoben, so verlohnt es sich, einige feinsinnige Bemerkungen des alten Burdach 8) anzuführen welche auf die Beziehung der schlafenden Seele zur Außenwelt Licht werfen und dazu angetan sind, vor einer Überschätzung der vorstehenden Ableitungen zurückzuhalten. „ "Der Schlaf erfolgt nur unter der Bedingung," sagt Burdach, „daß die Seele nicht von Sinnesreizen angeregt wird, . . . aber es ist nicht sowohl der Mangel an Sinnesreizen die Bedingung des Schlafes, als vielmehr der Mangel an Interesse dafür; mancher sinnliche Eindruck ist selbst notwendig, insofern er zur Beruhigung der Seele dient, wie denn der Müller nur dann schläft, wenn er das Klappern seiner Mühle hört, und der, welcher aus Vorsicht ein Nachtlicht zu brennen für nötig hält, im Dunkeln nicht einschlafen kann (p. 457).

§ 194

"Die Seele isoliert sich im Schlafe gegen die Außenwelt und zieht sich von der Peripherie . . . zurück . . . . . Indes ist der Zusammenhang nicht ganz unterbrochen: wenn man nicht im Schlafe selbst, sondern erst nach dem Erwachen hörte und fühlte, so könnte man überhaupt nicht geweckt werden. Noch mehr wird die Fortdauer der Sensation dadurch bewiesen, daß man nicht immer durch die bloß sinnliche Stärke eines Eindruckes, sondern durch die psychische Beziehung desselben geweckt wird; ein gleichgültiges Wort weckt den Schlafenden nicht, ruft man ihn aber beim Namen, so erwacht er, . . . die Seele unterscheidet also im Schlafe zwischen den Sensationen . . . . Daher kann man denn auch durch den Mangel eines Sinnesreizes, wenn dieser sich auf eine für die Vorstellung wichtige Sache bezieht, geweckt werden; so erwacht man vom Auslöschen eines Nachtlichtes und der Müller vom Stillstand seiner Mühle, also vom Aufhören der Sinnestätigkeit, und dies setzt voraus, daß diese perzipiert worden ist, aber als gleichgültig oder vielmehr befriedigend, die Seele nicht aufgestört hat" “ (p. 460 u. ff).

§ 195

Wenn wir selbst von diesen nicht gering zu schätzenden Einwendungen absehen wollen, so müssen wir doch zugestehen, daß die bisher gewürdigten und aus der Abkehrung von der Außenwelt abgeleiteten Eigenschaften des Traumlebens die Fremdartigkeit desselben nicht voll zu decken vermögen. Denn im anderen Falle müßte es möglich sein, die Halluzinationen des Traumes in Vorstellungen, die Situationen des Traumes in Gedanken zurückzuverwandeln, und damit die Aufgabe der Traumdeutung zu lösen. Nun verfahren wir nicht anders, wenn wir nach dem Erwachen den Traum aus der Erinnerung reproduzieren, und ob uns diese Rückübersetzung ganz oder nur teilweise gelingt, der Traum behält seine Rätselhaftigkeit unverringert bei.

"im Traume irregeführt durch die Verwechslung einer Vorstellung mit einer anderen. So kommt es, daß wir im Traume die größten Widersprüche setzen und begehen, während wir anderseits die scharfsinnigsten Urteilsbildungen und die konsequentesten Schlußfolgerungen vollziehen, die tugendhaftesten und heiligsten Entschließungen fassen können. Mangel an Orientierung ist das ganze Geheimnis des Fluges, mit welchem unsere Phantasie im Traume sich bewegt, und Mangel an kritischer Reflexion sowie an Verständigung mit anderen, ist die Hauptquelle der maßlosen Extravaganzen unserer Urteile wie unserer Hoffnungen und Wünsche im Traume" “ (p. 18). § 196

Die Autoren nehmen auch alle unbedenklich an, daß im Traume noch andere und tiefer greifende Veränderungen mit dem Vorstellungsmaterial des Wachens vorgefallen sind. Eine derselben sucht Strümpell 66) in folgender Erörterung herauszugreifen (p. 17): „ "Die Seele verliert mit dem Aufhören der sinnlich tätigen Anschauung und des normalen Lebensbewußtseins auch den Grund, in welchem ihre Gefühle, Begehrungen, Interessen und Handlungen wurzeln. Auch diejenigen geistigen Zustände, Gefühle, Interessen, Wertschätzungen, welche im Wachen den Erinnerungsbildern anhaften, unterliegen . . . einem verdunkelnden Drucke, infolgedessen sich ihre Verbindung mit den Bildern auflöst, die Wahrnehmungsbilder von Dingen, Personen, Lokalitäten, Begebenheiten und Handlungen des wachen Lebens werden einzeln sehr zahlreich reproduziert, aber keines derselben bringt seinen psychischen Wert mit. Dieser ist von ihnen abgelöst und sie schwanken deshalb in der Seele nach eigenen Mitteln umher . . . ."

§ 197

Diese Entblößung der Bilder von ihrem psychischen Werte, die selbst wiederum auf die Abwendung von der Außenwelt zurückgeführt wird, soll nach Strümpell einen Hauptanteil an dem Eindruck der Fremdartigkeit haben, mit dem sich der Traum in unserer Erinnerung dem Leben gegenüberstellt.

§ 198

Wir haben gehört, daß schon das Einschlafen den Verzicht auf eine der seelischen Tätigkeiten, nämlich auf die willkürliche Leitung des Vorstellungsablaufes, mit sich bringt. Es Wird uns so die ohnedies naheliegende Vermutung aufgedrängt, daß der Schlafzustand sich auch über die seelischen Verrichtungen erstrecken möge. Die eine oder andere dieser Verrichtungen wird etwa ganz aufgehoben; ob die übrig bleibenden ungestört weiter arbeiten, ob sie unter solchen Umständen normale Arbeit leisten können, kommt jetzt in Frage. Der Gesichtspunkt taucht auf, daß man die Eigentümlichkeiten des Traumes erklären könne durch die psychische Minderleistung im Schlafzustand, und nun kommt der Eindruck, den der Traum unserem wachen Urteil macht, einer solchen Auffassung entgegen. Der Traum ist unzusammenhängend, vereinigt ohne Anstoß die ärgsten Widersprüche, läßt Unmöglichkeiten zu, läßt unser bei Tag einflußreiches Wissen bei Seite, zeigt uns ethisch und moralisch stumpfsinnig. Wer sich im Wachen so benehmen würde, wie es der Traum in seinen Situationen vorführt, den würden wir für wahnsinnig halten; wer im Wachen so spräche oder solche Dinge mitteilen wollte, wie sie im Trauminhalt vorkommen, der würde uns den Eindruck eines Verworrenen und eines Schwachsinnigen machen. Somit glauben wir nur dem Tatbestand Worte zu leihen, wenn wir die psychische Tätigkeit im Traum nur sehr gering anschlagen und insbesondere die höheren intellektuellen Leistungen als im Traume aufgehoben oder wenigstens schwer geschädigt erklären.

§ 199

Mit ungewöhnlicher Einmütigkeit — von den Ausnahmen wird an anderer Stelle die Rede sein — haben die Autoren solche Urteile über den Traum gefällt, die auch unmittelbar zu einer bestimmten Theorie oder Erklärung des Traumlebens hinleiten. Es ist an der Zeit, daß ich mein Leben ausgesprochenes Resumé durch eine Sammlung von Aussprüchen verschiedener Autoren — Philosophen und Ärzte — über die psychologischen Charaktere des Traumes ersetze:

§ 200

Nach Lemoine 42) ist die Inkohärenz der Traumbilder der einzig wesentliche Charakter des Traumes.

§ 201

Maury 48) pflichtet dem bei; er sagt (p. 163): "il n'y a pas des rêves absolument raisonnables et qui ne contiennent quelque incohérence, quelque anachronisme, quelque absurdité."

§ 202

Nach Hegel bei Spitta 64) fehlt dem Traume aller objektive verständige Zusammenhang.

§ 203

Dugas 19) sagt: "Le rêve, c’est l’anarchie psychique, affective et mentale, c’est le jeu des fonctions livrées à elles-mêmes et s’exerçant sans contrôle et sans but; dans le rêve l’esprit est un automate spirituel."

§ 204

"Die Auflockerung, Lösung und Durcheinandermischung des im Wachen durch die logische Gewalt des zentralen Ich zusammengehaltenen Vorstellungslebens" “ räumt selbst Volkelt 72) ein (p. 14), nach dessen Lehre die psychische Tätigkeit während des Schlafes keineswegs zwecklos erscheint.

§ 205

Die Absurdität der im Traume vorkommenden Vorstellungsverbindungen kann man kaum schärfer verurteilen, als es schon Cicero (De divin. II) tat: "Nihil tam praepostere, tam incondite, tam monstruose cogitari potest, quod non possimus somniare."

§ 206

Fechner 52) sagt (p. 522): "Es ist als ob die psychologische Tätigkeit aus dem Gehirn eines Vernünftigen in das eines Narren übersiedelte."

§ 207

Radestock 54) (p. 145): „ "In der Tat scheint es unmöglich, in diesem tollen Treiben feste Gesetze zu erkennen. Der strengen Polizei des vernünftigen, den wachen Vorstellungslauf leitenden Willens und der Aufmerksamkeit sich entziehend, wirbelt der Traum in tollem Spiele alles kaleidoskopartig durcheinander."

§ 208

Hildebrandt 35) (p. 45): „ "Welche wunderlichen Sprünge erlaubt sich der Träumende z. B. bei seinen Verstandesschlüssen! Mit welcher Unbefangenheit sieht er die bekanntesten Erfahrungssätze geradezu auf den Kopf gestellt! Welche lächerlichen Widersprüche kann er in den Ordnungen der Natur und der Gesellschaft vertragen, bevor ihm," "wie man sagt, die Sache zu bunt wird, und die Überspannung des Unsinnes das Erwachen herbeiführt! Wir multiplizieren gelegentlich ganz harmlos: Drei mal drei macht zwanzig; es wundert uns gar nicht, daß ein Hund uns einen Vers hersagt, daß ein Toter auf eigenen Füßen nach seinem Grabe geht, daß ein Felsstück auf dem Wasser schwimmt; wir gehen alles Ernstes in höherem Auftrage nach dem Herzogtum Bernburg oder dem Fürstentum Liechtenstein, um die Kriegsmarine des Landes zu beobachten, oder lassen uns von Karl dem Zwölften kurz vor der Schlacht bei Pultawa als Freiwillige anwerben."

§ 209

Binz 4) (p. 33) mit dem Hinweise auf die aus diesen Eindrücken sich ergebende Traumtheorie: „ "Unter zehn Träumen sind mindestens neun absurden Inhalts. Wir koppeln in ihnen Personen und Dinge zusammen, welche nicht die geringsten Beziehungen zueinander haben. Schon im nächsten Augenblick, wie in einem Kaleidoskop, ist die Gruppierung eine andere geworden, womöglich noch unsinniger und toller, als sie es schon vorher war; und so geht das wechselnde Spiel des unvollkommen schlafenden Gehirns weiter, bis wir erwachen, mit der Hand nach der Stirn greifen und uns fragen, ob wir in der Tat noch die Fähigkeit des vernünftigen Vorstellens und Denkens besitzen."

§ 210

Maury 48) (p. 50) findet für das Verhältnis der Traumbilder zu den Gedanken des Wachens einen für den Arzt sehr eindrucksvollen Vergleich: „ "La production de ces images que chez l’homme éveillé fait le plus souvent naître la volonté, correspond, pour l’intelligence, à ce que sont pour la motilité certains mouvements que nous offrent la chorée et les affections paralytiques" " " . . . . Im übrigen ist ihm der Traum "„toute une série de dégradations de la faculté pensante et raisonnaute" “ (p. 27).

§ 211

Es ist kaum nötig, die Äußerungen der Autoren anzuführen, welche den Satz von Maury für die einzelnen höheren Seelenleistungen wiederholen.

§ 212

Nach Strümpell 66) treten im Traume — selbstverständlich auch dort, wo der Unsinn nicht augenfällig ist — sämtliche logische, auf Verhältnissen und Beziehungen beruhende Operationen der Seele zurück (p. 26). Nach Spitta 64) (p. 148) scheinen im Traume die Vorstellungen dem Kausalitätsgesetz völlig entzogen zu sein. Radestock 54) u. a. betonen die dem Traume eigene Schwäche des Urteils und des Schlusses. Nach Jodl 37) (p. 123) gibt es im Traume keine Kritik, keine Korrektur einer Wahrnehmungsreihe durch den Inhalt des Gesamtbewußtseins. Derselbe Autor äußert: „ "Alle Arten der Bewußtseinstätigkeit kommen im Traume vor, daher unvollständig, gehemmt, gegeneinander isoliert." “ Die Widersprüche, in welche sich der Traum gegen unser waches Wissen setzt, erklärt Stricker 77, 78) (mit vielen anderen) daraus, daß Tatsachen im Traume vergessen oder logische Beziehungen zwischen Vorstellungen verloren gegangen sind (p. 98) u. s. w. u. s. w.Von den Autoren, die im allgemeinen so ungünstig über die psychischen Leistungen im Traume urteilen, wird indes zugegeben, daß ein gewisser Rest von seelischer Tätigkeit dem Traume verbleibt. Wendt 76), dessen Lehren für so viel andere Bearbeiter der Traumprobleme maßgebend geworden sind, gesteht dies ausdrücklich zu. Man könnte nach der Art und Beschaffenheit des im Traume sich äußernden Restes von normaler Seelentätigkeit fragen. Es wird nun ziemlich allgemein zugegeben, daß die Reproduktionsfähigkeit, das Gedächtnis im Traume am wenigsten gelitten zu haben scheint, ja eine gewisse Überlegenheit gegen die gleiche Funktion des Wachens (vgl. oben p. 9) aufweisen kann, obwohl ein Teil der Absurditäten des Traumes durch die Vergeßlichkeit eben dieses Traumlebens erklärt werden soll. Nach Spitta 64) ist es das Gemütsleben der Seele, was vom Schlafe nicht befallen wird und dann den Traum dirigiert. Als „ "Gemüt" “ bezeichnet er „ "die konstante Zusammenfassung der Gefühle als des innersten subjektiven Wesens des Menschen" (p. 84).

§ 213

Scholz 59) (p. 37) erblickt eine der im Traume sich äußernden Seelentätigkeiten in der „ "allegorisierenden Umdeutung" “, welcher das Traummaterial unterzogen wird. Siebeck 62) konstatiert auch im Traume die „ "ergänzende Deutungstätigkeit" “ der Seele (p. 11), welche von ihr gegen alles Wahrnehmen und Anschauen geübt wird. Eine besondere Schwierigkeit hat es für den Traum mit der Beurteilung der angeblich höchsten psychischen Funktion, der des Bewußtseins. Da wir vom Traume nur durchs Bewußtsein etwas wissen, kann an dessen Erhaltung kein Zweifel sein; doch meint Spitta, es sei im Traume nur das Bewußtsein erhalten, nicht auch das Selbstbewußtsein. Delboeuf 16) gesteht ein, daß er diese Unterscheidung nicht zu begreifen vermag.

§ 214

Die Assoziationsgesetze, nach denen sich die Vorstellungen verknüpfen, gelten such für die Traumbilder, ja ihre Herrschaft kommt im Traume reiner und stärker zum Ausdruck. Strümpell 66) (p. 70): "Der Traum verläuft entweder ausschließlich, wie es scheint, nach den Gesetzen nackter Vorstellungen oder organischer Reize mit solchen Vorstellungen, das heißt, ohne daß Reflexion und Verstand, ästhetischer Geschmack und sittliches Urteil etwas dabei vermögen." Die Autoren, deren Ansichten ich hier reproduziere, stellen sich die Bildung der Träume etwa folgender Art vor: Die Summe der im Schlafe einwirkenden Sensationsreize aus den verschiedenen, an anderer Stelle angeführten Quellen wecken in der Seele zunächst eine Anzahl von Vorstellungen, die sich als Halluzinationen (nach Wundt richtiger Illusionen wegen ihrer Abkunft von den äußeren und inneren Reizen) darstellen. Diese verknüpfen sich untereinander nach den bekannten Assoziationsgesetzen und rufen ihrerseits nach denselben Regeln eine neue Reihe von Vorstellungen (Bildern) wach. Das ganze Material wird dann vom noch tätigen Reste der ordnenden und denkenden Seelenvermögen, so gut es eben gehen will, verarbeitet (vgl. etwa Wundt 76) und Weygandt).75) Es ist bloß noch nicht gelungen, die Motive einzusehen, welche darüber entscheiden, daß die Erweckung der nicht von außen stammenden Bilder nach diesem oder nach jenem Assoziationsgesetz vor sich gehe.

§ 215

Es ist aber wiederholt bemerkt worden, daß die Assoziationen, welche die Traumvorstellungen untereinander verbinden, von ganz besonderer Art und verschieden von den im wachen Denken tätigen sind. So sagt Volkelt 72) (p. 15): „ "Im Traume jagen und haschen sich die Vorstellungen nach zufälligen Ähnlichkeiten und kaum wahrnehmbaren Zusammenhängen. Alle Träume sind von solchen nachlässigen, zwanglosen Assoziationen durchzogen." Maury 48) legt auf diesen Charakter der Vorstellungsbindung, der ihm gestattet, das Traumleben in engere Analogie mit gewissen Geistesstörungen zu bringen, den größten Wert. Er anerkennt zwei Hauptcharaktere des „ "délire" “: " 1. une action spontanée et comme automatique de l’esprit; 2. une association vicieuse et irreguliére des idées" (p. 126). Von Maury selbst rühren zwei ausgezeichnete Traumbeispiele her, in denen der bloße Gleichklang der Worte die Verknüpfung der Traumvorstellungen vermittelt. Er träumte einmal, daß er eine Pilgerfahrt (pélerinage) nach Jerusalem oder Mekka unternehme, dann befand er sich nach vielen Abenteuern beim Chemiker Pelletier, dieser gab ihm nach einem Gespräche eine Schaufel (pelle) von Zink und diese wurde in einem darauffolgenden Traumstück sein großes Schlachtschwert (p. 157). Ein andermal ging er im Traume auf der Landstraße und) las auf den Meilensteinen die Kilometer ab, darauf befand er sich bei einem Gewürzkrämer, der eine große Wege hatte, und ein Mann legte Kilogewichte auf die Wagschale, um Maury abzuwägen; dann sagte ihm der Gewürzkrämer: „ "Sie sind nicht in Paris, sondern auf der Insel Gilolo." Es folgten darauf mehrere Bilder, in welchen er die Blume Lobelia sah, dann den General Lopez, von dessen Tod er kurz vorher gelesen haste; endlich erwachte er, eine Partie Lotto spielend.*)*)

§ 216

Wir sind aber wohl gefaßt darauf, daß diese Geringschätzung der psychischen Leistungen des Traumes nicht ohne Widerspruch von anderer Seite geblieben ist. Zwar scheint der Widerspruch hier schwierig. Es will auch nicht viel bedeuten, wenn einer er Herabsetzer des Traumlebens versichert (Spitta,64) p. 118), daß dieselben psychologischen Gesetze, die im Wachen herrschen, auch den Traum regieren, oder wenn ein anderer (Dugas)19) ausspricht: "Le rêve n'est" "pas déraison ni même irraison pure" , solange beide sich nicht die Mühe nehmen, diese Schätzung mit der von ihnen beschriebenen psychischen Anarchie und Auflösung aller Funktionen im Traume in Einklang zu bringen. Aber anderen scheint die Möglichkeit gedämmert zu haben, daß der Wahnsinn des Traumes vielleicht doch nicht ohne Methode sei, vielleicht nur Verstellung wie der des Dänenprinzen, auf dessen Wahnsinn sich das hier zitierte, einsichtsvolle Urteil bezieht. Diese Autoren müssen es vermieden haben, nach dem Anschein zu urteilen, oder der Anschein, den der Traum ihnen bot, war ein anderer.

*) An späterer Stelle wird uns der Sinn solcher Träume, die von Worten mit gleichem Anfangsbuchstaben und ähnlichem Anlaute erfüllt sind, zugänglich werden. Loading... § 217

So würdigt Havelock Ellis 23) den Traum, ohne bei seiner scheinbaren Absurdität verweilen zu wollen, als „ "an archaïc world of vast emotions and imperfect thoughts" “, deren Studium uns primitive Entwicklungsstufen des psychischen Lebens kennen lehren könnte. Ein Denker wie Delboeuf 16) behauptet — freilich ohne den Beweis gegen das widersprechende Material zu führen und darum eigentlich mit Unrecht: „ "Dans le sommeil, hormis la perception, toutes les facultés de l’esprit, intelligence, imagination, mémoire, volonté, moralité, restent intactes dans leur essence; seulement, elles s’appliquent à des objets imaginaires et mobiles. Le songeur est un acteur qui joue à volonté les fous et les sages, les bourreaux et les victimes, les nains et les géants, les démons et les anges" “ (p. 222). Am energischesten scheint die Herabsetzung der psychischen Leistung im Traume der Marquis d’Hervey bestritten zu haben, gegen den Maury 48) lebhaft polemisiert und dessen Schrift ich mir trotz aller Bemühung nicht verschaffen konnte. Maury sagt über ihn (p. 19): "M. le Marquis d’Hervey prête à l'intellience, durant le sommeil, toute sa libertè d’action et d’attention et il ne semble faire consister le sommeil que dans l’occlusion des sens, dans leur fermeture au Monde extérieur; en sorte que l’homme qui dort ne se distingue guère, selon sa manière de voir, de l’homme qui laisse vaguer sa pensée en se bouchant les sens; toute la différence qui sépare alors la pensée ordinaire du celle du dormeur c’est que, chez celui-ci, l’idée prend une forme visible, objective et ressemble, à s’y méprendre, à la sensation déterminée par les objets extérieurs; le souvenir revêt l'apparence du fait présent."

§ 218

Maury fügt aber hinzu: „ "qu’il y a une différence de plus et capitale à savoir que les fucultés intellectuelles de l’homme endormi n'offrent pas l’équilibre qu’elles gardent chez l’homme l'éveillé."

§ 219

Die Skala der Würdigung des Traumes als psychisches Produkt hat in der Literatur einen großen Umfang; sie reicht von der tiefsten Geringschätzung, deren Ausdruck wir kennen gelernt haben, durch die Ahnung eines noch nicht enthüllten Wertes bis zur Überschätzung, die den Traum weit über die Leistungen des Wachlebens stellt. Hildebrandt,35) der, wie wir Wissen, in drei Antinomien die psychologische Charakteristik des Traumlebens entwirft, faßt im dritten dieser Gegensätze die Endpunkte dieser Reihe zusammen (p. 19): "Es ist der zwischen einer Steigerung, einer nicht selten bis zur Virtuosität sich erhebenden Potenzierung und anderseits einer entschiedenen, oft bis unter das Niveau des Menschlichen führenden Herabminderung und Schwächung des Seelenlebens."

§ 220

"Was das Erstere betrifft, wer könnte nicht aus eigener Erfahrung bestätigen, daß in dem Schaffen und Weben des Traumgenius bisweilen eine Tiefe und Innigkeit des Gemütes, eine Zartheit der Empfindung, eine Klarheit der Anschauung, eine Feinheit der Beobachtung, eine Schlagfertigkeit des Witzes zu Tage tritt, wie wir solches alles als konstantes Eigentum während des wachen Lebens zu besitzen bescheidentlich in Abrede stellen würden? Der Traum hat eine wunderbare Poesie, eine treffliche Allegorie, einen unvergleichlichen Humor, eine köstliche Ironie. Er schauet die Welt in einem eigentümlichen idealisierenden Lichte und potenziert den Effekt ihrer Erscheinungen oft im sinnigsten Verständnisse des ihnen zum Grunde liegenden Wesens. Er stellt uns das irdisch Schöne in wahrhaft himmlischem Glanze, das Erhabene in höchster Majestät, das erfahrungsgemäß Furchtbare in der grauenvollsten Gestalt, das Lächerliche mit unbeschreiblich drastischer Komik vor Augen; und bisweilen sind wir nach dem Erwachen irgend eines dieser Eindrücke noch so voll, daß es uns vorkommen will, dergleichen habe die wirkliche Welt uns noch nie und niemals geboten."

§ 221

Man darf sich fragen, ist es wirklich das nämliche Objekt, dem jene geringschätzigen Bemerkungen und diese begeisterte Anpreisung gilt? Haben die einen die blödsinnigen Träume, die anderen die tiefsinnigen und feinsinnigen übersehen? Und wenn beiderlei vorkommt, Träume, die solche und die jene Beurteilung verdienen, scheint es da nicht müßig, nach einer psychologischen Charakteristik des Traumes zu suchen, genügt es nicht zu sagen, im Traume sei alles möglich, von der tiefsten Herabsetzung des Seelenlebens bis zu einer im Wachen ungewohnten Steigerung desselben? So bequem diese Lösung wäre, sie hat dies eine gegen sich, daß den Bestrebungen aller Traumforscher die Voraussetzung zu Grunde zu liegen scheint, es gäbe eine solche, in ihren wesentlichen Zügen allgemeingültige Charakteristik des Traumes, welche über jene Widersprüche hinweghelfen müßte.

§ 222

Es ist unstreitig, daß die psychischen Leistungen des Traumes bereitwilligere und wärmere Anerkennung gefunden haben in jener, jetzt hinter uns liegenden, intellektuellen Periode, da die Philosophie und nicht die exakten Naturwissenschaften die Geister beherrschte. Aussprüche, wie die von Schubert, daß der Traum eine Befreiung des Geistes von der Gewalt der äußeren Natur sei, eine Loslösung der Seele von den Fesseln der Sinnlichkeit, und ähnliche Urteile von dem jüngeren Fichte *)*) u. a., welche sämtlich den Traum als einen Auf

§ 223

*)*) Vgl. Hoffner 32) und Spitta 64). schwung des Seelenlebens zu einer höheren Stufe darstellen, erscheinen uns heute kaum begreiflich; sie werden in der Gegenwart auch nur bei Mystikern und Frömmlern wiederholt. Mit dem Eindringen naturwissenschaftlicher Denkweise ist eine Reaktion in der Würdigung des Traumes einhergegangen. Gerade die ärztlichen Autoren sind am ehesten geneigt, die psychische Tätigkeit im Traume für geringfügig und wertlos anzuschlagen, während Philosophen und nicht zünftige Beobachter — Amateurpsychologen —, deren Beiträge gerade auf diesem Gebiete nicht zu vernachlässigen sind, im besseren Einvernehmen mit den Ahnungen des Volkes, meist an dem psychischen Werte der Träume festgehalten haben. Wer zur Geringschätzung der psychischen Leistung im Traume neigt, der bevorzugt begreiflicherweise in der Traumätiologie die somatischen Reizquellen; für den, welcher der träumenden Seele den größeren Teil ihrer Fähigkeiten im Wachen belassen hat, entfällt natürlich jedes Motiv, ihr nicht auch selbständige Anregungen zum Träumen zuzugestehen.

§ 224

Unter den Überleistungen, welche man auch bei nüchterner Vergleichung versucht sein kann, dem Traumleben zuzuschreiben, ist die des Gedächtnisses die auffälligste; wir haben die sie beweisenden, gar nicht seltenen Erfahrungen ausführlich behandelt. Ein anderer, von alten Autoren häufig gepriesener Verzug des Traumlebens, daß es sich souverän über Zeit- und Ortsentfernungen hinwegzusetzen vermöge, ist mit Leichtigkeit als eine Illusion zu erkennen. Dieser Vorzug ist, wie Hildebrandt 35) bemerkt, eben ein illusorischer Vorzug; das Träumen setzt sich über Zeit und Raum nicht anders hinweg als das wache Denken, und eben weil es nur eine Form des Denkens ist. Der Traum sollte sich in bezug auf die Zeitlichkeit noch eines anderen Vorzuges erfreuen, noch in anderem Sinne vom Ablauf der Zeit unabhängig sein. Träume, wie der oben p. 18 mitgeteilte Maurys 48) von seiner Hinrichtung durch die Guillotine scheinen zu beweisen, daß der Traum in eine sehr kurze Spanne Zeit weit mehr Wahrnehmungsinhalt zu drängen vermag, als unsere psychische Tätigkeit im Wachen Denkinhalt bewältigen kann. Diese Folgerung ist indes mit mannigfaltigen Argumenten bestritten worden; seit den Aufsätzen von Le Lorrain 45) und Egger 20) „über die scheinbare Dauer der Träume“ hat sich hierüber eine interessante Diskussion angesponnen, welche in dieser heiklen und tiefreichenden Frage wahrscheinlich noch nicht die letzte Aufklärung erreicht hat.

§ 225

Daß der Traum die intellektuellen Arbeiten des Tages aufzunehmen und zu einem bei Tag nicht erreichten Abschluß zu bringen vermag, daß er Zweifel und Probleme lösen, bei Dichtern und Komponisten die Quelle neuer Eingebungen werden kann, scheint nach vielfachen Berichten und nach der von Chabaneix 11) angestellten Sammlung unbestreitbar zu sein. Aber wenn auch nicht die Tatsache, so unterliegt doch deren Auffassung vielen, ans Prinzipielle streifenden Zweifeln.

§ 226

Endlich bildet die behauptete divinatorische Kraft des Traumes ein Streitobjekt, an welchem schwer überwindliche Bedenken mit hartnäckig wiederholten Versicherungen zusammentreffen. Man vermeidet es — und wohl mit Recht —, alles Tatsächliche an diesem Thema abzuleugnen, weil für eine Reihe von Fällen die Möglichkeit einer natürlichen psychologischen Erklärung vielleicht nahe bevorsteht.

§ 227

f) Die ethischen Gefühle im Traume.

§ 228

Aus Motiven, welche erst nach Kenntnisnahme meiner eigenen Untersuchungen über den Traum verständlich werden können, habe ich von dem Thema der Psychologie des Traumes das Teilproblem abgesondert, ob und in wie weit die moralischen Dispositionen und Empfindungen des Wachens sich ins Traumleben erstrecken. Der nämliche Widerspruch in der Darstellung der Autoren, den wir für alle anderen seelischen Leistungen mit Befremden bemerken mußten, macht uns auch hier betroffen. Die einen versichern mit ebensolcher Entschiedenheit, daß der Traum von den sittlichen Anforderungen nichts weiß, wie die andern, daß die moralische Natur des Menschen auch fürs Traumleben erhalten bleibt.

§ 229

Die Berufung auf die allnächtliche Traumerfahrung scheint die Richtigkeit der ersteren Behauptung über jeden Zweifel zu erheben. Jessen 36) sagt (p. 553): „ "Auch besser und tugendhafter wird man nicht im Schlafe, vielmehr scheint das Gewissen in den Träumen zu schweigen, indem man kein Mitleid empfindet und die schwersten Verbrechen, Diebstahl, Mord und Totschlag mit völliger Gleichgültigkeit und ohne nachfolgende Reue verüben kann."

§ 230

Radestock 54) (p. 146): „ "Es ist zu berücksichtigen, daß die Assoziationen im Traume ablaufen und die Vorstellungen sich verbinden, ohne daß Reflexion und Verstand, ästhetischer Geschmack und sittliches Urteil etwas dabei vermögen; das Urteil ist höchst schwach und es herrscht ethische Gleichgültigkeit vor."

§ 231

Volkelt 72) (p. 23): „ "Besonders zügellos aber geht es, wie jeder weiß, im Traume in geschlechtlicher Beziehung zu. Wie der Träumende selbst aufs Äußerste schamlos und jedes sittlichen Gefühls und Urteils verlustig ist, so sieht er auch alle anderen und selbst die verehrtesten Personen mitten in Handlungen, die er im Wachen auch nur in Gedanken mit ihnen zusammenbringen sich scheuen würde."

§ 232

Den schärfsten Gegensatz hiezu bilden Äußerungen wie die von Schopenhauer, daß jeder im Traume in vollster Gemäßheit seines Charakters handelt und redet. R. Ph. Fischer *)*) behauptet, daß die subjektiven Gefühle und Bestrebungen oder Affekte und Leidenschaften in der Willkür des Traumlebens sich offenbaren, daß die moralischen Eigentümlichkeiten der Personen in ihren Träumen sich spiegeln. Haffner 32) (p. 25): „ "Seltene Ausnahmen abgerechnet, . . . . wird ein tugendhafter Mensch auch im Traume tugendhaft sein; er wird den Versuchungen widerstehen, dem Haß, dem Neid, dem Zorn und allen Lastern sich verschließen; der Mann der Sünde aber wird auch in seinen Träumen in der Regel die Bilder finden, die er im Wachen vor sich hatte."

*) Grundzüge des Systems der Anthropologie. Erlangen 1850. (Nach Spitta). § 233

Scholz 59) (p. 36): „ "Im Traume ist Wahrheit, trotz aller Maskierung in Hoheit oder Erniedrigung erkennen wir unser eigenes Selbst wieder . . . . . Der ehrliche Mann kann auch im Traume kein entehrendes Verbrechen begehen, oder wenn es doch der Fall ist, so entsetzt er sich darüber, als über etwas seiner Natur Fremdes. Der römische Kaiser, der einen seiner Untertanen hinrichten ließ, weil diesem geträumt hatte, er habe dem Kaiser den Kopf abschlagen lassen, hatte darum so Unrecht nicht, wenn er dies damit rechtfertigte, daß, wer so träume, auch ähnliche Gedanken im Wachen haben müsse. Von etwas, das in unserem Innern keinen Raum haben kann, sagen wir deshalb auch bezeichnender Weise: „Es fällt mir auch im Traume nicht ein."

§ 234

Pfaff *)*) sagt geradezu in Abänderung eines bekannten Sprichwortes: „ "Erzähle mir eine Zeitlang deine Träume und ich will dir sagen, wie es um dein Inneres steht."

§ 235

Die kleine Schrift von Hildebrandt 35), der ich bereits so zahlreiche Zitate entnommen habe, der formvollendetste und gedankenreichste Beitrag zur Erforschung der Traumprobleme, den ich in der Literatur gefunden, rückt gerade das Problem der Sittlichkeit im Traume in den Mittelpunkt ihres Interesses. Auch für Hildebrandt steht es als Regel fest: Je reiner das Leben, desto reiner der Traum; je unreiner jenes, desto unreiner dieser.

§ 236

Die sittliche Natur des Menschen bleibt auch im Traume bestehen: „ "Aber während kein noch so handgreiflicher Rechnungsfehler, keine noch so romantische Umkehr der Wissenschaft, kein noch so scherzhafter Anachronismus uns verletzt oder uns auch nur verdächtig wird, so geht uns doch der Unterschied zwischen Gut und Böse, zwischen Recht und Unrecht, zwischen Tugend und Laster nie verloren. Wie vieles auch von dem, was am Tage mit uns geht, in den Schlummerstunden weichen mag, — Kants kategorischer Imperativ hat sich als untrennbarer Begleiter so an unsere Fersen geheftet, daß wir ihn auch schlafend nicht los werden . . . . . Erklären aber läßt sich (diese Tatsache) eben nur daraus, daß das Fundamentale der Menschennatur, das sittliche Wesen, zu fest gefügt ist, um an der Wirkung der kaleidoskopischen Durchschüttelung teil zu nehmen, welcher Phantasie, Verstand, Gedächtnis und sonstige Fakultäten gleichen Ranges im Traume unterliegen" “ (p. 45 u. ff.).

*) Das Traumleben und seine Deutung, 1868 (bei Spitta, p. 192). § 237

In der weiteren Diskussion des Gegenstandes sind nun merkwürdige Verschiebungen und Inkonsequenzen bei beiden Gruppen von Autoren hervorgetreten. Streng genommen wäre für alle diejenigen, welche meinen, im Traume zerfalle die sittliche Persönlichkeit des Menschen, das Interesse an den unmoralischen Träumen mit dieser Erklärung zu Ende. Sie könnten den Versuch, den Träumer für seine Träume verantwortlich zu machen, aus der Schlechtigkeit seiner Träume auf eine böse Regung in seiner Natur zu schließen, mit derselben Ruhe ablehnen wie den anscheinend gleichwertigen Versuch, aus der Absurdität seiner Träume die Wertlosigkeit seiner intellektuellen Leistungen im Wachen zu erweisen. Die anderen, für die sich „der kategorische Imperativ“ auch in den Traum erstreckt, hätten die Verantwortlichkeit für unmoralische Träume ohne Einschränkung anzunehmen; es wäre ihnen nur zu wünschen, daß eigene Träume von solch verwerflicher Art sie nicht an der sonst festgehaltenen Wertschätzung der eigenen Sittlichkeit irre machen müßten.

§ 238

Nun scheint es aber, daß niemand von sich selbst so recht sicher weiß, in wie weit er gut oder böse ist, und daß niemand die Erinnerung an eigene unmoralische Träume verleugnen kann. Denn über jenen Gegensatz in der Beurteilung der Traummoralität hinweg zeigen sich bei den Autoren beider Gruppen Bemühungen, die Herkunft er unsittlichen Träume aufzuklären, und es entwickelt sich ein neuer Gegensatz, je nachdem deren Ursprung in den Funktionen des psychischen Lebens oder in somatisch bedingten Beeinträchtigungen desselben gesucht wird. Die zwingende Gewalt der Tatsächlichkeit läßt den Vertreter der Verantwortlichkeit wie der Unverantwortlichkeit des Traumlebens in der Anerkennung einer besonderen psychischen Quelle für die Unmoralität der Träume zusammentreifen.

§ 239

Alle die, welche die Sittlichkeit im Traume fortbestehen lassen, hüten sich doch davor, die volle Verantwortlichkeit für ihre Träume zu übernehmen. Haffner 32) sagt (p. 24): „ "Wir sind für Träume nicht verantwortlich, weil unserem Denken und Wollen die Basis entrückt ist, auf welcher unser Leben allein Wahrheit und Wirklichkeit hat . . . Es kann eben darum kein Traumwollen und Traumhandeln Tugend oder Sünde sein." “ Doch ist der Mensch für den sündhaften Traum verantwortlich, sofern er ihn indirekt verursacht. Es erwächst für ihn die Pflicht, wie im Wachen, so ganz besonders vor dem Schlafengehen seine Seele sittlich zu reinigen.

§ 240

Viel tiefer reicht die Analyse dieses Gemenges von Ablehnung und von Anerkennung der Verantwortlichkeit fur den sittlichen Inhalt der Träume bei Hildebrandt. Nachdem er ausgeführt, daß die dramatische Darstellungsweise des Traumes, die Zusammendrängung der kompliziertesten Überlegungsvorgänge in das kleinste Zeiträumchen, und die auch von ihm zugestandene Entwertung und Vermengung der Vorstellungselemente im Traume gegen den unsittlichen Anschein der Träume in Abzug gebracht werden muß, gesteht er, daß es doch den ernstesten Bedenken unterliege, alle Verantwortung für Traumsünden und Schulden schlechthin zu leugnen.

§ 241

(p. 49. „ "Wenn wir irgend eine ungerechte Anklage, namentlich eine solche, die sich auf unsere Absichten und Gesinnungen bezieht, recht entschieden zurückweisen wollen, so gebrauchen wir wohl die Redensart: Das sei uns nicht im Traume eingefallen. Damit sprechen wir allerdings einerseits aus, daß wir das Traumgebiet für das fernste und letzte halten, auf welchem wir für unsere Gedanken einzustehen hätten, weil dort diese Gedanken mit unserem wirklichen Wesen nur so lose und locker zusammenhängen, daß sie kaum noch als die unsrigen betrachtet werden dürfen; aber indem wir eben auch auf diesem Gebiete das Vorhandensein solcher Gedanken ausdrücklich zu leugnen uns veranlaßt fühlen, so geben wir doch indirekt damit zugleich zu, daß unsere Rechtfertigung nicht vollkommen sein würde, wenn sie nicht bis dort hinüber reichte. Und ich glaube, wir reden hier, wenn auch unbewußt, die Sprache der Wahrheit."

§ 242

(p. 52.) „ "Es läßt sich nämlich keine Traumtat denken, deren erstes Motiv nicht irgendwie als Wunsch, Gelüste, Regung vorher durch die Seele des Wachenden gezogen wäre.“ " Von dieser ersten Regung müsse man sagen: Der Traum erfand es nicht, — er bildete es nur nach und spann’s nur aus, er bearbeitete nur ein Quentlein historischen Stoffes, das er bei uns vorgefunden hatte, in dramatischer Form; er setzte das Wort des Apostels in Szene: Wer seinen Bruder haßt, der ist ein Totschläger. Und während man das ganze, breit ausgeführte Gebilde des lasterhaften Traumes nach dem Erwachen, seiner sittlichen Stärke bewußt, belächeln kann, so will jener ursprüngliche Bildungsstoff sich doch keine lächerliche Seite abgewinnen lassen. Man fühlt sich für die Verirrungen des Träumenden verantwortlich, nicht für die ganze Summe, aber doch für einen gewissen Prozentsatz. " „Kurz verstehen wir in diesem schwer anzufechtenden Sinne das Wort Christi: Aus dem Herzen kommen arge Gedanken, — dann können wir auch kaum der Überzeugung uns erwehren, daß jede im Traume begangene Sünde ein dunkles Minimum wenigstens von Schuld mit sich führe."

§ 243

In den Keimen und Andeutungen böser Regungen, die als Versuchungsgedanken tagsüber durch unsere Seelen ziehen, findet also Hildebrandt die Quelle für die Unmoralität der Träume, und er steht nicht an, diese unmoralischen Elemente bei der sittlichen Wertschätzung der Persönlichkeit einzurechnen. Es sind dieselben Gedanken und die nämliche Schätzung derselben, welche, wie wir wissen, die Frommen und Heiligen zu allen Zeiten klagen ließ, sie seien arge Sünder.

§ 244

An dem allgemeinen Vorkommen dieser kontrastierenden Vorstellungen — bei den meisten Menschen und auch auf anderem als ethischem Gebiete — besteht wohl kein Zweifel. Die Beurteilung derselben ist gelegentlich eine minder ernsthafte gewesen. Bei Spitta 64) findet sich folgende hieher gehörige Äußerung von A. Zeller (Artikel „Irre“ in der allgemeinen Enzyklopädie der Wissenschaften von Ersch und Gruber) zitiert (p. 144): "„So glücklich ist selten ein Geist organisiert, daß er zu allen Zeiten volle Macht besäße und nicht immer wieder nicht allein unwesentliche, sondern auch völlig fratzenhafte und widersinnige Vorstellungen den stetigen, klaren Gang seiner Gedanken unterbrächen, ja die größten Denker haben sich über dieses traumartige, neckende und peinliche Gesindel von Vorstellungen zu beklagen gehabt, da es ihre tiefsten Betrachtungen und ihre heiligste und ernsthafteste Gedankenarbeit stört.“"

§ 245

Ein helleres Licht fällt auf die psychologische Stellung dieser Kontrastgedanken aus einer weiteren Bemerkung von Hildebrandt, daß der Traum uns wohl bisweilen in Tiefen und Falten unseres Wesens blicken lasse, die uns im Zustand des Wachens meist verschlossen bleiben (p. 55). Dieselbe Erkenntnis verrät Kant an einer Stelle der Anthropologie, wenn er meint, der Traum sei wohl dazu da, um uns die verborgenen Anlagen zu entdecken und uns zu offenbaren, nicht was wir sind, sondern was wir hatten werden können, wenn wir eine andere Erziehung gehabt hätten; Radestock 54) (p. 84) mit den Worten, daß der Traum uns oft nur offenbart, was wir uns nicht gestehen wollen, und daß wir ihn darum mit Unrecht einen Lügner und Betrüger schelten. Wir werden aufmerksam gemacht, daß das Auftauchen dieser, unserem sittlichen Bewußtsein fremden Antriebe nur analog ist zu der uns bereits bekannten Verfügung des Traumes über anderes Vorstellungsmaterial, welches dem Wachen fehlt oder darin eine geringfügige Rolle spielt, durch Bemerkungen, wie die von Benini 3): "Certe nostre inclinazioni che si credevano soffocate e spente da un pezzo, si ridestano; passioni vecchie e sepolte rivivono; cose e persone a cui non pensiamo mai, ci vengono dinanzi" (p. 149), und von Volkelt 72): „ "Auch Vorstellungen, die in das wache Bewußtsein fast unbeachtet eingegangen sind und von ihm vielleicht nie wieder der Vergessenheit entzogen würden, pflegen sehr häufig dem Traum ihre Anwesenheit in der Seele kund zu tun" “ (p. 105). Endlich ist es hier am Platze uns zu erinnern, daß nach Schleiermacher 61) schon das Einschlafen vom Hervortreten ungewollter Vorstellungen (Bilder) begleitet war.

§ 246

Als „ungewollte Vorstellungen“ dürfen wir nun dies ganze Vorstellungsmaterial zusammenfassen, dessen Vorkommen in den unmoralischen wie in den absurden Träumen unser Befremden erregt. Ein wichtiger Unterschied liegt nur darin, daß die ungewollten Vorstellungen auf sittlichem Gebiete den Gegensatz zu unserem sonstigen Empfinden erkennen lassen, während die anderen uns bloß fremdartig erscheinen. Es ist bisher kein Schritt geschehen, der uns ermöglichte, diese Verschiedenheit durch tiefer gehende Erkenntnis aufzuheben.

§ 247

Welcher Bedeutung hat nun das Hervortreten ungewollter Vorstellungen im Traume, welche Schlüsse für die Psychologie der wachenden und der träumenden Seele lassen sich aus diesem nächtlichen Auftauchen kontrastierender ethischer Regungen ableiten? Hier ist eine neue Meinungsverschiedenheit und eine abermals verschiedene Gruppierung der Autoren zu verzeichnen. Den Gedankengang von Hildebrandt und anderen Vertretern seiner Grundansicht kann man wohl nicht anderswohin fortsetzen, als daß den unmoralischen Regungen auch im Wachen eine gewisse Macht innewohne, die zwar gehemmt ist bis zur Tat vorzudringen, und daß im Schlafe etwas wegfalle, was, gleichfalls wie eine Hemmung wirksam, uns gehindert habe, die Existenz dieser Regung zu bemerken. Der Traum zeigte so das wirkliche, wenn auch nicht das ganze Wesen des Menschen, und gehörte zu den Mitteln, das verborgene Seeleninnere für unsere Kenntnis zugänglich zu machen. Nur von solchen Voraussetzungen her kann Hildebrandt dem Traume die Rolle eines Warners zuweisen, der uns auf verborgene sittliche Schäden unserer Seele aufmerksam macht, wie er nach dem Zugeständnis der Ärzte auch bisher unbemerkte körperliche Leiden dem Bewußtsein verkünden kann. Und auch Spitta 64) kann von keiner anderen Auffassung geleitet sein, wenn er auf die Erregungsquellen hinweist, die zur Zeit der Pubertät z. B. der Psyche zufließen, und den Träumer tröstet, er habe alles getan, was in seinen Kräften steht, wenn er im Wachen einen streng tugendhaften Lebenswandel geführt und sich bemüht hat, die sündigen Gedanken, so oft sie kommen, zu unterdrücken, sie nicht reifen und zur Tat werden zu lassen. Nach dieser Auffassung könnten wir die „ungewollten“ Vorstellungen als die während des Tages „unterdrückten“ bezeichnen und müßten in ihrem Auftauchen ein echtes psychisches Phänomen erblicken.

§ 248

Nach anderen Autoren hätten wir kein Recht zu letzterer Folgerung. Für Jessen 36) stellen die ungewollten Vorstellungen im Traume wie im Wachen und in Fieber- und anderen Delirien „ "den Charakter einer zur Ruhe gelegten Willenstätigkeit und eines ge wissermaßen mechanischen Prozesses von Bildern und Vorstellungen durch innere Bewegungen dar" “ (p. 360). Ein unmoralischer Traum beweise weiter nichts für das Seelenleben des Träumers, als daß dieser von dem betreffenden Vorstellungsinhalt irgendwie einmal Kenntnis gewonnen habe, gewiß nicht eine ihm eigene Seelenregung. Bei einem anderen Autor, Maury 48), könnte man in Zweifel geraten, ob nicht auch er dem Traumzustand die Fähigkeit zuschreibt, die seelische Tätigkeit nach ihren Komponenten zu zerlegen, anstatt sie planlos zu zerstören. Er sagt von den Träumen, in denen man sich über die Schranken der Moralität hinaussetzt: "Ce sont nos penchants qui parlent et qui nous font agir, sans que la conscience nous retienne, bien que parfoit elle nous avertisse. J’ai mes défauts et mes penchants vicieux; à l’état de veille, je tâche de lutter contre eux, et il m’arrive assez souvent de n'y pas succomber. Mais dans mes songes ’y su ccombe toujours ou pour mieux dire j’agis par leur impulsion," "sans crainte et sans remords . . . . Évidemment les visions qui se déroulent devant ma pensée et qui constituent le rêve, me sont suggérées par les incitations que je ressens et que ma volonté absente ne cherche pas à réfouler" “ (p. 113).

§ 249

Wenn man an die Fähigkeit des Traumes glaubte, eine wirklich vorhandene, aber unterdrückte oder versteckte, unmoralische Disposition des Träumers zu enthüllen, so könnte man dieser Meinung schärferen Ausdruck nicht geben als mit den Worten Maurys (p. 115): "En rêve l’homme se révèle donc tout entier à soi-même dans sa nudité et sa misère natives. Dès qu’il suspend l’exercice de sa volonté, il devient le jouet de toutes les passions contre lesquelles, à l’état de veille la conscience, le sentiment d’honneur, la crainte nons défendent." An anderer Stelle findet er das treffende Wort (p. 462): "Dans le rêve, c’est surtout l’homme instinctif que se révèle . . . . L’homme revient pour ainsi dire à l’état de nature quand il rêve; mais moins les idées acquises ont pénétré dans son exprit, plus les penchants en désaccord avec elles conservent encore sur lui d’influence dans le rêve." “ Er führt dann als Beispiel an, daß seine Träume ihn nicht selten als Opfer gerade jenes Aberglaubens zeigen, den er in seinen Schriften am heftigsten bekämpft hat.

§ 250

Der Wert all dieser scharfsinnigen Bemerkungen für eine psychologische Erkenntnis des Traumlebens wird aber bei Maury dadurch beeinträchtigt, daß er in den von ihm so richtig beobachteten Phänomenen nichts als Beweise für den „ "Automatisme psychologique" sehen will, der nach ihm das Traumleben beherrscht. Diesen Automatismus faßt er als vollen Gegensatz zur psychischen Tätigkeit.

§ 251

Eine Stelle in den Studien über das Bewußtsein von Stricker 77) lautet: Der Traum besteht nicht einzig und allein aus Täuschungen; wenn man sich z. B. im Traume vor Räubern fürchtet, so sind die Räuber zwar imaginär, die Furcht aber ist real. So wird man aufmerksam darauf gemacht, daß die Affektentwicklung im Traume die Beurteilung nicht zuläßt, welche man dem übrigen Trauminhalt schenkt, und das Problem wird vor uns aufgerollt, was an den psychischen Vorgängen im Traume real sein mag. das heißt einen Anspruch auf Einreihung unter die psychischen Vorgänge des Wachens beanspruchen darf?

§ 252

g) Traumtheorien und Funktion des Traumes.

§ 253

Eine Aussage über den Traum, welche möglichst viele der beobachteten Charaktere desselben von einem Gesichtspunkte aus zu erklären versucht und gleichzeitig die Stellung des Traumes zu einem umfassenderen Erscheinungsgebiet bestimmt, wird man eine Traumtheorie heißen dürfen. Die einzelnen Traumtheorien werden sich darin unterscheiden, daß sie den oder jenen Charakter des Traumes zum wesentlichen erheben, Erklärungen und Beziehungen an ihn anknüpfen lassen. Eine Funktion, d. i. ein Nutzen oder eine sonstige Leistung des Traumes, wird nicht notwendig aus der Theorie ableitbar sein müssen, aber unsere auf die Teleologie gewohnheitsgemäß gerichtete Erwartung wird doch jenen Theorien entgegenkommen, die mit der Einsicht in eine Funktion des Traumes verbunden sind.

§ 254

Wir haben bereits mehrere Auffassungen des Traumes kennen gelernt, die den Namen von Traumtheorien in diesem Sinne mehr oder weniger verdienten. Der Glaube der Alten, daß der Traum eine Sendung der Götter sei, um die Handlungen der Menschen zu lenken, war eine vollständige Theorie des Traumes, die über alles am Traum Wissenswerte Auskunft erteilte. Seitdem der Traum ein Gegenstand der biologischen Forschung geworden ist, kennen wir eine größere Anzahl von Traumtheorien, aber darunter auch manche recht unvollständige.

§ 255

Wenn man auf Vollzähligkeit verzichtet, kann man etwa folgende lockere Gruppierung der Traumtheorien versuchen, je nach der zu Grunde gelegten Annahme über Maß und Art der psychischen Tätigkeit im Traume :

§ 256

1. Solche Theorien, welche die volle psychische Tätigkeit des Wachens sich in dem Traume fortsetzen lassen, wie die von Delboeuf.16) Hier schläft die Seele nicht, ihr Apparat bleibt intakt, aber unter die vom Wachen abweichenden Bedingungen des Schlafzustandes gebracht, muß sie bei normalem Funktionieren andere Ergebnisse liefern als im Wachen. Bei diesen Theorien fragt es sich, ob sie im stande sind, die Unterschiede des Traumes von dem Nachdenken sämtlich aus den Bedingungen des Schlafzustandes abzuleiten. Überdies fehlt ihnen ein möglicher Zugang zu einer Funktion des Traumes; man sieht nicht ein, wozu man träumt, warum der komplizierte Mechanismus des seelischen Apparats weiter spielt, auch wenn er in Verhältnisse vernetzt wird, für die er nicht berechnet scheint. Traumlos schlafen oder, wenn störende Reize kommen, aufwachen, bleiben die einzig zweckmäßigen Reaktionen anstatt der dritten, der des Träumens.

§ 257

2. Solche Theorien, welche im Gegenteil für den Traum eine Herabsetzung der psychischen Tätigkeit, eine Auflockerung der Zusammenhänge, eine Verarmung an anspruchsfähigem Material annehmen. Diesen Theorien zufolge müßte eine ganz andere psychologische Charakteristik des Schlafes gegeben werden als etwa nach Delboeuf. Der Schlaf erstreckt sich weit über die Seele, er besteht nicht bloß in einer Absperrung der Seele von der Außenwelt, er dringt vielmehr in ihren Mechanismus ein und macht ihn zeitweilig unbrauchbar. Wenn ich einen Vergleich mit psychiatrischem Material heranziehen darf, so möchte ich sagen, die ersteren Theorien konstruieren den Traum wie eine Paranoia, die zweiterwähnten machen ihn zum Vorbilde des Schwachsinns oder einer Amentia.

§ 258

Die Theorie, daß im Traumleben nur ein Bruchteil der durch den Schlaf lahmgelegten Seelentätigkeit zum Ausdruck komme, ist die bei ärztlichen Schriftstellern und in der wissenschaftlichen Welt überhaupt weit bevorzugte. Soweit ein allgemeineres Interesse für Traumerklärung vorauszusetzen ist, darf man sie wohl als die herrschende Theorie des Traumes bezeichnen. Es ist hervorzuheben, mit welcher Leichtigkeit gerade diese Theorie die ärgste Klippe jeder Traumerklärung, nämlich das Scheitern an einem der durch den Traum verkörperten Gegensätze, vermeidet. Da ihr der Traum das Ergebnis eines partiellen Wachens ist („ "ein allmähliches, partielles und zugleich sehr anomalisches Wachen" “ sagt Herbarts Psychologie über den Traum), so kann sie durch eine Reihe von Zuständen von immer weiter gehender Erweckung bis zur vollen Wachheit die ganze Reihe von der Minderleistung des Traumes, die sich durch Absurdität verrät, bis zur voll konzentrierten Denkleistung decken.

§ 259

Wem die physiologische Darstellungsweise unentbehrlich geworden ist oder wissenschaftlicher dünkt, der wird diese Theorie des Traumes in der Schilderung von Binz 4) ausgedrückt finden (p. 43):

§ 260

"Dieser Zustand (von Erstarrung) aber geht in den frühen Morgenstunden nur allmählich seinem Ende entgegen. Immer geringer werden die in dem Gehirneiweiß aufgehäuften Ermüdungsstoffe und immer mehr von ihnen wird zerlegt oder von dem restlos treibenden Blutstrom fortgespült. Da und dort leuchten schon einzelne Zellenhaufen wach geworden hervor, während ringsumher noch alles in Erstarrung ruht. Es tritt nun die isolierte Arbeit der Einzelgruppen vor unser umnebeltes Bewußtsein, und zu ihr fehlt die Kontrolle anderer, der Assoziation vorstehender Gehirnteile. Darum fügen die geschaffenen Bilder, welche meist den materiellen Eindrücken naheliegender Vergangenheit entsprechen, sich wild und regellos aneinander. Immer größer wird die Zahl der freiwerdenden Gehirnzellen, immer geringer die Unvernunft des Traumes."

§ 261

Man wird die Auffassung des Träumens als eines unvollständigen, partiellen Wachens oder Spuren von ihrem Einflusse, sicherlich bei allen modernen Physiologen und Philosophen finden. Am ausführlichsten ist sie bei Maury 48) dargestellt. Dort hat es oft den Anschein, als stellte sich der Autor das Wachsein oder Eingeschlafensein nach anatomischen Regionen verschiebbar vor, wobei ihm allerdings eine anatomische Provinz und eine bestimmte psychische Funktion aneinander gebunden erscheinen. Ich möchte hier aber nur andeuten, daß, wenn die Theorie des partiellen Wachens sich bestätigte, über den feineren Ausbau derselben sehr viel zu verhandeln wäre.

§ 262

Eine Funktion des Traumes kann sich bei dieser Auffassung des Traumlebens natürlich nicht herausstellen. Vielmehr wird das Urteil über die Stellung und Bedeutung des Traumes konsequenterweise durch die Äußerung von Binz gegeben (p. 357): „ "Alle Tatsachen, wie wir sehen, drängen dahin, den Traum als einen körperlichen, in allen Fällen unnützen, in vielen Fällen geradezu krankhaften Vorgang zu kennzeichnen . . ."

§ 263

Der Ausdruck „körperlich“ mit Beziehung auf den Traum, der seine Hervorhebung dem Autor selbst verdankt, weist wohl nach mehr als einer Richtung. Er bezieht sich zunächst auf die Traumätiologie, die ja Binz besonders nahe lag, wenn er die experimentelle Erzeugung von Träumen durch Darreichung von Giften studierte. Es liegt nämlich im Zusammenhange dieser Art von Traumtheorien, die Anregung zum Träumen womöglich ausschließlich von somatischer Seite ausgehen zu lassen. In extremster Form dargestellt, lautete es so: Nachdem wir durch Entfernung der Reize uns in Schlaf versetzt haben, wäre zum Träumen kein Bedürfnis und kein Anlaß bis zum Morgen, wo das allmähliehe Erwachen durch die neu anlangenden Reize sich in dem Phänomen des Träumens spiegeln könnte. Nun gelingt es aber nicht, den Schlaf reizlos zu halten; es kommen, ähnlich wie Mephisto von den Lebenskeimen klagt, von überall her Reize an den Schlafenden heran, von außen, von innen, von all den Körpergebieten sogar, um die man sich als Wachender nie gekümmert hat. So wird der Schlaf gestört, die Seele bald an dem, bald an jenem Zipfelchen wach gerüttelt und funktioniert dann ein Weilchen mit dem geweckten Teil, froh wieder einzuschlafen. Der Traum ist die Reaktion auf die durch den Reiz verursachte Schlafstörung, übrigens eine rein überflüssige Reaktion.

§ 264

Den Traum, der doch immerhin eine Leistung des Seelenorgans bleibt, als einen körperlichen Vorgang zu bezeichnen, hat aber auch noch einen anderen Sinn. Es ist die Würde eines psychischen Vorganges, die damit dem Traume abgesprochen werden soll. Das in seiner Anwendung auf den Traum bereits sehr alte Gleichnis von den „zehn Fingern eines der Musik ganz unkundigen Menschen, die über die Tasten des Instrumentes hinlaufen“ veranschaulicht vielleicht am besten, welche Würdigung die Traumleistung bei den Vertretern der exakten Wissenschaft zumeist gefunden hat. Der Traum wird in dieser Auffassung etwas ganz und gar Undeutbares; denn wie sollten die zehn Finger des unmusikalischen Spielers ein Stück Musik produzieren können?

§ 265

Es hat der Theorie des partiellen Wachens schon frühzeitig nicht an Einwänden gefehlt. Burdach 8) meint 1830: „ "Wenn man sagt, der Traum sei ein partielles Wachen, so wird damit erstlich weder das Wachen, noch das Schlafen erklärt, zweitens nichts anderes gesagt, als daß einige Kräfte der Seele im Traume tätig sind, während andere ruhen. Aber solche Ungleichheit findet während des ganzen Lebens statt. . ." “ (p. 483).

§ 266

An die herrschende Traumtheorie, welche im Traume einen „körperlichen“ Vorgang sieht, lehnt sich eine sehr interessante Auffassung des Traumes an, die erst 1886 von Robert 55) ausgesprochen wurde und die bestechend wirkt, weil sie für das Träumen eine Funktion, einen nützlichen Erfolg anzugeben weiß. Robert nimmt zur Grundlage seiner Theorie zwei Tatsachen der Beobachtung, bei denen wir bereits in der Würdigung des Traummaterials verweilt haben (vgl. p. 11), nämlich daß man so häufig von den nebensächlichsten Eindrücken des Tages träumt, und daß man so selten die großen Interessen des Tages mit hinübernimmt. Robert behauptet als ausschließlich richtig: Es werden nie Dinge, die man voll ausgedacht hat, zu Traumerregern, immer nur solche, die einem unfertig im Sinne liegen oder den Geist flüchtig streifen (p. 10). — „ "Darum kann man meistens den Traum sich nicht erklären, weil die Ursachen desselben eben die nicht zum genügenden Erkennen des Träumenden gekommenen Sinneseindrücke des verflossenen Tages sind." “ Die Bedingung, daß ein Eindruck in den Traum gelange, ist also, entweder daß dieser Eindruck in seiner Verarbeitung gestört wurde, oder daß er als allzu unbedeutend auf solche Verarbeitung keinen Anspruch hatte.

§ 267

Der Traum stellt sich Robert nun der „ "als ein körperlicher Ausscheidungsprozeß, der in seiner geistigen Reaktionserscheinung zum Erkennen gelangt" “. Träume sind Ausscheidungen von im Keime erstickten Gedanken. „ "Ein Mensch, dem man die Fähigkeit nehmen würde, zu träumen, müßte in gegebener Zeit geistesgestört werden, weil sich in seinem Hirn eine Unmasse unfertiger, unausgedachter Gedanken und seichter Eindrücke ansammeln würde, unter deren Wucht dasjenige ersticken müßte, was dem Gedächtnisse als fertiges Ganzes einzuverleiben wäre." “ Der Traum leistet dem überbürdeten Gehirn die Dienste eines Sicherheitsventils. Die Träume haben heilende, entlastende Kraft (p. 32).

§ 268

Es wäre mißverständlich, an Robert die Frage zu richten, wie denn durch das Vorstellen im Traume eine Entlastung der Seele herbeigeführt werden kann. Der Autor schließt offenbar aus jenen beiden Eigentümlichkeiten des Traummaterials, daß während des Schlafes eine solche Ausstoßung von wertlosen Eindrücken irgendwie als somatischer Vorgang vollzogen werde, und das Träumen ist kein besonderer psychischer Prozeß, sondern nur die Kunde, die wir von jener Aussonderung erhalten. Übrigens ist eine Ausscheidung nicht das einzige, was nachts in der Seele vorgeht. Robert fügt selbst hinzu, daß überdies die Anregungen des Tages ausgearbeitet werden und, „ "was sich von dem unverdaut im Geiste liegenden Gedankenstoff nicht ausscheiden läßt, wird durch der Phantasie entlehnte Gedankenfäden zu einem abgerundeten Ganzen verbunden und so dem Gedächtnisse als unschädliches Phantasiegemälde eingereiht" “ (p. 23).

§ 269

In den schroffsten Gegensatz zur herrschenden Theorie tritt die Roberts aber in der Beurteilung der Traumquellen. Während dort überhaupt nicht geträumt würde, wenn nicht die äußeren und inneren Sensationsreize die Seele immer wieder weckten, liegt der Antrieb zum Träumen nach der Theorie Roberts in der Seele selbst, in ihrer Überladung, die nach Entlastung verlangt, und Robert urteilt voll kommen konsequent, daß die im körperlichen Befinden liegenden traumbedingenden Ursachen einen untergeordneten Rang einnehmen, und einen Geist, in dem kein dem wachen Bewußtsein entnommener Stoff zur Traumbildung wäre, keinesfalls zum Träumen veranlassen könnten. Zuzugeben sei bloß, daß die im Traume aus den Tiefen der Seele heraus sich entwickelnden Phantasiebilder durch die Nervenreize beeinflußt werden können (p. 48). So ist der Traum nach Robert doch nicht so ganz abhängig vom Somatischen, er ist zwar kein psychischer Vorgang, hat keine Stelle unter den psychischen Vorgängen des Wachens, er ist ein allnächtlicher somatischer Vorgang am Apparat der Seelentätigkeit und hat eine Funktion zu erfüllen, diesen Apparat vor Überspannung zu behüten oder wenn man das Gleichnis wechseln darf: die Seele auszumisten.

§ 270

Auf die nämlichen Charaktere des Traumes, die in der Auswahl des Traummaterials deutlich werden, stützt ein anderer Autor, Yves Belage,15) seine eigene Theorie, und es ist lehrreich zu beobachten, wie durch eine leise Wendung in der Auffassung derselben Dinge ein Endergebnis von ganz anderer Tragweite gewonnen wird.

§ 271

Delage hatte an sich selbst, nachdem er eine ihm teure Person durch den Tod verloren, die Erfahrung gemacht, daß man von dem nicht träumt, was einen tagsüber ausgiebig beschäftigt hat, oder erst dann, wenn es anderen Interessen tagsüber zu weichen beginnt. Seine Nachforschungen bei anderen Personen bestätigten ihm die Allgemeinheit dieses Sachverhaltes. Eine schöne Bemerkung dieser Art, wenn sie sich als allgemein richtig herausstellte, macht Delage über das Träumen junger Eheleute: „ "S’ils ont été fortement épris, presque jamais ils n’ont rêvé l’un de l’autre avant le mariage ou pendant la lune de miel; et s’ils ont rêvé d’amour c’est pour être infidéles avec quelque personne indifférente ou odieuse." “ Wovon träumt man nun aber? Delage erkennt das in unseren Träumen vorkommende Material als bestehend aus Bruchstücken und Resten von Eindrücken der letzten Tage und früherer Zeiten. Alles was in unseren Träumen auftritt, was wir zuerst geneigt sein mögen, als Schöpfung des Traumlebens anzusehen, erweist sich bei genauerer Prüfung als unerkannte Reproduktion, als „ "souvenir inconscient" “. Aber dieses Vorstellungsmaterial zeigt einen gemeinsamen Charakter, es rührt von Eindrücken her, die unsere Sinne wahrscheinlich stärker betroffen haben als unseren Geist, oder von denen die Aufmerksamkeit sehr bald nach ihrem Auftauchen wieder abgelenkt wurde. Je weniger bewußt und dabei je stärker ein Eindruck gewesen ist, desto mehr Aussicht hat er, im nächsten Traume eine Rolle zu spielen.

§ 272

Es sind im wesentlichen dieselben zwei Kategorien von Eindrücken, die nebensächlichen und die unerledigten, wie sie Robert 55) hervorhebt, aber Delage wendet den Zusammenhang anders, indem er meint, diese Eindrücke werden nicht, weil sie gleichgültig sind, traumfähig, sondern weil sie unerledigt sind. Auch die nebensächlichen Eindrücke sind gewissermaßen nicht voll erledigt worden, auch sie sind ihrer Natur nach als neue Eindrücke „autant de ressorts tendus“, die sich während des Schlafes entspannen werden. Noch mehr Anrecht auf eine Rolle im Traume als der schwache und fast unbeachtete Eindruck wird ein starker Eindruck haben, der zufällig in seiner Verarbeitung aufgehalten wurde oder mit Absicht zurückgedrängt worden ist. Die tagsüber durch Hemmung und Unterdrückung aufgespeicherte psychische Energie wird nachts die Triebfeder des Traumes. Im Traume kommt das psychisch Unterdrückte zum Vorschein.*)*)

§ 273

Leider bricht der Gedankengang von Delage an dieser Stelle ab; er kann einer selbständigen psychischen Tätigkeit im Traume nur die geringste Rolle einräumen, und so schließt er sich mit seiner Traumtheorie unvermittelt wieder an die herrschende Lehre vom partiellen Schlafen des Gehirns an: „ "En somme le rêve est le produit de la pensée errante, sans but et sans direction, se fixant successivement sur les souvenirs, qui ont gardé assez d’intensité pour se placer sur sa route et l’arrêter an passage, établissant entre aux un lien tantôt faible et indécis, tantôt plus fort et plus serré, selon que l’activité actuelle du cerveau est plus ou meins abolie par le sommeil."

§ 274

Zu einer dritten Gruppe kann man jene Theorien des Traumes vereinigen, welche der träumenden Seele die Fähigkeit und Neigung zu besonderen psychischen Leistungen zuschreiben, die sie im Wachen entweder gar nicht oder nur in unvollkommener Weise ausführen kann. Aus der Betätigung dieser Fähigkeiten ergibt sich zumeist eine nützliche Funktion des Traumes. Die Wertschätzungen, welche der Traum bei älteren psychologischen Autoren gefunden hat, gehören meist in diese Reihe. Ich will mich aber damit begnügen, an deren Statt die Äußerung von Burdach 8) anzuführen, derzufolge der Traum „ "die Naturtätigkeit der Seele ist, welche nicht durch die Macht der Individualität beschränkt, nicht durch Selbstbewußtsein gestört, nicht durch Selbstbestimmung gerichtet wird, sondern die in freiem Spiele sich ergehende Lebendigkeit der sensiblen Zentralpunkte ist" “ (p. 486)

§ 275

Dieses Schwelgen im freien Gebrauche der eigenen Kräfte stellen sich Burdach u. a. offenbar als einen Zustand vor, in welchem die Seele sich erfrischt und neue Kräfte für die Tagesarbeit sammelt, also etwa nach Art eines Ferienurlaubes. Burdach zitiert und akzeptiert darum auch die liebenswürdigen Worte, in denen der Dichter Novalis das Walten des Traumes preist: „ "Der Traum ist eine Schutzwehr gegen die Regelmäßigkeit und Gewöhnlichkeit des Lebens, eine freie Erholung der gebundenen Phantasie, wo sie alle Bilder" "des Lebens durcheinander wirft und die beständige Ernsthaftigkeit des erwachsenen Menschen durch ein fröhliches Kinderspiel unterbricht; ohne die Träume würden wir gewiß früher alt, und so kann man den Traum, wenn auch nicht als unmittelbar von oben gegeben, doch als eine köstliche Aufgabe, als einen freundlichen Begleiter auf der Wallfahrt zum Grabe betrachten."

*) Ganz ähnlich äußert sich der Dichter Anatole France (Lys rouge): "Ce que nous voyons la nuit, ce sont les restes malheureux de ce que nous avons négligé dans la veille. Le reve est souvent la revanche den choses qu'on méprise ou le reproche des êtres abandonnés." § 276

Die erfrischende und heilende Tätigkeit des Traumes schildert noch eindringlicher Purkinje 53) (p. 456): „ "Besonders würden die produktiven Träume diese Funktionen vermitteln. Es sind leichte Spiele der Imagination, die mit den Tagesbegebenheiten keinen Zusammenhang haben. Die Seele will die Spannungen des wachen Lebens nicht fortsetzen, sondern sie auflösen, sich von ihnen erholen. Sie erzeugt zuvörderst denen des Wachens entgegengesetzte Zustände. Sie heilt Traurigkeit durch Freude, Sorgen durch Hoffnungen und heitere zerstreuende Bilder, Haß durch Liebe und Freundlichkeit, Furcht durch Mut und Zuversicht; den Zweifel beschwichtigt sie durch Überzeugung und festen Glauben, vergebliche Erwartung durch Erfüllung. Viele wunde Stellen des Gemütes, die der Tag immerwährend offen erhalten würde, heilt der Schlaf, indem er sie zudeckt und vor neuer Aufregung bewahrt. Darauf beruht zum Teil die schmerzenheilende Wirkung der Zeit." “ Wir empfinden es alle, daß der Schlaf eine Wohltat für das Seelenleben ist, und die dunkle Ahnung des Volksbewußtseins läßt sich offenbar das Vorurteil nicht rauben, daß der Traum einer der Wege ist, auf denen der Schlaf seine Wohltaten spendet.

§ 277

Der originellste und weitgehendste Versuch, den Traum aus einer besonderen Tätigkeit der Seele, die sich erst im Schlafzustand frei entfalten kann, zu erklären, ist der von Scherner 58) 1861 unternommene. Das Buch Scherners, in einem schwülen und schwülstigen Stil geschrieben, von einer nahezu trunkenen Begeisterung für den Gegenstand getragen, die abstoßend wirken muß, wenn sie nicht mit sich fortzureißen vermag, setzt einer Analyse solche Schwierigkeiten entgegen, daß wir bereitwillig nach der klareren und kürzeren Darstellung greifen, in welcher der Philosoph Volkelt 72) die Lehren Scherners uns verführt. „ "Es blitzt und leuchtet wohl aus den mystischen Zusammenballungen, aus all dem Pracht- und Glanzgewoge ein ahnungsvoller Schein von Sinn heraus, allein hell werden hiedurch des Philosophen Pfade nicht." “ Solche Beurteilung findet die Darstellung Scherners selbst bei seinem Anhänger.

§ 278

Scherner gehört nicht zu den Autoren, welche der Seele gestatten, ihre Fähigkeiten unverringert ins Traumleben mitzunehmen. Er führt selbst aus, wie im Traume die Zentralität, die Spontanenergie des Ich entnervt wird, wie infolge dieser Dezentralisation Erkennen, Fühlen, Wollen und Vorstellen verändert werden, und wie den Überbleibseln dieser Seelenkräfte kein wahrer Geistcharakter, sondern nur noch die Natur eines Mechanismus zukommt. Aber dafür schwingt sich im Traume die als Phantasie zu benennende Tätigkeit der Seele, frei von aller Verstandesherrschaft und damit der strengen Maße ledig, zur unbeschränkten Herrschaft auf. Sie nimmt zwar die letzten Bausteine aus dem Gedächtnis des Wachens, aber führt aus ihnen Gebäude auf, die von den Gebilden des Wachens himmelweit verschieden sind, sie zeigt sich im Traume nicht nur reproduktiv, sondern auch produktiv. Ihre Eigentümlichkeiten verleihen dem Traumleben seine besonderen Charaktere. Sie zeigt eine Vorliebe für das Ungemessene, Übertriebene, Ungeheuerliche. Zugleich aber gewinnt sie durch die Befreiung von den hinderlichen Denkkategorien eine größere Schmiegsamkeit, Behendigkeit, Wendungslust; sie ist aufs feinste empfindsam für die zarten Stimmungsreize des Gemüts, für die wühlerischen Affekte, sie bildet sofort das innere Leben in die äußere plastische Anschaulichkeit hinein. Der Traumphantasie fehlt die Begriffssprache; was sie sagen will, muß sie anschaulich hinmalen, und da der Begriff hier nicht schwächend einwirkt, malt sie es in Fülle, Kraft und Größe der Anschauungsform hin. Ihre Sprache wird hiedurch, so deutlich sie ist, weitläufig, schwerfällig, unbeholfen. Besonders erschwert wird die Deutlichkeit ihrer Sprache dadurch, daß sie die Abneigung hat, ein Objekt durch sein eigentliches Bild auszudrücken und lieber ein fremdes Bild wählt, insofern dieses nur dasjenige Moment des Objekts, an dessen Darstellung ihr liegt, durch sich auszudrücken im stande ist. Das ist die symbolisierende Tätigkeit der Phantasie . . . Sehr wichtig ist ferner, daß die Traumphantasie die Gegenstände nicht erschöpfend, sondern nur in ihrem Umriß und diesen in freiester Weise nachbildet. Ihre Malereien erscheinen daher wie genial hingehaucht. Die Traumphantasie bleibt aber nicht bei der bloßen Einstellung des Gegenstandes stehen, sondern sie ist innerlich genötigt, das Traum-Ich mehr oder weniger mit ihm zu verwickeln und so eine Handlung zu erzeugen. Der Gesichtsreiztraum z. B. malt Goldstücke auf die Straße; der Träumer sammelt sie, freut sich, trägt sie davon.

§ 279

Das Material, an welchem die Traumphantasie ihre künstlerische Tätigkeit vollzieht, ist nach Scherner vorwiegend das der, bei Tag so dunklen, organischen Leibreize (vgl. p. 25), so daß in der Annahme der Traumquellen und Traumerreger die allzu phantastische Theorie Scherners und die vielleicht übernüchterne Lehre Wundts und anderer Physiologen, die sich sonst wie Antipoden zueinander verhalten, sich hier völlig decken. Aber während nach der physiologischen Theorie die seelische Reaktion auf die inneren Leibreize mit der Erweckung von irgend zu ihnen passenden Vorstellungen erschöpft ist, die dann einige andere Vorstellungen auf dem Wege der Assoziation sich zur Hilfe rufen, und mit diesem Stadium die Verfolgung der psychischen Vorgänge des Traumes beendigt scheint, geben die Leibreize nach Scherner der Seele nur ein Material, das sie ihren phantastischen Absichten dienstbar machen kann. Die Traumbildung fängt für Scherner dort erst an, wo sie für den Blick der anderen versiegt.

§ 280

Zweckmäßig wird man freilich nicht finden können, was die Traumphantasie mit den Leibreizen vornimmt. Sie treibt ein neckendes Spiel mit ihnen, stellt sich die Organquelle, aus der die Reize im betreffenden Traume stammen, in irgend einer plastischen Symbolik vor. Ja Scherner meint, worin Volkelt und andere ihm nicht folgen, daß die Traumphantasie eine bestimmte Lieblingsdarstellung für den ganzen Organismus habe; diese wäre das Haus. Sie scheint sich aber zum Glück für ihre Darstellungen nicht an diesen Stoff zu binden; sie kann auch umgekehrt ganze Reihen von Häusern benutzen, um ein einzelnes Organ zu bezeichnen, z. B. sehr lange Häuserstraßen für den Eingeweidereiz. Andere Male stellen einzelne Teile des Hauses wirklich einzelne Körperteile dar, so z. B. im Kopfschmerztraum die Decke eines Zimmers (welche der Träumer mit ekelhaftigen krötenartigen Spinnen bedeckt sieht) den Kopf.

§ 281

Von der Haussymbolik ganz abgesehen, werden beliebige andere Gegenstände zur Darstellung der den Traumreiz ausschickenden Körperteile verwendet. „ "So findet die atmende Lunge in dem flammenerfüllten Ofen mit seinem luftartigen Brausen ihr Symbol, das Herz in hohlen Kisten und Körben, die Harnblase in runden beutelförmigen oder überhaupt nur ausgehöhlten Gegenständen. Der männliche Geschlechtsreiztraum läßt den Träumer den oberen Teil einer Klarinette, daneben den gleichen Teil einer Tabakspfeife, daneben wieder einen Pelz auf der Straße finden. Klarinette und Tabakspfeife stellen die annähernde Form den männlichen Gliedes, der Pelz das Schamhaar der. Im weiblichen Geschlechtstraume kann sich die Schrittenge der zusammenschließenden Schenkel durch einen schmalen, von Häusern umschlossenen Hof, die weibliche Scheide durch einen mitten durch den Hofraum führenden, schlüpfrig weichen, sehr schmalen Fußpfad symbolisieren, den die Träumerin wandeln muß, um etwa einen Brief zu einem Herrn zu tragen" ” (Volkelt p. 39). Besonders wichtig ist es, daß am Schlusse eines solchen Leibreiztraumes die Traumphantasie sich sozusagen demaskiert, indem sie das erregende Organ oder dessen Funktion unverhüllt hinstellt. So schließt der „Zahnreiztraum“ gewöhnlich damit, daß der Träumer sich einen Zahn aus dem Munde nimmt.

§ 282

Die Traumphantasie kann ihre Aufmerksamkeit aber nicht bloß der Form des erregenden Organs zuwenden, sie kann ebensowohl die in ihm enthaltene Substanz zum Objekt der Symbolisierung nehmen. So führt z. B. der Eingeweidereiztraum durch kotige Straßen, der Harnreiztraum an schäumendes Wasser. Oder der Reiz als solcher, die Art seiner Erregtheit, das Objekt, das er begehrt, werden symbolisch dargestellt oder das Traum-Ich tritt in konkrete Verbindung mit Symbolisierungen des eigenen Zustandes, z. B. wenn wir bei Schmerzreizen uns mit beißenden Hunden oder tobenden Stieren verzweifelt balgen oder die Träumerin sich im Geschlechtstraume von einem nackten Manne verfolgt sieht. Von all dem möglichen Reichtum in der Ausführung abgesehen, bleibt eine symbolisierende Phantasietätigkeit als die Zentralkraft eines jeden Traumes bestehen. In den Charakter dieser Phantasie näher einzudringen, der so erkannten psychischen Tätigkeit ihre Stellung in einem System philosophischer Gedanken anzuweisen, versuchte dann Volkelt 72) in seinem schön und warm geschriebenen Buche, das aber allzu schwer verständlich fur jeden bleibt, der nicht durch frühe Schulung für das ahnungsvolle Erfassen philosophischer Begriffsschemen vorbereitet ist.

§ 283

Eine nützliche Funktion ist mit der Betätigung der symbolisierenden Phantasie Scherner’s in den Träumen nicht verbunden. Die Seele spielt träumend mit den ihr dargebotenen Reizen. Man könnte auf die Vermutung kommen, daß sie unartig spielt. Man könnte aber auch an uns die Frage richten, ob unsere eingehende Beschäftigung mit der Scherners Theorie des Traumes zu irgend etwas Nützlichem führen kann, deren Willkürlichkeit mid Losgebundenheit von den Regeln aller Forschung doch allzu augenfällig scheint. Da wäre es denn am Platze, gegen eine Verwerfung der Lehre Scherners vor aller Prüfung als allzu hochmütig ein Veto einzulegen. Diese Lehre baut sich auf dem Eindruck auf, den jemand von seinen Träumen empfing, der ihnen große Aufmerksamkeit schenkte, und der persönlich sehr wohl veranlagt scheint, dunklen seelischen Dingen nachzuspüren. Sie handelt ferner von einem Gegenstand, der den Menschen durch Jahrtausende rätselhaft wohl, aber zugleich inhalts- und beziehungsreich erschienen ist, und zu dessen Erhellung die gestrenge Wissenschaft, wie sie selbst bekennt, nicht viel anderes beigetragen hat, als daß sie im vollen Gegensatz zur populären Empfindung dem Objekt Inhalt und Bedeutsamkeit abzusprechen versuchte. Endlich wollen wir uns ehrlich sagen, daß es den Anschein hat, wir könnten bei den Versuchen, den Traum aufzuklären, der Phantastik nicht leicht entgehen. Es gibt auch Ganglienzellen-Phantastik; die p. 54 zitierte Stelle eines nüchternen und exakten Forschers wie Binz 4), welche schildert, wie die Aurora des Erwachens über die eingeschlafenen Zellhaufen der Hirnrinde hinzieht, steht an Phantastik und an — Unwahrscheinlichkeit hinter den Schernerschen Deutungsversuchen nicht zurück. Ich hoffe zeigen zu können, daß hinter den letzteren etwas Reelles steckt, das allerdings nur verschwommen erkannt worden ist und nicht den Charakter der Allgemeinheit besitzt, auf den eine Theorie des Traumes Anspruch erheben kann. Vorläufig kann uns die Schernersche Theorie des Traumes in ihrem Gegensatz zur medizinischen etwa vor Augen führen, zwischen welchen Extremen die Erklärung des Traumlebens heute noch unsicher schwankt.

§ 284

h) Beziehungen zwischen Traum und Geisteskrankheiten.

§ 285

Wer von der Beziehung des Traumes zu den Geistesstörungen spricht, kann dreierlei meinen: 1. ätiologische und klinische Beziehungen, etwa wenn ein Traum einen psychotischen Zustand vertritt, einleitet oder nach ihm erübrigt. 2. Veränderungen, die das Traumleben im Falle der Geisteskrankheiten erleidet. 3. Innere Beziehungen zwischen Traum und Psychosen, Analogien, die auf Wesensverwandtschaft hindeuten. Diese mannigfachen Beziehungen zwischen den beiden Reihen von Phänomenen sind in früheren Zeiten der Medizin — und in der Gegenwart von neuem wieder — ein Lieblingsthema ärztlicher Autoren gewesen, wie die bei Spitta 64), Radestock 54), Maury 48) und Tissié 68) gesammelte Literatur des Gegenstandes lehrt. Jüngst hat Sante de Sanctis 56,57) diesem Zusammenhange seine Aufmerksamkeit zugewendet. Dem Interesse unserer Darstellung wird es genügen, den bedeutsamen Gegenstand bloß zu streifen.

§ 286

Zu den klinischen und ätiologischen Beziehungen zwischen Traum und Psychosen will ich folgende Beobachtungen als Paradigmata mitteilen. Hohnbaum berichtet (bei Krauss 39), daß der erste Ausbruch des Wahnsinns sich öfters von einem ängstlichen schreckhaften Traume herschrieb, und daß die vorherrschende Idee mit diesem Traume in Verbindung stand. Sante de Sanctis bringt ähnliche Beobachtungen von Paranoischen und erklärt den Traum in einzelnen derselben für die „vraie cause déterminante de la folie“. Die Psychose kann mit dem wirksamen, die wahnhafte Aufklärung enthaltenden Traum mit einem Schlage ins Leben treten oder sich durch weitere Träume, die noch gegen Zweifel anzukämpfen haben, langsam entwickeln. In einem Falle von de Sanctis schlossen sich an den ergreifenden Traum leichte hysterische Anfälle, dann in weiterer Folge ein ängstlich-melancholischer Zustand. Féré (bei Tissié) berichtet von einem Traume, der eine hysterische Lähmung zur Folge hatte. Hier wird uns der Traum als Ätiologie der Geistesstörung vorgeführt, obwohl wir dem Tatbestand ebenso Rechnung tragen, wenn wir aussagen, die geistige Störung habe ihre erste Änderung am Traumleben gezeigt, sei im Traume zuerst durchgebrochen. In anderen Beispielen enthält das Traumleben die krankhaften Symptome, oder die Psychose bleibt aufs Traumleben eingeschränkt. So macht Thomayer 70) auf Angstträume aufmerksam, die als Äquivalente von epileptischen Anfällen aufgefaßt werden müssen. Allison hat nächtliche Geisteskrankheit (nocturnal insanity) beschrieben (nach Radestock), bei der die Individuen tagsüber anscheinend vollkommen gesund sind, während bei Nacht regelmäßig Halluzinationen, Tobsuchtsanfälle u. dgl. auftreten. Ähnliche Beobachtungen bei de Sanctis (paranoisches Traumäquivalent bei einem Alkoholiker, Stimmen, die die Ehefrau der Untreue beschuldigen); bei Tissié. Tissié bringt aus neuerer Zeit eine reiche Anzahl von Beobachtungen, in denen Handlungen

§ 287

64 I. Literatur der Traumprobleme.

§ 288

pathologischen Charakters (aus Wahnvoraussetzungen, Zwangsimpulse) sich aus Träumen ableiten. Guislain beschreibt einen Fall, in dem der Schlaf durch ein intermittierendes Irresein ersetzt war.

§ 289

‘ Es ist wohl kein Zweifel, daß eines T s neben der__Psychologie des Traumes eine Psychopathologie des umes die Arzte beschäftigen wird.

§ 290

1 Besonders deutlich wird es haufig in Fällen von Genesung nach Geisteskrankheit, daß bei gesunder Funktion am Tage das Traumleben noch der Psychose angehören kann. Gregory soll auf dieses Vorkommen zuerst aufmerksam gemacht haben (nach Krauss”). Macario (bei Tissié) erzählt von einem Maniacus, der eine Woche nach seiner völligen Herstellung in Träumen die Ideenflucht und die leidenschaftlichen Antriebe seiner Krankheit wieder erlebte.

§ 291

Über die Veränderungen, welche das Traumleben bei dauernd Psychotischen erflthrt, sind bis jetzt nur sehr wenige Untersuchungen angestth werden. Dagegen hat die innere Verwandtschaft z„wischen Traum und Geistesstörung, die sich in so weitgehender Übereinstimmung der Erscheinungen beider äußert, frühzeitig Beachtung gefunden. Nach Maury“) hat zuerst Cabanis in seinen Rapports du phäsique et du moral auf sie hingewiesen, nach ihm Lelut, J. Moreau an ganz besonders der Philosoph Maine de Biran. Sicherlich ist die Vergleichung noch alter. Radestock“) leitet das Kapitel, in dem er sie behandelt, mit einer Sammlung von Aussprllchen ein, welche Traum und Wahnsinn in Analogie bringen. Kant sagt an einer Stelle: „Der Verrückte ist ein Träumer im Wachen.“ Krauss: „Der Wahnsinn ist ein Traum innerhalb des Sinnenwachseins.“ Schopenhauer nennt den Traum einen kurzen Wahnsinn und den Wahnsinn einen langen Traum. Hagen bezeichnet das Delirium als Traumleben, welches nicht durch Schlaf, sondern durch Krankheiten herbeigeführt ist. W u n dt äußert in der „Physiologisehen Psychologie“: „In der Tat können wir im Traume fast alle Erscheinungen, die uns in den Irrenhäusern_begegnen, selber durchleben.“ _

§ 292

Die einzelnen Ubereinstimmungen, auf Grund deren eine solche Gleichstellung sich dem Urteil empfiehlt, zählt Spitta“) (übrigens sehr ähnlich wie Maury) in fo ender Reihe auf : „l. Aufhebung oder doch Retardation des Sei stbewußtseins, 1nfolgedessen Un

§ 293

kenntnis über den Zustand als solchen, also Unmöglichkeit des Er-,

§ 294

staunens, Mangel des moralischen Bew_ußtseins. 2. Modii_izierte Perzeption der Sinnesorgane, und zwar nn Traume vermmderte, im Wahnsinn im allgemeinen seht gesteigerte- 3. Verbindung denV_orstellungen untereinander lediglich nach den Gesetzen der Assoziation und Reproduktion also automatische Reihenbildun , daher Unpro‘ rtionalitat der Verhältnisse zwischen den Vorstel ungen (Über—treigo , Phantasmen) und aus alle dem resultierend. 4. Verätnderung beziehungsweise Umkehrung der Persönlichkeit und zuweilen der Eigentümliehkeiten des Charakters (Perversrtaten).“

§ 295

§ 296

Radestock fügt noch einige Züge hinzu, Analogien im Material: „ "Im Gebiete des Gesichts- und Gehörsinnes und des Gemeingefühls findet man die meisten Halluzinationen und Illusionen. Die wenigsten Elemente liefern wie beim Traume der Geruchs- und Geschmacksinn. — Dem Fieberkranken steigen in den Delirien wie dem Träumenden Erinnerungen aus langer Vergangenheit auf; was der Wachende und Gesunde vergessen zu haben schien, dessen erinnert sich der Schlafende und Kranke." “ — Die Analogie von Traum und Psychose erhält erst dadurch ihren vollen Wert, daß sie sich wie eine Familienähnlichkeit in die feinere Mimik und bis auf einzelne Auffälligkeiten des Gesichtsausdruckes erstreckt.

§ 297

"Dem von körperlichen und geistigen Leiden Gequälten gewährt der Traum, was die Wirklichkeit versagte: Wohlsein und. Glück; so heben sich auch bei dem Geisteskranken die lichten Bilder von Glück, Größe, Erhabenheit und Reichtum. Der vermeintliche Besitz von Gütern und die imaginäre Erfüllung von Wünschen, deren Verweigerung oder Vernichtung eben einen psychischen Grund das Irreseins abgaben, machen häufig den Hauptinhalt des Deliriums aus. Die Frau, die ein teures Kind verloren, deliriert in Mutterfreuden, wer Vermögensverluste erlitten, hält sich für außerordentlich reich, das betrogene Mädchen sieht sich zärtlich geliebt."

§ 298

(Diese Stelle Radestocks ist die Abkürzung einer feinsinnigen Ausführung von Griesinger 31) (p. 111), die mit aller Klarheit die Wunscherfüllung als einen dem Traume und der Psychose gemeinsamen Charakter des Vorstellens enthüllt. Meine eigenen Untersuchungen haben mich gelehrt, daß hier der Schlüssel zu einer psychologischen Theorie des Traumes und der Psychosen zu finden ist.)

§ 299

„Barocke Gedankenverbindungen und Schwäche des Urteils sind es, welche den Traum und den Wahnsinn hauptsächlich charakterisieren.“ Die Überschätzung der eigenen geistigen Leistungen, die dem nüchternen Urteil als unsinnig erscheinen, findet sich hier wie dort; dem rapiden Vorstellungsverlauf des Traumes entspricht die Ideenflucht der Psychose. Bei beiden fehlt jedes Zeitmaß. Die Spaltung der Persönlichkeit im Traume, welche z. B. das eigene Wissen auf zwei Personen verteilt, von denen die fremde das eigene Ich im Traume korrigiert, ist völlig gleichwertig der bekannten Persönlichkeitsteilung bei halluzinatorischer Paranoia; auch der Träumer hört die eigenen Gedanken von fremden Stimmen vorgebracht. Selbst für die konstanten Wahnideen findet sich eine Analogie in den stereotyp wiederkehrenden pathologischen Träumen (rêve obsédant). — Nach der Genesung von einem Delirium sagen die Kranken nicht selten, daß ihnen die ganze Zeit ihrer Krankheit wie ein oft nicht unbehaglicher Traum erscheint, ja sie teilen uns mit, daß sie gelegentlich noch während der Krankheit geahnt haben, sie seien nur in einem Traume befangen, ganz wie es oft im Schlaftraume vorkommt.

§ 300

Nach alledem ist es nicht zu verwundern, wenn Radestock seine wie vieler anderer Meinung in den Worten zusammenfaßt, daß "der Wahnsinn, eine anormale krankhafte Erscheinung, als eine Steigerung des periodisch wiederkehrenden normalen Traumzustandes zu betrachten ist" “ (p. 228).

§ 301

Noch inniger vielleicht, als es durch diese Analogie der sich äußernden Phänomene möglich ist, hat Krauss 39) die Verwandtschaft von Traum und Wahnsinn in der Ätiologie (vielmehr: in den Erregungsquellen) begründen wollen. Das beiden gemeinschaftliche Grundelement ist nach ihm, wie wir gehört haben, die organisch bedingte Empfindung, die Leibreizsensation, die durch Beiträge von allen Organen her zu stunde gekommene Gemeingefühl (vgl. Peisse bei Maury 48), p. 52).

§ 302

Die nicht zu bestreitende, bis in charakteristische Einzelheiten reichende Übereinstimmung von Traum und Geistesstörung gehört zu den stärksten Stützen der medizinischen Theorie des Traumlebens, nach welcher sich der Traum als ein unnützer und störender Vorgang und als Ausdruck einer herabgesetzten Seelentätigkeit darstellt. Man wird indes nicht erwarten können, die endgültige Aufklärung über den Traum von den Seelenstörungen her zu empfangen, wo es allgemein bekannt ist, in welch unbefriedigendem Anstand unsere Einsicht in den Hergang der letzteren sich befindet. Wohl aber ist es wahrscheinlich, daß eine veränderte Auffassung des Traumes unsere Meinungen über den inneren Mechanismus der Geistesstörungen mitbeeinflussen muß, und so dürfen wir sagen, daß wir an der Aufklärung der Psychosen arbeiten, wenn wir uns bemühen, das Geheimnis des Traumes aufzuhellen.

§ 303

[Es bedarf einer Rechtfertigung, daß ich die Literatur der Traumprobleme nicht auch über den Zeitabschnitt vom ersten Erscheinen bis zur zweiten Auflage dieses Buches fortgeführt habe. Dieselbe mag dem Leser wenig befriedigend erscheinen; ich hin nichtsdestoweniger durch sie bestimmt worden. Die Motive, die mich überhaupt zu einer Darstellung der Behandlung des Traumes in der Literatur veranlaßt hatten, waren mit der vorstehenden Einleitung erschöpft; eine Fortsetzung dieser Arbeit hätte mich außerordentliche Bemühung gekostet und — sehr wenig Nutzen oder Belehrung gebracht. Denn der in Rede stehende Zeitraum von neun Jahren hat weder an tatsächlichem Material noch an Gesichtspunkten für die Auffassung des Traumes Neues oder Wertvolles gebracht. Meine Arbeit ist in den meisten seither veröffentlichten Publikationen unerwähnt und unberücksichtigt geblieben; am wenigsten Beachtung hat sie natürlich bei den sog. „Traumforschern“ gefunden, die von der dem wissenschaftlichen Menschen eigenen Abneigung, etwas Neues zu erlernen, hiemit ein glänzendes Beispiel gegeben haben. „ "Les savants ne sont pas curieux" “, meint der Spötter Anatole France. Wenn es in der Wissenschaft ein Recht zur Revanche gibt so wäre ich wohl berechtigt, auch meinerseits die Literatur seit dem Erscheinen dieses Buches zu vernachlässigen. Die wenigen Berichterstattungen, die sich in wissenschaftlichen Journalen gezeigt haben, sind so voll von Unverstand und Mißverständnissen, daß ich den Kritikern mit nichts anderem als mit der Aufforderung, dieses Buch noch einmal zu lesen, antworten könnte. Vielleicht dürfte die Aufforderung auch lauten: es überhaupt zu lesen. In den Arbeiten jener Ärzte, welche sich zur Anwendung des psychoanalytischen Heilverfahrens entschlossen haben (Jung, Abraham, Riklin, Muthmann, Stekel u. a.), sind reichlich Träume veröffentlicht und nach meinen Anweisungen gedeutet werden. Doch bringen diese Mitteilungen eben nur Bestätigungen, keine Neuerungen. Das reichhaltige Buch von Sante de Sanctis über die Träume, dem bald nach seinem Erscheinen eine Übersetzung ins Deutsche zu teil geworden ist, hat sich mit meiner „Traumdeutung“ zeitlich gekreuzt, so daß ich von ihm ebensowenig Notiz nehmen konnte wie der italienische Autor von mir. Ich mußte dann leider urteilen, daß seine fleißige Arbeit überaus arm an Ideen sei, so arm, daß man aus ihr nicht einmal die Möglichkeit der bei mir behandelten Probleme ahnen könnte.

§ 304

Ich habe nur zweier Erscheinungen zu gedenken, die nahe an meine Behandlung der Traumprobleme streifen. Ein jüngerer Philosoph, H. Swoboda, der es unternommen hat, die Entdeckung der biologischen Periodizitat (in Reihen von 23 und 28 Tagen), die von Wilh. Fliess herrührt, auf das psychische Geschehen auszudehnen, hat in einer phantasievollen Schritt*)*) mit diesem Schlüssel unter anderem auch das Rätsel der Träume gelöst. Die Bedeutung der Träume wäre dabei zu kurz gekommen; das Inhaltsmaterial derselben würde sich durch des Zusammentreffen all jener Erinnerungen erklären, die in jener Nacht gerade eine der biologischen Perioden zum ersten- oder n-tenmal vollenden. Eine ernsthafte Behandlung dieser Auffassung erledigt sich durch die persönliche Mitteilung des Autors, daß er diese Lehre nicht mehr recht vertreten wolle. Bei weitem erfreulicher war mir der Zufall, an unerwarteter Stelle eine Auffassung des Traumes zu finden, die sich mit dem Kern der meinigen völlig deckt. Die Zeitverhältnisse schließen die Möglichkeit aus, daß jene Äußerung durch die Lektüre meines Buches beeinflußt worden sei; ich muß also in ihr die einzige in der Literatur nachweisbare Übereinstimmung eines unabhängigen Denkers mit dem Wesen meiner Traumlehre begrüßen. Das Buch, in dem sich die von mir ins Auge gefaßte Stelle über das Träumen findet, ist 1900 in zweiter Auflage unter dem Titel „Phantasien eines Realisten” von Lynkeus veröffentlicht worden.]

*) H. Swoboda, Die Perioden des menschlichen Organismus, 1904. § 305

II. Die Methode der Traumdeutung.

§ 306

Die Analyse eines Traummusters.

§ 307

Die Überschrift, die ich meiner Abhandlung gegeben habe, läßt erkennen, an welche Tradition in der Auffassung der Träume ich anknüpfen möchte. Ich habe mir vorgesetzt zu zeigen, daß Träume einer Deutung fähig sind, und Beiträge zur Klärung der eben behandelten Traumprobleme werden sich mir nur als etwaiger Nebengewinn bei der Erledigung meiner eigenen Aufgabe ergeben können. Mit der Voraussetzung, daß Träume deutbar sind, trete ich sofort in Widerspruch zu der herrschenden Traumlehre, ja zu allen Tranmtheorien mit Ausnahme der Schernerschen, denn „einen Traum deuten“ heißt, seinen „Sinn“ angeben, ihn durch etwas ersetzen, was sich als vollwichtiges, gleichwertiges Glied in die Verkettung unserer seelischen Aktionen einfügt. Wie wir erfahren haben, lassen aber die wissenschaftlichen Theorien des Traumes für ein Problem der Traumdeutung keinen Raum, denn der Traum ist für sie überhaupt kein seelischer Akt, sondern ein somatischer Vorgang, der sich durch Zeichen am seelischen Apparat kundgibt. Anders hat sich zu allen Zeiten die Laienmeinung benommen. Sie bedient sich ihres guten Rechtes, inkonsequent zu verfahren, und obwohl sie zugesteht, der Traum sei unverständlich und absurd, kann sie sich doch nicht entschließen, dem Traume jede Bedeutung abzusprechen. Von einer dunklen Ahnung geleitet, scheint sie doch anzunehmen, der Traum habe einen Sinn, wiewohl einen verborgenen, er sei zum Ersatze eines anderen Denkvorganges bestimmt, und es handle sich nur darum, diesen Ersatz in richtiger Weise aufzudecken, um zur verborgenen Bedeutung des Traumes zu gelangen.

§ 308

Die Laienwelt hat sich darum von jeher bemüht, den Traum zu „deuten“ und dabei zwei im Wesen verschiedene Methoden versucht. Das erste dieser Verfahren faßt den Trauminhalt als Ganzes ins Auge und sucht denselben durch einen anderen, verständlichen und in gewissen Hinsichten analogen Inhalt zu ersetzen. Dies ist die symbolische Traumdeutung; sie scheitert natürlich von vornherein an jenen Träumen, welche nicht bloß unverständlich, sondern auch verworren erscheinen. Ein Beispiel für ihr Verfahren gibt etwa die Auslegung, welche der biblische Josef dem Traume des Pharao angedeihen ließ. Sieben fette Kühe, nach denen sieben magere kommen, welche die ersteren aufzehren, das ist ein symbolischer Ersatz für die Vorhersagung von sieben Hungerjahren im Lande Ägypten, welche allen Überfluß aufzehren, den sieben fruchtbare Jahre geschaffen haben. Die meisten der artefiziellen Träume, welche von Dichtern geschaffen wurden, sind für solche symbolische Deutung bestimmt, denn sie geben den vom Dichter gefaßten Gedanken in einer Verkleidung wieder, die zu den aus der Erfahrung bekannten Charakteren unseres Träumens passend gefunden wird.*)*) Die Meinung, der Traum beschäftige sich vorwiegend mit der Zukunft, deren Gestaltung er imvoraus ahne — ein Rest der einst den Träumen zuerkannten prophetischen Bedeutung —, wird dann zum Motiv, den durch symbolische Deutung gefundenen Sinn des Traumes durch ein „es wird“ ins Futurum zu versetzen.

§ 309

Wie man den Weg zu einer solchen symbolischen Deutung findet, dazu läßt sich eine Unterweisung natürlich nicht geben. Das Gelingen bleibt Suche des witzigen Einfalls, der unvermittelten Intuition, und darum konnte die Traumdeutung mittels Symbolik sich zu einer Kunstübung erheben, die an eine besondere Begabung gebunden schien.**)**) Von solchem Anspruch hält sich die andere der populären Methoden der Traumdeutung völlig fern. Man könnte sie als die „Chiffriermethode“ bezeichnen, da sie den Traum wie eine Art von Geheimschrift behandelt, in der jedes Zeichen nach einem feststehenden Schlüssel in ein anderes Zeichen von bekannter Bedeutung übersetzt wird. Ich habe z. B. von einem Briefe geträumt, aber auch von einem Leichenbegängnis u. dgl.; ich sehe nun in einem „Traumbuche“ nach und finde, daß „Brief“ mit „Verdruß“, „Leichenbegängnis“ mit „Verlobung“ zu übersetzen ist. Es bleibt mir dann überlassen, aus den Schlagworten, die ich entziffert habe, einen Zusammenhang herzustellen, den ich wiederum als zukünftig hinnehme. Eine interessante Abänderung dieses Chiffrierverfahrens, durch welche dessen Charakter als rein mechanische Übertragung einigermaßen korrigiert wird, zeigt sich in der Schrift über Traumdeutung des Artemidoros aus Daldis.2) Hier wird nicht nur auf den Trauminhalt, sondern auch auf die Person und die Lebensumstände des Träumers Rücksicht genommen, so daß das nämliche Traumelement für den Reichen, den Verheirateten, den Redner andere Bedeutung hat als für den Armen, den Ledigen und etwa den Kaufmann. Das Wesentliche an diesem Verfahren ist nun, daß die Deutungsarbeit nicht auf das ganze des Traumes gerichtet wird, sondern auf jedes Stück des Trauminhalts für sich, als ob der Traum ein Konglomerat wäre, in dem jeder Brocken Gestein eine besondere Bestimmung verlangt. Es sind sicherlich die unzusammenhängenden und verworrenen Träume, von denen der Antrieb zur Schöpfung der Chiffriermethode ausgegangen ist.*)*)

*) [In einer Novelle „Gradiva“ des Dichters W. Jensen entdeckte ich zufällig mehrere artefizielle Träume, die vollkommen korrekt gebildet waren und sich deuten ließen, als wären sie nicht erfunden, sondern von realen Personen geträumt worden. Der Dichter bestätigte auf Anfrage von meiner Seite, daß ihm meine Traumlehre fremd geblieben war. Ich habe diese Übereinstimmung zwischen meiner Forschung und dem Schaffen des Dichters als Beweis für die Richtigkeit meiner Traumanalyse verwertet („Der Wahn und die Träume in W. Jensens „Gradiva,“ erstes Heft der von mir herausgegebenen „Schriften zur angewandten Seelenkunde“, 1906)]. **)**) Nach Abschluß meines Manuskripts ist mir eine Schrift von Stumpf 65) zugegangen, die in der Absicht zu erweisen, der Traum sei sinnvoll und deutbar, mit meiner Arbeit zusammentrifft. Die Deutung geschieht aber mittels einer allegorisierenden Symbolik ohne Gewähr für Allgemeingültigkeit des Verfahrens. § 310

Für die wissenschaftliche Behandlung des Themas kann die Unbrauchbarkeit beider populärer Deutungsverfahren des Traumes keinen Moment lang zweifelhaft sein. Die symbolische Methode ist in ihrer Anwendung beschränkt und keiner allgemeinen Darlegung fähig. Bei der Chiffriermethode käme alles darauf an, daß der „Schlüssel“, das Traumbuch, verläßlich wäre, und dafür fehlen alle Garantien. Man wäre versucht, den Philosophen und Psychiatern Recht zu geben und mit ihnen das Problem der Traumdeutung als eine imaginäre Aufgabe zu streichen.

§ 311

Allein ich bin eines Besseren belehrt worden. Ich habe einsehen müssen, daß hier wiederum einer jener nicht seltenen Fälle vorliegt, in denen ein uralter, hartnäckig festgehaltener Volksglaube der Wahrheit der Dinge näher gekommen zu sein scheint als das Urteil der heute geltenden Wissenschaft. Ich muß behaupten, daß der Traum wirklich eine Bedeutung hat, und daß ein wissenschaftliches Verfahren der Traumdeutung möglich ist. Zur Kenntnis dieses Verfahrens bin ich auf folgende Weise gelangt:

§ 312

Seit vielen Jahren beschäftige ich mich mit der Auflösung gewisser psychopathologischer Gebilde, der hysterischen Phobien, der Zwangsvorstellungen u. a. in therapeutischer Absicht; seitdem ich nämlich aus einer bedeutsamen Mitteilung von Josef Breuer weiß, daß für diese als Krankheitssymptome empfundenen Bildungen Auflösung und Lösung in eines zusammenfällt.**)**) Hat man eine solche pathologische Vorstellung auf die Elemente zurückführen können, aus denen sie im Seelenleben des Kranken hervorgegangen ist, so ist diese auch zerfallen, der Kranke von ihr befreit. Bei der Ohnmacht unserer sonstigen therapeutischen Bestrebungen und angesichts der Rätselhaftigkeit dieser Zustände erschien es mir verlockend, auf dem von Breuer eingeschlagenen Wege trotz aller Schwierigkeiten bis zur vollen Aufklärung vorzudringen. Wie sich die Technik des Verfahrens schließlich gestaltet hat, und welches die Ergebnisse der Bemühung gewesen sind, darüber werde ich an anderen Orten ausführlich Bericht zu erstatten haben. Im Verlaufe dieser psychoanalytischen Studien geriet ich auf die Traumdeutung. Die Patienten, die ich verpflichtet hatte, mir alle Einfälle und Gedanken mitzuteilen, die sich ihnen zu einem bestimmten Thema aufdrängten, erzählten mir ihre Träume und lehrten mich so, daß ein Traum in die psychische Verkettung eingeschoben sein kann, die von einer pathologischen Idee her nach rückwärts in der Erinnerung zu verfolgen ist. Es lag nun nahe, den Traum selbst wie ein Symptom zu behandeln und die für letztere ausgearbeitete Methode der Deutung auf ihn anzuwenden.

*) [Herr Dr. Alf. Robitsek macht mich darauf aufmerksam, daß die orientalischen Traumbücher, von denen die unserigen klägliche Abklatsche sind, die Deutung der Traumelemente meist nach dem Gleichklang und der Ähnlichkeit der Worte vornehmen. Da diese Verwandtschaften bei der Übersetzung in unsere Sprache verloren gehen müssen, würde daher die Unbegreiflichkeit der Ersetzungen in unseren populären „Traumbüchern“ stammen. — Über die außerordentliche Bedeutung den Wortspiels und der Wortspielerei in den alten orientalischen Kulturen mag man sich aus den Schriften Hugo Wincklers unterrichten.] **) Breuer und Freud, Studien über Hysterie, Wien 1895, 2. Aufl., 1909. § 313

Dazu bedarf es nun einer gewissen psychischen Vorbereitung des Kranken. Man strebt zweierlei bei ihm an, eine Steigerung seiner Aufmerksamkeit für seine psychische Wahrnehmungen und eine Ausschaltung der Kritik, mit der er die ihm auftauchenden Gedanken sonst zu sichten pflegt. Zum Zwecke seiner Selbstbeobachtung mit gesammelter Aufmerksamkeit ist es vorteilhaft, daß er eine ruhige Lage einnimmt und die Augen schließt; den Verzicht auf die Kritik der wahrgenommenen Gedankenbildungen muß man ihm ausdrücklich auferlegen. Man sagt ihm also, der Erfolg der Psychoanalyse hänge davon ab, daß er alles beachtet und mitteilt, was ihm durch den Sinn geht, und nicht etwa sich verleiten läßt, den einen Einfall zu unterdrücken, weil er ihm unwichtig oder nicht zum Thema gehörig, den anderen, weil er ihm unsinnig erscheint. Er müsse sich völlig unparteiisch gegen seine Einfälle verhalten; denn gerade an dieser Kritik läge es, wenn es ihm sonst nicht gelänge, die gesuchte Auflösung des Traumes, der Zwangsidee u. dgl. zu finden.

§ 314

Bei den psychoanalytischen Arbeiten habe ich gemerkt, daß die psychische Verfassung des Mannes, welcher nachdenkt, eine ganz andere ist als die desjenigen, welcher seine psychischen Vorgänge beobachtet. Beim Nachdenken tritt eine psychische Aktion mehr ins Spiel als bei der aufmerksamsten Selbstbeobachtung, wie es auch die gespannte Miene und die in Falten gezogene Stirn des Nachdenklichen im Gegensatz zur mimischen Ruhe des Selbstbeobachters erweist. In beiden Fällen muß eine Sammlung der Aufmerksamkeit vorhanden sein, aber der Nachdenkende übt außerdem eine Kritik aus, infolge deren er einen Teil der ihm aufsteigenden Einfälle verwirft, nachdem er sie wahrgenommen hat, andere kurz abbricht, so daß er den Gedankenwegen nicht folgt, welche sie eröffnen würden, und gegen noch andere Gedanken weiß er sich so zu benehmen, daß sie überhaupt nicht bewußt, also vor ihrer Wahrnehmung unterdrückt werden. Der Selbstbeobachter hingegen hat nur die Mühe, die Kritik zu unterdrücken; gelingt ihm dies, so kommt ihm eine Unzahl von Einfällen zum Bewußtsein, die sonst unfaßbar geblieben wären. Mit Hilfe dieses für die Selbstwahrnehmung neu gewonnenen Materials läßt sich die Deutung der pathologischen Ideen sowie der Traumgebilde vollziehen. Wie man sieht, handelt es sich darum, einen psychischen Zustand herzustellen, der mit dem vor dem Einschlafen (und sicherlich auch mit dem hypnotischen) eine gewisse Analogie in der Verteilung der psychischen Energie (der beweglichen Aufmerksamkeit) gemein hat. Beim Einschlafen treten die „ungewollten Vorstellungen“ hervor durch den Nachlaß einer gewissen willkürlichen (und gewiß auch kritischen) Aktion, die wir auf den Ablauf unserer Vorstellungen einwirken lassen; als den Grund dieses Nachlasses pflegen wir „Ermüdung“ anzugeben; die auftauchenden ungewollten Vorstellungen verwandeln sich in visuelle und akustische Bilder. (Vergleiche die Bemerkungen von Schleiermacher 61) u. a., Seite 34.) Bei dem Zustand, den man zur Analyse der Träume und pathologischen Ideen benützt, verzichtet man absichtlich und willkürlich auf jene Aktivität und verwendet die ersparte psychische Energie (oder ein Stück derselben) zur aufmerksamen Verfolgung der jetzt auftauchenden ungewollten Gedanken, die ihren Charakter als Vorstellungen (dies der Unterschied gegen den Zustand beim Einschlafen) beibehalten. Man macht so die „ungewollten“ Vorstellungen zu „gewollten“.

§ 315

Die hier geforderte Einstellung auf anscheinend „freisteigende“ Einfälle mit Verzicht auf die sonst gegen diese geübte Kritik scheint manchen Personen nicht leicht zu werden. Die „ungewollten Gedanken“ pflegen den heftigsten Widerstand, der sie am Auftauchen hindern will, zu entfesseln. Wenn wir aber unserem großen Dichterphilosophen Fr. Schiller Glauben schenken, muß eine ganz ähnliche Einstellung auch die Bedingung der dichterischen Produktion enthalten. An einer Stelle seines Briefwechsels mit Körner, deren Aufspürung Herrn Otto Rank zu danken ist, antwortet Schiller auf die Klage seines Freundes über seine mangelnde Produktivität: "Der Grund deiner Klagen liegt, wie mir scheint, in dem Zwange, den dein Verstand deiner Imagination auflegt. Ich muß hier einen Gedanken hinwerfen und ihn durch ein Gleichnis versinnlichen. Es scheint nicht gut und dem Schöpfungswerke der Seele nachteilig zu sein, wenn der Verstand die zuströmenden Ideen gleichsam an den Toren schon, zu scharf mustert. Eine Idee kann, isoliert betrachtet, sehr unbeträchtlich und sehr abenteuerlich sein, aber vielleicht wird sie durch eine, die nach ihr kommt, wichtig, vielleicht kann sie in einer gewissen Verbindung mit anderen, die vielleicht ebenso abgeschmackt" "scheinen, ein sehr zweckmäßiges Glied abgeben: — Alles das kann der Verstand nicht beurteilen, wenn er sie nicht so lange festhält, bis er sie in Verbindung mit diesen anderen angeschaut hat. Bei einem schöpferischen Kopfe hingegen däucht mir, hat der Verstand seine Wache von den Toren zurückgezogen, die Ideen stürzen pêle-mêle herein, und alsdann erst übersieht und mustert er den großen Haufen. — Ihr Herren Kritiker, und wie Ihr Euch sonst nennt, schämt oder fürchtet Euch vor dem augenblicklichen, vorübergehenden Wahnwitze, der sich bei allen eigenen Schöpfern findet und dessen längere oder kürzere Dauer den denkenden Künstler von dem Träumer unterscheidet. Daher Eure Klagen über Unfruchtbarkeit, weil Ihr zu früh verwerft und zu strenge sondert" “ (Brief vom 1. Dezember 1788).

§ 316

Und doch ist ein „solches Zurückziehen der Wache von den Toren des Verstandes“, wie Schiller es nennt, ein derartiges sich in den Zustand der kritiklosen Selbstbeobachtung Versetzen keineswegs schwer.

§ 317

Die meisten meiner Patienten bringen es nach der ersten Unterweisung zu stande; ich selbst kann es sehr vollkommen, wenn ich mich dabei durch Niederschreiben meiner Einfälle unterstütze. Der Betrag von psychischer Energie, um den man so die kritische Tätigkeit herabsetzt, und mit welchem man die Intensität der Selbstbeobachtung erhöhen kann, schwankt erheblich je nach dem Thema, welches von der Aufmerksamkeit fixiert werden soll.

§ 318

Der erste Schritt bei der Anwendung dieses Verfahrens lehrt nun, daß man nicht den Traum als Ganzes, sondern nur die einzelnen Teilstücke seines Inhalts zum Objekt der Aufmerksamkeit machen darf. Frage ich den noch nicht eingeübten Patienten: Was fällt Ihnen zu diesem Traume ein? so weiß er in der Regel nichts in seinem geistigen Blickfelde zu erfassen. Ich muß ihm den Traum zerstückt vorlegen, dann liefert er mir zu jedem Stücke eine Reihe von Einfällen, die man als die „Hintergedanken“ dieser Traumpartie bezeichnen kann. In dieser ersten wichtigen Bedingung weicht also die von mir geübte Methode der Traumdeutung bereits von der populären, historisch und sagenhaft berühmten Methode der Deutung durch Symbolik ab und nähert sich der zweiten, der „Chiffriermethode“. Sie ist wie diese eine Deutung en detail, nicht en masse; wie diese faßt sie den Traum von vornherein als etwas Zusammengesetztes, als ein Konglomerat von psychischen Bildungen auf.

§ 319

Im Verlaufe meiner Psychoanalysen bei Neurotikern habe ich wohl bereits viele tausend Träume zur Deutung gebracht, aber dieses Material möchte ich hier nicht zur Einführung in die Technik und Lehre der Traumdeutung verwenden. Ganz abgesehen davon, daß ich mich dem Einwand aussetzen würde, es seien ja die Träume von Neuropathen, die einen Rückschluß auf die Träume gesunder Menschen nicht gestatten, nötigt mich ein anderer Grund zu deren Verwerfung. Das Thema, auf welches diese Träume zielen, ist natürlich immer die Krankheitsgeschichte, welche der Neurose zu Grunde liegt. Hiedurch würde für jeden Traum ein überlanger Vorbericht und ein Eindringen in das Wesen und die ätiologischen Bedingungen der Psychoneurosen erforderlich, Dinge, die an und für sich neu und im höchsten Grade befremdlich sind und so die Aufmerksamkeit vom Traumproblem ablenken würden. Meine Absicht geht vielmehr dahin, in der Traumauflösung eine Vorarbeit für die Erschließung der schwierigeren Probleme der Neurosenpsychologie zu schaffen. Verzichte ich aber auf die Träume der Neurotiker, mein Hauptmaterial, so darf ich gegen den Rest nicht allzu wählerisch verfahren. Es bleiben nur noch jene Träume, die mir gelegentlich von gesunden Personen meiner Bekanntschaft erzählt worden sind oder die ich als Beispiele in der Literatur über das Traumleben verzeichnet finde. Leider geht mir bei all diesen Träumen die Analyse ab, ohne welche ich den Sinn des Traumes nicht finden kann. Mein Verfahren ist ja nicht so bequem wie das der populären Chiffriermethode, welche den gegebenen Trauminhalt nach einem fixierten Schlüssel übersetzt; ich bin vielmehr gefaßt darauf, daß derselbe Trauminhalt bei verschiedenen Personen und in verschiedenem Zusammenhang auch einen anderen Sinn verbergen mag. Somit bin ich auf meine eigenen Träume angewiesen als auf ein reichliches und bequemes Material, das von einer ungefähr normalen Person herrührt und sich auf mannigfache Anlässe des täglichen Lebens bezieht. Man wird mir sicherlich Zweifel in die Verläßlichkeit solcher „Selbstanalysen“ entgegensetzen. Die Willkür sei dabei keineswegs ausgeschlossen. Nach meinem Urteile liegen die Verhältnisse bei der Selbstbeobachtung eher günstiger als bei der Beobachtung anderer; jedenfalls darf man versuchen, wie weit man in der Traumdeutung mit der Selbstanalyse reicht. Andere Schwierigkeiten habe ich in meinem eigenen Innern zu überwinden. Man hat eine begreifliche Scheu, soviel Intimes aus seinem Seelenleben preiszugeben, weiß sich dabei auch nicht gesichert vor der Mißdeutung der Fremden. Aber darüber muß man sich hinaussetzen können. „Tout psychologiste“ schreibt Delboeuf, 26) „est obligé de faire l'aveu même de ses faiblesses s'il croit par là jeter du jour sur quelque problème obscure.“ Und auch beim Leser, darf ich annehmen, wird das anfängliche Interesse an den Indiskretionen, die ich begehen muß, sehr bald der ausschließlichen Vertiefung in die hiedurch beleuchteten psychologischen Probleme Platz machen.

§ 320

Ich werde also einen meiner eigenen Träume hervorsuchen und an ihm meine Deutungsweise erläutern. Jeder solche Traum macht einen Vorbericht nötig. Nun muß ich aber den Leser bitten, für eine ganze Weile meine Interessen zu den seinigen zu machen und sich mit mir in die kleinsten Einzelheiten meines Lebens zu versenken, denn solche Übertragung fordert gebieterisch das Interesse für die versteckte Bedeutung der Träume.

§ 321

Vorbericht: Im Sommer 1895 hatte ich eine junge Dame psychoanalytisch behandelt, die mir und den Meinigen freundschaftlich sehr nahe stand. Man versteht es, daß solche Vermengung der Beziehungen zur Quelle mannigfacher Erregungen für den Arzt werden kann, zumal für den Psychoterapeuten. Das persönliche Interesse des Arztes ist größer, seine Autorität geringer. Ein Mißerfolg droht die alte Freundschaft mit den Angehörigen der Kranken zu lockern. Die Kur endete mit einem teilweisen Erfolg, die Patientin verlor ihre hysterische Angst, aber nicht alle ihre somatischen Symptome. Ich war damals noch nicht recht sicher in den Kriterien, welche die endgültige Erledigung einer hysterischen Krankengeschichte bezeichnen, und mutete der Patientin eine Lösung zu, die ihr nicht annehmbar erschien. In solcher Uneinigkeit brachen wir der Sommerzeit wegen die Behandlung ab. — Eines Tages besuchte mich ein jüngerer Kollege, einer meiner nächsten Freunde, der die Patientin — Irma — und ihre Familie in ihrem Landaufenthalt besucht hatte. Ich fragte ihn, wie er sie gefunden habe, und bekam die Antwort: Es geht ihr besser, aber nicht ganz gut. Ich weiß, daß mich diese Worte meines Freundes Otto oder der Ton, in dem sie gesprochen waren, ärgerten. Ich glaubte einen Vorwurf herauszuhören, etwa daß ich der Patientin zu viel versprochen hätte, und führte — ob mit Recht oder Unrecht — die vermeintliche Parteinahme Ottos gegen mich auf den Einfluß von Angehörigen der Kranken zurück, die, wie ich annahm, meine Behandlung nie gern gesehen hatten. Übrigens wurde mir meine peinliche Empfindung nicht klar, ich gab ihr auch keinen Ausdruck. Am selben Abend schrieb ich noch die Krankengeschichte Irmas nieder, um sie, wie zu meiner Rechtfertigung, dem Dr. M., einem gemeinsamen Freunde, der damals tonangebenden Persönlichkeit in unserem Kreise, zu übergeben. In der auf diesen Abend folgenden Nacht (wohl eher am Morgen) hatte ich den nachstehenden Traum, der unmittelbar nach dem Erwachen fixiert wurde.

§ 322

Traum vom 23./24. Juli 1895.

§ 323

Eine große Halle — viele Gäste, die wir empfangen. — Unter ihnen Irma, die ich sofort bei Seite nehme, um gleichsam ihren Brief zu beantworten, ihr Vorwürfe zu machen, daß sie die „Lösung“ noch nicht akzeptiert. Ich sage ihr: Wenn du noch Schmerzen hast, so ist es wirklich nur deine Schuld. — Sie antwortet: Wenn du wüßtest, was ich für Schmerzen jetzt habe im Halse, Magen und Leib, es schnürt mich zusammen. — Ich erschrecke und sehe sie an. Sie sieht bleich und gedunsen aus; ich denke, am Ende übersehe ich da doch etwas Organisches. Ich nehme sie zum Fenster und schaue ihr in den Hals. Dabei zeigt sie etwas Sträuben, wie die Frauen, die ein künstliches Gebiß tragen. Ich denke mir, sie hat es doch nicht nötig. — Der Mund geht dann auch gut auf und ich finde rechts einen großen weißen Fleck und anderwärts sehe ich an merkwürdigen krausen Gebilden, die offenbar den Nasenmuscheln nachgebildet sind, ausgedehnte weißgraue Schorfe. — Ich rufe schnell Dr. M. hinzu, der die Untersuchung wiederholt und bestätigt . . . . Dr. M. sieht ganz anders aus als sonst; er ist sehr bleich, hinkt, ist am Kinn bartlos . . . . Mein Freund Otto steht jetzt auch neben ihr und Freund Leopold perkutiert sie über dem Leibchen und sagt: Sie hat eine Dämpfung links unten, weist auch auf eine infiltrierte Hautpartie an der linken Schulter hin (was ich trotz des Kleides wie er spüre) . . . . M. sagt: Kein Zweifel, es ist eine Infektion, aber es macht nichts; es wird noch Dysenterie hinzukommen und das Gift sich ausscheiden . . . . Wir wissen auch unmittelbar, woher die Infektion rührt. Freund Otto hat ihr unlängst, als sie sich unwohl fühlte, eine Injektion gegeben mit einem Propylpräparat, Propylen . . . Propionsäure . . . . Trimethylamin (dessen Formel ich fett gedruckt vor mir sehe) . . Man macht solche Injektionen nicht so leichtfertig . . . Wahrscheinlich war noch die Spritze nicht rein.

§ 324

Dieser Traum hat vor vielen anderen eines voraus. Es ist sofort klar, an welche Ereignisse des letzten Tages er anknüpft und welches Thema er behandelt. Der Vorbericht gibt hierüber Auskunft. Die Nachricht, die ich von Otto über Irmas Befinden erhalten, die Krankengeschichte, an der ich bis tief in die Nacht geschrieben, haben meine Seelentätigkeit auch während des Schlafes beschäftigt. Trotzdem dürfte niemand, der den Vorbericht und den Inhalt des Traumes zur Kenntnis genommen hat, ahnen können, was der Traum bedeutet. Ich selbst weiß es auch nicht. Ich wundere mich über die Krankheitssymptome, welche Irma im Traum mir klagt, da es nicht dieselben sind, wegen welcher ich sie behandelt habe. Ich lächle über die unsinnige Idee einer Injektion mit Propionsäure und über den Trost, den Dr. M. ausspricht. Der Traum erscheint mir gegen sein Ende hin dunkler und gedrängter, als er zu Beginn ist. Um die Bedeutung von alledem zu erfahren, muß ich mich zu einer eingehenden Analyse entschließen.

§ 325

Analyse:

§ 326

Die Halle — viele Gäste, die wir empfangen. Wir wohnten in diesem Sommer auf der Bellevue, einem einzelstehenden Hause auf einem der Hügel, die sich an den Kahlenberg anschließen. Dies Haus war ehemals zu einem Vergnügungslokal bestimmt, hat hievon die ungewöhnlich hohen, hallenförmigen Räume. Der Traum ist auch auf der Bellevue vorgefallen, und zwar wenige Tage vor dem Geburtsfeste meiner Frau. Am Tage hatte meine Frau die Erwartung ausgesprochen, zu ihrem Geburtstage würden mehrere Freunde, und darunter auch Irma, als Gäste zu uns kommen. Mein Traum antizipiert also diese Situation: Es ist der Geburtstag meiner Frau und viele Leute, darunter Irma, werden von uns als Gäste in der großen Halle der Bellevue empfangen.

§ 327

Ich mache Irma Vorwürfe, daß sie die Lösung nicht akzeptiert hat; ich sage: Wenn du noch Schmerzen hast, ist es deine eigene Schuld. Das hätte ich ihr auch im Wachen sagen können oder habe es ihr gesagt. Ich hatte damals die (später als unrichtig erkannte) Meinung, daß meine Aufgabe sich darin erschöpfe, den Kranken den verborgenen Sinn ihrer Symptome mitzuteilen; ob sie diese Lösung dann annehmen oder nicht, wovon der Erfolg abhängt, dafür sei ich nicht mehr verantwortlich. Ich bin diesem jetzt glücklich überwundenen Irrtum dankbar dafür, daß er mir die Existenz zu einer Zeit erleichtert, da ich in all meiner unvermeidlichen Ignoranz Heilerfolge produzieren sollte. — Ich merke aber an dem Satze, den ich im Traume zu Irma spreche, daß ich vor allem nicht Schuld sein will an den Schmerzen, die sie noch hat. Wenn es Irmas eigene Schuld ist, dann kann es nicht meine sein. Sollte in dieser Richtung die Absicht des Traumes zu suchen sein?

§ 328

Irmas Klagen; Schmerzen im Halse, Leibe und Magen, es schnürt sie zusammen. Schmerzen im Magen gehörten zum Symptomkomplex meiner Patientin, sie waren aber nicht sehr vordringlich; sie klagte eher über Empfindungen von Übelkeit und Ekel. Schmerzen im Halse, im Leibe, Schnüren in der Kehle spielten bei ihr kaum eine Rolle. Ich wundere mich, warum ich mich zu dieser Auswahl der Symptome im Traume entschlossen habe, kann es auch für den Moment nicht finden.

§ 329

Sie sieht bleich und gedunsen aus.

§ 330

Meine Patientin war immer rosig. Ich vermute. daß sich hier eine andere Person ihr unterschiebt.

§ 331

Ich erschrecke im Gedanken, daß ich doch eine organische Affektion übersehen habe.

§ 332

Wie man mir gern glauben wird, eine nie erlöschende Angst beim Spezialisten, der fast ausschließlich Neurotiker sieht und der so viele Erscheinungen auf Hysterie zu schieben gewohnt ist, welche andere Ärzte als organisch behandeln. Anderseits beschleicht mich — ich weiß nicht woher — ein leiser Zweifel, ob mein Erschrecken ganz ehrlich ist. Wenn die Schmerzen Irmas organisch begründet sind, so bin ich wiederum zu deren Heilung nicht verpflichtet. Meine Kur beseitigt ja nur hysterische Schmerzen. Es kommt mir also eigentlich vor, als sollte ich einen Irrtum in der Diagnose wünschen; dann wäre der Vorwurf des Mißerfolges auch beseitigt.

§ 333

Ich nehme sie zum Fenster, um ihr in den Hals zu sehen. Sie sträubt sich ein wenig wie die Frauen, die falsche Zähne tragen. Ich denke mir, sie hat es ja doch nicht nötig.

§ 334

Bei Irma hatte ich niemals Anlaß, die Mundhöhle zu inspizieren. Der Vorgang im Traume erinnert mich an die vor einiger Zeit vorgenommene Untersuchung einer Gouvernante, die zunächst den Eindruck von jugendlicher Schönheit gemacht hatte, beim Öffnen des Mundes aber gewisse Anstalten traf, um ihr Gebiß zu verbergen. An diesen Fall knüpfen sich andere Erinnerungen an ärztliche Untersuchungen und an kleine Geheimnisse, die dabei, keinem von beiden zur Lust, enthüllt werden. — Sie hat es doch nicht nötig, ist wohl zunächst ein Kompliment für Irma; ich vermute aber noch eine andere Bedeutung. Man fühlt es bei aufmerksamer Analyse, ob man die zu erwartenden Hintergedanken erschöpft hat oder nicht. Die Art, wie Irma beim Fenster steht, erinnert mich plötzlich an ein anderes Erlebnis. Irma besitzt eine intime Freundin, die ich sehr hoch schätze. Als ich eines Abends bei ihr einen Besuch machte, fand ich sie in der im Traume reproduzierten Situation beim Fenster und ihr Arzt, derselbe Dr. M., erklärte, daß sie einen diphtheritischen Belag habe. Die Person des Dr. M. und der Belag kehren ja im Fortgang des Traumes wieder. Jetzt fällt mir ein, daß ich in den letzten Monaten allen Grund bekommen habe, von dieser anderen Dame anzunehmen, sie sei gleichfalls hysterisch. Ja, Irma selbst hat es mir verraten. Was weiß ich aber von ihren Zuständen? Gerade das eine, daß sie am hysterischen Würgen leidet wie meine Irma im Traume. Ich habe also im Traume meine Patientin durch ihre Freundin ersetzt. Jetzt erinnere ich mich, ich habe oft mit der Vermutung gespielt, diese Dame könnte mich gleichfalls in Anspruch nehmen, sie von ihren Symptomen zu befreien. Ich hielt es aber dann selbst für unwahrscheinlich, denn sie ist von sehr zurückhaltender Natur. Sie sträubt sich, wie es der Traum zeigt. Eine andere Erklärung wäre, daß sie es nicht nötig hat; sie hat sich wirklich bisher stark genug gezeigt. ihre Zustände ohne fremde Hilfe zu beherrschen. Nun sind nur noch einige Züge übrig, die ich weder bei Irma noch bei ihrer Freundin unterbringen kann: bleich, gedunsen, falsche Zähne. Die falschen Zähne führten mich auf jene Gouvernante; ich fühle mich nun geneigt, mich mit schlechten Zähnen zu begnügen. Dann fällt mir eine andere Person ein, auf welche jene Züge anspielen können. Sie ist gleichfalls nicht meine Patientin und ich möchte sie nicht zur Patientin haben, da ich gemerkt habe, daß sie sich vor mir geniert und ich sie für keine gefügige Kranke halte. Sie ist für gewöhnlich bleich und als sie einmal eine besonders gute Zeit hatte, war sie gedunsen.*)*) Ich habe also meine Patientin Irma mit zwei anderen Personen verglichen, die sich gleichfalls der Behandlung sträuben würden. Was kann es für Sinn haben, daß ich sie im Traume mit ihrer Freundin vertauscht habe? Etwa, daß ich sie vertauschen möchte; die andere erweckt entweder bei mir stärkere Sympathien oder ich habe eine höhere Meinung von ihrer Intelligenz. Ich halte nämlich Irma für unklug, weil sie meine Lösung nicht akzeptiert. Die andere wäre klüger, würde also eher nachgeben. Der Mund geht dann auch gut auf; sie würde mehr erzählen als Irma.**)**)

*) Auf diese dritte Person läßt sich auch die noch unaufgeklärte Klage über Schmerzen im Leibe zurückführen. Es handelt sich natürlich um meine eigene § 335

Was ich im Halse sehe: einen weißen Fleck und verschorfte Nasenmuscheln.

§ 336

Der weiße Fleck erinnert an Diphtheritis und somit an Irmas Freundin, außerdem aber an die schwere Erkrankung meiner ältesten Tochter vor nahezu zwei Jahren und an all den Schreck jener bösen Zeit. Die Schorfe an den Nasenmuscheln mahnen an eine Sorge um meine eigene Gesundheit. Ich gebrauchte damals häufig Kokain, um lästige Nasenschwellungen zu unterdrücken, und hatte vor wenigen Tagen gehört, daß eine Patientin, die es mir gleich tat, sich eine ausgedehnte Nekrose der Nasenschleimhaut zugezogen hatte. Die Empfehlung des Kokains, die 1885 von mir ausging, hat mir auch schwerwiegende Vorwürfe eingetragen. Ein teurer, 1895 schon verstorbener Freund hatte durch den Mißbrauch dieses Mittels seinen Untergang beschleunigt.

§ 337

Ich rufe schnell Dr. M. hinzu, der die Untersuchung wiederholt.

§ 338

Das entspräche einfach der Stellung, die M. unter uns einnahm. Aber das „schnell“ ist auffällig genug, um eine besondere Erklärung zu fordern. Es erinnert mich an ein trauriges ärztliches Erlebnis. Ich hatte einmal durch die fortgesetzte Ordination eines Mittels, welches damals noch als harmlos galt (Sulfonal), eine schwere Intoxikation bei einer Kranken hervorgerufen und wandte mich dann eiligst an den erfarenen älteren Kollegen um Beistand. Daß ich diesen Fall wirklich im Auge habe, wird durch einen Nebenumstand erhärtet. Die Kranke, welche der Intoxikation erlag, führte denselben Namen wie meine älteste Tochter. Ich hatte bis jetzt niemals daran gedacht; jetzt kömmt es mir beinahe wie eine Schicksalsvergeltung vor. Als sollte sich die Ersetzung der Personen in anderem Sinne hier fortsetzen; diese Mathilde für jene Mathilde; Aug' um Aug', Zahn um Zahn. Es ist, als ob ich alle Gelegenheiten hervorsuchte, aus denen ich mir den Vorwurf mangelnder ärztlicher Gewissenhaftigkeit machen kann.

Frau; die Leibschmerzen erinnern mich an einen der Anlässe, bei denen ihre Scheu mir deutlich wurde. Ich muß mir eingestehen, daß ich Irma und meine Frau in diesem Traume nicht sehr liebenswürdig behandle, aber zu meiner Entschuldigung sei bemerkt, daß ich beide am Ideal der braven, gefügigen Patientin messe. **) Ich ahne, daß die Deutung dieses Stückes nicht weit genug geführt ist, um allem verborgenen Sinne zu folgen. Wollte ich die Vergleichung der drei Frauen fortsetzen, so käme ich weit ab. — Jeder Traum hat mindestens eine Stelle, an welcher er unergründlich ist, gleichsam einen Nabel, durch den er mit dem Unerkannten zusammenhängt. § 339

Dr. M. ist bleich, ohne Bart am Kinn und hinkt.

§ 340

Davon ist so viel richtig, daß sein schlechtes Aussehen häufig die Sorge seiner Freunde erweckt. Die beiden anderen Charaktere müssen einer anderen Person angehören. Es fällt mir mein im Ausland lebender älterer Bruder ein, der das Kinn rasiert trägt und dem, wenn ich mich recht erinnere, der M. des Traumes im ganzen ähnlich sah. Über ihn kam vor einigen Tagen die Nachricht, daß er wegen einer arthritischen Erkrankung in der Hüfte hinke. Es muß einen Grund haben, daß ich die beiden Personen im Traume zu einer einzigen verschmelze. Ich erinnere mich wirklich, daß ich gegen beide aus ähnlichen Gründen mißgestimmt war. Beide hatten einen gewissen Vorschlag, den ich ihnen in der letzten Zeit gemacht hatte, zurückgewiesen.

§ 341

Freund Otto steht jetzt bei der Kranken und Freund Leopold untersucht sie und weist eine Dämpfung links unten nach.

§ 342

Freund Leopold ist gleichfalls Arzt, ein Verwandter von Otto. Das Schicksal hat die beiden, da sie dieselbe Spezialität ausüben, zu Konkurrenten gemacht, die man beständig miteinander vergleicht. Sie haben mir beide Jahre hindurch assistiert, als ich noch eine öffentliche Ordination für nervenkranke Kinder leitete. Szenen wie die im Traume reproduzierte, haben sich dort oftmals zugetragen. Während ich mit Otto über die Diagnose eines Falles debattierte, hatte Leopold das Kind neuerdings untersucht und einen unerwarteten Beitrag zur Entscheidung beigebracht. Es bestand eben zwischen ihnen eine ähnliche Charakterverschiedenheit wie zwischen dem Inspektor Bräsig und seinem Freunde Karl. Der eine tat sich durch „Fixigkeit“ hervor, der andere war langsam, bedächtig, aber gründlich. Wenn ich im Traume Otto und den vorsichtigen Leopold einander gegenüberstelle, so geschieht es offenbar, um Leopold herauszustreichen. Es ist ein ähnliches Vergleichen wie oben zwischen der unfolgsamen Patientin Irma und ihrer für klüger gehaltenen Freundin. Ich merke jetzt auch eines der Geleise, auf denen sich die Gedankenverbindung im Traume fortschiebt: vom kranken Kinde zum Kinderkrankeninstitut. — Die Dämpfung links unten macht mir den Eindruck, als entspräche sie allen Details eines einzelnen Falles, in dem mich Leopold durch seine Gründlichkeit frappiert hat. Es schwebt mir außerdem etwas vor wie eine metastatische Affektion, aber es könnte auch eine Beziehung zu der Patientin sein, die ich an Stelle von Irma haben möchte. Diese Dame imitiert nämlich, soweit ich es übersehen kann, eine Tuberkulose.

§ 343

Eine infiltrierte Hautpartie an der linken Schulter.

§ 344

Ich weiß sofort, das ist mein eigener Schulterrheumatismus, den ich regelmäßig verspüre, wenn ich bis tief in die Nacht wach geblieben bin. Der Wortlaut im Traume klingt auch so zweideutig: was ich . . . wie er spüre. Am eigenen Körper spüre, ist gemeint. Übrigens fällt mir auf, wie ungewöhnlich die Bezeichnung „infiltrierte Hautpartie“ klingt. An die „Infiltration links hinten oben“ sind wir gewöhnt; die bezöge sich auf die Lunge und somit wieder auf Tuberkulose.

§ 345

Trotz des Kleides. Das ist allerdings nur eine Einschaltung. Die Kinder im Krankeninstitut untersuchten wir natürlich entkleidet; es ist irgend ein Gegensatz zur Art, wie man erwachsene weibliche Patienten untersuchen muß. Von einem hervorragenden Kliniker pflegte man zu erzählen, daß er seine Patienten stets nur durch die Kleider physikalisch untersucht habe. Das Weitere ist mir dunkel, ich habe, offen gesagt, keine Neigung, mich hier tiefer einzulassen.

§ 346

Dr. M. sagt: Es ist eine Infektion, aber es macht nichts. Es wird noch Dysenterie hinzukommen und das Gift sich ausscheiden.

§ 347

Das erscheint mir zuerst lächerlich, muß aber doch, wie alles andere, sorgfältig zerlegt werden. Näher betrachtet, zeigt es doch eine Art von Sinn. Was ich an der Patientin gefunden habe, war eine lokale Diphtheritis. Aus der Zeit der Erkrankung meiner Tochter erinnere ich mich an die Diskussion über Diphtheritis und Diphtherie. Letztere ist die Allgemeininfektion, die von der lokalen Diphtheritis ausgeht. Eine solche Allgemeininfektion weist Leopold durch die Dämpfung nach, welche also an metastatische Herde denken läßt. Ich glaube zwar, daß gerade bei Diphtherie derartige Metastasen nicht vorkommen. Sie erinnern mich eher an Pyämie.

§ 348

Es macht nichts, ist ein Trost. Ich meine, er fügt sich folgendermaßen ein: Das letzte Stück des Traumes hat den Inhalt gebracht, daß die Schmerzen der Patientin von einer schweren organischen Affektion herrühren. Es ahnt mir, daß ich auch damit nur die Schuld von mir abwälzen will. Für den Fortbestand diphtheritischer Leiden kann die psychische Kur nicht verantwortlich gemacht werden. Nun geniert es mich doch, daß ich Irma ein so schweres Leiden andichte, einzig und allein, um mich zu entlasten. Es sieht so grausam aus. Ich brauche also eine Versicherung des guten Ausganges und es scheint mir nicht übel gewählt, daß ich den Trost gerade der Person des Dr. M. in den Mund lege. Ich erhebe mich aber hier über den Traum, was der Aufklärung bedarf.

§ 349

Warum ist dieser Trost aber so unsinnig?

§ 350

Dysenterie: Irgend eine fernliegende theoretische Vorstellung, daß Krankheitsstoffe durch den Darm entfernt werden können. Will ich mich damit über den Reichtum des Dr. M. an weit her geholten Erklärungen, sonderbaren pathologischen Verknüpfungen lustig machen? Zu Dysenterie fällt mir noch etwas anderes ein. Vor einigen Monaten hatte ich einen jungen Mann mit merkwürdigen Stuhlbeschwerden übernommen, den andere Kollegen als einen Fall von „Anämie mit Unterernährung“ behandelt hatten. Ich erkannte, daß es sich um eine Hysterie handle, wollte meine Psychotherapie nicht an ihm versuchen und schickte ihn auf eine Seereise. Nun bekam ich vor einigen Tagen einen verzweifelten Brief von ihm aus Ägypten, daß er dort einen neuen Anfall durchgemacht, den der Arzt für Dysenterie erklärt habe. Ich vermute zwar, die Diagnose ist nur ein Irrtum des unwissenden Kollegen, der sich von der Hysterie äffen läßt; aber ich konnte mir doch die Vorwürfe nicht ersparen, daß ich den Kranken in die Lage versetzt, sich zu seiner hysterischen Darmaffektion etwa noch eine organische zu holen. Dysenterie klingt ferner an Diphtherie an, welcher Name ††† im Traume nicht genannt wird.

§ 351

Ja, es muß so sein, daß ich mich mit der tröstlichen Prognose: Es wird noch Dysenterie hinzukommen u. s. w. über Dr. M. lustig mache, denn ich entsinne mich, daß er mir einmal vor Jahren etwas ganz Ähnliches von einem anderen Kollegen lachend erzählt hat. Er war zur Konsultation mit diesem Kollegen bei einem schwer Kranken berufen worden und fühlte sich veranlaßt, dem anderen, der sehr hoffnungsfreudig schien, vorzuhalten, daß er beim Patienten Eiweiß im Harne finde. Der Kollege ließ sich aber nicht irre machen, sondern antwortete beruhigt: Das macht nichts, Herr Kollege, der Eiweiß wird sich schon ausscheiden! — Es ist mir also nicht mehr zweifelhaft, daß in diesem Stück des Traumes ein Hohn auf die der Hysterie unwissenden Kollegen enthalten ist. Wie zur Bestätigung fährt mir jetzt durch den Sinn: Weiß denn Dr. M., daß die Erscheinungen bei seiner Patientin, der Freundin Irmas, welche eine Tuberkulose befürchten lassen, auch auf Hysterie beruhen? Hat er diese Hysterie erkannt oder ist er ihr „aufgesessen“?

§ 352

Welches Motiv kann ich aber haben, diesen Freund so schlecht zu behandeln? Das ist sehr einfach: Dr. M. ist mit meiner „Lösung“ bei Irma so wenig einverstanden, wie Irma selbst. Ich habe also in diesem Traume bereits an zwei Personen Rache genommen, an Irma mit den Worten: Wenn Du noch Schmerzen hast, ist es deine eigene Schuld, und an Dr. M. mit dem Wortlaute der ihm in den Mund gelegten unsinnigen Tröstung.

§ 353

Wir wissen unmittelbar, woher die Infektion rührt. Dies unmittelbare Wissen im Traume ist sehr merkwürdig. Eben vorhin wußten wir es noch nicht, da die Infektion erst durch Leopold nachgewiesen wurde.

§ 354

Freund Otto hat ihr, als sie sich unwohl fühlte, eine Injektion gegeben. Otto hatte wirklich erzählt, daß er in der kurzen Zeit seiner Anwesenheit bei Irmas Familie ins benachbarte Hotel geholt wurde, um dort jemandem, der sich plötz lich unwohl fühlte, eine Injektion zu machen. Die Injektionen erinnern mich wieder an den unglücklichen Freund, der sich mit Kokain vergiftet hat. Ich hatte ihm das Mittel nur zur internen Anwendung während der Morphiumentziehung geraten; er machte sich aber unverzüglich Kokaininjektionen.

§ 355

Mit einem Propylpräparat . . . Propylen . . . Propionsäure. Wie komme ich nur dazu? Am selben Abend, nach welchem ich an der Krankengeschichte geschrieben und darauf geträumt hatte, öffnete meine Frau eine Flasche Likör, auf welcher „Ananas“*)*) zu lesen stand, und die ein Geschenk unseres Freundes Otto war. Er hat nämlich die Gewohnheit, bei allen möglichen Anlässen zu schenken; hoffentlich wird er einmal durch eine Frau davon kuriert.**)**) Diesem Likör entströmte ein solcher Fuselgeruch, daß ich mich weigerte, davon zu kosten. Meine Frau meinte: Diese Flasche schenken wir den Dienstleuten, und ich, noch vorsichtiger, untersagte es mit der menschenfreundlichen Bemerkung, sie sollen sich auch nicht vergiften. Der Fuselgeruch (Amyl ...) hat nun offenbar bei mir die Erinnerung an die ganze Reihe: Propyl, Methyl u. s. w. geweckt, die für den Traum die Propylenpräparate lieferte. Ich habe dabei allerdings eine Substitution vorgenommen, Propyl geträumt, nachdem ich Amyl gerochen, aber derartige Substitutionen sind vielleicht gerade in der organischen Chemie gestattet.

§ 356

Trimethylamin. Von diesem Körper sehe ich im Traume die chemische Formel, was jedenfalls eine große Anstrengung meines Gedächtnisses bezeugt, und zwar ist die Formel fett gedruckt, als wollte man aus dem Kontext etwas als ganz besonders wichtig herausheben. Worauf führt mich nun Trimethylamin, auf das ich in solcher Weise aufmerksam gemacht werde? Auf ein Gespräch mit einem anderen Freunde, der seit Jahren um all meine keimenden Arbeiten weiß, wie ich um die seinigen. Er hatte mir damals gewisse Ideen zu einer Sexualchemie mitgeteilt und unter anderem erwähnt, eines der Produkte des Sexualstoffwechsels glaube er im Trimethylamin zu erkennen. Dieser Körper führt mich also auf die Sexualität, auf jenes Moment, dem ich für die Entstehung der nervösen Affektionen, welche ich heilen will, die größte Bedeutung beilege. Meine Patientin Irma ist eine jugendliche Witwe; wenn es mir darum zu tun ist, den Mißerfolg der Kur bei ihr zu entschuldigen, werde ich mich wohl am besten auf diese Tatsache berufen, an welcher ihre Freunde gern ändern möchten. Wie merkwürdig übrigens ein solcher Traum gefügt ist! Die andere, welche ich an Irmas Statt im Traume zur Patientin habe, ist auch eine junge Witwe.

*) „Ananas“ enthält übrigens einen merkwürdigen Anklang an den Familiennamen meiner Patientin Irma. **) [Hierin erwies sich dieser Traum nicht als prophetisch. In anderem Sinne behielt er Recht, denn die „ungelösten“ Magenbeschwerden meiner Patientin, an denen ich nicht Schuld haben wollte, waren die Vorläufer eines ernsthaften Gallensteinleidens.] § 357

Ich ahne, warum die Formel Trimethylamin im Traume sich so breit gemacht hat. Es kommt soviel Wichtiges in diesem einen Worte zusammen: Trimethylamin ist nicht nur eine Anspielung auf das übermächtige Moment der Sexualität, sondern auch auf eine Person, an deren Zustimmung ich mich mit Befriedigung erinnere, wenn ich mich mit meinen Ansichten verlassen fühle. Sollte dieser Freund, der in meinem Leben eine so große Rolle spielt, in dem Gedankenzusammenhang des Traumes weiter nicht vorkommen? Doch; er ist ein besonderer Kenner der Wirkungen, welche von Affektionen der Nase und ihrer Nebenhöhlen ausgehen, und hat der Wissenschaft einige höchst merkwürdige Beziehungen der Nasenmuscheln zu den weiblichen Sexualorganen eröffnet. (Die drei krausen Gebilde im Halse bei Irma.) Ich habe Irma von ihm untersuchen lassen, ob ihre Magenschmerzen etwa nasalen Ursprungs sind. Er leidet aber selbst an Naseneiterungen, die mir Sorge bereiten, und darauf spielt wohl die Pyämie an, die mir bei den Metastasen des Traumes vorschwebt.

§ 358

Man macht solche Injektionen nicht so leichtfertig. Hier wird der Vorwurf der Leichtfertigkeit unmittelbar gegen Freund Otto geschleudert. Ich glaube, etwas Ähnliches habe ich mir am Nachmittag gedacht, als er durch Wort und Blick seine Parteinahme gegen mich zu bezeugen schien. Es war etwa: Wie leicht er sich beeinflussen läßt; wie leicht er mit seinem Urteile fertig wird. — Außerdem deutet mir der obenstehende Satz wiederum auf den verstorbenen Freund, der sich so rasch zu Kokaininjektionen entschloß. Ich hatte Injektionen mit dem Mittel, wie gesagt, gar nicht beabsichtigt. Bei dem Vorwurfe, den ich gegen Otto erhebe, leichtfertig mit jenen chemischen Stoffen umzugehen, merke ich, daß ich wieder die Geschichte jener unglücklichen Mathilde berühre, aus der derselbe Vorwurf gegen mich hervorgeht. Ich sammle hier offenbar Beispiele für meine Gewissenhaftigkeit, aber auch fürs Gegenteil.

§ 359

Wahrscheinlich war auch die Spritze nicht rein. Noch ein Vorwurf gegen Otto, der aber anderswoher stammt. Gestern traf ich zufällig den Sohn einer 82jährigen Dame, der ich täglich zwei Morphiuminjektionen geben muß. Sie ist gegenwärtig auf dem Lande, und ich hörte über sie, daß sie an einer Venenentzündung leide. Ich dachte sofort daran, es handle sich um ein Infiltrat durch Verunreinigung der Spritze. Es ist mein Stolz, daß ich ihr in zwei Jahren nicht ein einziges Infiltrat gemacht habe; es ist freilich meine beständige Sorge, ob die Spritze auch rein ist. Ich bin eben gewissenhaft. Von der Venenentzündung komme ich wieder auf meine Frau, die in einer Schwangerschaft an Venenstauungen gelitten, und nun tauchen in meiner Erinnerung drei ähnliche Situationen, mit meiner Frau, mit Irma und der verstorbenen Mathilde auf, deren Identität mir offenbar das Recht gegeben hat, die drei Personen im Traume füreinander einzusetzen.

§ 360

Ich habe nun die Traumdeutung vollendet.*)*) Während dieser Arbeit hatte ich Mühe, mich all der Einfälle zu erwehren, zu denen der Vergleich zwischen dem Trauminhalt und den dahinter versteckten Traumgedanken die Anregung geben mußte. Auch ist mir unterdes der „Sinn“ des Traumes aufgegangen. Ich habe eine Absicht gemerkt, welche durch den Traum verwirklicht wird und die das Motiv des Träumens gewesen sein muß. Der Traum erfüllt einige Wünsche, welche durch die Ereignisse des letzten Abends (die Nachricht Ottos, die Niederschrift der Krankengeschichte) in mir rege gemacht worden sind. Das Ergebnis des Traumes ist nämlich, daß ich nicht Schuld bin an dem noch vorhandenen Leiden Irmas, und daß Otto daran schuld ist. Nun hat mich Otto durch seine Bemerkung über Irmas unvollkommene Heilung geärgert; der Traum rächt mich an ihm, indem er den Vorwurf auf ihn selbst zurückwendet. Von der Verantwortung für Irmas Befinden spricht der Traum mich frei, indem er dasselbe auf andere Momente (gleich eine ganze Reihe von Begründungen) zurückführt. Der Traum stellt einen gewissen Sachverhalt so dar, wie ich ihn wünschen möchte; sein Inhalt ist also eine Wunscherfüllung, sein Motiv ein Wunsch.

§ 361

Soviel springt in die Augen. Aber auch von den Details des Traumes wird mir manches unter dem Gesichtspunkte der Wunscherfüllung verständlich. Ich räche mich nicht nur an Otto ihr seine voreilige Parteinahme gegen mich, indem ich ihm eine voreilige ärztliche Handlung zuschiebe (die Injektion), sondern ich nehme auch Rache an ihm für den schlechten Likör, der nach Fusel duftet, und ich finde im Traume einen Ausdruck, der beide Vorwürfe vereint: die Injektion mit einem Propylenpräparat. Ich bin noch nicht befriedigt, sondern setze meine Rache fort, indem ich ihm seinen verläßlicheren Konkurrenten gegenüberstelle. Ich scheine damit zu sagen: Der ist mir lieber als du. Otto ist aber nicht der einzige, der die Schwere meines Zornes zu fühlen hat. Ich räche mich auch an der unfolgsamen Patientin, indem ich sie mit einer klügeren, gefügigeren vertausche. Ich lasse auch dem Dr. M. seinen Widerspruch nicht ruhig hingehen, sondern drücke ihm in einer deutlichen Anspielung meine Meinung aus, daß er der Sache als ein Unwissender gegenübersteht („es wird Dysenterie hinzutreten etc.“). Ja, mir scheint, ich appelliere von ihm weg an einen anderen, Besserwissenden (meinen Freund, der mir vom Trimethylamin erzählt hat), wie ich von Irma an ihre Freundin, von Otto an Leopold mich gewendet habe. Schafft mir diese Personen weg, ersetzt sie mir durch drei andere meiner Wahl, dann bin ich der Vorwürfe ledig, die ich nicht verdient haben will! Die Grundlosigkeit dieser Vorwürfe selbst wird mir im Traume auf die weitläufigste Art erwiesen. Irmas Schmerzen fallen nicht mir zur Last, denn sie ist selbst schuld an ihnen, indem sie meine Lösung anzunehmen verweigert. Irmas Schmerzen gehen mich nichts an, denn sie sind organischer Natur, durch eine psychische Kur gar nicht heilbar. Irmas Leiden erklären sich befriedigend durch ihre Witwenschaft (Trimethylamin!), woran ich ja nichts ändern kann. Irmas Leiden ist durch eine unvorsichtige Injektion von seiten Ottos hervorgerufen worden mit einem dazu nicht geeigneten Stoff, wie ich sie nie gemacht hätte. Irmas Leiden rührt von einer Injektion mit unreiner Spritze her wie die Venenentzündung meiner alten Dame, während ich bei meinen Injektionen niemals etwas anstelle. Ich merke zwar, diese Erklärungen für Irmas Leiden, die darin zusammentreffen mich zu entlasten, stimmen untereinander nicht zusammen, ja sie schließen einander aus. Das ganze Plaidoyer — nichts anderes ist dieser Traum — erinnert lebhaft an die Verteidigung des Mannes, der von seinem Nachbar angeklagt war, ihm einen Kessel in schadhaftem Zustand zurückgegeben zu haben. Erstens habe er ihn unversehrt zurückgebracht, zweitens war der Kessel schon durchlöchert, wie er ihn entlehnte, drittens hat er nie einen Kessel vom Nachbar entlehnt. Aber um so besser; wenn nur eine dieser drei Verteidigungsarten stichhaltig erkannt wird, muß der Mann freigesprochen werden.

*) Wenn ich auch, wie begreiflich, nicht alles mitgeteilt habe, was mir zur Deutungsarbeit eingefallen ist. § 362

Es spielen in den Traum noch andere Themata hinein, deren Beziehung zu meiner Entlastung von Irmas Krankheit nicht so durchsichtig ist: Die Krankheit meiner Tochter und die einer gleichnamigen Patientin, die Kokainschädlichkeit, die Affektion meines in Ägypten reisenden Patienten, die Sorge um die Gesundheit meiner Frau, meines Bruders, des Dr. M., meine eigenen Körperbeschwerden, die Sorge um den abwesenden Freund, der an Naseneiterungen leidet. Doch wenn ich all das ins Auge fasse, fügt es sich zu einem einzigen Gedankenkreis zusammen, etwa mit der Etiquette: Sorge um die Gesundheit, eigene und fremde, ärztliche Gewissenhaftigkeit. Ich erinnere mich an eine unklare peinliche Empfindung, als mir Otto die Nachricht von Irmas Befinden brachte. Aus dem im Traume mitspielenden Gedankenkreis möchte ich nachträglich den Ausdruck für diese flüchtige Empfindung einsetzen. Es ist, als ob er mir gesagt hätte: Du nimmst deine ärztlichen Pflichten nicht ernsthaft genug, bist nicht gewissenhaft, hältst nicht, was du versprichst. Daraufhin hätte sich mir jener Gedankenkreis zur Verfügung gestellt, damit ich den Nachweis erbringen könne, in wie hohem Grade ich gewissenhaft bin, wie sehr mir die Gesundheit meiner Angehörigen, Freunde und Patienten am Herzen liegt. Bemerkenswerterweise sind unter diesem Gedankenmaterial auch peinliche Erinnerungen, die eher für die meinem Freunde Otto zugeschriebene Beschuldigung als für meine Entschuldigung sprechen. Das Material ist gleichsam unparteiisch, aber der Zusammenhang dieses breiteren Stoffes, auf dem der Traum ruht, mit dem engeren Thema des Traumes, aus dem der Wunsch hervorgegangen ist, an Irmas Krankheit unschuldig zu sein, ist doch unverkennbar.

§ 363

Ich will nicht behaupten, daß ich den Sinn dieses Traumes vollständig aufgedeckt habe, daß seine Deutung eine lückenlose ist.

§ 364

Ich könnte noch lange bei ihm verweilen, weitere Aufklärungen aus ihm entnehmen und neue Rätsel erörtern, die er aufwerfen heißt. Ich kenne selbst die Stellen, von denen aus weitere Gedankenzusammenhänge zu verfolgen sind; aber Rücksichten, wie sie bei jedem eigenen Traume in Betracht kommen, halten mich von der Deutungsarbeit ab. Wer mit dem Tadel für solche Reserve rasch bei der Hand ist, der möge nur selbst versuchen, aufrichtiger zu sein als ich. Ich begnüge mich für den Moment mit der einen neu gewonnenen Erkenntnis: Wenn man die hier angezeigte Methode der Traumdeutung befolgt, findet man, daß der Traum wirklich einen Sinn hat und keineswegs der Ausdruck einer zerbröckelten Hirntätigkeit ist, wie die Autoren wollen. Nach vollendeter Deutungsarbeit läßt sich der Traum als eine Wunscherfüllung erkennen.

§ 365

III.

§ 366

Der Traum ist eine Wunscherfüllung.

§ 367

Wenn man einen engen Hohlweg passiert hat und plötzlich auf einer Anhöhe angelangt ist, von welcher aus die Wege sich teilen und die reichste Aussicht nach verschiedenen Richtungen sich öffnet, darf man einen Moment lang verweilen und überlegen, wohin man zunächst sich wenden soll. Ähnlich ergeht es uns, nachdem wir diese erste Traumdeutung überwunden haben. Wir stehen in der Klarheit einer plötzlichen Erkenntnis. Der Traum ist nicht vergleichbar dem unregelmäßigen Ertönen eines musikalischen Instruments, das anstatt von der Hand des Spielers von dem Stoß einer äußeren Gewalt getroffen wird, er ist nicht sinnlos, nicht absurd, setzt nicht voraus, daß ein Teil unseres Vorstellungsschatzes schläft, während ein anderer zu erwachen beginnt. Er ist ein vollgültiges psychisches Phänomen, und zwar eine Wunscherfüllung; er ist einzureichen in den Zusammenhang der uns verständlichen seelischen Aktionen des Wachens; eine hoch komplizierte intellektuelle Tätigkeit hat ihn aufgebaut. Aber eine Fülle von Fragen bestürmt uns im gleichen Moment, da wir uns dieser Erkenntnis freuen wollen. Wenn der Traum laut Angabe der Traumdeutung einen erfüllten Wunsch darstellt, woher rührt die auffällige und befremdende Form, in welcher diese Wunscherfüllung ausgedrückt ist? Welche Veränderung ist mit den Traumgedanken vorgegangen, bis sich aus ihnen der manifeste Traum, wie wir ihn beim Erwachen erinnern, gestaltete? Auf welchem Wege ist diese Veränderung vor sich gegangen? Woher stammt das Material, das zum Traume verarbeitet worden ist? Woher rühren manche der Eigentümlichkeiten, die wir an den Traumgedanken bemerken konnten, wie z. B., daß sie einander widersprechen dürfen? (Die Analogie mit dem Kessel, Seite 86). Kann der Traum uns etwas Neues über unsere inneren psychischen Vorgänge lehren, kann sein Inhalt Meinungen korrigieren, an die wir tagsüber geglaubt haben? Ich schlage vor, alle diese Fragen einstweilen beiseite zu lassen und einen einzigen Weg weiter zu verfolgen. Wir haben er fahren, daß der Traum einen Wunsch als erfüllt darstellt. Unser nächstes Interesse soll es sein zu erkunden, ob dies ein allgemeiner Charakter des Traumes ist, oder nur der zufällige Inhalt jenes Traumes („von Irmas Injektion“), mit dem unsere Analyse begonnen hat, denn selbst, wenn wir uns darauf gefaßt machen, daß jeder Traum einen Sinn und psychischen Wert hat, müssen wir noch die Möglichkeit offen lassen, daß dieser Sinn nicht in jedem Traume der nämliche sei. Unser erster Traum war eine Wunscherfüllung; ein anderer stellt sich vielleicht als eine erfüllte Befürchtung heraus; ein dritter mag eine Reflexion zum Inhalt haben, ein vierter einfach eine Erinnerung reproduzieren. Gibt es also noch andere Wunschtraume oder gibt es vielleicht nichts anderes als Wunschträume?

§ 368

Es ist leicht zu zeigen, daß die Träume häufig den Charakter der Wunscherfüllung unverhüllt erkennen lassen, so daß man sich wundern mag, warum die Sprache der Träume nicht schon längst ein Verständnis gefunden hat. Da ist z. B. ein Traum, den ich mir beliebig oft, gleichsam experimentell, erzeugen kann. Wenn ich am Abend Sardellen, Oliven oder sonst stark gesalzene Speisen nehme, bekomme ich in der Nacht Durst, der mich weckt. Dem Erwachen geht aber ein Traum voraus, der jedesmal den gleichen Inhalt hat, nämlich, daß ich trinke. Ich schlürfe Wasser in vollen Zügen, es schmeckt mir so köstlich, wie nur ein kühler Trunk schmecken kann, wenn man verschmachtet ist, und dann erwache ich und muß wirklich trinken. Der Anlaß dieses einfachen Traumes ist der Durst, den ich ja beim Erwachen verspüre. Aus dieser Empfindung geht der Wunsch hervor zu trinken, und diesen Wunsch zeigt mir der Traum erfüllt. Er dient dabei einer Funktion, die ich bald errate. Ich bin ein guter Schäfer, nicht gewöhnt durch ein Bedürfnis geweckt zu werden. Wenn es mir gelingt, meinen Durst durch den Traum, daß ich trinke, zu beschwichtigen, so brauche ich nicht aufzuwachen, um ihn zu befriedigen. Es ist also ein Bequemlichkeitstraum. Das Träumen setzt sich an Stelle des Handelns wie auch sonst im Leben. Leider ist das Bedürfnis nach Wasser, um den Durst zu löschen, nicht mit einem Traume zu befriedigen, wie mein Rachedurst gegen Freund Otto und Dr. M., aber der gute Wille ist der gleiche. Derselbe Traum hat sich unlängst einigermaßen modifiziert. Da bekam ich schon vor dem Einschlafen Durst und trank das Wasserglas leer, das auf dem Kästchen neben meinem Bette stand. Einige Stunden später kam in der Nacht ein neuer Durstanfall, der seine Unbequemlichkeiten im Gefolge hatte. Um mir Wasser zu verschaffen, hätte ich aufstehen und mir das Glas holen müssen, welches auf dem Nachtkästchen meiner Frau stand. Ich träumte also zweckentsprechend, daß meine Frau mir aus einem Gefäße zu trinken gibt; dies Gefäß war ein etruskischer Aschenkrug, den ich mir von einer italienischen Reise heimgebracht und seither verschenkt hatte. Das Wasser in ihm schmeckte aber so salzig (von der Asche offenbar), daß ich erwachen mußte. Man merkt, wie bequem der Traum es einzurichten versteht; da Wunscherfüllung seine einzige Absicht ist, darf er vollkommen egoistisch sein. Liebe zur Bequemlichkeit ist mit Rücksicht auf andere wirklich nicht vereinbar. Die Einmengung des Aschenkruges ist wahrscheinlich wieder eine Wunscherfüllung; es tut mir leid, daß ich dies Gefäß nicht mehr besitze, wie übrigens auch das Wasserglas auf Seiten meiner Frau mir nicht zugänglich ist. Der Aschenkrug paßt sich auch der nun stärker gewordenen Sensation des salzigen Geschmacks an, von der ich weiß, daß sie mich zum Erwachen zwingen wird.*)*)

§ 369

Solche Bequemlichkeitsträume waren bei mir in juvenilen Jahren sehr häufig. Von jeher gewöhnt, bis tief in die Nacht zu arbeiten, war mir das zeitige Erwachen immer eine Schwierigkeit. Ich pflegte denn zu träumen, daß ich außer Bett bin und beim Waschtische stehe. Nach einer Weile konnte ich mich der Einsicht nicht verschließen, daß ich noch nicht aufgestanden bin, hatte aber doch dazwischen eine Weile geschlafen. Denselben Trägheitstraum in besonders witziger Form kenne ich von einem jungen Kollegen, der meine Schlafneigung zu teilen scheint. Die Zimmerfrau, bei der er in der Nähe des Spitals wohnte, hatte den strengen Auftrag, ihn jeden Morgen rechtzeitig zu wecken, aber auch ihre liebe Not, wenn sie den Auftrag ausführen wollte. Eines Morgens war der Schlaf besonders süß. Die Frau rief ins Zimmer: Herr Pepi, stehen’s auf, Sie müssen ins Spital. Daraufhin träumte der Schläfer ein Zimmer im Spital, ein Bett, in dem er lag, und eine Kopftafel, auf der zu lesen stand: Pepi H . . . cand. med., 22 Jahre. Er sagte sich träumend: Wenn ich also schon im Spital bin, brauche ich nicht erst hineinzugehen, wendete sich um und schlief weiter. Er hatte sich dabei das Motiv seines Träumens unverhohlen eingestanden.

§ 370

Ein anderer Traum, dessen Reiz gleichfalls während des Schlafes selbst einwirkt: Eine meiner Patientinnen, die sich einer ungünstig verlanfenen Kieferoperetion hatte unterziehen müssen, sollte nach dem Wunsche der Ärzte Tag und Nacht einen Kühlapparat auf der kranken Wange tragen. Sie pflegte ihn aber wegzuschleudern, sobald sie eingeschlafen war. Eines Tages hat man mich, ihr darüber Vorwürfe zu machen; sie hatte den Apparat wiederum auf den Boden geworfen. Die Kranke verantwortete sich: „Diesmal kann ich wirklich nichts dafür; es war die Folge eines Traumes, den ich bei Nacht gehabt. Ich war im Traume in einer Loge in der Oper und interessierte mich lebhaft für die Vorstellung. Im Sanatorium aber lag der Herr Karl Meyer und jammerte fürchterlich vor Kieferschmerzen. Ich habe mir gesagt, da ich die Schmerzen nicht habe, brauche ich auch den Apparat nicht; darum habe ich ihn weggeworfen.“ Dieser Traum der armen Dulderin klingt wie die Darstellung einer Redensart, die sich einem in unangenehmen Lagen über die Lippen drängt: Ich wußte mir wirklich ein besseres Vergnügen. Der Traum zeigt dieses bessere Vergnügen. Herr Karl Meyer, dem die Träumerin ihre Schmerzen zuschob, war der indifferenteste junge Mann ihrer Bekanntschaft, an den sie sich erinnern konnte.

*) Das Tatsächliche der Durstträume war auch Weygandt 75) bekannt, der p. 41 darüber äußert: „Gerade die Durstempfindung wird am präzisesten von allen aufgefaßt: sie erzeugt stets eine Vorstellung des Durstlöschens. — Die Art, wie sich der Traum das Durstlöschen vorstellt, ist mannigfaltig und wird nach einer nahe liegenden Erinnerung spezialisiert. Eine allgemeine Erscheinung ist auch hier, daß sich sofort nach der Vorstellung des Durstlöschens eine Enttäuschung über die geringe Wirkung der vermeintlichen Erfrischungen einstellt.“ Er übersicht aber des Allgemeingültige in der Reaktion des Traumes auf den Reis. — Wenn andere Personen, die in der Nacht vom Durste befalIen werden, erwachen, ohne vorher zu träumen, so bedeutet dies keinen Einwand gegen mein Experiment, sondern charakterisiert diese anderen als schlechtere Schläfer. § 371

Nicht schwieriger ist es, die Wunscherfüllung in einigen anderen Träumen aufzudecken, die ich von Gesunden gesammelt habe. Ein Freund, der meine Traumtheorie kennt und sie seiner Frau mitgeteilt hat, sagt mir eines Tages: „Ich soll dir von meiner Frau erzählen, daß sie gestern geträumt hat, sie hätte die Periode bekommen. Du wirst wissen, was das bedeutet.“ Freilich weiß ich’s; wenn die junge Frau geträumt hat, daß sie die Periode hat, so ist die Periode ausblieben. Ich kann mir’s denken, daß sie gern noch einige Zeit ihre Freiheit genossen hätte, ehe die Beschwerden der Mütterlichkeit beginnen. Es war eine geschickte Art, die Anzeige von ihrer ersten Gravidität zu machen. Ein anderer Freund schreibt, seine Frau habe unlängst geträumt, daß sie an ihrer Hemdenbrust Milchflecken bemerke. Dies ist auch eine Graviditätsanzeige, aber nicht mehr vom ersten Mal; die junge Mutter wünscht sich, für das zweite Kind mehr Nahrung zu haben als seinerzeit fürs erste.

§ 372

Eine junge Frau, die Wochen hindurch bei der Pflege ihres infektiös erkrankten Kindes vom Verkehre abgeschnitten war, träumt nach glücklicher Beendigung der Krankheit von einer Gesellschaft, in der sich A. Daudet, Bourget, M. Prévost und andere befinden, die sämtlich sehr liebenswürdig gegen sie sind und sie vortrefflich amüsieren. Die betreffenden Autoren tragen auch im Traume die Züge, welche ihnen ihre Bilder geben; M. Prévost, von dem sie ein Bild nicht kennt, sieht dem — Desinfektionsmanne gleich, der am Tage vorher die Krankenzimmer gereinigt und sie als erster Besucher nach langer Zeit betreten hatte. Man meint, den Traum lückenlos übersetzen zu können: Jetzt wäre es einmal Zeit für etwas Amüsanteres als diese ewigen Krankenpflegen.

§ 373

Vielleicht wird diese Auslese genügen, um zu erweisen, daß man sehr häufig und unter den mannigfaltigsten Bedingungen Träume findet, die sich nur als Wunscherfüllungen verstehen essen, und die ihren Inhalt unverhüllt zur Schau tragen. Es sind dies zumeist kurze und einfache Träume, die von den verworrenen und über reichen Traumkompositionen, welche wesentlich die Aufmerksamkeit der Autoren auf sich gezogen haben, wohltuend abstechen. Es verlohnt sich aber, bei diesen einfachen Träumen noch zu verweilen. Die allereinfachsten Formen von Träumen darf man wohl bei Kindern erwarten, deren psychische Leistungen sicherlich minder kompliziert sind als die Erwachsener. Die Kinderpsychologie ist nach meiner Meinung dazu berufen, für die Psychologie der Erwachsenen ähnliche Dienste zu leisten wie die Untersuchung des Baues oder der Entwicklung niederer Tiere für die Erforschung der Struktur der höchsten Tierklassen. Es sind bis jetzt wenig zielbewußte Schritte geschehen, die Psychologie der Kinder zu solchem Zwecke auszunützen.

§ 374

Die Träume der kleinen Kinder sind simple Wunscherfüllungen und darum im Gegensatze zu den Träumen Erwachsener gar nicht interessant. Sie gehen keine Rätsel zu lösen, sind aber natürlich unschätzbar für den Beweis, daß der Traum seinem innersten Wesen nach eine Wunscherfüllung bedeutet. Bei meinem Material von eigenen Kindern konnte ich einige Beispiele von solchen Träumen sammeln.

§ 375

Einem Ausfluge nach dem schönen Hallstatt im Sommer 1896 von Aussee aus verdanke ich zwei Träume, den einen von meiner damals 81/2jährigen Tochter, den anderen von einem 51/4jährigen Knaben. Als Vorbericht muß ich angeben, daß wir in diesem Sommer auf einem Hügel bei Aussee wohnten, von wo aus wir eine herrliche Dachsteinaussicht bei schönem Wetter genossen. Mit dem Fernrohre war die Simony-Hütte gut zu erkennen. Die Kleinen bemühten sich wiederholt, sie durchs Fernrohr zu sehen; ich weiß nicht, mit welchem Erfolge. Vor der Partie hatte ich den Kindern erzählt, Hallstatt läge am Fuße des Dachsteins. Sie freuten sich sehr auf den Tag. Von Hallstatt aus gingen wir ins Escherntal, das mit seinen wechselnden Ansichten die Kinder sehr entzückte. Nur eines, der fünfjährige Knabe wurde allmählich mißgestimmt. So oft ein neuer Berg in Sicht kam, fragte er: Ist das der Dachstein? worauf ich antworten mußte: Nein, nur ein Vorberg. Nachdem sich diese Frage einigemal wiederholt hatte, verstummte er ganz; den Stufenweg zum Wasserfall wollte er überhaupt nicht mitmachen. Ich hielt ihn für ermüdet. Am nächsten Morgen kam er aber ganz seelig auf mich zu und erzählte: Heute Nacht habe ich geträumt, daß wir auf der Simony-Hütte gewesen sind. Ich verstand ihn nun; er hatte erwartet, als ich vom Dachstein sprach, daß er auf dem Ausfluge nach Hallstadt den Berg besteigen und die Hütte zu Gesicht bekommen werde, von der beim Fernrohre so viel die Rede war. Als er dann merkte, daß man ihm zumute, sich mit Vorbergen und einem Wasserfall abspeisen zu lassen, fühlte er sich getäuscht und wurde verstimmt. Der Traum entschädigte ihn dafür. Ich versuchte Details des Traumes zu erfahren; sie waren ärmlich. „Man geht sechs Stunden lang auf Stufen hinauf,“ wie er’s gehört hatte.

§ 376

Auch bei dem 81/2jährigen Mädchen waren auf diesem Ausfluge Wünsche rege geworden die der Traum befriedigen mußte. Wir hatten den 12jährigen Knaben unserer Nachbarn nach Hallstatt mitgenommen, einen vollendeten Ritter, der, wie mir schien, sich bereits aller Sympathien des kleinen Frauenzimmers erfreute. Sie erzählte nun am nächsten Morgen folgenden Traum: Denk’ dir, ich hab’ geträumt, daß der Emil einer von uns ist, Papa und Mama zu euch sagt und im großen Zimmer mit uns schläft wie unsere Buben. Dann kommt die Mama ins Zimmer und wirft eine Handvoll großer Schokoladestangen in blauem und grünem Papiere unter unsere Betten. Die Brüder, die sich also nicht kraft erblicher Übertragung auf Traumdeutung verstehen, erklärten ganz wie unsere Autoren: Dieser Traum ist ein Unsinn. Das Mädchen trat wenigstens für einen Teil des Traumes ein, und es ist wertvoll für die Theorie der Neurosen zu erfahren, für welchen: Daß der Emil ganz bei uns ist, das ist ein Unsinn, aber das mit den Schokoladestangen nicht. Mir war gerade das letztere dunkel. Die Mama lieferte mir hiefür die Erklärung. Auf dem Wege vom Bahnhofe nach Hause hatten die Kinder vor dem Automaten Halt gemacht und sich gerade solche Schokoladestangen in metallisch glänzendem Papiere gewünscht, die der Automat nach ihrer Erfahrung zu verkaufen hatte. Die Mama hatte mit Recht gemeint, jener Tag habe genug Wunscherfüllungen gebracht, und diesen Wunsch für den Traum übrig gelassen. Mir war die kleine Szene entgangen. Den von meiner Tochter proskribierten Teil des Traumes verstand ich ohne weiteres. Ich hatte selbst gehört, wie der artige Gast auf dem Wege die Kinder aufgefordert hatte zu warten, bis der Papa oder die Mama nachkommen. Aus dieser zeitweiligen Zugehörigkeit machte der Traum der Kleinen eine dauernde Adoption, deren Formen des Beisammenseins als die im Traume erwahnten, die von den Brüdern hergenommen sind, kannte ihre Zärtlichkeit noch nicht. Warum die Schokoladestangen unter die Betten geworfen wurden, ließ sich ohne Ausfragen des Kindes natürlich nicht aufklären.

§ 377

Einen ganz ähnlichen Traum wie den meines Knaben habe ich von befreundeter Seite erfahren. Er betraf ein 8jähriges Mädchen. Der Vater hatte mit mehreren Kindern einen Spaziergang nach Dornbach in der Absicht unternommen, die Rohrerhütte zu besuchen, kehrte aber um, weil es zu spät geworden war, und versprach den Kindern, sie ein anderes Mal zu entschädigen. Auf dem Rückwege kamen sie an einer Tafel vorbei, welche den Weg zum Hameau anzeigt. Die Kinder verlangten nun auch aufs Hameau geführt zu werden, mußten sich aber aus demselben Grund wiederum auf einen anderen Tag vertrösten lassen. Am nächsten Morgen kam das 8jährige Mädchen dem Papa befriedigt entgegen: Papa, heut’ hab ich geträumt, du warst mit uns bei der Rohrerhütte und auf dem Hameau. Ihre Ungeduld hatte also die Erfüllung des vom Papa geleisteten Versprechens im Traume antizipiert.

§ 378

Ebenso aufrichtig ist ein anderer Traum, den die landschaftliche Schönheit Aussees bei meinem damals 31/4jährigen Töchterchen erregt hat. Die Kleine war zum erstenmal über den See gefahren, und die Zeit der Seefahrt war ihr zu rasch vergangen. An der Landungsstelle wollte sie das Boot nicht verlassen und weinte bitterlich. Am nächsten Morgen erzählte sie: Heute Nacht bin ich auf dem See gefahren. Hoffen wir, daß die Dauer dieser Traumfahrt sie besser befriedigt hat.

§ 379

Mein ältester, damals 8jahriger Knabe träumt bereits die Realisierung seiner Phantasien. Er ist mit dem Achilleus in einem Wagen gefahren und der Diomedes war Wagenlenker. Er hat sich natürlich tags vorher für die Sagen Griechenlands begeistert, die der älteren Schwester geschenkt worden sind.

§ 380

Wenn man mir zugibt, daß das Sprechen aus dem Schlafe der Kinder gleichfalls dem Kreise des Träumens angehört, so kann ich im folgenden einen der jüngsten Träume meiner Sammlung mitteilen. Mein jüngstes Mädchen, damals 19 Monate alt, hatte eines Morgens erbrochen und war darum den Tag über nüchtern erhalten werden. In der Nacht, die diesem Hungertag folgte, hörte man sie erregt aus dem Schlafe rufen: Anna F.eud, Er(d)beer, Hochbeer, Eier(s)peis, Papp. Ihren Namen gebrauchte sie damals, um die Besitzergreifung auszudrücken; der Speiszettel umfaßte wohl alles, was ihr als begehrenswerte Mahlzeit erscheinen mußte; daß die Erdbeeren darin in zwei Varietäten vorkamen, war eine Demonstration gegen die häusliche Sanitätspolizei und hatte seinen Grund in dem von ihr wohl bemerkten Nebenumstand, daß die Kinderfrau ihre Indisposition auf allzu reichlichen Erdbeergenuß geschoben hatte; für dies ihr unbequeme Gutachten nahm sie also im Traume ihre Revanche.*)*)

§ 381

Wenn wir die Kindheit glücklich preisen, weil sie die sexuelle Begierde noch nicht kennt, so wollen wir nicht verkennen, eine wie reiche Quelle der Enttäuschung, Entsagung und damit der Traumanregung der andere der großen Lebenstriebe für sie werden kann. Hier ein zweites Beispiel dafür. Mein 22monatlicher Neffe hat zu meinem Geburtstage die Aufgabe bekommen mir zu gratulieren und als Geschenk ein Körbchen mit Kirschen zu überreichen, die um diese Zeit des Jahres noch zu den Primeurs zählen. Es scheint ihm hart anzukommen, denn er wiederholt unaufhörlich: Kirschen sind d(r)in, und ist nicht zu bewegen, das Körbchen aus den Händen zu geben. Aber er weiß sich zu entschädigen. Er pflegte bisher jeden Morgen seiner Mutter zu erzählen, daß er vom „weißen Soldat“ geträumt, einem Gardeoffizier im Mantel, den er einst auf der Straße bewunderte. Am Tag nach dem Geburtstagsopfer erwacht er freudig mit der Mitteilung, die nur einem Traume entstammen kann: He(r)man alle Kirschen aufgessen!

*) Dieselbe Leistung wie bei der jüngsten Enkelin vollbringt dann der Traum kurz nachher bei der Großmutter, deren Alter das des Kindes ungefähr zu 70 Jahren ergänzt. Nachdem sie einen Tag lang durch die Unruhe ihrer Wanderniere zum Hungern gezwungen war, träumte sie dann, offenbar mit Versetzung in die glückliche Zeit des blühenden Mädchentums, daß sie für beide Hauptmahlzeiten „ausgebeten“, zu Gast geladen ist, und jedesmal die köstlichsten Bissen vorgesetzt bekommt. § 382

Wovon die Tiere träumen, weiß ich nicht. Ein Sprichwort, dessen Erwähnung ich einem meiner Hörer danke, behauptet es zu wissen, denn es stellt die Frage auf: Wovon träumt die Gans? und beantwortet sie: Vom Kukuruz (Mais). Die ganze Theorie, daß der Traum eine Wunscherfüllung sei, ist in diesen zwei Sätzen enthalten.

§ 383

Wir bemerken jetzt, daß wir zu unserer Lehre von dem verborgenen Sinn des Traumes auch auf dem kürzesten Wege gelangt wären, wenn wir nur den Sprachgebrauch befragt hatten. Die Spruchweisheit redet zwar manchmal verächtlich genug vom Traume — man meint, sie wolle der Wissenschaft Recht geben, wenn sie urteilt: Träume sind Schäume —, aber für den Sprachgebrauch ist der Traum doch vorwiegend der holde Wunscherfüller. „Das hätt’ ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht vorgestellt,“ ruft entzückt, wer in der Wirklichkeit seine Erwartungen übertroffen findet.

§ 384

[96]

§ 385

IV.

§ 386

Die Traumentstellung.

§ 387

Wenn ich nun die Behauptung aufstelle, daß Wunscherfüllung der Sinn eines jeden Traumes sei, also daß er keine anderen als Wunschträume geben kann, so bin ich des entschiedensten Widerspruchs im vorhinein sicher. Man wird mir entgegenhalten: „Daß es Träume gibt, welche als Wunscherfüllungen zu verstehen sind, ist nicht neu, sondern längst von den Autoren bemerkt worden. [Vgl. Radestock 54) (p. 137—138), Volkelt 72) (p. 110—111), Purkinje 53) (p. 456), Tissié 68) (p. 70), M. Simon 63) (p. 42 über die Hungerträume des eingekerkerten Baron Trenck) und die Stelle bei Griesinger 31) (p. 111).] Daß es aber nichts anderes gibt als Wünscherfüllungsträume, das ist wieder eine der ungerechtfertigten Verallgemeinerungen, in denen Sie sich letzter Zeit auszuzeichnen belieben. Es kommen doch reichlich genug Träume vor, welche den peinlichsten Inhalt erkennen lassen, aber keine Spur irgend einer Wunscherfüllung. Der pessimistische Philosoph Ed. v. Hartmann steht wohl der Wunscherfüllungstheorie am fernsten. Er äußert in seiner Philosophie des Unbewußten, II. Teil (Stereotypausgabe, p. 344):

§ 388

"Was den Traum betrifft, so treten mit ihm alle Plackereien des wachen Lebens auch in den Schafzustend hinüber, nur das Einzige nicht, was den Gebildeten einigermaßen mit dem Leben aussöhnen kann: wissenschaftlicher und Kunstgenuß .... " “ Aber auch minder unzufriedene Beobachter haben hervorgehoben, daß im Traume Schmerz und Unlust häufiger sei als Lust, so Scholz 59) (p. 33), Volkelt 72) (p. 80) u. a. Ja. die Damen Sarah Weed und Florence Hallam 33) haben aus der Bearbeitung ihrer Träume einen ziffermäßigen Ausdruck für das Überwiegen der Unlust in den Träumen entnommen. Sie bezeichnen 58% der Träume als peinlich und nur 28•6% als positiv angenehm. Außer diesen Träumen, welche die mannigfaltigen peinlichen Gefühle des Lebens in den Schlaf fortsetzen, gibt es auch Angstträume, in denen uns diese entsetzlichste aller Unlust empfindungen schüttelt, bis wir erwachen, und von solchen Angstträumen werden gerade die Kinder so leicht heimgesucht [vgl. Debaeker 17) über den Pavor nocturnus], bei denen Sie die Wunschträume unverhüllt gefunden haben.“

§ 389

Wirklich scheinen gerade die Angstträume eine Verallgemeinerung des Satzes, den wir aus den Beispielen des vorigen Abschnittes gewonnen haben, der Traum sei eine Wunscherfüllung, unmöglich zu machen, ja diesen Satz als Absurdität zu brandmarken.

§ 390

Dennoch ist es nicht sehr schwer, sich diesen anscheinend zwingenden Einwänden zu entziehen. Man wolle bloß beachten, daß unsere Lehre nicht auf der Würdigung des manifesten Trauminhalts beruht, sondern sich auf den Gedankeninhalt bezieht, welcher durch die Deutungsarbeit hinter dem Traume erkannt wird. Stellen wir manifesten und latenten Trauminhalt einander gegenüber. Es ist richtig, daß es Träume gibt, deren manifester Inhalt von der peinlichsten Art ist. Aber hat jemand versucht, diese Träume zu deuten, den latenten Gedankeninhalt derselben aufzudecken? Wenn aber nicht, dann treffen uns die beiden Einwände nicht mehr; es bleibt immerhin möglich, daß auch peinliche und Angstträume sich nach der Deutung als Wunscherfüllungen enthüllen.*)*)

§ 391

Bei wissenschaftlicher Arbeit ist es oft von Vorteil, wenn die Lösung des einen Problems Schwierigkeiten bereitet, ein zweites hinzuzunehmen, etwa wie man zwei Nüsse leichter miteinander als einzeln aufknackt. So stehen wir nicht nur vor der Frage: Wie können peinliche und Angstträume Wunscherfüllungen sein, sondern wir können auch aus unseren bisherigen Erörterungen über den Traum eine zweite Frage aufwerfen: Warum zeigen die Träume indifferenten Inhalts, welche sich als Wunscherfüllungen ergeben, diesen ihren Sinn nicht unverhüllt? Man nehme den weitläufig behandelten Traum von Irmas Injektion, er ist keineswegs peinlicher Natur, er ist durch die Deutung als eklatante Wunscherfüllung zu erkennen. Wozu bedarf es aber überhaupt einer Deutung? Warum sagt der Traum nicht direkt, was er bedeutet? Tatsächlich macht auch der Traum von Irmas Injektion zunächst nicht den Eindruck, daß er einen Wunsch des Träumers als erfüllt darstellt. Der Leser wird diesen Eindruck nicht bekommen haben, aber auch ich selbst wußte es nicht, ehe ich die Analyse angestellt hatte. Heißen wir dieses der Erklärung bedürftige Verhalten des Traumes: die Tatsache der Traumentstellung, so erhebt sich also die zweite Frage: Wovon rührt diese Traumentstellung her?

§ 392

Wenn man hierüber seine ersten Einfälle befrägt, könnte man auf verschiedene mögliche Lösungen geraten, z. B. daß während des Schlafes ein Unvermögen bestehe, den Traumgedanken einen ent sprechenden Ausdruck zu schaffen. Allein die Analyse gewisser Träume nötigt uns, für die Traumentstellung eine andere Erklärung zuzulassen. Ich will dies an einem zweiten Traume von mir selbst zeigen, welcher wiederum vielfache Indiskretionen erfordert, aber für dies persönliche Opfer durch eine gründliche Aufhellung des Problems entschädigt.

*) [Es ist ganz unglaublich, mit welcher Hartnäckigkeit sich Leser und Kritiker dieser Erwägung verschließen und die grundlegende Unterscheidung von manifestem und latentem Trauminhalt unbeachtet lassen.] § 393

Vorbericht: Im Frühjahr 1897 erfuhr ich, daß zwei Professoren unserer Universität mich für die Ernennung zum Prof. extraord. vorgeschlagen haben. Diese Nachricht kam mir überraschend und erfreute mich lebhaft als Ausdruck einer durch persönliche Beziehungen nicht aufzuklärenden Anerkennung von seiten zweier hervorragender Männer. Ich sagte mir aber sofort, daß ich an dieses Ereignis keine Erwartungen knüpfen dürfe. Das Ministerium hatte in den letzten Jahren Vorschläge solcher Art unberücksichtigt gelassen, und mehrere Kollegen, die mir an Jahren voraus waren und an Verdiensten mindestens gleich kamen, warteten seitdem vergebene auf ihre Ernennung. Ich hatte keinen Grund anzunehmen, daß es mir besser ergehen würde. Ich beschloß also bei mir, mich zu trösten. Ich bin, soviel ich weiß, nicht ehrgeizig, übe meine ärztliche Tätigkeit mit zufriedenstellendem Erfolge aus, auch ohne daß mich ein Titel empfiehlt. Es handelte sich übrigens gar nicht darum, ob ich die Trauben für süß oder sauer erklärte, da sie unzweifelhaft zu hoch für mich hingen.

§ 394

Eines Abends besuchte mich ein befreundeter Kollege, einer von denjenigen, deren Schicksal ich mir zur Warnung hatte dienen lassen. Seit längerer Zeit ein Kandidat für die Beförderung zum Professor, die den Arzt in unserer Gesellschaft zum Halbgott für seine Kranken erhebt, und minder resigniert als ich, pflegte er von Zeit zu Zeit seine Vorstellung in den Bureaux des hohen Ministeriums zu machen, um seine Angelegenheit zu fördern. Von einem solchen Besuche kam er zu mir. Er erzählte, daß er diesmal den hohen Herrn in die Enge getrieben und ihn gerade heraus befragt habe, ob an dem Aufschub seiner Ernennung wirklich — konfessionelle Rücksichten die Schuld trügen. Die Antwort hatte gelautet, daß allerdings — bei der gegenwärtigen Strömung — Se. Exzellenz vorläufig nicht in der Lage sei u. s. w. „Nun weiß ich wenigstens, woran ich bin,“ schloß mein Freund seine Erzählung, die mir nichts Neues brachte, mich aber in meiner Resignation bestärken mußte. Dieselben konfessionellen Rücksichten sind nämlich auch auf meinen Fall anwendbar.

§ 395

Am Morgen nach diesem Besuche hatte ich folgenden Traum, der auch durch seine Form bemerkenswert war. Er bestand aus zwei Gedanken und zwei Bildern, so daß ein Gedanke und ein Bild einander ablösten. Ich setze aber nur die erste Hälfte des Traumes hieher, da die andere mit der Absicht nichts zu tun hat, welcher die Mitteilung des Traumes dienen soll.

§ 396

I. Freund R. ist mein Onkel. — Ich empfinde große Zärtlichkeit für ihn.

§ 397

II. Ich sehe sein Gesicht etwas verändert vor mir. Es ist wie in die Länge gezogen, ein gelber Bart, der es umrahmt, ist besonders deutlich hervorgehoben.

§ 398

Dann folgen die beiden anderen Stücke, wieder ein Gedanke und ein Bild, die ich übergehe.

§ 399

Die Deutung dieses Traumes vollzog sich folgendermaßen:

§ 400

Als mir der Traum im Laufe des Vormittags einfiel, lachte ich auf und sagte: Der Traum ist ein Unsinn. Er ließ sich aber nicht abtun und ging mir den ganzen Tag nach, bis ich mir endlich am Abend Vorwürfe machte: „Wenn einer deiner Patienten zur Traumdeutung nichts zu sagen wüßte als: Das ist ein Unsinn, so würdest du er ihm verweisen und vermuten, daß sich hinter dem Traume eine unangenehme Geschichte versteckt, welche zur Kenntnis zu nehmen er sich ersparen will. Verfahre mit dir selbst ebenso; deine Meinung, der Traum sei ein Unsinn, bedeutet nur einen inneren Widerstand gegen die Traumdeutung. Laß dich nicht abhalten.“ Ich machte mich also an die Deutung.

§ 401

„R. ist mein Onkel.“ Was kann das heißen? Ich habe doch nur einen Onkel gehabt, den Onkel Josef.*) Mit dem war's allerdings eine traurige Geschichte. Er hatte sich einmal, es sind mehr als 30 Jahre her, in gewinnsüchtiger Absicht zu einer Handlung verleiten lassen, welche das Gesetz schwer bestraft, und wurde dann auch von der Strafe getroffen. Mein Vater, der damals aus Kummer in wenigen Tagen grau wurde, pflegte immer zu sagen, Onkel Josef sei nie ein schlechter Mensch gewesen, wohl aber ein Schwachkopf; so drückte er sich aus. Wenn also Freund R. mein Onkel Josef ist, so will ich damit sagen: R. ist ein Schwachkopf. Kaum glaublich und sehr unangenehm! Aber da ist ja jenes Gesicht, das ich im Traume sehe, mit den länglichen Zügen und dem gelben Barte. Mein Onkel hatte wirklich so ein Gesicht, länglich, von einem schönen blonden Barte umrahmt. Mein Freund B. war intensiv schwarz, aber wenn die Schwarzhaarigen zu ergrauen anfangen, so büßen sie für die Pracht ihrer Jugendjahre. Ihr schwarzer Bart macht Haar für Haar eine unerfreuliche Farbenwandlung durch; er wird zuerst rotbraun, dann gelbbraun, dann erst definitiv grau. In diesem Stadium befindet sich jetzt der Bart meines Freundes R.; übrigens auch schon der meinige, wie ich mit: Mißvergnügen bemerke. Das Gesicht, das ich im Trauma sehe, int gleichzeitig das meines Freundes R und das meines Onkels. Es ist wie eine Misch photographie von Galton, der, um Familienähnlichkeiten zu eruieren, mehrere Gesichter auf die nämliche Platte photographieren ließ. Es ist also kein Zweifel möglich, ich meine wirklich, daß mein Freund R. ein Schwachkopf ist — wie mein Onkel Josef.

*) Es ist merkwürdig, wie sich hier meine Erinnerung — im Wachen — für die Zwecke der Analyse einschränkt. Ich habe fünf von meinen Onkeln gekannt, einen von ihnen geliebt und geehrt. In dem Augenblicke aber, da ich den Widerstand gegen die Traumdeutung überwunden habe, sage ich mir: Ich habe doch nur einen Onkel gehabt, den, der eben im Trauma gemeint ist. § 402

Ich ahne noch gar nicht, zu welchem Zwecke ich diese Beziehung hergestellt, gegen die ich mich unausgesetzt sträuben muß. Sie ist doch nicht sehr tiefgehend, denn der Onkel war ein Verbrecher, mein Freund R. ist unbescholten. Etwa bis auf die Bestrafung dafür, daß er mit dem Rade einen Lehrbuben niedergeworfen. Sollte ich diese Untat meinen? Das hieße die Vergleichung ins Lächerliche ziehen. Da fällt mir aber ein anderes Gespräch ein, das ich vor einigen Tagen mit einem anderen Kollegen N., und zwar über das gleiche Thema hatte. Ich traf N. auf der Straße; er ist auch zum Professor vorgeschlagen, wußte von meiner Ehrung und gratulierte mir dazu. Ich lehnte entschieden ab. „Gerade Sie sollten sich den Scherz nicht machen, da Sie den Wert des Vorschlages an sich selbst erfahren haben.“ Er darauf, wahrscheinlich nicht ernsthaft: „Das kann man nicht wissen. Gegen mich liegt ja etwas Besonderes vor. Wissen Sie nicht, daß eine Person einmal eine gerichtliche Anzeige gegen mich erstattet hat? Ich brauche Ihnen nicht zu versichern, daß die Untersuchung eingestellt wurde; es war ein gemeiner Erpressungsversuch; ich hatte noch alle Mühe, die Anzeigerin selbst vor Bestrafung zu retten. Aber vielleicht macht man im Ministerium diese Angelegenheit gegen mich geltend, um mich nicht zu ernennen. Sie aber, Sie sind unbescholten.“ Da habe ich ja den Verbrecher, gleichzeitig aber auch die Deutung und Tendenz meines Traumes. Mein Onkel Josef stellt mir da beide nicht zu Professoren ernannte Kollegen dar, den einen als Schwachkopf, den anderen als Verbrecher. Ich weiß jetzt auch, wozu ich diese Darstellung brauche. Wenn für den Aufschub der Ernennung meiner Freunde R. und N. „konfessionelle“ Rücksichten maßgebend sind, so ist auch meine Ernennung in Frage gestellt; wenn ich aber die Zurückweisung der Beiden auf andere Gründe schieben kann, die mich nicht treffen, so bleibt mir die Hoffnung ungestört. So verfährt mein Traum, er macht den einen, R., zum Schwachkopf, den anderen, N., zum Verbrecher; ich bin aber weder das eine noch das andere; unsere Gemeinsamkeit ist aufgehoben, ich darf mich auf meine Ernennung zum Professor freuen, und bin der peinlichen Anwendung entgangen, die ich aus Rs. Nachricht, was ihm der hohe Beamte bekannt, für meine eigene Person hätte machen müssen.

§ 403

Ich muß mich mit der Deutung dieses Traumes noch weiter beschäftigen. Er ist für mein Gefühl noch nicht befriedigend erledigt, ich bin noch immer nicht über die Leichtigkeit beruhigt, mit der ich zwei geachtete Kollegen degradiere, um mir den Weg zur Professur frei zu halten. Meine Unzufriedenheit mit meinem Vorgehen hat sich allerdings bereits ermäßigt, seitdem ich den Wert der Aussagen im Traume zu würdigen weiß. Ich würde gegen jedermann bestreiten, daß ich R. wirklich für einen Schwachkopf halte, und daß ich an Ns. Darstellung jener Erpressungsaffäre nicht glaube. Ich glaube ja auch nicht, daß Irma durch eine Injektion Ottos mit einem Propylenpräparat gefährlich krank geworden ist; es ist hier wie dort nur mein Wunsch, daß es sich so verhalten möge, den mein Traum ausdrückt. Die Behauptung, in welcher sich mein Wunsch realisiert, klingt im zweiten Traume minder absurd als im ersten; sie ist hier mit geschickter Benützung tatsächlicher Anhaltungspunkte geformt, etwa wie eine gut gemachte Verleumdung, an der „etwas daran ist“, denn Freund R. hatte seinerzeit das Votum eines Fachprofessors gegen sich, und Freund N. hat mir das Material für die Anschwärzung arglos selbst geliefert. Dennoch, ich wiederhole es, scheint mir der Traum weiterer Aufklärung bedürftig.

§ 404

Ich entsinne mich jetzt, daß der Traum noch ein Stück enthielt, auf welches die Deutung bisher keine Rücksicht genommen hat. Nachdem mir eingefallen, R. ist mein Onkel, empfinde ich im Traume warme Zärtlichkeit für ihn. Wohin gehört diese Empfindung? Für meinen Onkel Josef habe ich zärtliche Gefühle natürlich niemals gehabt. Freund R. ist mir seit Jahren lieb und teuer; aber käme ich zu ihm und drückte ihm meine Zuneigung in Worten aus, die annähernd dem Grad meiner Zärtlichkeit im Traume entsprechen, so wäre er ohne Zweifel erstaunt. Meine Zärtlichkeit gegen ihn erscheint mir unwahr und übertrieben, ähnlich wie mein Urteil über seine geistigen Qualitäten, das ich durch die Verschmelzung seiner Persönlichkeit mit der des Onkels ausdrücke; aber in entgegengesetztem Sinne übertrieben. Nun dämmert mir aber ein neuer Sachverhalt. Die Zärtlichkeit des Traumes gehört nicht zum latenten Inhalt, zu den Gedanken hinter dem Traume; sie steht im Gegensatze zu diesem Inhalt; sie ist geeignet, mir die Kenntnis der Traumdeutung zu verdecken. Wahrscheinlich ist gerade dies ihre Bestimmung. Ich erinnere mich, mit welchem Widerstand ich an die Traumdeutung ging, wie lange ich sie aufschieben wollte und den Traum für baren Unsinn erklärte. Von meinen psychoanalytischen Behandlungen her weiß ich, wie ein solches Verwerfungsurteil zu deuten ist. Es hat keinen Erkenntniswert, sondern bloß den einer Affektäußerung. Wenn meine kleine Tochter einen Apfel nicht mag, den man ihr angeboten hat, so behauptet sie, der Apfel schmeckt bitter, ohne ihn auch nur gekostet zu haben. Wenn meine Patienten sich so benehmen wie die Kleine, so weiß ich, daß es sich bei ihnen um eine Vorstellung handelt, welche sie verdrängen wollen. Dasselbe gilt für meinen Traum. Ich mag ihn nicht deuten, weil die Deutung etwas enthält, wogegen ich mich sträube. Nach vollzogener Traumdeutung erfahre ich, wogegen ich mich gesträubt hatte; es war die Behauptung, daß R. ein Schwachkopf ist. Die Zärtlichkeit, die ich gegen R. empfinde, kann ich nicht auf die latenten Traumgedanken, wohl aber auf dies mein Sträuben zurückführen. Wenn mein Traum im Vergleiche zu seinem latenten Inhalt in diesem Punkte entsteht, und zwar ins Gegensätzliche entstellt ist, so dient die im Traume manifeste Zärtlichkeit dieser Entstellung oder, mit anderen Worten, die Entstellung erweist sich hier als absichtlich, als ein Mittel der Verstellung. Meine Traumgedanken enthalten eine Schmähung für R.; damit ich diese nicht merke, gelangt in den Traum das Gegenteil, ein zärtliches Empfinden für ihn.

§ 405

Es könnte dies eine allgemein gültige Erkenntnis sein. Wie die Beispiele in Abschnitt III gezeigt haben, gibt es ja Träume, welche unverhüllte Wunscherfüllungen sind. Wo die Wunscherfüllung unkenntlich, verkleidet ist, da müßte eine Tendenz zur Abwehr gegen diesen Wunsch vorhanden sein, und infolge dieser Abwehr könnte der Wunsch sich nicht anders als entstellt zum Ausdruck, bringen. Ich will zu diesem Vorkommnis aus dem psychischen Binnenleben das Seitenstück aus dem sozialen Leben suchen. Wo findet man im sozialen Leben eine ähnliche Entstellung eines psychischen Aktes? Nur dort, wo es sich um zwei Personen handelt, von denen die eine eine gewisse Macht besitzt, die zweite wegen dieser Macht eine Rücksicht zu nehmen hat. Diese zweite Person entstellt dann ihre psychischen Akte oder, wie wir auch sagen können, sie verstellt sich. Die Höflichkeit, die ich alle Tage übe, ist zum guten Teile eine solche Verstellung; wenn ich meine Träume für den Leser deute, bin ich zu solchen Entstellungen genötigt. Uber den Zwang zu solcher Entstellung klagt auch der Dichter:

§ 406

"Das Beste, was du wissen kannst, darfst du den Buben doch nicht sagen" .“

§ 407

In ähnlicher Lage befindet sich der politische Schriftsteller, der den Machthabern unangenehme Wahrheiten zu sagen hat. Wenn er sie unverhohlen sagt, wird der Machthaber seine Äußerung unterdrücken, nachträglich, wenn es sich um mündliche Äußerung handelt, präventiv, wenn sie auf dem Wege des Drucks kundgegeben werden soll. Der Schriftsteller hat die Zensur zu fürchten, er ermäßigt und entstellt darum den Ausdruck seiner Meinung. Je nach der Stärke und Empfindlichkeit dieser Zensur sieht er sich genötigt, entweder bloß gewisse Formen des Angriffs einzuhalten oder in Anspielungen anstatt in direkten Bezeichnungen zu reden oder er muß seine anstößige Mitteilung hinter einer harmlos erscheinenden Verkleidung verbergen, er darf z. B. von Vorfällen zwischen zwei Mandarinen im Reiche der Mitte erzählen, während er die Beamten des Vaterlandes im Auge hat. Je strenger die Zensur waltet, desto weitgehender wird die Verkleidung, desto witziger oft die Mittel, welche den Leser doch auf die Spur der eigentlichen Bedeutung leiten.

§ 408

Die bis ins einzelne durchzuführende Übereinstimmung zwischen den Phänomenen der Zensur und denen der Traumentstellung gibt uns die Berechtigung, ähnliche Bedingungen für beide vorauszusetzen. Wir würden also als die Urheber der Traumgestaltung zwei psychische Mächte (Strömungen, Systeme) im Einzelmenschen annehmen, von denen die eine den durch den Traum zum Ausdruck gebrachten Wunsch bildet, während die andere eine Zensur an diesem Traumwunsche übt und durch diese Zensur eine Entstellung seiner Äußerung erzwingt. Es fragt sich nur, worin die Machtbefugnis dieser zweiten Instanz besteht, kraft deren sie ihre Zensur ausüben darf. Wenn wir uns erinnern, daß die latenten Traumgedanken vor der Analyse nicht bewußt sind, der von ihnen ausgehende manifeste Trauminhalt aber als bewußt erinnert wird, so liegt die Annahme nicht fern, das Vorrecht der zweiten Instanz sei eben die Zulassung zum Bewußtsein. Aus dem ersten System könne nichts zum Bewußtsein gelangen, was nicht vorher die zweite Instanz passiert habe, und die zweite Instanz lasse nichts passieren, ohne ihre Rechte auszuüben und die ihr genehmen Abänderungen am Bewußtseinswerber durchzusetzen. Wir verraten dabei eine ganz bestimmte Auffassung vom „Wesen“ des Bewußtseins; das Bewußtwerden ist für uns ein besonderer psychischer Akt, verschieden und unabhängig von dem Vorgang des Gesetzt- oder Vorgestelltwerdens, und das Bewußtsein erscheint uns als ein Sinnesorgan, welches einen anderwärts gegebenen Inhalt wahrnimmt. Es läßt sich zeigen, daß die Psychopathologie dieser Grundannahmen schlechterdings nicht entraten kann. Eine eingehendere Würdigung derselben dürfen wir uns für eine spätere Stelle vorbehalten.

§ 409

Wenn ich die Vorstellung der beiden psychischen Instanzen und ihrer Beziehungen zum Bewußtsein festhalte, ergibt sich für die auffällige Zärtlichkeit, die ich im Traume für meinen Freund R. empfinde, der in der Traumdeutung so herabgesetzt wird, eine völlig kongruente Analogie aus dem politischen Leben der Menschen. Ich versetze mich in ein Staatsleben, in welchem ein auf seine Macht eifersüchtiger Herrscher und eine rege öffentliche Meinung miteinander ringen. Das Volk empöre sich gegen einen ihm mißliebigen Beamten und verlange dessen Entlassung; um nicht zu zeigen, daß er dem Volkswillen Rechnung tragen muß, wird der Selbstherrscher dem Beamten gerade dann eine hohe Auszeichnung verleihen, zu der sonst kein Anlaß vorläge. So zeichnet meine zweite, den Zugang zum Bewußtsein beherrschende Instanz Freund R. durch einen Erguß von übergroßer Zärtlichkeit aus, weil die Wunschbestrebungen des ersten Systems ihn in einem besonderen Interesse, dem sie gerade nachhängen, als einen Schwachkopf beschimpfen möchten.

§ 410

Vielleicht werden wir hier von der Ahnung erfaßt, daß die Traumdeutung im stande sei, uns Aufschlüsse über den Bau unseres seelischen Apparats zu geben, welche wir von der Philo sophie bisher vergebens erwartet haben. Wir folgen aber nicht dieser Spur, sondern kehren, nachdem wir die Traumentstellung aufgeklärt haben, zu unserem Ausgangsproblem zurück. Es wurde gefragt, wie denn die Träume mit peinlichem Inhalt als Wunscherfüllungen aufgelöst werden können. Wir sehen nun, dies ist möglich, wenn eine Traumentstellung stattgefunden hat, wenn der peinliche Inhalt nur zur Verkleidung eines erwünschten dient. Mit Rücksicht auf unsere Annahmen über die zwei psychischen Instanzen können wir jetzt auch sagen: die peinlichen Träume enthalten tatsächlich etwas, was der zweiten Instanz peinlich ist, was aber gleichzeitig einen Wunsch der ersten Instanz erfüllt. Sie sind insofern Wunschträume, als ja jeder Traum von der ersten Instanz ausgeht, die zweite sich nur abwehrend, nicht schöpferisch gegen den Traum verhält. Beschränken wir uns auf eine Würdigung dessen, was die zweite Instanz zum Traume beiträgt, so können wir den Traum niemals verstehen. Es bleiben dann alle Rätsel bestehen, welche von den Autoren am Traum bemerkt worden sind.

§ 411

Daß der Traum wirklich einen geheimen Sinn hat, der eine Wunscherfüllung ergibt, muß wiederum für jeden Fall durch die Analyse erwiesen werden. Ich greife darum einige Träume peinlichen Inhalts heraus und versuche deren Analyse. Es sind zum Teil Träume von Hysterikern, die einen langen Vorbericht und stellenweise ein Eindringen in die psychischen Vorgänge bei der Hysterie erfordern. Ich kann dieser Erschwerung der Darstellung aber nicht aus dem Wege gehen.

§ 412

Wenn ich einen Psychoneurotiker in analytische Behandlung nehme, werden seine Träume regelmäßig, wie bereits erwähnt, zum Thema unserer Besprechungen. Ich muß ihm dabei alle die psychologischen Aufklärungen geben, mit deren Hilfe ich selbst zum Verständnis seiner Symptome gelangt bin, und erfahre dabei eine unerbittliche Kritik, wie ich sie von den Fachgenossen wohl nicht schärfer zu erwarten habe. Ganz rechtmäßig erhebt sich der Widerspruch meiner Patienten gegen den Satz, daß die Träume sämtlich Wunscherfüllungen seien. Hier einige Beispiele von dem Material an Träumen, welche mir als Gegenbeweise vorgehalten werden.

§ 413

„Sie sagen immer, der Traum ist ein erfüllter Wunsch,“ beginnt eine witzige Patientin. „Nun will ich Ihnen einen Traum erzählen, dessen Inhalt ganz im Gegenteil dahin geht, daß mir ein Wunsch nicht erfüllt wird. Wie vereinen Sie das mit Ihrer Theorie? Der Traum lautet wie folgt:

§ 414

Ich will ein Souper geben, habe aber nichts vorrätig als etwas geräucherten Lachs. Ich denke daran, einkaufen zu gehen, erinnere mich aber, daß es Sonntag Nachmittag ist, wo alle Laden gesperrt sind. Ich will nun einigen Lieferanten telephonieren, aber das Telephon ist gestört. So muß ich auf den Wunsch, ein Souper zu geben, verzichten.“

§ 415

Ich antworte natürlich, daß über den Sinn dieses Traumes nur die Analyse entscheiden kann, wenngleich ich zugebe, daß er für den ersten Anblick vernünftig und zusammenhängend erscheint und dem Gegenteil einer Wunscherfüllung ähnlich sieht. „Aus welchem Material ist aber dieser Traum hervorgegangen? Sie wissen, daß die Anregung zu einem Traume jedesmal in den Erlebnissen des letzten Tages liegt.“

§ 416

Analyse: Der Mann der Patientin, ein biederer und tüchtiger Großfleischhauer, hat ihr tags vorher erklärt, er werde zu dick und wolle darum eine Entfettungskur beginnen. Er werde Früh aufstehen, Bewegung machen, strenge Diät halten, und vor allem keine Einladungen zu Soupers mehr annehmen. — Von dem Manne erzählt sie lachend weiter, er habe am Stammtisch die Bekanntschaft eines Malers gemacht, der ihn durchaus abkonterfeien wolle, weil er einen so ausdrucksvollen Kopf noch nicht gefunden habe. Ihr Mann habe aber in seiner derben Manier erwidert, er bedanke sich schön und er sei ganz überzeugt, ein Stück vom Hintern eines schönen jungen Mädchens sei dem Maler lieber als sein ganzes Gesicht.*)*) Sie sei jetzt sehr verliebt in ihren Mann und necke sich mit ihm herum. Sie hat ihn auch gebeten, ihr keinen Kaviar zu schenken. — Was soll das heißen?

§ 417

Sie wünscht es sich nämlich schon lange jeden Vormittag eine Kaviarsemmel essen zu können, gönnt sich aber die Ausgabe nicht. Natürlich bekäme sie den Kaviar sofort von ihrem Manne, wenn sie ihn darum bitten würde. Aber sie hat ihn im Gegenteil gebeten, ihr keinen Kaviar zu schenken, damit sie ihn länger damit necken kann.

§ 418

(Diese Begründung erscheint mir fadenscheinig. Hinter solchen unbefriedigenden Auskünften pflegen sich uneingestandene Motive zu verbergen. Man denke an die Hypnotisierten Bernheims, die einen posthypnotischen Auftrag ausführen, und, nach ihren Motiven befragt, nicht etwa antworten: Ich weiß nicht, warum ich das getan habe, sondern eine offenbar unzureichende Begründung erfinden müssen. So ähnlich wird es wohl mit dem Kaviar meiner Patientin sein. Ich merke, sie ist genötigt, sich im Leben einen unerfüllten Wunsch zu schaffen. Ihr Traum zeigt ihr auch die Wunschverweigerung als eingetroffen. Wozu braucht sie aber einen unerfüllten Wunsch ?)

§ 419

Die bisherigen Einfälle haben zur Deutung des Traumes nicht ausgereicht. Ich dringe nach weiteren. Nach einer kurzen Pause, wie sie eben der Überwindung eines Widerstandes entspricht, berichtet sie ferner, daß sie gestern einen Besuch bei einer Freundin gemacht, auf die sie eigentlich eifersüchtig ist, weil ihr Mann diese Frau immer so lobt. Zum Glück ist diese Freundin sehr dürr und mager und ihr Mann ist ein Liebhaber voller Körperformen. Wovon sprach nun diese magere Freundin? Natürlich von ihrem Wunsche, etwas stärker zu werden. Sie fragte sie auch: „Wann laden Sie uns wieder einmal ein? Man ißt immer so gut bei Ihnen.“

*) Dem Maler sitzen. Goethe: Und wenn er keinen Hintern hat, Wie kann der Edle sitzen? § 420

Nun ist der Sinn des Traumes klar. Ich kann der Patientin sagen: „Es ist gerade so, als ob Sie sich bei der Aufforderung gedacht hätten: Dich werde ich natürlich einladen, damit du dich bei mir anessen, dick werden und meinem Manne noch besser gefallen kannst. Lieber geb' ich kein Souper mehr. Der Traum sagt Ihnen dann, daß Sie kein Souper geben können, erfüllt also Ihren Wunsch, zur Abrundung der Körperformen Ihrer Freundin nichts beizutragen. Daß man von den Dingen, die man in Gesellschaften vorgesetzt bekommt, dick wird, lehrt Sie ja der Vorsatz Ihres Mannes, im Interesse seiner Entfettung Soupereinladungen nicht mehr anzunehmen.“ Es fehlt jetzt nur noch irgend ein Zusammentreffen, welches die Lösung bestätigt. Es ist auch der geräucherte Lachs im Trauminhalt noch nicht abgeleitet. „Wie kommen Sie zu dem im Traume erwähnten Lachs?“ „Geräucherter Lachs ist die Lieblingsspeise dieser Freundin,“ antwortet sie. Zufällig kenne ich die Dame auch und kann bestätigen, daß sie sich den Lachs ebensowenig vergönnt wie meine Patientin den Kaviar.

§ 421

Derselbe Traum läßt auch noch eine andere und feinere Deutung zu, die durch einen Nebenumstand selbst notwendig gemacht wird. Die beiden Deutungen widersprechen einander nicht, sondern überdecken einander und ergeben ein schönes Beispiel für die gewöhnliche Doppelsinnigkeit der Träume wie aller anderen psychopathologischen Bildungen. Wir haben gehört, daß die Patientin gleichzeitig mit ihrem Traume von der Wunschverweigerung bemüht war, sich einen versagten Wunsch im Realen zu verschaffen (die Kaviarsemmel). Auch die Freundin hatte einen Wunsch geäußert, nämlich dicker zu werden, und es würde uns nicht wundern, wenn unsere Dame träumt hätte, der Freundin gehe ein Wunsch nicht in Erfüllung. Es ist nämlich ihr eigener Wunsch, daß der Freundin ein Wunsch — nämlich der nach Körperzunahme — nicht in Erfüllung gehe. Anstatt dessen träumt sie aber, daß ihr selbst ein Wunsch nicht erfüllt wird. Der Traum erhält eine neue Deutung, wenn sie im Traume nicht sich, sondern die Freundin meint, wenn sie sich an Stelle der Freundin gesetzt oder, wie wir sägen können, sich mit ihr identifiziert hat.

§ 422

Ich meine, dies hat sie wirklich getan, und als Anzeichen dieser Identifizierung hat sie sich den versagten Wunsch im Realen geschaffen. Was hat aber die hysterische Identifizierung für Sinn? Das aufzuklären bedarf einer eingehenderen Darstellung. Die Iden

§ 423

tifizierung ist ein für den Mechanismus der hysterischen Symptome höchst wichtiges Moment; auf diesem Wege bringen es die Kranken zu stande, die Erlebnisse einer großen Reihe von Personen, nicht nur die eigenen, in ihren Symptomen auszudrücken, gleichsam für einen ganzen Menschenhaufen zu leiden und alle Rollen eines Schauspiels allein mit ihren persönlichen Mitteln darzustellen. Man wird mir einwenden, das sei die bekannte hysterische Imitation, die Fähigkeit Hysterischer, alle Symptome, die ihnen bei anderen Eindruck machen, nachzuahmen, gleichsam ein zur Reproduktion gesteigertes Mitleiden. Damit ist aber nur der Weg bezeichnet, auf dem der psychische Vorgang bei der hysterischen Imitation abläuft; etwas anderes ist der Weg, und der seelische Akt, der diesen Weg geht. Letzterer ist um ein Geringes komplizierter, als man sich die Imitation der Hysterischen vorzustellen liebt; er entspricht einem unbewußten Schlußprozeß, wie ein Beispiel klarstellen wird. Der Arzt, welcher eine Kranke mit einer bestimmten Art von Zuckungen unter anderen Kranken auf demselben Zimmer im Krankenhause hat, zeigt sich nicht erstaunt, wenn er eines Morgens erfährt, daß dieser besondere hysterische Anfall Nachahmung gefunden hat. Er sagt sich einfach: Die anderen haben ihn gesehen und nachgemacht; das ist psychische Infektion. Ja, aber die psychische Infektion geht etwa auf folgende Weise zu. Die Kranken wissen in der Regel mehr voneinander als der Arzt über jede von ihnen, und sie kümmern sich um einander, wenn die ärztliche Visite vorüber ist. Die eine bekomme heute ihren Anfall; es wird alsbald den anderen bekannt, daß ein Brief von Hause, Auffrischung des Liebeskummers und dergleichen davon die Ursache ist. Ihr Mitgefühl wird rege, es vollzieht sich in ihnen folgender, nicht zum Bewußtsein gelangender Schluß: Wenn man von solcher Ursache solche Anfälle haben kann, so kann ich auch solche Anfälle bekommen, denn ich habe dieselben Anlässe. Wäre dies ein des Bewußtseins fähiger Schluß, so würde er vielleicht in die Angst ausmünden, den gleichen Anfall zu bekommen; er vollzieht sich aber auf einem anderen psychischen Terrain, endet daher in der Realisierung des gefürchteten Symptoms. Die Identifizierung ist also nicht simple Imitation, sondern Aneignung auf Grund des gleichen ätiologischen Anspruches; sie drückt ein „gleichwie“ aus und bezieht sich auf ein im Unbewußten verbleibendes Gemeinsames.

§ 424

Die Identifizierung wird in der Hysterie am häufigsten benützt zum Ausdruck einer sexuellen Gemeinsamkeit. Die Hysterica identifiziert sich in ihren Symptomen am ehesten — wenn auch nicht ausschließlich — mit solchen Personen, mit denen sie im sexuellen Verkehre gestanden hat, oder welche mit den nämlichen Personen wie sie selbst sexuell verkehren. Die Sprache trägt einer solchen Auffassung gleichfalls Rechnung. Zwei Liebende sind „Eines“. In der hysterischen Phantasie wie im Traume genügt es für die Identifizierung, daß man an sexuelle Beziehungen denkt, ohne daß sie darum als real gelten müssen. Die Patientin folgt also bloß den Regeln der hysterischen Denkvorgänge, wenn sie ihrer Eifersucht gegen die Freundin (die sie als unberechtigt übrigens selbst erkennt) Ausdruck gibt, indem sie sich im Traume an ihre Stelle setzt und durch die Schaffung eines Symptoms (des versagten Wunsches) mit ihr identifiziert. Man möchte den Vorgang noch sprachlich in folgender Weise erläutern: Sie setzt sich an die Stelle der Freundin im Traum, weil diese sich bei ihrem Manne an ihre Stelle setzt, weil sie deren Platz in der Wertschätzung ihres Mannes einnehmen möchte.*)*)

§ 425

In einfacherer Weise und doch auch nach dem Schema, daß die Nichterfüllung des einen Wunsches die Erfüllung eines anderen bedeutet, löste sich der Widerspruch gegen meine Traumlehre bei einer anderen Patientin, der witzigsten unter all meinen Träumerinnen. Ich hatte ihr an einem Tage auseinandergesetzt, daß der Traum eine Wunscherfüllung sei; am nächsten Tag brachte sie mir einen Traum, daß sie mit ihrer Schwiegermutter nach dem gemeinsamen Landaufenthalt fahre. Nun wußte ich, daß sie sich heftig gesträubt hatte, den Sommer in der Nähe der Schwiegermutter zu verbringen, wußte auch, daß sie der von ihr gefürchteten Gemeinschaft in den letzten Tagen durch die Miete eines vom Sitze der Schwiegermutter weit entfernten Landaufenthalts glücklich ausgewichen war. Jetzt machte der Traum diese erwünschte Lösung rückgängig; war das nicht der schärfste Gegensatz zu meiner Lehre von der Wunscherfüllung durch den Traum? Gewiß, man brauchte nur die Konsequenz aus diesem Traum zu ziehen, um seine Deutung zu haben. Nach diesem Traume hatte ich Unrecht; es war also ihr Wunsch, daß ich Unrecht haben sollte, und diesen zeigte ihr der Traum erfüllt. Der Wunsch, daß ich Unrecht haben sollte, der sich an dem Thema der Landwohnung erfüllte, bezog sich aber in Wirklichkeit auf einen anderen und ernsteren Gegenstand. Ich hatte um die nämliche Zeit aus dem Material, welches ihre Analyse ergab, geschlossen, daß in einer gewissen Periode ihres Lebens etwas für ihre Erkrankung Bedeutsames vorgefallen sein müsse. Sie hatte es in Abrede gestellt, weil es sich nicht in ihrer Erinnerung vorfand. Wir kamen bald darauf, daß ich Recht hatte. Ihr Wunsch, daß ich Unrecht haben möge, verwandelt in den Traum, daß sie mit ihrer Schwiegermutter aufs Land fahre, entsprach also dem berechtigten Wunsche, daß jene damals erst vermuteten Dinge sich nie ereignet haben möchten.

§ 426

Ohne Analyse, nur vermittelst einer Vermutung, gestattete ich mir, ein kleines Vorkommnis bei einem Freunde zu deuten, der durch die acht Gymnasialklassen mein Kollege gewesen war. Er hörte einmal in einem kleinen Kreise einen Vortrag von mir über die Neuigkeit, daß der Traum eine Wunscherfüllung sei, ging nach Hause, träumte, daß er alle seine Prozesse verloren habe — er war Advokat — und beklagte sich bei mir darüber. Ich half mir mit der Ausflucht: Man kann nicht alle Prozesse gewinnen, dachte aber bei mir: Wenn ich durch acht Jahre als Primus in der ersten Bank gesessen, während er irgendwo in der Mitte der Klasse den Platz gewechselt, sollte ihm aus diesen Knabenjahren der Wunsch fern geblieben sein, daß ich mich auch einmal gründlich blamieren möge?

*) Ich bedauere selbst die Einschaltung solcher Stücke aus der Psychopathologie der Hysterie, welche, infolge ihrer fragmentarischen Darstellung und aus allem Zusammenhang gerissen, doch nicht sehr aufklärend wirken können. Wenn sie auf die innigen Beziehungen des Themas vom Traume zu den Psychoneurosen hinzuweisen vermögen, so haben sie die Absicht erfüllt, in der ich sie aufgenommen habe. § 427

Ein anderer Traum von mehr düsterem Charakter wurde mir gleichfalls von einer Patientin als Einspruch gegen die Theorie des Wunschtraumes vorgetragen. Die Patientin, ein junges Mädchen, begann: Sie erinnern sich, daß meine Schwester jetzt nur einen Buben hat, den Karl; den älteren, Otto, hat sie verloren, als ich noch in ihrem Hause war. Otto war mein Liebling, ich habe ihn eigentlich erzogen. Den Kleinen habe ich auch gern, aber natürlich lange nicht so sehr wie den Verstorbenen. Nun träume ich diese Nacht, daß ich den Karl tot vor mir liegen sehe. Er liegt in seinem kleinen Sarge, die Hände gefaltet, Kerzen rings herum, kurz ganz so wie damals der kleine Otto, dessen Tod mich so erschüttert hat. Nun sagen Sie mir, was soll das heißen? Sie kennen mich ja; bin ich eine so schlechte Person, daß ich meiner Schwester den Verlust des einzigen Kindes wünschen sollte, das sie noch besitzt? Oder heißt der Traum, daß ich lieber den Karl tot wünschte als den Otto, den ich um so viel lieber gehabt habe?

§ 428

Ich versicherte ihr, daß diese letzte Deutung ausgeschlossen sei. Nach kurzem Besinnen konnte ich ihr die richtige Deutung des Traumes sagen, die ich dann von ihr bestätigen ließ. Es gelang mir dies, weil mir die ganze Vorgeschichte der Träumerin bekannt war.

§ 429

Frühzeitig verwaist, war das Mädchen im Hause ihrer um vieles älteren Schwester aufgezogen werden und begegnete unter den Freunden und Besuchern des Hauses auch dem Manne, der einen bleibenden Eindruck auf ihr Herz machte. Es schien eine Weile, als ob diese kaum ausgesprochenen Beziehungen mit einer Heirat enden sollten, aber dieser glückliche Ausgang wurde durch die Schwester vereitelt, deren Motive nie eine völlige Aufklärung gefunden haben. Nach dem Bruche mied der von unserer Patientin geliebte Mann das Haus; sie selbst machte sich einige Zeit nach dem Tode des kleinen Otto, an den sie ihre Zärtlichkeit unterdessen gewendet hatte, selbständig. Es gelang ihr aber nicht, sich von der Abhängigkeit frei zu machen, in welche sie durch ihre Neigung zu dem Freunde ihrer Schwester geraten war. Ihr Stolz gebot ihr, ihm auszuweichen; es war ihr aber unmöglich, ihre Liebe auf andere Bewerber zu übertragen, die sich in der Folge einstellten. Wenn

§ 430

der geliebte Mann, der dem Literatenstand angehörte, irgendwo einen Vortrag angekündigt hatte, war sie unfehlbar unter den Zuhörern zu finden, und auch sonst ergriff sie jede Gelegenheit, ihn am dritten Orte aus der Ferne zu sehen. Ich erinnerte mich, daß sie mir Tags vorher erzählt hatte, der Professor ginge in ein bestimmtes Konzert, und sie wolle auch dorthin gehen, um sich wieder einmal seines Anblickes zu erfreuen. Das war am Tag vor dem Traume: an dem Tage, an dem sie mir den Traum erzählte, sollte das Konzert stattfinden. Ich konnte mir so die richtige Deutung leicht konstruieren und fragte sie, ob ihr irgend ein Ereignis einfalle, das nach dem Tode des kleinen Otto eingetreten sei. Sie antwortete sofort: Gewiß, damals ist der Professor nach langem Ausbleiben wiedergekommen, und ich habe ihn an dem Sarge des kleinen Otto wieder einmal gesehen. Es war genau so, wie ich es erwartet hatte. Ich deutete also den Traum in folgender Art: „Wenn jetzt der andere Knabe stürbe, würde sich dasselbe wiederholen. Sie würden den Tag bei Ihrer Schwester zubringen, der Professor käme sicherlich hinauf, um zu kondolieren, und unter den nämlichen Verhältnissen wie damals würden Sie ihn wiedersehen. Der Traum bedeutet nichts als diesen Ihren Wunsch nach Wiedersehen, gegen den Sie innerlich ankämpfen. Ich weiß, daß Sie das Billet für das heutige Konzert in der Tasche tragen. Ihr Traum ist ein Ungeduldstraum, er hat das Wiedersehen, das heute stattfinden soll, um einige Stunden verfrüht.“

§ 431

Zur Verdeckung ihres Wunsches hatte sie offenbar eine Situation gewählt, in welcher solche Wünsche unterdrückt zu werden pflegen, eine Situation, in der man von Trauer so sehr erfüllt ist, daß man an Liebe nicht denkt. Und doch ist es sehr gut möglich, daß auch in der realen Situation, welche der Traum getreulich kopierte, am Sarge des ersten, von ihr stärker geliebten Knaben sie die zärtliche Empfindung für den lange vermißten Besucher nicht hatte unterdrücken können.

§ 432

Eine andere Aufklärung fand ein ähnlicher Traum einer anderen Patientin, die sich in früheren Jahren durch raschen Witz und heitere Laune hervorgetan hatte und diese Eigenschaften jetzt wenigstens noch in ihren Einfällen während der Behandlung bewies. Dieser Dame kam es im Zusammenhange eines längeren Traumes vor, daß sie ihre einzige, 15jährige Tochter in einer Schachtel tot daliegen sah. Sie hatte nicht übel Lust, aus dieser Traumerscheinung einen Einwand gegen die Wunscherfüllungstheorie zu machen, ahnte aber selbst, daß das Detail der Schachtel den Weg zu einer anderen Auffassung des Traumes anzeigen müsse.*)*) Bei der Analyse fiel ihr ein, daß in der Gesellschaft Abends vorher die Rede auf das englische Wort „box“ gekommen war und auf die mannigfaltigen Übersetzungen desselben im Deutschen, als: Schachtel, Loge, Kasten, Ohrfeige u. s. w. Aus anderen Bestand stücken desselben Traumes ließ sich nun ergänzen, daß sie die Verwandtschaft des englischen „box“ mit dem deutschen „Büchse“ erraten habe und dann von der Erinnerung heimgesucht worden sei, daß „Büchse“ auch als vulgäre Bezeichnung des weiblichen Genitales gebraucht werde. Mit einiger Nachsicht für ihre Kenntnisse in der topographischen Anatomie konnte man also annehmen, daß das Kind in der „Schachtel“ eine Frucht im Mutterleibe bedeute. Soweit aufgeklärt, leugnete sie nun nicht, daß das Traumbild wirklich einem Wunsche von ihr entspreche. Wie so viele junge Frauen war sie keineswegs glücklich, als sie in die Gravidität geriet, und gestand sich mehr als einmal den Wunsch ein, daß ihr das Kind im Mutterleibe absterben möge; ja in einem Wutanfalle nach einer heftigen Szene mit ihrem Manne schlug sie mit den Fäusten auf ihren Leib los, um das Kind darin zu treffen. Das tote Kind war also wirklich eine Wunscherfüllung, aber die eines seit 15 Jahren beseitigten Wunsches, und es ist nicht zu verwundern, wenn man die Wunscherfüllung nach so verspätetem Eintreffen nicht mehr erkennt. Unterdessen hat sich eben zu viel geändert.

*) Ähnlich wie im Traume vom vereitelten Souper der geräucherte Lachs. § 433

Die Gruppe, zu welcher die beiden letzten Träume gehören, die den Tod lieber Angehöriger zum Inhalt haben, soll bei den typischen Träumen nochmals Berücksichtigung finden. Ich werde dort an neuen Beispielen zeigen können, daß trotz des unerwünschten Inhalts alle diese Träume als Wunscherfülllungen gedeutet werden müssen. Keinem Patienten, sondern einem intelligenten Rechtsgelehrten meiner Bekanntschaft, verdanke ich folgenden Traum, der mir wiederum in der Absicht erzählt wurde, mich von voreiliger Verallgemeinerung in der Lehre vom Wunschtraume zurückzuhalten. „Ich träume,“ berichtet mein Gewährsmann, „daß ich, eine Dame am Arm, vor mein Haus komme. Dort wartet ein geschlossener Wagen, ein Herr tritt auf mich zu, legitimiert sich als Polizeiagent und fordert mich auf, ihm zu folgen. Ich bitte nur noch um die Zeit, meine Angelgenheiten zu ordnen. — Glauben Sie, daß es vielleicht ein Wunsch von mir ist, verhaftet zu werden?“ Gewiß nicht, muß ich zugeben. Wissen Sie vielleicht, unter welcher Beschuldigung Sie verhaftet wurden. — „Ja, ich glaube wegen Kindesmordes.“ — Kindesmord? Sie wissen doch, daß dieses Verbrechen nur eine Mutter an ihrem Neugeborenen begehen kann ? — „Das ist richtig.“ *)*) Und unter welchen Umständen haben Sie geträumt; was ist am Abend vorher vorgegangen? „Das möchte ich Ihnen nicht gern erzählen, es ist eine heikle Angelegenheit.“ — Ich brauche es aber, sonst müssen wir auf die Deutung des Traumes verzichten. — „Also hören Sie. Ich habe die Nacht nicht zu Hause, sondern bei einer

*) Es ereignet sich häufig, daß ein Traum unvollständig erzählt wird, und daß erst während der Analyse die Erinnerung an diese ausgelassenen Stücke des Traumes auftaucht. Diese nachträglich eingefügten Stücke ergeben regelmäßig den Schlüssel zur Traumdeutung. Vergleiche weiter unten über das Vergessen der Träume. § 434

Dame zugebracht, die mir sehr viel bedeutet. Als wir am Morgen erwachten, ging neuerdings etwas zwischen uns vor. Dann schlief ich wiederum ein und träumte, was Sie wissen.“ — Es ist eine verheiratete Frau? „Ja.“ — Und sie wollen kein Kind mit ihr erzeugen? — „Nein, nein, das konnte uns verraten.“ — Sie üben also nicht normalen Koitus? — „Ich gebrauche die Vorsicht, mich vor der Ejakulation zurückzuziehen.“ — Darf ich annehmen, Sie hätten das Kunststück in dieser Nacht mehreremal ausgeführt, und seien nach der Wiederholung am Morgen ein wenig unsicher gewesen, ob es Ihnen gelungen ist? — „Das könnte wohl sein.“ — Dann ist Ihr Traum eine Wunscherfüllung. Sie erhalten durch ihn die Beruhigung, daß Sie kein Kind erzeugt haben, oder was nahezu das gleiche ist, Sie hatten ein Kind umgebracht. Die Mittelglieder kann ich ihnen leicht nachweisen. Erinnern Sie sich, vor einigen Tagen sprachen wir über die Ehenot und über die Inkonsequenz, daß es gestattet ist, den Koitus so zu halten, daß keine Befruchtung zu stande kommt während jeder Eingriff, wenn einmal Ei und Same sich getroffen und einen Fötus gebildet haben, als Verbrechen bestraft wird. Im Anschluß daran gedachten wir auch der mittelalterlichen Streitfrage, in welchem Zeitpunkte eigentlich die Seele in den Fötus hineinfahre, weil der Begriff des Mordes erst von da an zulässig wird. Sie kennen gewiß auch das schaurige Gedicht von Lenau, welches Kindermord und Kinderverhütung gleichstellt. — „An Lenau habe ich merkwürdigerweise heute Vormittag wie zufällig gedacht.“ — Auch ein Nachklang Ihres Traumes. Und nun will ich Ihnen noch eine kleine Nebenwunscherfüllung in Ihrem Traume nachweisen. Sie kommen mit der Dame am Arm vor ihr Haus. Sie führen Sie also heim, anstatt daß Sie in Wirklichkeit die Nacht in deren Hause zubringen. Daß die Wunscherfüllung, die den Kern des Traumes bildet, sich in so unangenehmer Form verbirgt, hat vielleicht mehr als einen Grund. Aus meinem Aufsatze über die Ätiologie der Angstneurose könnten Sie erfahren, daß ich den Coitus interruptus als eines der ursächlichen Momente für die Entstehung der neurotischen Angst in Anspruch nehme. Es würde dazu stimmen, wenn Ihnen nach mehrmaligem Koitus dieser Art eine unbehagliche Stimmung verbliebe, die nun als Element in die Zusammensetzung Ihres Traumes eingeht. Dieser Verstimmung bedienen Sie sich auch, um sich die Wunscherfüllung zu verhüllen. Übrigens ist auch die Erwähnung des Kindesmordes nicht erklärt. Wie kommen Sie zu diesem spezifisch weiblichen Verbrechen? — „Ich will Ihnen gestehen, daß ich vor Jahren einmal in eine solche Angelegenheit verflochten war. Ich war schuld daran, daß ein Mädchen sich durch eine Fruchtabtreibung von den Folgen eines Verhältnisses mit mir zu schützen versuchte. Ich hatte mit der Ausführung des Vorsatzes gar nichts zu tun, war aber lange Zeit in begreiflicher Angst, daß die Suche entdeckt würde.“ — „Ich verstehe, diese Erinnerung ergab einen zweiten Grund, warum Ihnen die Ver mutung, Sie hätten Ihr Kunststück schlecht gemacht, peinlich sein mußte.“

§ 435

Ein junger Arzt, welcher in meinem Kolleg diesen Traum erzählen hörte, muß sich von ihm betroffen gefühlt haben, denn er beeilte sich ihn nachzuträumen, dessen Gedankenform auf ein anderes Thema anzuwenden. Er hatte Tags vorher sein Einkommenbekenntnis übergeben, welches vollkommen aufrichtig gehalten war, da er nur wenig zu bekennen hatte. Er träumte nun, ein Bekannter komme aus der Sitzung der Steuerkommission zu ihm und teile ihm mit, daß alle anderen Steuerbekenntnisse unbeanständet geblieben seien, das seinige aber habe allgemeines Mißtrauen erweckt und werde ihm eine empfindliche Steuerstrafe eingetragen. Der Traum ist eine lässig verhüllte Wunscherfüllung, für einen Arzt von großem Einkommen zu gelten. Er erinnert übrigens an die bekannte Geschichte von jenem jungen Mädchen, welchem abgeraten wird, ihrem Freier zuzusagen, weil er ein jähzorniger Mensch sei und sie in der Ehe sicherlich mit Schlägen traktieren werde. Die Antwort des Mädchens lautet dann: Schlüg' er mich erst! Ihr Wunsch, verheiratet zu sein, ist so lebhaft, daß sie die in Aussicht gestellte Unannehmlichkeit, die mit dieser Ehe verbunden sein soll, mit in den Kauf nimmt und selbst zum Wunsche erhebt.

§ 436

Fasse ich die sehr häufig vorkommenden Träume solcher Art, die meiner Lehre direkt zu widersprechen scheinen, indem sie das Versagen eines Wunsches oder das Eintreffen von etwas offenbar Ungewünschtem zum Inhalt haben, als „Gegenwunschträume“ zusammen, so sehe ich, daß sie sich allgemein auf zwei Prinzipien zurückführen lassen, von denen das eine noch nicht erwähnt werden ist, obwohl es im Leben wie im Träumen der Menschen eine große Rolle spielt. Die eine Triebkraft dieser Träume ist der Wunsch, daß ich Unrecht haben soll. Diese Träume ereignen sich regelmäßig im Laufe meiner Behandlungen, wenn sich der Patient im Widerstand gegen mich befindet, und ich kann mit großer Sicherheit darauf rechnen, einen solchen Traum hervorzurufen, nachdem ich dem Kranken die Lehre, der Traum sei eine Wunscherfüllung, zuerst vorgetragen habe. Ja ich darf erwarten, daß es manchem meiner Leser ebenso ergehen wird; er wird sich bereitwillig im Traume einen Wunsch versagen, um sich nur den Wunsch, daß ich Unrecht haben möge, zu erfüllen. Der letzte Kurtraum dieser Art, den ich mitteilen will, zeigt wiederum das nämliche. Ein junges Mädchen, welches sich die Fortsetzung meiner Behandlung mühsam erkämpft hat gegen den Willen ihrer Angehörigen und der zu Rate gezogenen Autoritäten, träumt: Zu Hause verbiete man ihr, weiter zu mir zu kommen. Sie beruft sich dann bei mir auf ein ihr gegebenes Versprechen, sie im Notfalle auch umsonst zu behandeln, und ich sage ihr: In Geldsachen kann ich keine Rücksicht üben.

§ 437

Es ist wirklich nicht leicht, hier die Wunscherfüllung nachzuweisen, aber in all solchen Fällen findet sich außer dem einen Rätsel noch ein anderes, dessen Lösung auch das erste lösen hilft. Woher stammen die Worte, die sie mir in den Mund legt? Ich habe ihr natürlich nie etwas Ähnliches gesagt, aber einer ihrer Brüder und gerade jener, der den größten Einfluß auf sie hat, war so liebenswiirdig, über mich diesen Ausspruch zu tun. Der Traum will also erreichen, daß der Bruder Recht behalte und diesem Bruder Recht verschaffen, will sie nicht nur im Traume; es ist der Inhalt ihres Lebens und das Motiv ihres Krankseins.

§ 438

Das andere Motiv der Gegenwunschträume liegt so nahe, daß man leicht in Gefahr kommt, es zu übersehen, wie mir selbst durch längere Zeit geschehen ist. In der Sexualkonstitution so vieler Menschen gibt es eine masochistische Komponente, die durch die Verkehrung ins Gegenteil der aggressiven, sadistischen entstanden ist. Man heißt solche Menschen „ideelle“ Masochisten, wenn sie die Lust nicht in dem ihnen zugefügten körperlichen Schmerz, sondern in der Demütigung und seelischen Peinigung suchen. Es leuchtet ohne weiteres ein, daß diese Personen Gegenwunsch- und Unlustträume haben können, die für sie doch nichts anderes als Wunscherfüllungen sind, Befriedigung ihrer masoehistischen Neigungen. Ich setze einen solchen Traum hieher: Ein junger Mann, der in früheren Jahren seinen älteren Bruder, dem er homosexuell zugetan war, sehr gequält hat, träumt nun nach gründlicher Charakterwandlung einen aus drei Stücken bestehenden Traum. I. Wie ihn sein älterer Bruder sekiert“. II. Wie zwei Erwachsene in homosexueller Absicht miteinander schön tun. III. Der Bruder hat das Unternehmen verkauft, dessen Leitung er sich für seine Zukunft vorbehalten hat. Aus letzterem Traume erwacht er mit den peinlichsten Gefühlen, und doch ist es ein masochistischer Wunschtraum, dessen Übersetzung lauten könnte: es geschähe mir ganz recht, wenn der Bruder mit jenen Verkauf antäte zur Strafe für alle Quälereien, die er von mir ausgestanden hat.

§ 439

Ich hoffe, die vorstehenden Erwägungen und Beispiele werden genügen, um es — bis auf weiteren Einspruch — glaubwürdig erscheinen zu lassen, daß auch die Träume mit peinlichem Inhalt als Wunscherfüllungen aufzulösen sind. Es wird auch Niemand eine Äußerung des Zufalls darin erblicken, daß man bei der Deutung dieser Träume jedesmal auf Themata gerät, von denen man nicht gern spricht oder an die man nicht gern denkt. Das peinliche Gefühl, welches solche Träume erwecken, ist wohl einfach identisch mit dem Widerwillen, der uns von der Behandlung oder Erwägung solcher Themata — meist mit Erfolg — abhalten möchte, und welcher von jedem von uns überwunden werden muß, wenn wir uns genötigt sehen, es doch in Angriff zu nehmen. Dieses im Traume also wiederkehrende Unlustgefühl schließt aber das Bestehen eines Wunsches nicht aus; es gibt bei jedem Menschen Wünsche, die er anderen nicht mitteilen möchte, und Wünsche, die er sich selbst nicht eingestehen will. Anderseits finden wir uns berechtigt, den Unlustcharakter all dieser Träume mit der Tatsache der Traumentstelluug in Zusammenhang zu bringen und zu schließen, diese Träume seien gerade darum so entstellt, und die Wunseherfüllung in ihnen bis zur Unkenntlichkeit verkleidet, weil ein Widerwillen, eine Verdrängungsabsicht gegen das Thema des Traumes oder gegen den aus ihm geschöpften Wunsch besteht. Die Traumentstellung erweist sich also tatsächlich als ein Akt der Zensur. Allem, was die Analyse der Unlustträume zu Tage gefördert hat, tragen wir aber Rechnung, wenn wir unsere Formel, die das Wesen des Traumes ausdrücken soll, in folgender Art verändern: Der Traum ist die (verkleidete) Erfüllung eines (unterdrückten, verdrängten) Wunsches.

§ 440

Nun erübrigen noch die Angstträume als besondere Unterart der Träume mit peinlichem Inhalt, deren Auffassung als Wunschträume bei dem Unaufgeklärten die geringste Bereitwilligkeit begegnen wird. Doch kann ich die Angstträume hier ganz kurz abtun; es ist nicht eine neue Seite des Traumproblems, die sich uns in ihnen zeigen würde, sondern es handelt sich bei ihnen um das Verständnis der neurotischen Angst überhaupt. Die Angst, die wir im Traume empfinden, ist nur scheinbar durch den Inhalt des Traumes erklärt. Wenn wir den Trauminhalt der Deutung unterziehen, merken wir, daß die Traumangst durch den Inhalt es Traumes nicht besser gerechtfertigt wird als etwa die Angst einer Phobie durch die Vorstellung, an welcher die Phobie hängt. Es ist z. B. zwar richtig, daß man aus dem Fenster stürzen kann und darum Ursache hat, sich beim Fenster einer gewissen Vorsicht zu befleißen, aber es ist nicht zu verstehen, warum bei der entsprechenden Phobie die Angst so groß ist und den Kranken weit über ihre Anlässe hinaus verfolgt. Dieselbe Aufklärung erweist sich dann als gültig für die Phobie wie für den Angsttraum. Die Angst ist beidemal an die sie begleitende Vorstellung nur angelötet und stammt aus anderer Quelle.

§ 441

Wegen dieses intimen Znsammenhanges der Traumangst mit der Neurosenengst muß ich hier bei der Erörterung der ersteren auf die letztere verweisen. In einem kleinen Aufsatze über die „Angstneurose“ (Neurolog. Zentralblatt, 1895) habe ich seinerzeit behauptet, daß die neurotische Angst aus dem Sexualleben stammt und einer von ihrer Bestimmung abgelenkten, nicht zur Verwendung gelangten Libido entspricht. Diese Formel hat sich seither immer mehr als stichhaltig erwiesen. Aus ihr läßt sich nun der Satz ableiten, daß die Angstträume Träume sexuellen Inhalts sind, deren zugehörige Libido eine Verwandlung in Angst erfahren hat. Es wird sich späterhin die Gelegenheit ergeben, diese Behauptung durch die Analyse einiger Träume bei Neurotikern zu unterstützen. Auch werde ich bei weiteren Versuchen, mich einer Theorie des Treumes zu nähern, nochmals auf die Bedingung der Angstträume und deren Verträglichkeit mit der Wunscherfüllungstheorie zu sprechen kommen.

§ 442

V.

§ 443

Das Traummaterial und die Traumquellen.

§ 444

Als wir aus der Analyse des Traumes von Irmas Injektion ersehen hatten, daß der Traum eine Wunscherfüllung ist, nahm uns zunächst das Interesse gefangen, ob wir hiemit einen allgemeinen Charakter des Traumes aufgeckt haben, und wir brachten vorläufig jede andere wissenschaftliehe Neugierde zum Schweigen, die sich in uns während jener Deutungsarbeit geregt haben mochte. Nachdem wir jetzt auf dem einen Wege zum Ziele gelangt sind, dürfen wir zurückkehren und einen neuen Ausgangspunkt für unsere Streifungen durch die Probleme des Traumes wählen, sollten wir darüber auch das noch keineswegs voll erledigte Thema der Wunscherfüllung für eine Weile aus den Augen verlieren.

§ 445

Seitdem wir durch Anwendung unseres Verfahrens der Traumdeutung einen latenten Trauminhalt aufdecken können, der an Bedeutsamkeit den manifesten Trauminhalt weit hinter sich läßt, muß es uns drängen, die einzelnen Traumprobleme von neuem aufzunehmen, um zu versuchen, ob sich für uns nicht Rätsel und Widersprüche befriedigend lösen, die, solange man nur den manifesten Trauminhalt kannte, unangreifbar erschienen sind.

§ 446

Die Angaben der Autoren über den Zusammenhang des Traumes mit dem Wachleben, sowie über die Herkunft des Traummaterials sind im einleitenden Abschnitt ausführlich mitgeteilt worden. Wir erinnern uns auch jener drei Eigentümliehkeiten des Traumgedächtnisses, die so vielfach bemerkt, aber nicht erklärt worden sind:

§ 447

1. Daß der Traum die Eindrücke der letzten Tage deutlich bevorzugt [Robert 55), Strümpell 66), Hildebrandt 35), auch Weed-Hallam 33)];

§ 448

2. daß er eine Auswahl nach anderen Prinzipien als unser Wachgedächtnis trifft, indem er nicht das Wesentliche und Wichtige, sondern das Nebensächliche und Unbeachtete erinnert (vgl. Seite 11);

§ 449

3. daß er die Verfügung über unsere frühesten Kindheitseindrücke besitzt und selbst Einzelheiten aus dieser Lebenszeit

§ 450

hervorholt, die uns wiederum als trivial erscheinen und im Wachen für längst vergessen gehalten worden sind.*)*)

§ 451

Diese Besonderheiten in der Auswahl des Traummaterials sind von den Autoren natürlich am manifesten Trauminhalt beobachtet worden.

§ 452

a) Das Rezente und das Indifferente im Traume.

§ 453

Wenn ich jetzt in Betreff der Herkunft der im Trauminhalt auftretenden Elemente meine eigene Erfahrung zu Rate ziehe, so muß ich zuächst die Behauptung aufstellen, daß in jedem Traume eine Anknüpfung an die Erlebnisse des letztabgelaufenen Tages aufzufinden ist. Welchen Traum immer ich vornehme, einen eigenen oder fremden, jedesmal bestätigt sich mir diese Erfahrung. In Kenntnis dieser Tatsache kann ich etwa die Traumdeutung damit beginnen, daß ich zuerst nach dem Erlebnisse des Tages forsche, welches den Traum angeregt hat; für viele Fälle ist dies sogar der nächste Weg. An den beiden Träumen, die ich im vorigen Abschnitt einer genauen Analyse unterzogen habe (von Irmas Injektion, von meinem Onkel mit dem gelben Barte), ist die Beziehung zum Tage so augenfällig, daß sie keiner weiteren Beleuchtung bedarf. Um aber zu zeigen, wie regelmäßig sich diese Beziehung erweisen läßt, will ich ein Stück meiner eigenen Traumchronik darauf hin untersuchen. Ich teile die Träume nur so weit mit, als es zur Aufdeckung der gesuchten Traumquelle bedarf.

§ 454

1. Ich mache einen Besuch in einem Hause, wo ich nur mit Schwierigkeiten vorgelassen werde u. s. w., lasse eine Frau unterdessen auf mich warten.

§ 455

Quelle: Gespräch mit einer Verwandten am Abend, daß eine Anschaffung, die sie verlangt, warten müsse, bis u. s. w.

§ 456

2. Ich habe eine Monographie über eine gewisse (unklar) Pflanzenart geschrieben.

§ 457

Quelle: Am Vormittag im Schaufenster einer Buchhandlung eine Monographie gesehen über die Gattung Cyklamen.

§ 458

3. Ich sehe zwei Frauen auf der Straße, Mutter und Tochter, von denen die letztere meine Patientin war.

§ 459

Quelle: Eine in Behandlung stehende Patientin hat mir abends mitgeteilt, welche Schwierigkeiten ihre Mutter einer Fortsetzung der Behandlung entgegenstellt.

§ 460

4. In der Buchhandlung von S. und R. nehme ich ein Abonnement auf eine periodische Publikation, die jährlich 20 fl. kostet.

*) Es ist klar, daß die Auffassung Roberts, der Traum sei dazu bestimmt, unser Gedächtnis von den wertlosen Eindrücken des Tages zu entlasten, nicht mehr zu halten ist, wenn im Traume einigermaßen häufig gleichgültige Erinnerungsbilder aus unserer Kindheit auftreten. Man müßte den Schluß ziehen, dsß der Traum die ihm zufallende Aufgabe sehr ungenügend zu erfüllen pflegt. § 461

Quelle: Meine Frau hat mich am Tage daran erinnert, daß ich ihr 20 fl. vom Wochengelde noch schuldig bin.

§ 462

5. Ich erhalte eine Zuschrift vom sozialdemokratischen Komitee, in der ich als Mitglied behandelt werde.

§ 463

Quelle: Zuschriften erhalten gleichzeitig vom liberalen Wahlkomitee und vom Präsidium des humanitären Vereines, dessen Mitglied ich wirklich bin.

§ 464

6. Ein Mann auf einem steilen Felsen mitten im Meere, in Böcklinscher Manier.

§ 465

Quelle: Dreyfus auf der Teufelsinsel, gleichzeitig Nachrichten von meinen Verwandten in England u. s. w.

§ 466

Man könnte die Frage aufwerfen, ob die Traumanknüpfung unfehlbar an die Ereignisse des letzten Tages erfolgt, oder ob sie sich auf Eindrücke eines längeren Zeitraumes der jüngsten Vergangenheit erstrecken kann. Dieser Gegenstand kann prinzipielle Bedeutsamkeit wahrscheinlich nicht beanspruchen, doch möchte ich mich für das ausschließliche Vorrecht des letzten Tages vor dem Traume (des Traumtages) entscheiden. So oft ich zu finden vermeinte, daß ein Eindruck vor zwei oder drei Tagen die Quelle des Traumes gewesen sei, konnte ich mich doch bei genauerer Nachforschung überzeugen, daß jener Eindruck am Vortage wieder erinnert worden war, daß also eine nachweisbare Reproduktion am Vortage sich zwischen dem Ereignistage und der Traumzeit eingeschoben hatte, und konnte außerdem den rezenten Anlaß nachweisen, von dem die Erinnerung an den älteren Eindruck ausgegangen sein konnte. Hingegen konnte ich mich nicht davon überzeugen, daß zwischen dem erregenden Tageseindruck und dessen Wiederkehr im Traume ein regelmäßiges Intervall von biologischer Bedeutsamkeit [als erstes dieser Art nennt H. Swoboda 18 Stunden] eingeschoben ist.

§ 467

Ich meine also, es gibt für jeden Traum einen Traumerreger aus jenen Erlebnissen, über die „man noch keine Nacht geschlafen hat“.

§ 468

Die Eindrücke der jüngsten Vergangenheit (mit Ausschluß des Tages vor der Traumnacht) zeigen also keine andersartige Beziehung zum Trauminhalt als andere Eindrücke aus beliebig ferner liegenden Zeiten. Der Traum kann sein Material aus jeder Zeit des Lebens wählen, wofern nur von den Erlebnissen des Traumtages (den „rezenten“ Eindrücken) zu diesen früheren ein Gedankenfaden reicht.

§ 469

Woher aber die Bevorzugung der rezenten Eindrücke? Wir werden zu Vermutungen über diesen Punkt gelangen, wenn wir einen der erwähnten Träume einer genaueren Analyse unterziehen. Ich wähle den Traum von der Monographie.

§ 470

Trauminhalt: Ich habe eine Monographie über eine gewisse Pflanze geschrieben. Das Buch liegt vor mir, ich blättere eben eine eingeschlagene farbige Tafel um. Jedem Exemplar ist ein getrocknetes Spezimen der Pflanze beigebunden, ähnlich wie aus einem Herbarium.

§ 471

Analyse: Ich habe am Vormittag im Schaufenster einer Buchhandlung ein neues Buch gesehen, welches sich betitelt: Die Gattung Cyklamen, offenbar eine Monographie über diese Pflanze.

§ 472

Cyklamen ist die Lieblingsblume meiner Frau. Ich mache mir Vorwürfe, daß ich so selten daran denke, ihr Blumen mitzubringen, wie sie sich's wünscht. — Bei dem Thema: Blumen mitbringen erinnere ich mich einer Geschichte, welche ich unlängst im Freundeskreise erzählt und als Beweis für meine Behauptung verwendet habe, daß Vergessen sehr häufig die Ausführung einer Absicht des Unbewußten sei und immerhin einen Schluß auf die geheime Gesinnung des Vergessenden gestatte. Eine junge Frau, welche daran gewöhnt war, zu ihrem Geburtstage einen Strauß von ihrem Manne vorzufinden, vermißt dieses Zeichen der Zärtlichkeit an einem solchen Festtag und bricht darüber in Tränen aus. Der Mann kommt hinzu, weiß sich ihr Weinen nicht zu erklären, bis sie ihm sagt: Heute ist mein Geburtstag. Da schlägt er sich vor die Stirn, ruft aus: Entschuldige, hab' ich doch ganz daran vergessen, und will fort, ihr Blumen zu holen. Sie läßt sich aber nicht trösten, denn sie sieht in der Vergeßlichkeit ihres Mannes einen Beweis dafür, daß sie in seinen Gedanken nicht mehr dieselbe Rolle spielt wie einstens. — Diese Frau L. ist meiner Frau vor zwei Tagen begegnet, hat ihr mitgeteilt, daß sie sich wohlfühlt, und sich nach mir erkundigt. Sie stand in früheren Jahren in meiner Behandlung.

§ 473

Ein neuer Ansatz: Ich habe wirklich einmal etwas Ähnliches geschrieben wie eine Monographie über eine Pflanze, nämlich einen Aufsatz über die Kokapflanze, welcher die Aufmerksamkeit von K. Koller auf die anästhesierende Eigenschaft des Kokains gelenkt hat. Ich hatte diese Verwendung des Alkaloids in meiner Publikation selbst angedeutet, war aber nicht gründlich genug, die Sache weiter zu verfolgen. Dazu fällt mir ein, daß ich am Vormittag des Tages nach dem Traume (zu dessen Deutung ich erst abends Zeit fand) des Kokains in einer Art von Tagesphantasie gedacht habe. Wenn ich je Glaukom bekommen sollte, würde ich nach Berlin reisen und mich dort bei meinem Berliner Freunde von einem Arzte, den er mir empfiehlt, inkognito operieren lassen. Der Operateur, der nicht wüßte, an wem er arbeitet, würde wieder einmal rühmen, wie leicht sich diese Operationen seit der Einführung des Kokains gestaltet haben; ich würde durch keine Miene verraten, daß ich an dieser Entdeckung selbst einen Anteil habe. An diese Phantasie schlossen sich Gedanken an, wie unbequem es doch für den Arzt sei, ärztliche Leistungen von seiten der Kollegen für seine Person in Anspruch zu nehmen. Den Berliner Augenarzt, der mich nicht kennt, würde ich wie ein anderer entlohnen können. Nachdem dieser Tagtraum mir in den Sinn gekommen, merke ich erst, daß sich die Erinnerung .an ein bestimmtes Erlebnis hinter ihm verbirgt. Kurz nach der Entdeckung Kollers war nämlich mein Vater an Glaukom erkrankt; er wurde von meinem Freunde, dem Augenarzte Dr. Königstein, operiert, Dr. Koller besorgte die Kokainanästhesie und machte dann die Bemerkung, daß bei diesem Falle sich alle die drei Personen vereinigt fänden, die an der Einführung des Kokains Anteil gehabt haben.

§ 474

Meine Gedanken gehen nun weiter, wann ich zuletzt an diese Geschichte des Kokains erinnert worden bin. Es war dies vor einigen Tagen, als ich die Festschrift in die Hand bekam, mit deren Erscheinen dankbare Schüler das Jubiläum ihres Lehrers und Laboratoriumsvorstandes gefeiert hatten. Unter den Ruhmestiteln des Laboratoriums fand ich auch angeführt, daß dort die Entdeckung der anästhesierenden Eigenschaft des Kokains durch K. Koller vorgefallen sei. Ich bemerke nun plötzlich, daß mein Traum mit einem Erlebnis des Abends vorher zusammenhängt. Ich hatte gerade Dr. Königstein nach Hause begleitet, mit dem ich in ein Gespräch über eine Angelegenheit geraten war, die mich jedesmal, wenn sie berührt wird, lebhaft erregt. Als ich mich in dem Hausflure mit ihm aufhielt, kam Professor Gärtner mit seiner jungen Frau hinzu. Ich konnte mich nicht enthalten, die Beiden darüber zu beglückwünschen, wie blühend sie aussehen. Nun ist Professor Gärtner einer der Verfasser der Festschrift, von der ich eben sprach, und konnte mich wohl an diese erinnern. Auch die Frau L., deren Geburtstagsenttäuschung ich unlängst erzählte, war im Gespräche mit Dr. Königstein, in anderem Zusammenhange allerdings, erwähnt worden.

§ 475

Ich will versuchen, auch die anderen Bestimmungen des Trauminhalts zu deuten. Ein getrocknetes Spezimen der Pflanze liegt der Monographie bei, als ob es ein Herbarium wäre. Ans Herbarium knüpft sich eine Gymnasialerinnerung. Unser Gymnasialdirektor rief einmal die Schüler der höheren Klassen zusammen, um ihnen das Herbarium der Anstalt zur Durchsicht und zur Reinigung zu übergeben. Es hatten sich kleine Würmer eingefunden — Bücherwurm. Zu meiner Hilfeleistung scheint er nicht Zutrauen gezeigt zu haben, denn er überließ mir nur wenige Blätter. Ich weiß noch heute, daß Kruziferen darauf waren. Ich hatte niemals ein besonders intimes Verhältnis zur Botanik. Bei meiner botanischen Vorprüfung bekam ich wiederum eine Kruzifere zur Bestimmung und — erkannte sie nicht. Es wäre mir schlecht ergangen, wenn nicht meine theoretischen Kenntnisse mir herausgeholfen hätten. — Von den Kruziferen gerate ich auf die Kompositen. Eigentlich ist auch die Artischocke eine Komposite, und zwar die, welche ich meine Lieblingsblume heißen könnte. Edler als ich, pflegt meine Frau mir diese Lieblingsblume häufig vom Markte heimzubringen.

§ 476

Ich sehe die Monographie vor mir liegen, die ich geschrieben habe. Auch dies ist nicht ohne Bezug. Mein visueller Freund schrieb mir gestern aus Berlin: „Mit deinem Traumbuche beschäftige ich mich sehr viel. Ich sehe es fertig vor mir liegen und blättere darin.“ Wie habe ich ihn um diese Sehergabe beneidet! Wenn ich es doch auch schon fertig vor mir liegen sehen könnte!

§ 477

Die zusammengelegte farbige Tafel: Als ich Student der Medizin war, litt ich viel unter dem Impuls, nur aus Monographien lernen zu wollen. Ich hielt mir damals, trotz meiner beschränkten Mittel, mehrere medizinische Archive, deren farbige Tafeln mein Entzücken waren. Ich war stolz auf diese Neigung zur Gründlichkeit. Als ich dann selbst zu publizieren begann, mußte ich auch die Tafeln für meine Abhandlungen zeichnen und ich weiß, daß eine derselben so kümmerlich ausfiel, daß mich ein wohlwollender Kollege ihretwegen verhöhnte. Dazu kommt noch, ich weiß nicht recht wie, eine sehr frühe Jugenderinnerung. Mein Vater machte sich einmal den Scherz, mir und meiner ältesten Schwester ein Buch mit farbigen Tafeln (Beschreibung einer Reise in Persien) zur Vernichtung zu überlassen. Es war erziehlich kaum zu rechtfertigen. Ich war damals fünf Jahre, die Schwester unter drei Jahren alt, und das Bild, wie wir Kinder überselig dieses Buch zerpflückten (wie eine Artischocke, Blatt für Blatt, muß ich sagen), ist nahezu das Einzige, was mir aus dieser Lebenszeit in plastischer Erinnerung geblieben ist. Als ich dann Student wurde, entwickelte sich bei mir eine ausgesprochene Vorliebe, Bücher zu sammeln und zu besitzen (analog der Neigung, aus Monographien zu studieren, eine Liebhaberei, wie sie in den Traumgedanken betreffs Cyklamen und Artischoeke bereits vorkommt). Ich wurde ein Bücherwurm (vgl. Herbarium). Ich habe diese erste Leidenschaft meines Lebens, seitdem ich über mich nachdenke, immer auf diesen Kindereindruck zurückgeführt oder vielmehr, ich habe erkannt, daß diese Kinderszene eine „Deckerinnerung“ für meine spätere Bibliophilie ist.*)*) Natürlich habe ich auch frühzeitig erfahren, daß man durch Leidenschaften leicht in Leiden gerät. Als ich 17 Jahre alt war, hatte ich ein ansehnliches Konto beim Buchhändler und keine Mittel, es zu begleichen, und mein Vater ließ es kaum als Entschuldigung gelten, daß sich meine Neigungen auf nichts Böseres geworfen hatten. Die Erwähnung dieses späteren Jugenderlebnisses bringt mich aber sofort zu dem Gespräche mit meinem Freunde Dr. Königstein zurück. Denn um dieselben Vorwürfe wie damals, daß ich meinen Liebhabereien zuviel nachgebe, handelte es sich auch im Gespräche am Abend des Traumtages.

§ 478

Aus Gründen, die nicht hieher gehören, will ich die Deutung dieses Traumes nicht verfolgen, sondern bloß den Weg angeben, welcher zu ihr führt. Wahrend der Deutungsarbeit bin ich an das Gespräch mit Dr. Königstein erinnert werden, und zwar von mehr als einer Stelle aus. Wenn ich mir vorhalte, welche Dinge in diesem Gespräche berührt worden sind, so wird der Sinn des Traumes mir verständlich. Alle angefangenen Gedankengänge, von den Liebhabereien meiner Frau und meinen eigenen, vom Kokain, von den Schwierigkeiten ärztlicher Behandlung unter Kollegen, von meiner Vorliebe für monographische Studien und meiner Vernachlässigung gewisser Fächer wie der Botanik, dies alles erhält dann seine Fortsetzung und mündet in irgend einen der Faden der vielverzweigten Unterredung ein. Der Traum bekömmt wieder den Charakter einer Rechtfertigung, eines Plaidoyers für mein Recht, wie der erst analysierte Traum von Irmas Injektion; ja er setzt das dort begonnene Thema fort und erörtert es an einem neuen Material, welches im Intervall zwischen beiden Träumen hinzugekommen ist. Selbst die scheinbar indifferente Ausdrucksform des Traumes bekömmt einen Akzent. Es heißt jetzt: Ich bin doch der Mann, der die wertvolle und erfolgreiche Abhandlung (über das Kokain) geschrieben hat, ähnlich wie ich damals zu meiner Rechtfertigung vorbrachte: Ich bin doch ein tüchtiger und fleißiger Student; in beiden Fällen also: Ich darf mir das erlauben. Ich kann aber auf die Ausführung der Traumdeutung hier verzichten, weil mich zur Mitteilung des Traumes nur die Absicht bewogen hat, an einem Beispiele die Beziehung des Trauminhalts zu dem erregenden Erlebnis des Vortages zu untersuchen. So lange ich von diesem Traume nur den manifesten Inhalt kenne, wird mir nur eine Beziehung des Traumes zu einem Tageseindruck augenfällig; nachdem ich die Analyse gemacht habe, ergibt sich eine zweite Quelle des Traumes in einem anderen Erlebnis desselben Tages. Der erste der Eindrücke, auf welche sich der Traum bezieht, ist ein gleichgültiger, ein Nebenumstand. Ich sehe im Schaufenster ein Buch, dessen Titel mich flüchtig berührt, dessen Inhalt mich kaum interessieren dürfte. Das zweite Erlebnis hatte einen hohen psychischen Wert; ich habe mit meinem Freunde, dem Augenarzt, wohl eine Stunde lang eifrig gesprochen, ihm Andeutungen gemacht, die uns beiden nahe gehen mußten, und Erinnerungen in mir wachgerufen, bei denen die mannigfaltigsten Erregungen meines Innern mir bemerklich wurden. Überdies wurde dieses Gespräch unvollendet abgebrochen, weil Bekannte hinzukamen. Wie stehen nun die beiden Eindrücke des Tages zu einander und zu dem in der Nacht erfolgenden Traum?

*) Vgl. meinen Aufsatz „Über Deckerinneruugen“ in der Monatsschrift für Psychiatrie und Neurologie, 1899. § 479

Im Trauminhalt finde ich nur eine Anspielung auf den gleichgültigen Eindruck und kann so bestätigen, daß der Traum mit Vorliebe Nebensächliches aus dem Leben in seinen Inhalt aufnimmt. In der Traumdeutung hingegen führt alles auf das wichtige, mit Recht erregende Erlebnis hin. Wenn ich den Sinn des Traumes, wie es einzig richtig ist, nach dem latenten, durch die Analyse zu Tage geförderten Inhalt beurteile, so bin ich unversehens zu einer neuen und wichtigen Erkenntnis gelangt. Ich sehe das Rätsel zerfallen, daß der Traum sich nur mit den wertlosen Brocken des Tageslebens beschäftigt; ich muß auch der Behauptung widersprechen, daß das Seelenleben des Wachens sich in den Traum nicht fortsetzt, und der Traum dafür psychische Tätigkeit an läppisches Material verschwendet. Das Gegenteil ist wahr; was uns bei Tage in Anspruch genommen hat, beherrscht auch die Traumgedanken, und wir geben uns die Mühe zu träumen nur bei solchen Materien, welche uns bei Tage Anlaß zum Denken geboten hätten.

§ 480

Die naheliegendste Erklärung dafür, daß ich doch vom gleichgültigen Tageseindruck träume, während der mit Recht aufregende mich zum Traume veranlaßt hat, ist wohl die, daß hier wieder ein Phänomen der Traumentstellung vorliegt, welche wir oben auf eine als Zensur waltende psychische Macht zurückgeführt haben. Die Erinnerung an die Monographie über die Gattung Zyklamen erfährt eine Verwendung, als ob sie eine Anspielung auf das Gespräch mit dem Freunde wäre, ganz ähnlich wie im Traume von dem verhinderten Souper die Erwähnung der Freundin durch die Anspielung „geräucherter Lachs“ vertreten wird. Es fragt sich nur, durch welche Mittelglieder kann der Eindruck der Monographie zu dem Gespräche mit dem Augenarzt in das Verhältnis der Anspielung treten, da eine solche Beziehung zunächst nicht ersichtlich ist. In dem Beispiele vom verhinderten Souper ist die Beziehung von vornherein gegeben; „geräucherter Lachs“ als die Lieblingsspeise der Freundin gehört ohne weiteres zu dem Vorstellungskreise, den die Person der Freundin bei der Träumenden anzuregen vermag. In unserem neuen Beispiel handelt es sich um zwei gesonderte Eindrücke, die zunächst nichts gemeinsam haben, als daß sie am nämlichen Tage erfolgen. Die Monographie fällt mir am Vormittag auf, das Gespräch führe ich dann am Abend. Die Antwort, welche die Analyse an die Hand gibt, lautet: Solche erst nicht vorhandene Beziehungen zwischen den beiden Eindrücken werden nachträglich vom Vorstellungsinhalt des einen zum Vorstellungsinhalt des anderen angesponnen. Ich habe die betreffenden Mittelglieder bereits bei der Niederschrift der Analyse hervorgehoben. An die Vorstellung der Monographie über Cyklamen würde ich ohne Beeinflussung von anderswoher wohl nur die die knüpfen, daß diese die Lieblingsblume meiner Frau ist, etwa noch die Erinnerung an den vermißten Blumenstrauß der Frau L. Ich glaube nicht, daß diese Hintergedanken genügt hätten, einen Traum hervorzurufen.

§ 481

"„There needs no ghost, my lord, come from the grave To tell us this.“"

§ 482

heißt es im Hamlet. Aber siehe da, in der Analyse werde ich daran erinnert, daß der Mann, der unser Gespräch störte, Gärtner hieß, daß ich seine Frau blühend fand; ja ich besinne mich eben jetzt nachträglich, daß eine meiner Patientinnen, die den schönen Namen Flora trägt, eine Weile im Mittelpunkte unseres Gespräches stand. Es muß so zugegangen sein, daß ich über diese Mittelglieder aus dem botanischen Vorstellungskreis die Verknüpfung der beiden Tages erlebnisse, des gleichgültigen und des aufregenden, vollzog. Dann stellten sich weitere Beziehungen ein, die des Kokains, welche mit Fug und Recht zwischen der Person des Dr. Königstein und einer botanischen Monographie, die ich geschrieben habe, vermitteln kann, und befestigten diese Verschmelzung der beiden Vorstellungskreise zu einem, so daß nun ein Stück aus dem ersten Erlebnis als Anspielung auf das zweite verwendet werden konnte.

§ 483

Ich bin darauf gefaßt, daß man diese Aufklärung als eine willkürliche oder als eine gekünstelte anfechten wird. Was wäre geschehen, wenn Professor Gärtner mit seiner blühenden Frau nicht hinzugetreten wäre, wenn die besprochene Patientin nicht Flora, sondern Anna hieße? Und doch ist die Antwort leicht. Wenn sich nicht diese Gedankenbeziehungen ergeben hätten, so wären wahrscheinlich andere ausgewählt worden. Es ist so leicht, derartige Beziehungen herzustellen, wie ja die Scherz- und Rätselfragen, mit denen wir uns den Tag erheitern, zu beweisen vermögen. Der Machtbereich des Witzes ist ein uneingeschränkter. Um einen Schritt weiter zu gehen: wenn sich zwischen den beiden Eindrücken des Tages keine genug ausgiebigen Mittelbeziehungen hätten herstellen lassen, so wäre der Traum eben anders ausgefallen; ein anderer gleichgültiger Eindruck des Tages, wie sie in Scharen an uns herantreten und von uns vergessen werden, hätte für den Traum die Stelle der „Monographie“ übernommen, wäre in Verbindung mit dem Inhalt des Gespräches gelangt und hätte dieses im Trauminhalt vertreten. Da kein anderer als der von der Monographie dieses Schicksal hatte, so wird er wohl der für die Verknüpfung passendste gewesen sein. Man braucht sich nie wie Hänschen Schlau bei Lessing darüber zu wundern, "„daß nur die Reichen in der Welt das meiste Geld besitzen.“"

§ 484

Der psychologische Vorgang, durch welchen nach unserer Darstellung das gleichgültige Erlebnis zur Stellvertretung für das psychisch wertvolle gelangt, muß uns noch bedenklich und befremdend erscheinen. In einem späteren Abschnitt werden wir uns vor der Aufgabe sehen, die Eigentümlichkeiten dieser scheinbar inkorrekten Operation unserem Verständnis näher zu bringen. Hier haben wir es nur mit dem Erfolge des Vorganges zu tun, zu dessen Annahme wir durch ungezählte und regelmäßig wiederkehrende Erfahrungen bei der Traumanalyse gedrängt werden. Der Vorgang ist aber so, als ob eine Verschiebung — sagen wir: des psychischen Akzents — auf dem Wege jener Mittelglieder zu stande käme, bis anfangs schwach mit Intensität geladene Vorstellungen durch Übernahme der Ladung von den anfänglich intensiver besetzten zu einer Stärke gelangen, welche sie befähigt, den Zugang zum Bewußtsein zu erzwingen. Solche Verschiebungen wundern uns keineswegs, wo es sich um die Anbringung von Affektgrößen oder überhaupt um motorische Aktionen handelt. Daß die einsam gebliebene Jungfrau ihre Zärtlichkeit auf Tiere überträgt, der Junggeselle leidenschaftlicher Sammler wird, daß der Soldat einen Streifen farbigen Zeuges, die Fahne, mit seinem Herzblute verteidigt, daß im Liebesverhältnis ein um Sekunden verlängerter Händedruck Seligkeit erzeugt, oder im Othello ein verlorenes Schnupftuch einen Wutausbruch, das sind sämtlich Beispiele von psychischen Verschiebungen, die uns unanfechtbar erscheinen. Daß aber auf demselben Wege und nach denselben Grundsätzen eine Entscheidung darüber gefällt wird, was in unser Bewußtsein gelangt und was ihm vorenthalten bleibt, also was wir denken, das macht uns den Eindruck des Krankhaften, und wir heißen es Denkfehler, wo es im Wachleben vorkommt. Verraten wir hier als das Ergebnis später anzustellender Betrachtungen, daß der psychische Vorgang, den wir in der Traumverschiebung erkannt haben, sich zwar nicht als ein krankhaft gestörter, wohl aber als ein vom normalen verschiedener, als ein Vorgang von mehr primärer Natur herausstellen wird.

§ 485

Wir deuten somit die Tatsache, daß der Trauminhalt Reste von nebensächlichen Erlebnissen aufnimmt, als eine Äußerung der Traumentstellung (durch Verschiebung) und erinnern daran, daß wir in der Traumentstellung eine Folge der zwischen zwei psychischen Instanzen bestehenden Durchgangszensur erkannt haben. Wir erwarten dabei, daß die Traumanalyse uns regelmäßig die wirkliche, psychisch bedeutsame Traumquelle aus dem Tagesleben aufdecken wird, deren Erinnerung ihren Akzent auf die gleichgültige Erinnerung verschoben hat. Durch diese Auffassung haben wir uns im vollen Gegensatze zu der Theorie von Robert 55) gebracht, die für uns unverwendbar geworden ist. Die Tatsache, welche Robert erklären wollte, besteht eben nicht; ihre Annahme beruht auf einem Mißverständnis, auf der Unterlassung, für den scheinbaren Trauminhalt den wirklichen Sinn des Traumes einzusetzen. Man kann noch weiterhin gegen die Lehre von Robert einwenden: Wenn der Traum wirklich die Aufgabe hätte, unser Gedächtnis durch besondere psychische Arbeit von den „Schlacken“ der Tageserinnerung zu befreien so müßte unser Schlafen gequälter sein und auf angestrengtere Arbeit verwendet werden, als wir es von unserem wachen Geistesleben behaupten können. Denn die Anzahl der indifferenten Eindrücke des Tages, vor denen wir unser Gedächtnis zu schützen hätten, ist offenbar unermeßlich groß; die Nacht würde nicht hinreichen, die Summe zu bewältigen. Es ist sehr viel wahrscheinlicher, daß das Vergessen der gleichgültigen Eindrücke ohne aktives Eingreifen unserer seelischen Mächte vor sich geht.

§ 486

Dennoch verspüren wir eine Warnung, von dem Robertschen Gedanken ohne weitere Berücksichtigung Abschied zu nehmen. Wir haben die Tatsache unerklärt gelassen, daß einer der indifferenten Eindrücke des Tages — und zwar des letzten Tages — regelmäßig einen Beitrag zum Trauminhalt liefert. Die Beziehungen zwischen diesem Eindruck und der eigentlichen Traumquelle im Unbewußten bestehen nicht immer von vornherein; wie wir gesehen haben, werden sie erst nachträglich, gleichsam zum Dienste der beabsichtigten Verschiebung, während der Traumarbeit hergestellt. Es muß also eine Nötigung vorhanden sein, Verbindungen gerade nach der Richtung des rezenten, obwohl gleichgültigen Eindruckes anzubahnen; dieser muß eine besondere Eignung durch irgend eine Qualität dazu bieten. Sonst wäre es ja ebenso leicht durchführbar, daß die Traumgedanken ihren Akzent auf einen unwesentlichen Bestandteil ihres eigenen Vorstellungskreises verschieben.

§ 487

Folgende Erfahrungen können uns hier auf den Weg zur Aufklärung leiten. Wenn uns ein Tag zwei oder mehr Erlebnisse gebracht hat, welche Träume anzuregen würdig sind, so vereinigt der Traum die Erwähnung beider zu einem einzigen Ganzen; er gehorcht einem Zwang, eine Einheit aus ihnen zu gestalten; z. B.: Ich stieg eines Nachmittags im Sommer in ein Eisenbahncoupé ein, in welchem ich zwei Bekannte traf, die einander aber fremd waren. Der eine war ein einflußreicher Kollege, der andere ein Angehöriger einer vornehmen Familie, in welcher ich ärztlich beschäftigt war. Ich machte die beiden Herren miteinander bekannt; ihr Verkehr ging aber während der langen Fahrt über mich, so daß ich bald mit dem einen, bald mit dem anderen einen Gesprächstoff zu behandeln hatte. Den Kollegen bat ich, einem gemeinsamen Bekannten, der eben seine ärztliche Praxis begonnen hatte, seine Empfehlung zuzuwenden. Der Kollege erwiderte, er sei von der Tüchtigkeit des jungen Mannes überzeugt, aber sein unscheinbares Wesen werde ihm den Eingang in vornehme Häuser nicht leicht werden lassen. Ich erwiderte: Gerade darum bedarf er der Empfehlung. Bei dem anderen Mitreisenden erkundigte ich mich bald darauf nach dem Befinden seiner Tante — der Mutter einer meiner Patientinnen —, welche damals schwer krank danieder lag. In der Nacht nach dieser Reise träumte ich, mein junger Freund, für den ich die Protektion erbeten hatte, befinde sich in einem eleganten Salon und halte vor einer ausgewählten Gesellschaft, in die ich alle mir bekannten vornehmen und reichen Leute versetzt hatte, mit weltmännischen Gesten eine Trauerrede auf die (für den Traum bereits verstorbene) alte Dame, welche die Tante des zweiten Reisegenossen war. [Ich gestehe offen, daß ich mit dieser Dame nicht in guten Beziehungen gestanden hatte.] Mein Traum hatte also wiederum Verknüpfungen zwischen beiden Eindrücken des Tages aufgefunden und mittels derselben eine einheitliche Situation komponiert.

§ 488

Auf Grund vieler ähnlicher Erfahrungen muß ich den Satz aufstellen, daß für die Traumarbeit eine Art von Nötigung besteht, alle vorhandenen Traumreizquellen zu einer Einheit im Traume zusammenzusetzen.*)*) Wir werden diesen Zwang zur Zusammensetzung in einem späteren Abschnitt (über die Traumarbeit) als ein Stück der

*) Die Neigung der Traumarbeit, gleichzeitig als interessant Vorhandenes in einer Behandlung zu verschmelzen, ist bereits von mehreren Autoren bemerkt worden, z. B. von Delage 15) (S. 41), Delboeuf 16): rapprochement forcé (S. 236). § 489

Verdichtung, eines anderen psychischen Primärvorganges, kennen lernen.

§ 490

Ich will jetzt die Frage in Erörterung ziehen, ob die traumerregende Quelle, auf welche die Analyse hinführt, jedesmal ein rezentes (und bedeutsames) Ereignis sein muß, oder ob ein inneres Erlebnis, also die Erinnerung an ein psychisch wertvolles Ereignis, ein Gedankengang die Rolle des Traumerregers übernehmen kann. Die Antwort, die sich aus zahlreichen Analysen auf das bestimmteste ergibt, lautet im letzteren Sinne. Der Traumererger kann ein innerer Vorgang sein, der gleichsam durch die Denkarbeit am Tage rezent geworden ist. Es wird jetzt wohl der richtige Moment sein, die verschiedenen Bedingungen, welche die Traumquellen erkennen lassen, in einem Schema zusammenzustellen.

§ 491

Die Traumquelle kann sein:

§ 492

a) Ein rezentes und psychisch bedeutsames Erlebnis, welches im Traume direkt vertreten ist.*)*)

§ 493

b) Mehrere rezente, bedeutsame Erlebnisse, die durch den Traum zu einer Einheit vereinigt werden.**)

§ 494

c) Ein oder mehrere rezente und bedeutsame Erlebnisse, die im Trauminhalt durch die Erwähnung eines gleichzeitigen, aber indifferenten Erlebnisses vertreten werden.***)***)

§ 495

d) Ein inneres bedeutsames Erlebnis (Erinnerung, Gedenkengang), welches dann im Traume regelmäßig durch die Erwähnung eines rezenten, aber indifferenten Eindruckes vertreten wird.†)†)

§ 496

Wie man sieht, wird für die Traumdeutung durchwegs die Bedingung festgehalten, daß ein Bestandteil des Trauminhalts einen rezenten Eindruck des Vortages wiederholt. Dieser zur Vertretung im Traume bestimmte Anteil kann entweder dem Vorstellungskreis des eigentlichen Traumerregers selbst angehören, und zwar entweder als wesentlicher oder als unwichtiger Bestandteil desselben — oder er rührt aus dem Bereiche eines indifferenten Eindruckes her, der durch mehr oder minder reichliche Verknüpfung mit dem Kreise des Traumerregers in Beziehung gebracht worden ist. Die scheinbare Mehrheit der Bedingungen kommt hier nur durch die Alternative zu stande, daß eine Verschiebung unterblieben oder vorgefallen ist, und wir merken hier, daß diese Alternative uns dieselbe Leichtigkeit bietet, die Kontraste des Traumes zu erklären, wie der medizinischen Theorie des Traumes die Reihe vom partiellen bis zum vollen Wachen der Gehirnzellen (vgl. Seite 54).

§ 497

Man bemerkt an dieser Reihe ferner, daß das psychisch wertvolle, aber nicht rezente Element (der Gedankengang, die Erinnerung) für die Zwecke der Traumbildung durch ein rezentes, aber psychisch indifferentes Element ersetzt werden kann, wenn dabei nur die beiden Bedingungen eingehalten werden, daß 1. der Trauminhalt eine Anknüpfung an das rezent Erlebte erhält; 2. der Traumerreger ein psychisch wertvoller Vorgang bleibt. In einem einzigen Falle (a) werden beide Bedingungen durch denselben Eindruck erfüllt. Zieht man noch in Erwägung, daß dieselben indifferenten Eindrücke, welche für den Traum verwertet werden, solange sie rezent sind, diese Eignung einbüßen, sobald sie einen Tag (oder höchstens mehrere) älter geworden sind, so muß man sich zur Annahme entschließen, daß die Frische eines Eindruckes ihm an sich einen gewissen psychischen Wert für die Traumbildung verleiht, welcher der Wertigkeit affektbetonter Erinnerungen oder Gedankengänge irgendwie gleichkommt. Wir werden erst bei späteren psychologischen Überlegungen erraten können, worin dieser Wert rezenter Eindrücke für die Traumbildung begründet sein kann.*)*)

*) Traum von Irmas Injektion: Traum vom Freunde, der mein Onkel ist. **) Traum von der Trauerrede des jungen Arztes. ***) Traum von der botanischen Monographie. †) Solcher Art sind die meisten Träume meiner Patienten während der Analyse. § 498

Nebenbei wird hier unsere Aufmerksamkeit darauf gelenkt, daß zur Nachtzeit und von unserem Bewußtsein unbemerkt wichtige Veränderungen mit unserem Erinnerungs- und Vorstellungsmaterial vor sich gehen können. Die Forderung, eine Nacht über eine Angelegenheit zu schlafen, ehe man sich endgiltig über sie entscheidet, ist offenbar vollberechtigt. Wir merken aber, daß wir an diesem Punkte aus der Psychologie des Träumens in die des Schlafes übergegriffen haben, ein Schritt, zu welchem sich der Anlaß noch öfter ergeben wird.

§ 499

Es gibt nun einen Einwand, welcher die letzten Schlußfolgerungen umzustoßen droht. Wenn indifferente Eindrücke nur, solange sie rezent sind, in den Trauminhalt gelangen können, wie kommt es, daß wir im Trauminhalt auch Elemente aus früheren Lebensperioden vorfinden, die zur Zeit, da sie rezent waren — nach Strümpells Worten keinen psychischen Wert besaßen, also längst vergessen sein sollten, Elemente also, die weder frisch noch psychisch bedeutsam sind?

§ 500

Dieser Einwand ist voll zu erledigen, wenn man sich auf die Ergebnisse der Psychoanalyse bei Neurotikern stützt. Die Lösung lautet nämlich, daß die Verschiebung, welche das psychisch wichtige Material durch indifferentes ersetzt (für das Träumen wie für das Denken), hier bereits in jenen frühen Lebensperioden stattgefunden hat und seither im Gedächtnis fixiert worden ist. Jene ursprünglich indifferenten Elemente sind eben nicht mehr indifferent, seitdem sie durch Verschiebung die Wertigkeit vom psychisch bedeutsamen Material übernommen haben. Was wirklich indifferent geblieben ist, kann auch nicht mehr im Traume reproduziert werden.

§ 501

Aus den vorstehenden Erörterungen wird man mit Recht schließen, daß ich die Behauptung aufstelle, es gebe keine indifferenten Traumerreger, also auch keine harmlosen Träume. Dies ist in aller Strenge und Ausschließlichkeit meine Meinung, abgesehen von den Träumen der Kinder und etwa den kurzen Traumreaktionen auf nächtliche Sensationen. Was man sonst träumt, ist entweder manifest als psychisch bedeutsam zu erkennen, oder es ist entstellt und dann erst nach vollzogener Traumdeutung zu beurteilen, worauf es sich wiederum als bedeutsam zu erkennen gibt. Der Traum gibt sich nie mit Kleinigkeiten ab; um geringes lassen wir uns im Schlafe nicht stören. Die scheinbar harmlosen Träume erweisen sich als arg, wenn man sich um ihre Deutung bemüht; wenn man mir die Redensart gestattet, sie haben es „faustdick hinter den Ohren“. Da dies wiederum ein Punkt ist, bei dem ich Widerspruch erwarten darf, und da ich gern die Gelegenheit ergreife, die Traumentstellung bei ihrer Arbeit zu zeigen, will ich eine Reihe von „harmlosen“ Träumen aus meiner Sammlung hier der Analyse unterziehen.

*) Vgl. im Abschnitt VII über die „Übertragung“. § 502

I. Eine kluge und feine junge Dame, die aber auch im Leben zu den Reservierten, zu den „stillen Wassern“ gehört, erzählt: Ich habe geträumt, daß ich auf den Markt zu spät komme und beim Fleischhauer sowie bei der Gemüsefrau nichts bekomme. Gewiß ein harmloser Traum, aber so sieht ein Traum nicht aus; ich lasse ihn mir detailliert erzählen. Dann lautet der Bericht folgendermaßen; Sie geht auf den Markt mit ihrer Köchin, die den Korb trägt. Der Fleischhauer sagt ihr, nachdem sie etwas verlangt hat: Das ist nicht mehr zu haben, und will ihr etwas anderes geben mit der Bemerkung: Das ist auch gut. Sie lehnt ab und geht zur Gemüsefrau. Die will ihr ein eigentümliches Gemüse verkaufen, was in Bündeln zusammengebunden ist, aber schwarz von Farbe. Sie sagt: Das kenne ich nicht, das nehme ich nicht.

§ 503

Die Tagesanknüpfung des Traumes ist einfach genug. Sie war wirklich zu spät auf den Markt gegangen und hatte nichts mehr bekommen. Die Fleischbank war schon geschlossen, drängt sich einem als Beschreibung des Erlebnisses auf. Doch halt, ist das nicht eine recht gemeine Redensart, die — oder vielmehr deren Gegenteil — auf eine Nachlässigkeit in der Kleidung eines Mannes geht? Die Träumerin hat diese Worte übrigens nicht gebraucht, ist vielleicht ihnen ausgewichen; suchen wir nach der Deutung der im Traume enthaltenen Einzelheiten.

§ 504

Wo etwas im Traume den Charakter einer Rede hat, also gesagt oder gehört wird, nicht bloß gedacht — was sich meist sicher unterscheiden läßt —, das stammt von Reden des wachen Lebens her, die freilich als Rohmaterial behandelt, zerstückelt, leise verändert, vor allem aber aus dem Zusammenhange gerissen worden sind.*)*) Man kann bei der Deutungsarbeit von solche Reden ausgehen. Woher stammt also die Rede des Fleischhauers: Das ist nicht mehr zu haben? Von mir selbst; ich hatte ihr einige Tage vorher erklärt, „daß die ältesten Kindererlebnisse nicht mehr als solche zu haben sind, sondern durch „Übertragungen“ und Träume in der Analyse ersetzt werden.“ Ich bin also der Fleischhauer, und sie lehnt diese Übertragungen alter Denk- und Empfindungsweisen auf die Gegenwart ab. — Woher rührt ihre Traumrede: Das kenne ich nicht, das nehme ich nicht? Diese ist für die Analyse zu zerteilen. „Das kenne ich nicht“ hat sie selbst tags vorher zu ihrer Köchin gesagt, mit der sie einen Streit hatte, damals aber hinzugefügt: Benehmen Sie sich anständig. Hier wird eine Verschiebung greifbar; von den beiden Sätzen, die sie gegen ihre Köchin gebraucht, hat sie den bedeutungslosen in den Traum genommen; der unterdrückte aber: „Benehmen Sie sich anständig!" stimmt allein zum übrigen Trauminhalt. So könnte man jemandem zurufen, der unanständige Zumutungen wagt und vergißt, „die Fleischbank zuzuschließen.“ Daß wir der Deutung wirklich auf die Spur gekommen sind, beweist dann der Zusammenklang mit den Anspielungen, die in der Begebenheit mit der Gemüsefrau niedergelegt sind. Ein Gemüse, das in Bündeln zusammengebunden verkauft wird (länglich ist, wie sie nachträglich hinzufügt), und dabei schwarz, was kann das anderes sein als die Traumvereinigung von Spargel und schwarzem Rettig? Spargel brauche ich keinem und keiner Wissenden zu deuten, aber auch das andere Gemüse — als Zuruf: Schwarzer, rett' dich! — scheint mir auf das nämliche sexuelle Thema hinzuweisen, das wir gleich anfangs errieten, als wir für die Traumerzählung einsetzen wollten: die Fleischbank war geschlossen. Es kommt nicht darauf an, den Sinn dieses Traumes vollständig zu erkennen; so viel steht fest, daß er sinnreich ist und keineswegs harmlos.*)*)

*) Vergleiche über die Reden im Trauma im Abschnitte über die Traumarbeit. Ein einziger der Autoren scheint die Herkunft der Traumreden erkannt zu haben, Delboeuf 16) (p. 226), indem er sie mit „clichés“ vergleicht. § 505

II. Ein anderer harmloser Traum derselben Patientin, in gewisser Hinsicht ein Gegenstück zum vorigen: Ihr Mann fragt: Soll man das Klavier nicht stimmen lassen? Sie: Es lohnt nicht, es muß ohnedies neu beledert werden. Wiederum die Wiederholung eines realen Ereignisses vom Vortrag. Ihr Mann hat so gefragt und sie so ähnlich geantwortet. Aber was bedeutet es, daß sie es träumt? Sie erzählt zwar vom Klavier, es sei ein ekelhafter Kasten, der einen schlechten Ton gibt, ein Ding, das ihr Mann schon vor der Ehe besessen hat*)*) u. s. w., aber den Schlüssel zur Lösung ergibt doch erst die Rede: Es lohnt nicht. Diese stammt von einem gestern gemachten Besuche bei ihrer Freundin. Dort wurde sie aufgefordert, ihre Jacke abzulegen, und weigerte sich mit den Worten: es lohnt nicht, ich muß gleich gehen. Bei dieser Erzählung muß mir einfallen, daß sie gestern während der Analysenarbeit plötzlich an ihre Jacke griff, an der sich ein Knopf geöffnet hatte. Es ist also, als wollte sie sagen: Bitte, sehen Sie nicht hin, es lohnt nicht. So ergänzt sich der Kasten zum Brustkasten, und die Deutung des Traumes führt direkt in die Zeit ihrer körperlichen Entwicklung, da sie anfing, mit ihren Körperformen unzufrieden zu sein. Es führt auch wohl in frühere Zeiten, wenn wir auf das „Ekelhaft“ und den „schlechten Ton“ Rücksicht nehmen und uns daran erinnern, wie häufig die kleinen Hemisphären des weiblichen Körpers — als Gegensatz und als Ersatz — für die großen eintreten, — in der Anspielung und im Traume.

*) Für Wissbegierige bemerke ich, daß hinter dem Traume sich eine Phantasie verbirgt von unanständigem, sexuell provozierendem Benehmen meinerseits und von Abwehr von Seite der Dame. Wem diese Deutung unerhört erscheinen sollte, den mahne ich an die zahlreichen Fälle, wo Ärzte solche Anklagen von hysterischen Frauen erfahren haben, bei denen die nämliche Phantasie nicht entsteht und als Traum aufgetreten, sondern unverhüllt bewußt und wahnhaft geworden ist. — Mit diesem Traume trat die Patientin in die psychoanalytische Behandlung ein. Ich lernte erst später verstehen, daß sie mit ihm das initiale Trauma wiederholte, von dem ihre Neurose ausging, und habe seither das gleiche Verhalten bei anderen Personen gefunden, die in ihrer Kindheit sexuellen Attentaten ausgesetzt waren und nun gleichem deren Wiederholung im Trauma herbeiwünschen. § 506

III. Ich unterbreche diese Reihe, indem ich einen kurzen harmlosen Traum eines jungen Mannes einschiebe. Er hat geträumt, daß er wieder seinen Winterrock anzieht, was schrecklich ist. Anlaß dieses Traumes ist angeblich die plötzlich wieder eingetretene Kälte. Ein feineres Urteil wird indes bemerken, daß die beiden kurzen Stücke des Traumes nicht gut zueinander passen denn in der Kälte den schweren oder dicken Rock tragen, was könnte daran „schrecklich“ sein. Zum Schaden für die Harmlosigkeit dieses Traumes bringt auch der erste Einfall bei der Analyse die Erinnerung, daß eine Dame ihm gestern vertraulich gestanden, daß ihr letztes Kind einem geplatzten Kondom seine Existenz verdankt. Er rekonstruiert nun seine Gedanken bei diesem Anlasse: Ein dünner Kondom ist gefährlich, ein dicker schlecht. Der Kondom ist der „Überzieher“ mit Recht, man zieht ihn ja über; so heißt man auch einen leichten Rock. Ein Ereignis wie das von der Dame berichtete wäre für den unverheirateten Mann allerdings „schrecklich“. — Nun wieder zurück zu unserer harmlosen Träumerin.

§ 507

IV. Sie steckt eine Kerze in den Leuchter; die Kerze ist aber gebrochen, so daß sie nicht gut steht. Die Mädchen in der Schule sagen, sie sei ungeschickt; das Fräulein aber es sei nicht ihre Schuld.

§ 508

Ein realer Anlaß auch hier; sie hat gestern wirklich eine Kerze in den Leuchter gesteckt; die war aber nicht gebrochen. Hier ist eine durchsichtige Symbolik verwendet worden. Die Kerze ist ein Gegenstand, der die weiblichen Genitalien reizt; wenn sie gebrochen ist, so daß sie nicht gut steht, so bedeutet dies die Impotenz des Mannes („es sei nicht ihre Schuld“). Ob nur die sorgfältig erzogene und allem Häßlichen fremd gebliebene junge Frau diese Verwendung der Kerze kennt? Zufällig kann sie noch angeben, durch welches Erlebnis sie zu dieser Erkenntnis gekommen ist. Bei einer Kahnfahrt auf dem Rhein führt ein Boot an ihnen vorüber, in dem Studenten sitzen, welche mit großem Behagen ein Lied singen oder brüllen: „Wenn die Königin von Schweden, bei geschlossenen Fensterläden mit Apollokerzen ....

*) Eine Ersetzung durch das Gegenteil, wie uns nach der Deutung klar werden wird. § 509

Das letzte Wort hört oder versteht sie nicht. Ihr Mann muß ihr die verlangte Aufklärung geben. Diese Verse sind dann im Trauminhalt ersetzt durch eine harmlose Erinnerung an einen Auftrag, den sie einmal im Pensionat ungeschickt ausführte, und zwar vermöge des Gemeinsamen: geschlossene Fensterläden. Die Verbindung des Themas von der Onanie mit der Impotenz ist klar genug. „Apollo“ im latenten Trauminhalt verknüpft diesen Traum mit einem früheren, in dem von der jungfräulichen Pallas die Rede war. Alles wahrlich nicht harmlos.

§ 510

V. Damit man sich die Schlüsse aus den Träumen auf die wirklichen Lebensverhältnisse der Träumer nicht zu leicht vorstelle, füge ich noch einen Traum an, der gleichfalls harmlos scheint und von derselben Person herrührt. Ich habe etwas geträumt, erzählt sie, was ich bei Tag wirklich getan habe, nämlich einen kleinen Koffer so voll mit Büchern gefüllt, daß ich Mühe hatte ihn zu schließen, und ich habe es so geträumt, wie es wirklich vorgefallen ist. Hier legt die Erzählerin selbst das Hauptgewicht auf die Übereinstimmung von Traum und Wirklichkeit. Alle solche Urteile über den Traum, Bemerkungen zum Traume, gehören nun, obwohl sie sich einen Platz im wachen Denken geschaffen haben, doch regelmäßig in den latenten Trauminhalt, wie uns noch spätere Beispiele bestätigen werden. Es wird uns also gesagt, das, was der Traum erzählt, ist am Tage vorher wirklich vorgefallen. Es wäre nun zu weitläufig mitzuteilen, auf welchem Wege man zum Einfalle kommt, bei der Deutung das Englische zur Hilfe zu nehmen. Genug, es handelt sich wieder um eine kleine box (vergleiche Seite 110 den Traum vom toten Kind in der Schachtel), die so angefüllt worden ist, daß nichts mehr hineinging. Wenigstens nichts Arges diesmal.

§ 511

In all diesen „harmlosen“ Träumen schlägt das sexuelle Moment als Motiv der Zensur so sehr auffällig vor. Doch ist dies ein Thema von prinzipieller Bedeutung, welches wir zur Seite stellen müssen.

§ 512

b) Das Infantile als Traumquelle.

§ 513

Als dritte unter den Eigentümlichkeiten des Trauminhalts haben wir mit allen Autoren (bis auf Robert) angeführt, daß im Traume, Eindrücke aus den frühesten Lebensaltern erscheinen können, über welche das Gedächtnis im Wachen nicht zu verfügen scheint. Wie selten oder wie häufig sich dies ereignet, ist begreiflicherweise schwer zu beurteilen, weil die betreffenden Elemente des Traumes nach dem Erwachen nicht in ihrer Herkunft erkannt werden. Der Nachweis, daß es sich hier um Eindrücke der Kindheit handelt, muß also auf objektivem Wege erbrahht werden, wozu sich die Bedingungen nur in seltenen Fällen zusammenfinden können. Als besonders beweiskräftig wird von A. Maury 48)48) die Geschichte eines Mannes erzählt, welcher eines Tages sich entschloß, nach zwanzigjähriger Abwesenheit seinen Heimatsort aufzusuchen. In der Nacht vor der Abreise träumte er, er sei in einer ihm ganz unbekannten Ortschaft und begegne daselbst auf der Straße einem unbekannten Herrn, mit dem er sich unterhalte. In seine Heimat zurückgekehrt, konnte er sich nun überzeugen, daß diese unbekannte Ortschaft in nächster Nähe seiner Heimatstadt wirklich existiere, und auch der unbekannte Mann des Traumes stellte sich als ein dort lebender Freund seines verstorbenen Vaters heraus. Wohl ein zwingender Beweis dafür, daß er beide, Mann wie Ortschaft, in seiner Kindheit gesehen hatte. Der Traum ist übrigens als Ungeduldstraum zu deuten, wie der des Mädchens, welches das Billet für den Konzertabend in der Tasche trägt (Seite 110), des Kindes, welchem der Vater den Ausflug nach dem Hameau versprochen hat u. dgl. Die Motive, welche dem Träumer gerade diesen Eindruck aus seiner Kindheit reproduzieren, sind natürlich ohne Analyse nicht aufzudecken.

§ 514

Einer meiner Kolleghörer, welcher sich rühmte, daß seine Träume nur sehr selten der Traumentstellung unterliegen, teilte mir mit, daß er vor einiger Zeit im Traume gesehen, sein ehemaliger Hofmeister befinde sich im Bette der Bonne, die bis zu seinem elften Jahre im Hause gewesen war. Die Örtlichkeit für diese Szene fiel ihm noch im Traume ein. Lebhaft interessiert teilte er den Traum seinem älteren Bruder mit, der ihm lachend die Wirklichkeit des Geträumten bestätigte. Er erinnere sich sehr gut daran, denn er sei damals sechs Jahre alt gewesen. Das Liebespaar pflegte ihn, den älteren Knaben, durch Bier betrunken zu machen, wenn die Umstände einem nächtlichen Verkehre günstig waren. Das kleinere, damals dreijährige Kind — unser Träumer —, das im Zimmer der Bonne schlief, wurde nicht als Störung betrachtet.

§ 515

Noch in einem anderen Falle laßt es sich mit Sicherheit ohne Beihilfe der Traumdeutung feststellen, daß der Traum Elemente aus der Kindheit enthält, wenn nämlich der Traum ein sogenannter perennierender ist, der, in der Kindheit zuerst geträumt, später immer wieder von Zeit zu Zeit während des Schlafes es Erwachsenen auftritt. Zu den bekannten Beispielen dieser Art kann ich einige aus meiner Erfahrung hinzufügen, wenngleich ich an mir selbst einen solchen perennierenden Traum nicht kennen gelernt habe. Ein Arzt in den Dreißigern erzählte mir, daß in seinem Traumleben von den ersten Zeiten seiner Kindheit an bis zum heutigen Tage häufig ein gelber Löwe erscheint, über den er die genaueste Auskunft zu geben vermag. Dieser ihm aus Träumen bekannte Löwe fand sich nämlich eines Tages in natura als ein lange verschollener Gegenstand aus Porzellan vor, und der junge Mann hörte damals von seiner Mutter, daß dieses Objekt das begehrteste Spielzeug seiner frühen Kinderzeit gewesen war, woran er sich selbst nicht mehr erinnern konnte.

§ 516

Wendet man sich nun von dem manifesten Trauminhalt zu den Traumgedanken, welche erst die Analyse aufdeckt, so kann man mit Erstaunen die Mitwirkung von Kindheitserlebnissen auch bei solchen Träumen konstatieren, deren Inhalt keine derartige Vermutung erweckt hätte. Dem geehrten Kollegen vom „gelben Löwen“ verdanke ich ein besonders liebenswürdiges und lehrreiches Beispiel eines solchen Traumes. Nach der Lektüre von Nansens Reisebericht über seine Polarexpedition träumte er, in einer Eiswüste galvanisiere er den kühnen Forscher wegen einer Ischias, über welche dieser klage! Zur Analyse dieses Traumes fiel ihm eine Geschichte aus seiner Kindheit ein, ohne welche der Traum allerdings unverständlich bleibt. Als er ein drei- oder vierjähriges Kind war, hörte er eines Tages neugierig zu, wie die Erwachsenen von Entdeckungsreisen sprachen, und fragte dann den Papa, ob das eine schwere Krankheit sei. Er hatte offenbar Reisen mitReißen“ verwechselt, und der Spott seiner Geschwister sorgte dafür, daß ihm das beschämende Erlebnis nicht in Vergessenheit geriet.

§ 517

Ein ganz ähnlicher Fall ist es, wenn ich in der Analyse des Traumes von der Monographie über die Gattung Zyklamen auf eine erhalten gebliebene Jugenderinnerung stoße, daß der Vater dem fünfjährigen Knaben ein mit farbigen Tafeln ausgestattetes Buch zur Zerstörung überlaßt. Man wird etwa den Zweifel aufwerfen, ob diese Erinnerung wirklich an der Gestaltung des Trauminhalts Anteil genommen hat, ob nicht vielmehr die Arbeit der Analyse eine Beziehung erst nachträglich herstellt. Aber die Reichhaltigkeit und Verschlungenheit der Assoziationsverknüpfungen bürgt für die erstere Auffassung: Zyklamen — Lieblingsblume — Lieblingsspeise — Artischocke; zerpflücken wie eine Artischocke, Blatt für Blatt (eine Wendung, die einem anläßlich der Teilung des chinesischen Reiches damals täglich ans Ohr schlug); — Herbarium — Bücherwurm, dessen Lieblingsspeise Bücher sind. Außerdem kann ich versichern, daß der letzte Sinn des Traumes, den ich hier nicht ausgeführt habe, zum Inhalt der Kinderszene in intimster Beziehung steht.

§ 518

Bei einer anderen Reihe von Träumen wird man durch die Analyse belehrt, daß der Wunsch selbst, der den Traum erregt hat, als dessen Erfüllung der Traum sich darstellt, aus dem Kinderleben stammt, so daß man zu seiner Überraschung im Traume das Kind mit seinen Impulsen weiterlebend findet.

§ 519

Ich setze an dieser Stelle die Deutung eines Traumes fort, aus dem wir bereits einmal neue Belehrung geschöpft haben, ich meine den Traum: Freund R. ist mein Onkel (Seite 99). Wir haben dessen Deutung so weit gefördert, daß uns das Wunschmotiv, zum Professor ernannt zu werden, greifbar entgegentrat, und wir erklärten uns die Zärtlichkeit des Traumes für Freund R. als eine Oppositions- und Trotzschöpfung gegen die Schmähung der beiden Kollegen, die in den Traumgedanken enthalten war. Der Traum war mein eigener; ich darf darum dessen Analyse mit der Mitteilung fortsetzen, daß mein Gefühl durch die erreichte Lösung noch nicht befriedigt war. Ich wußte, daß mein Urteil über die in den Traumgedanken mißhandelten Kollegen im Wachen ganz anders gelautet hätte; die Macht des Wunsches, ihr Schicksal in Betreff der Ernennung nicht zu teilen, erschien mir zu gering, um den Gegensatz zwischen wacher und Traumschätzung voll aufzuklären. Wenn mein Bedürfnis, mit einem anderen Titel angeredet zu werden, so stark sein sollte, so beweist dies einen krankhaften Ehrgeiz, den ich nicht an mir kenne, den ich fern von mir glaube. Ich weiß nicht, wie andere, die mich zu kennen glauben, in diesem Punkte über mich urteilen würden; vielleicht habe ich auch wirklich Ehrgeiz besessen; aber wenn, so hat er sich längst auf andere Objekte als auf Titel und Rang eines Professor extraordinarius geworfen.

§ 520

Woher dann also der Ehrgeiz, der mir den Traum eingegeben hat? Da fällt mir ein, was ich so oft in der Kindheit erzählen gehört habe, daß bei meiner Geburt eine alte Bäuerin der über den Erstgeborenen glücklichen Mutter prophezeit, daß sie der Welt einen großen Mann geschenkt habe. Solche Prophezeiungen müssen sehr häufig vorfallen; es gibt soviel erwartungsfrohe Mütter und soviel alte Bäuerinnen oder andere alte Weiber, deren Macht auf Erden vergangen ist, und die sich darum der Zukunft zugewendet haben. Es wird auch nicht der Schade der Prophetin gewesen sein. Sollte meine Größensehnsucht aus dieser Quelle stammen? Aber da besinne ich mich eben eines anderen Eindruckes aus späteren Jugendjahren, der sich zur Erklärung noch besser eignen würde: Es war eines Abends in einem der Wirtshäuser im Prater, wohin die Eltern den elf- oder zwölfjährigen Knaben mitzunehmen pflegten, daß uns ein Mann auffiel, der von Tisch zu Tisch ging und für ein kleines Honorar Verse über ein ihm aufgegebenes Thema improvisierte. Ich wurde abgeschickt, den Dichter an unseren Tisch zu bestellen, und er erwies sich dem Boten dankbar. Ehe er nach seiner Aufgabe fragte, ließ er einige Reime über mich fallen und erklärte es in seiner Inspiration für wahrscheinlich, daß ich noch einmal „Minister“ werde. An den Eindruck dieser zweiten Prophezeiung kann ich mich noch sehr wohl erinnern. Es war die Zeit des Bürgerministeriums, der Vater hatte kurz vorher die Bilder der bürgerlichen Doktoren Herbst, Giskra, Unger, Berger u. a. nach Hause gebracht, und wir hatten diesen Herren zur Ehre illuminiert. Es waren sogar Juden unter ihnen; jeder fleißige Judenknabe trug also das Ministerportefeuille in seiner Schultasche. Es muß mit den Eindrücken jener Zeit sogar zusammenhängen, daß ich bis kurz vor der Inskription an der Universität willens war Jura zu studieren, und erst im letzten Moment umsattelte. Dem Mediziner ist ja die Ministerlaufbahn überhaupt verschlossen. Und nun mein Traum! Ich merke es erst jetzt, daß er mich aus der trüben Gegenwart in die hoffnungsfrohe Zeit des Bürgerministeriums zurückversetzt und meinen Wunsch von damals nach seinen Kräften erfüllt. Indem ich die beiden gelehrten und achtenswerten Kollegen, weil sie Juden sind, so schlecht behandle, den einen, als ob er ein Schwachkopf, den anderen, als ob er ein Verbrecher wäre, indem ich so verfahre, benehme ich mich, als ob ich der Minister wäre, habe ich mich an die Stelle des Ministers gesetzt. Welch gründliche Rache an Seiner Exzellenz! Er verweigert es, mich zum Professor extraordinarius zu ernennen, und ich setze mich dafür im Traume an seine Stelle.

§ 521

In einem anderen Falle konnte ich merken, daß der Wunsch, welcher den Traum erregt, obzwar ein gegenwärtiger, doch eine mächtige Verstärkung aus tiefreichenden Kindererinnerungen bezieht. Es handelt sich hier um eine Reihe von Träumen, denen die Sehnsucht, nach Rom zu kommen, zu Grunde liegt. Ich werde diese Sehnsucht wohl noch lange Zeit durch Träume befriedigen müssen, denn um die Zeit des Jahres, welche mir für eine Reise zur Verfügung steht, ist der Aufenthalt in Rom aus Rücksichten der Gesundheit zu meiden.*)*) So träume ich denn einmal, daß ich vom Coupéfenster aus Tiber und Engelsbrücke sehe; dann setzt sich der Zug in Bewegung, und es fällt mir ein, daß ich die Stadt ja gar nicht betreten habe. Die Aussicht, die ich im Traume sah, war einem bekannten Stiche nachgebildet, den ich tags zuvor im Salon eines Patienten flüchtig bemerkt hatte. Ein an andermal führt mich jemand auf einen Hügel und zeigt mir Rom, vom Nebel halb verschleiert und noch so fern, daß ich mich über die Deutlichkeit der Aussicht wundere. Der Inhalt dieses Traumes ist reicher, als ich hier ausführen möchte. Das Motiv, „das Gelobte Land von fern sehen“, ist darin leicht zu erkennen. Die Stadt, die ich so zuerst im Nebel gesehen habe, ist Lübeck; der Hügel findet sein Vorbild in — Gleichenberg. In einem dritten Traume bin ich endlich in Rom, wie mir der Traum sagt. Ich sehe aber zu meiner Enttäuschung eine keineswegs städtische Szenerie, einen kleinen Fluß mit dunklem Wasser, auf der einen Seite desselben schwarze Felsen, auf der anderen Wiesen mit großen weißen Blumen. Ich bemerke einen Herrn Zucker (den ich oberflächlich kenne) und beschließe, ihn um den Weg in die Stadt zu fragen. Es ist offenbar, daß ich mich vergebens bemühe, eine Stadt im Traume zu sehen, die ich im Wachen nicht gesehen habe. Wenn ich das Landschaftsbild des Traumes in seine Elemente zersetze, so deuten die weißen Blumen auf das mir bekannte Ravenna, das wenigstens eine Zeitlang als Italiens Hauptstadt Rom den Vorrang abgenommen hatte. In den Sümpfen um Ravenna haben wir die schönsten Seerosen mitten im schwarzen Wasser gefunden; der Traum läßt sie auf Wiesen wachsen wie die Narzissen in unserem Aussee, weil es damals so mühselig war, sie aus dem Wasser zu holen. Der dunkle Fels, so nahe am Wasser, erinnert lebhaft an das Thal der Tepl bei Karlsbad. „Karlsbad“ setzt mich nun in den Stand, mir den sonderbaren Zug zu erklären, daß ich Herrn Zucker um den Weg frage. Es sind hier in dem Material, aus dem der Traum gesponnen ist, zwei jener lustigen jüdischen Anekdoten zu erkennen, die soviel tiefsinnige, oft bittere, Lebensweisheit verbergen und die wir in Gesprächen und Briefen so gern zitieren. Die eine ist die Geschichte von der „Konstitution“, des Inhalts, wie ein armer Jude ohne Fahrbillet den Einlaß in den Eilzug nach Karlsbad erschleicht, dann ertappt, bei jeder Revision vom Zuge gewiesen und immer härter behandelt wird, und der dann einem Bekannten, welcher ihn auf einer seiner Leidensstationen antrifft, auf die Frage, wohin er reise, zur Antwort gibt: „Wenn's meine Konstitution aushält — nach Karlsbad.“ Nahe dabei ruht im Gedächtnis eine andere Geschichte von einem des Französischen unkundigen Juden, dem eingeschärft wird, in Paris nach dem Wege zur Rue Richelieu zu fragen. Auch Paris war lange Jahre hindurch ein Ziel meiner Sehnsucht, und die Seligkeit, in welcher ich zuerst den Fuß auf das Pflaster von Paris setzte, nahm ich als Gewähr, daß ich auch die Erfüllung anderer Wünsche erreichen werde. Das Umden-Weg-Fragen ist ferner eine direkte Anspielung an Rom, denn nach Rom führen bekanntlich alle Wege. Übrigens deutet der Name Zucker wiederum auf Karlsbad, wohin wir doch alle mit der konstitutionellen Krankheit Diabetes Behafteten schicken. Der Anlaß dieses Traumes war der Vorschlag meines Berliner Freundes, uns zu Ostern in Prag zu treffen. Aus den Dingen, die ich mit ihm zu besprechen hatte, würde sich eine weitere Beziehung zu Zucker und Diabetes ergeben.

*) [Ich habe seither längst erfahren, daß auch zur Erfüllung solcher lange für unerreichbar gehaltener Wünsche nur etwa Mut erfordert wird.] § 522

Ein vierter Traum, kurz nach dem letzterwähnten, bringt mich wieder nach Rom. Ich sehe eine Straßenecke vor mir und wundere mich darüber, daß dort so viele deutsche Plakate angeschlagen sind. Tags vorher hatte ich meinem Freunde in prophetischer Voraussicht geschrieben, Prag dürfte für deutsche Spaziergänger kein bequemer Aufenthaltsort sein. Der Traum drückte also gleichzeitig den Wunsch aus, ihn in Rom zu treffen anstatt in einer böhmischen Stadt, und das wahrscheinlich aus der Studentenzeit stammende Interesse daran, daß in Prag der deutschen Sprache mehr Duldung gewährt sein möge. Die tschechische Sprache muß ich übrigens in meinen drei ersten Kinderjahren verstanden haben, da ich in einem kleinen Orte Mährens mit slawischer Bevölkerung geboren bin. Ein tschechischer Kindervers, den ich in meinem 17. Jahre gehört, hat sich meinem Gedächtnis mühelos so eingeprägt, daß ich ihn noch heute hersagen kann, obwohl ich keine Ahnung von seiner Bedeutung habe. Es fehlt also auch diesen Träumen nicht an mannigfaltigen Beziehungen zu den Eindrücken meiner ersten Lebensjahre.

§ 523

Auf meiner letzten Italienreise, die mich unter anderem am Trasimenersee vorüberführte, fand ich endlich, nachdem ich den Tiber gesehen und schmerzlich bewegt 80 Kilometer weit von Rom umgekehrt war, die Verstärkung auf, welche meine Sehnsucht nach der ewigen Stadt aus Jugendeindrücken bezieht. Ich erwog gerade den Plan, ein nächstes Jahr an Rom vorbei nach Neapel zu reisen, als mir ein Satz einfiel, den ich bei einem unserer klassischen Schriftsteller gelesen haben muß: Es ist fraglich, wer eifriger in seiner Stube auf und ab lief, nachdem er den Plan gefaßt, nach Rom zu gehen, der Konrektor Winckelmann oder er Feldherr Hannibal. Ich war ja auf den Spuren Hannibals gewandelt; es war mir so wenig wie ihm beschieden, Rom zu sehen, und auch er war nach Kampanien gezogen, nachdem alle Welt ihn in Rom erwartet hatte. Hannibal, mit dem ich diese Ähnlichkeit erreicht hatte, war aber der Lieblingsheld meiner Gymnasialjahre gewesen; wie so viele in jenem Alter, hatte ich meine Sympathien während der Punischen Kriege nicht den Römern, sondern dem Karthager zugewendet. Als dann im Obergymnasium das erste Verständnis für die Konsequenzen der Abstammung aus landesfremder Rasse erwuchs, und die antisemitischen Regungen unter den Kameraden mahnten Stellung zu nehmen, da hob sich die Gestalt des semitischen Feldherrn noch höher in meinen Augen. Hannibal und Rom symbolisierten dem Jüngling den Gegensatz zwischen der Zähigkeit des Judentum und er Organisation der katholischen Kirche. Die Bedeutung, welche die antisemitische Bewegung seither für unser Gemütsleben gewonnen hat, verhalf dann den Gedanken und Empfindungen jener frühen Zeit zur Fixierung. So ist der Wunsch, nach Rom zu kommen, für das Traumleben zum Deckmantel und Symbol für mehrere andere heißersehnte Wünsche geworden, an deren Verwirklichung man mit der Ausdauer und Ausschließlichkeit des Puniers arbeiten möchte, und deren Erfüllung zeitweilig vom Schicksal ebenso wenig begünstigt scheint wie der Lebenswunsch Hannibals, in Rom einzuziehen.

§ 524

Und nun stoße ich erst auf das Jugenderlebnis, das in all diesen Empfindungen und Träumen noch heute seine Macht äußert. Ich mochte zehn oder zwölf Jahre gewesen sein, als mein Vater begann, mich auf seine Spaziergänge mitzunehmen und mir in Gesprächen seine Ansichten über die Dinge dieser Welt zu eröffnen. So erzählte er mir einmal, um mir zu zeigen, in wie viel bessere Zeiten ich gekommen sei als er: Als ich ein junger Mensch war, bin ich in deinem 139 Geburtsorte am Samstag in der Straße spazieren gegangen, schön gekleidet, mit einer neuen Pelzmütze auf dem Kopfe. Da kommt ein Christ daher, haut mir mit einem Schlage die Mütze in den Kot und ruft dabei: Jud, herunter vom Trottoir! „Und was hast du getan?“ Ich bin auf den Fahrweg gegangen und habe die Mütze aufgehoben, war die gelassene Antwort. Das schien mir nicht heldenhaft von dem großen starken Manne, der mich Kleinen an der Hand führte. Ich stellte dieser Situation, die mich nicht befriedigte, eine andere gegenüber, die meinem Empfinden besser entsprach, die Szene, in welcher Hannibals Vater, Hamilkar *)*) Barkas, seinen Knaben vor dem Hausaltar schwören läßt, an den Römern Rache zu nehmen. Seitdem hatte Hannibal einen Platz in meinen Phantasien.

§ 525

Ich meine, daß ich die Schwärmerei für den karthagischen General noch ein Stück weiter in meine Kindheit zurück verfolgen kann, so daß es sich auch hier nur um die Übertragung einer bereits gebildeten Affektrelation auf einen neuen Träger handeln dürfte. Eines der ersten Bücher, das dem lesefähigen Kinde in die Hände fiel, war Thiers' Konsulat und Kaiserreich; ich erinnere mich, daß ich meinen Holzsoldaten kleine Zettel mit den Namen der kaiserlichen Marschälle auf den flachen Rücken geklebt, und daß damals schon Masséna (als Jude: Menasse) mein erklärter Liebling war. Napoleon selbst schließt sich durch den Übergang über die Alpen an Hannibal an. Und vielleicht ließe sich die Entwicklung dieses Kriegerideals noch weiter zurück in die Kindheit verfolgen bis auf Wünsche, die der bald freundschaftliche, bald kriegerische Verkehr während der ersten drei Jahre mit einem um ein Jahr älteren Knaben bei dem schwächeren der beiden Gespielen hervorrufen mußte.

§ 526

Je tiefer man sich in die Analyse der Träume einläßt, desto häufiger wird man auf die Spur von Kindheitserlebnissen geführt, welche im latenten Trauminhalt eine Rolle als Traumquellen spielen.

§ 527

Wir haben gehört (Seite 13), daß der Traum sehr selten Erinnerungen so reproduziert, daß sie unverkürzt und unverändert den alleinigen manifesten Trauminhalt bilden. Immerhin sind einige Beispiele für dieses Vorkommen sichergestellt, zu denen ich einige neue hinzufügen kann, die sich wiederum auf Infantilszenen beziehen. Bei einem meiner Patienten brachte einmal ein Traum eine kaum entstellte Wiedergabe eines sexuellen Vorfalles, die sofort als getreue Erinnerung erkannt wurde. Die Erinnerung daran war im Wachen zwar nie völlig verloren gewesen, aber doch stark verdunkelt worden, und ihre Neubelebung war ein Erfolg der vorausgegangenen analytischen Arbeit. Der Träumer hatte mit zwölf Jahren einen bettlägerigen Kollegen besucht, der sich wahrscheinlich nur zufällig bei einer Bewegung im Bette entblößte. Beim Anblick seiner Genitalien von einer Art Zwang ergriffen, entblößte er sich selbst und faßte das Glied des anderen, der ihn aber unwillig und verwundert ansah, worauf er verlegen wurde und abließ. Diese Szene wiederholte ein Traum 23 Jahre später auch mit allen Einzelheiten der in ihr vorkommenden Empfindungen, veränderte sie aber dahin, daß der Träumer anstatt der aktiven die passive Rolle übernahm, während die Person des Schulkollegen durch eine der Gegenwart angehörige ersetzt wurde.

*) [In der ersten Auflage stand hier der Name: Hasdrubal, ein befremdender Irrtum, dessen Aufklärung ich in meiner „Psychopathologie des Alltagslebens“ (1901, 1904 und 2. Aufl. 1907 gegeben habe).] § 528

In der Regel freilich ist die Infantilszene im manifesten Trauminhalt nur durch eine Anspielung vertreten und muß durch Deutung aus dem Traume entwickelt werden. Die Mitteilung solcher Beispiele kann nicht sehr beweiskräftig ausfallen, weil ja für diese Kindererlebnisse meistens jede andere Gewähr fehlt; sie werden, wenn sie in ein frühes Alter fallen, von der Erinnerung nicht mehr anerkannt. Das Recht, überhaupt aus Träumen auf solche Kindererlebnisse zu schließen, ergibt sich bei der psychoanalytischen Arbeit aus einer ganzen Reihe von Momenten, die in ihrem Zusammenwirken verläßlich genug erscheinen. Zum Zwecke der Traumdeutung aus ihrem Zusammenhange gerissen, werden solche Zurückführungen von Träumen auf Kindererlebnisse vielleicht wenig Eindruck machen, besonders da ich nicht einmal alles Material mitteile, auf welches sich die Deutung stützt. Indes will ich mich von der Mitteilung darum nicht abhalten lassen.

§ 529

I. Bei einer meiner Patientinnen haben alle Träume den Charakter des „Gehetzten“; sie hetzt sich, um zurecht zu kommen, den Eisenbahnzug nicht zu versäumen u. dgl. In einem Traume soll sie ihre Freundin besuchen; die Mutter hat ihr gesagt, sie soll fahren, nicht gehen; sie läuft aber und fällt dabei in einem fort. — Das bei der Analyse auftauchende Material gestattet, die Erinnerung an Kinderhetzereien zu erkennen (man weiß, was der Wiener „eine Hetz“ nennt), und gibt speziell für den einen Traum die Zurückführung auf den bei Kindern beliebten Scherz, den Satz: „Die Kuh rannte bis sie fiel“ so rasch auszusprechen, als ob er ein einziges Wort wäre, was wiederum ein „Hetzen“ ist. Alle diese harmlosen Hetzereien unter kleinen Freundinnen werden erinnert, weil sie andere, minder harmlose, ersetzen.

§ 530

II. Von einer anderen folgender Traum: Sie ist in einem großen Zimmer, in dem allerlei Maschinen stehen, etwa so, wie sie sich eine orthopädische Anstalt vorstellt. Sie hört, daß ich keine Zeit habe, und daß sie die Behandlung gleichzeitig mit fünf anderen machen muß. Sie sträubt sich aber und will sich in das für sie bestimmte Bett — oder was es ist — nicht legen. Sie steht in einem Winkel und wartet, daß ich sage, es ist nicht wahr. Die anderen lachen sie unterdes aus, es sei Faxerei von ihr. — Daneben, als ob sie viele kleine Quadrate machen würde. Der erste Teil dieses Trauminhalts ist eine Anknüpfung an die Kur und Übertragung auf mich. Der zweite enthält die Anspielung an die Kinderszene; mit der Erwähnung des Bettes sind die beiden Stücke aneinander gelötet. Die orthopädische Anstalt geht auf eine meiner Reden zurück, in der ich die Behandlung ihrer Dauer wie ihrem Wesen nach mit einer orthopädischen verglichen hatte. Ich mußte ihr zu Anfang der Behandlung mitteilen, daß ich vorläufig wenig Zeit für sie habe, ihr aber später eine ganze Stunde täglich widmen würde. Dies machte die alte Empfindlichkeit in ihr rege, die ein Hauptcharakterzug der zur Hysterie bestimmten Kinder ist. Sie sind unersättlich für Liebe. Meine Patientin war die jüngste von sechs Geschwistern (daher: mit fünf anderen) und als solche der Liebling des Vaters, scheint aber gefunden zu haben, daß der geliebte Vater ihr noch zu wenig Zeit und Aufmerksamkeit widme. — Daß sie wartet, bis ich sage, es ist nicht wahr, hat folgende Ableitung: Ein kleiner Schneiderjunge hatte ihr ein Kleid gebracht, und sie ihm dafür das Geld mitgegeben. Dann fragte sie ihren Mann, ob sie das Geld nochmals bezahlen müsse, wenn er es verliere. Der Mann, um sie zu necken, versicherte: ja (die Neckerei im Trauminhalt), und sie fragte immer wieder von neuem und wartete darauf, daß er endlich sage, es ist nicht wahr. Nun läßt sich für den latenten Trauminhalt der Gedanke konstruieren, ob sie mir wohl das Doppelte bezahlen müsse, wenn ich ihr die doppelte Zeit widme, ein Gedanke, der geizig oder schmutzig ist. (Die Unreinlichkeit der Kinderzeit wird sehr häufig vom Traume durch Geldgeiz ersetzt; das Wort „schmutzig“ bildet dabei die Brücke.) Wenn all das vom Warten, bis ich sage u. s. w., das Wort „schmutzig“ im Traume umschreiben soll, so stimmt das Im-Winkel-Stehen und das Sich-nicht-ins—Bett-Legen dazu als Bestandteil einer Kinderszene, in der sie das Bett schmutzig gemacht hatte, zur Strafe in den Winkel gestellt wird unter der Androhung, daß sie der Papa nicht mehr lieb haben werde, die Geschwister sie auslachen u. s. w. Die kleinen Quadrate zielen auf ihre kleine Nichte, die ihr die Rechenkunst gezeigt, wie man in neun Quadrate, glaube ich, Zahlen so einschreibt, daß sie, nach allen Richtungen addiert, 15 ergeben.

§ 531

III. Der Traum eines Mannes: Er sieht zwei Knaben, die sich balgen, und zwar Faßbinderknaben, wie er aus den herumliegenden Gerätschaften schließt; einer der Knaben hat den anderen niedergeworfen, der liegende Knabe hat Ohrringe mit blauen Steinen. Er eilt dem Missetäter mit erhobenem Stocke nach, um ihn zu züchtigen. Dieser flüchtet zu einer Frau, die bei einem Bretterzaun steht, als ob sie seine Mutter wäre. Es ist eine Taglöhnersfrau, die dem Träumer den Rücken zuwendet. Endlich kehrt sie sich um und schaut ihn mit einem gräßlichen Blicke an, so daß er erschreckt davonläuft. An ihren Augen sieht man vom unteren Lid das rote Fleisch vorstehen.

§ 532

Der Traum hat triviale Begebenheiten des Vortages reichlich verwertet. Er hat gestern wirklich zwei Knaben auf der Straße gesehen, von denen einer den anderen hinwarf. Als er hinzueilte, um zu schlichten, ergriffen sie beide die Flucht. — Faßbinderknaben: wird erst durch einen nachfolgenden Traum erklärt, in dessen Analyse er die Redensart gebraucht: Dem Faß den Boden ausschlagen. Ohrringe mit blauen Steinen tragen nach seiner Beobachtung meist die Prostituierten. So fügt sich ein bekannter Klapphornvers von zwei Knaben an: Der andere Knabe, der hieß Marie (d. h.: war ein Mädchen). — Die stehende Frau: Nach der Szene mit den beiden Knaben ging er am Donauufer spazieren und benutzte die Einsamkeit dort, um gegen einen Bretterzaun zu urinieren. Auf dem weiteren Wege lächelte ihn eine anständig gekleidete ältere Dame sehr freundlich an und wollte ihm ihre Adreßkarte überreichen.

§ 533

Da die Frau im Traume so steht wie er beim Urinieren, so handelt es sich um ein urinierendes Weib, und dazu gehört dann der gräßliche „Anblick“, das Vorstehen des roten Fleisches, was sich nur auf die beim Kauern klaffenden Genitalien beziehen kann, die, in der Kinderzeit gesehen, in der späteren Erinnerung alswildes Fleisch“, als „Wunde“ wieder auftreten. Der Traum vereinigt zwei Anlässe, bei denen der kleine Knabe die Genitalien kleiner Mädchen sehen konnte, beim Hinwerfen und bei deren Urinieren, und wie aus dem anderen Zusammenhang hervorgeht, bewahrt er die Erinnerung an eine Züchtigung oder Drohung des Vaters wegen der von dem Buben bei diesen Anlässen bewiesenen sexuellen Neugierde.

§ 534

IV. Eine ganze Summe von Kindererinnerungen, zu einer Phantasie notdürftig vereinigt, findet sich hinter folgendem Traume einer jüngeren Dame.

§ 535

Sie geht in Hetze aus, Kommissionen zu machen. Auf dem Graben sinkt sie dann, wie zusammengebrochen, in die Knie. Viele Leute sammeln sich um sie, besonders die Fiakerkutscher; aber niemand hilft ihr auf. Sie macht viele vergebliche Versuche; endlich muß es gelungen sein, denn man setzt sie in einen Fiaker, der sie nach Hause bringen soll; durchs Fenster wirft man ihr einen großen schwer gefüllten Korb nach (ähnlich einem Einkaufskorbe).

§ 536

Es ist dieselbe, die in ihren Träumen immer gehetzt wird, wie sie als Kind gehetzt hat. Die erste Situation des Traumes ist offenbar von dem Anblicke eines gestürzten Pferdes hergenommen, wie auch das „Zusammenbrechen“ auf Wettrennen deutet. Sie war in jungen Jahren Reiterin, in noch jüngeren wahrscheinlich auch Pferd. Zu dem Hinstürzen gehört die erste Kindheitserinnerung an den 17jährigen Sohn des Portiers, der, auf der Straße von epileptischen Krämpfen befallen, im Wagen nach Hause gebracht wurde. Davon hat sie natürlich nur gehört, aber die Vorstellung von epileptischen Krämpfen, vom „Hinfallenden“ hat große Macht über ihre Phantasie gewonnen und später ihre eigenen hysterischen Anfälle in ihrer Form beeinflußt. — Wenn eine Frauensperson vom Fallen träumt, so hat das wohl regelmäßig einen sexuellen Sinn, sie wird eine „Gefallene“; für unseren Traum wird diese Deutung am wenigsten zweifelhaft sein, denn sie fällt auf dem Graben, jenem Platze von Wien, der als Korso der Prostitution bekannt ist. Der Einkaufskorb gibt mehr als eine Deutung; als Korb erinnert er an die vielen Körbe, die sie zuerst ihren Freiern ausgeteilt, und später, wie sie meint, sich auch selbst geholt hat. Dazu gehört dann auch, daß ihr niemand aufhelfen will, was sie selbst als Verschmähtwerden auslegt. Ferner erinnert der Einkaufskorb an Phantasien, die der Analyse bereits bekannt geworden sind, in denen sie tief unter ihrem Stande geheiratet hat und nun selbst zu Markte einkaufen geht. Endlich aber könnte der Einkaufskorb als Zeichen einer dienenden Person gedeutet werden. Dazu kommen nun weitere Kindheitserinnerungen, an eine Köchin, die weggeschickt wurde, weil sie stahl; die ist auch so in die Knie gesunken und hat gefleht. Sie war damals zwölf Jahre alt. Dann an ein Stubenmädchen, das weggeschickt wurde, weil es sich mit dem Kutscher des Hauses abgab, der sie übrigens später heiratete. Diese Erinnerung ergibt uns also eine Quelle für die Kutscher im Traume (die sich im Gegensatz zur Wirklichkeit der Gefallenen nicht annehmen). Es bleibt aber noch das Nachwerfen des Korbes, und zwar durchs Fenster, zu erklären. Das mahnt sie an das Expedieren des Gepäcks auf der Eisenbahn, an das „Fensterln“ auf dem Lande, an kleine Eindrücke von dem Landaufenthalte, wie ein Herr einer Dame blaue Pflaumen durchs Fenster in ihr Zimmer wirft, wie ihre kleine Schwester sich gefürchtet, weil ein vorübergehender Trottel durchs Fenster ins Zimmer sah. Und nun taucht dahinter eine dunkle Erinnerung aus dem zehnten Lebensjahre auf, von einer Bonne, die auf dem Lande Liebesszenen mit einem Diener des Hauses aufführte, von denen das Kind doch etwas gemerkt haben konnte, und die mitsamt ihrem Liebhaber „expediert“, „hinausgeworfen“ wurde (im Traume der Gegensatz: hineingeworfen“). eine Geschichte, der wir uns auch von mehreren anderen Wegen her genähert hatten. Das Gepäck, der Koffer einer dienenden Person, wird aber in Wien geringschätzig als die „sieben Zwetschken bezeichnet. „Pack' deine sieben Zwetschken zusammen und geh'.“

§ 537

An solchen Träumen von Patienten, deren Analyse zu dunkel oder gar nicht mehr erinnerten Kindereindrücken, oft aus den ersten drei Lebensjahren, führt, hat meine Sammlung natürlich überreichen Vorrat. Es ist aber mißlich, Schlüsse aus ihnen zu ziehen, die für den Traum im allgemeinen gelten sollen; es handelt sich ja regelmäßig um neurotische, speziell hysterische Personen; und die Rolle, welche den Kinderszenen in diesen Träumen zufallt, könnte durch die Natur der Neurose und nicht durch das Wesen des Traumes bedingt sein. Indes begegnet es mir bei der Deutung meiner eigenen Träume, die ich doch nicht wegen grober Leidenssymptome unternehme, ebenso oft, daß ich im latenten Trauminhalt unvermutet auf eine Infantilszene stoße, und daß mir eine ganze Serie von Träumen mit einemmal in die von einem Kindererlebnis ausgehenden Bahnen einmündet. Beispiele hiefür habe ich schon erbracht und werde ich noch bei verschiedenen Anlässen weitere erbringen. Vielleicht kann ich den ganzen Abschnitt nicht besser beschließen, als durch Mitteilung einiger eigenen Träume, in denen rezente Anlässe und langvergessene Kindererlebnisse mitsammen als Traumquellen auftreten.

§ 538

I. Nachdem ich gereist bin, müde und hungrig das Bett aufgesucht habe, melden sich im Schlafe die großen Bedürfnisse des Lebens und ich träume: Ich gehe in eine Küche, um mir Mehlspeise geben zu lassen. Dort stehen drei Frauen, von denen eine die Wirtin ist und etwas in der Hand dreht, als ob sie Knödel machen würde. Sie antwortet, daß ich warten soll, bis sie fertig ist (nicht deutlich als Rede). Ich werde ungeduldig und gehe beleidigt weg. Ich ziehe einen Überrock an; der erste, den ich versuche, ist mir aber zu lang. Ich ziehe ihn wieder aus, etwas überrascht, daß er Pelzbesatz hat. Ein zweiter, den ich anziehe, hat einen langen Streifen mit türkischer Zeichnung eingesetzt. Ein Fremder mit langem Gesichte und kurzem Spitzbarte kommt hinzu und hindert mich am Anziehen, indem er ihn für den seinen erklärt. Ich zeige ihm nun, daß er über und über türkisch gestickt ist. Er fragt: Was gehen Sie die türkischen (Zeichnungen, Streifen ....) an? Wir sind aber dann ganz freundlich miteinander.

§ 539

In der Analyse dieses Traumes fällt mir ganz unerwartet der erste Roman ein, den ich, vielleicht 13jährig, gelesen, (d. h. mit dem Ende des ersten Bandes begonnen habe. Den Namen des Romans und seines Autors habe ich nie gewußt, aber der Schluß ist mir nun in lebhafter Erinnerung. Der Held verfällt in Wahnsinn und ruft beständig die drei Frauennamen, die ihm im Leben das größte Glück und das Unheil bedeutet haben. Pélagie ist einer dieser Namen. Noch weiß ich nicht, was ich mit diesem Einfall in der Analyse beginnen werde. Da tauchen zu den drei Frauen die drei Parzen auf, die das Geschick des Menschen spinnen, und ich weiß, daß eine der drei Frauen, die Wirtin im Traume, die Mutter ist, die das Leben gibt, mitunter auch, wie bei mir, dem Lebenden die erste Nahrung. An der Frauenbrust treffen sich Liebe und Hunger. Ein junger Mann, erzählt die Anekdote, der ein großer Verehrer der Frauenschönheit wurde, äußerte einmal, als die Rede auf die schöne Amme kam, die ihn als Säugling genährt: es tue ihm leid, die gute Gelegenheit damals nicht besser ausgenützt zu haben. Ich pflege mich der Anekdote zur Erläuterung für das Moment der Nachträglichkeit in dem Mechanismus der Psychoneurosen zu bedienen. — Die eine der Parzen also reiht die Handflächen aneinander, als ob sie Knödel machen würde. Eine sonderbare Beschäftigung für eine Parze, welche dringend der Aufklärung bedarf! Diese kommt nun aus einer anderen und früheren Kindererinnerung. Als ich sechs Jahre alt war und den ersten Unterricht bei meiner Mutter genoß, sollte ich glauben, daß wir aus Erde gemacht sind und darum zur Erde zurückkehren müssen. Es behagte mir aber nicht und ich zweifelte die Lehre an. Da rieb die Mutter die Handflächen aneinander — ganz ähnlich wie beim Knödelmachen, nur daß sich kein Teig zwischen ihnen befindet — und zeigte mir die schwärzlichen Epidermisschuppen, die sich dabei abreiben, als eine Probe der Erde, aus der wir gemacht sind, vor. Mein Erstaunen über diese Demonstration ad oculos war grenzenlos, und ich ergab mich in das was ich später in den Worten ausgedrückt hören sollte: Du bist der Natur einen Tod schuldig.*)*) So sind es also wirklich Parzen, zu denen ich in die Küche gehe, wie so oft in den Kinderjahren, wenn ich hungrig war, und die Mutter beim Herd mich mahnte zu warten, bis das Mittagessen fertig sei. Und nun die Knödel! Wenigstens einer meiner Universitätslehrer, aber gerade der, dem ich meine histologischen Kenntnisse (Epidermis) verdanke, könnte sich bei dem Namen Knödl an eine Person erinnern, die er belangen mußte, weil sie ein Plagiat an seinen Schriften begangen hatte. Ein Plagiat begehen, sich aneignen, was man bekommen kann, auch wenn es einem anderen gehört, leitet offenbar zum zweiten Teil des Traumes, in dem ich wie der Überrockdieb behandelt werde, der eine Zeitlang in den Hörsälen sein Wesen trieb. Ich habe den Ausdruck Plagiat niedergeschrieben, absichtslos, weil er sich mir darbot, und nun merke ich, daß er dem latenten Trauminhalt angehören muß, weil er als Brücke zwischen verschiedenen Stücken es manifesten Trauminhalts dienen kann. Die Assoziationskette — PélagiePlagiatPlagiostomen **)**) (Haifische)Fischblase verbindet den alten Roman mit der Affäre Knödl und mit den Überziehern, die ja offenbar ein Gerät der sexuellen Technik bedeuten. [Vgl. Maurys Traum von KiloLotto,

*) Beide zu diesen Kinderszenen gehörigen Affekte, das Erstaunen und die Ergebung ins Unvermeidliche, fanden sich in einem Traume kurz vorher, der mir zuerst die Erinnerung an dieses Kindererlebnis wiederbrachte. **) Die Plagiostomen ergänze ich nicht willkürlich; sie mahnen mich an eine ärgerliche Gelegenheit von Blamage vor demselben Lehrer. § 540

So könnte ich den verschlungenen Gedankenwegen weiter folgen und das in der Analyse fehlende Stück des Traumes voll aufklären, aber ich muß es unterlassen, weil die persönlichen Opfer, die es erfordern würde, zu groß sind. Ich greife nur einen der Fäden auf, der direkt zu einem der dem Gewirre zu Grunde liegenden Traumgedanken führen kann. Der Fremde mit langem Gesichte und Spitzbarte, der mich am Anziehen hindern will, trägt die Züge eines Kaufmannes in Spalato, bei dem meine Frau reichlich türkische Stoffe eingekauft hat. Er hieß Popović, ein verdächtiger Name, der auch dem Humoristen Stettenheim zu einer andeutungsvollen Bemerkung Anlaß gegeben hat. („Er nannte mir seinen Namen und drückte mir errötend die Hand.“) Übrigens derselbe Mißbrauch mit Namen wie oben mit Pélagie, Knödl, Brücke, Fleischl. Daß solche Namenspielerei Kinderunart ist, darf man ohne Widerspruch behaupten; wenn ich mich in ihr ergehe, ist es aber ein Akt der Vergeltung, denn mein eigener Name ist unzähligemal solchen schwachsinnigen Witzeleien zum Opfer gefallen. Goethe bemerkte einmal, wie empfindlich man für seinen Namen ist, mit dem man sich. verwachsen fühlt wie mit seiner Haut, als Herder auf seinen Namen dichtete:

§ 541

„Der du von Göttern abstammst, von Goten oder vom Kote“ — „So seid ihr Götterbilder auch zu Staub.“

§ 542

Ich merke, daß die Abschweifung über den Mißbrauch von Namen nur diese Klage vorbereiten sollte. Aber brechen wir hier ab. — Der Einkauf in Spalato mahnt mich an einen anderen, Einkauf in Cattaro, bei dem ich allzu zurückhaltend war und die Gelegenheit zu schönen Erwerbungen versäumte. (Die Gelegenheit bei der Amme versäumt, s. o.) Einer der Traumgedanken, die dem Träumer der Hunger eingibt, lautet nämlich: Man soll sich nichts entgehen lassen, nehmen, was man haben kann, auch wenn ein kleines Unrecht dabei mitläuft; man soll keine Gelegenheit versäumen, das Leben ist so kurz, der Tod unvermeidlich. Weil es auch sexuell gemeint ist und weil die Begierde vor dem Unrecht nicht Halt machen will, hat dieses „carpe diem“ die Zensur zu fürchten und muß sich hinter einem Traume verbergen. Dazu kommen nun alle Gegengedanken zu Wort, die Erinnerung an die Zeit, da die geistige Nahrung dem Träumer allein genügte, alle Abhaltungen und selbst die Drohungen mit den ekelhaften sexuellen Strafen.

§ 543

II. Ein zweiter Traum erfordert einen längeren Vorbericht:

§ 544

Ich bin auf den Westbahnhof gefahren, um meine Ferienreise nach Aussee anzutreten, gehe aber schon zum früher abgehenden Ischler Zuge auf den Perron. Dort sehe ich nun den Grafen Thun dastehen, der wiederum zum Kaiser nach Ischl fährt. Er war trotz des Regens im offenen Wagen angekommen, direkt durch die Eingangstür für Lokalzüge hinausgetreten und hatte den Türhüter, der ihn nicht kannte und ihm das Billet abnehmen wollte, mit einer kurzen Handbewegung ohne Erklärung von sich gewiesen. Ich soll dann, nachdem er im Ischler Zuge abgefahren ist, den Perron wieder verlassen und in den heißen Wartesaal zurückgehen, setze es aber mühselig durch, daß ich bleiben darf. Ich vertreibe mir die Zeit, aufzupassen, wer da kommen wird, um sich auf dem Protektionswege ein Coupé anweisen zu lassen; nehme mir vor, dann Lärm zu schlagen, d. h. gleiches Recht zu verlangen. Unterdessen singe ich mir etwas vor, was ich dann als die Arie aus Figaros Hochzeit erkenne:

" § 545

„Will der Herr Graf ein Tänzelein wagen, Tänzelein wagen, Soll er's nur sagen, Ich spiel' ihm eins auf.“

"
§ 546

(Ein anderer hätte den Gesang vielleicht nicht erkannt.)

§ 547

Ich war den ganzen Abend in übermütiger, streitlustiger Stimmung gewesen, hatte Kellner und Kutscher gefrozzelt, hoffentlich ohne ihnen wehe zu tun; nun gehen mir allerlei freche und revolutionäre Gedanken durch den Kopf, wie sie zu den Worten Figaros passen und zur Erinnerung an die Komödie von Beaumarchais, die ich in der Comédie française aufführen gesehen. Das Wort von den großen Herren, die sich die Mühe gegeben haben, geboren zu werden; das Herrenrecht, das der Graf Almaviva bei Susanne zur Geltung bringen will; die Scherze, die unsere bösen oppositionellen Tagschreiber mit dem Namen des Grafen Thun anstellen, indem sie ihn Graf Nichtsthun nennen. Ich beneide ihn wirklich nicht; er hat jetzt einen schweren Gang zum Kaiser, und ich bin der eigentliche Graf Nichtsthun; ich gehe auf Ferien. Allerlei lustige Ferienvorsätze dazu. Es kommt nun ein Herr, der mir als Regierungsvertreter bei den medizinischen Prüfungen bekannt ist, und der sich durch seine Leistungen in dieser Rolle den schmeichelhaften Beinamen des „Regierungsbeischläfers“ zugezogen hat. Er verlangt unter Berufung auf seine amtliche Eigenschaft ein Halbcoupé erster Klasse, und ich höre den Beamten zu einem andern sagen: Wo geben wir den Herrn mit der halben Ersten hin? Eine nette Bevorzugung; ich zahle meine erste Klasse ganz. Ich bekomme dann auch ein Coupé für mich, aber nicht in einem durchgehenden Wagen, so daß mir die Nacht über kein Abort zur Verfügung steht. Meine Klage beim Beamten hat keinen Erfolg; ich räche mich, indem ich ihm den Vorschlag mache, in diesem Coupé wenigstens ein Loch im Boden anbringen zu lassen für etwaige Bedürfnisse der Reisenden. Ich erwache auch wirklich um ¾3 Uhr morgens mit Harndrang aus nachstehendem Traume:

§ 548

Menschenmenge, Studentenversammlung. — Ein Graf (Thun oder Taaffe) redet. Aufgefordert, etwas über die Deutschen zu sagen, erklärt er mit höhnischer Gebärde für ihre Lieblingsblume den Huflattich und steckt dann etwas wie ein zerfetztes Blatt, eigentlich ein zusammengeknülltes Blattgerippe ins Knopfloch. Ich fahre auf, fahre also auf,*)*) wundere mich aber doch über diese meine Gesinnung. Dann undeutlicher: Als ob es die Aula wäre, die Zugänge besetzt, und man müßte fliehen. Ich bahne mir den Weg durch eine Reihe von schön eingerichteten Zimmern, offenbar Regierungszimmern, mit Möbeln in einer Farbe zwischen braun und violett, und komme endlich in einen Gang, in dem eine Haushälterin, ein älteres dickes Frauenzimmer, sitzt. Ich vermeide es, mit ihr zu sprechen; sie hält mich aber offenbar für berechtigt, hier zu passieren, denn sie fragt, ob sie mit der Lampe mitgehen soll. Ich deute oder sage ihr, sie soll auf der Treppe stehen bleiben, und komme mir dabei sehr schlau vor, daß ich die Kontrolle am Ende vermeide. So bin ich drunten und finde einen schmalen, steil aufsteigenden Weg, den ich gehe.

§ 549

Wieder undeutlich ... Als ob jetzt die zweite Aufgabe käme, aus der Stadt wegzukommen, wie früher aus dem Hause. Ich fahre in einem Einspänner und gebe ihm Auftrag, zu einem Bahnhofe zu fahren. „Auf der Bahnstrecke selbst kann ich nicht mit Ihnen fahren“, sage ich, nachdem er einen Einwand gemacht hat, als ob ich ihn übermüdet hätte. Dabei ist es, als wäre ich schon eine Strecke mit ihm gefahren, die man sonst mit der Bahn fährt. Die Bahnhöfe sind besetzt; ich überlege, ob ich nach Krems oder Znaim soll, denke aber, dort wird der Hof sein, und entscheide mich für Graz oder so etwas. Nun sitze ich im Waggon, der ähnlich einem Stadtbahnwagen ist, und habe im Knopfloch ein eigentümlich geflochtenes, langes Ding, daran violettbraune Veilchen aus starrem Stoffe, was den Leuten sehr auffällt. Hier bricht die Szene ab.

*) Diese Wiederholung hat sich, scheinbar aus Zerstreutheit, in den Text des Traumes eingeschlichen und wird von mir belassen, da die Analyse zeigt, daß sie ihre Bedeutung hat. § 550

Ich bin wieder vor dem Bahnhofe, aber zu zweit mit einem älteren Herrn, erfinde einen Plan, um unerkannt zu bleiben, sehe diesen Plan aber auch schon ausgeführt. Denken und Erleben ist hier gleichsam eins. Er stellt sich blind, wenigstens auf einem Auge, und ich halte ihm ein männliches Uringlas vor (das wir in der Stadt kaufen mußten oder gekauft haben). Ich bin also sein Krankenpfleger und muß ihm das Glas geben, weil er blind ist. Wenn der Kondukteur uns so sieht, muß er uns als unauffällig entkommen lassen. Dabei ist die Stellung des Betreffenden und sein urinierendes Glied plastisch gesehen. Darauf das Erwachen mit Harndran.

§ 551

Der ganze Traum macht etwa den Eindruck einer Phantasie, die den Träumer in das Revolutionsjahr 1848 versetzt, dessen Andenken ja durch das Jubiläum des Jahres 1898 erneuert war, wie überdies durch einen kleinen Ausflug in die Wachau, bei dem ich Emmersdorf kennen gelernt hatte, welchen Ort ich fälschlich für den Ruhesitz des Studentenführers Fischhof hielt, auf den einige Züge des manifesten Trauminhalts weisen mögen. Die Gedankenverbindung führt mich dann nach England, in das Haus meines Bruders, der seiner Frau scherzhaft vorzuhalten pflegte „Fifty years ago“ nach dem Titel eines Gedichtes von Lord Tennyson, worauf die Kinder zu rektifizieren gewöhnt Waren: Fifteen years ago. Diese Phantasie, die sich an die Gedanken anschließt, welche der Anblick des Grafen Thun hervorgerufen hatte, ist aber nur wie die Fassade italienischer Kirchen ohne organischen Zusammenbau dem Gebäude dahinter vorgesetzt; anders als diese Fassaden ist sie übrigens lückenhaft, verworren, und Bestandteile aus dem Innern drängen sich an vielen Stellen durch. Die erste Situation des Traumes ist aus mehreren Szenen zusammengebraut, in die ich sie zerlegen kann. Die hochmütige Stellung des Grafen im Traume ist kopiert nach einer Gymnasialszene aus meinem 15. Jahre. Wir hatten gegen einen mißliebigen und ignoranten Lehrer eine Verschwörung angezettelt, deren Seele ein Kollege war, der sich seitdem Heinrich VIII. von England zum Vorbilde genommen zu haben scheint. Die Führung des Hauptschlages fiel mir zu, und eine Diskussion über die Bedeutung der Donau für Österreich (Wachau!) war der Anlaß, bei dem es zur offenen Empörung kam. Ein Mitverschworener war der einzige aristokratische Kollege, den wir hatten, wegen seiner auffälligen Längenentwicklung die „Giraffe“ genannt, und der stand, vom Schultyrannen, dem Professor der deutschen Sprache, zur Rede gestellt, so da wie der Graf im Traume. Das Erklären der Lieblingsblume und Ins-Knopfloch-Stecken von etwas, was wieder eine Blume sein muß (was an die Orchideen erinnert, die ich einer Freundin am selben Tage gebracht hatte, und außerdem an eine Rose von Jericho), mahnt auffällig an die Szene aus den Königsdramen Shakespeares, die den Bürgerkrieg der roten und der weißen Rose eröffnet; die Erwähnung Heinrichs VIII. hat den Weg zu dieser Reminiszenz gebahnt. Dann ist es nicht weit von den Rosen zu den roten und weißen Nelken. (Dazwischen schieben sich in der Analyse zwei Verslein ein, eins deutsch, das andere spanisch: Rosen, Tulpen, Nelken, alle Blumen welken. — Isabelita, no llores que se marchitan las flores. Das Spanische vom Figaro her.) Die weißen Nelken sind bei uns in Wien das Abzeichen der Antisemiten, die roten das der Sozialdemokraten geworden. Dahinter eine Erinnerung an eine antisemitische Herausforderung während einer Eisenbahnfahrt im schönen Sachsenland (Angelsachsen). Die dritte Szene, welche Bestandteile für die Bild der ersten Traumsituation abgegeben hat, fällt in meine erste Studentenzeit. In einem deutschen Studentenvereine gab es eine Diskussion über das Verhältnis der Philosophie zu den Naturwissenschaften. Ich grüner Junge, der materialistischen Lehre voll, drängte mich vor, um einen höchst einseitigen Standpunkt zu vertreten. Da erhob sich ein überlegener älterer Kollege, der seitdem seine Fähigkeit erwiesen hat, Menschen zu lenken und Massen zu organisieren, der übrigens auch einen Namen aus dem Tierreiche trägt, und machte uns tüchtig herunter; auch er habe in seiner Jugend die Schweine gehütet und sei dann reuig ins Vaterhaus zurückgekehrt. Ich fuhr auf (wie im Traume), wurde saugrob und antwortete, seitdem ich wüßte, daß er die Schweine gehütet, wunderte ich mich nicht mehr über den Ton seiner Reden. (Im Traume wundere ich mich über meine deutschnationale Gesinnung.) Großer Aufruhr; ich wurde von vielen Seiten aufgefordert, meine Worte zurückzunehmen, blieb aber standhaft. Der Beleidigte war zu verständig, um das Ansinnen einer Herausforderung, das man an ihn richtete, anzunehmen, und ließ die Suche auf sich beruhen.Die übrigen Elemente der Traumszene stammen aus tieferen Schichten. Was soll es bedeuten, daß der Graf den „Huflattich“ proklamiert? Hier muß ich meine Assoziationsreihe befragen. Huf lattichlatticeSalatSalathund (der Hund, der anderen nicht gönnt, was er doch selber nicht frißt). Hier sieht man durch auf einen Vorrat an Schimpfwörtern: Gir-affe, Schwein, Sau, Hund; ich wüßte auch auf dem Umwege über einen Namen zu einem Esel zu gelangen und damit wieder zu einem Hohn auf einen akademischen Lehrer. Außerdem übersetze ich mir — ich weiß nicht, ob mit Recht - Huflattich mit „pisse-en-lit“, Die Kenntnis

§ 552

Von der zweiten Szene des Traumes kann ich eine so ausführliche Auflösung nicht geben, und zwar aus Rücksichten der Zensur. Ich setze mich hier nämlich an die Stelle eines hohen Herrn jener Revolutionszeit, der auch ein Abenteuer mit einem Adler gehabt, an incontinentia alvi gelitten haben soll u. dgl., und ich glaube, ich wäre nicht berechtigt, hier die Zensur zu passieren, obwohl ein Hofrat (Aula, consiliarius aulicus) mir den größeren Teil jener Geschichten erzählt hat. Die Reihe von Zimmern im Traume verdankt ihre Anregung dem Salonwagen Seiner Exzellenz, in den ich einen Moment hineinblicken konnte; sie bedeutet aber, wie so häufig im Traume, Frauenzimmer (ärarische Frauenzimmer). Mit der Person der Haushälterin statte ich einer geistreichen älteren Dame schlechten Dank für die Bewirtung und die vielen guten Geschichten ab, die mir in ihrem Hause geboten worden sind. — Der Zug mit der Lampe geht auf Grillparzer zurück, der ein reizendes Erlebnis ähnlichen Inhalts notiert und dann in Hero und Leander (des Meeres und der Liebe Wellen — die Armada und der Sturm) verwendet hat.

§ 553

Auch die detaillierte Analyse der beiden übrigen Traumstücke muß ich zurückhalten; ich werde nur jene Elemente herausgreifen, die zu den beiden Kinderszenen führen, um deren Willen ich den Traum überhaupt aufgenommen habe. Man wird mit Recht vermuten, daß es sexuelles Material ist, welches mich zu dieser Unterdrückung nötigt; man braucht sich aber mit dieser Aufklärung nicht zufrieden zu geben. Man macht doch sich selbst aus vielem kein Geheimnis, was man vor anderen als Geheimnis behandeln muß, und hier handelt es sich nicht um die Gründe, die mich nötigen, die Lösung zu verbergen, sondern um die Motive der inneren Zensur, welche den eigentlichen Inhalt des Traumes vor mir selbst verstecken. Ich muß also darum sagen, daß die Analyse diese drei Traumstücke als impertinente Prahlereien, als Ausfluß eines lächerlichen, in meinem wachen Leben längst unterdrückten Größenwahnes erkennen läßt, der sich mit einzelnen Ausläufern bis in den manifesten Trauminhalt wagt (ich komme mir schlau vor), allerdings die übermütige Stimmung des Abends vor den Träumen trefflich verstehen läßt. Prahlerei zwar auf allen Gebieten; so geht die Erwähnung von Graz auf die Redensart: Was kostet Graz? in der man sich gefällt, wenn man sich überreich mit Geld versehen glaubt. Wer an Meister Rabelais' unübertroffene Schilderung von dem Leben und Taten des Gargantua und seines Sohnes Pantagruel denken will, wird auch den angedeuteten Inhalt des ersten Traumstückes unter die Prahlereien einreihen können. Zu den zwei versprochenen Kinderszenen gehört aber folgendes: Ich hatte für diese Reise einen neuen Koffer gekauft, dessen Farbe, ein Braunviolett, im Traume mehrmals auftritt (violettbraune Veilchen aus starrem Stoffe neben einem Dinge, das man „Mädchenfänger“ heißt — die Möbel in den Regierungszimmern). Daß man mit etwas Neuem den Leuten auffällt, ist ein bekannter Kinderglaube. Nun ist mir folgende Szene aus meinem Kinderleben erzählt worden, deren Erinnerung ersetzt ist durch die Erinnerung an die Erzählung. Ich soll — im Alter vor zwei Jahren — noch gelegentlich das Bett naß gemacht haben, und als ich dafür Vorwürfe zu hören bekam, den Vater durch das Versprechen getröstet haben, daß ich ihm in N. (der nächsten größeren Stadt) ein neues schönes, rotes Bett kaufen werde. (Daher im Traume die Einschaltung, daß wir das Glas in der Stadt gekauft haben oder kaufen mußten; was man versprochen hat, muß man halten.) [Man beachte übrigens die Zusammenstellung des männlichen Glases und des weiblichen Koffers, box.] Der ganze Größenwahn des Kindes ist in diesem Versprechen enthalten. Die Bedeutung der Harnschwierigkeiten des Kindes für den Traum ist uns bereits bei einer früheren Traumdeutung (vergleiche den Traum Seite 141) aufgefallen.

*) Nicht im Germinal, sondern in La Terre. Ein Irrtum, der mir erst nach der Analyse bemerklich wird. — Ich mache übrigens auf die identischen Buchstaben in Huflattich und Flame aufmerksam. § 554

Dann gab es aber einmal einen anderen häuslichen Anstand, als ich sieben oder acht Jahre alt war, an den ich mich sehr wohl erinnere. Ich setzte mich abends vor dem Schlafengehen über das Gebot der Diskretion hinweg, Bedürfnisse nicht im Schlafzimmer der Eltern in deren Anwesenheit zu verrichten, und der Vater ließ in seiner Strafrede darüber die Bemerkung fallen: aus dem Buben wird nichts werden. Es muß eine furchtbare Kränkung für meinen Ehrgeiz gewesen sein, denn Anspielungen an diese Szene kehren immer in meinen Träumen wieder und sind regelmäßig mit Aufzählung meiner Leistungen und Erfolge verknüpft, als wollte ich sagen: Siehst du, ich bin doch etwas geworden. Diese Kinderszene gibt nun den Stoff für das letzte Bild des Traumes, in dem natürlich zur Rache die Rollen vertauscht sind. Der ältere Mann, offenbar der Vater, da die Blindheit auf einem Auge sein einseitiges Glaukom bedeutet,*)*) uriniert jetzt vor mir wie ich damals vor ihm. Mit dem Glaukom mahne ich ihn an das Kokain, daß ihm bei der Operation zu gute kam, als hätte ich damit mein Versprechen erfüllt Außerdem mache ich mich über ihn lustig; weil er blind ist, muß ich ihm das Glas vorhalten und schwelge in Anspielungen an meine Erkenntnisse in der Lehre von der Hysterie, auf die ich stolz bin.**)**)

§ 555

Wenn die beiden Urinierszenen aus der Kindheit bei mir ohnedies mit dem Thema der Größensucht eng verbunden sind, so kam ihrer Erweckung auf der Reise nach Aussee noch der zufällige Umstand zu gute, daß mein Coupé kein Klosett besaß, und ich vorbereitet sein mußte, während der Fahrt in Verlegenheit zu kommen, was dann am Morgen auch eintraf. Ich erwachte denn mit den Empfindungen des körperlichen Bedürfnisses. Ich meine, man könnte geneigt sein, diesen Empfindungen die Rolle des eigentlichen Traumerregers zuzuweisen, würde aber einer anderen Auffassung den Vorzug geben, nämlich daß die Traumgedanken erst den Harndrang hervorgerufen haben. Es ist bei mir ganz ungewöhnlich, daß ich durch irgend ein Bedürfnis im Schlafe gestört werde, am wenigsten um die Zeit dieses Erwachens, ¾4 Uhr morgens. Einem weiteren Einwand begegne ich durch die Bemerkung, daß ich auf anderen Reisen unter bequemeren Verhältnissen fast niemals den Harndrang nach frühzeitigem Erwachen verspürt habe. Übrigens kann ich diesen Punkt auch ohne Schaden unentschieden lassen.

*) Andere Deutung: Er ist einäugig wie 0dhin, der Göttervater. — Odhins Trost. — Der Trost aus der Kinderszene, daß ich ihm ein neues Bett kaufen werde. **) Dazu einiges Deutungsmaterial: Das mit dem Glase vorhalten, erinnert an die Geschichte vom Bauern, der beim Optiker Glas nach Glas versucht, aber nicht lesen kann. — (Bauernfänger — Mädchenfänger im vorigen Traumstück.) — Die Behandlung des schwachsinnig gewordenen Vaters bei den Bauern in Zolas La Terre. — Die traurige Genugtuung, daß der Vater in seinen letzten Lebenstagen wie ein Kind das Bett beschmutzt hat; daher bin ich im Traume sein Krankenpfleger. — „Denken und Erleben sind hier gleichsam Eins“ erinnert an ein stark revolutionäres Buchdrama von Oskar Panizza, in dem Gottvater als paralytischer Grein schmählich genug behandelt wird; dort heißt es: Wille und Tat sind bei ihm Eins, und er muß von seinem Erzengel, einer Art Ganymed, abgehalten werden zu schimpfen und zu fluchen, weil diese Verwünschungen sich sofort erfüllen würden. — Das Plänemachen ist ein aus späterer Zeit der Kritik stammender Vorwurf gegen den Vater, wie überhaupt der ganze rebellische, majestätsbeleidigende und die hohe Obrigkeit verhöhnende Inhalt des Traumes auf Auflehnung gegen den Vater zurückgeht. Der Fürst heißt Landesvater, und der Vater ist die älteste, erste, für das Kind einzige Autorität, aus dessen Machtvollkommenheit im Laufe der menschlichen Kulturgeschichte die anderen sozialen Obrigkeiten hervorgegangen sind (insofern nicht das „Mutterrecht“ zur Einschränkung dieses Satzes nötigt). — Die Fassung im Traume „Denken und Erleben sind Eins“, zielt auf die Erklärung der hysterischen Symptome, zu der auch das männliche Glas eine Beziehung hat. Einem Wiener brauchte ich das Prinzip des „Gschnas“ nicht auseinanderzusetzen; es besteht darin, Gegenstände von seltenem und wertvollem Ansehen aus trivialem, am liebsten komischem und wertlosem Material herzustellen, z. B. Rüstungen aus Kochtöpfen, Strohwischen und Salzstangeln, wie es unsere Künstler an ihren lustigen Abenden lieben. Ich hatte nun gemerkt, daß die Hysterischen es ebenso machen; neben dem, was ihnen wirklich zugestoßen ist, gestalten sie sich unbewußt gräßliche oder ausschweifende Phantasiebegebenheiten, die sie aus dem harmlosesten und banalsten Material des Erlebens aufbauen. An diesen Phantasien hängen erst die Symptome, nicht an den Erinnerungen der wirklichen Begebenheiten, seien diese nun ernsthaft oder gleichfalls harmlos. Diese Aufklärung hatte mir über viele Schwierigkeiten hinweggeholfen und machte mir viel Freude. Ich konnte sie mit dem Traumelement des „männlichen Glases“ andeuten, weil mir von dem letzten „Gschnasabend“ erzählt worden war, es sei dort ein Giftbecher der Lukretia Borgia ausgestellt gewesen, denen Kern und Hauptbestandteil ein Uringlas für Männer, wie es in den Spitälern gebräuchlich ist, gebildet hätte. § 556

Seitdem ich ferner durch Erfahrungen bei der Traumanalyse aufmerksam gemacht worden bin, daß auch von Träumen, deren Deutung zunächst vollständig erscheint, weil Traumquellen und Wunscherreger leicht nachweisbar sind, — daß auch von solchen Träumen wichtige Gedankenfäden ausgehen, die bis in die früheste Kindheit hineinreichen, habe ich mich fragen müssen, ob nicht auch in diesem Zuge eine wesentliche Bedingung des Träumens gegeben ist. Wenn ich diesen Gedanken verallgemeinern dürfte, so käme jedem Traum in seinem manifesten Inhalt eine Anknüpfung an das rezent Erlebte zu, in seinem latenten Inhalt aber eine Anknüpfung an das älteste Erlebte, von dem ich bei der Analyse der Hysterie wirklich zeigen kann, daß es in gutem Sinne bis auf die Gegenwart rezent geblieben ist. Diese Vermutung erscheint aber noch recht schwer erweislich; ich werde auf die wahrscheinliche Rolle frühester Kindheitserlebnisse für die Traumbildung noch in anderem Zusammenhang (Abschnitt VII) zurückkommen müssen.

§ 557

Von den drei eingangs betrachteten Besonderheiten des Traumgedächtnisses hat sich uns die eine — die Bevorzugung des Nebensächlichen im Trauminhalt — durch ihre Zurückführung auf die Traumentstellung befriedigend gelöst. Die beiden anderen, die Auszeichnung des Rezenten wie des Infantilen haben wir bestätigen, aber nicht aus den Motiven des Träumens ableiten können. Wir wollen diese beiden Charaktere, deren Erklärung oder Verwertung uns erübrigt, im Gedächtnis behalten; sie werden anderswo ihre Einreihung finden müssen, entweder in der Psychologie des Schlafzustandes oder bei jenen Erwägungen über den Aufbau des seelischen Apparats, die wir später anstellen werden, wenn wir gemerkt haben, daß man durch die Traumdeutung wie durch eine Fensterlücke in das Innere desselben einen Blick werfen kann.

§ 558

Ein anderes Ergebnis der letzten Traumanalysen will ich aber gleich hier hervorheben. Der Traum erscheint häufig mehrdeutig; es können nicht nur, wie Beispiele zeigen, mehrere Wunscherfüllungen nebeneinander in ihm vereinigt sein; es kann auch ein Sinn, eine Wunscherfüllung die andere decken, bis man zu unterst auf die Erfüllung eines Wunsches aus der ersten Kindheit stößt, und auch hier wieder die Erwägung, ob in diesem Satze das „häufig“ nicht richtiger durch „regelmäßig“ zu ersetzen ist.

§ 559

c) Die somatischen Traumquellen.

§ 560

Wenn man den Versuch macht, einen gebildeten Laien für die Probleme des Träumens zu interessieren, und in dieser Absicht die Frage an ihn richtet, aus welchen Quellen wohl nach seiner Meinung die Träume herrühren, so merkt man zumeist, daß der Gefragte im gesicherten Besitze eines Teiles der Lösung zu sein vermeint. Er gedenkt sofort des Einflusses, den gestörte oder beschwerte Verdauung („Träume kommen aus dem Magen“), zufällige Körperlage und kleine Erlebnisse während des Schlafens auf die Traumbildung äußern, und scheint nicht zu ahnen, daß nach Berücksichtigung all dieser Momente etwas der Erklärung Bedürftiges noch erübrigt.

§ 561

Welche Rolle für die Traumbildung die wissenschaftliche Literatur den somatischen Reizquellen zugesteht, haben wir im einleitenden Abschnitt (Seite 13 u. ff.) ausführlich auseinandergesetzt, so daß wir uns hier nur an die Ergebnisse dieser Untersuchung zu erinnern brauchen. Wir haben gehört, daß dreierlei somatische Reizquellen unterschieden werden, die von äußeren Objekten ausgehenden objektiven Sinnesreize, die nur subjektiv begründeten inneren Erregungszustände der Sinnesorgane und die aus dem Körperinnern stammenden Leibreize, und wir haben die Neigung der Autoren bemerkt, neben diesen somatischen Reizquellen etwaige psychische Quellen des Traumes in den Hintergrund zu drängen oder ganz auszuschalten (Seite 28). Bei der Prüfung der Ansprüche, welche zu Gunsten dieser Klassen von somatischen Reizquellen erhoben werden, haben wir erfahren, daß die Bedeutung der objektiven Sinnesorganerregungen — teils zufällige Reize während des Schlafes, teils solche, die sich auch vom schlafenden Seelenleben nicht fern halten lassen — durch zahlreiche Beobachtungen sichergestellt wird und durch das Experiment eine Bestätigung erfährt (Seite 16), daß die Rolle der subjektiven Sinneserregungen durch die Wiederkehr der hypnagogischen Sinnesbilder in den Träumen (p. 22) dargetan erscheint, und daß die im weitesten Umfang angenommene Zurückführung unserer Traumbilder und Traumvorstellungen auf inneren Leibreiz zwar nicht in ihrer ganzen Breite beweisbar ist, aber sich an die allbekannte Beeinflussung anlehnen kann, welche der Erregungszustand der Digestions-, Harn- und Sexualorgane auf den Inhalt unserer Träume ausübt.

§ 562

Nervenreiz“ und „Leibreiz“ wären also die somatischen Quellen des Traumes, d. h. nach mehreren Autoren die einzigen Quellen des Traumes überhaupt.

§ 563

Wir haben aber auch bereits einer Reihe von Zweifeln Gehör geschenkt, welche nicht sowohl die Richtigkeit als vielmehr die Zulänglichkeit der somatischen Reiztheorie anzugreifen schienen. So sicher sich alle Vertreter dieser Lehre bezüglich deren tatsächlichen Grundlagen fühlen mußten — zumal soweit die akzidentellen und äußeren Nervenreize in Betracht kommen, die im Trauminhalt wiederzufinden keinerlei Mühe erfordert —, so blieb doch keiner der Einsicht fern, daß der reiche Vorstellungsinhalt der Träume eine Ableitung aus den äußeren Nervenreizen allein nicht wohl zulasse. Miß Mary Whiton Calkins 12) hat ihre eigenen Träume und die einer zweiten Person durch sechs Wochen hindurch von diesem Gesichtspunkte aus geprüft und nur 13•2% resp. 6•7% gefunden, in denen das Element äußerer Sinneswahrnehmung nachweisbar war; nur zwei Fälle der Sammlung ließen sich auf organische Empfindungen zurückführen. Die Statistik bestätigt uns hier, was uns bereits eine flüchtige Überschau unserer eigenen Erfahrungen hatte vermuten lassen.

§ 564

Man beschied sich vielfach, den „Nervenreiztraum“ als eine gut erforschte Unterart des Traumes vor anderen Traumformen hervorzuheben. Spitta 64) trennte die Träume in Nervenreiz- und Assoziationstraum. Es war aber klar, daß die Lösung unbefriedigend blieb, solange es nicht gelang, das Band zwischen den somatischen Traumquellen und dem Vorstellungsinhalt des Traumes nachzuweisen.

§ 565

Neben den ersten Einwand, der Unzulänglichkeit in der Häufigkeit der äußeren Reizquellen, stellt sich so als zweiter die Unzulänglichkeit in der Aufklärung des Traumes, die durch die Einführung dieser Art von Traumquellen zu erreichen ist. Die Vertreter der Lehre sind uns zwei solcher Aufklärungen schuldig, erstens, warum der äußere Reiz im Traume nicht in seiner wirklichen Natur erkannt, sondern regelmäßig verkannt wird (vergl. die Weckerträume, Seite 19), und zweitens warum das Resultat der Reaktion der wahrnehmenden Seele auf diesen verkannten Reiz so unbestimmbar wechselvoll ausfallen kann. Als Antwort auf diese Frage haben wir von Strümpell 66) gehört, daß die Seele infolge ihrer Abwendung von der Außenwelt während des Schlafens nicht im stande ist, die richtige Deutung des objektiven Sinnesreizes zu geben, sondern genötigt wird, auf Grund der nach vielen Richtungen unbestimmten Anregung Illusionen zu bilden, in seinen Worten ausgedrückt (p. 108):

§ 566

"Sobald durch einen äußeren oder inneren Nervenreiz während des Schlafen in der Seele eine Empfindung oder ein Empfindungskomplex, ein Gefühl, überhaupt ein psychischer Vorgang entsteht und von der Seele perzipiert wird, so ruft dieser Vorgang aus dem der Seele vom Wachen her verbliebenen Erfahrungskreise Empfindungsbilder, also frühere Wahrnehmungen, entweder nackt oder mit zugehörigen psychischen Werten hervor. Er sammelt gleichsam um sich eine größere oder kleinere Anzahl solcher Bilder, durch welche der vom Nervenreiz herrührende Eindruck seinen psychischen Wert bekommt. Man sagt gewöhnlich auch hier, wie es der Sprachgebrauch" "für das wache Verhalten tut, daß die Seele im Schlafe die Nervenreizeindrücke deute. Das Resultat dieser Deutung ist der sogenannte Nervenreiztraum, d. h. ein Traum, dessen Bestandteile dadurch bedingt sind, daß ein Nervenreiz nach den Gesetzen der Reproduktion seine psychische Wirkung im Seelenleben vollzieht."

§ 567

In allem Wesentlichen mit dieser Lehre identisch ist die Äußerung von Wundt 76), die Vorstellungen des Traumes gehen jedenfalls zum größten Teil von Sinnesreizen aus, namentlich auch von solchen des allgemeinen Sinnes, und sind daher zumeist phantastische Illusionen, wahrscheinlich nur zum kleineren Teil reine, zu Halluzinationen gesteigerte Erinnerungsvorstellungen. Für das Verhältnis des Trauminhalts zu den Traumreizen, welches sich nach dieser Theorie ergibt, findet Strümpell das treffliche Gleichnis (p. 84), es sei, wie „wenn die zehn Finger eines der Musik ganz unkundigen Menschen über die Tasten des Instruments hinlaufen“. Der Traum erschiene so nicht als ein seelisches Phänomen, aus psychischen Motiven entsprungen, sondern als der Erfolg eines physiologischen Reizes, der sich in psychischer Symptomatologie äußert, weil der vom Reize betroffene Apparat keiner anderen Äußerung fähig ist. Auf eine ähnliche Voraussetzung ist z. B. die Erklärung der Zwangsvorstellungen aufgebaut, die Meynert durch das berühmte Gleichnis vom Zifferblatt, auf dem einzelne Zahlen stärker gewölbt vorspringen, zu geben versuchte.

§ 568

So beliebt diese Lehre von den somatischen Traumreizen geworden ist und so bestechend sie erscheinen mag, so ist es doch leicht, den schwachen Punkt in ihr aufzuweisen. Jeder somatische Traumreiz, welcher im Schlafe den seelischen Apparat zur Deutung durch Illusionsbildung auffordert, kann ungezählt viele solcher Deutungsversuche anregen, also in ungemein verschiedenen Vorstellungen seine Vertretung im Trauminhalt erreichen. Die Lehre von Strümpell und Wundt ist aber unfähig, irgend ein Motiv anzugeben, welches die Beziehung zwischen dem äußeren Reiz und der zu seiner Deutung gewählten Traumvorstellung regelt, also die „sonderbare Auswahl“ zu erklären, welche die Reize „oft genug bei ihrer reproduktiven Wirksamkeit treffen“. (Lipps, Grundtatsachen des Seelenlebens, Seite 170.) Andere Einwendungen richten sich gegen die Grundvoraussetzung der ganzen Illusionslehre, daß die Seele im Schlafe nicht in der Lage sei, die wirkliche Natur der objektiven Sinnesreize zu erkennen. Der alte Physiologe Burdach 8) beweist uns, daß die Seele auch im Schlafe sehr wohl fähig ist, die an sie gelangenden Sinneseindrücke richtig zu deuten und der richtigen Deutung gemäß zu reagieren, indem er ausführt, daß man gewisse, dem Individuum wichtig erscheinende Sinneseindrücke von der Vernachlässigung während des Schlafes ausnehmen kann (Amme und Kind), und daß man durch den eigenen Namen weit sicherer geweckt wird als durch einen gleichgültigen Gehörseindruck, was ja voraussetzt, daß die Seele auch im Schlafe zwischen den Sensationen unterscheidet (Abschnitt I, p. 37). Burdach folgert aus diesen Beobachtungen, daß während des Schlafzustandes nicht eine Unfähigkeit, die Sinnesreize zu deuten, sondern ein Mangel an Interesse für sie anzunehmen ist. Die nämlichen Argumente, die Burdach 1830 verwendet, kehren dann zur Bekämpfung der somatischen Reiztheorie unverändert bei Lipps im Jahre 1883 wieder. Die Seele erscheint uns demnach so wie der Schläfer in der Anekdote, der auf die Frage „Schläfst du“ antwortet „Nein“, nach der zweiten Anrede, „dann leih' mir zehn Gulden“ aber sich hinter der Ausrede verschanzt: „Ich schlafe“.

§ 569

Die Unzulänglichkeit der Lehre von den somatischen Traumreizen laßt sich auch auf andere Weise dartun. Die Beobachtung zeigt, daß ich durch äußere Reize nicht zum Träumen genötigt werde, wenngleich diese Reize im Trauminhalt erscheinen, sobald und für den Fall, daß ich träume. Gegen einen Haut- oder Druckreiz etwa, der mich im Schlafe befällt, stehen mir verschiedene Reaktionen zu Gebote. Ich kann ihn überhören und dann beim Erwachen finden, daß z. B. ein Bein unbedeckt oder ein Arm gedrückt war; die Pathologie zeigt mir ja die zahlreichsten Beispiele, daß verschiedenartige und kräftig erregende Empfindungs- und Bewegungsreize während des Schlafes wirkungslos bleiben. Ich kann die Sensation während des Schlafes verspüren, gleichsam durch den Schlaf hindurch, wie es in der Regel mit schmerzhaften Reizen geschieht, aber ohne den Schmerz in einen Traum zu verweben; und ich kann drittens auf den Reiz erwachen, um ihn zu beseitigen. Erst eine vierte mögliche Reaktion ist, daß ich durch den Nervenreiz zum Traum veranlaßt werde; die anderen Möglichkeiten werden aber mindestens ebenso häufig vollzogen wie die der Traumbildung. Dies könnte nicht geschehen, wenn nicht das Motiv des Träumens außerhalb der somatischen Reizquellen läge.

§ 570

In gerechter Würdigung jener oben aufgedeckten Lücke in der Erklärung des Traumes durch somatische Reize haben nun andere Autoren — Scherner 58), dem der Philosoph Volkelt 72) sich anschloß — die Seelentätigkeiten, welche aus den somatischen Reizen die bunten Traumbilder entstehen lassen, näher zu bestimmen gesucht, also doch wieder das Wesen des Träumens ins Seelische und in eine psychische Aktivität verlegt. Scherner gab nicht nur eine poetisch nachempfundene, glühend belebte Schilderung der psychischen Eigentümlichkeiten, die sich bei der Traumbildung entfalten; er glaubte auch das Prinzip erraten zu haben, nach dem die Seele mit den ihr dargebotenen Reizen verfährt. In freier Betätigung der ihrer Tagesfesseln entledigten Phantasie strebt nach Scherner die Traumarbeit dahin, die Natur des Organs, von dem der Reiz ausgeht, und die Art dieses Reizes symbolisch darzustellen. Es ergibt sich so eine Art von Traumbuch als Anleitung zur Deutung der Träume, mittels dessen aus Traumbildern auf Körpergefühle, Organzustände und Reizzustände geschlossen werden darf. „So drückt das Bild der Katze die ärgerliche Mißstimmung des Gemütes aus, das Bild des hellen und glatten Gebäcks die Leibesnacktheit. Der menschliche Leib als Ganzes wird von der Traumphantasie als Haus vorgestellt, das einzelne Körperorgan durch einen Teil des Hauses. In den „Zahnreizträumen“ entspricht dem Mundorgan ein hochgewölbter Hausflur und dem Hinabfall des Schlundes zur Speiseröhre eine Treppe, im „Kopfschmerztraum“ wird zur Bezeichnung der Höhenstellung des Kopfes die Decke eines Zimmers gewählt, welche mit ekelhaften, krötenartigen Spinnen bedeckt ist“ (Volkelt, p. 39). „Diese Symbole werden vom Traume in mehrfacher Auswahl für das nämliche Organ verwendet; so findet die atmende Lunge in dem flammenerfüllten Ofen mit seinem Brausen ihr Symbol, das Herz in hohlen Kisten und Körben, die Harnblase in runden, beutelförmigen oder überhaupt nur ausgehöhlten Gegenständen. Besonders wichtig ist es, daß am Schlusse des Traumes öfters das erregende Organ oder dessen Funktion unverhüllt hingestellt wird, und zwar zumeist an dem eigenen Leibe des Träumers. So endet der „Zahnreiztraum“ gewöhnlich damit, daß der Träumer sich einen Zahn aus dem Munde zieht“ (p. 35). Man kann nicht sagen, daß diese Theorie der Traumdeutung viel Gunst bei den Autoren gefunden hat. Sie erschien vor allem extravagant; man hat selbst gezögert, das Stück Berechtigung herauszufinden, das sie nach meinem Urteil beanspruchen darf. Sie führt, wie man sieht, zur Wiederbelebung der Traumdeutung mittels Symbolik, deren sich die Alten bedienten, nur daß das Gebiet, aus welchem die Deutung geholt werden soll, auf den Umfang der menschlichen Leiblichkeit beschränkt wird. Der Mangel einer wissenschaftlich faßbaren Technik bei der Deutung muß die Anwendbarkeit der Schernerschen Lehre schwer beeinträchtigen. Willkür in der Traumdeutung scheint keineswegs ausgeschlossen, zumal da auch hier ein Reiz sich in mehrfachen Vertretungen im Trauminhalt äußern kann; so hat bereits Scherners Anhänger Volkelt die Darstellung des Körpers als Haus nicht bestätigen können. Es muß auch Anstoß erregen, daß hier wiederum der Seele die Traumarbeit als nutz- und ziellose Betätigung auferlegt ist, da sich doch nach der in Rede stehenden Lehre die Seele damit begnügt, über den sie beschäftigenden Reiz zu phantasieren, ohne daß etwas wie eine Erledigung des Reizes in der Ferne winkte.

§ 571

Von einem Einwand aber wird die Schernersche Lehre der Symbolisierung von Leibreizen durch den Traum schwer getroffen. Diese Leibreize sind jederzeit vorhanden, die Seele ist für sie nach allgemeiner Annahme während des Schlafens zugänglicher als im Wachen. Man versteht dann nicht, warum die Seele nicht kontinuierlich die Nacht hindurch träumt, und zwar jede Nacht von allen Organen. Will man sich diesem Einwand durch die Bedingung entziehen, es müßten vom Auge, Ohre, von den Zähnen, Daumen u. s. w. besondere Erregungen ausgehen, um die Traumtätigkeit zu wecken, so steht man vor er Schwierigkeit, diese Reizsteigerungen als objektiv zu erweisen, was nur in einer geringen Zahl von Fällen möglich ist. Wenn der Traum vom Fliegen eine Symbolisierung des Auf- und Niedersteigens der Lungenflügel bei der Atmung bedeutet, so müßte entweder dieser Traum, wie schon Strümpell bemerkt, weit häufiger geträumt werden oder eine gesteigerte Atmungstätigkeit während dieses Traumes nachweisbar sein. Es ist noch ein dritter Fall möglich, der wahrscheinlichste von allen, daß nämlich zeitweise besondere Motive wirksam sind, um den gleichmäßig vorhandenen viszeralen Sensationen Aufmerksamkeit zuzuwenden, aber dieser Fall führt bereits über die Schernersche Theorie hinaus.

§ 572

Der Wert der Erörterungen von Scherner und Volkelt liegt darin, daß sie auf eine Reihe von Charakteren des Trauminhaltes aufmerksam machen, welche der Erklärung bedürftig sind und neue Erkenntnisse zu verdecken scheinen. Es ist ganz richtig, daß in den Träumen Symbolisierungen von Körperorganen und Funktionen enthalten sind, daß Wasser im Traume häufig auf Harnreiz deutet, daß das männliche Genitale durch einen aufrecht stehenden Stab oder eine Säule der dargestellt werden kann u. s. w. In Träumen, welche ein sehr bewegtes Gesichtsfeld und leuchtende Farben zeigen, im Gegensatz zu der Mattigkeit anderer Träume, kann man die Deutung als „Gesichtsreiztraum“ kaum abweisen, ebensowenig den Beitrag der Illusionsbildung in Träumen bestreiten, welche Lärm und Stimmengewirr enthalten. Ein Traum wie der von Scherner, daß zwei Reihen schöner blonder Knaben auf einer Brücke einander gegenüber stehen, sich gegenseitig angreifen, dann wieder ihre alte Stellung einnehmen, bis endlich der Träumer sich auf eine Brücke setzt und einen langen Zahn aus seinem Kiefer zieht; oder ein ähnlicher von Volkelt, in dem zwei Reihen von Schubladen eine Rolle spielen, und der wiederum mit dem Ausziehen eines Zahnes endigt: dergleichen bei beiden Autoren in großer Fülle mitgeteilte Traumbildungen lassen es nicht zu, daß man die Schernersche Theorie als müßige Erfindung bei Seite wirft, ohne nach ihrem guten Kerne zu forschen. Es stellt sich dann die Aufgabe, für die vermeintliche Symbolisierung des angeblichen Zahnreizes eine andersartige Aufklärung zu erbringen.

§ 573

Ich habe es die ganze Zeit über, welche uns die Lehre von den somatischen Traumquellen beschäftigte, unterlassen, jenes Argument geltend zu machen, welches sich aus unseren Traumanalysen ableitet. Wenn wir durch ein Verfahren, das andere Autoren auf ihr Material an Träumen nicht angewendet haben, erweisen konnten, daß der Traum einen ihm eigenen Wert als psychische Aktion besitzt, daß ein Wunsch das Motiv seiner Bildung wird, und daß die Erlebnisse des Vortages das nächste Material für seinen Inhalt abgeben, so ist jede andere Traumlehre, welche ein so wichtiges Untersuchungsverfahren vernachlässigt und dementsprechend den Traum als eine nutzlose und rätselhafte psychische Reaktion auf somatische Reize erscheinen läßt, auch ohne besondere Kritik gerichtet. Es müßte denn, was sehr unwahr scheinlich ist, zwei ganz verschiedene Arten von Träumen geben, von denen die eine nur uns, die andere nur den früheren Beurteilern des Traumes untergekommen ist. Es erübrigt nur noch, den Tatsachen, auf welche sich die gebräuchliche Lehre von den somatischen Traumreizen stützt, eine Unterbringung innerhalb unserer Traumlehre zu verschaffen.

§ 574

Den ersten Schritt hiezu haben wir bereits getan, als wir den Satz aufstellten, daß die Traumarbeit unter dem Zwange stehe, alle gleichzeitig vorhandenen Traumanregungen zu einer Einheit zu verarbeiten (Seite 127). Wir sahen, daß, wenn zwei oder mehr eindrucksfähige Erlebnisse vom Vortage übrig geblieben sind, die aus ihnen sich ergebenden Wünsche in einem Traume vereinigt werden, desgleichen, daß zum Traummaterial der psychisch wertvolle Eindruck und die indifferenten Erlebnisse des Vortages zusammentreten, vorausgesetzt, daß sich kommunizierende Vorstellungen zwischen beiden herstellen lassen. Der Traum erscheint somit als Reaktion auf alles, was in der schlafenden Psyche gleichzeitig als aktuell vorhanden ist. Soweit wir also das Traummaterial bisher analysiert haben, erkannten wir es als eine Sammlung von psychischen Resten, Erinnerungsspuren, denen wir (wegen der Bevorzugung des rezenten und des infantilen Materials) einen psychologisch derzeit unbestimmbaren Charakter von Aktualität zusprechen mußten. Es schafft uns nun nicht viel Verlegenheit vorherzusagen, was geschehen wird, wenn zu diesen Erinnerungsaktualitäten neues Material an Sensationen während des Schafzustandes hinzutritt. Diese Erregungen erlangen wiederum eine Wichtigkeit für den Traum dadurch, daß sie aktuell sind; sie werden mit den anderen psychischen Aktualitäten vereinigt, um das Material für die Traumbildung abzugeben. Die Reize während des Schlafes werden, um es anders zu sagen, in eine Wunscherfüllung verarbeitet, deren andere Bestandteile uns bekannten psychischen Tagesreste sind. Diese Vereinigung muß nicht vollzogen werden; wir im en ja gehört, daß gegen körperliche Reize während des Schlafes mehr als eine Art des Verhaltens möglich ist. Wo sie vollzogen wird, da ist es eben gelungen, ein Vorstellungsmaterial für den Trauminhalt zu finden, welches für beiderlei Traumquellen, die somatischen wie die psychischen, eine Vertretung darstellt.

§ 575

Das Wesen des Traumes wird nicht verändert, wenn zu den psychischen Traumquellen somatisches Material hinzutritt; er bleibt eine Wunscherfüllung, gleichgültig wie deren Ausdruck durch das aktuelle Material bestimmt wird.

§ 576

Ich will hier gern Raum lassen für eine Reihe von Eigentümlichkeiten, welche die Bedeutung äußerer Reize für den Traum veränderlich gestalten können. Ich stelle mir vor, daß ein Zusammenwirken in individueller, physiologischer und zufälliger, in den jeweiligen Umständen gegebener Momente darüber entscheidet, wie man sich in den einzelnen Fällen von intensiverer objektiver Reizung während des

§ 577

Schlafes benehmen wird; die habituelle und akzidentelle Schlaftiefe im Zusammenhalt mit der Intensität des Reizes wird es das eine Mal ermöglichen, den Reiz so zu unterdrücken, daß er im Schlafe nicht stört, ein anderes Mal dazu nötigen aufzuwachen, oder den Versuch unterstützen, den Reiz durch Verwebung in einen Traum zu überwinden. Der Mannigfaltigkeit dieser Konstellationen entsprechend werden äußere objektive Reize bei dem einen häufiger oder seltener im Traume zum Ausdruck kommen als bei dem anderen. Bei mir, der ich ein ausgezeichneter Schläfer bin und hartnäckig daran festhalte, mich durch keinen Anlaß im Schlafe stören zu lassen, ist die Einmengung äußerer Erregungsursachen in die Träume sehr selten, während psychische Motive mich doch offenbar sehr leicht zum Träumen bringen. Ich habe eigentlich nur einen einzigen Traum aufgezeichnet, in dem eine objektive, schmerzhafte Reizquelle zu erkennen ist, und gerade in diesem Traume wird es sehr lehrreich werden nachzusehen, welchen Traumerfolg der äußere Reiz gehabt hat.

§ 578

Ich reite auf einem grauen Pferde, zuerst zaghaft und ungeschickt, als ob ich nur angelehnt wäre. Da begegne ich einem Kollegen P., der im Lodenanzug hoch zu Roß sitzt und mich an etwas mahnt (wahrscheinlich, daß ich schlecht sitze). Nun finde ich mich auf dem höchst intelligenten Roß immer mehr zurecht, sitze bequem und merke, daß ich oben ganz heimisch bin. Als Sattel habe ich eine Art Polster, das den Raum zwischen Hals und Croup des Pferdes vollkommen ausfüllt. Ich reite so knapp zwischen zwei Lastwägen hindurch. Nachdem ich die Straße eine Strecke weit geritten bin, kehre ich um und will absteigen, zunächst vor einer kleinen offenen Kapelle, die in der Straßenfront liegt. Dann steige ich wirklich vor einer ihr nahestehenden ab; das Hotel ist in derselben Straße; ich könnte das Pferd allein hingehen lassen, ziehe aber vor, es bis dahin zu führen. Es ist, als ob ich mich schämen würde, dort als Reiter anzukommen. Vor dem Hotel steht ein Hotelbursche, der mir einen Zettel zeigt, der von mir gefunden wurde, und mich darum verspottet. Auf dem Zettel steht, zweimal unterstrichen: Nichts essen und dann ein zweiter Vorsatz (undeutlich) wie: nichts arbeiten; dazu eine dumpfe Idee, daß ich in einer fremden Stadt bin, in der ich nichts arbeite.

§ 579

Dem Traume wird man zunächst nicht anmerken, daß er unter dem Einflusse, unter dem Zwange vielmehr, eines Schmerzreizes entstanden ist. Ich hatte aber tags vorher an Furunkeln gelitten, die mir jede Bewegung zur Qual machten, und zuletzt war ein Furunkel an der Wurzel des Skrotum zur Apfelgröße herangewachsen, hatte mir bei jedem Schritte die unerträglichsten Schmerzen bereitet, und fieber

§ 580

hafte Müdigkeit, Eßunlust, die trotzdem festgehaltene schwere Arbeit des Tages hatten sich mit den Schmerzen vereint, um meine Stimmung zu stören. Ich war nicht recht fähig, meinen ärztlichen Aufgaben nachzukommen, aber bei der Art und bei dem Sitze des Übels ließ sich an eine andere Verrichtung denken, für die ich sicherlich so untauglich gewesen wäre wie für keine andere, und diese ist das Reiten. Gerade in diese Tätigkeit versetzt mich nun der Traum; es ist die energischeste Negation des Leidens, die der Vorstellung zugänglich ist. Ich kann überhaupt nicht reiten, träume auch sonst nicht davon, bin überhaupt nur einmal auf einem Pferde gesessen und damals ohne Sattel, und es behagte mir nicht. Aber in diesem Traume reite ich, als ob ich keinen Furunkel am Damm hätte, nein gerade weil ich keinen haben will. Mein Sattel ist der Beschreibung gemäß der Breiumschlag, der mir das Einschlafen ermöglicht hat. Wahrscheinlich habe ich durch die ersten Stunden des Schlafes — so verwahrt — nichts von meinem Leiden verspürt. Dann meldeten sich die schmerzhaften Empfindungen und wollten mich aufwecken, da kam der Traum und sagte beschwichtigend: „Schlaf doch weiter, du wirst doch nicht aufwachen! Du hast ja gar keinen Furunkel, denn du reitest ja auf einem Pferde, und mit einem Furunkel an der Stelle kann man doch nicht reiten!“ Und es gelang ihm so; der Schmerz wurde übertaubt und ich schlief weiter.

§ 581

Der Traum hat sich aber nicht damit begnügt, mir durch die hartnäckige Festhaltung einer mit dem Leiden unverträglichen Vorstellung, den Furunkel „abzusuggerieren“, wobei er sich benommen wie der halluzinatorische Wahnsinn der Mutter, die ihr Kind verloren hat,*)*) oder des Kaufmanns, den Verluste um sein Vermögen gebracht haben; sondern die Einzelheiten der abgeleugneten Sensation und des zu ihrer Verdrängung gebrauchten Bildes dienen ihm auch als Material, um das, was sonst in der Seele aktuell vorhanden ist, an die Situation des Traumes anzuknüpfen und zur Darstellung zu bringen. Ich reife ein graues Pferd, die Farbe des Pferdes entspricht genau dem pfeffer- und salzfarbigen Dreß, in dem ich dem Kollegen P. zuletzt auf dem Lande begegnet bin. Scharf gewürzte Nahrung ist mir als die Ursache der Furunkulose vorgehalten werden, immerhin als Ätiologie dem Zucker vorzuziehen, an den man bei Furunkulose denken kann. Freund P. liebt es, sich mir gegenüber aufs hohe Roß zu setzen, seitdem er mich bei einer Patientin abgelöst, mit der ich große Kunststücke ausgeführt hatte (ich sitze im Traume auf dem Pferde zuerst wie ein Kunstreiter tangential), die mich aber wirklich, wie das Roß in der Anekdote den Sonntagsreiter geführt hat, wohin sie wollte. So kommt das Roß zur symbolischen Bedeutung einer Patientin (es ist im Traume höchst in- telligent). „Ich fühle mich ganz heimisch oben“ geht auf die Stellung, die ich in dem Hause inne hatte, ehe ich durch P. ersetzt wurde. „Ich habe gemeint, Sie sitzen oben fest im Sattel“, hat mir mit Beziehung auf dasselbe Haus einer meiner wenigen Gönner unter den großen Ärzten dieser Stadt vor kurzem gesagt. Es war auch ein Kunststück, mit solchen Schmerzen acht bis zehn Stunden täglich Psychotherapie zu treiben, aber ich weiß, daß ich ohne volles körperliches Wohlbefinden meine besonders schwierige Arbeit nicht lange fortsetzen kann, und der Traum ist voll düsterer Anspielungen auf die Situation, die sich dann ergeben muß (der Zettel, wie ihn die Neurestheniker haben und dem Arzte vorzeigen): — Nicht arbeiten und nicht essen. Bei weiterer Deutung sehe ich, daß es der Traumarbeit gelungen ist, von der Wunschsituation des Reitens den Weg zu finden zu sehr frühen Kinderstreitszenen, die sich zwischen mir und einem jetzt in England lebenden, übrigens um ein Jahr älteren Neffen abgespielt haben mußten. Außerdem hat er Elemente aus meinen Reisen in Italien aufgenommen; die Straße im Traume ist aus Eindrücken von Verona und von Siena zusammengesetzt. Noch tiefer gehende Deutung führt zu sexuellen Traumgedanken, und ich erinnere mich, was bei einer Patientin, die nie in Italien war, die Traumanspielungen an das schöne Land bedeuten sollten (gen Italien — Genitalien), nicht ohne Anknüpfung gleichzeitig an das Haus, in dem ich vor Freund P. Arzt war, und an die Stelle, an welcher mein Furunkel sitzt.

*) Vergleiche die Stelle bei G r i e s i n g e r 31) und die Bemerkung in meinem zweiten Aufsatz über die Abwehr-Psychoneurosen, Neurologisches Zentralblatt, 1896. § 582

Unter den in den vorstehenden Abschnitten erwähnten Träumen fänden sich bereits mehrere, die als Beispiele für die Verarbeitung sogenannter Nervenreize dienen können. Der Traum vom Trinken in vollen Zügen ist ein solcher; in ihm ist der somatische Reiz anscheinend die einzige Traumquelle, der aus der Sensation entspringende Wunsch — der Durst — das einzige Traummotiv. Ähnlich ist es in anderen einfachen Träumen, wenn der somatische Reiz für sich allein einen Wunsch zu bilden vermag. Der Traum der Kranken, die Nachts den Kühlapparat von der Wange abwirft, zeigt eine ungewöhnliche Art, auf Schmerzensreize mit einer Wunscherfüllung zu reagieren; es scheint, daß es der Kranken vorübergehend gelungen war, sich analgisch zu machen, wobei sie ihre Schmerzen einem Fremden zuschob.

§ 583

Mein Traum von den drei Parzen ist ein offenbarer Hungertraum, aber er weiß das Nahrungsbedürfnis bis auf die Sehnsucht des Kindes nach der Mutterbrust zurückzuschieben, und die harmlose Begierde zur Decke für eine ernstere, die sich nicht so unverhüllt äußern darf, zu benützen. Im Trauma vom Grafen Thun konnten wir sehen, auf welchen Wegen ein akzidentell gegebenen körperliches Bedürfnis mit den stärksten aber auch stärkst unterdrückten Regungen des Seelenlebens in Verbindung gebracht wird. Und wenn, wie in dem von Garnier berichteten Falle, der erste Konsul das Geräusch der explodierenden Höllenmaschine in einen Schlachtentraum verwebt, ehe er davon erwacht, so offenbart sich darin ganz besonders klar das Bestreben, in dessen Dienst die Seelentätigkeit sich überhaupt um die Sensationen während des Schlafens kümmert. Ein junger Advokat, der voll von seinem ersten großen Konkurs des Nachmittags einschläft, benimmt sich ganz ähnlich wie der große Napoleon. Er träumt von einem gewissen G. Reich in Hussiatyn, den er aus dem Konkurse kennt, aber Hussiatyn drängt sich weiter gebieterisch auf; er muß erwachen und hört seine Frau, die an einem Bronchialkalarrh leidet, heftig — husten.

§ 584

Halten wir diesen Traum des ersten Napoleon der übrigens ein ausgezeichneter Schläfer war, und jenen anderen es langschläfrigen Studenten zusammen, der von seiner Zimmerfrau geweckt, er müsse ins Spital, sich in ein Spitalsbett träumt und dann mit der Motivierung weiterschläft: Wenn ich schon im Spital bin, brauche ich ja nicht aufzustehen, um hinzugehen. Der letztere ist ein offenbarer Bequemlichkeitstraum, der Schläfer gesteht sich das Motiv seines Träumens unverhohlen ein, deckt aber damit eines der Geheimnisse des Träumens überhaupt auf. In gewissem Sinne sind alle Träume — Bequemlichkeitsträume; sie dienen der Absicht, den Schlaf fortzusetzen, anstatt zu erwachen. Der Traum ist der Wächter des Schlafes, nicht sein Störer. Gegen die psychisch erweckenden Momente werden wir diese Auffassung an anderer Stelle rechtfertigen; ihre Anwendbarkeit auf die Rolle der objektiven äußeren Reize können wir hier bereits begründen. Die Seele kümmert sich entweder überhaupt nicht um die Anlässe zu Sensationen während des Schlafens, wenn sie dies gegen die Intensität und die von ihr wohlverstandene Bedeutung dieser Reize vermag; oder sie verwendet den Traum dazu, diese Reize in Abrede zu stellen, oder drittens, wenn sie dieselben anerkennen muß, so sucht sie jene Deutung derselben auf, welche die aktuelle Sensation als einen Teilbestand einer gewünschten und mit dem Schlafen verträglichen Situation hinstellt. Die aktuelle Sensation wird in einen Traum verflochten, um ihr die Realität zu rauben. Napoleon darf weiter schlafen; es ist ja nur eine Traumerinnerung an den Kanonendonner von Arcole, was ihn stören will.*)*)

§ 585

Der Wunsch zu schlafen muß so als Motiv der Traumbildung jedesmal eingerechnet werden, und jeder gelungene Traum ist eine Erfüllung derselben. Wie dieser allgemeine, regelmäßig vorhandene und sich gleichbleibende Schlafwunsch sich zu den anderen Wünschen stellt, von denen bald der, bald jener durch den Trauminhalt erfüllt werden, dies wird Gegenstand einer anderen Auseinandersetzung sein. In dem Schlafwunsch haben wir aber jenes Moment aufgedeckt, welches die Lücke in der Strümpell-Wundtschen Theorie auszufüllen, die Schiefheit und Launenhaftigkeit in der Deutung des äußeren Reizes aufzuklären vermag. Die richtige Deutung, deren die schlafende Seele sehr wohl fähig ist, nähme ein tätiges Interesse in Anspruch, stellte die Anforderung dem Schlafe ein Ende zu machen; er werden darum von den überhaupt möglichen Deutungen nur solche zugelassen, die mit der absolutistisch geübten Zensur des Schlafwunsches vereinbart sind. Etwa: Die Nachtigall ist's und nicht die Lerche. Denn wenn's die Lerche ist, so hat die Liebesnacht ihr Ende gefunden. Unter den nun zulässigen Deutungen des Reizes wird dann jene ausgewählt, welche die beste Verknüpfung mit den in der Seele lauernden Wunschanregungen erwerben kann. So ist alles eindeutig bestimmt und nichts der Willkür überlassen. Die Mißdeutung ist nicht Illusion, sondern — wenn man so will — Ausrede. Hier ist aber wiederum, wie bei dem Ersatz durch Verschiebung zu Diensten der Traumzensur, ein Akt der Beugung des normalen psychischen Vorganges zuzugeben.

*) Der Inhalt dieses Traumes wird in den zwei Quellen, aus denen ich ihn kenne, nicht übereinstimmend erzählt. § 586

Wenn die äußeren Nerven- und inneren Leibreize intensiv genug sind, um sich psychische Beachtung zu erzwingen, so stellen sie — falls überhaupt Träumen und nicht Erwachen ihr Erfolg ist — einen festen Punkt für die Traumbildung dar, einen Kern im Traummaterial, zu dem eine entsprechende Wunscherfüllung in ähnlicher Weise gesucht wird, wie (siehe oben) die vermittelnden Vorstellungen zwischen zwei psychischen Traumreizen. Es ist insofern für eine Anzahl von Träumen richtig, daß in ihnen das somatische Element den Trauminhalt kommandiert. In diesem extremen Falle wird selbst behufs der Traumbildung ein gerade nicht aktueller Wunsch geweckt. Der Traum kann aber nicht anders als einen Wunsch in einer Situation als erfüllt darstellen; er ist gleichsam vor die Aufgabe gestellt zu suchen, welcher Wunsch durch die nun aktuelle Sensation als erfüllt dargestellt werden kann. Ist dies aktuelle Material von schmerzlichem oder peinlichem Charakter, so ist es doch darum zur Traumbildung nicht unbrauchbar. Das Seelenleben verfügt auch über Wünsche, deren Erfüllung Unlust hervorruft, was ein Widerspruch scheint, aber durch die Berufung auf des Vorhandensein zweier psychischer Instanzen und die zwischen ihnen bestehende Zensur erklärlich wird.

§ 587

Es gibt, wie wir gehört haben, im Seelenleben verdrängte Wünsche, die dem ersten System angehören, gegen deren Erfüllung das zweite System sich sträubt. Es gibt, ist nicht etwa historisch gemeint, daß es solche Wünsche gegeben hat und diese dann vernichtet worden sind; sondern die Lehre von der Verdrängung, deren man in der Psychoneurotik bedarf, behauptet, daß solche verdrängte Wünsche noch existieren, gleichzeitig aber eine Hemmung, die auf ihnen lastet. Die Sprache trifft das Richtige, wenn sie vom „Unterdrücken“ solcher Impulse redet. Die psychische Veranstaltung, damit solche unterdrückte Wünsche zur Realisierung durchdringen, bleibt erhalten und gebrauchsfähig. Ereignet es sich aber, daß ein solcher unterdrückter Wunsch doch vollzogen wird, so äußert sich die überwundene Hemmung des zweiten (bewußtseinsfähigen) Systems als Unlust. Um nun diese Erörterung zu schließen: wenn Sensationen mit Unlustcharakter im Schlafe aus somatischen Quellen vorhanden sind, so wird diese Konstellation von der Traumarbeit benutzt, um die Erfüllung eines sonst unterdrückten Wunsches — mit mehr oder weniger Beibehalt der Zensur — darzustellen.

§ 588

Dieser Sachverhalt ermöglicht eine Reihe von Angstträumen, während eine andere Reihe dieser der Wunschtheorie ungünstigen Traumbildungen einen anderen Mechanismus erkennen läßt. Die Angst in den Träumen kann nämlich eine psychoneurotische sein, aus psychosexuellen Erregungen stammen, wobei die Angst verdrängter Libido entspricht. Dann hat diese Angst wie der ganze Angsttraum die Bedeutung eines neurotischen Symptoms, und wir stehen an der Grenze, wo die wunscherfüllende Tendenz des Traumes scheitert. In anderen Angstträumen aber ist die Angstempfindung somatisch gegeben (etwa wie bei Lungen- und Herzkranken bei zufälliger Atembehinderung), und dann wird sie dazu benützt, solchen energisch unterdrückten Wünschen zur Erfüllung als Traum zu verhelfen, deren Träumen aus psychischen Motiven die gleiche Angstentbindung zur Folge gehabt hätte. Es ist nicht schwer, die beiden scheinbar gesonderten Fälle zu vereinigen. Von zwei psychischen Bildungen, einer Affektneigung und einem Vorstellungsinhalt, die innig zusammen gehören, hebt die eine, die aktuell gegeben ist, auch im Traume die andere; bald die somatisch gegebene Angst den unterdrückten Vorstellungsinhalt, bald der aus er Verdrängung befreite, mit sexueller Erregung einhergehende Vorstellungsinhalt die Angstentbindung. Von dem einen Falle kann man sagen, daß ein somatisch gegebener Affekt psychisch gedeutet wird; im anderen Falle ist alles psychisch gegeben, aber der unterdrückt gewesene Inhalt ersetzt sich leicht durch eine zur Angst passende somatische Deutung. Die Schwierigkeiten, die sich hier für das Verständnis ergeben, haben mit dem Traume nur wenig zu tun; sie rühren daher, daß wir mit diesen Erörterungen die Probleme der Angstentwicklung und der Verdrängung streifen.

§ 589

Zu den kommandierenden Traumreizen aus der inneren Leiblichkeit gehört unzweifelhaft die körperliche Gesamtstimmung. Nicht daß sie den Trauminhalt liefern könnte, aber sie nötigt den Traumgedanken eine Auswahl aus dem Material auf, welches zur Darstellung im Trauminhalt dienen soll, indem sie den einen Teil dieses Materials, als zu ihrem Wesen passend, nahe legt, den anderen fern hält. Überdies ist ja wohl diese Allgemeinstimmung vom Tage her mit den für den Traum bedeutsamen psychischen Resten verknüpft.

§ 590

Wenn die somatischen Reizquellen während des Schlafes — die Schlafsensationen also — nicht von ungewöhnlicher Intensität sind, so spielen sie nach meiner Schätzung für die Traumbildung eine ähnliche Rolle wie die als rezent verbliebenen, aber indifferenten Eindrücke des Tages. Ich meine nämlich, sie werden zur Traumbildung herangezogen, wenn sie sich zur Vereinigung mit dem Vorstellungsinhalt der psychischen Traumquelle eignen, im anderen Falle aber nicht. Sie werden wie ein wohlfeiles, allezeit bereitliegendes Material behandelt, welches zur Verwendung kommt, so oft man dessen bedarf, anstatt daß ein kostbares Material die Art seiner Verwendungselbst mit vorschreibt. Der Fall ist etwa ähnlich, wie wenn der Kunstgönner dem Künstler einen seltenen Stein, einen Onyx, bringt, aus ihm ein Kunstwerk zu gestalten. Die Größe des Steines, seine Farbe und Fleckung helfen mit entscheiden, welcher Kopf oder welche Szene in ihm dargestellt werden soll, während bei gleichmäßigem und reichlichem Material von Marmor oder Sandstein der Künstler allein der Idee nachfolgt, die sich in seinem Sinne gestaltet. Auf diese Weise allein scheint mir die Tatsache verständlich, daß jener Trauminhalt, der von den nicht ins Ungewohnte gesteigerten Reizen aus unserer Leiblichkeit geliefert wird, doch nicht in allen Träumen und nicht in jeder Nacht im Traume erscheint.

§ 591

Vielleicht wird ein Beispiel, das uns wieder zur Traumdeutung zurückführt, meine Meinung am besten erläutern. Eines Tages mühte ich mich ab zu verstehen, was die Empfindung von Gehemmtsein, nicht von der Stelle können, nicht fertig werden u. dgl., die so häufig geträumt wird und die der Angst so nahe verwandt ist, wohl bedeuten mag. In der Nacht darauf hatte ich folgenden Traum: Ich gehe in sehr unvollständiger Toilette aus einer Wohnung im Parterre über die Treppe in ein höheres Stockwerk. Dabei überspringe ich jedesmal drei Stufen, freue mich, daß ich so flink Treppen steigen kann. Plötzlich sehe ich, daß ein Dienstmädchen die Treppen herab und also mir entgegenkommt. Ich schäme mich, will mich eilen, und nun tritt jenes Gehemmtsein auf, ich klebe an den Stufen und komme nicht von der Stelle.

§ 592

Analyse: Die Situation des Traumes ist der alltäglichen Wirklichkeit entnommen. Ich habe in einem Hause in Wien zwei Wohnungen, die nur durch die Treppe außen verbunden sind. Im Hochparterre befindet sich meine ärztliche Wohnung und mein Arbeitszimmer, einen Stock höher die Wohnräume. Wenn ich in später Stunde unten meine Arbeit vollendet habe, gehe ich über die Treppe ins Schlafzimmer. An dem Abend vor dem Traume hatte ich diesen kurzen Weg wirklich in etwas derangierter Toilette gemacht, d. h. ich hatte Kragen, Krawatte und Manschetten abgelegt; im Traume war daraus ein höherer, aber, wie gewöhnlich, unbestimmter Grad von Kleiderlosigkeit geworden. Das Überspringen von Stufen ist meine gewöhnliche Art, die Treppe zu gehen, übrigens eine bereits im Traume anerkannte Wunscherfüllung, denn mit der Leichtigkeit dieser Leistung hatte ich mich ob des Zustandes meiner Herzarbeit getröstet. Ferner ist diese Art, die Treppe zu gehen, ein wirksamer Gegensatz zu der Hemmung in der zweiten Hälfte des Traumes. Sie zeigt mir — was des Beweises nicht bedurfte —, daß der Traum keine Schwierigkeit hat, sich motorische Aktionen in aller Vollkommenheit ausgeführt vorzustellen; man denke an das Fliegen im Traume!

§ 593

Die Treppe, über die ich gehe, ist aber nicht die meines Hauses; ich erkenne sie zunächst nicht, erst die mir entgegenkommende Person klärt mich über die gemeinte Örtlichkeit auf. Diese Person ist das Dienstmädchen der alten Dame, die ich täglich zweimal besuche, um ihr Injektionen zu machen; die Treppe ist auch ganz ähnlich jener, die ich zweimal im Tage dort zu ersteigen habe.

§ 594

Wie gelangt nun diese Treppe und diese Frauensperson in meinen Traum? Das Schämen, weil man nicht voll angekleidet ist, hat unzweifelhaft sexuellen Charakter; das Dienstmädchen, von dem ich träume, ist älter als ich, mürrisch und keineswegs anreizend. Zu diesen Fragen fällt mir nun nichts anderes ein als das folgende: Wenn ich in diesem Hause den Morgenbesuch mache, werde ich gewöhnlich auf der Treppe von Räuspern befallen; das Produkt der Expektoration gerät auf die Stiege. In diesen beiden Stockwerken befindet sich nämlich kein Spucknapf, und ich vertrete den Standpunkt, daß die Reinhaltung der Treppe nicht auf meine Kosten erfolgen darf, sondern durch die Anbringung eines Spucknapfes ermöglicht werden soll. Die Hausmeisterin, eine gleichfalls ältliche und mürrische Person aber von reinlichen Instinkten, wie ich ihr zuzugestehen bereit bin, nimmt in dieser Angelegenheit einen anderen Standpunkt ein. Sie lauert mir auf, ob ich mir wieder die besagte Freiheit erlauben werde, und wenn sie das konstatiert hat, höre ich sie vernehmlich brummen. Auch versagt sie mir dann für Tage die gewohnte Hochachtung, wenn wir uns begegnen. Am Vortag des Traumes bekam nun die Partei der Hausmeisterin eine Verstärkung durch das Dienstmädchen. Ich hatte eilig wie immer meinen Besuch bei der Kranken abgemacht, als die Dienerin mich im Vorzimmer stellte und die Bemerkung von sich gab: „Herr Doktor hätten sich heute schon die Stiefel abputzen können, ehe Sie ins Zimmer kommen. Der rote Teppich ist wiederum ganz schmutzig von Ihren Füßen.“ Dies ist der ganze Anspruch, den Treppe und Dienstmädchen geltend machen können, um in meinem Traume zu erscheinen.

§ 595

Zwischen meinem Über-die-Treppe-Fliegen und dem Auf-derTreppe-Spucken besteht ein inniger Zusammenhang. Rachenkatarrh wie Herzbeschwerden sollen beide die Strafen für das Laster des Rauchens darstellen, wegen dessen ich natürlich auch bei meiner Hausfrau nicht den Ruf der größten Nettigkeit genieße, in dem einen Hause so wenig wie in dem anderen, die der Traum zu einem Gebilde verschmilzt. Die weitere Deutung des Traumes muß ich verschieben, bis ich berichten kann, woher der typische Traum von der unvollständigen Bekleidung rührt. Ich bemerke nur als vorläufiges Ergebnis des mitgeteilten Traumes, daß die Traumsensation der gehemmten Bewegung überall dort hervorgerufen wird, wo ein gewisser Zusammenhang ihrer bedarf. Ein besonderer Zustand meiner Motilität im Schlafe kann nicht die Ursache dieses Trauminhalts sein, denn einen Moment vorher sah ich mich ja wie zur Sicherung dieser Erkenntnis leichtfüßig über die Stufen eilen.

§ 596

d) Typische Träume.

§ 597

Wir sind im allgemeinen nicht im stande, den Traum eines anderen zu deuten, wenn derselbe uns nicht die hinter dem Trauminhalt stehenden unbewußten Gedanken ausliefern will, und dadurch wird die praktische Verwertbarkeit unserer Methode der Traumdeutung schwer beeinträchtigt. Nun gibt es aber, so recht im Gegensatz zu der sonstigen Freiheit des einzelnen, sich seine Traumwelt in individueller Besonderheit auszustatten und dadurch dem Verständnis der anderen unzugänglich zu machen, eine gewisse Anzahl von Träumen, die fast jedermann in derselben Weise geträumt hat, von denen wir anzunehmen gewohnt sind, daß sie auch bei jedermann dieselbe Bedeutung haben. Ein besonderes Interesse wendet sich diesen typischen Träumen auch darum zu, weil sie vermutlich bei allen Menschen aus den gleichen Quellen stammen, also besonders gut geeignet scheinen, uns über die Quellen der Träume Aufschluß zu geben.

§ 598

Die typischen Träume der Menschen wären der eingehendsten Untersuchung würdig. Ich werde aber nur Muster dieser Gattung eingehender würdigen und wähle hiefür zunächst den sogenannten Verlegenheitstraum der Nacktheit und den Traum vom Tod teurer Verwandter. .

§ 599

Der Traum, daß man nackt oder schlecht bekleidet in Gegenwart Fremder sei, kommt auch mit der Zutat vor, man habe sich dessen gar nicht geschämt u. dgl. Unser Interesse gebührt aber dem Nacktheitstraume nur dann, wenn man in ihm Scham und Verlegenheit empfindet, entfliehen oder sich verbergen will und dabei der eigentümlichen Hemmung unterliegt, daß man nicht von der Stelle kann und sich unvermögend fühlt, die peinliche Situation zu verändern. Nur in dieser Verbind ist der Traum typisch; der Kern seines Inhalts mag sonst in allerlei andere Verknüpfungen einbezogen werden oder mit individuellen Zutaten versetzt sein. Es handelt sich im wesentlichen um die peinliche Empfindung von der Natur der Scham, daß man seine Nacktheit, meist durch Lokomotion, verbergen möchte und es nicht zu stande bringt. Ich glaube, die allermeisten meiner Leser werden sich in dieser Situation im Traume bereits befunden haben.

§ 600

Für gewöhnlich ist die Art und Weise der Entkleidung wenig deutlich. Man hört etwa erzählen, ich war im Hemde, aber dies ist selten ein klares Bild; meist ist die Unbekleidung so unbestimmt, daß sie durch eine Alternative in der Erzählung wiedergegeben wird: „Ich war im Hemde oder im Unterrocke.“ In der Regel ist der Defekt der Toilette nicht so arg, daß die dazugehörige Scham gerechtfertigt schiene. Für den, der den Rock des Kaisers getragen hat, ersetzt sich die Nacktheit häufig durch eine vorschriftswidrige Adjustierung. Ich bin ohne Säbel auf der Straße und sehe Offiziere näher kommen, oder ohne Halsbinde, oder trage eine karrierte Zivilhose u. dgl.

§ 601

Die Leute, vor denen man sich schämt, sind fast immer Fremde mit unbestimmt gelassenen Gesichtern. Niemals ereignet es sich im typischen Traume, daß man wegen der Kleidung, die einem selbst solche Verlegenheit bereitet, beanstandet oder auch nur bemerkt wird. Die Leute machen ganz im Gegenteil gleichgültige, oder wie ich es in einem besonders klaren Traume wahrnehmen konnte, feierlich steife Mienen. Das gibt zu denken.

§ 602

Die Schamverlegenheit des Träumers und die Gleichgültigkeit der Leute ergeben mitsammen einen Widerspruch, wie er im Traume häufig vorkommt. Zu der Empfindung des Träumenden würde doch nur passen, daß die Fremden ihn erstaunt ansehen und verlachen, oder sich über ihn entrüsten. Ich meine aber, dieser anstößige Zug ist durch die Wunscherfüllung beseitigt worden, während der andere, durch irgend welche Macht gehalten, stehen blieb, und so stimmen die beiden Stücke dann schlecht zueinander. Wir besitzen ein interessantes Zeugnis dafür, daß der Traum in seiner durch Wunscherfüllung partiell entstellten Form das richtige Verständnis nicht gefunden hat. Er ist nämlich die Grundlage eines Märchens geworden, welches uns allen in der Andersenschen Fassung*)*) bekannt ist, und in der jüngsten Zeit durch L. Fulda im „Talisman“ poetischer Verwertung zugeführt worden ist. Im Andersenschen Märchen wird von zwei Betrügern erzählt, die für den Kaiser ein kostbares Gewand weben, das aber nur den Guten und Treuen sichtbar sein soll. Der Kaiser geht mit diesem unsichtbaren Gewand bekleidet aus, und durch die prüfsteinartige Kraft des Gewebes erschreckt, tun alle Leute, als ob sie die Nacktheit des Kaisers nicht merkten.

§ 603

Letzteres ist aber die Situation unseres Traumes. Es gehört wohl nicht viel Kühnheit dazu anzunehmen, daß der unverständliche Trauminhalt eine Anregung gegeben hat, um eine Einkleidung zu erfinden, in welcher die vor der Erinnerung stehende Situation sinnreich wird. Dieselbe ist dabei ihrer ursprünglichen Bedeutung beraubt und fremden Zwecken dienstbar gemacht worden. Aber wir werden hören, daß solches Mißverständnis des Trauminhalts durch die bewußte Denktätigkeit eines zweiten psychischen Systems häufig vor kommt und als ein Faktor für die endgültige Traumgestaltung anzuerkennen ist, ferner, daß bei der Bildung von Zwangsvorstellungen und Phobien ähnliche Mißverständnisse — gleichfalls innerhalb der nämlichen psychischen Persönlichkeit — eine Hauptrolle spielen. Es läßt sich auch für unseren Traum angeben, woher das Material für die Umdeutung genommen wird. Der Betrüger ist der Traum, der Kaiser der Träumer selbst, und die moralisierende Tendenz verrät eine dunkle Kenntnis davon, daß es sich im latenten Trauminhalt um unerlaubte, der Verdrängung geopferte Wünsche handelt. Der Zusammenhang, in welchem solche Träume während meiner Analysen bei Neurotikern auftreten, läßt nämlich keinen Zweifel darüber, daß dem Traume eine Erinnerung aus der frühesten Kindheit zu Grunde liegt. Nur in unserer Kindheit gab es die Zeit, daß wir in mangelhafter Bekleidung von unseren Angehörigen wie von fremden Pflegepersonen, Dienstmädchen, Besuchern gesehen wurden, und wir haben uns damals unserer Nacktheit nicht geschämt.*)*) An vielen Kindern kann man noch in späteren Jahren beobachten, daß ihre Entkleidung wie berauschend auf sie wirkt, anstatt sie zur Scham zu leiten. Sie lachen, springen herum, schlagen sich auf den Leib, die Mutter oder wer dabei ist, verweist es ihnen, sagt: Pfui, das ist eine Schande, das darf man nicht. Die Kinder zeigen häufig Exhibitionsgelüste; man kann kaum durch ein Dorf in unseren Gegenden gehen, ohne daß man einem zwei- bis dreijährigen Kleinen begegnete, welches vor dem Wanderer, vielleicht ihm zu Ehren, sein Hemdchen hoch hebt. Einer meiner Patienten hat in seiner bewußten Erinnerung eine Szene aus seinem achten Lebensjahre bewahrt, wie er nach der Entkleidung vor dem Schlafengehen im Hemde zu seiner kleinen Schwester im nächsten Zimmer hinaustanzen will, und wie die dienende Person es ihm verwehrt. In der Jugendgeschichte von Neurotikern spielt die Entblößung vor Kindern des anderen Geschlechtes eine große Rolle; in der Paranoia ist der Wahn, beim An- und Auskleiden beobachtet zu werden, auf diese Erlebnisse zurückzuführen; unter den pervers Gebliebenen ist eine Klasse, bei denen der infantile Impuls zum Zwang erhoben worden ist, die der Exhibitionisten.

*) „Des Kaisers neue Kleider.“ § 604

Diese der Scham entbehrende Kindheit erscheint unserer Rückschau später als ein Paradies, und das Paradies selbst ist nichts anderes als die Massenphantasie von der Kindheit des einzelnen. Darum sind auch im Paradies die Menschen nackt und schämen sich nicht voreinander, bis ein Moment kommt, in dem die Scham und die Angst erwachen, die Vertreibung erfolgt, das Geschlechtsleben und die Kulturarbeit beginnt. In dieses Paradies kann uns nun der Traum allnächtlich zurückführen; wir haben bereits der Vermutung Ausdruck gegeben, daß die Eindrücke aus der ersten Kindheit (der prähistorischen Periode bis etwa zum vollendeten vierten Jahre) an und für sich, vielleicht ohne daß es auf ihren Inhalt weiter ankäme, nach Reproduktion verlangen, daß deren Wiederholung eine Wunscherfüllung ist. Die Nacktheitsträume sind also Exhibitionsträume.

*) Das Kind tritt auch im Märchen auf, denn dort mit plötzlich ein kleines Kind: „Aber er hat ja gar nichts an.“ § 605

Den Kern des Exhibitionstraumes bildet die eigene Gestalt, die nicht als die eines Kindes, sondern wie in der Gegenwart gesehen wird, und die mangelhafte Bekleidung, welche durch die Überlagerung so vieler späterer Negligéerinnerungen oder der Zensur zur Liebe undeutlich ausfällt; dazu kommen nun die Personen, vor denen man sich schämt. Ich kenne kein Beispiel, daß die tatsächlichen Zuschauer bei jenen infantilen Exhibitionen im Traume wieder auftreten. Der Traum ist eben fast niemals eine einfache Erinnerung. Merkwürdigerweise werden jene Personen, denen unser sexuelles Interesse in der Kindheit galt, in allen Reproduktionen des Traumes, der Hysterie und der Zwangsneurose ausgelassen; erst die Paranoia setzt die Zuschauer wieder ein und schließt, obwohl sie unsichtbar geblieben sind, mit fanatischer Überzeugung auf ihre Gegenwart. Was der Traum für sie einsetzt, „viele fremde Leute“, die sich nicht um das gebotene Schauspiel kümmern, ist geradezu der Wunschgegensatz zu jener einzelnen, wohlvertrauten Person, der man die Entblößung bot. „Viele fremde Leute“ finden sich in Träumen übrigens auch häufig in beliebigem anderen Zusammenhang; sie bedeuten immer als Wunschgegensatz „Geheimnis“.*)*) Man merkt, wie auch die Restitution des alten Sachverhalts, die in der Paranoia vor sich geht, diesem Gegensatze Rechnung trägt. Man ist nicht mehr allein, man wird ganz gewiß beobachtet, aber die Beobachter sind „viele, fremde, merkwürdig unbestimmt gelassene Leute“.

§ 606

Außerdem kommt im Exhibitionstraume die Verdrängung zur Sprache. Die peinliche Empfindung des Traumes ist ja die Reaktion des zweiten psychischen Systems dagegen, daß der von ihr verworfene Inhalt der Exhibitionsszene dennoch zur Vorstellung gelangt ist. Um sie zu ersparen, hätte die Szene nicht wieder belebt we en dürfen.

§ 607

Von der Empfindung des Gehemmtseins werden wir später nochmals handeln. Sie dient im Traume vortrefflich dazu, den Willenskonflikt, das Nein, darzustellen. Nach der unbewußten Absicht soll die Exhibition fortgesetzt, nach der Forderung der Zensur unterbrochen werden.

§ 608

Die Beziehungen unserer typischen Träume zu den Märchen und anderen Dichtungsstoffen sind gewiß weder vereinzelte noch zufällige. Gelegentlich hat ein scharfes Dichterauge den Umwandlungsprozeß, dessen Werkzeug sonst der Dichter ist, analytisch erkannt und ihn in umgekehrter Richtung verfolgt, also die Dichtung auf den Traum zurückgeführt. Ein Freund macht mich auf folgende Stelle aus G. Kellerrs „Grünem Heinrich“ aufmerksam: „ "Ich wünsche Ihnen" "nicht, lieber Lee daß Sie jemals die ausgesuchte pikante Wahrheit in der Lage des Odysseus, wo er nackt und mit Schlamm bedeckt vor Nausikaa und ihren Gespielen erscheint, so recht aus Erfahrung empfinden lernen! Wollen Sie wissen, wie das zugeht? Halten wir das Beispiel einmal fest. Wenn Sie einst getrennt von Ihrer Heimat und allem, was Ihnen lieb ist, in der Fremde umherschweifen und Sie haben viel gesehen und viel erfahren, haben Kummer und Sorge, sind wohl gar elend und verlassen, so wird es Ihnen des Nachts unfehlbar träumen, daß Sie sich Ihrer Heimat nähern; Sie sehen sie glänzen und leuchten in den schönsten Farben, holde, feine und liebe Gestalten treten Ihnen entgegen; da entdecken Sie plötzlich, daß Sie zerfetzt, nackt und staubbedeckt umhergehen. Eine namenlose Scham und Angst faßt Sie, Sie suchen sich zu bedecken, zu verbergen und erwachen im Schweiße gebadet. Dies ist, solange es Menschen gibt, der Traum des kummervollen, umhergeworfenen Mannes, und so hat Homer jene Lage aus dem tiefsten und ewigen Wesen der Menschheit herausgenommen."

*) Dasselbe bedeutet, aus begreiflichen Gründen, im Traume die Anwesenheit der „ganzen Familie“. § 609

Das tiefste und ewige Wesen der Menschen, auf dessen Erweckung der Dichter in der Regel bei seinen Hörern baut, das sind jene Regungen des Seelenlebens, die in der später prähistorisch gewordenen Kinderzeit wurzeln. Hinter den bewußtseinsfähigen und einwandfreien Wünschen des Heimatlosen brechen im Traume die unterdrückten und unerlaubt gewordenen Kinderwünsche hervor, und darum schlägt der Traum, den die Sage von der Nausikaa objektiviert, regelmäßig in einen Angsttraum um.

§ 610

Mein eigener, auf Seite 168 erwähnter Traum von dem Eilen über die Treppe, das sich bald nachher in ein An-den-Stufen-Kleben verwandelt, ist gleichfalls ein Exhibitionstraum, da er die wesentlichen Bestandstücke eines solchen aufweist. Er müßte sich also auf Kindererlebnisse zurückführen lassen, und die Kenntnis derselben müßte einen Aufschluß darüber geben, inwiefern das Benehmen des Dienstmädchens gegen mich, ihr Vorwurf, daß ich den Teppich schmutzig gemacht habe, ihr zur Stellung verhilft, die sie im Traume einnimmt. Ich kann die gewünschten Aufklärungen nun wirklich beibringen. In einer Psychoanalyse lernt man die zeitliche Annäherung auf sachlichen Zusammenhang umdeuten; zwei Gedanken, die, anscheinend zusammenhangslos, unmittelbar aufeinander folgen, gehören zu einer Einheit, die zu erraten ist, ebenso wie ein a und ein b, die ich nebeneinander hinschreibe, als eine Silbe: a b, ausgesprochen werden sollen. Ähnlich mit der Aufeinanderbeziehung der Träume. Der erwähnte Traum von der Treppe ist aus einer Traumreihe herausgegriffen, deren andere Glieder mir der Deutung nach bekannt sind. Der von ihnen eingeschlossene Traum muß in denselben Zusammenhang gehören. Nun liegt jenen anderen einschließenden Träumen die Erinnerung an eine Kinderfrau zu Grunde, die mich von irgend einem Termin der Säuglingszeit bis zum Alter von 2½ Jahren betreut hat, von der mir auch eine dunkle Erinnerung im Bewußtsein geblieben ist. Nach den Auskünften, die ich unlängst von meiner Mutter eingeholt habe, war sie alt und häßlich, aber sehr klug und tüchtig; nach den Schlüssen, die ich aus meinen Träumen ziehen darf, hat sie mir nicht immer die liebevollste Behandlung angedeihen und mich harte Worte hören lassen, wenn ich der Erziehung zur Reinlichkeit kein genügendes Verständnis entgegenbrachte. Indem also das Dienstmädchen dieses Erziehungswerk fortzusetzen sich bemüht, erwirbt sie den Anspruch, von mir als Inkarnation der prähistorischen Alten im Traume behandelt zu werden. Es ist wo anzunehmen, daß das Kind dieser Erzieherin, trotz ihrer schlechten Behandlung, seine Liebe geschenkt hat.*)*)

§ 611

Eine andere Reihe von Träumen, die typisch genannt werden dürfen, sind die mit dem Inhalt, daß ein teurer Verwandter, Eltern oder Geschwister, Kinder u. s. w. gestorben ist. Man muß sofort von diesen Träumen zwei Klassen unterscheiden, die einen, bei welchen man im Traume von Trauer unberührt bleibt, so daß man sich nach dem Erwachen über seine Gefühllosigkeit wundert, die anderen, bei denen man tiefen Schmerz über den Todesfall empfindet, ja ihn selbst in heißen Tränen während des Schlafes äußert.

§ 612

Die Träume der ersten Gruppe dürfen wir bei Seite lassen; sie haben keinen Anspruch, als typisch zu gelten. Wenn man sie analysiert, findet man, daß sie etwas anderes bedeuten als sie enthalten, daß sie dazu bestimmt sind, irgend einen anderen Wunsch zu verdecken. So der Traum der Tante, die den einzigen Sohn ihrer Schwester aufgebahrt vor sich sieht, (Seite 109). Das bedeutet nicht, daß sie dem kleinen Neffen den Tod wünscht, sondern verbirgt nur, wie wir erfahren haben, den Wunsch, eine gewisse geliebte Person nach langer Entbehrung wieder zu sehen, dieselbe, die sie früher einmal nach ähnlich langer Pause bei der Leiche eines anderen Neffen wiedergesehen hat. Dieser Wunsch, welcher der eigentliche Inhalt des Traumes ist, gibt keinen Anlaß zur Trauer, und darum wird auch im Traume keine Trauer verspürt. Man merkt es hier, daß die im Traume enthaltene Empfindung nicht zum manifesten Trauminhalt gehört, sondern zum latenten daß der Affektinhalt des Traumes von der Entstehung frei geblieben ist, welche den Vorstellungsinhalt betroffen hat.

§ 613

Anders die Träume, in denen der Tod einer geliebten verwandten Person vorgestellt und dabei schmerzlicher Affekt verspürt wird. Diese bedeuten, was ihr Inhalt besagt, den Wunsch, daß die betreffende Person sterben möge, und da ich hier erwarten darf, daß sich die Gefühle aller Leser und aller Personen, die Ähnliches geträumt haben, gegen meine Auslegung sträuben werden, muß ich den Beweis auf der breitesten Basis anstreben.

*) Eine Überdeutung dieses Trauma: Auf der Treppe spucken, das führte, da „Spucken“ eine Tätigkeit der Geister ist, bei loser Übersetzung zum „esprit d'escalier“. Treppenwitz heißt so viel als Mangel an Schlagfertigkeit. Den habe ich mir wirklich vorzuwerfen. Ob aber die Kinderfrau es an „Schlagfertigkeit hat fehlen lassen? § 614

Wir haben bereits einen Traum erläutert, aus dem wir lernen konnten, daß die Wünsche, welche sich in Träumen als erfüllt darstellen, nicht immer aktuelle Wünsche sind. Es können auch verflossene, abgetane, überlagerte und verdrängte Wünsche sein, denen wir nur wegen ihres Wiederauftauchens im Traume doch eine Art von Fortexistenz zusprechen müssen. Sie sind nicht tot wie die Verstorbenen nach unserem Begriffe, sondern wie die Schatten der Odyssee, die, sobald die Blut getrunken haben, zu einem gewissen Leben erwachen. In jenem Traume vom toten Kinds in der Schachtel (Seite 110) handelte es sich um einen Wunsch, der vor 15 Jahren aktuell war und von damals her unumwunden eingestanden wurde. Es ist vielleicht für die Theorie des Traumes nicht gleichgültig, wenn ich hinzufüge, daß selbst diesem Wunsche eine Erinnerung aus der frühesten Kindheit zu Grunde liegt. Die Träumerin hat als kleines Kind — wann, ist nicht sicher festzustellen — gehört, daß ihre Mutter in der Schwangerschaft, deren Frucht sie wurde, in eine schwere Verstimmung verfallen war und dem Kinde in ihrem Leibe sehnlichst den Tod gewünscht hatte. Selbst erwachsen und gravid geworden, folgte sie nur dem Beispiele der Mutter.

§ 615

Wenn jemand unter Schmerzensäußerungen davon träumt, sein Vater oder seine Mutter, Bruder oder Schwester seien gestorben, so werde ich diesen Traum niemals als Beweis dafür verwenden, daß er ihnen jetzt den Tot wünscht. Die Theorie des Traumes fordert nicht so viel; sie begnügt sich zu schließen, daß er ihnen — irgend einmal in der Kindheit — den Tod gewünscht habe. Ich fürchte aber, diese Einschränkung wird noch wenig zur Beruhigung der Beschwerdeführer beitragen; diese dürften ebenso energisch die Möglichkeit bestreiten, daß sie je so gedacht haben, wie sie sich sicher fühlen, nicht in der Gegenwart solche Wünsche zu hegen. Ich muß darum ein Stück vom untergegangenen Kinderseelenleben nach den Zeugnissen, die noch die Gegenwart aufweist, wieder herstellen.*)*)

§ 616

Fassen wir zunächst das Verhältnis der Kinder zu ihren Geschwistern ins Auge. Ich weiß nicht, warum wir voraussetzen, es müsse ein liebevolles sein, da doch die Beispiele von Geschwisterfeindschaft unter Erwachsenen in der Erfahrung eines jeden sich drängen, und wir so oft feststellen können, diese Entzweiung rühre noch aus der Kindheit her, oder habe von jeher bestanden. Aber auch sehr viele Erwachsene, die heute an ihren Geschwistern zärtlich hängen und ihnen beistehen, haben in ihrer Kindheit in kaum unterbrochener Feindschaft mit ihnen gelebt. Das ältere Kind hat das jüngere miß handelt, angeschwärzt, es seiner Spielsachen beraubt; das jüngere hat sich in ohnmächtiger Wut gegen das ältere verzehrt, es beneidet und gefürchtet, oder seine ersten Regungen von Freiheitsdrang und Rechtsbewußtsein haben sich gegen den Unterdrücker gewendet. Die Eltern sagen, die Kinder vertragen sich nicht, und wissen den Grund hiefür nicht zu finden. Es ist nicht schwer zu sehen, daß auch der Charakter des braven Kindes ein anderer ist, als wir ihn bei einem Erwachsenen zu finden wünschen. Das Kind ist absolut egoistisch, es empfindet seine Bedürfnisse intensiv und strebt rücksichtslos nach ihrer Befriedigung, insbesondere gegen seine Mitbewerber, andere Kinder, und in erster Linie gegen seine Geschwister. Wir heißen das Kind aber darum nicht „schlecht“, wir heißen es „schlimm“; es ist unverantwortlich für seine bösen Taten vor unserem Urteil wie vor dem Strafgesetz. Und das mit Recht; denn wir dürfen erwarten, daß noch innerhalb von Lebenszeiten, die wir der Kindheit zurechnen, in dem kleinen Egoisten die altruistischen Regungen und die Moral erwachen werden, daß, mit Meynert zu reden, ein sekundäres Ich das primäre überlegen und hemmen wird. Wohl entsteht die Moralität nicht gleichzeitig auf der ganzen Linie, auch ist die Dauer der morallosen Kindheitsperiode bei den einzelnen Individuen verschieden lang. Wo die Entwicklung dieser Moralität ausbleibt, sprechen wir gern von „Degeneration“; es handelt sich offenbar um eine Entwicklungshemmung. Wo der primäre Charakter durch die spätere Entwicklung bereits überlagert ist, kann er durch die Erkrankung an Hysterie wenigstens partiell wieder freigelegt werden. Die Übereinstimmung des sogenannten hysterischen Charakters mit dem eines schlimmen Kindes ist geradezu auffällig. Die Zwangsneurose hingegen entspricht einer Übermoralität, als verstärkende Belastung dem sich wieder regenden primären Charakter auferlegt.

*) [Vgl. hiezu: Analyse der Phobie eines fünfjährigen Knaben im Jahrbuch für psychoanalytische und psychopathologische Forschungen, Bd. I, 1909, und „Über infantile Sexualtheorien“ in Sexualprobleme, I, 1908.] § 617

Viele Personen also, die heute ihre Geschwister lieben und sich durch ihr Hinsterben beraubt fühlen würden, tragen von früher her böse Wünsche gegen dieselben in ihrem Unbewußten, welche sich in Träumen zu realisieren vermögen. Es ist aber ganz besonders interessant, kleine Kinder bis zu drei Jahren oder wenig darüber in ihrem Verhalten gegen jüngere Geschwister zu beobachten. Das Kind war bisher das einzige; nun wird ihm angekündigt, daß der Storch ein neues Kind gebracht hat. Das Kind mustert en Ankömmling und äußert dann entschieden: „Der Storch soll es wieder mitnehmen.“*)*)

§ 618

Ich bekenne mich in allem Ernst zur Meinung, daß das Kind abzuschätzen weiß, welche Benachteiligung es von dem Fremd ling zu erwarten hat. Von einer mir nahestehenden Dame, die sich heute mit ihrer um vier Jahre jüngeren Schwester sehr gut verträgt, weiß ich, daß sie die Nachricht von deren Ankunft mit dem Vorbehalt beantwortet hat: „Aber meine rote Kappe werde ich ihr doch nicht geben.“ Sollte das Kind erst später zu dieser Erkenntnis kommen, so wird seine Feindseligkeit in diesem Zeitpunkte erwachen. Ich kenne einen Fall, daß ein nicht dreijähriges Mädchen den Säugling in der Wiege zu erwürgen versuchte, von dessen weiterer Anwesenheit ihr nichts Gutes ahnte. Der Eifersucht sind Kinder um diese Lebenszeit in aller Stärke und Deutlichkeit fähig. Oder das kleine Geschwisterchen ist wirklich bald wieder verschwunden, das Kind hat wieder alle Zärtlichkeit im Hause auf sich vereinigt, nun kommt ein neues vom Storche geschickt; ist es da nicht korrekt, daß unser Liebling den Wunsch in sich erschaffen sollte, der neue Konkurrent möge dasselbe Schicksal haben wie der frühere, damit es ihm wieder so gut gehe wie vorhin und in der Zwischenzeit? Natürlich ist dieses Verhalten des Kindes gegen die Nachgeborenen in normalen Verhältnissen eine einfache Funktion des Altersunterschiedes. Bei einem gewissen Intervall werden sich in dem älteren Mädchen bereits die mütterlichen Instinkte gegen das hilflose Neugeborene regen.

*) [Der 3½jährige Hans, dessen Phobie Gegenstand der Analyse in der vorhin erwähnten Veröffentlichung ist, ruft im Fieber kurz nach der Geburt einer Schwester: Ich will aber kein Schwesterchen haben. In seiner Neurone, 1½ Jahre später, gesteht er den Wunsch, daß die Mutter das Kleine beim Baden in die Wanne fallen lassen möge, damit es sterbe, unumwunden ein. Dabei ist Haus ein gutartiges zärtliches Kind, welches bald auch diese Schwester liebgewinnt und sie besonders gerne protegiert.] § 619

Empfindungen von Feindseligkeit gegen die Geschwister müssen im Kindesalter noch weit häufiger sein, als sie der stumpfen Beobachtung Erwachsener auffallen.

§ 620

Bei meinen eigenen Kindern, die einander rasch folgten, habe ich die Gelegenheit zu solchen Beobachtungen versäumt; ich hole sie jetzt bei meinem kleinen Neffen nach, dessen Alleinherrschaft nach 15 Monaten durch das Auftreten einer Mitbewerberin gestört wurde. Ich höre zwar, daß der junge Mann sich sehr ritterlich gegen das Schwesterchen benimmt, ihr die Hand küßt und sie streichelt; ich überzeuge mich aber, daß er schon vor seinem vollendeten zweiten Jahre seine Sprachfähigkeit dazu benützt, um Kritik an der ihm doch nur überflüssig erscheinenden Person zu üben. So ofl; die Rede auf sie kommt, mengt er sich ins Gespräch und ruft unwillig: Zu k(l)ein, zu k(l)ein. In den letzten Monaten, seitdem das Kind sich durch vortreffliche Entwicklung dieser Geringschätzung entzogen hat, weiß er seine Mahnung, daß sie soviel Aufmerksamkeit nicht verdient, anders zu begründen. Er erinnert bei allen geeigneten Anlässen daran: Sie hat keine Zähne.*)*) Von dem ältesten Mädchen einer anderen Schwester haben wir alle die Erinnerung bewahrt, wie das damals sechsjährige Kind sich eine halbe Stunde lang von allen Tanten bestätigen ließ: „Nicht wahr, das kann die Lucie noch nicht verstehen?“ Lucie war die um 2½ Jahre jüngere Konkurrentin.

*) [In die nämlichen Worte kleidet der 3½jährige Hans seine vernichtende Kritik seiner Schwester (l. c.). Er nimmt an, daß sie wegen des Mangels der Zähne nicht sprechen kann.] § 621

Den gesteigerter Feindseligkeit entsprechenden Traum vom Tode der Geschwister habe ich z. B. bei keiner meiner Patientinnen vermißt. Ich fand nur eine Ausnahme, die sich leicht in eine Bestätigung der Regel umdeuten ließ. Als ich einst einer Dame während einer Sitzung diesen Sachverhalt erklärte, der mir bei dem Symptom an der Tagesordnung in Betracht zu kommen schien, antwortete sie mir zu meinem Erstaunen, sie habe solche Träume nie gehabt. Ein anderer Traum fiel ihr aber ein, der angeblich damit nichts zu schaffen hatte, ein Traum, den sie mit vier Jahren, zuerst als damals Jüngste, und dann wiederholt geträumt hatte. „Eine Menge Kinder, alle ihre Brüder, Schwestern, Cousins und Cousinen tummelten sich auf einer Wiese. Plötzlich bekamen sie Flügel, flogen auf und waren weg.“ Von der Bedeutung des Traumes hatte sie keine Ahnung; es wird uns nicht schwer fallen, einen Traum vom Tode aller Geschwister in seiner ursprünglichen, durch die Zensur wenig beeinflußten Form darin zu erkennen. Ich getraue mich folgende Analyse unterzuschieben. Bei dem Tode eines aus der Kinderschaar — die Kinder zweier Brüder wurden in diesem Falle in geschwisterlicher Gemeinschaft aufgezogen — wird unsere noch nicht vierjährige Träumerin eine weise, erwachsene Person gefragt haben: Was wird denn aus den Kindern, wenn sie tot sind? Die Antwort wird gelautet haben: Dann bekamen sie Flügel und werden Engerl. Im Traume nach dieser Aufklärung haben nun die Geschwister alle Flügel wie die Engel und — was die Hauptsache ist — sie fliegen weg. Unsere kleine Engelmacherin bleibt allein, man denke, das einzige nach einer solchen Schar! Daß sich die Kinder auf einer Wiese tummeln, von der sie wegfliegen, deutet kaum mißverständlich auf Schmetterlinge hin, als ob dieselbe Gedankenverbindung das Kind geleitet hätte, welche die Alten bewog, die Psyche mit Schmetterlingsflügeln zu bilden.

§ 622

Vielleicht wirft nun jemand ein, die feindseligen Impulse der Kinder gegen ihre Geschwister seien wohl zuzugeben aber wie käme das Kindergemüt zu der Höhe von Schlechtigkeit, dem Mitbewerber oder stärkeren Spielgenossen gleich den Tod zu wünschen, als ob alle Vergehen nur durch die Todesstrafe zu sühnen seien? Wer so spricht, erwägt nicht, daß die Vorstellung des Kindes vom „Todsein“ mit der unserigen das Wort und dann nur noch wenig anderes gemein hat. Das Kind weiß nichts von den Greueln der Verwesung, vom Frieren im kalten Grube, vom Schrecken des endlosen Nichts, das der Erwachsene, wie alle Mythen vom Jenseits zeugen, in seiner Vorstellung so schlecht verträgt. Die Furcht vor dem Tode ist ihm fremd, darum spielt es mit dem gräßlichen Worte und droht einem anderen Kinde: „Wenn du das noch einmal tust, wirst du sterben, wie der Franz gestorben ist,“ wobei es die arme Mutter schaudernd überläuft, die vielleicht nicht daran vergessen kann, daß die größere Hälfte der erdgeborenen Menschen ihr Leben nicht über die Jahre der Kindheit bringt. Noch mit acht Jahren kann das Kind, von einem Gange durch das Naturhistorische Museum heimgekehrt, seiner Mutter sagen: „Mama, ich habe dich so lieb; wenn du einmal stirbst, lasse ich dich ausstopfen und stelle dich hier im Zimmer auf, damit ich dich immer, immer sehen kann!“ So wenig gleicht die kindliche Vorstellung vom Gestorbensein der unserigen.*)*)

§ 623

Gestorben sein heißt für das Kind, welchem ja überdies die Szenen des Leidens vor dem Tode zu sehen erspart wird, so viel als „fort sein“, die Überlebenden nicht mehr stören. Es unterscheidet nicht, auf welche Art diese Abwesenheit zu stande kommt, ob durch Verreisen, Entfremdung oder Tod. Wenn in den prähistorischen Jahren eines Kindes seine Kinderfrau weggeschickt worden und einige Zeit darauf seine Mutter gestorben ist, so liegen für seine Erinnerung, wie man sie in der Analyse aufdeckt, beide Ereignisse in einer Reihe übereinander. Daß das Kind die Abwesenden nicht sehr intensiv vermißt, hat manche Mutter zu ihrem Schmerze erfahren, wenn sie nach mehrwöchentlicher Sommerreise in ihr Haus zurückkehrte und auf ihre Erkundigung hören mußte: Die Kinder haben nicht ein einziges Mal nach der Mama gefragt. Wenn sie aber wirklich in jenes „unentdeckte Land“ verreist ist, „von des Bezirk kein Wanderer wiederkehrt,“ so scheinen die Kinder sie zunächst vergessen zu haben und erst nachträglich beginnen sie, sich an die Tote zu erinnern.

§ 624

Wenn das Kind also Motive hat, die Abwesenheit eines anderen Kindes zu wünschen, so mangelt ihm jede Abhaltung, diesen Wunsch in die Form zu kleiden, es möge tot sein, und die psychische Reaktion auf den Todeswunschtraum beweist, daß trotz er Verschiedenheit im Inhalt der Wunsch beim Kinde doch irgendwie das nämliche ist wie der gleichlautende Wunsch des Erwachsenen.

§ 625

Wenn nun der Todeswunsch des Kindes gegen seine Geschwister erklärt wird durch den Egoismus des Kindes, der sie die Geschwister als Mitbewerber auffassen läßt, wie soll sich der Todeswunsch gegen die Eltern erklären, die für das Kind die Spender von Liebe und Erfüller seiner Bedürfnisse sind, deren Erhaltung es gerade aus egoistischen Motiven wünschen sollte?

§ 626

Zur Lösung dieser Schwierigkeit leitet uns die Erfahrung, daß die Träume vom Tode der Eltern überwiegend häufig den Teil des Elternpaares betreffen, der das Geschlecht des Träumers teilt, daß also der Mann zumeist vom Tode des Vaters, das Weib vom Tode der Mutter träumt. Ich kann dies nicht als regelmäßig hinstellen, aber das Überwiegen in dem angedeuteten Sinne ist so deutlich, daß es eine Erklärung durch ein Moment von allgemeiner Bedeutung fordert. Es verhält sich — grob ausgesprochen — so, als ob eine sexuelle Vor liebe sich frühzeitig geltend machen würde, als ob der Knabe im Vater, das Mädchen in der Mutter den Mitbewerber in der Liebe erblickte, durch dessen Beseitigung ihm nur Vorteil erwachsen kann.

*) Von einem hochbegabten zehnjährigen Knaben hörte ich nach dem plötzlichen Tode seines Vaters zu meinem Erstaunen folgende Äußerung: Daß der Vater gestorben ist, verstehe ich, aber warum er nicht zum Nachtmahl nach Hause kommt, kann ich mir nicht erklären. § 627

Ehe man diese Vorstellung als ungeheuerlich verwirft, möge man auch hier die realen Beziehungen zwischen Eltern und Kindern ins Auge fassen. Man hat zu sondern, was die Kulturforderung der Pietät von diesem Verhältnis verlangt, und was die tägliche Beobachtung als tatsächlich ergibt. In der Beziehung zwischen Eltern und Kindern liegen mehr als nur ein Anlaß zur Feindseligkeit verborgen; die Bedingungen ihr das Zustandekommen von Wünschen, welche vor der Zensur nicht bestehen, sind im reichsten Ausmaße gegeben. Verweilen wir zunächst bei der Relation zwischen Vater und Sohn. Ich meine, die Heiligkeit, die wir den Vorschriften des Dekalogs zuerkannt haben, stumpf unseren Sinn für die Wahrnehmung der Wirklichkeit ab. Wir getrauen uns vielleicht kaum zu merken, daß der größere Teil der Menschheit sich über die Befolgung des vierten Gebotes hinaussetzt. In den tiefsten wie in den höchsten Schichten der menschlichen Gesellschaft pflegt die Pietät gegen die Eltern vor anderen Interessen zurückzutreten. Die dunklen Nachrichten, die in Mythologie und Sagen aus der Urzeit der menschlichen Gesellschaft auf uns gekommen sind, geben von der Machtfülle des Vaters und von der Rücksichtslosigkeit, mit der sie gebraucht wurde, eine unerfreuliche Vorstellung. Kronos verschlingt seine Kinder, etwa wie der Eber den Wurf des Mutterschweines, und Zeus entmannt den Vater*)*) und setzt sich als Herrscher an seine Stelle. Je unumschränkter der Vater in der alten Familie herrschte, desto mehr muß der Sohn als berufener Nachfolger in die Lage des Feindes gerückt, desto größer muß seine Ungeduld geworden sein, durch den Tod des Vaters selbst zur Herrschaft zu gelangen. Noch in unserer bürgerlichen Familie pflegt der Vater durch die Verweigerung der Selbstbestimmung und der dazu nötigen Mittel an den Sohn dem natürlichen Keime der Feindschaft, der in dem Verhältnisse liegt, zur Entwicklung zu verhelfen. Der Arzt kommt oft genug in die Lage zu bemerken, daß der Schmerz über den Verlust des Vaters beim Sohne die Befriedigung über die endlich erlangte Freiheit nicht unterdrücken kann. Den Rest der in unserer heutigen Gesellschaft arg antiquierten potestas patris familias pflegt jeder Vater krampfhaft festzuhalten, und jeder Dichter ist der Wirkung sicher, der wie Ibsen den uralten Kampf zwischen Vater und Sohn in den Vordergrund seiner Fabeln rückt. Die Anlässe zu Konflikten zwischen Tochter und Mutter ergeben sich, wenn die Tochter heranwächst und in der Mutter die Wächterin findet, während sie nach sexueller Freiheit begehrt, die Mutter aber durch das Aufblühen der Tochter gemahnt wird, daß für sie die Zeit gekommen ist, sexuellen Ansprüchen zu entsagen.

*) Wenigstens in einigen mythologischen Darstellungen. Nach anderen wird die Entmannung nur von Kronos an seinem Vater Uranos vollzogen. [Über die mythologische Bedeutung dieses Motivs vergl. Otto Rank: Der Mythus von der Geburt des Helden, fünftes Heft der „Schriften für vergleich. Seelenkunde, 1809“.] § 628

Alle diese Verhältnisse liegen offenkundig da vor jedermanns Augen. Sie fördern uns aber nicht bei der Absicht, die Träume vom Tode der Eltern zu erklären, welche sich bei Personen finden, denen die Pietät gegen die Eltern längst etwas Unantastbares geworden ist. Auch sind wir durch die vorhergehenden Erörterungen darauf vorbereitet, daß sich der Todeswunsch gegen die Eltern aus der frühesten Kindheit ableiten wird.

§ 629

Mit einer alle Zweifel ausschließenden Sicherheit bestätigt sich diese Vermutung für die Psychoneurotiker bei den mit ihnen vorgenommenen Analysen. Man lernt hiebei, daß sehr frühzeitig die sexuellen Wünsche des Kindes erwachen — soweit sie im keimenden Zustand diesen Namen verdienen —, und daß die erste Neigung des Mädchens dem Vater, die ersten infantilen Begierden des Knaben der Mutter gelten. Der Vater wird somit für den Knaben, die Mutter für das Mädchen zum störenden Mitbewerber, und wie wenig für das Kind dazu gehört, damit diese Empfindung zum Todeswunsch führe, haben wir bereits für den Fall der Geschwister ausgeführt. Die sexuelle Auswahl macht sich in der Regel bereits bei den Eltern geltend; ein natürlicher Zug sorgt dafür, daß der Mann die kleinen Töchter verzärtelt, die Frau den Söhnen die Stange halt, während beide, wo der Zauber des Geschlechtes ihr Urteil nicht verstört, mit Strenge für die Erziehung der Kleinen wirken. Das Kind bemerkt die Bevorzugung sehr wohl und lehnt sich gegen den Teil des Elternpaares auf, der sich ihr widersetzt. Liebe bei dem Erwachsenen zu finden, ist ihm nicht nur die Befriedigung eines besonderen Bedürfnisses, sondern bedeutet auch, daß in allen anderen Stücken seinem Willen nachgegeben wird. So folgt es dem eigenen sexuellen Triebe und erneuert gleichzeitig die von den Eltern ausgehende Anregung, wenn es seine Wahl zwischen den Eltern im gleichen Sinne wie diese trifft.

§ 630

Von den Zeichen dieser infantilen Neigungen seitens der Kinder pflegt man die meisten zu übersehen; einige kann man auch nach den ersten Kinderjahren bemerken. Ein achtjähriges Mädchen meiner Bekanntschaft benützt die Gelegenheit, wenn die Mutter vom Tische abberufen wird, um sich als ihre Nachfolgerin zu proklamieren. „Jetzt will ich die Mama sein. Karl, willst du noch Gemüse? Nimm doch, ich bitte dich“ u. s. w. Ein besonders begabtes und lebhaftes Mädchen von nicht vier Jahren, an der dies Stück Kinderpsychologie besonders durchsichtig ist, äußert direkt: „Jetzt kann das Muatterl einmal fortgehen, dann muß das Vaterl mich heiraten, und ich will seine Frau sein.“ Im Kinderleben schließt dieser Wunsch durchaus nicht aus, daß das Kind auch seine Mutter zärtlich liebe. Wenn der kleine Knabe neben der Mutter schlafen darf, sobald der Vater verreist ist, und nach dessen Rückkehr ins Kinderzimmer zurück muß zu einer Person, die ihm weit weniger gefällt, so mag sich leicht der Wunsch bei ihm gestalten, daß der Vater immer abwesend sein möge, damit er seinen Platz bei der lieben, schönen Mama behalten kann, und ein Mittel zur Erreichung dieses Wunsches ist es offenbar, wenn der Vater tot ist, denn das eine hat ihn seine Erfahrung gelehrt: „Tote“ Leute, wie der Großpapa z. B., sind immer abwesend, kommen nie wieder.

§ 631

Wenn sich solche Beobachtungen an kleinen Kindern der vorgeschlagenen Deutung zwanglos fügen, so ergeben sie allerdings nicht die volle Überzeugung, welche die Psychoanalysen erwachsener Neurotiker dem Arzte aufdrängen. Die Mitteilung der betreffenden Träume erfolgt hier mit solchen Einleitungen, daß ihre Deutung als Wunschträume unausweichlich wird. Ich finde eines Tages eine Dame betrübt und verweint. Sie sagt: Ich will meine Verwandten nicht mehr sehen, es muß ihnen ja vor mir grausen. Dann erzählt sie fast ohne Übergang, daß sie sich an einen Traum erinnert, dessen Bedeutung sie natürlich nicht kennt. Sie hat ihn mit vier Jahren geträumt, er lautet folgendermaßen: Ein Luchs oder Fuchs geht auf dem Dache spazieren, dann fällt etwas herunter oder sie fällt herunter, und dann trägt man die Mutter tot aus dem Hause, wobei sie schmerzlich weint. Ich habe ihr kaum mitgeteilt, daß dieser Traum den Wunsch aus ihrer Kindheit bedeuten muß, die Mutter tot zu sehen, und daß sie dieses Traumes wegen meinen muß, die Verwandten grausen sich vor ihr, so liefert sie bereits etwas Material, den Traum aufzuklären. „Luchsaug“ ist ein Schimpfwort, mit dem sie einmal als ganz kleines Kind von einem Gassenjungen belegt wurde; ihrer Mutter ist, als das Kind drei Jahre alt war, ein Ziegelstein vom Dache auf den Kopf gefallen, so daß sie heftig geblutet hat.

§ 632

Ich hatte einmal Gelegenheit, ein junges Mädchen, des verschiedene psychische Zustände durchmachte, eingehend zu studieren. In einer tobsüchtigen Verworrenheit, mit der die Krankheit begann, zeigte die Kranke eine ganz besondere Abneigung gegen ihre Mutter, schlug und beschimpfte sie, sobald sie sich dem Bette näherte, während sie gegen eine um vieles ältere Schwester zu derselben Zeit liebevoll und gefügig blieb. Dann folgte ein klarer, aber etwas apathischer Zustand mit sehr gestörtem Schlafe; in dieser Phase begann ich die Behandlung und analysierte ihre Träume. Eine Unzahl derselben handelte mehr oder minder verhüllt vom Tode der Mutter; bald wohnte sie dem Leichenbegängnis einer alten Frau bei, bald sah sie sich und ihre Schwester in Trauerkleidern bei Tische sitzen; es blieb über den Sinn dieser Träume kein Zweifel. Bei noch weiter fortschreitender Besserung traten hysterische Phobien auf; die quälendste darunter war, daß der Mutter etwas geschehen sei. Von wo sie immer sich befand, mußte sie dann nach Hause eilen, um sich zu überzeugen, daß die Mutter noch lebe. Der Fall war nun, zusammengehalten mit meinen sonstigen Erfahrungen, sehr lehrreich; er zeigte in gleichsam mehrsprachiger Übersetzung verschiedene Reaktionsweisen des psychischen Apparate auf dieselbe erregende Vorstellung. In der Verworrenheit, die ich als Überwältigung der zweiten psychischen Instanz durch die sonst unterdrückte erste auffasse, wurde die unbewußte Feindseligkeit gegen die Mutter motorisch mächtig; als dann die erste Beruhigung eintrat, der Aufruhr unterdrückt, die Herrschaft der Zensur wieder hergestellt war, blieb dieser Feindseligkeit nur mehr das Gebiet des Träumens offen, um den Wunsch nach ihrem Tode zu verwirklichen; als das Normale sich noch weiter gestärkt hatte, schuf es als hysterische Gegensatzreaktion und Abwehrerscheinung die übermäßige Sorge um die Mutter. In diesem Zusammenhange ist es nicht mehr unerklärlich, warum die hysterischen Mädchen so oft überzärtlich an ihren Müttern hängen.

§ 633

Ein andermal hatte ich Gelegenheit, tiefe Einblicke in das unbewußte Seelenleben einen jungen Mannes zu tun. der durch Zwangsneurose fest existenzunfähig, nicht auf die Straße gehen konnte, weil ihn die Sorge quälte, er bringe alle Leute, die an ihm vorbeigingen, um. Er verbrachte seine Tage damit, die Beweisstücke für sein Alibi in Ordnung zu halten, falls die Anklage wegen eines der in der Stadt vorgefallenen Morde gegen ihn erhoben werden sollte. Überflüssig zu bemerken, daß er ein ebenso moralischer wie fein gebildeter Mensch war. Die — übrigens zur Heilung führende — Analyse deckte als die Begründung dieser peinlichen Zwangsvorstellung Mordimpulse gegen seinen etwas überstrengen Vater auf, die sich, als er sieben Jahre alt war, zu seinem Erstaunen bewußt geäußert hatten, aber natürlich aus weit früheren Kindesjahren stammten. Nach der qualvollen Krankheit und dem Tode des Vaters trat im 31. Lebensjahre der Zwangsvorwurf auf, der sich in Form jener Phobie auf Fremde übertrug. Wer im stande wer, seinen eigenen Vater von einem Berggipfel in den Abgrund stoßen zu wollen, dem ist allerdings zuzutrauen, daß er auch das Leben ferner Stehender nicht schone; der tut darum recht daran, sich in seine Zimmer einzuschließen.

§ 634

Nach meinen bereits zahlreichen Erfahrungen spielen die Eltern im Kinderseelenleben aller späteren Psychoneurotiker die Hauptrolle, und Verliebtheit gegen den einen, Haß gegen den anderen Teil des Elternpaares gehören zum eisernen Bestand des in jener Zeit gebildeten und für die Symptomatik der späteren Neurose so bedeutsamen Materials an psychischen Regungen. Ich glaube aber nicht, daß die Psychoneurotiker sich hierin von anderen normal verbleibenden Menschenkindern scharf sondern, indem sie absolut Neues und ihnen Eigentümliches zu schaffen vermögen. Es ist bei weitem wahrscheinlicher und wird durch gelegentliche Beobachtungen an normalen Kindern unterstützt, daß sie auch mit diesen verliebten und feindseligen Wünschen gegen ihre Eltern uns nur durch die Vergrößerung kenntlich machen, was minder deutlich und weniger intensiv in der Seele der meisten Kinder vorgeht. Das Altertum hat uns zur Unterstützung dieser Erkenntnis einen Sagenstoff überliefert, dessen durchgreifende und allgemeingültige Wirksamkeit nur durch eine ähnliche Allgemeingültigkeit der besprochenen Voraussetzung aus der Kinderpsychologie verständlich wird.

§ 635

Ich meine die Sage vom König Ödipus und das gleichnamige Drama des Sophokles. Ödipus, der Sohn des Laïos, Königs von Theben, und der Jokaste wird als Säugling ausgesetzt, weil ein Orakel dem Vater verkündet hatte, der noch ungeborene Sohn werde sein Mörder sein. Er wird gerettet und wächst als Königssohn an einem fremden Hofe auf, bis er, seiner Herkunft unsicher, selbst das Orakel befragt und von ihm den Rat erhält, die Heimat zu meiden, weil er der Mörder seines Vaters und der Ehegemahl seiner Mutter werden müßte. Auf dem Wege von seiner vermeintlichen Heimat weg trifft er mit König Laïos zusammen und erschlägt ihn in rasch entbranntem Streite. Dann kommt er vor Theben, wo er die Rätsel der den Weg sperrenden Sphinx löst und zum Dank dafür von den Thebanern zum König gewählt und mit Jokastes Hand beschenkt wird. Er regiert lange Zeit in Frieden und Würde und zeugt mit der ihm unbekannten Mutter zwei Söhne und zwei Töchter, bis eine Pest ausbricht, welche eine neuerliche Befragung des Orakels von seiten der Thebaner veranlaßt. Hier setzt die Tragödie des Sophokles ein. Die Boten bringen den Bescheid, daß die Pest aufhören werde, wenn der Mörder des Laïos aus dem Lande getrieben sei. Wo aber weilt der?

" § 636

„Wo findet sich die schwererkennbar dunkle Spur der alten Schuld?“

"
§ 637

(Übersetzung von Donner, v. 109.)

§ 638

Die Handlung des Stückes besteht nun in nichts anderem als in der schrittweise gesteigerten und kunstvoll verzögerten Enthüllung — der Arbeit einer Psychoanalyse vergleichbar —, daß Ödipus selbst der Mörder des Laïos, aber auch er Sohn des Ermordeten und der Jokaste ist. Durch seine unwissentlich verübten Greuel erschüttert, blendet sich Ödipus und verläßt die Heimat. Der Orakelspruch ist erfüllt.

§ 639

König Ödipus ist eine sogenannte Schicksalstragödie; ihre tragische Wirkung soll auf dem Gegensatz zwischen dem übermächtigen Willen der Götter und dem vergeblichen Sträuben der vom Unheil bedrohten Menschen beruhen; Ergebung in den Willen der Gottheit, Einsicht in die eigene Ohnmacht soll er tief ergriffene Zuschauer aus dem Trauerspiele lernen. Folgerichtig haben moderne Dichter es versucht, eine ähnliche tragische Wirkung zu erzielen, indem sie den nämlichen Gegensatz mit einer selbsterfundenen Fabel verwoben. Allein die Zuschauer haben ungerührt zugesehen, wie trotz alles Sträubens schuldloser Menschen ein Fluch oder Orakelspruch sich an ihnen vollzog; die späteren Schicksalstragödien sind ohne Wirkung geblieben.

§ 640

Wenn der König Ödipus den modernen Menschen nicht minder zu erschüttern weiß als den zeitgenössischen Griechen, so kann die Lösung wohl nur darin liegen, daß die Wirkung der griechischen Tragödie nicht auf dem Gegensatz zwischen Schicksal und Menschenwillen ruht, sondern in der Besonderheit des Stoffes zu suchen ist, an welchem dieser Gegensatz erwiesen wird. Es muß eine Stimme in unserem Innern geben, welche die zwingende Gewalt des Schicksals im Ödipus anzuerkennen bereit ist, während wir Verfügungen wie in der „Ahnfrau“ oder in anderen Schicksalstragödien als willkürliche zurückzuweisen vermögen. Und ein solches Moment ist in der Tat in der Geschichte des Königs Ödipus enthalten. Sein Schicksal ergreift uns nur darum, weil es auch das unserige hätte werden können, weil das Orakel vor unserer Geburt denselben Fluch über uns verhängt hat wie über ihn. Uns allen vielleicht war es beschieden, die erste sexuelle Regung auf die Mutter, den ersten Haß und gewalttätigen Wunsch gegen den Vater zu richten; unsere Träume überzeugen uns davon. König Ödipus, der seinen Vater Laïos erschlagen und seine Mutter Jokaste geheiratet hat, ist nur die Wunscherfüllung unserer Kindheit. Aber glücklicher als er, ist es uns seitdem, insofern wir nicht Psychoneurotiker geworden sind, gelungen, unsere sexuellen Regungen von unseren Müttern abzulösen, unsere Eifersucht gegen unsere Väter zu vergessen. Vor der Person, an welcher sich jener urzeitliche Kindheitswunsch erfüllt hat, schaudern wir zurück mit dem ganzen Betrage der Verdrängung, welche diese Wünsche in unserem Innern seither erlitten haben. Während der Dichter in jener Untersuchung die Schuld des Ödipus ans Licht bringt, nötigt er uns zur Erkenntnis unseres eigenen Innern, in dem jene Impulse, wenn auch unterdrückt, noch immer vorhanden sind. Die Gegenüberstellung, mit der uns der Chor verläßt,

" § 641

... „sehet, das ist Ödipus, der entwirrt die hohen Rätsel und der Erste war an Macht, dessen Glück die Bürger alle priesen und beneideten; Seht, in welches Mißgeschickes grause Wogen er versank!“

"
§ 642

diese Mahnung trifft uns selbst und unseren Stolz, die wir seit den Kindesjahren so weise und so mächtig geworden sind in unserer Schätzung. Wie Ödipus leben wir in Unwissenheit der die Moral beleidigenden Wünsche, welche die Natur uns aufgenötigt hat, und nach deren Enthüllung möchten wir wohl alle den Blick abwenden von den Szenen unserer Kindheit.

§ 643

Daß die Sage von Ödipus einem uralten Traumstoffe entsprossen ist, welcher jene peinliche Störung des Verhältnisses zu den Eltern durch die ersten Regungen der Sexualität zum Inhalt hat, dafür findet sich im Texte der Sophokleischen Tragödie selbst ein nicht mißzuverstehender Hinweis. Jokaste tröstet den noch nicht auf geklärten, aber durch die Erinnerung der Orakelsprüche besorgt gemachten Ödipus durch die Erwähnung eines Trauma, den ja so viele Menschen träumen, ohne daß er, meint sie, etwas bedeute:

§ 644

187

" § 645

Denn viele Menschen sehen auch in Träumen schon (V. 995) Sich zugesellt der Mutter: Doch wer alles dies Für nichtig achtet, trägt die Last des Lebens leicht.“

"
§ 646

Der Traum, mit der Mutter sexuell zu verkehren, wird ebenso wie damals auch heute vielen Menschen zu teil, die ihn empört und verwundert erzählen. Er ist wie begreiflich der Schlüssel der Tragödie und das Ergänzungsstück zum Traume vom Tode des Vaters. Die Ödipusfabel ist die Reaktion der Phantasie auf diese beiden typischen Träume, und wie die Träume vom Erwachsenen mit Ablehnungsgefühlen erlebt werden, so muß die Sage Schreck und Selbstbestrafung in ihren Inhalt mit aufnehmen. Ihre weitere Gestaltung rührt wiederum von einer mißverständlichen sekundären Bearbeitung des Stoffes her, welche ihn einer theologisierenden Absicht dienstbar zu machen sucht. (Vgl. den Traumstoff von der Exhibition Seite 171.) Der Versuch, die göttliche Allmacht mit der menschlichen Verantwortlichkeit zu vereinigen, muß natürlich an diesem Material wie an jedem anderen mißlingen.*)*)

*) Auf demselben Boden wie „König Ödipus" wurzelt eine andere der großen tragischen Dichterschöpfungen, der Hamlet Shakespeares. Aber in der veränderten Behandlung des nämlichen Stoffes offenbart sich der ganze Unterschied im Seelenleben der beiden weit auseinander liegenden Kulturperioden, das säkulare Fortschreiten der Verdrängung im Gemütsleben der Menschheit. Im Ödipus wird die zu Grunde liegende Wunschphantasie des Kindes wie im Traume ans Licht gezogen und realisiert; in Hamlet bleibt sie verdrängt, und wir erfahren von ihrer Existenz — dem Sachverhalt bei einer Neurose ähnlich — nur durch die von ihr ausgehenden Hemmungswirkungen. Mit der überwältigenden Wirkung des moderneren Dramas hat es sich eigentümlicherweise als vereinbar gezeigt, daß man über den Charakter des Helden in voller Unklarheit verbleiben könne. Das Stück ist auf die Zögerung Hamlets gebaut, die ihm zugeteilte Aufgabe der Rache zu erfüllen; welches die Gründe oder Motive dieser Zögerung sind, gesteht der Text nicht ein; die vielfältigsten Deutungsversuche haben es nicht anzugeben vermocht. Nach der heute noch herrschenden, durch Goethe begründeten Auffassung stellt Hamlet den Typus des Menschen dar, dessen frische Tatkraft durch die überwuchernde Entwicklung der Gedankentätigkeit gelähmt wird („Von des Gedankens Blässe angekränkelt“). Nach anderen hat der Dichter einen krankhaften, unentschlossenen, in das Bereich der Neurasthenie fallenden Charakter zu schildern versucht. Allein die Fabel des Stückes lehrt, daß Hamlet uns keineswegs als eine Person erscheinen soll, die des Handelns überhaupt unfähig ist. Wir sehen ihn zweimal handelnd auftreten, das einemal in rasch auffahrender Leidenschaft, wie er den Lauscher hinter der Tapete niederstößt, ein anderesmal planmäßig, ja selbst arglistig, indem er mit der vollen Unbedenklichkeit des Renaissance-Prinzen die zwei Höflinge in den ihm selbst zugedachten Tod schickt. Was hemmt ihn also bei der Erfüllung der Aufgabe, die der Geist seines Vaters ihm gestellt hat? Hier bietet sich wieder die Auskunft, daß es die besondere Natur dieser Aufgabe ist. Hamlet kann alles, nur nicht die Rache an dem Manne vollziehen, der seinen Vater beseitigt und bei seiner Mutter dessen Stelle eingenommen hat, an dem Manne, der ihm die Realisierung seiner verdrängten Kinder § 647

Ich kann die typischen Träume vom Tode teurer Verwandten nicht verlassen, ohne daß ich deren Bedeutung für die Theorie des Traumes überhaupt noch mit einigen Worten beleuchte. Diese Träume zeigen uns den recht ungewöhnlichen Fall verwirklicht, daß der durch den verdrängten Wunsch gebildete Traumgedanke jeder Zensur entgeht und unverändert in den Traum übertritt. Es müssen besondere Verhältnisse sein, die solches Schicksal ermöglichen. Ich finde die Begünstigung für diese Träume in folgenden zwei Momenten: Erstens gibt es keinen Wunsch, von dem wir uns ferner glauben; wir meinen, das zu wünschen könnte „uns auch im Traume nicht einfallen“, und darum ist die Traumzensur gegen dieses Ungeheuerliche nicht gerüstet, ähnlich etwa wie die Gesetzgebung Solons keine Strafe für den Vatermord aufzustellen wußte. Zweitens aber kommt dem verdrängten und nicht geahnten Wunsche gerade hier besonders häufig ein Tagesrest entgegen in Gestalt einer Sorge um das Leben der teuren Person. Diese Sorge kann sich nicht anders in den Traum eintragen, als indem sie sich des gleichlautenden Wunsches bedient; der Wunsch aber kann sich mit der am Tage rege gewordenen Sorge maskieren. Wenn man meint, daß dies alles einfacher zugeht, daß man eben bei Nacht und im Traume nur fortsetzt, was man bei Tag angesponnen hat, so läßt man die Träume vom Tode teurer Personen eben außer allem Zusammenhang mit der Traumerklärung und hält ein sehr wohl reduzierbares Rätsel überflüssigerweise fest.

§ 648

Lehrreich ist es auch, die Beziehung dieser Träume zu den Angstträumen zu verfolgen. In den Träumen vom Tode teurer Personen hat der verdrängte Wunsch einen Weg gefunden, auf dem er sich der Zensur — und der durch sie bedingten Entstellung — ent ziehen kann. Die nie fehlende Begleiterscheinung ist dann, daß schmerzliche Empfindungen im Traume verspürt werden. Ebenso kommt der Angsttraum nur zu stande, wenn die Zensur ganz oder teilweise überwältigt wird, und anderseits erleichtert es die Überwältigung der Zensur, wenn Angst als aktuelle Sensation aus somatischen Quellen bereits gegeben ist. Es wird so handgreiflich, in welcher Tendenz die Zensur ihres Amtes waltet, die Traumentstellung ausübt; es geschieht, um die Entwicklung von Angst oder anderen Formen peinlichen Affekts zu verhüten.

wünsche zeigt. Der Abscheu, der ihn zur Rache drängen sollte, ersetzt sich so bei ihm durch Selbstvorwürfe, durch Gewissensskrupel, die ihm vorhalten, daß er, wörtlich verstanden, selbst nicht besser sei als der von ihm zu strafende Sünder. Ich habe dabei ins Bewußte übersetzt, was in der Seele des Helden unbewußt bleiben muß; wenn jemand Hamlet einen Hysteriker nennen will, kann ich es nur als Folgerung aus meiner Deutung anerkennen. Die Sexualabneigung stimmt sehr wohl dazu, die Hamlet dann im Gespräche mit Ophelia äußert, die nämliche Sexualabneigung, die von der Seele des Dichters in den nächsten Jahren immer mehr Besitz nehmen sollte, bis zu ihren Gipfeläußerungen im Timon von Athen. Es kann natürlich nur das eigene Seelenleben des Dichters gewesen sein, das uns im Hamlet entgegentritt; ich entnehme dem Werke von Georg Brandes über Shakespeare (1896) die Notiz, daß das Drama unmittelbar nach dem Tode von Shakespeares Vater (1601), also in der frischen Trauer um ihn, in der Wiederbelebung, dürfen wir annehmen, der auf den Vater bezüglichen Kindheitsempfindungen gedichtet worden ist. Bekannt ist auch, daß Shakespeares früh verstorbener Sohn den Namen Hamnet (identisch mit Hamlet) trug. Wie Hamlet das Verhältnis des Sohnes zu den Eltern behandelt, so ruht der in der Zeit nahestehende Macbeth auf dem Thema der Kinderlosigkeit. Wie übrigens jedes neurotische Symptom, wie selbst der Traum, der Überdeutung fähig ist, ja dieselbe zu seinem vollen Verständnis fordert, so wird auch jede echte dichterische Schöpfung aus mehr als aus einem Motiv und einer Anregung in der Seele des Dichters hervorgegangen sein und mehr als eine Deutung zulassen. Ich habe hier nur die Deutung der tiefsten Schicht von Regungen in der Seele des schaffenden Dichters versucht. § 649

Ich habe im vorstehenden von dem Egoismus der Kinderseele gesprochen und knüpfe nun daran mit der Absicht, hier einen Zusammenhang ahnen zu lassen, daß die Träume auch diesen Charakter bewahrt haben. Sie sind sämtlich absolut egoistisch, in allen tritt das liebe Ich auf, wenn auch verkleidet. Die Wünsche, die in ihnen erfüllt werden, sind regelmäßig Wünsche dieses Ichs; es ist nur ein täuschender Anschein, wenn je das Interesse für einen anderen einen Traum hervorgerufen haben sollte. Ich will einige Beispiele, welche dieser Behauptung widersprechen, der Analyse unterziehen.

§ 650

I. Ein noch nicht vierjähriger Knabe erzählt: Er hat eine große garnierte Schüssel gesehen, worauf ein großes Stück Fleisch gebraten war, und das Stück war auf einmal ganz — nicht zerschnitten — aufgegessen. Die Person, die es gegessen hat, hat er nicht gesehen. *)*)

§ 651

Wer mag der fremde Mensch sein, von dessen üppiger Fleischmahlzeit unser Kleiner träumt? Die Erlebnisse des Traumtages müssen uns darüber aufklären. Der Knabe bekömmt seit einigen Tagen nach ärztlicher Vorschrift Milchdiät; am Abend des Traumtages war er aber unartig, und da wurde ihm zur Strafe die Abendmahlzeit entzogen. Er hat schon früher einmal eine solche Hungerkur durchgemacht und sich sehr tapfer dabei benommen. Er wußte, daß er nichts bekommen wird, getraute sich aber auch nicht, mit einem Worte anzudeuten, daß er Hunger hat. Die Erziehung fängt an, bei ihm zu wirken; sie äußert sich bereits im Traume, der einen Anfang von Traumentstellung zeigt. Es ist kein Zweifel, daß er selbst die Person ist, deren Wünsche auf eine so reiche Mahlzeit, und zwar eine Bratenmahlzeit, zielen. Da er aber weiß, daß diese ihm verboten ist, wagt er es nicht, wie die hungrigen Kinder es im Traume tun (vgl. den Erdbeertraum meiner kleinen Anna, Seite 94), sich selbst zur Mahlzeit hinzusetzen. Die Person bleibt anonym.

*) Auch das Große, Überreiche, Übermäßige und Übertriebene der Träume könnte ein Kindheitscharakter sein. Das Kind kann keinen sehnlicheren Wunsch als groß zu werden, von allem so viel zu bekommen wie die Großen; es ist schwer zu befriedigen, kennt kein Genug, verlangt unersättlich nach Wiederholung dessen, was ihm gefallen oder geschmeckt hat. Maß halten, nicht bescheiden, resignieren lernt es erst durch die Kultur der Erziehung. Bekanntlich neigt auch der Neurotiker zur Maßlosigkeit und Unmäßigkeit. § 652

II. Ich träume einmal, daß ich in der Auslage einer Buchhandlung ein neues Heft jener Sammlung im Liebhabereinband sehe, die ich sonst zu kaufen pflege (Künstlermonographien, Monographien zur Weltgeschichte, berühmte Kunststätten u. s. w.). Die neue Sammlung nennt sich: Berühmte Redner (oder Reden) und das Heft I derselben trägt den Namen Dr. Lecher.

§ 653

In der Analyse wird es mir unwahrscheinlich, daß mich der Ruhm Dr. Lechers, des Dauerredners der deutschen Obstruktion im Parlament, während meiner Träume beschäftige. Der Sachverhalt ist der, daß ich vor einigen Tagen neue Patienten zur psychischen Kur aufgenommen habe, und nun zehn bis elf Stunden täglich zu sprechen genötigt bin. Ich bin also selbst so ein Dauerredner.

§ 654

III. Ich träume ein andermal, daß ein mir bekannter Lehrer an unserer Universität sagt: Mein Sohn, der Myop. Dann folgt ein Dialog aus kurzen Reden und Gegenreden bestehend. Es folgt aber dann ein drittes Traumstück, in dem ich und meine Söhne vorkommen, und für den latenten Trauminhalt sind Vater und Sohn, Professor M., nur Strohmänner, die mich und meinen Ältesten decken. Ich werde diesen Traum wegen einer anderen Eigentümlichkeit noch weiter unten behandeln.

§ 655

IV. Ein Beispiel von wirklich niedrigen egoistischen Gefühlen, die sich hinter zärtlicher Sorge verbergen, gibt folgender Traum.

§ 656

Mein Freund Otto schaut schlecht aus, ist braun im Gesichte und hat vortretende Augen.

§ 657

Otto ist mein Hausarzt, in dessen Schuld ich hoffnungslos verbleibe, weil er seit Jahren die Gesundheit meiner Kinder überwacht, sie erfolgreich behandelt, wenn sie erkranken, und sie überdies zu allen Gelegenheiten, die einen Vorwand abgeben können, beschenkt. Er war am Traumtage zu Besuch, und da bemerkte meine Frau, daß er müde und abgespannt aussehe. Nachts kömmt mein Traum und leiht ihm einige der Zeichen der Basedowschen Krankheit. Wer sich in der Traumdeutung von meinen Regeln freimacht, der wird diesen Traum so verstehen, daß ich um die Gesundheit meines Freundes besorgt bin, und daß diese Besorgnis sich im Traume realisiert. Es wäre ein Widerspruch nicht nur gegen die Behauptung, daß der Traum eine Wunscherfüllung ist, sondern auch gegen die andere, daß er nur egoistischen Regungen zugänglich ist. Aber wer so deutet, möge mir erklären, warum ich bei Otto die Basedowsche Krankheit befürchte, zu welcher Diagnose sein Aussehen auch nicht den leisesten Anlaß gibt? Meine Analyse liefert hingegen folgendes Material aus einer Begebenheit, die sich vor sechs Jahren zugetragen hat. Wir fuhren, eine kleine Gesellschaft, in der sich auch Professor R. befand, in tiefer Dunkelheit durch den Wald von N., einige Stunden weit von unserem Sommeraufenthalt entfernt. Der nicht ganz nüchterne Kutscher warf uns mit dem Wagen einen Abhang herunter, und es war noch glücklich, daß wir alle heil davon kamen. Wir waren aber genötigt, im nächsten Wirtshause zu übernachten, wo die Kunde von unserem Unfall große Sympathie für uns erweckte. Ein Herr, der die unverkennbaren Zeichen des Morbus Basedowii an sich trug — übrigens nur Bräunung der Gesichtshaut und vortretende Augen, ganz wie im Traume, kein Struma — stellte sich ganz zu unserer Verfügung und fragte, was er für uns tun könne. Professor R. in seiner bestimmten Art antwortete: Nichts anderes, als daß Sie mir ein Nachthemd leihen. Darauf der Edle: Das tut mir leid, das kann ich nicht, und ging von dannen.

§ 658

Zur Fortsetzung der Analyse fällt mir ein, daß Basedow nicht nur der Name eines Arztes ist, sondern auch der eines berühmten Pädagogen. (Im Wachen fühle ich mich jetzt dieses Wissens nicht recht sicher.) Freund Otto ist aber diejenige Person, die ich gebeten habe, für den Fall, daß mir etwas zustößt, die körperliche Erziehung meiner Kinder, speziell in der Pubertätszeit (daher das Nachthemd) zu überwachen. Indem ich nun Freund Otto im Traume mit den Krankheitssymptomen jenes edlen Helfers sehe, will ich offenbar sagen: Wenn mir etwas zustößt, wird von ihm ebensowenig etwas für die Kinder zu haben sein wie damals von Herrn Baron L. trotz seiner liebenswürdigen Anerbietungen. Der egoistische Einschlag dieses Traumes dürfte nun wohl aufgedeckt sein.

§ 659

Wo steckt aber hier die Wunscherfüllung? Nicht in der Rache an Freund Otto, dessen Schicksal es nun einmal ist, in meinen Träumen schlecht behandelt zu werden, sondern in folgender Beziehung. Indem ich Otto als Baron L. im Traume darstelle, habe ich gleichzeitig meine eigene Person mit einer anderen identifiziert, nämlich mit der des Professors R., denn ich fordere ja etwas von Otto, wie in jener Begebenheit R. vom Baron L. gefordert hat. Und daran liegt es. Professor R., hat ähnlich wie ich seinen Weg außerhalb der Schule selbständig verfolgt und ist erst in späten Jahren zu dem längst verdienten Titel galangt. Ich will also wieder einmal Professor werden! Ja selbst das „in späten Jahren“ ist eine Wunscherfüllung, denn es besagt, daß ich lange genug lebe, um meine Knaben selbst durch die Pubertät zu geleiten.

§ 660

[Die anderen Formen von typischen Träumen hatte ich in der ersten Auflage dieses Buches nur flüchtig gewürdigt, weil mir zu wenig gutes Material zu Gebote stand. Meine seither gemehrte Erfahrung gestattet mir nun, diese Träume im Groben in zwei Klassen einzuteilen, in solche, die wirklich jedesmal den gleichen Sinn haben, und zweitens in solche, die trotz des gleichen oder ähnlichen Inhalts doch die verschiedenartigsten Deutungen erfahren müssen. Von den typischen Träumen der ersten Art will ich den Prüfungstraum und den sogenannten Zahnreiztraum eingehender behandeln.

§ 661

Jeder, der mit der Maturitätsprüfung seine Gymnasialstudien abgeschlossen hat, klagt über die Hartnäckigkeit, mit welcher der Angsttraum, daß er durchfallen werde, die Klasse wiederholen müsse u. dgl. ihn verfolgt. Für den Besitzer eines akademischen Grades ersetzt sich dieser typische Traum durch einen anderen, der ihm vorhält, daß er die rigorosen Prüfungen abzulegen habe, und gegen den er vergeblich noch im Schlafe einwendet, daß er ja schon seit Jahren praktiziere, Privatdozent sei oder Kanzleileiter. Es sind die unauslöschlichen Erinnerungen an die Strafen, die wir in der Kindheit für verübte Untaten erlitten haben, die sich so an den beiden Knotenpunkten unserer Studien, an dem „dies irae, dies illa“ der strengen Prüfungen in unserem Innern wieder geregt haben. Auch die „Prüfungsangst“ der Neurotiker findet in dieser Kinderangst ihre Verstärkung. Nachdem wir aufgehört haben Schüler zu sein, sind es nicht mehr wie zuerst die Eltern und Erzieher oder später die Lehrer, die unsere Bestrafung besorgen; die unerbittliche Kausalverkettung des Lebens hat unsere weitere Erziehung übernommen, und nun träumen wir von der Matura oder von dem Rigorosum, — und wer hat damals nicht selbst als Gerechter gezagt? — so oft wir erwarten, daß der Erfolg uns bestrafen werde, weil wir etwas nicht recht gemacht, nicht ordentlich zu stande gebracht haben, so oft wir den Druck einer Verantwortung fühlen.

§ 662

Die eigentliche Aufklärung der Prüfungsträume danke ich einer Bemerkung von seiten eines kundigen Kollegen, der einmal in einer wissenschaftlichen Unterhaltung hervorhob, daß seines Wissens der Maturatraum nur bei Personen vorkomme, die diese Prüfung bestanden haben niemals bei solchen, die an ihr gescheitert sind. Der ängstliche Prüfungstraum, der, wie sich immer mehr bestätigt, dann auftritt, wenn man vom nächsten Tage eine verantwortliche Leistung und die Möglichkeit einer Blamage erwartet, würde also eine Gelegenheit aus der Vergangenheit herausgesucht haben, bei welcher sich die große Angst als unberechtigt erwies und durch den Ausgang widerlegt wurde. Es wäre dies ein sehr auffälliges Beispiel von Mißverständnis des Trauminhalts durch die wache Instanz. Die als Empörung gegen den Traum aufgefaßte Einrede: Aber ich bin ja schon Doktor u. dgl. wäre in Wirklichkeit der Trost, den der Traum spendet, und der also lauten würde: Fürchte dich doch nicht vor Morgen; denke daran, welche Angst du vor der Maturitätsprüfung gehabt hast, und es ist dir doch nichts geschehen. Heute bist ja schon Doktor u. s. w. Die Angst aber, die wir dem Trauma anrechnen, stammte aus den Tagesresten.

§ 663

Die Proben auf diese Erklärung, die ich bei mir und anderen anstellen konnte, wenngleich sie nicht zahlreich genug waren, haben gut gestimmt. Ich bin z. B. als Rigorosant in gerichtlicher Medizin durchgefallen; niemals hat dieser Gegenstand mir im Traume zu schaffen gemacht, während ich häufig genug in Botanik, Zoologie oder Chemie geprüft wurde, in welchen Fächern ich mit gut begründeter Angst zur Prüfung gegangen, der Strafe aber durch Gunst des Schicksale oder des Prüfers entgangen bin. Im Gymnasialprüfungstraume werde ich regelmäßig aus Geschichte geprüft, wo ich damals glänzend bestanden habe, aber allerdings nur, weil mein liebenswürdiger Professor — der einäugige Helfer eines anderen Traumes, vgl. p. 11, — nicht übersehen hatte, daß auf dem Prüfungszettel, den ich ihm zurückgab, die mittlere von drei Fragen mit dem Fingernagel durchgestrichen war, zur Mahnung, daß er auf dieser Frage nicht bestehen solle. Einer meiner Patienten, der von der Matura zurückgetreten war und sie später nachgetragen hatte, dann aber bei der Offiziersprüfung durchgefallen und nicht Offizier geworden ist, berichtet mir, daß er oft genug von der ersteren, aber nie von der letzteren Prüfung träumt.

§ 664

Der oben erwähnte Kollege [Dr. Stekel in Wien] macht auf den Doppelsinn des Wortes „Matura“ (Reife) aufmerksam und will beobachtet haben, daß Maturitätsträume recht häufig auftreten, wenn eine sexuelle Erprobung für den nächsten Tag angesetzt ist, wo die gefürchtete Blamage also in der Entfaltung einer geringen Potenz bestehen könnte.

§ 665

§ 666

Der Sinn der „Zahnreizträume“, die ich bei meinen Patienten oft genug zu analysieren hatte, ist mir lange Zeit entgangen, weil sich zu meiner Überraschung der Deutung derselben regelmäßig allzu große Widerstände entgegenstellten.

§ 667

Endlich ließ die übergroße Evidenz keinen Zweifel daran, daß bei Männern nichts anderes als das Onaniegelüste der Pubertätszeit die Triebkraft dieser Träume abgebe. Ich will zwei solcher Träume analysieren, von denen einer gleichzeitig ein „Flugtraum“ ist. Beide rühren von derselben Person her, einem jungen Manne mit starker, aber im Leben gehemmter Homosexualität:

§ 668

Er befindet sich bei einer Fideliovorstellung im Parkett der Oper, neben L., einer ihm sympathischen Persönlichkeit, deren Freundschaft er gern erwerben möchte. Plötzlich fliegt er schräg hinweg über das Parkett bis ans Ende, greift sich dann in den Mund und zieht sich zwei Zähne aus.

§ 669

Den Flug beschreibt er selbst, als ob er in die Luft „geworfen“ wurde. Da es sich um eine Vorstellung des „Fidelio“ handelt, liegt das Dichterwort nahe:

" § 670

„Wer ein holdes Weib errungen“ —

"
§ 671

Aber das Erringen auch des holdesten Weibes gehört nicht zu den Wünschen des Träumen. Zu diesen stimmen zwei andere Verse besser:

" § 672

„Wem der große Wurf gelungen, Eines Freundes Freund zu sein. . . . “

"
§ 673

Der Traum enthält nun diesen „großen Wurf“, der aber nicht allein Wunscherfülllung ist. Es verbirgt sich hinter ihm auch die peinliche Überlegung, daß er mit seinen Werbungen um Freundschaft schon so oft Unglück gehabt hat, „hinausgeworfen“ wurde, und die Furcht, dieses Schicksal könnte sich bei dem jungen Manne, neben dem er die Fideliovorstellung genießt, wiederholen. Und nun schließt sich daran das für den feinsinnigen Träumer beschämende Geständnis an, daß er einst nach einer Abweisung von seiten eines Freundes aus Sehnsucht zweimal hintereinander in sinnlicher Erregung onaniert hat.

§ 674

Der andere Traum: Zwei ihm bekannte Universitätsprofessoren behandeln ihn an meiner Statt. Der eine tut irgend etwas an seinem Gliede; er hat Angst vor einer Operation. Der andere stößt mit einer eisernen Stange gegen seinen Mund, so daß er ein oder zwei Zähne verliert. Er ist mit vier seidenen Tüchern gebunden.

§ 675

Der sexuelle Sinn dieses Traumes ist wohl nicht zweifelhaft. Die seidenen Tücher entsprechen einer Identifizierung mit einem ihm bekannten Homosexuellen. Der Träumer, der niemals einen Koitus ausgeführt, auch nie in der Wirklichkeit geschlechtlichen Verkehr mit Männern gesucht hat, stellt sich den sexuellen Verkehr nach dem Vorbilde der ihm einst vertrauten Pubertätsonanie vor.

§ 676

Ich meine, daß auch die häufigen Modifikationen des typischen Zahnreiztraumes, z. B. daß ein anderer dem Träumer den Zahn auszieht und ähnliches, durch die gleiche Aufklärung verständlich werden. Rätselhaft mag es aber scheinen, wieso der „Zahnreiz“ zu dieser Bedeutung gelangen kann. Ich mache hier auf die so häufige Verlegung von unten nach oben aufmerksam, die im Dienste der Sexualverdrängung steht, und vermöge welcher in der Hysterie allerlei Sensationen und Intentionen, die sich an den Genitalien abspielen sollten, wenigstens an anderen einwandfreien Körperteilen realisiert werden können. Ein Fall von solcher Verlegung ist es auch, wenn in der Symbolik des unbewußten Denkens die Genitalien durch das Angesicht ersetzt werden. Der Sprachgebrauch tut dabei mit, indem er „Hinterbacken“ als Homologe der Wangen anerkennt, „Schamlippen“ neben den Lippen nennt, welche die Mundspalte einrahmen. Die Nase wird in zahlreichen Anspielungen dem Penis gleichgestellt, die Behaarung hier und dort vervollständigt die Ähnlichkeit. Nur ein Gebilde steht außer jeder Möglichkeit von Vergleichung, die Zähne, und gerade dies Zusammentreffen von Übereinstimmung und Abweichung macht die Zähne für die Zwecke der Darstellung unter dem Drucke der Sexualverdrängung geeignet.

§ 677

Ich will nicht behaupten, daß nun die Deutung des Zahnreiztraumes als Onanietraum, an deren Berechtigung ich nicht zweifeln kann, voll durchsichtig geworden ist.1) Ich gebe so viel, als ich zur Erklärung weiß, und muß einen Rest unaufgelöst lassen. Aber ich muß auch auf einen anderen im sprachlichen Ausdruck enthaltenen Zusammenhang hinweisen. In unseren Landen existiert eine unfeine Bezeichnung für den masturbatorischen Akt: sich einen ausreißen oder sich einen herunterreißen. Ich weiß nicht zu sagen, woher diese Redeweisen stammen, welche Verbildlichung ihnen zu Grunde liegt, aber zur ersteren von den beiden würde sich der „Zahn“ sehr gut fügen.

1) [Nach einer Mitteilung von C. G. Jung haben die Zahnreizträume bei Frauen die Bedeutung von Geburtsträumen.] § 678

195

§ 679

Zur zweiten Gruppe von typischen Träumen gehören die, in denen man fliegt oder schwebt, fällt, schwimmt u. dgI. Was bedeuten diese Träume? Das ist allgemein nicht zu sagen. Sie bedeuten, wie wir hören werden, in jedem Falle etwas anderes, nur das Material an Sensationen, das sie enthalten, stammt allemal aus derselben Quelle.

§ 680

Aus den Auskünften, die man durch die Psychoanalysen erhält, muß man schließen, daß auch diese Träume Eindrücke der Kinderzeit wiederholen, nämlich sich auf die Bewegungsspiele beziehen, die für das Kind eine so außerordentliche Anziehung haben. Welcher Onkel hat nicht schon ein Kind fliegen lassen, indem er die Arme ausstreckend durchs Zimmer mit ihm eilte, oder Fallen mit ihm gespielt, indem er es auf den Knien schaukelte und das Bein plötzlich streckte, oder es hoch hob und plötzlich tat, als ob er ihm die Unterstützung entziehen wollte. Die Kinder jauchzen dann und verlangen unermüdlich nach Wiederholung, besonders wenn etwas Schreck und Schwindel mit dabei ist; dann schaffen sie sich nach Jahren die Wiederholung im Traume, lassen aber im Traume die Hände weg, die sie gehalten haben, so daß sie nun frei schweben und fallen. Die Vorliebe aller kleinen Kinder für solche Spiele wie für Schaukeln und Wippen ist bekannt; wenn sie dann gymnastische Kunststücke im Zirkus sehen, wird die Erinnerung von neuem aufgefrischt. Bei manchen Knaben besteht dann der hysterische Anfall nur aus Reproduktionen solcher Kunststücke, die sie mit großer Geschicklichkeit ausführen. Nicht selten sind bei diesen an sich harmlosen Bewegungsspielen auch sexuelle Empfindungen wachgerufen worden.*)*) Um es mit einem bei uns gebräuchlichen, all diese Veranstaltungen deckenden Worte zu sagen: es ist das „Hetzen“ in der Kindheit, welches die Träume vom Fliegen, Fallen, Schwindeln u. dgl. wiederholen, dessen Lustgefühle jetzt in Angst verkehrt sind. Wie aber jede Mutter weiß, ist auch das Hetzen der Kinder in der Wirklichkeit häufig genug in Zwist und Weinen ausgegangen.

*) Ein junger, von Nervosität völlig freier Kollege teilt mir hiezu mit: ,„Ich weiß aus eigener Erfahrung, daß ich früher beim Schaukeln, und zwar in dem Moment, wo die Abwärtsbewegung die größte Wucht hat, ein eigentümliches Gefühl in den Genitalien bekam, das ich, obwohl es mir eigentlich nicht angenehm war, doch als Lustgefühl bezeichnen muß.“ — Von Patienten habe ich oftmals gehört, daß die ersten Erektionen mit Lustgefühl, die sie erinnern, in der Knabenzeit beim Klettern aufgetreten sind. Aus den Psychoanalysen ergibt sich mit aller Sicherheit, daß häufig die ersten sexuellen Regungen in den Rauf- und Ringelspielen der Kinderjahre wurzeln. § 681

Ich habe also guten Grund, die Erklärung abzulehnen, daß der Zustand unserer Hautgefühle während des Schlafes, die Sensationen von der Bewegung unserer Lungen u. dgl. die Träume vom Fliegen und Fallen hervorrufen. Ich se e, daß diese Sensationen selbst aus der Erinnerung reproduziert sind, auf welche der Traum sich bezieht, daß sie also Trauminhalt sind und nicht Traumquellen.

§ 682

Dieses gleichartige und aus der nämlichen Quelle stammende Material von Bewegungsempfindungen wird nun zur Darstellung der allermannigfaltigsten Traumgedanken verwendet. Die meist lustbetonten Träume vom Fliegen erfordern die verschiedensten Deutungen, ganz spezielle bei einigen Personen, Deutungen von selbst typischer Natur bei anderen. Eine meiner Patientinnen pflegte sehr häufig zu träumen, daß sie über die Straße in einer gewissen Höhe schwebe ohne den Boden zu berühren. Sie war sehr klein gewachsen und scheute jede Beschmutzung, die der Verkehr mit Menschen mit sich bringt. Ihr Schwebetraum erfüllte ihr beide Wünsche, indem er ihre Füße vom Erdboden abhob und ihr Haupt in höhere Regionen ragen ließ. Bei anderen Träumerinnen hatte der Fliegetraum die Bedeutung der Sehnsucht: Wenn ich ein Vöglein wär'; andere wurden so nächtlicherweise zu Engeln in der Entbehrung, bei Tage so genannt zu werden. Die nahe Verbindung des Fliegens mit der Vorstellung des Vogels macht es verständlich, daß der Fliegetraum bei Männern meist eine grobsinnliche Bedeutung hat. Wir werden uns auch nicht verwundern, zu hören, daß dieser oder jener Träumer jedesmal sehr stolz auf sein Fliegenkönnen ist.

§ 683

Die Träume vom Fallen tragen häufiger den Angstcharakter. Ihre Deutung unterliegt bei Frauen keiner Schwierigkeit, da sie fast regelmäßig die symbolische Verwendung des Fallens akzeptieren, welches die Nachgiebigkeit gegen eine erotische Versuchung umschreibt. Die infantilen Quellen des Falltraumes haben wir noch nicht erschöpft; fast alle Kinder sind gelegentlich gefallen und wurden dann aufgehoben und geliebkost; wenn sie Nachts aus dem Bettchen gefallen waren, von ihrer Pflegeperson in ihr Bett genommen.

§ 684

Personen, die häufig vom Schwimmen träumen, mit großem Behagen die Wellen teilen u. s. w. sind gewöhnlich Bettnässer gewesen und wiederholen nun im Traume eine Lust, auf die sie seit langer Zeit zu verzichten gelernt haben. Zu welcher Darstellung sich die Träume vom Schwimmen leicht bieten, werden wir bald an dem einen oder dem anderen Beispiele erfahren.

§ 685

Man könnte noch eine ganze Anzahl von „typischen“ Träumen anführen, wenn man darunter die Tatsache der häufigen Wiederkehr des gleichen manifesten Trauminhalts bei verschiedenen Träumern versteht, so z. B.: Die Träume vom Gehen durch enge Gassen, vom Gehen durch eine ganze Flucht von Zimmern, die Träume vom nächtlichen Räuber, dem auch die Vorsichtsmaßregeln der Nervösen vor dem Schlafengehen gelten u. dgl. Eine Untersuchung, die sich speziell mit diesem Material beschäftigen würde, wäre sehr dankenswert. Ich habe an ihrer Statt zwei Bemerkungen zu bieten, die sich aber nicht ausschließlich auf typische Träume beziehen.

§ 686

I. Je mehr man sich mit der Lösung von Träumen beschäftigt, desto bereitwilliger muß man anerkennen, daß die Mehrzahl der Träume Erwachsener sexuelles Material behandelt und erotische Wünsche zum Ausdruck bringt. Nur wer wirklich Träume analysiert, d. h. vom manifesten Inhalt derselben zu den latenten Taumgedanken vordringt , kann sich ein Urteil hierüber bilden, nie wer sich damit begnügt, den manifesten Inhalt zu registrieren [wie z. B. Näcke in seinen Arbeiten über sexuelle Träume]. Stellen wir gleich fest, daß diese Tatsache uns nichts Überraschendes bringt, sondern in voller Übereinstimmung mit unseren Grundsätzen der Traumerklärung steht. Kein anderer Trieb hat seit der Kindheit so viel Unterdrückung erfahren müssen, wie der Sexualtrieb in seinen zahlreichen Komponenten,*)*) von keinem anderen erübrigen so viele und so starke unbewußte Wünsche, die nun im Schlafzustande traumerzeugend wirken. Man darf bei der Traumdeutung diese Bedeutung sexueller Komplexe niemals vergessen, darf sie natürlich auch nicht zur Ausschließlichkeit übertreiben.

§ 687

Daß die auffällig harmlosen Träume durchweg grobe erotische Wünsche verkörpern, haben wir bereits an anderer Stelle behauptet und könnten wir durch zahlreiche neue Beispiele erhärten. Aber auch viele indifferent scheinende Träume, denen man nach keiner Richtung etwas Besonderes anmerken würde, führen sich nach der Analyse auf unzweifelhaft sexuelle Wunschregungen oft unerwarteter Art zurück. Wer würde z. B. bei nachfolgendem Traume einen sexuellen Wunsch vor der Deutungsarbeit vermuten? Der Träumer erzählt: Zwischen zwei stattlichen Palästen steht etwas zurücktretend ein kleines Häuschen, dessen Tore geschlossen sind. Meine Frau führt mich das Stück der Straße bis zu dem Häuschen hin, drückt die Tür ein und dann schlüpfe ich rasch und leicht in das Innere eines schräg aufsteigenden Hofes.

§ 688

Wer einige Übung im Übersetzen von Träumen hat, wird allerdings sofort daran gemahnt werden, daß das Eindringen in enge Räume, das Öffnen verschlossener Türen zur gebräuchlichsten sexuellen Symbolik gehört, und wird mit Leichtigkeit in diesem Traume eine Darstellung eines Koitusversuches von rückwärts [zwischen den beiden stattlichen Hinterbacken des weiblichen Körpers] finden. Der enge schräg aufsteigende Gang ist natürlich die Scheide; die der Frau des Träumers zugeschobene Hilfeleistung nötigt zur Deutung, daß in Wirklichkeit nur die Rücksicht auf die Ehefrau die Abhaltung von einem solchen Versuche besorgt, und eine Erkundigung ergibt, daß am Traumtag ein junges Mädchen in den Haushalt des Träumers eingetreten ist, welches sein Wohlgefallen erregt und ihm den Eindruck gemacht hat, als würde er sich gegen eine derartige Annäherung nicht zu sehr sträuben. Das kleine Haus zwischen den zwei Palästen ist von einer Reminiszenz an den Hradschin in Prag hergenommen und weist somit auf das nämliche aus dieser Stadt stammende Mädchen hin.

*) [Vergl. des Verf. „Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie“, 1905.] § 689

Wenn ich gegen Patienten die Häufigkeit des Ödipustraumes, mit der eigenen Mutter geschlechtlich zu verkehren, betone, so bekomme ich zur Antwort: Ich kann mich an einen solchen Traum nicht erinnern. Gleich darauf steigt aber die Erinnerung an einen anderen, unkenntlichen und indifferenten Traum auf, der sich bei dem Betreffenden häufig wiederholt hat, und die Analyse zeigt, daß dies ein Traum des gleichen Inhalts, nämlich wiederum ein Ödipustraum ist. Ich kann versichern, daß die verkappten Träume vom Sexualverkehre mit der Mutter um ein Vielfaches häufiger sind als die aufrichtigen.

§ 690

Es gibt Träume von Landschaften oder Örtlichkeiten, bei denen im Traume noch die Sicherheit betont wird: Da war ich schon einmal. Diese Örtlichkeit ist dann immer das Genitale der Mutter; in der Tat kann man von keiner anderen mit solcher Sicherheit behaupten, daß man „dort schon einmal war“.

§ 691

Einer großen Anzahl von Träumen, die häufig angsterfülllt sind, oft das Passieren von engen Räumen oder den Aufenthalt im Wasser zum Inhalt haben, liegen Phantasien über das Intrauterinleben, das Verweilen im Mutterleibe und den Geburtsakt zu Grunde. Im folgenden gehe ich den Traum eines jungen Mannes wieder, der in der Phantasie schon die intrauterine Gelegenheit zur Belauschung eines Koitus zwischen den Eltern benützt.

§ 692

„Er befindet sich in einem tiefen Schacht, in dem ein Fenster ist, wie im Semmeringtunnel. Durch dieses sieht er zuerst leere Landschaft und dann komponiert er ein Bild hinein, welches dann auch sofort da ist und die Leere ausfüllt. Das Bild stellt einen Acker dar, der vom Instrument tief aufgewühlt wird, und die schöne Luft, die Idee der gründlichen Arbeit, die dabei ist, die blauschwarzen Schollen machen einen schönen Eindruck. Dann kommt er weiter, sieht eine Pädagogik aufgeschlagen.... und wundert sich, daß den sexuellen Gefühlen [des Kindes] darin soviel Aufmerksamkeit geschenkt wird, wobei er an mich denken muß.

§ 693

Ein schöner Wassertraum einer Patientin, der zu einer besonderen Verwendung in der Kur gelangte, ist folgender:

§ 694

In ihrem Sommeraufenthalt am ** See stürzt sie sich ins dunkle Wasser dort, wo sich der blasse Mond im Wasser spiegelt.

§ 695

Träume dieser Art sind Geburtsträume; zu ihrer Deutung gelangt man, wenn man die im manifesten Traume mitgeteilte Tatsache umkehrt, also anstatt: sich ins Wasser stürzen, — aus dem Wasser herauskommen, d. h.: geboren werden. Die Lokalität, aus der man geboren wird, erkennt man, wenn man an den mutwilligen Sinn von „la lune“ im Französischen denkt. Der blasse Mond ist dann der weiße Popo, aus dem das Kind hergekommen zu sein bald errät. Was soll es nun heißen, daß die Patientin sich wünscht, in ihrem Sommeraufenthalt „geboren zu werden“? Ich befrage die Träumerin, die ohne Zögern antwortet: Bin ich nicht durch die Kur wie neugeboren? So wird dieser Traum zur Einladung, die Behandlung an jenem Sommerorte fortzusetzen, d. h. sie dort zu besuchen; er enthält vielleicht auch eine ganz schüchterne Andeutung des Wunsches, selbst Mutter zu werden.*)*)

§ 696

Die Räuber, nächtlichen Einbrecher und Gespenster, vor denen man sich vor dem Zubettegehen fürchtet, und die auch gelegentlich den Schlafenden heimsuchen, entstammen einer und derselben infantilen Reminiszenz. Es sind die nächtlichen Besucher, die das Kind aus dem Schlafe geweckt haben, um es auf den Topf zu setzen, damit es das Bett nicht nässe, oder die die Decke gehoben haben, um sorgsam nachzuschauen, wie es während des Schlafens die Hände hält. Aus den Analysen einiger dieser Angstträume habe ich noch die Person des nächtlichen Besuchers zur Agnoszierung bringen können. Der Räuber war jedesmal der Vater, die Gespenster werden wohl eher weiblichen Personen im weißen Nachtgewande entsprechen.

§ 697

II. Wenn man sich mit der ausgiebigen Verwendung der Symbolik für die Darstellung sexuellen Materials im Traume vertraut gemacht hat, muß man sich die Frage vorlegen, ob nicht viele dieser Symbole wie die „Siegel“ der Stenographie mit ein- für allemal festgelegter Bedeutung auftreten, und sieht sich vor der Versuchung, ein neues Traumbuch nach der Chiffriermethode zu entwerfen. Dazu ist zu bemerken: Diese Symbolik gehört nicht dem Traume zu eigen an, sondern dem unbewußten Vorstellen, speziell des Volkes, und ist im Folklore, in den Mythen, Sagen, Redensarten, in der Spruchweisheit und in den umlaufenden Witzen eines Volkes vollständiger als im Traume aufzufinden.**)**)

*) [Die Bedeutung der Phantasien und unbewußten Gedanken über des Leben im Mutterleibe habe ich erst vor kurzem würdigen gelernt. Sie enthalten sowohl die Aufklärung für die sonderbare Angst so vieler Menschen, lebendig begraben zu werden, als auch die tiefste unbewußte Begründung des Glaubens an ein Fortleben noch dem Tode, welches nur die Projektion in die Zukunft dieses unheimlichen Lebens vor der Geburt darstellt. Der Geburtsakt ist übrigens dos erste Angsterlebniss und somit die Quelle und Vorbild des Angstaffektes.] **) [Vgl. die Arbeiten von Bleuler und seinen Züricher Schülern Maeder, Abraham u. a. über Symbolik, und die nicht ärztlichen Autoren, auf welche sie sich beziehen (Kleinpaul u. a.).] § 698

Der Traum bedient sich dieser Symbolik zur verkleideten Darstellung seiner latenten Gedanken. Unter den so verwendeten Symbolen sind nun allerdings viele, die regelmäßig oder fast regelmäßig das nämliche bedeuten wollen. Nur möge man der eigentümlichen Plastizität des psychischen Materials eingedenk bleiben. Ein Symbol kann gelegentlich einmal im Trauminhalt nicht symbolisch, sondern in seinem eigentlichen Sinne zu deuten sein:, andere Male kann ein Träumer sich aus speziellem Erinnerungsmaterial das Recht schaffen, alles Mögliche als Sexualsymbol zu verwenden, was nicht allgemein so verwendet wird. Auch sind die gebräuchlichen sexuellen Symbole nicht gerade jedesmal eindeutig.

§ 699

Nach diesen Einschränkungen und Verwahrungen führe ich an: Der Kaiser und die Kaiserin [König und. Königin] stellen wirklich zumeist die Eltern des Träumers dar, Prinz oder Prinzessin ist er selbst. — Alle in die Länge reichenden Objekte, Stöcke, Baumstämme, Schirme [des der Erektion vergleichbaren Aufspannens wegen !] wollen das männliche Glied vertreten. Ein häufiges, nicht recht verständliches Symbol desselben ist die Nagelfeile (des Reibens und Schabens wegen ?). — Dosen, Schachteln, Kästen, Schränke, Öfen entsprechen dem Frauenleib. — Zimmer im Traume sind zumeist Frauenzimmer, die Schilderung ihrer verschiedenen Eingänge und Ausgänge macht an dieser Auslegung gerade nicht irre. Der Traum, durch eine Flucht von Zimmern zu gehen, ist ein Bordell- oder Haremstraum. — Tische, gedeckte Tische und Bretter sind gleichfalls Frauen, wohl des Gegensatzes wegen, der hier die Körperwölbungen aufhebt. Da „Tisch und Bett“ die Ehe ausmachen, wird im Traume häufig der erstere für das letztere gesetzt, und soweit es angeht, der sexuelle Vorstellungskomplex auf den Eßkomplex transponiert. — Alle komplizierten Maschinerien und Apparate der Träume sind mit großer Wahrscheinlichkeit Genitalien, in deren Beschreibung sich die Traumsymbolik so unermüdlich wie die Witzarbeit erweist. Auch Kinder bedeuten im Traume oft nichts anderes, wie ja Männer und Frauen gewöhnt sind, ihr Genitale liebkosend als ihr „Kleines“ zu erwähnen.

§ 700

Diese in hohem Grade unvollständigen Andeutungen mögen genügen, um andere zu sorgfältigerer Sammelarbeit anzuregen. Man darf sagen, es gibt keinen Vorstellungskreis, der sich der Darstellung sexueller Tatsachen und Wünsche verweigern würde. Ich schließe mit dem Traume eines Chemikers, eines jungen Mannes, der sich bemühte, seine onanistischen Gewohnheiten gegen den Verkehr mit dem Weihe aufzugeben.

§ 701

Vorbericht. Am Tage vor dem Traume hat er einem Studenten Aufschluß über die Grignardsche Reaktion geben, bei welcher Magnesium unter katalytischer Jodeinwirkung in absolut reinem Äther aufzulösen ist. Zwei Tage vorher gab es ei der nämlichen Reaktion eine Explosion, bei der sich ein Arbeiter die Hand verbrannte.

§ 702

Traum: I. Er soll Phenylmagnesiumbromid machen, sieht die Apparatur besonders deutlich, hat aber sich selbst fürs Magnesium substituiert. Er ist nun in eigentümlich schwankender Verfassung, sagt sich immer: Es ist das Richtige, es geht, meine Füße lösen sich schon auf, meine Knie werden weich. Dann greift er hin, fühlt an seine Füße, nimmt inzwischen (er weiß nicht wie) seine Beine aus dem Kolben heraus, sagt sich wieder: Das kann nicht sein. — Ja doch, es ist richtig gemacht. Dabei erwacht er partiell, wiederholt sich den Traum, weil er ihn mir erzählen will. Er fürchtet sich direkt vor der Auflösung des Traumes, ist während dieses Halbschlafes sehr erregt und wiederholt sich beständig: Phenyl, Phenyl.

§ 703

II. Er ist mit seiner ganzen Familie in ***ing, soll um ½12 Uhr beim Rendezvous am Schottentor mit jener gewissen Dame sein, wacht aber erst um ½12 Uhr auf. Er sagt sich: Es ist jetzt zu spät; bis du hinkommst, ist es ½1 Uhr. Im nächsten Moment sieht er die ganze Familie um den Tisch versammelt, besonders deutlich die Mutter und das Stubenmädchen mit dem Suppentopf. Er sagt sich dann: Nun, wenn wir schon essen, kann ich ja nicht mehr fort.

§ 704

Analyse: Er ist sicher, daß schon der erste Traum eine Beziehung zur Dame seines Rendezvous hat (der Traum ist in der Nacht vor der erwarteten Zusammenkunft geträumt). Der Student, dem er die Auskunft ab, ist ein besonders ekelhafter Kerl; er sagte ihm: Das ist nicht das Richtige, weil das Magnesium noch ganz unberührt war, und jener antwortete, als ob ihm gar nichts daran läge: Das ist halt nicht das Richtige. Dieser Student muß er selbst sein; — er ist so gleichgültig gegen seine Analyse, wie jener für seine Synthese —; das Er im Traume, das die Operation vollzieht, aber ich. Wie ekelhaft muß er mir mit seiner Gleichgültigkeit gegen den Erfolg erscheinen!

§ 705

Anderseits ist er dasjenige, womit die Analyse (Synthese) gemacht wird. Es handelt sich um das Gelingen der Kur. Die Beine im Traume erinnern an einen Eindruck von gestern abends. Er traf in der Tanzstunde mit einer Dame zusammen, die er erobern will; er drückte sie so fest an sich, daß sie einmal aufschrie. Als er mit dem Druck gegen ihre Beine aufhörte, fühlte er ihren kräftigen Gegendruck an seinen Unterschenkeln bis oberhalb der Knie, an den im Traume erwähnten Stellen. In dieser Situation ist also das Weib das Magnesium in der Retorte, mit dem es endlich geht. Er ist feminin gegen mich, wie er viril gegen das Weib ist. Geht es mit der Dame, so geht es auch mit der Kur. Das sich Befühlen und die Wahrnehmungen an seinen Knien deuten auf die Onanie und ent sprechen seiner Müdigkeit vom Tage vorher. — Das Rendezvous war wirklich für ½12 Uhr verabredet. Sein Wunsch, es zu verschlafen und bei den häuslichen Sexualobjekten (d. h. bei der Onanie) zu bleiben, entspricht seinem Widerstande.

§ 706

Zur Wiederholung des Namens Phenyl berichtet er: Alle diese Radikale auf yl haben ihm immer sehr gefallen, sie sind sehr bequem zu gebrauchen: Benzyl, Azetyl u. s. w. Das erklärt nun nichts, aber als ich ihm das Radikal: Schlemihl vorschlage, lacht er sehr und erzählt, daß er während des Sommers ein Buch von Prévost gelesen und in diesem war im Kapitel: Les exclus de l'amour allerdings von den „Schlemiliés“ die Rede, bei deren Schilderung er sich sagte: Das ist mein Fall. —- Schlemihlerei wäre es auch gewesen, wenn er das Rendezvous versäumt hätte.]

§ 707

VI.

§ 708

Die Traumarbeit.

§ 709

Alle anderen bisherigen Versuche, die Traumprobleme zu erledigen, knüpften direkt an den in der Erinnerung gegebenen manifesten Trauminhalt an und bemühten sich, aus diesem die Traumdeutung zu gewinnen, oder, wenn sie auf eine Deutung verzichteten, ihr Urteil über den Traum durch den Hinweis auf den Trauminhalt zu begründen. Nur wir allein stehen einem anderen Sachverhalt gegenüber; für uns schiebt sich zwischen den Trauminhalt und die Resultate unserer Betrachtung ein neues psychisches Material ein: der durch unser Verfahren gewonnene latente Trauminhalt oder die Traumgedanken. Aus diesem letzteren, nicht aus dem manifesten Trauminhalt entwickelten wir die Lösung des Traumes. An uns tritt darum auch als neu eine Aufgabe heran, die es vordem nicht gegeben hat, die Aufgabe, die Beziehungen des manifesten Trauminhalts zu den latenten Traumgedanken zu untersuchen und nachzuspüren, durch welche Vorgänge aus den letzteren der erstere geworden ist.

§ 710

Traumgedanken und Trauminhalt liegen vor uns wie zwei Darstellungen desselben Inhalts in zwei verschiedenen Sprachen, oder besser gesagt, der Trauminhalt erscheint uns als eine Übertragung der Traumgedanken in eine andere Ausdrucksweise, deren Zeichen und Fügungsgesetze wie durch die Vergleichung von Original und Übersetzung kennen lernen sollen. Die Traumgedanken sind uns ohne weiteres verständlich, sobald wir sie erfahren haben. Der Trauminhalt ist gleichsam in einer Bilderschrift gegeben, deren Zeichen einzeln in die Sprache der Traumgedanken zu übertragen sind. Man würde offenbar in die Irre geführt, wenn man diese Zeichen nach ihrem Bilderwerte anstatt nach ihrer Zeichenbeziehung lesen wollte. Ich habe etwa ein Bilderrätsel (Rebus) vor mir: ein Haus, auf dessen Dach ein Boot zu sehen ist, dann ein einzelner Buchstabe, dann eine laufende Figur, deren Kopf wegapostrophiert ist u. dgl. Ich könnte nun in die Kritik verfallen, diese Zusammenstellung und deren Bestandteile für unsinnig' zu erklären. Ein Boot gehört nicht auf das Dach eines Hauses, und eine Person ohne Kopf kann nicht laufen; auch ist die Person größer als das Haus, und wenn das Ganze eine Landschaft darstellen soll, so fügen sich die einzelnen Buchstaben nicht ein, die ja in freier Natur nicht vorkommen. Die richtige Beurteilung des Rebus ergibt sich offenbar erst dann, wenn ich gegen das Ganze und die Einzelheiten desselben keine solchen Einsprüche erhebe, sondern mich bemühe, jedes Bild durch eine Silbe oder ein Wort zu ersetzen, welches nach irgend welcher Beziehung durch das Bild darstellbar ist. Die Worte, die sich so zusammenfinden, sind nicht mehr sinnlos, sondern können den schönsten und sinnreichsten Dichterspruch ergeben. Ein solches Bilderrätsel ist nun der Traum, und unsere Vorgänger auf dem Gebiete der Traumdeutung haben den Fehler begangen, den Rebus als zeichnerische Komposition zu beurteilen. Als solche erschien er ihnen unsinnig und wertlos.

§ 711

a) Die Verdichtungsarbeit.

§ 712

Das erste, was dem Untersucher bei der Vergleichung von Trauminhalt und Traumgedanken klar wird, ist, daß hier eine großartige Verdichtungsarbeit geleistet wurde. Der Traum ist knapp, armselig, lakonisch im Vergleich zu dem Umfang und zur Reichhaltigkeit der Traumgedanken. Der Traum füllt niedergeschrieben eine halbe Seite; die Analyse, in der die Traumgedanken enthalten sind, bedarf das sechs-, acht-, zwölffache an Schriftraum. Die Relation ist für verschiedene Träume wechselnd; sie ändert, soweit ich es kontrollieren konnte, niemals ihren Sinn. In der Regel unterschätzt man das Maß der statthabenden Kompression, indem man die ans Licht gebrachten Traumgedanken für das vollständige Material hält, während weitere Deutungsarbeit neue, hinter dem Traume versteckte Gedanken enthüllen kann. Wir haben bereits anführen müssen, daß man eigentlich niemals sicher ist, einen Traum vollständig gedeutet zu haben; selbst wenn die Auflösung befriedigend und lückenlos erscheint, bleibt es doch immer möglich, daß sich noch ein anderer Sinn durch denselben Traum kundgibt. Die Ver dichtungsquote ist also — streng genommen — unbestimmbar. Man könnte gegen die Behauptung daß aus dem Mißverhältnis zwischen Trauminhalt und Traumgedanken der Schluß zu ziehen sei, es finde eine ausgiebige Verdichtung des psychischen Materials bei der Traumbildung statt, einen Einwand geltend machen, der für den ersten Eindruck recht bestechend scheint. Wir haben ja so oft die Empfindung, daß wir sehr viel die ganze Nacht hindurch geträumt und dann das meiste wieder vergessen haben. Der Traum, den wir beim Erwachen erinnern, wäre dann bloß ein Rest der gesamten Traumarbeit, welche wohl den Traumgedanken an Umfang gleichkäme, wenn wir sie eben vollständig erinnern könnten. Daran ist ein Stück sicherlich richtig; man kann sich nicht mit der Beobachtung täuschen, daß ein Traum am getreuesten reproduziert wird, wenn man ihn bald nach dem Erwachen zu erinnern versucht, und daß seine Erinnerung gegen den Abend hin immer mehr und mehr lückenhaft wird. Zum anderen Teil aber läßt sich erkennen, daß die Empfindung, man habe sehr viel mehr geträumt als man reproduzieren kann, sehr häufig auf einer Illusion beruht, deren Entstehung späterhin erläutert werden soll. Die Annahme einer Verdichtung in der Traumarbeit wird überdies von der Möglichkeit des Traumvergessens nicht berührt, denn sie wird durch die Vorstellungsmassen erwiesen, die zu den einzelnen erhalten gebliebenen Stücken des Traumes gehören. Ist tatsächlich ein großes Stück des Traumes für die Erinnerung verloren gegangen, so leibt uns hiedurch etwa der Zugang zu einer neuen Reihe von Traumgedanken versperrt. Es ist eine durch nichts zu rechtfertigende Erwartung, daß die untergegangenen Traumstücke sich gleichfalls nur auf jene Gedanken bezogen hätten, die wir bereits aus der Analyse der erhalten gebliebenen kennen.

§ 713

Angesichts der überreichen Menge von Einflällen, welche die Analyse zu jedem einzelnen Element des Trauminhalts beibringt, wird sich bei manchem Leser der prinzipielle Zweifel regen, ob man denn all das, was einem bei der Analyse nachträglich einfällt, zu den Traumgedanken rechnen darf, d. h. annehmen darf, all diese Gedanken seien schon während des Schlafzustandes tätig gewesen und hatten an der Traumbildung mitgewirkt? Ob nicht vielmehr während des Analysierens neue Gedankenverbindungen entstehen, die an der Traumbildung unbeteiligt waren? Ich kann diesem Zweifel nur bedingt beitreten. Daß einzelne Gedankenverbindungen erst während der Analyse entstehen ist allerdings richtig; aber man kann sich jedesmal überzeugen, daß solche neue Verbindungen sich nur zwischen Gedanken herstellen, die schon in den Traumgedanken in anderer Weise verbunden sind; die neuen Verbindungen sind gleichsam Nebenschließungen, Kurzschlüsse, ermöglicht durch den Bestand anderer und tiefer liegender Verbindungswege. Für die Überzahl der bei der Analyse aufgedeckten Gedankenmassen muß man zugestehen, daß sie schon bei der Traumbildung tätig gewesen sind, denn wenn man sich durch eine Kette solcher Gedanken, die außer Zusammenhang mit der Traumbildung scheinen, durchgearbeitet hat, stößt man dann plötzlich auf einen Gedanken, der, im Trauminhalt vertreten, für die Traumdeutung unentbehrlich ist und doch nicht anders als durch jene Gedankenkette zugänglich war. Man vergleiche hiezu etwa. den Traum von der botanischen Monographie, der als das Ergebnis einer erstaunlichen Verdichtungsleistung erscheint, wenngleich ich seine Analyse nicht vollständig mitgeteilt habe.

§ 714

Wie soll man sich aber dann den psychischen Zustand während des Schlafens, der dem Träumen vorangeht, vorstellen? Bestehen alle die Traumgedanken nebeneinander, oder werden sie nacheinander durchlaufen, oder werden mehrere gleichzeitige Gedankengänge von verschiedenen Zentren aus gebildet, die dann zusammentreffen? Ich meine, es liegt noch keine Nötigung vor, sich von dem psychischen Zustand bei der Traumbildung eine plastische Vorstellung zu schaffen. Vergessen wir nur nicht, daß es sich um unbewußtes Denken handelt, und daß der Vorgang leicht ein anderer sein kann als der, welchen wir beim absichtlichen, von Bewußtsein begleiteten Nachdenken in uns wahrnehmen.

§ 715

Die Tatsache aber, daß die Traumbildung auf einer Verdichtung beruht, steht unerschütterlich fest. Wie kommt diese Verdichtung nun zu stande?

§ 716

Wenn man erwägt, daß von den aufgefundenen Traumgedanken nur die wenigsten durch eines ihrer Vorstellungselemente im Traume vertreten sind, so sollte man schließen, die Verdichtung geschehe auf dem Wege der Auslassung, indem der Traum nicht eine getreuliche Übersetzung oder eine Projektion Punkt für Punkt der Traumgedanken, sondern eine höchst unvollständige und lückenhafte Wiedergabe derselben sei. Diese Einsicht ist, wie wir bald finden werden, eine sehr mangelhafte. Doch fußen wir zunächst auf ihr und fragen uns weiter: Wenn nur wenige Elemente aus den Traumgedanken in den Trauminhalt gelangen, welche Bedingungen bestimmen die Auswahl derselben?

§ 717

Um hierüber Aufschluß zu bekommen, wendet man nun seine Aufmerksamkeit den Elementen des Trauminhalts zu, welche die gesuchten Bedingungen ja erfüllt haben müssen. Ein Traum, zu dessen Bildung eine besonders starke Verdichtung beigetragen, wird für diese Untersuchung das günstigste Material sein. Ich wähle den auf Seite 118 mitgeteilten Traum von der botanischen Monographie.

§ 718

Trauminhalt: Ich habe eine Monographie über eine (unbestimmt gelassene) Pflanzenart geschrieben. Das Buch liegt vor mir, ich blättere eben eine eingeschlagene farbige Tafel um. Dem Exemplar ist ein getrocknetes Spezimen der Pflanze beigebunden.

§ 719

Das augenfälligste Element dieses Traumes ist die botanische Monographie. Diese stammt aus den Eindrücken des Traumtages; in einem Schaufenster einer Buchhandlung hatte ich tatsächlich eine Monographie über die Gattung „Zyklamen“ gesehen. Die Erwähnung dieser Gattung fehlt im Trauminhalt, in dem nur die Monographie und ihre Beziehung zur Botanik übrig geblieben sind. Die „botanische Monographie“ erweist sofort ihre Beziehung zu der Arbeit über Kokain, die ich einmal geschrieben habe; vom Kokain aus geht die Gedankenverbindung einerseits zur Festschrift und zu gewissen Vorgängen in einem Universitätslaboratorium, anderseits zu meinem Freunde, dem Augenarzte Dr. Königstein, der an der Verwertung des Kokains seinen Anteil gehabt hat. An die Person des Dr. K. knüpft sich weiter die Erinnerung an das unterbrochene Gespräch, das ich abends zuvor mit ihm geführt, und die vielfältigen Gedanken über die Entlohnung ärztlicher Leistungen unter Kollegen. Dieses Gespräch ist nun der eigentliche aktuelle Traumerreger; die Monographie über Zyklamen ist gleichfalls eine Aktualität, aber indifferenter Natur; wie ich sehe, erweist sich die „botanische Monographie“ des Traumes als ein mittleres Gemeinsames zwischen beiden Erlebnissen des Tages, von dem indifferenten Eindruck unverändert übernommen, mit dem psychisch bedeutsamen Erlebnis durch ausgiebigste Assoziationeverbindungen verknüpft.

§ 720

Aber nicht nur die zusammengesetzte Vorstellung „botanische Monographie“, sondern auch jedes ihrer Elemente „botanisch“ undMonographie“ gesondert geht durch mehrfache Verbindungen tiefer und tiefer in das Gewirre der Traumgedanken ein. Zu „botanisch gehören die Erinnerungen an die Person des Professors Gärtner, an seine blühende Frau, an meine Patientin, die Flora heißt, und an die Dame, von der ich die Geschichte mit den vergessenen Blumen erzählt habe. Gärtner führt neuerdings auf das Laboratorium und auf das Gespräch mit Königstein; in dasselbe Gespräch gehört die Erwähnung der beiden Patientinnen. Von der Frau mit den Blumen zweigt ein Gedankenweg zu den Lieblingsblumen meiner Frau ab, dessen anderer Ausgang im Titel der bei Tag flüchtig gesehenen Monographie liegt. Außerdem erinnert „botanisch“ an eine Gymnasialepisode und an ein Examen der Universitätszeit, und ein neues in jenem Gespräche angeschlagenes Thema, das meiner Liebhabereien, knüpft sich durch Vermittlung meiner scherzhaft sogenannten Lieblingsblume, der Artischocke an die von den vergessenen Blumen ausgehende Gedankenkette an; hinter „Artischocke“ steckt die Erinnerung an Italien einerseits und an eine Kinderszene anderseits, in der ich meine seither intim gewordenen Beziehungen zu Büchern eröffnet habe. „Botanisch“ ist also ein wahrer Knotenpunkt, in welchem für den Traum zahlreiche Gedankengänge zusammentreffen, die, wie ich versichern kann, in jenem Gespräche mit Fug und Recht in Zusammenhang gebracht werden sind. Man befindet sich hier mitten in einer Gedankenfabrik, in der wie im WeberMeisterstück.

§ 721

"„Ein Tritt tausend Fäden regt, Die Schifflein herüber, hinüber schießen, Die Fäden ungesehen fließen, Ein Schlag tausend Verbindungen schlägt.“"

§ 722

Monographie“ im Traume führt wiederum an zwei Themata, an die Einseitigkeit meiner Studien und an die Kostspieligkeit meiner Liebhabereien.

§ 723

Aus dieser ersten Untersuchung holt man sich den Eindruck, daß die Elemente „botanisch“ und „Monographie“ darum in den Trauminhalt Aufnahme gefunden haben, weil sie mit den meisten Traumgedanken die ausgiebigsten Berührungen aufweisen können, also Knotenpunkte darstellen, in denen sehr viele der Traum gedanken zusammentreffen, weil sie mit Bezug auf die Traumdeutung vieldeutig sind. Man kann die dieser Erklärung zu Grunde liegende Tatsache auch anders aussprechen und dann sagen: Jedes der Elemente des Trauminhalts erweist sich als überdeterminiert, als mehrfach in den Traumgedanken vertreten.

§ 724

Wir erfahren mehr, wenn wir die übrigen Bestandteile des Traumes auf ihr Vorkommen in den Traumgedanken prüfen. Die farbige Tafel, die ich aufschlage, geht (vergl. die Analyse Seite 121) auf ein neues Thema, die Kritik der Kollegen an meinen Arbeiten, und auf ein bereits im Traume vertretenes, meine Liebhabereien, außerdem auf die Kindererinnerung, in der ich ein Buch mit farbigen Tafeln zerpflücke; das getrocknete Exemplar der Pflanze rührt an das Gymnasialerlebnis vom Herbarium und hebt diese Erinnerung besonders hervor. Ich sehe also, welcher Art die Beziehung zwischen Trauminhalt und Traumgedanken ist: Nicht nur die Elemente des Traumes sind durch die Traumgedanken mehrfach determiniert, sondern die einzelnen Traumgedanken sind auch im Traume durch mehrere Elemente vertreten. Von einem Element des Traumes führt der Assoziationsweg zu mehreren Traumgedanken; von einem Traumgedanken zu mehreren Traumelementen. Die Traumbildung erfolgt also nicht so, daß der einzelne Traumgedanke oder eine Gruppe von solchen eine Abkürzung für den Trauminhalt liefert, und dann der nächste Traumgedanke eine nächste Abkürzung als Vertretung, etwa wie aus einer Bevölkerung Volksvertreter gewählt werden, sondern die ganze Masse der Traumgedanken unterliegt einer gewissen Bearbeitung, nach welcher die meist und bestunterstützten Elemente sich für den Eintritt in den Trauminhalt herausheben, etwa der Wahl durch Listenskrutinium analog. Welchen Traum immer ich einer ähnlichen Zergliederung unterziehe, ich finde stets die nämlichen Grundsätze bestätigt, daß die Traumelemente aus der ganzen Masse der Traumgedanken gebildet werden, und daß jedes von ihnen in bezug auf die Traumgedanken mehrfach determiniert erscheint.

§ 725

Es ist gewiß nicht überflüssig, diese Relation von Trauminhalt und Traumgedanken an einem neuen Beispiel zu erweisen, welches sich durch besonders kunstvolle Verschlingung der wechselseitigen Beziehungen auszeichnet. Der Traum rührt von einem Patienten her, den ich wegen Angst in geschlossenen Räumen behandle. Es wird sich bald ergeben, weshalb ich mich veranlaßt finde, diese ausnehmend geistreiche Traumleistung in folgender Weise zu überschreiben:

§ 726

II. „Ein schöner Traum.“

§ 727

Er fährt mit großer Gesellschaft in die X-Straße, in der sich ein bescheidenes Einkehrwirtshaus befindet (was nicht richtig ist). In den Räumen desselben wird Theater gespielt; er ist bald Publikum, bald Schauspieler. Am Ende heißt es, man müsse sich umziehen, um wieder in die Stadt zu kommen. Ein Teil des Personals wird in die Parterreräume verwiesen, ein anderer in die des ersten Stockes. Dann entsteht ein Streit. Die oben ärgern sich, daß die unten noch nicht fertig sind, so daß sie nicht herunter können. Sein Bruder ist oben, er unten, und er ärgert sich über den Bruder, daß man so gedrängt wird. (Diese Partie unklar.) Es war übrigens schon beim Ankommen bestimmt und eingeteilt, wer oben und wer unten sein soll. Dann geht er allein über die Anhöhe, welche die X-Straße gegen die Stadt hin macht, und geht so schwer, so mühselig, daß er nicht von der Stelle kommt. Ein älterer Herr gesellt sich zu ihm und schimpft über den König von Italien. Am Ende der Anhöhe geht er dann viel leichter.

§ 728

Die Beschwerden beim Steigen waren so deutlich, daß er nach dem Erwachen eine Weile zweifelte, ob es Traum oder Wirklichkeit war.

§ 729

Dem manifesten Inhalt nach wird man diesen Traum kaum loben können. Die Deutung will ich regelwidrig mit jenem Stücke beginnen, welches vom Träumer als das deutlichste bezeichnet wurde.

§ 730

Die geträumte und wahrscheinlich im Traume verspürte Beschwerde, des mühselige Steigen unter Dyspnoe, ist eines der Symptome, die der Patient vor Jahren wirklich gezeigt hatte, und wurde ls im Vereine mit anderen Erscheinungen auf eine (wahrscheinlich hysterisch vorgetäuschte) Tuberkulose bezogen. Wir kennen bereits diese dem Traume eigentliche Sensation der Gehhemmung aus den Exhibitionsträumen und finden hier wieder, daß sie als ein allezeit bereit liegendes Material zu Zwecken irgend welcher anderen Darstellung verwendet wird. Das Stück des Trauminhalts, welches beschreibt, wie das Steigen anfänglich schwer war, und am Ende der Anhöhe leicht wurde, erinnerte mich bei der Erzählung des Traumes an die bekannte meisterhafte Introduktion der „Sappho" von A. Daudet. Dort trägt ein junger Mann die Geliebte die Treppen hinauf, anfänglich wie federleicht; aber je weiter er steigt, desto schwerer lastet sie auf seinen Armen, und diese Szene ist vorbildlich für den Verlauf des Verhältnisses, durch dessen Schilderung Daudet die Jugend mahnen will, eine ernstere Neigung nicht an Mädchen von niedriger Herkunft und zweifelhafter Vergangenheit zu verschwenden. Obwohl ich wußte, daß mein Patient vor kurzem ein Liebesverhältnis mit einer Dame vom Theater unterhalten und gelöst hatte, erwartete ich doch nicht, meinen Deutungseinfall berechtigt zu finden. Auch war es ja in der Sappho umgekehrt wie im Traume; in letzterem war das Steigen anfänglich schwer und späterhin leicht; im Roman diente es der Symbolik nur, wenn das, was zuerst leicht genommen wurde, sich am Ende als eine schwere Last erwies. Zu meinem Erstaunen bemerkte der Patient, die Deutung stimme sehr wohl zum Inhalt des Stückes, das er am Abend vorher im Theater gesehen. Das Stück hieß: „Rund um Wien“ und behandelte den Lebenslauf eines Mädchens, das zuerst anständig, dann zur Demimonde übergeht, Verhältnisse mit hochstehenden Personen anknüpft, dadurch „in die Höhe kommt“, endlich aber immer mehr „herunter kommt“. Das Stück hatte ihn auch an ein anderes, vor Jahren gespieltes, erinnert, welches den Titel trug: „Von Stufe zu Stufe“, und auf dessen Ankündigung eine aus mehreren Stufen bestehende Stiege zu sehen war.

§ 731

Nun die weitere Deutung. In der X-Straße hatte die Schauspielerin gewohnt, mit welcher er das letzte, beziehungsreiche Verhältnis unterhalten. Ein Wirtshaus gibt es in dieser Straße nicht. Allein, als er der Dame zuliebe einen Teil des Sommers in Wien verbrachte, war er in einem kleinen Hotel in der Nähe abgestiegen. Beim Verlassen des Hotels sagte er dem Kutscher: Ich bin froh, daß ich wenigstens kein Ungeziefer bekommen habe: (Übrigens auch eine seiner Phobien.) Der Kutscher darauf : Wie kann man aber da absteigen! Das ist ja gar kein Hotel, eigentlich nur ein Einkehrwirtshaus.

§ 732

An das Einkehrwirtshaus knüpft sich ihm sofort die Erinnerung eines Zitats:

" § 733

"Bei einem Wirte wundermild, Da war ich jüngst zu Gaste."

"
§ 734

Der Wirt im Uhlandschen Gedichte ist aber ein Apfelbaum.

§ 735

Nun setzt ein zweites Zitat die Gedankenkette fort:

" § 736

" Faust (mit der Jungen tanzend)."

§ 737

"Einst hatt’ ich einen schönen Traum; Da sah ich einen Apfelbaum, Zwei schöne Apfel glänzten dran, Sie reizten mich, ich stieg hinan. "

§ 738

Die Schöne.

§ 739

"Der Äpfelchen begehrt ihr sehr, Und schon vom Paradiese her. Von Freuden fühl’ ich mich bewegt, Daß auch mein Garten solche trägt."

"
§ 740

Es ist nicht der leiseste Zweifel möglich, was unter dem Apfelbaume und den Äpfelchen gemeint ist. Ein schöner Busen stand auch obenan unter den Reizen, durch welche die Schauspielerin meinen Träumer gefesselt hatte.

§ 741

Wir hatten nach dem Zusammenhang der Analyse allen Grund anzunehmen, daß der Traum auf einen Eindruck aus der Kindheit zurückgehe. Wenn dies richtig war, so mußte er sich auf die Amme des jetzt bald fünfzigjährigen Mannes beziehen. Für das Kind ist der Busen der Amme tatsächlich das Einkehrwirtshaus. Die Amme sowohl als die Sappho Daudets erscheinen als Anspielung auf die vor kurzem verlassene Geliebte.

§ 742

Im Trauminhalt erscheint auch der (ältere) Bruder des Patienten, und zwar ist dieser oben, er selbst unten. Dies ist wieder eine Umkehrung des wirklichen Verhältnisses, denn der Bruder hat, wie mir bekannt ist, seine soziale Position verloren, mein Patient sie erhalten. Der Träumer vermied bei der Reproduktion des Trauminhalts zu sagen: Der Bruder sei oben, er selbst „parterre“ gewesen. Es wäre eine zu deutliche Äußerung geworden, denn man sagt bei uns von einer Person, sie ist „parterre“, wenn sie Vermögen und Stellung eingebüßt hat, also in ähnlicher Übertragung, wie man „heruntergekommen“ gebraucht. Es muß nun einen Sinn haben, daß an dieser Stelle im Traume etwas umgekehrt dargestellt ist. Die Umkehrung muß auch für eine andere Beziehung zwischen Traumgedanken und Trauminhalt gelten. Es liegt der Hinweis darauf vor, wie diese Umkehrung vorzunehmen ist. Offenbar am Ende des Traumes, wo es sich mit em Steigen wiederum umgekehrt verhält wie in der Sappho. Dann ergibt sich leicht, welche Umkehrung gemeint ist: In der Sappho trägt der Mann das zu ihm in sexuellen Beziehungen stehende Weib; in den Traumgedanken handelt es sich also umgekehrt um ein Weib, das den Mann trägt, und da dieser Fall sich nur in der Kindheit ereignen kann, bezieht er sich wieder auf die Amme, die schwer an dem Säugling trägt. Der Schluß des Traumes trifft es also, die Sappho und die Atome in der nämlichen Andeutung darzustellen.

§ 743

Wie der Name Sappho vom Dichter nicht ohne Beziehung auf eine lesbische Gewohnheit gewählt ist, so deuten die Stücke des Traumes, in denen Personen oben und unten beschäftigt sind, auf Phantasien sexuellen Inhalts, die den Träumer beschäftigen und als unterdrückte Gebiete nicht außer Zusammenhang mit seiner Neurose stehen. Daß es Phantasien und nicht Erinnerungen der tatsächlichen Vorgänge sind, die so im Traume dargestellt werden, zeigt die Traumdeutung selbst nicht an; dieselbe liefert uns nur einen Gedankeninhalt und überläßt es uns, dessen Realitätswert festzustellen. Wirkliche und phantasierte Begebenheiten erscheinen hier — und nicht nur hier, auch bei der Schöpfung wichtigerer psychischer Gebilde als der Träume — zunächst als gleichwertig. Große Gesellschaft bedeutet, wie wir bereits wissen, Geheimnis. Der Bruder ist nichts anderes, als der in die Kindheitsszene durch „Zurückphantasieren“ eingetragene Vertreter aller späteren Nebenbuhler beim Weibe. Die Episode von dem Herrn, der auf den König von Italien schimpft, bezieht sich durch Vermittlung eines rezenten und an sich gleichgültigen Erlebnisses wiederum auf as Eindrängen von Personen niederen Standes in höhere Gesellschaft. Es ist, als ob der Warnung, welche Daudet dem Jüngling erteilt, eine ähn liche, für das säugende Kind gültige, an die Seite gestellt werden sollte.*)*)

§ 744

Um ein drittes Beispiel für das Studium der Verdichtung bei der Traumbildung bereit zu haben, teile ich die partielle Analyse eines anderen Traumes mit, den ich einer älteren, in psychoanalytischer Behandlung stehenden Dame verdanke. Den schweren Angstzuständen entsprechend, an denen die Kranke litt, enthielten ihre Träume überreichlich sexuelles Gedankenmaterial, dessen Kenntnisnahme sie anfangs ebenso sehr überraschte wie erschreckte. Da ich die Traumdeutung nicht bis ans Ende führen kann, scheint das Traummaterial in mehrere Gruppen ohne sichtbaren Zusammenhang zu zerfallen.

§ 745

III. Trauminhalt: Sie besinnt sich, daß sie zwei Maikäfer in einer Schachtel hat, denen sie die Freiheit geben muß, weil sie sonst ersticken. Sie öffnet die Schachtel, die Käfer sind ganz matt; einer fliegt zum geöffneten Fenster heraus, der andere aber wird vom Fensterflügel zerquetscht, während sie das Fenster schließt, wie irgend jemand von ihr verlangt (Äußerungen des Ekels).

§ 746

Analyse: Ihr Mann ist verreist, die vierzehnjährige Tochter schläft im Bette neben ihr. Die Kleine macht sie am Abend aufmerksam, daß eine Motte in ihr Wasserglas gefallen ist; sie versäumt es aber, sie herauszuholen, und bedauert das arme Tierchen am Morgen. In ihrer Abendlektüre war erzählt, wie Buben eine Katze in siedendes Wasser werfen, und die Zuckungen des Tieres geschildert. Dies sind die beiden an sich gleichgültigen Traumanlässe. Das Thema von der Grausamkeit gegen Tiere beschäftigt sie weiter. Ihre Tochter war vor Jahren, als sie in einer gewissen Gegend zum Sommer wohnten, sehr grausam gegen das Getier. Sie legte sich eine Schmetterlingsammlung an und verlangte von ihr Arsenik zur Tötung der Schmetterlinge. Einmal kam es vor, daß ein Nachtfalter mit der Nadel durch den Leib noch lange im Zimmer herumflog; ein andermal fanden sich einige Raupen, die zur Verpuppung aufbewahrt wurden, verhungert. Dasselbe Kind pflegte in noch zarterem Alter Käfern und Schmetterlingen die Flügel auszureißen; heute würde sie vor all diesen grausamen Handlungen zurückschrecken; sie ist sehr gutmütig geworden.

§ 747

Dieser Widerspruch beschäftigt sie. Er erinnert an einen anderen Widerspruch, den zwischen Aussehen und Gesinnung, wie er in Adam Bede von der Eliot dargestellt ist. Ein schönes, aber eitles und ganz dummes Mädchen, daneben ein häßliches, aber edles. Der Aristokrat, der das Gänschen verführt; der Arbeiter, der adelig fühlt und sich ebenso benimmt. Man kann das den Leuten nicht ansehen. Wer würde ihr ansehen, daß sie von sinnlichen Wünschen geplagt wird?

*) Die phantastische Natur der auf die Amme des Träumers bezüglichen Situation wird durch den objektiv erhobenen Umstand erwiesen, daß die Amme in diesem Falle die Mutter war. Ich erinnere übrigens an das auf Seite 145 erwähnte Bedauern des jungen Mannes der Anekdote, die Situation bei seiner Amme nicht besser ausgenützt zu haben, welches wohl die Quelle dieses Traumes ist. § 748

In demselben Jahre, als die Kleine ihre Schmetterlingssammlung anlegte, litt die Gegend arg unter der Maikäferplage. Die Kinder wüteten gegen die Käfer, zerquetschten sie grausam. Sie hat damals einen Menschen gesehen, der den Maikitfern die Flügel ausriß und die Leiber dann verspeiste. Sie selbst ist im Mai geboren, hat auch im Mai geheiratet. Drei Tage nach der Hochzeit schrieb sie den Eltern einen Brief nach Hause, wie glücklich sie sei. Sie war es aber keineswegs.

§ 749

Am Abend vor dem Traume hatte sie in alten Briefen gekramt und verschiedene ernste und komische Briefe den Ihrigen vorgelesen, so einen höchst lächerlichen Brief eines Klavierlehrers, der ihr als Mädchen den Hof gemacht hatte, auch den eines aristokratischen Verehrers.*)*)

§ 750

Sie macht sich Vorwürfe, daß eine ihrer Töchter ein schlechtes Buch von Maupassant in die Hand bekommen.**)**) Der Arsenik, den ihre Kleine verlangt, erinnert sie an die Arsenikpillen, die dem Duc de Mora. im Nabab die Jugendkraft wiedergeben.

§ 751

Zu „Freiheit geben“ fällt ihr die Stelle aus der Zauberflöte ein:

" § 752

"„Zur Liebe kann ich dich nicht zwingen, Doch geb’ ich dir die Freiheit nicht.“"

"
§ 753

Zu den „Maikäfern“ noch die Rede des Käthchens:***) ***)

" § 754

"Verliebt ja bist du wie ein Käfer mir.“"

"
§ 755

Dazwischen Tannhäuser: „ "Weil du von böser Lust beseelt —"

§ 756

Sie lebt in Angst und Sorge um den abwesenden Mann. Die Furcht, daß ihm auf der Reise etwas zustoße, äußert sich in zahlreichen Phantasien des Tages. Kurz vorher hatte sie in ihren unbewußten Gedanken während der Analyse eine Klage über seine „Greisenhaftigkeit“ gefunden. Der Wunschgedanke, welchen dieser Traum verhüllt, läßt sich vielleicht am besten erraten, wenn ich erzähle, daß sie mehrere Tage vor dem Traume plötzlich mitten in ihren Beschäftigungen durch den gegen ihren Mann richteten Imperativ erschreckt wurde: Häng' dich auf. Es ergab sich, daß sie einige Stunden vorher irgendwo gelesen hatte, beim Erhängen stelle sich eine kräftige Erektion ein. Es war der Wunsch nach dieser Erektion, der in dieser schreckenerregenden Verkleidung aus der Verdrängung wiederkehrte. „Häng’ dich auf“, besagte so viel als „Verschaff“ dir eine Erektion um jeden Preis“. Die Arsenikpillen des Dr. Jenkins im Nabab gehören hieher; es war der Patientin aber auch bekannt, daß man das stärkste Aphrodisiakum, Kanthariden, durch Zerquetschen von Käfern bereitet (sog. spanische Fliegen). Auf diesen Sinn zielt der Hauptbestandteil des Trauminhalts.

*) Dies ist der eigentliche Traumerreger. **) Zu ergänzen: Solche Lektüre sei Gift für ein junges Mädchen. Sie selbst hat in ihrer Jugend viel aus verbotenen Büchern geschöpft. ***) Ein weiterer Gedankengang führt zur Penthesileia desselben Dichters: Grausamkeit gegen den Geliebten. § 757

Das Fensteröffnen und -schließen ist eine der ständigen Differenzen mit ihrem Manne. Sie selbst schläft aerophil, ihr Mann aerophob. Die Mattigkeit ist das Hauptsymptom, über das sie in diesen Tagen zu klagen gehabt hat.

§ 758

In allen drei hier mitgeteilten Träumen habe ich durch die Schrift hervorgehoben, wo eines der Traumelemente in den Traumgedanken wiederkehrt, um die mehrfache Beziehung der ersteren augenfällig zu machen. Da aber für keinen dieser Träume die Analyse bis ans Ende geführt ist, verlohnt es sich wohl, auf einen Traum mit ausführlicher mitgeteilter Analyse einzugehen, um die Überdeterminierung des Trauminhalts an ihm zu erweisen. Ich wähle hiefür den Traum von Irmas Injektion. Wir werden an diesem Beispiel mühelos erkennen, daß die Verdichtungsarbeit bei der Traumbildung sich mehr als nur eines Mittels bedient.

§ 759

Die Hauptperson des Trauminhalts ist die Patientin Irma, die mit den ihr im Leben zukommenden Zügen gesehen wurde und also zunächst sich selbst darstellt. Die Stellung aber, in welcher ich sie beim Fenster untersuche, ist von einer Erinnerung an eine andere Person hergenommen, von jener Dame, mit der ich meine Patientin vertauschen möchte, wie die Traumgedanken zeigen. Insofern Irma einen diphtheritischen Belag erkennen läßt, bei dem die Sorge um meine älteste Tochter erinnert wird, gelangt sie zur Darstellung dieses meines Kindes, hinter welchem, durch die Namensgleichheit mit ihr verknüpft, sich die Person einer durch Intoxikation verlorenen Patientin verbirgt. Im weiteren Verlaufe des Traumes wandelt sich die Bedeutung von Irmas Persönlichkeit (ohne daß ihr im Traume gesehenes Bild sich änderte); sie wird zu einem der Kinder, die wir in der öffentlichen Ordination des Kinderkrankeninstituts untersuchen, wobei meine Freunde die Verschiedenheit ihrer geistigen Anlagen erweisen. Der Übergang wurde offenbar durch die Vorstellung meiner kindlichen Tochter vermittelt.- Durch das Sträuben beim Mundöffnen wird dieselbe Irma zur Anspielung auf eine andere, einmal von mir untersuchte Dame, ferner in demselben Zusammenhang auf meine eigene Frau. In den krankhaften Veränderungen, die ich in ihrem Halse entdecke, habe ich überdies Anspielungen auf eine ganze Reihe von noch anderen Personen zusammengetragen.

§ 760

All diese Personen, auf die ich bei der Verfolgung von „Irma,“ gerate, treten im Traume nicht leibhaftig auf; sie verbergen sich hinter der Traumperson „Irma“, welche so zu einem Sammelbild mit allerdings widerspruchsvollen Zügen ausgestaltet wird. Irma wird zur Vertreterin dieser anderen, bei der Verdichtungsarbeit hingeopferten Per sonen, indem ich an ihr all das vorgehen lasse, was mich Zug für Zug an diese Personen erinnert.

§ 761

Ich kann mir eine Sammelperson auch auf andere Weise für die Traumverdichtung herstellen, indem ich aktuelle Züge zweier oder mehrerer Personen zu einem Traumbilde vereinige. Solcher Art ist der Dr. M. meines Traumes entstanden, er trägt den Namen des Dr. M., spricht und handelt wie er; seine leibliche Charakteristik und sein Leiden sind die einer anderen Person, meines ältesten Bruders; ein einziger Zug, das blasse Aussehen, ist doppelt determiniert, indem er in der Realität beiden Personen gemeinsam ist. Eine ähnliche Mischperson ist der Dr. R. meines Onkeltraumes. Hier aber ist das Traumbild noch auf andere Weise bereitet. Ich habe nicht Züge, die dem einen eigen sind, mit Zügen des anderen vereinigt und dafür das Erinnerungsbild jedes einen um gewisse Züge verkürzt, sondern ich habe das Verfahren eingeschlagen, nach welchem Galton seine Familienporträts erzeugt, nämlich beide Bilder aufeinander projiziert, wobei die gemeinsamen Züge verstärkt hervortreten, die nicht zusammen stimmenden einander auslöschen und im Bilde undeutlich werden. Im Onkeltraume hebt sich so als verstärkter Zug aus der zwei Personen gehörigen und darum verschwommenen Physiognomie der blonde Bart hervor, der überdies eine Anspielung auf meinen Vater und auf mich enthält, vermittelt durch die Beziehung zum Ergrauen.

§ 762

Die Herstellung von Sammel- und Mischpersonen ist eines der Hauptarbeitsmittel der Traumverdichtung. Es wird sich bald der Anlaß ergeben, sie in einem anderen Zusammenhange zu behandeln.

§ 763

Der Einfall „Dysenterie“ im Injektionstraume ist gleichfalls mehrfach determiniert, einerseits durch den paraphasischen Gleichklang mit Diphtherie, anderseits durch die Beziehung auf den von mir in den Orient geschickten Patienten, dessen Hysterie verkannt wird.

§ 764

Als ein interessanter Fall von Verdichtung erweist sich auch die Erwähnung von „Propylen“ im Traume. In den Traumgedanken war nicht „Propylen“, sondern „Amylen“ enthalten. Man könnte meinen, daß hier eine einfache Verschiebung bei der Traumbildung Platz gegriffen hat. So ist es auch, allein diese Verschiebung dient den Zwecken der Verdichtung, wie folgender Nachtrag zur Traumanalyse zeigt. Wenn meine Aufmerksamkeit bei dem Worte „Propylen“ noch einen Moment Halt macht, so fällt mir der Gleichklang mit dem Worte „Propyläen“ ein. Die Propyläen befinden sich aber nicht nur in Athen, sondern auch in München. In dieser Stadt habe ich ein Jahr vor dem Traume meinen damals schwerkranken Freund aufgesucht, dessen Erwähnung durch das bald auf Propylen folgende Trimethylamin des Traumes unverkennbar wird.

§ 765

Ich gehe über den auffälligen Umstand hinweg, daß hier und anderswo bei der Traumanalyse Assoziationen von der verschiedensten Wertigkeit, wie gleichwertig, zur Gedankenverbindung benützt werden, und gebe der Versuchung nach, mir den Vorgang bei der Ersetzung von Amylen in den Traumgedanken durch Propylen in dem Trauminhalt gleichsam plastisch vorzustellen.

§ 766

Hier befinde sich die Vorstellungsgruppe meines Freundes Otto, der mich nicht versteht, mir Unrecht gibt und mir nach Amylen duftenden Likör schenkt; dort durch Gegensatz verbunden die meines Freundes Wilhelm, der mich versteht, mir recht geben würde, und dem ich soviel wertvolle Mitteilungen, auch über die Chemie der Sexualvorgänge, verdanke.

§ 767

Was aus der Gruppe Otto meine Aufmerksamkeit besonders erregen soll, ist durch die rezenten, den Traum erregenden Anlässe bestimmt; das Amylen gehört zu diesen ausgezeichneten, für den Trauminhalt prädestinierten Elementen. Die reiche Vorstellungsgruppe „Wilhelm“ wird geradezu durch den Gegensatz zu Otto belebt und die Elemente in ihr hervorgehoben, welche an die bereits erregten in Otto anklingen. In diesem ganzen Traume rekurriere ich ja von einer Person, die mein Mißfallen erregt, auf eine andere, die ich ihr nach Wunsch entgegenstellen kann, rufe ich Zug für Zug den Freund gegen den Widersacher auf. So erweckt das Amylen bei Otto auch in der anderen Gruppe Erinnerungen aus dem Kreise der Chemie; des Trimethylamin, von mehreren Seiten her unterstützt, gelangt in den Trauminhalt. Auch „Amylen“ könnte unverwandelt in den Trauminhalt kommen, es unterliegt aber der Einwirkung der Gruppe „Wilhelm“, indem aus dem ganzen Erinnerungsumfang, den dieser Name deckt, ein Element hervorgesucht wird, welches eine doppelte Determinierung für Amylen ergeben kann. In der Nähe von Amylen liegt für die Assoziation „Propylen“; aus dem Kreise „Wilhelm“ kommt ihm München mit den Propyläen entgegen. In Propylen Propyläen treffen beide Vorstellungskreise zusammen. Wie durch einen Kompromiß gelangt dieses mittlere Element dann in den Trauminhalt. Es ist hier ein mittleres Gemeinsames geschaffen worden, welches mehrfache Determinierung zuläßt. Wir greifen so mit Händen, daß die mehrfache Determinierung das Durchdringen in den Trauminhalt erleichtern muß. Zum Zwecke dieser Mittelbildung ist unbedenklich eine Verschiebung der Aufmerksamkeit von dem eigentlich Gemeinten zu einem in der Assoziation nahe Liegenden vorgenommen worden.

§ 768

Das Studium des Injektionstraumes gestattet uns bereits einige Übersicht über die Verdichtungsvorgänge bei der Traumbildung zu gewinnen. Wir konnten die Auswahl der mehrfach in den Traumgedanken vorkommenden Elemente, die Bildung neuer Einheiten (Sammelpersonen, Mischgebilde) und die Herstellung von mittleren Gemeinsamen als Einzelheiten der Verdichtungsarbeit erkennen. Wozu die Verdichtung dient und wodurch sie gefordert wird, werden wir uns erst fragen, wenn wir die psychischen Vorgänge bei der Traumbildung im Zusammenhange erfassen wollen. Begnügen wir uns jetzt mit der Feststellung der Traumverdichtung als einer bemerkenswerten Relation zwischen Traumgedanken und Trauminhalt.

§ 769

Am greifbarsten wird die Verdichtungsarbeit des Traumes, wenn sie Worte und Namen zu ihren Objekten gewählt hat. Worte werden vom Traume überhaupt häufig wie Dinge behandelt und erfahren dann dieselben Zusammensetzungen, Verschiebungen, Ersetzungen und also auch Verdichtungen wie die Dingvorstellungen. Komische und seltsame Wortschöpfungen sind das Ergebnis solcher Träume. Als mir einmal ein Kollege einen von ihm verfaßten Aufsatz überschickte, in welchem eine physiologische Entdeckung der Neuzeit nach meinem Urteil überschätzt und vor allem in überschwänglichen Ausdrücken abgehandelt war, da träumte ich die nächste Nacht einen Satz, der sich offenbar auf diese Abhandlung bezog: „Das ist ein wahrhaft norekdaler Stil.“ Die Auflösung des Wortgebildes bereitete mir anfänglich Schwierigkeiten; es war nicht zweifelhaft, daß es den Superlativen „kolossal, pyramidal“ parodistisch nachgeschaffen war; aber woher es stammte, war nicht leicht zu sagen. Endlich zerfiel mir das Ungetüm in die beiden Namen Nora und Ekdal aus zwei bekannten Schauspielen von Ibsen. Von demselben Autor, dessen letztes Opus ich im Traume also kritisierte, hatte ich vorher einen Zeitungsaufsatz über Ibsen gelesen.

§ 770

II. Eine meiner Patientinnen teilt mir einen kurzen Traum mit, der in eine unsinnige Wortkombination ausläuft. Sie befindet sich mit ihrem Manne bei einer Bauernfestlichkeit und sagt dann: Das wird in einen allgemeinenMaistollmütz“ ausgehen. Dabei im Traume der dunkle Gedanke, das sei eine Mehlspeise aus Mais, eine Art Polenta. Die Analyse zerlegt das Wort in Maistollmannstoll—Olmütz, welche Stücke sich sämtlich als Reste einer Konversation bei Tisch mit ihren Verwandten erkennen lassen. Hinter Mais verbargen sich außer der Anspielung auf die eben eröffnete Jubiläumsausstellung die Worte: Meißen (eine Meißner Porzellanfigur, die einen Vogel darstellt), Miß (die Engländerin ihrer Verwandten war nach Olmütz gereist), mies = ekel, übel im scherzhaft gebrauchten jüdischen Jargon, und eine lange Kette von Gedanken und Anknüpfungen ging von jeder der Silben des Wortklumpens ab.

§ 771

III. Ein junger Mann, bei dem ein Bekannter spät abends angeläutet hat, um eine Besuchskarte abzugeben, träumt in der darauffolgenden Nacht: Ein Geschäftsmann wartet spät abends, um den Zimmertelegraphen zu richten. Nachdem er weggegangen ist, läutet es noch immer nicht kontinuierlich, sondern nur in einzelnen Schlägen. Der Diener holt den Mann wieder, und der sagt: Es ist doch merkwürdig, daß auch Leute, die sonst tutelrein sind, solche Angelegenheiten nicht zu behandeln verstehen.

§ 772

Der indifferente Traumanlaß deckt, wie man sieht, nur eines der Elemente des Traumes. Zur Bedeutung ist er überhaupt nur ge kommen, indem er sich an ein früheres Erlebnis des Träumers angereiht hat, das, an sich auch gleichgültig, von seiner Phantasie mit stellvertretender Bedeutung ausgestattet wurde. Als Knabe, der mit seinem Vater wohnte, schüttete er einmal schlaftrunken ein Glas Wasser auf den Boden, so daß das Kabel des Zimmertelegraphen durchtränkt wurde, und das kontinuierliche Läuten den Vater im Schlafe störte. Da das kontinuierliche Läuten dem Naßwerden entspricht, so werden dann „einzelne Schläge“ zur Darstellung des Tropfenfallens verwendet. Das Wort „tutelrein“ zerlegt sich aber nach drei Richtungen und zielt damit auf drei der in den Traumgedanken vertretenen Materien: „Tutel“ = Kuratel bedeutet Vormundschaft; Tutel (vielleicht „Tuttel“) ist eine vulgäre Bezeichnung der weiblichen Brust, und der Bestandteil „rein“ übernimmt die ersten Silben des Zimmertelegraphen um „Zimmerrein“ zu bilden, was mit dem Naßmachen des Fußbodens viel zu tun hat und überdies an einen der in der Familie des Träumers vertretenen Namen anklingt.*)*)

§ 773

IV. In einem längeren wüsten Traume von mir, der eine Schiffsreise zum scheinbaren Mittelpunkte hat, kommt es vor, daß die nächste Station Hearsing heißt, die nächst weitere aber Fließ. Letzteres ist der Name meines Freundes in B., der oft das Ziel meiner Reise gewesen ist. Hearsing aber ist kombiniert aus den Ortsnamen unserer Wiener Lokalstrecke, die so häufig auf ing ausgehen: Hietzing, Liesing, Mödling (Medelitz, „meae deliciae“ der alte Name, also „mein Freud“) und dem englischen Hearsay = Hörensagen, was auf Verleumdung deutet und die Beziehung zu dem indifferenten Traumerreger des Tages herstellt, einem Gedichte in den „Fliegenden Blättern“ von einem verleumderischen Zwerge, „Sagter Hatergesagt“. Durch Beziehung der Endsilbe „ing“ zum Namen Fließ gewinnt man „Vlissingen“, wirklich die Station der Seereise, die mein Bruder berührt, wenn er von England zu uns auf Besuch kommt. Der englische Name von Vlissingen lautet aber Flushing, was in englischer Sprache Erröten bedeutet und an die Patienten mit „Errötensangst“ mahnt, die ich behandle, auch an eine rezente Publikation Bechterews über diese Neurose, die mir Anlaß zu ärgerlichen Empfindungen gegeben hat.

*) Die nämliche Zerlegung und Zusammensetzung der Silben — eine wahre Silbenchemie - dient uns im Wachen zu mannigfachen Schauen. „Wie gewinnt man auf die billigste Art Silber? Man begibt sich in eine Allee, in der Silberpappeln stehen, gebietet Schweigen, dann hört das ,Puppeln‘ (Schwätzen) auf, und das Silber wird frei.“ Der erste Leser und Kritiker dieses Buches hat mir den Einwand gemacht, den die späteren wahrscheinlich wiederholen werden, „daß der Träumer oft zu witzig erscheine.“ Das ist richtig, so lange es nur auf den Träumer bezogen wird, involviert einen Vorwurf nur dann, wenn es auf den Traumdeuter übergreifen soll. In der weichen Wirklichkeit kann ich wenig Anspruch auf das Prädikat „witzig“ erheben; wenn meine Träume witzig erscheinen, so liegt es nicht an meiner Person, sondern an den eigentümlichen psychologischen Bedingungen, unter denen der Traum gearbeitet wird, und hängt mit der Theorie des Witzigen und Komischen intim zusammen. Der Traum wird witzig, weil ihm der gerade und nächste Weg zum Ausdruck seiner Gedanken gesperrt ist; er wird es notgedrungen. Die Leser können sich überzeugen, daß die Träume meiner Patienten den Eindruck des Witzigen (Witzelnden) im selben und im höheren Grade machen wie die meinen. [Immerhin gab mir dieser Vorwurf Anlaß, die Technik des Witten mit der Traumarbeit zu vergleichen, was in dem 1905 veröffentlichten Buche „Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten“ geschehen ist.] § 774

V. Ein anderes Mal habe ich einen Traum, der aus zwei gesonderten Stücken besteht. Das erste ist das lebhaft erinnerte WortAutodidasker“, das andere deckt sich getreu mit einer vor Tagen produzierten, kurzen und harmlosen Phantasie des Inhalts, daß ich dem Professor N., wenn ich ihn nächstens sehe, sagen muß: „Der Patient, über dessen Zustand ich Sie zuletzt konsultiert habe, leidet wirklich nur an einer Neurose, ganz wie Sie vermutet haben.“ Das neugebildete „Autodidasker“ hat nun nicht nur der Anforderung zu genügen, daß es komprimierten Sinn enthält oder vertritt, es soll auch dieser Sinn in gutem Zusammenhange mit meinem aus dem Wachen wiederholten Vorsatze stehen, dem Professor N. jene Genugtuung zu geben.

§ 775

Nun zerlegt sich Autodidasker leicht in Autor, Autodidakt und Lasker, an den sich der Name Lasalle schließt. Die ersten dieser Worte führen zu der — dieses Mal bedeutsamen — Veranlassung des Traumes. Ich hatte meiner Frau mehrere Bände eines bekannten Autors mitgebracht, mit dem mein Bruder befreundet ist, und der, wie ich erfahren habe, aus demselben Orte stammt wie ich (J. J. David). Eines abends sprach sie mit mir über den tiefen Eindruck, den ihr die ergreifend traurige Geschichte eines verkommenen Talents in einer der Davidschen Novellen gemacht hatte, und unsere Unterhaltung wendete sich darauf den Spuren von Begabung zu, die wir an unseren eigenen Kindern wahrnehmen. Unter der Herrschaft des eben Gelesenen äußerte sie eine Besorgnis, die sich auf die Kinder bezog, und ich tröstete sie mit der Bemerkung, daß gerade solche Gefahren durch die Erziehung abgewendet werden können. In der Nacht ging mein Gedankengang weiter, nahm die Besorgnisse meiner Frau auf und verwob allerlei anderes damit. Eine Äußerung, die der Dichter gegen meinen Bruder in bezug auf das Heiraten getan hatte, zeigte meinen Gedanken einen Nebenweg, der zur Darstellung im Traume führen konnte. Dieser Weg leitete nach Breslau, wohin eine uns sehr befreundete Dame geheiratet hatte. Für die Besorgnis, am Weibe zu Grunde zu gehen, die den Kern meiner Traumgedanken bildete, fand ich in Breslau die Exempel Lasker und Lasalle auf, die mir gleichzeitig die beiden Arten dieser Beeinflussung zum Unheil darzustellen gestatteten.*)*) Das „Cherchez la femme“, in dem sich diese Gedanken zusammenfassen lassen, bringt mich in anderem Sinne auf meinen noch unverheirateten Bruder, der Alexander heißt. Nun merke ich, daß 220 Alex, wie wir den Namen abkürzen, fast wie eine Umstellung von Lasker klingt, und daß dieses Moment mitgewirkt haben muß, meinen Gedanken die Umwegsrichtung über Breslau mitzuteilen.

*) Lasker starb an progressiver Paralyse, also an den Folgen der beim Weibe erworbenen Infektion (Lues); Lasalle, wie bekannt, im Duell wegen einer Dame. § 776

Die Spielerei mit Namen und Silben, die ich hier treibe, enthält aber noch einen weiteren Sinn. Sie vertritt den Wunsch eines glücklichen Familienlebens für meinen Bruder, und zwar auf folgendem Wege. In dem Künstlerroman L’oeuvre, der meinen Traumgedanken inhaltlich nahe liegen mußte, hat der Dichter bekanntlich sich selbst und sein eigenes Familienglück episodisch mitgeschildert und tritt darin unter dem Namen Sandoz auf. Wahrscheinlich hat er bei der Namensverwandlung folgenden Weg eingeschlagen. Zola gibt umgekehrt (wie die Kinder so gern zu tun pflegen) Aloz. Das war ihm wohl noch zu unverhüllt; darum ersetzte sich ihm die Silbe Al, die auch den Namen Alexander einleitet, durch die dritte Silbe desselben Namens sand, und so kam Sandoz zu stande. So ähnlich entstand also auch mein Autodidasker.

§ 777

Meine Phantasie, daß ich Professor N. erzähle, der von uns beiden gesehene Kranke leide nur an einer Neurose, ist auf folgende Weise in den Traum gekommen. Kurz vor Schluß meines Arbeitsjahres bekam ich einen Patienten, bei dem mich meine Diagnostik im Stiche ließ. Es war ein schweres organisches Leiden, vielleicht eine Rückenmarksveränderung, anzunehmen, aber nicht zu beweisen. Eine Neurose zu diagnostizieren wäre verlockend gewesen und hätte allen Schwierigkeiten ein Ende bereitet, wenn nicht die sexuelle Anamnese, ohne die ich keine Neurose anerkennen will, vom Kranken so energisch in Abrede gestellt worden wäre. In meiner Verlegenheit rief ich den Arzt zur Hilfe, den ich menschlich am meisten verehre (wie andere auch), und vor dessen Autorität ich mich am ehesten beuge. Er hörte meine Zweifel an, hieß sie berechtigt und meinte dann: „Beobachten Sie den Mann weiter, es wird eine Neurose sein.“ Da ich weiß, daß er meine Ansichten über die Ätiologie der Neurosen nicht teilt, hielt ich meinen Widerspruch zurück, verbarg aber nicht meinen Unglauben. Einige Tage später machte ich dem Kranken die Mitteilung, daß ich mit ihm nichts anzufangen wisse, und riet ihm, sich an einen anderen zu wenden. Da begann er zu meiner höchsten Überraschung, mich um Verzeihung zu bitten, daß er mich belogen habe; er habe sich so sehr geschämt, und nun enthüllte er mir gerade das Stück sexueller Ätiologie, das ich erwartet hatte, und dessen ich zur Annahme einer Neurose bedurfte. Mir war es eine Erleichterung, aber auch gleichzeitig eine Beschämung; ich mußte mir zugestehen, daß mein Konsiliarius, durch die Berücksichtigung der Anamnese unbeirrt, richtiger gesehen hatte. Ich nahm mir vor, es ihm zu sagen, wenn ich ihn wiedersehe, ihm zu sagen, daß er recht gehabt habe und ich unrecht.

§ 778

Gerade dies tue ich nun im Traume. Aber was für Wunscherfüllung soll es denn sein, wenn ich bekenne, daß ich unrecht habe?

§ 779

Gerade das ist mein Wunsch; ich möchte unrecht haben mit meinen Befürchtungen, resp. ich möchte, daß meine Frau, deren Befürchtungen ich in den Traumgedanken mir angeeignet habe, unrecht behält. Das Thema, auf welches sich das Recht- oder Unrechtbehalten im Traume bezieht, ist von dem für die Traumgedanken wirklich Interessanten nicht weitab gelegen. Dieselbe Alternative der organischen oder der funktionellen Schädigung durch das Weib, eigentlich durch das Sexualleben: Tabesparalyse oder Neurose, an welch letztere sich die Art des Unterganges von Lasalle lockerer anreiht.

§ 780

Professor N. spielt in diesem festgefügten (und bei sorgfältiger Deutung ganz durchsichtigen) Traume nicht nur wegen dieser Analogie und wegen meines Wunsches, unrecht zu behalten, eine Rolle — auch nicht wegen seiner nebenher gehenden Beziehungen zu Breslau und zur Familie unserer dorthin verheirateten Freundin —, sondern auch wegen folgender kleinen Begebenheit, die sich an unsere Konsultation anschloß. Nachdem er mit jener Vermutung die ärztliche Aufgabe erledigt hatte, wandte sich sein Interesse persönlichen Dingen zu. „Wieviel Kinder haben Sie jetzt? — „Sechs.“ — Eine Geberde von Respekt und Bedenklichkeit. — „Mädel, Buben?“ — „Drei und drei, das ist mein Stolz und mein Reichtum.“ — „Nun, geben Sie acht, mit den Mädeln geht es ja gut, aber die Buben machen einem später Schwierigkeiten in der Erziehung.“ — Ich wendete ein, daß sie bis jetzt recht zahm geblieben sind; offenbar behagte mir diese zweite Diagnose über die Zukunft meiner Buben ebenso wenig wie die früher gefüllte, daß mein Patient nur eine Neurose habe. Diese beiden Eindrücke sind also durch Kontiguität, durch das Erleben in einem Zuge verbunden, und wenn ich die Geschichte von der Neurose in den Traum nehme, ersetze ich durch sie die Rede über die Erziehung, die noch mehr Zusammenhang mit den Traumgedanken aufweist, da sie so nahe an die später geäußerten Besorgnisse meiner Frau rührt. So findet selbst meine Angst, daß N. mit den Bemerkungen über die Erziehungsschwierigkeiten bei den Buben recht behalten möge, Eingang in den Trauminhalt, indem sie sich hinter der Darstellung meines Wunsches, daß ich mit solchen Befürchtungen unrecht haben möge, verbirgt. Dieselbe Phantasie dient unverändert der Darstellung beider gegensätzlichen Glieder der Alternative.

§ 781

Die Wortverbildungen des Traumes ähneln sehr den bei der Paranoia bekannten, die aber auch bei Hysterie und Zwangsvorstellungen nicht vermißt werden. Die Sprachkünste der Kinder, die zu gewissen Zeiten die Worte tatsächlich wie Objekte behandeln, auch neue Sprachen und artefizielle Wortfügungen erfinden, sind für den Traum wie für die Psychoneurosen hier die gemeinsame Quelle.

§ 782

Wo in einem Traume Reden vorkommen, die ausdrücklich als solche von Gedanken unterschieden werden, da gilt als ausnahmslose Regel, daß Traumrede von erinnerter Rede im Traummaterial abstammt. Der Wortlaut der Rede ist entweder unversehrt erhalten oder leise im Ausdruck verschoben; häufig ist die Traumrede aus verschiedenen Redeerinnerungen zusammengestückelt; der Wortlaut dabei das sich gleich gebliebene, der Sinn womöglich mehr oder andersdeutig verändert. Die Traumrede dient nicht selten als bloße Anspielung auf ein Ereignis, bei dem die erinnerte Rede vorfiel.*)*)

§ 783

b) Die Verschiebungsarbeit.

§ 784

Eine andere, wahrscheinlich nicht minder bedeutsame Relation mußte uns bereits auffallen, während wir die Beispiele für die Traumverdichtung sammelten. Wir konnten bemerken, daß die Elemente, welche im Trauminhalt sich als die wesentlichen Bestandteile hervordrängen, in den Traumgedanken keineswegs die gleiche Rolle spielen. Als Korrelat dazu kann man auch die Umkehrung dieses Satzes aussprechen. Was in den Traumgedanken offenbar der wesentliche Inhalt ist, braucht im Traume gar nicht vertreten zu sein. Der Traum ist gleichsam anders zentriert, sein Inhalt um andere Elemente als Mittelpunkt geordnet als die Traumgedanken. So z. B. ist im Traume von der botanischen Monographie Mittelpunkt des Trauminhalts offenbar das Element „botanisch“; in den Traumgedanken handelt es sich um die Komplikationen und Konflikte, die sich aus verpflichtenden Leistungen zwischen Kollegen ergeben, in weiterer Folge um den Vorwurf, daß ich meinen Liebhabereien allzu große Opfer zu bringen pflege, und das Element „botanisch“ findet in diesem Kerne der Traumgedanken überhaupt keine Stelle, wenn es nicht durch eine Gegensätzlichkeit locker damit verbunden ist, denn Botanik hatte niemals einen Platz unter meinen Lieblingsstudien. In dem Sapphotraume meines Patienten ist das Auf- und Niedersteigen, Oben- und Untensein zum Mittelpunkte gemacht; der Traum handelt aber von den Gefahren sexueller Beziehungen zu niedrig stehenden Personen, so daß nur eines der Elemente der Traumgedanken, dies aber in ungebührlicher Verbreiterung, in den Trauminhalt eingegangen scheint. Ähnlich ist im Traume von den Maikäfern, welcher die Beziehungen der Sexualität zur Grausamkeit zum Thema hat, zwar das Moment der Grausamkeit im Trauminhalt wieder erschienen, aber in andersartiger Verknüpfung und ohne Erwähnung des Sexuellen, also aus dem Zusammenhang gerissen und dadurch zu etwas Fremdem umgestaltet. In dem Onkeltraume wiederum scheint der blonde Bart, der dessen Mittelpunkt bildet, außer aller Sinnbeziehung zu den Größenwünschen, die wir als den Kern der Traumgedanken erkannt haben. Solche Träume machen dann mit gutem Rechte einen „verschobenen“ Eindruck. Im vollen Gegensatz zu diesen Beispielen zeigt dann der Traum von Irmas Injektion, daß bei der Traumbildung die einzelnen Elemente auch wohl den Platz behaupten können, den sie in den Traumgedanken einnehmen. Die Kenntnisnahme dieser neuen, in ihrem Sinne durchaus inkonstanten Relation zwischen Traumgedanken und Trauminhalt ist zunächst geeignet, unsere Verwunderung zu erregen. Wenn wir bei einem psychischen Vorgang des Normallebens finden, daß eine Vorstellung aus mehreren anderen herausgegriffen wurde und für das Bewußtsein besondere Lebhaftigkeit erlangt hat, so pflegen wir diesen Erfolg als Beweis dafür anzusehen, daß der siegenden Vorstellung eine besonders hohe psychische Wertigkeit (ein gewisser Grad von Interesse) zukommt. Wir machen nun die Erfahrung, daß diese Wertigkeit der einzelnen Elemente in den Traumgedanken für die Traumbildung nicht erhalten bleibt oder nicht in Betracht kommt. Es ist ja kein Zweifel darüber, welches die höchstwertigen Elemente der Traumgedanken sind; unser Urteil sagt es uns unmittelbar. Bei der Traumbildung können diese wesentlichen, mit intensivem Interesse betonten Elemente nun so behandelt werden, als ob sie minderwertig wären, und an ihre Stelle treten im Traume andere Elemente, die in den Traumgedanken sicherlich minderwertig waren. Es macht zunächst den Eindruck, als käme die psychische Intensität*)*) der einzelnen Vorstellungen für die Traumauswahl überhaupt nicht in Betracht, sondern bloß die mehr oder minder vielseitige Determinierung derselben. Nicht was in den Traumgedanken wichtig ist, kommt in den Traum, sondern was in ihnen mehrfach enthalten, könnte man meinen; das Verständnis der Traumbildung wird aber durch diese Annahme nicht sehr gefördert, denn von vornherein wird man nicht glauben können, daß die beiden Momente der mehrfachen Determinierung und der eigenen Wertigkeit bei der Traumauswahl anders als gleichsinnig wirken können. Jene Vorstellungen, welche in den Traumgedanken die wichtigsten sind, werden wohl auch die am häufigsten in ihnen wiederkehrenden sein, da von ihnen wie von Mittelpunkten die einzelnen Traumgedanken ausstrahlen. Und doch kann der Traum diese intensiv betonten und vielseitig unterstützten Elemente ablehnen und andere Elemente, denen nur die letztere Eigenschaft zukommt, in seinen Inhalt aufnehmen.

*) [Bei einem an Zwangsvorstellungen leidenden jungen Manne, mit übrigens intakten und hochentwickelten iutellektuellen Funktionen, fand ich unlängst die einzige Ausnahme, von dieser R°gel. Die Reden, die in seinen Träumen vorkamen, stammen nicht von gehörten oder selbst gehaltenen Reden ab, sondern entsprachen dem unentstellten Wortlaute seiner Zwangsgedanken, die ihm im Wachen nur abgeändert zum Bewußtsein kamen.] § 785

Zur Lösung dieser Schwierigkeit wird man einen anderen Eindruck verwenden, den man bei der Untersuchung der Überdeterminierung des Trauminhalts empfangen hat. Vielleicht hat schon mancher Leser diese Untersuchung bei sich geurteilt, die Überdeterminierung der Traumelemente sei kein bedeutsamer Fund, weil sie ein selbstverständlicher ist. Man geht ja bei der Analyse von den Traumelementen aus und verzeichnet alle Einfälle, die sich an dieselben knüpfen; kein Wunder dann, daß in dem so gewonnenen Gedankenmaterial eben diese Elemente sich besonders häufig wiederfinden. Ich könnte diesen Einwand nicht gelten lassen, werde aber selbst etwas ihm ähnlich Klingendes zur Sprache bringen: Unter den Gedanken, welche die Analyse zu Tage fördert, finden sich viele, die dem Kern des Traumes fernerstehen, und die sich wie künstliche Einschaltungen zu einem gewissen Zweck ausnehmen. Der Zweck derselben ergibt sich leicht; gerade sie stellen eine Verbindung, oft eine gezwungene und gesuchte Verbindung, zwischen Trauminhalt und Traumgedanken her, und wenn diese Elemente aus der Analyse ausgemerzt würden, entfiele für die Bestandteile des Trauminhalts oftmals nicht nur die Überdeterminierung, sondern überhaupt eine genügende Determinierung durch die Traumgedanken. Wir werden so zum Schlusse geleitet, daß die mehrfache Determinierung, die für die Traumuswahl entscheidet, wohl nicht immer ein primäres Moment der Traumbildung, sondern oft ein sekundäres Ergebnis einer uns noch unbekannten psychischen Macht ist. Sie muß aber bei alledem für das Eintreten der einzelnen Elemente in den Traum von Bedeutung sein, denn wir können beobachten, daß sie mit einem gewissen Aufwand hergestellt wird, wo sie sich aus dem Traummaterial nicht ohne Nachhilfe ergibt.

*) Psychische Intensität, Wertigkeit, Interessebetonung einer Vorstellung ist natürlich von sinnlicher Intensität, Intensität des Vorgestellten, gesondert zu halten. § 786

Es liegt nun der Einfall nahe, daß bei der Traumarbeit eine psychische Macht sich äußert, die einerseits die psychisch hochwertigen Elemente ihrer Intensität entkleidet und anderseits auf dem Wege der Überdeterminierung aus minderwertigen neue Wertigkeiten schafft, die dann in den Trauminhalt gelangen. Wenn das so zugeht, so hat bei der Traumbildung eine Übertragung und Verschiebung der psychischen Intensitäten der einzelnen Elemente stattgefunden, als deren Folge die Textverschiedenheit von Trauminhalt und Traumgedanken erscheint. Der Vorgang, den wir so supponieren, ist geradezu das wesentliche Stück der Traumarbeit; er verdient den Namen der Traumverschiebung. Traumverschiebung und Traumverdichtung sind die beiden Werkmeister, deren Tätigkeit wir die Gestaltung des Traumes hauptsächlich zuschreiben dürfen.

§ 787

Ich denke, wir haben es auch leicht, die psychische Macht, die sich in den Tatsachen der Traumverschiebung äußert, zu erkennen. Der Erfolg dieser Verschiebung ist, daß der Trauminhalt dem Kerne der Traumgedanken nicht mehr gleich sieht, daß der Traum nur eine Entstellung des Traumwunsches im Unbewußten widergibt. Die Traumentstellung aber ist uns bereits bekannt; wir haben sie auf die Zensur zurückgeführt, welche die eine psychische Instanz im Gedankenleben gegen eine andere ausübt. Die Traumverschiebung ist eines der Hauptmittel zur Erzielung dieser Entstellung. Is fecit, cui profuit. Wir dürfen annehmen, daß die Traumverschiebung durch den Einfluß jener Zensur, der endopsychischen Abwehr, zu stande kommt.*)*)

§ 788

In welcher Weise die Momente der Verschiebung, Verdichtung und Überdeterminierung bei der Traumbildung ineinander spielen, welches der übergeordnete und welches der nebensächliche Faktor wird, des würden wir späteren Untersuchungen vorbehalten. Vorläufig können wir als eine zweite Bedingung, der die in den Traum gelangenden Elemente genügen müssen, angeben, daß sie der Zensur des Widerstandes entzogen seien. Die Traumverschiebung aber wollen wir von nun an als unzweifelhafte Tatsache bei der Traumdeutung in Rechnung ziehen.

§ 789

c) Die Darstellungsmittel des Traumes.

§ 790

Außer den beiden Momenten der Traumverdichtung und Traumverschiebung, die wir bei der Verwandlung des latenten Gedankenmaterials in den manifesten Trauminhalt als wirksam aufgefunden haben, werden wir bei der Fortführung dieser Untersuchung noch zwei weiteren Bedingungen begegnen, die unzweifelhaften Einfluß auf die Auswahl des in den Traum gelangenden Materials üben. Vorher möchte ich, selbst auf die Gefahr hin, daß wir auf unserem Wege Halt zu machen scheinen, einen ersten Blick auf die Vorgänge bei der Ausführung der Traumdeutung werfen. Ich verhehle mir nicht, daß es am ehesten gelingen würde, dieselben klarzustellen und ihre Zuverlässigkeit gegen Einwendungen zu sichern, wenn ich einen einzelnen Traum zum Muster nähme, seine Deutung entwickle, wie ich es in Abschnitt II bei dem Traume von Irmas Injektion gezeigt habe, dann aber die Traumgedanken, die ich aufgedeckt habe, zusammenstelle, und nun die Bildung des Traumes aus ihnen rekonstruiere, also die Analyse der Träume durch eine Synthese derselben ergänze. Diese Arbeit habe ich an mehreren Beispielen zu meiner eigenen Belehrung vollzogen; ich kann sie aber hier nicht aufnehmen, weil mannigfache und von jedem billig Denkenden gutzuheißende Rücksichten auf das psychische Material zu dieser Demonstration mich daran verhindern. Bei der Analyse der Träume störten diese Rücksichten weniger, denn die Analyse durfte unvollständig sein und behielt ihren Wert, wenn sie auch nur ein Stück weit in das Gewebe des Traumes hineinführte. Von der Synthese wüßte ich es nicht anders, als daß sie, um zu überzeugen, vollständig sein muß. Eine vollständige Synthese könnte ich nur von Träumen solcher Personen geben, die dem lesenden Publikum unbekannt sind. Da aber nur Patienten, Neurotiker, mir dazu die Mittel bieten, so muß dies Stück Darstellung des Traumes einen Aufschub erfahren, bis ich — an anderer Stelle — die psychologische Aufklärung der Neurosen so weit führen kann, daß der Anschluß an unser Thema herzustellen ist.*)*)

*) [Da ich die Zurückführung der Traumentstellung auf die Zensur als den Kern meiner Traumauffassung bezeichnen darf, schalte ich hier das letzte Stück jener Erzählung „Träumen wie Wachen“ aus den „Phantasien eines Realisten“ von Lynkeus, Wien, 2. Auflage, 1900, ein, in dem ich diesen Hauptcharakter meiner Lehre wiederfinde: "Von einem Manne, der die merkwürdige Eigenschaft hat, niemals Unsinn zu träumen." “ — — — — "Deine herrliche Eigenschaft, zu träumen wie zu wachen, beruht auf deinen Tugenden, auf deiner Güte, deiner Gerechtigkeit, deiner Wahrheitsliebe; es ist die moralische Klarheit deiner Natur, die mir Alles im dir verständlich macht." "Wenn ich es aber recht bedenke" “, erwiderte der andere, „ "so glaube ich beinahe, alle Menschen seien so wie ich beschaffen, und gar niemand träume jemals Unsinn! Ein Traum, an den man sich so deutlich erinnert, daß man ihn nacherzählten kann, der also kein Fiebertraum ist. hat immer Sinn und es kann auch gar nicht anders sein! Denn was miteinander in Widerspruch steht, könnte sich ja nicht zu einem Ganzen gruppieren. Daß Zeit und Raum oft durcheinander gerüttelt werden, benimmt dem wahren Inhalt des Traumes gar nichts, denn sie sind beide gewiß ohne Bedeutung für seinen wesentlichen Inhalt gewesen. Wir machen es ja oft im Wachen auch so; denke an das Märchen, an so viele kühne und sinnvolle Phantasiegebilde, zu denen nur ein Unverständiger sagen würde: ,Das ist widersinnig! Denn das ist nicht möglich‘" “! "Wenn man nur die Träume immer richtig zu deuten wüßte, so wie du das eben mit dem meinen getan hast!" “ sagte der Freund. "Das ist gewiß keine leichte Aufgabe, aber es müßte bei einiger Aufmerksamkeit dem Träumenden selbst wohl immer gelingen. — Warum es meistens nicht gelingt? Es scheint bei Euch etwas Verstecktes in den Träumen zu liegen. etwas Unkeusches eigener und höherer Art, eine gewisse Heimlichkeit in Eurem Wesen, die schwer auszudenken ist; und darum scheint Euer Träumen so oft ohne Sinn, sogar ein Widersinn zu sein. Es ist aber im tiefsten Grunde durchaus nicht so; ja, es kann gar nicht so sein, denn es ist immer derselbe Mensch, ob er wacht oder träumt." “] § 791

Aus meinen Versuchen, Träume aus den Traumgedanken synthetisch herzustellen, weiß ich, daß das bei der Deutung sich ergebende Material von verschiedenartigem Werte ist. Den einen Teil desselben bilden die wesentlichen Traumgedanken, die also den Traum voll ersetzen und allein zu dessen Ersatz hinreichen würden, wenn es für den Traum keine Zensur gäbe. Den andereu Teil kann man unter dem Namen „Kollateralen“ zusammenfassen; in ihrer Gesamtheit stellen sie die Wege dar, auf denen der wirkliche Wunsch, der sich aus den Traumgedanken erhebt, in den Traumwunsch übergeführt wird. Von diesen „Kollateralen“ besteht ein erster Anteil aus Anknüpfungen an die eigentlichen Traumgedanken, welche, schematisch genommen, Verschiebungen vom Wesentlichen aufs Nebensächliche entsprechen. Ein zweiter Anteil umfaßt die Gedanken, welche diese durch Verschiebung bedeutsam gewordenen, nebensächlichen Materialien unter sich verbinden und von ihnen bis zum Trauminhalt reichen. Ein dritter Anteil endlich enthält die Einfälle und Gedankenverbindungen, durch die man bei der Deutungsarbeit vom Trauminhalt zu den mittleren Kollateralen gerät, und die nicht notwendig sämtlich auch bei der Traumbildung beteiligt gewesen sein müssen.

§ 792

Uns interessieren an dieser Stelle ausschließlich die wesentlichen Traumgedanken. Diese enthüllen sich zumeist als ein Komplex von Gedanken und Erinnerungen vom allerverwickeltsten Aufbau mit allen Eigenschaften der uns aus dem Wachen bekannten Gedankengänge. Nicht selten sind es Gedankenzüge, die von mehr als einem Zentrum ausgehen, aber der Berührungspunkte nicht entbehren; fast regelmäßig steht neben einem Gedankengang sein kontradiktorisches Widerspiel, durch Kontrastassoziation mit ihm verbunden.

*) [Ich habe die vollständige Analyse und Synthese zweier Träume seither in dem „Bruchstück einer Hysterieanalyse“, 1905, gegeben.] § 793

Die einzelnen Stücke dieses komplizierten Gebildes stehen natürlich in den mannigfaltigsten logischen Relationen zueinander. Sie bilden Vorder- und Hintergrund, Abschweifungen und Erläuterungen, Bedingungen, Beweisgänge und Einsprüche. Wenn dann die ganze Masse dieser Traumgedanken der Pressung der Traumarbeit unterliegt, wobei die Stücke gedreht, zerbröckelt und zusammengeschoben werden, etwa wie treibendes Eis, so entsteht die Frage, was aus den logischen Banden wird, welche bishin das Gefüge gebildet hatten. Welche Darstellung erfahren im Traume das „Wenn, weil, gleichwie, obgleich, entweder — oder“ und alle anderen Präpositionen, ohne die wir Satz und Rede nicht verstehen können?

§ 794

Man muß zunächst darauf antworten, der Traum hat für diese logischen Relationen unter den Traumgedanken keine Mittel der Darstellung zur Verfügung. Zumeist läßt er all diese Präpositionen unberücksichtigt und übernimmt nur den sachlichen Inhalt der Traumgedanken zur Bearbeitung. Der Traumdeutung bleibt es überlassen, den Zusammenhang wieder herzustellen, den die Traumarbeit vernichtet hat.

§ 795

Es muß am psychischen Material liegen, in dem der Traum gearbeitet ist, wenn ihm diese Ausdrucksfähigkeit abgeht. In einer ähnlichen Beschränkung befinden sich ja die darstellenden Künste, Malerei und Plastik, im Vergleich zur Poesie, die sich der Rede bedienen kann, und auch hier liegt der Grund des Unvermögens in dem Material, durch dessen Bearbeitung die beiden Künste etwas zum Ausdruck zu bringen streben. Ehe die Malerei zur Kenntnis der für sie gültigen Gesetze des Ausdrucks gekommen war, bemühte sie sich noch, diesen Nachteil auszugleichen. Aus dem Munde der gemalten Personen ließ man auf alten Bildern Zettelchen heraushängen, welche als Schrift die Rede brachten, die im Bilde darzustellen der Maler verzweifelte.

§ 796

Vielleicht wird sich hier ein Einwand erheben, der für den Traum den Verzicht auf die Darstellung logischer Relationen bestreitet. Es gibt ja Träume, in welchen die kompliziertesten Geistesoperationen vor sich gehen, begründet und widersprochen, gewitzelt und verglichen wird wie im wachen Denken. Allein auch hier trügt der Schein; wenn man auf die Deutung solcher Träume eingeht, erfährt man, daß dies alles Traummaterial ist, nicht Darstellung intellektueller Arbeit im Traume. Der Inhalt der Traumgedanken ist durch das scheinbare Denken des Traumes wiedergegeben, nicht die Beziehungen der Traumgedanken zueinander, in deren Feststellung das Denken besteht. Ich werde hiefür Beispiele erbringen. Am leichtesten ist es aber zu konstatieren, daß alle Reden, die in Träumen vorkommen und die ausdrücklich als solche bezeichnet werden, unveränderte oder nur wenig modifizierte Nachbildungen von Reden sind, die sich ebenso in den Erinnerungen des Traummaterials vorfinden. Die Rede ist oft nur eine Anspielung auf ein in den Traumgedanken enthaltenes Ereignis; der Sinn des Traumes ein ganz anderer.

§ 797

Allerdings werde ich nicht bestreiten, daß auch kritische Denkarbeit, die nicht einfach Material aus den Traumgedanken wiederholt, ihren Anteil an der Traumbildung nimmt. Den Einfluß dieses Faktors werde ich zu Ende dieser Erörterung beleuchten müssen. Es wird sich dann ergeben, daß diese Denkarbeit nicht durch die Traumgedanken, sondern durch den in gewissem Sinne bereits fertigen Traum hervorgerufen wird.

§ 798

Es bleibt also vorläufig dabei, daß die logischen Relationen zwischen den Traumgedanken im Traume eine besondere Darstellung nicht finden. Wo sich z. B. Widerspruch im Traume findet, da ist es entweder Widerspruch gegen den Traum oder Widerspruch aus dem Inhalt eines der Traumgedanken; einem Widerspruch zwischen den Traumgedanken, entspricht der Widerspruch im Traume nur in höchst indirekt vermittelter Weise.

§ 799

Wie es aber endlich der Malerei gelungen ist, wenigstens die Redeabsicht der dargestellten Personen, Zärtlichkeit, Drohung, Verwarnung u. dgl. anders zum Ausdruck zu bringen als durch den flattern en Zettel, so hat sich auch für den Traum die Möglichkeit ergeben, einzelnen der logischen Relationen zwischen seinen Traumgedanken durch eine zugehörige Modifikation der eigentümlichen Traumdarstellung Rücksicht zuzuwenden. Man kann die Erfahrung machen, daß die verschiedenen Träume in dieser Berücksichtigung verschieden weit gehen; während sich der eine Traum über das logische Gefüge seines Materials völlig hinaussetzt, sucht ein anderer dasselbe möglichst vollständig anzudeuten. Der Traum entfernt sich hierin mehr oder weniger weit von dem ihm zur Bearbeitung vorliegenden Text. Ähnlich wechselnd benimmt sich der Traum übrigens auch gegen das zeitliche Gefüge der Traumgedanken, wenn ein solches im Unbewußten hergestellt ist (wie z. B. im Traume von Irmas Injektion).

§ 800

Durch welche Mittel vermag aber die Traumarbeit die schwer darstellbaren Relationen im Traummaterial anzudeuten? Ich werde versuchen, sie einzeln aufzuzählen.

§ 801

Zunächst wird der Traum dem unleugbar vorhandenen Zusammenhang zwischen allen Stücken der Traumgedanken dadurch im ganzen gerecht, daß er dieses Material in einer Zusammenfassung als Situation oder Vorgang vereinigt. Er gibt logischen Zusammenhang wieder als Gleichzeitigkeit; er verfährt darin ähnlich wie der Maler, der alle Philosophen oder Dichter zum Bilde einer Schule von Athen oder des Parnaß zusammenstellt, die niemals in einer Halle oder auf einem Berggipfel beisammen gewesen sind, wohl aber für die denkende Betrachtung eine Gemeinschaft bilden.

§ 802

Diese Darstellungsweise setzt der Traum ins einzelne fort. So oft er zwei Elemente nahe beieinander zeigt, bürgt er für einen besonders innigen Zusammenhang zwischen ihren Entsprechenden in den Traumgedanken. Es ist wie in unserem Schriftsystem: ab bedeutet, daß die beiden Buchstaben in einer Silbe ausgesprochen werden sollen a und b nach einer freien Lücke läßt a als den letzten Buchstaben des einen Wortes und b als den ersten eines anderen Wortes erkennen. Demzufolge bilden sieh die Traumkombinationen nicht aus beliebigen, völlig disparaten Bestandteilen des Traummaterials, sondern aus solchen, die auch in den Traumgedanken in innigerem Zusammenhang stehen.

§ 803

Die Kausalbeziehungen darzustellen, hat der Traum zwei Verfahren, die im Wesen auf dasselbe hinauslaufen. Die häufigere Darstellungsweise, wenn die Traumgedanken etwa lauten: Weil dies so und so war, mußte dies und jenes geschehen, besteht darin, den Nebensatz als Vortraum zu bringen und dann den Hauptsatz als Haupttraum anzufügen. Wenn ich recht gedeutet habe, kann die Zeitfolge auch die umgekehrte sein. Stets entspricht dem Hauptsatz der breiter ausgeführte Teil des Traumes.

§ 804

Ein schönes Beispiel von solcher Darstellung der Kausalität hat mir einmal eine Patientin geliefert, deren Traum ich späterhin vollständig mitteilen werde. Er bestand aus einem kurzen Vorspiel und einem sehr weitläufigen Traumstück, das in hohem Grade zentriert war und etwa überschrieben werden konnte: Durch die Blume. Der Vortraum lautete so: Sie geht in die Küche zu den beiden Mägden und tadelt sie, daß sie nicht fertig werden, „mit dem Bissel Essen“. Dabei sieht sie sehr viel grobes Küchengeschirr zum Abtropfen umgestürzt in der Küche stehen, und zwar im Haufen aufeinander gestellt. Die beiden Mägde gehen Wasser holen und müssen dabei wie in einen Fluß steigen, der bis ans Haus oder in den Hof reicht.

§ 805

Dann folgt der Haupttraum, der sich so einleitet: Sie steigt von hoch herab, über eigentümlich gebildete Geländer, und freut sich, daß ihr Kleid dabei nirgends hängen bleibt u. s. w. Der Vortraum bezieht sich nun auf das elterliche Haus der Dame. Die Worte in der Küche hat sie wohl oft so von ihrer Mutter gehört. Die Haufen von rohem Geschirr stammen aus der einfachen Geschirrhandlung, die sich in demselben Hause befand. Der zweite Teil des Traumes enthält eine Anspielung auf den Vater, der sich viel mit Dienstmädchen zu schaffen machte und dann bei einer Überschwemmung — das Haus stand nahe am Ufer des Flusses — sich eine tödliche Erkrankung holte. Der Gedanke, der sich hinter diesem Vortraume verbirgt, heißt also: Weil ich aus diesem Hause, aus so kleinlichen und unerquicklichen Verhältnissen stamme. Der Haupttraum nimmt denselben Gedanken wieder auf und bringt ihn in durch Wunscherfüllung verwandelter Form: Ich bin von hoher Abkunft. Eigentlich also: Weil ich von so niedriger Abkunft bin, war mein Lebenslauf so und so.

§ 806

Soviel ich sehe, bedeutet eine Teilung des Traumes in zwei ungleiche Stücke nicht jedesmal eine kausale Beziehung zwischen den Gedanken der beiden Stücke. Oft scheint es, als ob in den beiden Träumen dasselbe Material von verschiedenen Gesichtspunkten aus dargestellt würde; oder die beiden Träume sind aus gesonderten Zentren im Traummaterial hervorgegangen und überschneiden einander im Inhalt, so daß in dem einen Traum Zentrum ist, was im anderen als Andeutung mitwirkt und umgekehrt. In einer gewissen Anzahl von Träumen bedeutet aber die Spaltung in kürzeren Vor- und längeren Nachtraum tatsächlich kausale Beziehung zwischen beiden Stücken. Die andere Darstellungsweise des Kausalverhältnisses findet Anwendung bei minder umfangreichem Material und besteht darin, daß ein Bild im Traume, sei es einer Person oder einer Sache, sich in ein anderes verwandelt. Nur wo wir diese Verwandlung im Traume vor sich gehen sehen, wird der kausale Zusammenhang ernstlich behauptet; nicht wo wir bloß merken, es sei an Stelle des einen jetzt das andere gekommen. Ich sagte, die beiden Verfahren, Kausalbeziehung darzustellen, liefen auf dasselbe hinaus; in beiden Fällen wird die Verursachung dargestellt durch ein Nacheinander, einmal durch das Aufeinanderfolgen der Träume, das andere Mal durch die unmittelbare Verwandlung eines Bildes in ein anderes. In den allermeisten Fällen freilich wird die Kausalrelation überhaupt nicht dargestellt, sondern fällt unter das auch im Traumvorgang unvermeidliche Nacheinander der Elemente.

§ 807

Die Alternative „Entweder— Oder“ kann der Traum überhaupt nicht ausdrücken; er pflegt die Glieder derselben wie gleichberechtigt in einen Zusammenhang aufzunehmen. Ein klassisches Beispiel hiefür enthält der Traum von Irmas Injektion. In dessen latenten Gedanken heißt es offenbar: Ich bin unschuldig an dem Fortbestand von Irmas Schmerzen; die Schuld liegt entweder an ihrem Sträuben gegen die Annahme der Lösung oder daran, daß sie unter ungünstigen sexuellen Bedingungen lebt, die ich nicht ändern kann, oder ihre Schmerzen sind überhaupt nicht hysterischer, sondern organischer Natur. Der Traum vollzieht aber alle diese einander fast anschließenden Möglichkeiten und nimmt keinen Anstoß, aus dem Traumwunsch eine vierte solche Lösung hinzuzufügen. Das Entweder — Oder habe ich dann nach der Traumdeutung in den Zusammenhang der Traumgedanken eingesetzt.

§ 808

Wo aber der Erzähler bei der Reproduktion des Traumes ein Entweder — Oder gebrauchen möchte: Es war entweder ein Garten oder ein Wohnzimmer u. s. w., da kommt in den Traumgedanken nicht etwa eine Alternative, sondern ein „und“, eine einfache Anreihung, vor. Mit Entweder — Oder beschreiben wir zumeist einen noch auflösbaren Charakter von Verschwommenheit an einem Traumelement. Die Deutungsregel für diesen Fall lautet: Die einzelnen Glieder der scheinbaren Alternative sind einander gleich zu setzen und durch „und“ zu verbinden. Ich träume z. B., nachdem ich längere Zeit vergeblich auf die Adresse meines in Italien weilenden Freundes gewartet habe, daß ich ein Telegramm erhalte, welches mir diese Adresse mitteilt. Ich sehe sie in blauem Druck auf den Papierstreifen des Telegramms; das erste Wort ist verschwommen,

§ 809

etwa via,

§ 810

oder Villa, das zweite deutlich: Sezerno. oder sogar (Casa).

§ 811

Das zweite Wort, das an italienische Namen anklingt, und mich an unsere etymologischen Besprechungen erinnert, drückt auch meinen Ärger aus, daß er seinen Aufenthalt solange vor mir geheim gehalten; jedes der Glieder aber des Ternavorschlages zum ersten Worte läßt sich bei der Analyse als selbständiger und gleichberechtigter Ausgangspunkt der Gedankenverkettung erkennen.

§ 812

In der Nacht vor dem Begräbnis meines Vaters träume ich von einer bedruckten Tafel, einem Plakat oder Anschlagezettel — etwa wie die das Rauchverbot verkündenden Zetteln in den Wartesälen der Eisenbahnen, — auf dem zu lesen ist, entweder:

§ 813

Man bittet, die Augen zuzudrücken. oder Man bittet, ein Auge zuzudrücken,

§ 814

was ich in folgender Form darzustellen gewohnt bin:

§ 815

die Man bittet, Auge(n) zuzudrücken. ein Jede der beiden Fassungen hat ihren besonderen Sinn und führt in der Traumdeutung auf besondere Wege. Ich hatte das Zeremoniell möglichst einfach gewählt, weil ich wußte, wie der Verstorbene über solche Veranstaltungen gedacht hatte. Andere Familienmitglieder waren aber mit solch puritanischer Einfachheit nicht einverstanden; sie meinten, man werde sich vor den Trauergästen schämen müssen. Daher bittet der eine Wortlaut des Traumes, „ein Auge zuzudrücken“, d. h. Nachsicht zu üben. Die Bedeutung der Verschwommenheit, die wir mit einem Entweder — Oder beschrieben, ist hier besonders leicht zu erfassen. Es ist der Traumarbeit nicht gelungen, einen einheitlichen, aber dann zweideutigen Wortlaut für die Traumgedanken herzustellen. So sondern sich die beiden Hauptgedankenzüge schon im Trauminhalt voneinander.

§ 816

In einigen Fällen drückt die Zweiteilung des Traumes in zwei gleich große Stücke die schwer darstellbare Alternative aus.

§ 817

Höchst auffällig ist das Verhalten des Traumes gegen die Kategorie von Gegensatz und Widerspruch. Dieser wird schlechtweg vernachlässigt, das „Nein“ scheint für den Traum nicht zu existieren. Gegensätze werden mit besonderer Vorliebe zu einer Einheit zusammengezogen oder in einem dargestellt. Der Traum nimmt sich ja auch die Freiheit, ein beliebiges Element durch seinen Wunschgegensatz darzustellen, so daß man zunächst von keinem eines Gegenteils fähigen Elemente weiß, ob es in den Traumgedanken positiv oder negativ enthalten ist. In dem einen der letzterwähnten Träume, dessen Vordersatz wir bereits gedeutet haben („weil ich von solcher Abkunft bin“), steigt die Träumerin über ein Geländer herab und hält dabei einen blühenden Zweig in den Händen. Da ihr zu diesem Bilde einfällt, wie der Engel einen Lilienstengel auf den Bildern von Mariä Verkündigung (sie heißt selbst Maria) in der Hand trägt, und wie die weißgekleideten Mädchen bei der Fronleichnamsprozession gehen, während die Straßen mit grünen Zweigen geschmückt sind, so ist der blühende Zweig im Traume ganz gewiß eine Anspielung auf sexuelle Unschuld. Der Zweig ist aber dicht mit roten Blüten besetzt, von denen jede einzelne einer Kamelie gleicht. Am Ende ihres Weges heißt es im Traume weiter, sind die Blüten schon ziemlich abgefallen; dann folgen unverkennbare Anspielungen auf die Periode. Somit ist der nämliche Zweig, der getragen wird wie eine Lilie und wie von einem unschuldigen Mädchen, gleichzeitig eine Anspielung auf die Kameliendame, die wie bekannt, stets eine weiße Kamelie trug, zur Zeit der Periode aber eine rote. Der nämliche Blütenzweig („des Mädchens Blüten“ in den Liedern von der Müllerin bei Goethe) stellt die sexuelle Unschuld dar und auch ihr Gegenteil. Der nämliche Traum auch, welcher die Freude ausdrückt, daß es ihr gelungen, unbefleckt durchs Leben zu gehen, läßt an einigen Stellen (wie an der vom Abfallen der Blüten) den gegensätzlichen Gedankengang durchschimmern, daß sie sich verschiedene Sünden gegen die sexuelle Reinheit habe zu Schulden kommen lassen (in der Kindheit nämlich). Wir könnten bei der Analyse des Traumes deutlich die beiden Gedankengänge unterscheiden, von denen der tröstliche oberflächlich, der vorwurfsvolle tiefer gelagert scheint, die einander schnurstracks zuwiderlaufen, und deren gleiche aber gegenteilige Elemente durch die nämlichen Traumelemente Darstellung gefunden haben.

§ 818

Einer einzigen unter den logischen Relationen kommt der Mechanismus der Traumbildung im höchsten Ausmaße zu gute. Es ist dies die Relation der Ähnlichkeit, Übereinstimmung, Berührung, dasGleichwie“, die im Traume wie keine andere mit mannigfachen Mitteln dargestellt werden kann. Die im Traummaterial vorhandenen Deckungen oder Fälle von „Gleichwie“ sind ja die ersten Stützpunkte der Traumbildung, und ein nicht unbeträchtliches Stück der Traumarbeit besteht darin, neue solche Deckungen zu schaffen, wenn die vorhandenen der Widerstandszensur wegen nicht in den Traum ge langen können. Das Verdichtungsbestreben der Traumarbeit kommt der Darstellung der Ähnlichkeitsrelation zu Hilfe.

§ 819

Ähnlichkeit, Übereinstimmung, Gemeinsamkeit wird vom Traume ganz allgemein dargestellt durch Zusammenziehung zu einer Einheit, welche entweder im Traummaterial bereits vorgefunden oder neu gebildet wird. Den ersten Fall kann man als Identifizierung, den zweiten als Mischbildung benennen. Die Identifizierung kommt zur Anwendung, wo es sich um Personen handelt; die Mischbildung, wo Dinge das Material der Vereinigung sind, doch werden Mischbildungen auch von Personen hergestellt. Örtlichkeiten werden oft wie Personen behandelt.

§ 820

Die Identifizierung besteht darin, daß nur eine der durch ein Gemeinsames verknüpften Personen im Trauminhalt zur Darstellung gelangt, während die zweite oder die anderen Personen für den Traum unterdrückt scheinen. Diese eine deckende Person geht aber im Traume in alle die Beziehungen und Situationen ein, welche sich von ihr oder von den gedeckten Personen ableiten. Bei der Mischbildung, die sich auf Personen erstreckt, sind bereits im Traumbild Züge, die den Personen eigentümlich, aber nicht gemeinsam sind, vorhanden, so daß durch die Vereinigung dieser Züge eine neue Einheit, eine Mischperson, bestimmt erscheint. Die Mischung selbst kann auf verschiedenen Wegen zu stande gebracht werden. Entweder die Traumperson hat von der einen ihrer Beziehungspersonen den Namen — wir wissen dann in einer Art, die dem Wissen im Wachen ganz analog ist, daß diese oder jene Person gemeint ist —, während die visuellen Züge der anderen Person angehören; oder das Traumbild selbst ist aus visuellen Zügen, die sie in Wirklichkeit auf Beide verteilen, zusammengesetzt. Anstatt durch visuelle Züge kann der Anteil der zweiten Person auch vertreten werden durch die Gebärden, die man ihr zuschreibt, die Worte, die man sie sprechen läßt, oder die Situation, in welche man sie versetzt. Bei der letzteren Art der Kennzeichnung beginnt der scharfe Unterschied zwischen Identifizierung und Mischpersonbildung sich zu verflüchtigen.

§ 821

Das Gemeinsame, welches die Vereinigung der beiden Personen rechtfertigt, d. h. veranlaßt, kann im Traume dargestellt sein oder fehlen. In der Regel dient die Identifizierung oder Mischpersonbildung eben dazu, die Darstellung dieses Gemeinsamen zu ersparen. Anstatt zu wiederholen: A ist mir feindlich gesinnt, B aber auch, bilde ich im Traume eine Mischperson aus A und B, oder stelle mir A vor in einer andersartigen Aktion, welche sonst B charakterisiert. Die so gewonnene Traumperson tritt mir im Traume in irgend welcher neuen Verknüpfung entgegen, und aus dem Umstand, daß sie sowohl A als auch B bedeutet, schöpfe ich dann die Berechtigung, in die betreffende Stelle der Traumdeutung einzusetzen, was den beiden gemeinsam ist, nämlich das feindselige Verhältnis zu mir. Auf solche Weise erziele ich oft eine ganz außerordentliche Verdichtung fiir den Trauminhalt; ich kann mir die direkte Darstellung sehr komplizierter Verhältnisse, die mit einer Person zusammenhängen, ersparen, wenn ich zu dieser Person eine andere gefunden habe, die auf einen Teil dieser Beziehungen den gleichen Ausbruch hat. Es ist leicht zu verstehen, inwiefern diese Darstellung durch Identifizierung auch dazu dienen kann, die Widerstandszensur zu umgehen, welche die Traumarbeit unter so harte Bedingungen setzt. Der Anstoß für die Zensur mag gerade in jenen Vorstellungen liegen, welche im Material mit der einen Person verknüpft sind; ich finde nun eine zweite Person, welche gleichfalls Beziehungen zu dem beanständeten Material hat, aber nur zu einem Teile desselben. Die Berührung in jenem nicht zensurfreien Punkte gibt mir jetzt das Recht, eine Mischperson zu bilden, die nach beiden Seiten hin durch indifferente Züge charakterisiert ist. Diese Misch- und Identifizierungsperson ist nun als zensurfrei zur Aufnahme in den Trauminhalt geeignet, und ich habe durch Anwendung der Traumverdichtung den Anforderungen der Traumzensur genügt.

§ 822

234

§ 823

Wo im Traume auch ein Gemeinsames der beiden Personen dargestellt ist, da ist dies gewöhnlich ein Wink, nach einem anderen verhüllten Gemeinsamen zu suchen, dessen Darstellung durch die Zensur unmöglich gemacht wird. Es hat hier gewissermaßen zu Gunsten der Darstellbarkeit eine Verschiebung in Betreff des Gemeinsamen stattgefunden. Daraus, daß mir die Mischperson mit einem indifferenten Gemeinsamen im Traume gezeigt wird, soll ich ein anderes keineswegs indifferentes Gemeinsame in den Traumgedanken erschließen.

§ 824

Die Identifizierung oder Mischpersonbildung dient demnach im Traume verschiedenen Zwecken, erstens der Darstellung eines beiden Personen Gemeinsamen, zweitens der Darstellung einer verschobenen Gemeinsamkeit, drittens aber noch, um eine bloß gewünschte Gemeinsamkeit zum Ausdrucke zu bringen. Da das Herbeiwünschen einer Gemeinsamkeit zwischen zwei Personen häufig mit einem Vertauschen derselben zusammenfällt, so ist auch diese Relation im Traume durch Identifizierung ausgedrückt. Ich wünsche im Traume von Irmas Injektion diese Patientin mit einer anderen zu vertauschen, wünsche also, daß die andere meine Patientin sein möge, wie es die eine ist; der Traum trägt diesem Wunsche Rechnung, indem er mir eine Person zeigt, die Irma heißt, die aber in einer Position untersucht wird, wie ich sie nur bei der anderen zu sehen Gelegenheit hatte. Im Onkeltraume ist diese Vertauschung zum Mittelpunkte des Traumes gemacht; ich identifiziere mich mit dem Minister, indem ich meine Kollegen nicht besser als er behandle nnd beurteile.

§ 825

Es ist eine Erfahrung, von der ich keine Ausnahme gefunden habe, daß jeder Traum die eigene Person behandelt. Träume sind absolut egoistisch. Wo im Trauminhalt nicht mein Ich, sondern nur eine fremde Person vorkommt, da darf ich ruhig annehmen, daß mein Ich durch Identifizierung hinter jener Person versteckt ist. Ich darf mein Ich ergänzen. An ere Male, wo mein Ich im Traume erscheint, lehrt mich die Situation, in der es sich befindet, daß hinter dem Ich eine andere Person durch Identifizierung sich verbirgt. Der Traum soll mich dann mahnen, in der Traumdeutung etwas was dieser Person anhängt, das verhüllte Gemeinsame, auf mich zu übertragen. Es gibt auch Träume, in denen mein Ich nebst anderen Personen vorkommt, die sich durch Lösung der Identifizierung wiederum als mein Ich enthüllen. Ich soll dann mit meinem Ich vermittels dieser Identifizierungen gewisse Vorstellungen vereinigen, gegen deren Aufnahme sich die Zensur erhoben hat. Ich kann also mein Ich in einem Traume mehrfach darstellen, das einemal direkt, das anderemal vermittels der Identifizierung mit fremden Personen. Mit mehreren solchen Identifizierungen läßt sich ein ungemein reiches Gedankenmaterial verdichten.*)*)

§ 826

Durchsichtiger noch als bei Personen gestaltet sich die Auflösung der Identifizierungen bei mit Eigennamen bezeichneten Örtlichkeiten, da hier die Störung durch das im Traume übermächtige Ich entfällt. In einem meiner Romträume (Seite 137) heißt der Ort, an dem ich mich befinde, Rom; ich erstaune aber über die Menge von deutschen Plakaten an einer Straßenecke. Letzteres ist eine Wunscherfüllung, zu der mir sofort Prag einfällt; der Wunsch selbst mag aus einer heute überwundenen deutschnationalen Periode der Jugendzeit stammen. Um die Zeit, da ich träumte, war in Prag ein Zusammentreffen mit einem Freunde in Aussicht genommen; die Identifizierung von Rom und Prag erklärt sich also durch eine gewünschte Gemeinsamkeit; ich möchte meinen Freund lieber in Rom treffen als in Prag, für diese Zusammenkunft Prag und Rom vertauschen.

§ 827

Die Möglichkeit, Mischbildungen zu schaden, steht obenan unter den Zügen, welche den Träumen so oft ein phantastisches Gepräge verleihen, indem durch sie Elemente in den Trauminhalt eingeführt werden, welche niemals Gegenstand der Wahrnehmung sein konnten. Der psychische Vorgang bei der Mischbildung im Traume ist offenbar der nämliche, wie wenn wir im Wachen einen Zentauren oder Drachen uns vorstellen oder nachbilden. Der Unterschied liegt nur darin, daß bei der phantastischen Schöpfung im Wachen der beabsichtigte Eindruck des Neugebildes selbst das Maßgebende ist, während die Mischbildung des Traumes durch ein Moment, welches außerhalb ihrer Gestaltung liegt, das Gemeinsame in den Traumgedanken, determiniert wird. Die Mischbildung des Traumes kann in sehr mannigfaltiger Weise ausgeführt werden. In der kunstlosesten Ausführung werden nur die Eigenschaften des einen Dinges dargestellt, und diese Darstellung ist von einem Wissen begleitet, daß sie auch für ein anderes Objekt gelte. Eine sorgfältigen Technik vereinigt Züge des einen wie des anderen Objektes zu einem neuen Bilde und bedient sich dabei geschickt der etwa in der Realität gegebenen Ähnlichkeiten zwischen beiden Objekten. Das neugebildete kann gänzlich absurd ausfallen oder selbst als phantastisch gelungen erscheinen, je nachdem Material und Witz bei der Zusammensetzung es ermöglichen. Sind die Objekte, welche zu einer Einheit verdichtet werden sollen, gar zu disparat, so begnügt sich die Traumarbeit oft damit, ein Mischgebilde mit einem deutlicheren Kerne zu schaffen, an den sich undeutlichere Bestimmungen anfügen. Die Vereinigung zu einem Bilde ist hier gleichsam nicht gelungen; die beiden Darstellungen überdecken einander und erzeugen etwas wie einen Wettstreit der visuellen Bilder. Wenn man sich die Bildung eines Begriffes aus individuellen Wahrnehmungsbildern verführen wollte, könnte man zu ähnlichen Darstellungen in einer Zeichnung gelangen.

*) Wenn ich im Zweifel bin, hinter welcher der im Traume auftretenden Personen ich mein Ich zu suchen habe, so halte ich mich an folgende Regel: Die Person, die im Traume einem Affekt unterliegt, den ich als Schlafender verspüre, die verbirgt mein Ich. § 828

Es wimmelt natürlich in den Träumen von solchen Mischgebilden; einige Beispiele habe ich in den bisher analysierten Träumen bereits mitgeteilt; ich werde nun weitere hinzufügen. In dem Traume auf Seite 232, welcher den Lebenslauf der Patientin „durch die Blume“ oder „verblümt“ beschreibt, trägt das Traum-Ich einen blühenden Zweig in der Hand, der wie wir erfahren haben, gleichzeitig Unschuld und sexuelle Sündigkeit bedeutet. Der Zweig erinnert durch die Art, wie die Blüten stehen, außerdem an Kirschblüten; die Blüten selbst, einzeln genommen, sind Kamelien, wobei dazu das ganze noch den Eindruck eines exotischen Gewächses macht. Das Gemeinsame an den Elementen dieses Mischgebildes ergibt sich aus den Traumgedanken. Der blühende Zweig ist aus Anspielungen an Geschenke zusammengesetzt, durch welche sie bewegen wurde oder werden sollte, sich gefällig zu erweisen. So in der Kindheit die Kirschen, in späteren Jahren ein Kamelienstock; das Exotische ist eine Anspielung auf einen vielgereisten Naturforscher, welcher mit einer Blumenzeichnung um ihre Gunst werben wollte. Eine andere Patientin schafft sich im Traume ein Mittelding aus Badekabinen im Seebade, ländlichen Aborthäuschen und den Bodenkammern unserer städtischen Wohnhäuser. Den beiden ersten Elementen ist die Beziehung auf menschliche Nacktheit und Entblößung gemeinsam; es läßt sich aus der Zusammensetzung mit dem dritten Element schließen, daß (in ihrer Kindheit) auch die Bodenkammer der Schauplatz von Entblößung war. Ein Träumer schafft sich eine Mischlokalität aus zwei Örtlichkeiten in denen „Kur“ gemacht wird, aus meinem Ordinationszimmer und dem öffentlichen Lokal, in dem er zuerst seine Frau kennen gelernt hat. Eine andere träumt, nachdem der ältere Bruder versprochen hat, sie mit Kaviar zu regalieren, von diesem Bruder, daß dessen Beine von den schwarzen Kaviarperlen übersät sind. Die Elemente „Ansteckung“ im moralischen Sinne und die Erinnerung an einen Ausschlag der Kindheit, der die Beine mit roten, anstatt mit schwarzen Pünktchen übersät erscheinen ließ, haben sich hier mit den Kaviarperlen zu einem neuen Begriff vereinigt, dessen, „was sie von ihrem Bruder bekommen hat“. Teile des menschlichen Körpers werden in diesem Traume behandelt wie Objekte, wie auch in sonstigen Träumen.

§ 829

Ich habe vorhin behauptet, daß der Traum kein Mittel hat, die Relation des Widerspruches, Gegensatzes, das „Nein“ auszudrücken. Ich gehe daran, dieser Behauptung zum erstenmal zu widersprechen. Ein Teil der Fälle, die sich als „Gegensatz“ zusammenfassen lassen, findet seine Darstellung einfach durch Identifizierung, wie wir gesehen haben, wenn nämlich mit der Gegenüberstellung ein Vertauschen, an die Stelle setzen, verbunden werden kann. Davon haben wir wiederholt Beispiele erwähnt. Ein anderer Teil der Gegensätze in den Traumgedanken, der etwa unter die Kategorie „Umgekehrt, im Gegenteil“ fällt, gelangt zu seiner Darstellung im Traume auf folgende merkwürdige, beinahe witzig zu nennende Weise. Das „Umgekehrt“ gelangt nicht für sich in den Trauminhalt, sondern äußert seine Anwesenheit im Material dadurch, daß ein aus sonstigen Gründen nahe liegendes Stück des schon gebildeten Trauminhalts — gleichsam nachträglich — umgekehrt wird. Der Vorgang ist leichter zu illustrieren als zu beschreiben. Im schönen Traume von „Auf und Nieder (Seite 208), ist die Traumdarstellung des Steigens umgekehrt wie das Vorbild in den Traumgedanken, nämlich die Introduktionsszene der Sappho Daudets; es geht im Traume anfangs schwer, später leicht, während in der Szene das Steigen anfangs leicht, später immer schwerer wird. Auch das „Oben“ und „Unten“ in bezug auf den Bruder ist verkehrt im Traume dargestellt. Dies deutet auf eine Relation von Umkehrung oder Gegensatz, die zwischen zwei Stücken des Materials in den Traumgedanken besteht, und die wir darin gefunden haben, daß in der Kindheitsphantasie des Träumers er von seiner Amme getragen wird, umgekehrt wie im Roman der Held die Geliebte trägt. Auch mein Traum von Goethes Angriff gegen Herrn M. (Seite 268) enthält ein solches „Umgekehrt“, das erst redressiert werden muß, ehe man auf die Deutung des Traumes gelangen kann. Im Traume hat Goethe einen jungen Mann Herrn N. angegriffen; in der Realität, wie sie die Traumgedanken enthalten, ist ein bedeutender Mann, mein Freund, von einem unbekannten junge Autor angegriffen worden. Im Traume rechne ich vom Sterbedatum Goethes an; in der Wirklichkeit ging die Rechnung vom Geburtsjahre des Paralytikers aus. Der Gedanke, der in dem Traummaterial maßgebend ist, ergibt sich als der Widerspruch dagegen, daß Goethe behandelt werden soll, als sei er ein Verrückter. Umgekehrt, sagt der Traum, wenn du das Buch nicht verstehst, bist du der Schwachsinnige, nicht der Autor. In all diesen Träumen von Umkehrung scheint mir überdies eine Beziehung auf die verächtliche Wendung („einem die Kehrseite zeigen“) enthalten zu sein (die Umkehrung in bezug auf den Bruder im Sapphotraum).

§ 830

Die Umkehrung, Verwandlung ins Gegenteil, ist übrigens eines der beliebtesten, der vielseitigsten Verwendung fähigen Darstellungsmittel der Traumarbeit. Sie dient zunächst dazu, der Wunscherfüllung gegen ein bestimmtes Element der Traumgedanken Geltung zu verschaffen. Wäre es doch umgekehrt gewesen! ist oftmals der beste Ausdruck für die Relation des Ich gegen ein peinliches Stück Erinnerung. Ganz besonders wertvoll wird die Umkehrung aber im Dienste der Zensur, indem sie ein Maß von Entstellung des Darzustellenden zu stande bringt, welches das Verständnis des Traumes zunächst geradezu lähmt. Man darf darum, wenn ein Traum seinen Sinn hartnäckig verweigert, jedesmal den Versuch der Umkehrung mit bestimmten Stücken seines manifesten Inhalts wagen, worauf nicht selten alles sofort klar wird.

§ 831

Neben der inhaltlichen Umkehrung ist die zeitliche nicht zu übersehen. Eine häufige Technik der Traumentstellung besteht darin, den Ausgang der Begebenheit oder den Schluß des Gedankenganges zu Eingang des Traumes darzustellen und am Ende desselben die Voraussetzungen des Schlusses oder die Ursachen des Geschehens nachzutragen. Wer nicht an dieses technische Mittel der Traumentstellung gedacht hat, steht dann der Aufgabe der Traumdeutung ratlos gegenüber.*)*)

§ 832

Will man die Beziehungen zwischen Trauminhalt und Traumgedanken weiter verfolgen, so nimmt man jetzt am besten den Traum selbst zum Ausgangspunkte und stellt sich die Frage, was gewisse formale Charaktere der Traumdarstellung in bezug auf die Traumgedanken bedeuten. Zu diesen formalen Charakteren, die uns im Traume auffallen müssen, gehören vor allem die Unterschiede in der sinnlichen Intensität der einzelnen Traumgebilde und in der Deutlichkeit einzelner Traumpartien oder ganzer Träume untereinander verglichen. Die Unterschiede in der Intensität der einzelnen Traumgebilde umfassen eine ganze Skala von einer Schärfe der Ausprägung, die man — wiewohl ohne Gewähr — geneigt ist, über die der Realität zu stellen, bis zu einer ärgerlichen Verschwommenheit, die man als charakteristisch für den Traum erklärt, weil sie eigentlich mit keinem der Grade der Undeutlichkeit, die wir gelegentlich an den Objekten der Realität wahrnehmen, vollkommen zu vergleichen ist. Gewöhnlich bezeichnen wir überdies den Eindruck, den wir von einem undeutlichen Traumobjekt empfangen, als „flüchtig“, während wir von den deutlicheren Traumbildern meinen, daß sie auch durch längere Zeit der Wahrnehmung stand gehalten haben. Es fragt sich nun, durch welche Bedingungen im Traummaterial diese Unterschiede in der Lebhaftigkeit der einzelnen Stücke des Trauminhalts hervorgerufen werden.

*) [Derselben Technik, der zeitlichen Umkehrung bedient sich manchmal der hysterische Anfall, um seinen Sinn dem Zuschauer zu verbergen. Ein hysterisches Mädchen hat z. B. in einem Anfalle einen kleinen Roman darzustellen, den sie sich im Anschluß an eine Begegnung in der Stadtbahn im Unbewußten phantasiert hat. Wie der Betreffende, durch die Schönheit ihres Fußes angezogen, sie, während sie liest, zuspricht, wie sie dann mit ihm geht und eine stürmische Liebesszene erlebt. Ihr Anfall setzt mit der Darstellung dieser Liebesszene durch die Körperzuckungen ein [dabei Lippenbewegungen fürs Küssen, Verschränkung der Arme für die Umarmung], darauf eilt sie ins andere Zimmer, setzt sich auf einen Stuhl, hebt das Kleid, um den Fuß zu zeigen, tut, als ob sie in einem Buche lesen würde, und spricht mich an (gibt mir Antwort).] § 833

Man hat hier zunächst gewissen Erwartungen entgegenzutreten, die sich wie unvermeidlich einstellen. Da zu dem Material des Traumes auch wirkliche Sensationen während des Schlafes gehören können, wird man wahrscheinlich voraussetzen, daß diese oder die von ihnen abgeleiteten Traumelemente im Trauminhalt durch besondere Intensität hervorstechen, oder umgekehrt, daß, was im Traume ganz besonders lebhaft ausfällt, auf solche reale Schlafsensationen zurückführbar sein wird. Meine Erfahrung hat dies aber niemals bestätigt. Es ist nicht richtig, daß die Elemente des Traumes, welche Abkömmlinge von realen Eindrücken während des Schafes (Nervenreizen) sind, sich vor den anderen, die aus Erinnerungen stammen, durch Lebhaftigkeit auszeichnen. Das Moment der Realität geht für die Intensitätsbestimmung der Traumbilder verloren.

§ 834

Ferner könnte man an der Erwartung festhalten, daß die sinnliche Intensität (Lebhaftigkeit) der einzelnen Traumbilder eine Beziehung habe zur psychischen Intensität der ihnen entsprechenden Elemente in den Traumgedanken. In den letzteren fällt Intensität mit psychischer Wertigkeit zusammen; die intensivsten Elemente sind keine anderen als die bedeutsamsten, welche den Mittelpunkt der Traumgedanken bilden. Nun wissen wir zwar, daß gerade diese Elemente der Zensur wegen meist keine Aufnahme in den Trauminhalt finden. Aber es könnte doch sein, daß ihre sie vertretenden nächsten Abkömmlinge im Traume einen höheren Intensitätsgrad aufbringen, ohne daß sie darum das Zentrum der Traumdarstellung bilden müßten. Auch diese Erwartung wird indes durch die vergleichende Betrachtung von Traum und Traummaterial zerstört. Die Intensität der Elemente hier hat mit der Intensität der Elemente dort nichts zu schaffen; es findet zwischen Traumaterial und Traum tatsächlich eine völlige „Umwertung aller psychischen Werte“ statt. Gerade in einem flüchtig hingehauchten, durch kräftigere Bilder verdeckten Element des Traumes kann man oft einzig und allein einen direkten Abkömmling dessen entdecken, was in den Traumgedanken übermäßig dominierte.

§ 835

Die Intensität der Elemente des Traumes zeigt sich anders determiniert, und zwar durch zwei voneinander unabhängige Momente. Zunächst ist es leicht zu sehen, daß jene Elemente besonders intensiv dargestellt sind, durch welche die Wunscherfüllung sich ausdrückt. Dann aber lehrt die Analyse daß von den lebhaftesten Elementen des Traumes auch die meisten Gedankengänge ausgehen, daß die lebhaftesten gleichzeitig die bestdeterminierten sind. Es ist keine Änderung des Sinnes, wenn wir den letzten empirisch genommenen Satz in nachstehender Form aussprechen: Die größte Intensität zeigen jene Elemente des Traumes, für deren Bildung die ausgiebigste Verdichtungsarbeit in Anspruch genommen wurde. Wir dürfen dann erwarten, daß diese Bedingung und die andere der Wunscherfüllung auch in einer einzigen Formel ausgedrückt werden können.

§ 836

Das Problem, das ich jetzt behandelt habe, die Ursachen der größeren oder geringeren Intensität oder Deutlichkeit der einzelnen Traumelemente, möchte ich vor Verwechslung mit einem anderen Problem schützen, welches sich auf die verschiedene Deutlichkeit ganzer Träume oder Traumabschnitte bezieht. Dort ist der Gegensatz von Deutlichkeit: Verschwommenheit, hier Verworrenheit. Es ist allerdings unverkennbar, daß in beiden Skalen die steigenden und fallenden Qualitäten einander im Vorkommen begleiten. Eine Partie des Traumes, die uns klar erscheint, enthält zumeist intensive Elemente; ein unklarer Traum ist im Gegenteil aus wenig intensiven Elementen zusammengesetzt. Doch ist das Problem, welches die Skala vom anscheinend Klaren bis zum Undeutlich — Verworrenen bietet, weit komplizierter als das der Lebhaftigkeitsschwankungen der Traumelemente; ja ersteres entzieht sich aus später anzuführenden Gründen hier noch der Erörterung. In einzelnen Fällen merkt man nicht ohne Überraschung, daß der Eindruck von Klarheit oder Undeutlichkeit, den man von einem Traume empfängt, überhaupt nichts für das Traumgefüge bedeutet, sondern aus dem Traummaterial als ein Bestandteil desselben herrührt. So erinnere ich mich an einen Traum, der mir nach dem Erwachen so besonders gut gefügt, lückenlos und klar erschien, daß ich noch in der Schlaftrunkenheit mir vorsetzte, eine neue Kategorie von Träumen zuzulassen, die nicht dem Mechanismus der Verdichtung und Verschiebung unterlegen waren, sondern als „Phantasien während des Schlafens bezeichnet werden durften. Nähere Prüfung ergab, daß dieser rare Traum dieselben Risse und Sprünge in seinem Gefüge zeigte wie jeder andere; ich ließ darum die Kategorie der Traumphantasien auch wieder fallen. Der reduzierte Inhalt des Traumes war aber, daß ich meinem Freunde eine schwierige und lange gesuchte Theorie der Bisexualität vortrug, und die wunscherfüllende Kraft des Traumes hatte es zu verantworten, daß uns diese Theorie (die übrigens im Traume nicht mitgeteilt wurde) klar und lückenlos erschien. Was ich also für ein Urteil über den fertigen Traum gehalten hatte, war ein Stück und zwar das wesentliche Stück des Trauminhalts. Die Traumarbeit griff hier gleichsam in das erste wache Denken über und übermittelte mir als Urteil über den Traum jenes Stück des Traummaterials, dessen genaue Darstellung im Traume ihr nicht gelungen war. Ein vollkommenes Gegenstück hiezu erlebte ich einmal bei einer Patientin, die einen in die Analyse gehörigen Traum zuerst überhaupt nicht erzählen wollte, „weil er so undeutlich und verworren sei“, und endlich unter wiederholten Protesten gegen die Sicherheit ihrer Darstellung angab, es seien im Traume mehrere Personen vorgekommen, sie, ihr Mann und ihr Vater, und als ob sie nicht gewußt hätte, ob ihr Mann ihr Vater sei, oder wer eigentlich ihr Vater sei, oder so ähnlich. Die Zusammenstellung dieses Traumes mit ihren Einfällen in der Sitzung ergab als unzweifelhaft, daß es sich um die ziemlich alltägliche Geschichte eines Dienstmädchens handle, welches bekennen mußte, daß sie ein Kind erwarte, und nun Zweifel zu hören bekomme, „wer eigentlich der Vater (des Kindes) sei.“*)*) Die Unklarheit, die der Traum zeigte, war also auch hier ein Stück aus dem traumerregenden Material. Ein Stück dieses Inhalts war in der Form des Traumes dargestellt worden. Die Form des Traumes oder des Träumens wird in ganz überraschender Häufigkeit zur Darstellung des verdeckten Inhalts verwendet. Alle Träume derselben Nacht gehören ihrem Inhalt nach zu dem nämlichen Ganzen; ihre Sonderung in mehrere Stücke, deren Gruppierung und Anzahl, all das ist sinnreich und darf als ein Stuck Mitteilung aus den latenten Traumgedanken aufgefaßt werden.

§ 837

In solche Lage, Klarheit oder Verworrenheit des Traumes auf Sicherheit oder Zweifel im Traummaterial umdeuten zu können, kommt man aber nach meiner Erfahrung nur in wenigen Fällen. Ich werde späterhin den bisher nicht erwähnten Faktor bei der Traumbildung aufzudecken haben, von dessen Einwirkung diese Qualitätenskala des Traumes wesentlich abhängt.

§ 838

In manchen Träumen, die ein Stück weit eine gewisse Situation und Szenerie festhalten, kommen Unterbrechungen vor, die mit folgenden Worten beschrieben werden: „ "Es ist dann aber, als wäre es gleichzeitig ein anderer Ort, und dort ereignete sich dies und jenes." Was in solcher Weise die Haupthandlung des Traumes unterbricht, die nach einer Weile wieder fortgesetzt werden kann, das stellt sich im Traummaterial als ein Nebensatz, als ein eingeschobener Gedanke heraus. Die Kondition in den Traumgedanken wird im Traume durch Gleichzeitigkeit dargestellt (wenn — wann).

§ 839

Was bedeutet die so häufig im Traume erscheinende Sensation der gehemmten Bewegung, die so nahe an Angst streift? Man will gehen und kommt nicht von der Stelle, will etwas herrichten und stößt fortwährend auf Hindernisse. Der Eisenbahnzug will sich in Bewegung setzen und man kann ihn nicht erreichen; man hebt die Hand, um eine Beleidigung zu rächen, und sie versagt u. s. w. Wir sind dieser Sensation im Traume schon bei den Exhibitionsträumen begegnet, haben ihre Deutung aber noch nicht ernstlich versucht. Es ist bequem aber unzureichend, zu antworten, im Schlafe bestehe motorische Lähmung, die sich durch die erwähnte Sensation bemerk bar macht. Wir dürfen fragen: Warum träumt man dann nicht beständig von solchen gehemmten Bewegungen? und wir dürfen erwarten, daß diese im Schlafe jederzeit hervorzurufende Sensation irgend welchen Zwecken der Darstellung diene und nur durch das im Traummaterial gegebene Bedürfnis nach dieser Darstellung erweckt werde.

*) Begleitende hysterische Symptome: Ausbleiben der Periode und große Verstimmung, das Hauptleiden dieser Kranken. § 840

Das Nichtszustandebringen tritt im Traumae nicht immer als Sensation, sondern auch einfach als Stück des Trauminhalts auf. Ich halte einen solchen Fall für besonders geeignet, uns über die Bedeutung dieses Traumrequisits aufzuklären. Ich werde verkürzt einen Traum mitteilen, in dem ich der Unredlichkeit beschuldigt erscheine. Die Örtlichkeit ist ein Gemenge aus einer Privatheilanstalt und mehreren anderen Lokalen. Ein Diener erscheint, um mich zu einer Untersuchung zu rufen. Im Traume weiß ich, daß etwas vermißt wird, und daß die Untersuchung wegen des Verdachtes erfolgt, daß ich mir das Verlorene angeeignet. Die Analyse zeigt, daß Untersuchung zweideutig zu nehmen ist und ärztliche Untersuchung miteinschließt. Im Bewußtsein meiner Unschuld und meiner Konsiliarfunktion in diesem Hause gehe ich ruhig mit dem Diener. An einer Tür empfängt uns ein anderer Diener und sagt, auf mich deutend: Den haben Sie mitgebracht, der ist ja ein anständiger Mensch. Ich gehe dann ohne Diener in einen großen Saal, in dem Maschinen stehen, der mich an ein Inferno mit seinen höllischen Strafaufgaben erinnert. An einem Apparat sehe ich einen Kollegen eingespannt, der allen Grund hätte, sich um mich zu bekümmern; er beachtet mich aber nicht. Es heißt dann, daß ich jetst gehen kann. Da finde ich meinen Hut nicht und kann doch nicht gehen.

§ 841

Es ist offenbar die Wunscherfüllung des Traumes, daß ich als ehrlicher Mann anerkannt werde und gehen darf; in den Traumgedanken muß also allerlei Material vorhanden sein, welches den Widerspruch dagegen enthält. Daß ich geben darf, ist das Zeichen meiner Absolution; wenn also der Traum am Ende ein Ereignis bringt, das mich im Gehen enthält, so liegt es wohl nahe zu schließen, daß durch diesen Zug das unterdrückte Material des Widerspruchs sich zur Geltung bringt. Daß ich den Hut nicht finde, bedeutet also: Du bist doch kein ehrlicher Mensch. Das Nichtzustandebringen des Traumes ist ein Ausdruck des Widerspruches, ein „Nein“, wonach also die frühere Behauptung zu korrigieren ist, daß der Traum das Nein nicht auszudrücken vermag.*)*)

*) Eine Beziehung zu einem Kindheitsergebnis ergibt sich in der vollständigen Analyse durch folgende Vermittlung: — Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen. Und dann die Scherzfrage: Wie alt ist der Mohr, wenn § 842

In anderen Träumen, welche das Nichtzustandekommen der Bewegung nicht bloß als Situation, sondern als Sensation enthalten, ist derselbe Widerspruch durch die Sensation der Bewegungshemmung kräftiger ausgedrückt als ein Wille, dem ein Gegenwille sich widersetzt. Die Sensation der Bewegungshemmung stellt also einen Willenskonflikt dar. Wir werden später hören, daß gerade die motorische Lähmung im Schlafe zu den fundamentalen Bedingungen des psychischen Vorganges während des Träumens gehört. Der auf die motorischen Bahnen übertragene Impuls ist nun nichts anderes als der Wille, und daß wir sicher sind, im Schlafe diesen Impuls als gehemmt zu empfinden, macht den ganzen Vorgang so überaus geeignet zur Darstellung des Wollens und des „Nein“, das sich ihm entgegensetzt. Nach meiner Erklärung der Angst begreift es sich auch leicht, daß die Sensation der Willenshemmung der Angst so nahe steht und sich im Traume so oft mit ihr verbindet. Die Angst ist ein libidinöser Impuls, der vom Unbewußten ausgeht und vom Vorbewußten gehemmt wird. Wo also im Traume die Sensation der Hemmung mit Angst verbunden ist, da muß es sich um ein Wollen handeln, das einmal fähig war Libido zu entwickeln, um eine sexuelle Regung.

§ 843

d) Die Rücksicht auf Darstellbarkeit.

§ 844

Wir haben es bisher mit der Untersuchung zu tun gehabt, wie der Traum die Relationen zwischen den Traumgedanken darstellt, griffen dabei aber mehrfach auf das weitere Thema zurück, welche Veränderung das Traummaterial überhaupt für die Zwecke der Traumbildung erfährt. Wir wissen nun, da das Traummaterial, seiner Relationen zum guten Teile entblößt, einer Kompression unterliegt, während gleichzeitig Intensitätsverschiebungen zwischen seinen Elementen eine psychische Umwertung dieses Materials erzwingen. Die Verschiebungen, die wir berücksichtigt haben, erwiesen sie als Ersetzungen einer bestimmten Vorstellung durch eine andere ihr in der Assoziation irgendwie nahestehende, und sie wurden der Verdichtung dienstbar gemacht, indem auf solche Weise anstatt zweiter Elemente ein mittleres Gemeinsames zwischen ihnen zur Aufnahme in den Traum gelangte. Von einer anderen Art der Verschiebung haben wir noch keine Erwähnung getan. Aus den Analysen erfährt man aber, daß eine solche besteht und daß sie sich in einer Vertauschung des sprachlichen Ausdruckes für den betreffenden Gedanken kund gibt. Es handelt sich beidemale um Verschiebung längs einer Assoziationskette, aber der gleiche Vorgang findet in verschiedenen psychischen Sphären statt, und das Ergebnis dieser Verschiebung ist das einemal, daß ein Element durch ein anderes substituiert wird, während im andern Falle ein Element seine Wortfassung gegen eine andere vertauscht.

er seine Schuldigkeit getan hat? Ein Jahr, dann kann er gehen. (Ich soll so viel wirres schwarzes Haar mit zur Welt gebracht haben. daß mich die Junge Mutter für einen kleinen Mohren erklärte.) — Daß ich den Hut nicht finde, ist ein mehrsinnig verwertetes Tageserlebnis. Unser im Aufbewahren geniales Stubenmädchen hatte ihn versteckt. — Auch die Ablehnung trauriger Todesgedanken verbirgt sich hinter diesem Traumende: Ich habe meine Schuldigkeit noch lange nicht getan; ich darf noch nicht gehen. — Geburt und Tod wie in dem kurz vorher erfolgten Traume von Goethe und dem Paralytiker (Seite 268). § 845

244

§ 846

Diese zweite Art der bei der Traumbildung vorkommenden Verschiebungen hat nicht nur großes theoretisches Interesse, sondern ist auch besonders gut geeignet, den Anschein phantastischer Absurdität, mit dem der Traum sich verkleidet, aufzuklären. Die Verschiebung erfolgt in der Regel nach der Richtung, daß ein farbloser und abstrakter Ausdruck des Traumgedankens gegen einen bildlichen und konkreten eingetauscht wird. Der Vorteil und somit die Absicht dieses Ersatzes liegt auf der Hand. Das Bildliche ist für den Traum darstellungsfähig, läßt sich in eine Situation einfügen, wo der abstrakte Ausdruck der Traumdarstellung ähnliche Schwierigkeiten bereiten würde, wie etwa ein politischer Leitartikel einer Zeitung der Illustration. Aber nicht nur die Darstellbarkeit, auch die Interessen der Verdichtung und der Zensur können bei diesem Tausche gewinnen. Ist erst der abstrakt ausgedrückt, unbrauchbare Traumgedanke in eine bildliche Sprache umgeformt, so ergeben sich zwischen diesem neuen Ausdruck und dem übrigen Traummaterial leichter als vorher die Berührungen und Identitäten, welcher die Traumarbeit bedarf, und die sie schafft, wo sie nicht vorhanden sind, denn die konkreten Termini sind in jeder Sprache ihrer Entwicklung zufolge anknüpfungsreicher als die begrifflichen. Man kann sich vorstellen, daß ein gutes Stück der Zwischenarbeit bei der Traumbild, welche die gesonderten Traumgedanken auf möglichst knappen und einheitlichen Ausdruck im Traume zu reduzieren sucht, auf solche Weise, durch passende sprachliche Umformung der einzelnen Gedanken vor sich geht. Der eine Gedanke, dessen Ausdruck etwa aus anderen Gründen feststeht, wird dabei verteilend und auswählend auf die Ausdrucksmöglichkeiten des anderen einwirken und dies vielleicht von vornherein, ähnlich wie bei der Arbeit des Dichters. Wenn ein Gedicht in Reimen entstehen soll, so ist die zweite Reimzeile an zwei Bedingungen gebunden; sie muß den ihr zukommenden Sinn ausdrücken und ihr Ausdruck muß den Gleichklang mit der Reimzeile finden. Die besten Gedichte sind wohl die, wo man die Absicht den Reim zu finden nicht merkt, sondern wo beide Gedanken von vornherein durch gegenseitige Induzierung den sprachlichen Ausdruck gewählt haben, der mit leichter Nachbearbeitung den Gleichklang entstehen läßt.

§ 847

In einigen Fällen dient die Ausdrucksvertauschung der Traumverdichtung noch auf kürzerem Wege, indem sie eine Wortfügung finden läßt, welche als zweideutig mehr als einem der Traumgedanken Ausdruck gestattet. Das ganze Gebiet des Wortwitzes wird so der Traumarbeit dienstbar gemacht. Man darf sich über die Rolle, welche dem Worte bei der Traumbildung zufällt, nicht wundern. Das Wort, als der Knotenpunkt mehrfacher Vorstellungen, ist sozusagen eine prädestinierte Vieldeutigkeit und die Neurosen (Zwangsvorstellungen, Phobien) benützen die Vorteile, die das Wort so zur Verdichtung und Verkleidung bietet, nicht minder ungescheut wie der Traum.*)*) Daß die Traumverstellung bei der Verschiebung des Ausdruckes mitprofitiert, ist leicht zu zeigen. Es ist ja irreführend, wenn ein zweideutiges Wort anstatt zweier eindeutiger gesetzt wird; und der Ersatz der alltäglich nüchternen Ausdrucksweise durch eine bildliche hält unser Verständnis auf, besonders da der Traum niemals aussagt, ob die von ihm gebrachten Elemente wörtlich oder im übertragenen Sinne zu deuten sind, direkt oder durch Vermittlung eingeschobener Redensarten auf das Traummaterial bezogen werden sollen.**)**) Beispiele von Darstellungen im Traume, die nur durch Zweideutigkeit des Ausdruckes zusammengehalten werden, habe ich bereits mehrere angeführt („Der Mund geht gut auf“ im Injektionstraume; „Ich kann noch nicht gehen“ im letzten Traume, S. 242) u. s. w. Ich werde nun einen Traum mitteilen, in dessen Analyse die Verbildlichung des abstrakten Gedankens eine größere Rolle spielt. Der Unterschied solcher Traumdeutung von der Deutung mittels Symbolik läßt sich noch immer scharf bestimmen; bei der symbolischen Traumdeutung wird der Schlüssel der Symbolisierung vom Traumdeuter willkürlich gewählt; in unseren Fällen von sprachlicher Verkleidung sind diese Schlüssel allgemein bekannt und durch feststehende Sprachübung gegeben. Verfügt man über den richtigen Einfall zur rechten Gelegenheit, so kann man Träume dieser Art auch unabhängig von den Angaben des Träumers ganz oder stückweise auflösen.

§ 848

Eine mir befreundete Dame träumt: Sie befindet sich in der Oper. Es ist eine Wagnervorstellung, die bis ¾8 Uhr morgens gedauert hat. Im Parkett und Parterre stehen Tische, an denen gespeist und getrunken wird. Ihr eben von der Hochzeitsreise heimgekehrter Vetter sitzt an einem solchen Tische mit seiner jungen Frau; neben ihnen ein Aristokrat. Von diesem heißt es, die junge Frau habe sich ihn von der Hochzeitsreise mit- gebracht, ganz offen, etwa wie man einen Hut von der Hochzeitsreise mitbringt. Inmitten des Parketts befindet sich ein hoher Turm, der oben eine Plattform trägt, die mit einem eisernen Gitter umgeben ist. Dort hoch oben ist der Dirigent mit den Zügen Hans Richters; er läuft beständig hinter seinem Gitter herum, schwitzt furchtbar und leitet von diesem Posten aus das unten um die Basis des Turmes angeordnete Orchester. Sie selbst sitzt mit einer (mir bekannten) Freundin in einer Loge. Ihre jüngere Schwester will ihr aus dem Parkett ein großes Stück Kohle hinaufreichen mit der Motivierung, sie habe doch ,nicht gewußt, daß es so lange dauern werde, und müsse jetzt wohl erbärmlich frieren. (Etwa als ob die Legen während der langen Vorstellung geheitzt werden müßten.)

*) [Vgl. Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten, 1905 — und die „Wortbrücken“ in den Lösungen neurotischer Symptome.] **) [Es ist im allgemeinen bei der Deutung eines jeden Traumelements zweifelhaft, ob es: a) im positiven oder negativen Sinne genommen werden soll (Gegensatzrelation); b) historisch zu deuten ist (als Reminiszenz); c) symbolisch, oder ob d) seine Verwertung vom Wortlaute ausgehen soll. Trotz dieser Vieldeutigkeit darf man sagen, daß die Darstellung der Traumarbeit, die ja nicht beabsichtigt, verstanden zu werden, dem Übersetzer keine größeren Schwierigkeiten zumutet, als etwa die alten Hieroglyphenschreiber ihren Lesern.] § 849

Der Traum ist wohl unsinnig genug, obwohl sonst gut auf eine Situation gebracht. Der Turm mitten im Parkett, von dem aus der Dirigent das Orchester leitet; vor allem aber die Kohle, die ihr die Schwester hinaufreicht! Ich habe von diesem Traume absichtlich keine Analyse verlangt; mit etwas Kenntnis von den persönlichen Beziehungen der Träumerin, gelang es mir, Stücke von ihm selbständig zu deuten. Ich wußte, daß sie viel Sympathie für einen Musiker gehabt hatte, dessen Laufbahn vorzeitig durch Geisteskrankheit unterbrochen worden war. Ich entschloß mich also, den Turm im Parkett wörtlich zu nehmen. Dann kam heraus, daß der Mann, den sie an Hans Richters Stelle zu sehen gewünscht hätte, die übrigen Mitglieder des Orchesters turmhoch überragt. Dieser Turm ist als ein Mischgebilde durch Apposition zu bezeichnen; mit seinem Unterbau stellt er die Größe des Mannes dar, mit dem Gitter oben, hinter dem er wie ein Gefangener oder wie ein Tier im Käfig (Anspielung auf den Namen des Unglücklichen) herumläuft, das spätere Schicksal desselben. „Narrenturm“ wäre etwa das Wort, in dem die beiden Gedanken hätten zusammentreffen können.

§ 850

Nachdem so die Darstellungsweise des Traumes aufgedeckt war, konnte man versuchen, die zweite scheinbare Absurdität, die mit den Kohlen, die ihr von der Schwester gereicht werden, mit demselben Schlüssel aufzulösen. „Kohle“ mußte „heimliche Liebe“ bedeuten.

§ 851

Kein Feuer, keine Kohle

§ 852

Kann brennen so heiß

§ 853

Als wie heimliche Liebe,

§ 854

Von der niemand was weiß.“

§ 855

Sie selbst und ihre Freundin waren sitzen geblieben; die jüngere Schwester, die noch Aussicht hat zu heiraten, reicht ihr die Kohle hinauf, „weil sie doch nicht gewußt habe, daß es so lange dauern wird.“ Was so lange dauern wird, ist im Traume nicht gesagt; in einer Erzählung würden wir ergänzen: die Vorstellung; im Traume dürfen wir den Satz für sich ins Auge fassen, ihn für zweideutig erklären und hinzufügen, „bis sie heiratet.“ Die Deutung „heimliche Liebe“ wird dann unterstützt durch die Erwähnung des Vetters, der mit seiner Frau im Parkett sitzt, und durch die dieser letzteren angedichtete offene Liebschaft. Die Gegensätze zwischen heimlicher und offener Liebe, zwischen ihrem Feuer und der Kälte der jungen Frau beherrscht den Traum. Hier wie dort übrigens ein „Hochstehender“ als Mittelwort zwischen dem Aristokraten und dem zu großen Hoffnungen berechtigenden Musiker.

§ 856

Mit den vorstehenden Erörterungen haben wir endlich ein drittes Moment aufgedeckt, dessen Anteil bei der Verwandlung der Traumgedanken in den Trauminhalt nicht gering anzuschlagen ist: Die Rücksicht auf die Darstellbarkeit in dem eigentümlichen psychischen Material, dessen sich der Traum bedient, also zumeist im visuellen Bildern. Unter den verschiedenen Nebenanknüpfungen an die wesentlichen Traumgedanken wird diejenige bevorzugt werden, welche eine visuelle Darstellung erlaubt, und die Traumarbeit scheut nicht die Mühe, den spröden Gedanken etwa zuerst in eine andere sprachliche Form umzugießen, sei diese auch die ungewöhnlichere, wenn sie nur die Darstellung ermöglicht und so der psychologischen Bedrängnis des eingeklemmten Denkens ein Ende macht. Diese Umleerung des Gedankeninhalts in eine andere Form kann sich aber gleichzeitig in den Dienst der Verdichtungsarbeit stellen und Beziehungen zu einem anderen Gedanken schaffen, die sonst nicht vorhanden wären. Dieser andere Gedanke mag etwa selbst zum Zwecke des Entgegenkommens vorher seinen ursprünglichen Ausdruck verändert haben.

§ 857

Angesichts der Rolle, welche Witzworte, Zitate, Lieder und Sprichwörter im Gedankenleben der Gebildeten spielen, wäre es vollkommen der Erwartung gemäß, wenn Verkleidungen solcher Art überaus häufig für Darstellung der Traumgedenken verwendet werden sollten. Was bedeuten z. B. im Traume Wagen, von denen jeder mit anderem Gemüse angefüllt ist? Es ist der Wunschgegensatz von „Kraut und Rüben“, also „Durcheinander“ und bedeutet demnach „Unordnung“. Ich habe mich gewundert, daß mir dieser Traum nur ein einziges Mal berichtet worden ist. Nur für wenige Materien hat sich eine allgemein gültige Traumsymbolik herausgebildet, auf Grund allgemein bekannter Anspielungen und Wortersetzungen. Ein gutes Teil dieser Symbolik hat übrigens der Traum mit den Psychoneurosen, den Sagen und Volksgebräuchen gemeinsam.

§ 858

Ja, wenn man genauer zusieht, muß man erkennen daß die Traumarbeit mit dieser Art von Ersetzung überhaupt nichts Originelles leistet. Zur Erreichung ihrer Zwecke, in diesem Falle der zensurfreien Darstellbarkeit, wandelt sie eben nur die Wege, die sie im unbewußten Denken bereits gebahnt vorfindet, bevorzugt sie jene Umwandlungen des verdrängten Materials, die als Witz und Anspielung auch bewußt werden dürfen, und mit denen alle Phantasien der Neurotiker erfüllt sind. Hier eröffnet sich dann plötzlich ein Verständnis für die Traumdeutungen Scherners, deren richtigen Kern ich an anderer Stelle verteidigt habe. Die Phantasiebeschäftigung mit dem eigenen Körper ist keineswegs dem Traume allein eigentümlich oder für ihn charakteristisch. Meine Analysen haben mir gezeigt, daß sie im unbewußten Denken der Neurotiker ein regelmäßiges Vorkommnis ist und auf die sexuelle Neugierde zurückgeht, deren Gegenstand die Genitalien des anderen, aber doch auch des eigenen Geschlechtes für den heranwachsenden Jüngling oder für die Jungfrau werden. Wie aber Scherner und Volkelt ganz zutreffend hervorheben, ist das Haus nicht der einzige Vorstellungskreis, der zur Symbolisierung der Leiblichkeit verwendet wird — im Traume so wenig wie im unbewußten Phantasieren der Neurose. Ich kenne Patienten, die allerdings die architektonische Symbolik des Körpers und der Genitalien (reicht doch das sexuelle Interesse weit über das Gebiet der äußeren Genitalien hinaus) beibehalten haben, denen Pfeiler und Säulen Beine bedeuten (wie im Hohen Lied), die jedes Tor an eine der Körperöffnungen („Loch“), die jede Wasserleitung an den Harnapparat denken läßt u. s. w. Aber ebenso gern wird der Vorstellungskreis des Pflanzenlebens oder der Küche zum Versteck sexueller Bilder gewählt; im ersteren Falle hat der Sprachgebrauch, der Niederschlag von Phantasievergleichungen ältester Zeiten, reichlich vorgearbeitet (der „Weinberg“ des Herrn, der „Samen“, der „Garten“ des Mädchens im Hohen Lied). In scheinbar harmlosen Anspielungen an die Verrichtungen der Küche lassen sich die häßlichsten wie die intimsten Einzelheiten des Sexuallebens denken und träumen, und die Symptomatik der Hysterie wird geradezu undeutbar, wenn man vergißt, daß sich sexuelle Symbolik hinter dem Alltäglichen und Unauffälligen als seinem besten Versteck verbergen kann. Es hat seinen guten sexuellen Sinn, wenn neurotische Kinder kein Blut und kein rohes Fleisch sehen wollen, bei Eiern und Nudeln erbrechen, wenn die dem Menschen natürliche Furcht vor der Schlange beim Neurotiker eine ungeheuerliche Steigerung erfährt, und überall wo die Neurose sich solcher Verhüllung bedient, wandelt sie die Wege, die einst in alten Kulturperioden die ganze Menschheit begangen hat und von deren Existenz unter leichter Verschüttung heute noch Sprachgebrauch, Aberglaube und Sitte Zeugnis ablegen.

§ 859

Ich füge hier den angekündigten Blumentraum einer Patientin ein, in dem ich alles, was sexuell zu deuten ist, unterstreiche. Der schöne Traum wollte der Träumerin nach der Deutung gar nicht mehr gefallen.

§ 860

a) Vortraum: Sie geht in die Küche zu den beiden Mädchen und tadelt sie, daß sie nicht fertig werden „mit dem Bissel Essen“ und sieht dabei soviel umgestürztes Geschirr zum Abtropfen stehen, grobes Geschirr in Haufen zusammengestellt. Späterer Zusatz: Die beiden Mädchen gehen Wasser holen, und müssen dabei wie in einen Fluß steigen, der bis ins Haus oder in den Hof reicht.*)*)

§ 861

b) Haupttraum:**)**) Sie steigt von hoch herab ***)***) übereigentümliche Geländer oder Zäune, die zu großen Carreaus vereinigt sind und aus Flechtwerk von kleinen Quadraten bestehen.****)****) Es ist eigentlich nicht zum Steigen eingerichtet; sie hat immer Sorge, daß sie Platz für den Fuß findet, und freut sich, daß ihr Kleid dabei nirgends hängen bleibt, daß sie im Gehen so anständig bleibt. †)†) Dabei trägt sie einen großen Ast in der Hand,††)††) eigentlich wie einen Baum, der dick mit roten Blüten besetzt ist, verzweigt und ausgebreitet.†††)†††) Dabei ist die Idee Kirsch blüten , sie sehen aber auch aus wie gefüllte Kamelien , die freilich nicht auf Bäumen wachsen. Während des Herabgehens hat sie zuerst einen , dann plötzlich zwei, später wieder einen.††††)††††) Wie sie unten anlangt, sind die unteren Blüten schon ziemlich abgefallen . Sie sieht dann, unten angelangt, einen Hausknecht, der einen eben solchen Baum, sie möchte sagen — kämmt, d. h. mit einem Holze dicke Haarbüschel , die wie Moos von ihm herabhängen, rauft. Andere Arbeiter haben solche Äste aus einem Garten abgehauen und auf die Straße geworfen, wo sie herumliegen , so daß viele Leute sich davon nehmen. Sie fragt aber, ob das recht ist, ob man sich auch einen nehmen kann.§)§) Im Garten steht ein junger Mann (von ihr bekannter Persönlichkeit, ein Fremder), auf den sie zugeht, um ihn zu fragen, wie man solche Äste in ihren eigenen Garten umsetzen könne.§§)§§) Er umfängt sie, worauf sie sich sträubt und ihn fragt, was ihm einfällt, ob man sie denn so umfangen darf. Er sagt, das ist kein Unrecht, das ist erlaubt.§§§)§§§) Er erklärt sich dann bereit, mit ihr in den anderen Garten zu gehen, um ihr das Einsetzen zu zeigen, und sagt ihr etwas, was sie nicht recht versteht: Es fehlen mir ohnedies drei Meter — (später sagt sie: Quadratmeter) oder drei Klafter Grund. Es ist, als ob er für seine Bereitwilligkeit etwas von ihr verlangen würde, als ob er die Absicht hätte, sich in ihrem Garten zu entschädigen, oder als wollte er irgend ein Gesetz betrügen, einen Vorteil davon haben, ohne daß sie einen Schaden hat. Ob er ihr dann wirklich etwas zeigt, weiß sie nicht.

*) Zur Deutung dieses als „kausal“ zu nehmenden Vortraumes siehe S. 229. **) Ihr Lebenslauf. ***) Hohe Abkunft, Wunschgegensatz zum Vortraume. ****) Mischgebilde, das zwei Lokalitäten vereinigt, den sogenannten Boden des Vaterhauses, auf dem sie mit dem Bruder spielte, dem Gegenstand ihrer späteren Phantasien, und den Hof einen schlimmen Onkels, der sie zu necksn pflegte. †) Wunschgegensatz zu einer realen Erinnerung vom Hofe des Onkels, daß sie sich im Schlafe zu entblößen pflegte. ††) Wie der Engel in der Verkündigung Mariä einen Lilienstengel. †††) Die Erklärung dieses Mischgebildes siehe S. 232: Unschuld, Periode, Kameliendame. ††††) Auf die Mehrheit der ihrer Phantasien dienenden Personen. §) Ob man sich auch einen herunterreißen darf i. e. masturbieren. §§) Der Ast hat längst die Vertretung des männlichen Genitales übernommen, enthält übrigens eine sehr deutliche Anspielung auf den Familiennamen. §§§) Bezieht sich wie das Nächstfolgende auf eheliche Vorsichten. § 862

Ich muß noch einen anderen Vorstellungskreis erwähnen, der im Träumen wie in der Neurose häufig zur Verhüllung sexuellen Inhalts dient. Ich meine den des Wohnungswechsels. Seine Wohnung wechseln ersetzt sich leicht durch Ausziehen, also durch ein mehrdeutiges Wort, das in den Vorstellungskreis der Kleidung führt. Ist dann noch im Traume ein Lift dabei, so erinnert man sich, daß „to lift“ im Englischen aufheben bedeutet, also „Kleider aufheben“.

§ 863

Ich habe natürlich gerade an solchem Material Überfluß, aber dessen Mitteilung würde zu tief in die Erörterung neurotischer Verhältnisse führen. Alles leitete zum gleichen Schluß, daß man keine besondere symbolisierende Tätigkeit der Seele bei der Traumarbeit anzunehmen braucht, sondern daß der Traum sich solcher Symbolisierungen, welche im unbewußten Denken bereits fertig enthalten sind, bedient, weil sie wegen ihrer Darstellbarkeit, zumeist auch wegen ihrer Zensurfreiheit, den Anforderungen der Traumbildung besser genügen.

§ 864

e) Beispiele. — Rechnen und Reden im Traume.

§ 865

Ehe ich nun das vierte der die Traumbildung beherrschenden Momente an die ihm gebührende Stelle setze, will ich aus meiner Traumsammlung einige Beispiele heranziehen, welche teils das Zusammenwirken der drei uns bekannten Momente erläutern, teils Beweise im frei hingestellte Behauptungen nachtragen oder unabweisbare Folgerungen aus ihnen ausführen können. Es ist mir ja in der vorstehenden Darstellung der Traumarbeit recht schwer geworden, meine Ergebnisse an Beispielen zu erweisen. Die Beispiele für die einzelnen Sätze sind nur im Zusammenhange einer Traumdeutung beweiskräftig; aus dem Zusammenhange gerissen, büßen sie ihre Schönheit ein, und eine auch nur wenig vertiefte Traumdeutung wird bald so umfangreich, daß sie den Faden der Erörterung, zu deren Illustrierung sie dienen soll, verlieren läßt. Dieses technische Motiv mag entschuldigen, wenn ich nun allerlei aneinander reihe, was nur durch die Beziehung auf den Text des vorstehenden Abschnittes zusammengehalten wird.

§ 866

Zunächst einige Beispiele von besonders eigentümlichen oder von ungewöhnlichen Darstellungsweisen im Traume. Im Traume einer Dame heißt es: Ein Stubenmädchen steht auf der Leiter wie zum Fensterputzen und hat einen Schimpanse und eine Gorillakatze (später korrigiert: Angorakatze) bei sich. Sie wirft die Tiere auf die Träumerin; der Schimpanse schmiegt sich an die letztere an, und das ist sehr ekelhaft. Dieser Traum hat seinen Zweck durch ein höchst einfaches Mittel erreicht indem er nämlich eine Redensart wörtlich nahm und nach ihrem Wortlaute darstellte. „Affe“ wie Tiernamen überhaupt sind Schimpfwörter, und die Traumsituation besagt nichts anderes alsmit Schimpfworten um sich werfen“. Diese selbe Sammlung wird alsbald weitere Beispiele für die Anwendung dieses einfachen Kunstgriffes bei der Traumarbeit bringen.

§ 867

Ganz ähnlich verführt ein anderer Traum: Eine Frau mit einem Kinde, das einen auffällig mißbildeten Schädel hat; von diesem Kinds hat sie gehört, daß er durch die Lage im Mutterleibe so geworden. Man könnte den Schädel, sagt der Arzt, durch Kompression in eine bessere Form bringen, allein das würde dem Gehirn schaden. Sie denkt, da es ein Bub ist, schadet es ihm weniger. — Dieser Traum enthält die plastische Darstellung des abstrakten Begriffes: „Kindereindrücke“, den die Träumerin in den Erklärungen zur Kur gehört hat.

§ 868

Einen etwas anderen Weg schlägt die Traumarbeit im folgenden Beispiel ein. Der Traum enthält die Erinnerung an einen Ausflug zum Hilmteich bei Graz: Es ist ein schreckliches Wetter draußen; ein armseliges Hotel, von den Wänden tropft das Wasser, die Betten sind feucht. (Letzteres Stück des Inhalts ist minder direkt im Träume, als ich es bringe.) Der Traum bedeutet „überflüssig“. Das Abstraktum, das sich in den Traumgedanken fand, ist zunächst etwas gewaltsam äquivok gemacht worden, etwa durch „überfließend“ ersetzt oder durch „flüssig und überflüssig“, und dann durch eine Häufung gleichartiger Eindrücke zur Darstellung gebracht. Wasser draußen, Wasser innen an den Wänden, Wasser als Feuchtigkeit in den Betten, alles flüssig undüber“flüssig. —

§ 869

Dafür hat die Sprache in anderen Fällen dem Traume die Darstellung seiner Gedanken sehr leicht gemacht, da sie über eine ganze Reihe von Worten verfügt, die ursprünglich bildlich und konkret gemeint waren und gegenwärtig im abgeblaßten, abstrakten Sinne gebraucht werden. Der Traum braucht diesen Worten nur ihre frühere volle Bedeutung wiederzugeben oder in den Bedeutungswandel des Wortes ein Stück weit herabzusteigen. Z. B. es träumt jemand, daß sein Bruder in einem Kasten steckt; bei der Deutungsarbeit ersetzt sich der Kasten durch einen „Schrank“ und der Traumgedanke lautet nun, daß dieser Bruder sich „einschränken“ solle, an seiner Statt nämlich.

§ 870

Es wäre eine besondere Arbeit, solche Darstellungsweisen zu sammeln und nach den ihnen zu Grunde liegenden Prinzipien zu ordnen.

§ 871

Der Traumarbeit gelingt oft auch die Darstellung von sehr sprödem Material, wie es etwa Eigennamen sind, durch gezwungene Verwertung sehr entlegener Beziehungen. In einem meiner Träume hat mir der alte Brücke eine Aufgabe gestellt. Ich fertige ein Präparat an und klaube etwas heraus, was wie zerknülltes Silberpapier aussieht. (Von diesem Traume noch später mehr.) Der nicht leicht auffindbare Einfall dazu ergibt: „Stanniol“, und nun weiß ich, daß ich den Autornamen Stannius meine, den eine von mir in früheren Jahren mit Ehrfurcht betrachtete Abhandlung über das Nervensystem der Fische trägt. Die erste wissenschaftliche Aufgabe, die mir mein Lehrer gestellt, bezog sich wirklich auf das Nervensystem eines Fisches, des Ammocoetes. Letzterer Name war im Bilderrätsel offenbar gar nicht zu gebrauchen.

§ 872

Ich will mir nicht versagen, hier noch einen Traum mit sonderbarem Inhalt einzuschalten, der auch noch als Kindertraum bemerkenswert ist und sich durch die Analyse sehr leicht aufklärt. Eine Dame erzählt: Ich kann mich erinnern, daß ich als Kind wiederholt geträumt habe, der liebe Gott habe einen zugespitzten Papierhut auf dem Kopfe. Einen solchen Hut pflegte man mir nämlich sehr oft bei Tische aufzusetzen, damit ich nicht auf die Teller der anderen Kinder hinschauen könne, wieviel sie von dem betreffenden Gericht bekommen haben. Da ich gehört hatte, Gott sei allwissend, so bedeutet der Traum, ich wisse alles auch trotz des aufgesetzten Hutes.

§ 873

Worin die Traumarbeit besteht und wie sie mit ihrem Material, den Traumgedanken umspringt, läßt sich in lehrreicher Weise an den Zahlen und Rechnungen zeigen, die in Träumen vorkommen. Geträumte Zahlen gelten überdies dem Aberglauben als besonders verheißungsvoll. Ich werde also einige Beispiele solcher Art aus meiner Sammlung heraussuchen.

§ 874

I. Aus dem Traume einer Dame, kurz vor Beendigung ihrer Kur:

§ 875

Sie will irgend etwas bezahlen; ihre Tochter nimmt ihr 3 fl. 65 kr. aus der Geldtasche; sie sagt aber: Was tust du? Es kostet ja nur 21 kr. Dieser Stückchen Traum war mir durch die Verhältnisse der Träumerin ohne weitere Aufklärung ihrerseits verständlich. Die Dame war eine Fremde, die ihre Tochter in einem Wiener Erziehungsinstitut untergebracht hatte und meine Behandlung fortsetzen konnte, so lange ihre Tochter in Wien blieb. In drei Wochen war deren Schuljahr zu Ende und damit endete auch die Kur. Am Tage vor dem Traume hatte ihr die Institutsvorsteherin nahe gelegt, ob sie sich nicht entschließen könnte, das Kind noch ein weiteres Jahr bei ihr zu lassen. Sie hatte dann offenbar bei sich diese Anregung dahin fortgesetzt, daß sie in diesem Falle auch die Behandlung um ein Jahr verlängern könnte. Darauf bezieht sich nun der Traum, denn ein Jahr ist gleich 365 Tagen, die drei Wochen bis zum Abschluß des Schuljahres und der Kur lassen sich ersetzen durch 21 Tage (wenngleich nicht ebensoviele Behandlungsstunden). Die Zahlen, die in den Traumgedanken bei Zeiten standen, werden im Traume Geldwerten beigesetzt, nicht ohne daß damit ein tieferer Sinn zum Ausdruck käme, denn „Time is money“, Zeit hat Geldwert. 365 Kreuzer sind dann allerdings 3 Gulden 65 Kreuzer. Die Kleinheit der im Traume erscheinenden Summen ist offenkundige Wunscherfüllung; der Wunsch hat die Kosten der Behandlung wie des Lehrjahres im Institut verkleinert.

§ 876

II. Zu komplizierteren Beziehungen führen die Zahlen in einem anderen Traume. Eine junge, aber schon seit einer Reihe von Jahren verheiratete Dame erfährt, daß eine ihr fast gleichalterige Bekannte, Elise L., sich eben verlobt hat. Daraufhin träumt sie: Sie sitzt mit ihrem Manne im Theater, eine Seite des Parketts ist ganz unbesetzt. Ihr Mann erzählt ihr, Elise L. und ihr Bräutigam hätten auch gehen wollen, hätten aber nur schlechte Sitze bekommen, 3 für 1 fl. 50kr., und die konnten sie ja nicht nehmen. Sie meint, es wäre auch kein Unglück gewesen.

§ 877

Woher rühren die 1 fl. 50 kr.? Aus einem eigentlich indifferenten Anlaß des Vortages. Ihre Schwägerin hatte von ihrem Manne 150 fl. zum Geschenk bekommen und sich beeilt, sie los zu werden, indem sie sich einen Schmuck dafür kaufte. Wir wollen anmerken, daß 150 fl. 100 mal mehr als 1 fl. 50 kr. Woher die 3, die bei den Theatersitzen steht? Dafür ergibt sich nur die eine Anknüpfung, daß die Braut um ebensoviel Monate — drei — jünger ist als sie. Zur Auflösung des Traumes führt dann die Erkundigung, was der Zug im Traume, daß eine Seite des Parketts leer bleibt, bedeuten kann. Derselbe ist eine unveränderte Anspielung auf eine kleine Begebenheit, die ihrem Manne guten Grund zur Neckerei gegeben hat. Sie hatte sich vorgenommen, zu einer der angekündigten Theatervorstellungen der Woche zu gehen, und war so vorsorglich, mehrere Tage vorher Karten zu nehmen, für die sie Vorkaufsgebühr zu zahlen hatte. Als sie dann ins Theater kamen, fanden sie, daß die eine Seite des Hauses fast leer war; sie hätte es nicht nötig gehabt, sich so sehr zu beeilen.

§ 878

Ich werde jetzt den Traum durch die Traumgedanken ersetzen: „Ein Unsinn war es doch, so früh zu heiraten, ich hatte es nicht nötig gehabt, mich so zu beeilen; an dem Beispiele der Elise L. sehe ich, daß ich noch immer einen Mann bekommen hätte. Und zwar einen hundertmal besseren (Mann, Schatz), wenn ich nur gewartet hätte (Gegensatz zu dem Beeilen der Schwägerin). Drei solche Männer hätte ich für das Geld (die Mitgift) kaufen können!“ Wir werden darauf aufmerksam, daß in diesem Traume die Zahlen in weit höherem Grade Bedeutung und Zusammenhang ver ändert haben, als im vorher behandelten. Die Umwandlung- und Entstellungsarbeit des Traumes ist hier ausgiebiger gewesen, was wir so deuten, daß diese Traumgedanken bis zu ihrer Darstellung ein besonders hohes Maß von innerpsychischem Widerstand zu überwinden hatten. Wir wollen auch nicht übersehen, daß in diesem Traume ein absurdes Element enthalten ist, nämlich, daß zwei Personen drei Sitze nehmen sollen. Wir greifen in die Deutung der Absurdität im Traume über, wenn wir anführen, daß dieses absurde Detail des Trauminhalts den meistbetonten der Traumgedanken darstellen soll: Ein Unsinn war es, so früh zu heiraten. Die in einer ganz nebensächlichen Beziehung der beiden verglichenen Personen enthaltene 3 (3 Monate Unterschied im Alter) ist dann geschickt zur Produktion des für den Traum erforderlichen Unsinns verwendet worden. Die Verkleinerung der realen 150 fl. auf 1 fl. 50 kr. entspricht der Geringschätzung des Mannes (oder Schatzes) in den unterdrückten Gedanken der Träumerin.

§ 879

III. Ein anderes Beispiel führt uns die Rechenkunst des Traumes vor, die ihm soviel Mißachtung eingetragen hat. Ein Mann träumt: Er sitzt bei B . . (einer Familie seiner früheren Bekanntschaft) und sagt: Es war ein Unsinn, daß Sie mir die Mali nicht gegeben haben. Darauf fragt er das Mädchen: Wie alt sind Sie denn? Antwort: Ich bin 1882 geboren. — Ah, dann sind Sie 28 Jahre alt.

§ 880

Da der Traum im Jahre 1898 verfällt, so ist das offenbar schlecht gerechnet, und die Rechenschwäche des Träumers darf der des Paralytikers an die Seite gestellt werden, wenn sie sich etwa nicht anders aufklären läßt. Mein Patient gehörte zu jenen Personen, deren Gedanken kein Frauenzimmer, das sie sehen, in Ruhe lassen können. Seine Nachfolgerin in meinem Ordinationszimmer war einige Monate hindurch regelmäßig eine junge Dame, der er begegnete, nach der er sich häufig erkundigte, und mit der er durchaus höflich sein wollte. Diese war es, deren Alter er auf 28 Jahre schätzte. Soviel zur Aufklärung des Resultats der scheinbaren Rechnung. 1882 war aber das Jahr, in dem er geheiratet hatte. Er hatte es nicht unterlassen können, auch mit den beiden anderen weiblichen Personen, die er bei mir traf, Gespräche anzuknüpfen, den beiden keineswegs jugendlichen Mädchen, die ihm abwechselnd die Tür zu öffnen pflegten, und als er die Mädchen wenig zutraulich fand, sich die Erklärung gegeben, sie hielten ihn wohl für einen älteren „gesetzten“ Herrn.

§ 881

Wenn wir diese und ähnliche (später folgende Beispiele) zusammenhalten, dürfen wir sagen: Die Traumarbeit rechnet überhaupt nicht, weder richtig noch falsch; sie fügt nur Zahlen, die in den Traumgedanken vorkommen und als Anspielungen auf ein nicht darstellbares Material dienen können, in der Form einer Rechnung zusammen. Sie behandelt dabei die Zahlen in genau der nämlichen Weise als Material zum Ausdruck ihrer Absichten wie alle anderen Vorstellungen, wie auch die Namen und die als Wortvorstellungen kenntlichen Reden.

§ 882

Denn die Traumarbeit kann auch keine Rede neu schaffen. Soviel von Rede und Gegenrede in den Träumen vorkommen mag, die an sich sinnig oder unvernünftig sein können, die Analyse zeigt uns jedesmal, dell der Traum dabei nur Bruchstücke von wirklich geführten oder gehörten Reden den Traumgedanken entnommen hat und höchst willkürlich mit ihnen verfahren ist. Er hat sie nicht nur aus ihrem Zusammenhange gerissen und zerstückt, das eine Stück aufgenommen, das andere verworfen, sondern auch oft neu zusammengefügt, so daß die zusammenhängend scheinende Traumrede bei der Analyse in drei oder vier Brocken zerfällt. Bei dieser Neuverwendung hat er oft den Sinn, den die Worte in den Traumgedanken hatten, bei Seite gelassen, und dem Wortlaute einen völlig neuen Sinn abgewonnen.*)*) Bei näherem Zusehen unterscheidet man an der Traumrede deutlichere, kompakte Bestandteile von anderen, die als Bindemittel dienen und wahrscheinlich ergänzt worden sind, wie wir ausgelassene Buchstaben und Silben beim Lesen ergänzen. Die Traumrede hat so den Aufbau eines Brecciengesteines, in dem größere Brocken verschiedenen Materials durch eine erhärtete Zwischenmasse zusammengehalten werden.

§ 883

In voller Strenge richtig ist diese Beschreibung allerdings nur für jene Reden im Traum, die etwas vom sinnlichen Charakter der Rede haben und als „Reden“ beschrieben werden. Die anderen, die nicht gleichsam als gehört oder als gesagt empfunden werden (keine akustische oder motorische Mitbetonung im Traume haben), sind

*) [In der gleichen Weise wie der Traum verführt auch die Neurone. Ich kenne eine Patientin, die dann leidet, daß sie Lieder oder Stücke von solchen unwillkürlich und widerwillig hört [halluziniert], ohne deren Bedeutung für im Seelenleben verstehen zu können. Sie ist übrigens gewiß nicht paranoisch. Die Analyse zeigt dann, daß nie den Text dieser Lieder mittels gewisser Lizenzen mißbräuchlich verwendet hat. „Leise, leise, komme Weise.“ Das bedeutet für ihr Unbewußtes: Fromme Waise, und diese ist ein selbst. „O du seelige, o du fröhliche“ ist der Anfang eines Weihnachtsliedes; indem sie es nicht bis zu „Weihnachtszeit“ fortsetzt, macht sie daraus ein Brautlied u. dgl. — Derselbe Entstellungsmechanismus kann sich übrigens auch ohne Halluzination im bloßen Einfall durchsetzen. Warum wird einer meiner Patienten von der Erinnerung an ein Gedicht heimgesucht, das er in jungen Jahren lernen mußte: „Nächtlich am Busento lispeln . . . .“? Weil sich seine Phantasie mit einem Stück diesen Zitats: Nächtlich am Busen" begnügt. Es ist bekannt, daß der parodistische Witz auf dieses Stückchen Technik nicht verzichtet hat. Die „fliegenden Blätter“ brachten einst unter ihren Illustrationen zu deutschen „Klassikern“ auch ein Bild zum Schillerschen „Siegesfest“, zu dem das Zitat vorzeitig abgeschlossen war. „Und das frisch erkämpften Weibes Freut sich der Atrid und strickt.“ (Fortsetzung: Um den Reiz des schönen Leibes eine Arme hochbeglückt.)] § 884

einfach Gedanken, wie sie in unserer wachen Denktätigkeit vorkommen und unverändert in viele Träume übergehen. Für das indifferent gehaltene Redematerial des Traumes scheint auch die Lektüre eine reich fließende und schwer zu verfolgende Quelle abzugeben Alles aber, was im Traume als Rede irgendwie auffällig hervortritt, unterwirft sich der Zurückführung auf reale, selbst gehaltene oder gehörte Rede.

§ 885

Beispiele für die Ableitung solcher Traumreden haben wir bereits bei der Analyse von Träumen gefunden, die zu anderen Zwecken mitgeteilt worden sind. So in dem „harmlosen Markttraum“ auf Seite 129, in dem die Rede: Das ist nicht mehr zu haben, dazu dient, mich mit dem Fleischhauer zu identifizieren, während ein Stück der anderen Rede: Das kenne ich nicht, das nehme ich nicht, geradezu die Aufgabe erfüllt, den Traum harmlos zu machen. Die Träumerin hatte nämlich am Vortage irgend welche Zumutung ihrer Köchin mit den Worten zurückgewiesen: Das kenne ich nicht, benehmen Sie sich anständig, und nun von dieser Rede des indifferent klingende erste Stück in den Traum genommen, um mit ihm auf das spätere Stück anzuspielen, das in die Phantasie, welche dem Traume zu Grunde lag, sehr wohl gepaßt, aber auch dieselbe verraten hätte.

§ 886

Ein ähnliches Beispiel an Stelle vieler, die ja alle das nämliche ergeben:

§ 887

Ein großer Hof, in dem Leichen verbrannt werden. Er sagt: Da geh’ ich weg, das kann ich nicht sehen. (Keine deutliche Rede.) Dann trifft er zwei Fleischhauerbuben und fragt: „Na, hat’s geschmeckt? Der eine antwortet: Na, nöt gut war's. Als ob es Menschenfleisch gewesen wäre.

§ 888

Der harmlose Anlaß dieses Traumes ist folgender: Er macht nach dem Nachtmahl mit seiner Frau einen Besuch bei den braven, aber keineswegs appetitlichen Nachbarsleuten. Die gastfreundliche alte Dame befindet sich eben bei ihrem Abendessen und nötigt ihn (man gebraucht dafür scherzhaft unter Männern ein zusammengesetztes, sexuell bedeutsames Wort) davon zu kosten. Er lehnt ab, er habe keinen Appetit mehr. „Aber gehen’s weg, das werden Sie noch vertragen“ oder so ähnlich. Er muß also kosten und rühmt dann das Gebotene vor ihr. „Das ist aber gut.“ Mit seiner Frau wieder allein, schimpft er dann sowohl über die Aufdringlichkeit der Nachbarin, als auch über die Qualität der gekosteten Speise. „Das kann ich nicht sehen“, das auch im Traume nicht als eigentliche Rede auftritt, ist ein Gedanke, der sich auf die körperlichen Reize der einladenden Dame bezieht, und zu übersetzen wäre, daß er diese zu schauen nicht begehrt.

§ 889

Lehrreicher wird sich die Analyse eines anderen Traumes gestalten, den ich wegen der sehr deutlichen Rede, die seinen Mittel punkt bildet, schon an dieser Stelle mitteile, aber erst bei der Würdiung der Affekte im Traume aufklären werde. Ich träume sehr klar: Ich bin Nachts ins Brückesche Laboratorium gegangen und öffne auf ein leises Klopfen an der Tür dem (verstorbenen) Professor Fleischl, der mit mehreren Fremden eintritt und sich nach einigen Worten an seinen Tisch setzt. Dann folgt ein zweiter Traum: Mein Freund Fl. ist im Juli unauffällig nach Wien gekommen; ich begegne ihn auf der Straße im Gespräche mit meinem (verstorbenen) Freunde P. und gehe mit ihnen irgendwohin, wo sie einander wie an einem kleinen Tische gegenübersitzen, ich an der schmalen Seite des Tischchens vorn. Fl. erzählt von seiner Schwester und sagt: In dreiviertel Stunden war sie tot, und dann etwas wie: Das ist die Schwelle. Da P. ihn nicht versteht, wendet sich Fl. an mich und fragt mich, wieviel von seinen Dingen ich P. denn mitgeteilt habe. Darauf ich, von merkwürdigen Affekten ergriffen, Fl. mitteilen will, daß P. (ja gar nichts wissen kann, weil er) gar nicht am Leben ist. Ich sage aber, den Irrtum selbst bemerkend: Non vixit. Ich sehe dann P. durchdringend an, unter meinem Blicke wird er bleich, verschwommen, seine Augen werden krankhaft blau — und endlich löst er sich auf. Ich bin ungemein erfreut darüber, verstehe jetzt, daß auch Ernst Fleischl nur eine Erscheinung, ein Revenant war, und finde es ganz wohl möglich, daß eine solche Person nur so lange besteht, als man es mag, und daß sie durch den Wunsch des anderen beseitigt werden kann.

§ 890

Dieser schöne Traum vereinigt so viele der am Trauminhalt rätselhaften Charaktere, — die Kritik während des Traumes selbst, daß ich meinen Irrtum, Non vixit zu sagen anstatt Non vivit, selbst bemerke; den unbefangenen Verkehr mit Verstorbenen, die der Traum selbst für verstorben erklärt; die Absurdität der Schlußfolgerung und die hohe Befriedigung, die dieselbe mir bereitet, — daß ich „für mein Leben gern“ die volle Lösung dieser Rätsel mitteilen möchte. Ich bin aber in Wirklichkeit unfähig, das zu tun — was ich nämlich im Traume tue — die Rücksicht auf so teure Personen meinem Ehrgeiz aufzuopfern. Bei jeder Verhüllung wäre aber der mir wohlbekannte Sinn des Traumes zu Schanden geworden. So begnüge ich mich denn, zuerst hier, und dann an späterer Stelle einige Elemente des Traumes zur Deutung herauszugreifen.

§ 891

Das Zentrum des Traumes bildet eine Szene, in der ich P. durch einen Blick vernichte. Seine Augen werden dabei so merkwürdig und unheimlich blau, und dann löst er sich auf. Diese Szene ist die unverkennbare Nachbildung einer wirklich erlebten. Ich war Demonstrator am physiologischen Institut, hatte den Dienst in den Früh stunden und Brücke hatte erfahren, daß ich einigemal zu spät ins Schülerlaboratorium gekommen war. Da kann er einmal pünktlich zur Eröffnung und wartete mich ab. Was er mir sagte, war karg und bestimmt; es kam aber gar nicht auf die Worte an. Das Überwältigende waren die fürchterlichen blauen Augen, mit denen er mich ansah, und vor denen ich verging — wie P. im Traume, der zu meiner Erleichterung die Rollen verwechselt hat. Wer sich an die bis ins hohe Greisenalter wunderschönen Augen des großen Meisters erinnern kann und ihn je im Zorne gesehen hat, wird sich in die Affekte des jugendlichen Sünders von damals leicht versetzen können.

§ 892

Es wollte mir aber lange nicht gelingen, das „Non vixit“ abzuleiten, mit dem ich im Traume jene Justiz übe, bis ich mich besann, daß diese zwei Worte nicht als gehörte oder geratene, sondern als gesehene so hohe Deutlichkeit im Traume besessen hatten. Dann wußte ich sofort, woher sie stammten. Auf dem Postament des Kaiser Josef-Denkmals in der Wiener Hofburg sind die schönen Worte zu lesen:

§ 893

Saluti patriae vixit

§ 894

non diu sed totus.

§ 895

Aus dieser Inschrift hatte ich herausgeklaubt, was zu der einen feindseligen Gedankenreihe in meinen Traumgedanken paßte, und was heißen sollte: Der Kerl hat ja gar nichts dreinzureden, er lebt ja gar nicht. Und nun mußte ich mich erinnern, daß der Traum wenige Tage nach der Enthüllung des Fleischldenkmals in den Arkaden der Universität geträumt worden war, wobei ich das Denkmal Brückes wiedergesehen hatte und (im Unbewußten) mit Bedauern erwogen haben muß, wie mein hochbegabter, und ganz der Wissenschaft ergebener Freund P. durch einen allzufrühen Tod seinen begründeten Anspruch auf ein Denkmal in diesen Räumen verloren. So setzte ich ihm dies Denkmal im Traume; mein Freund P. hieß mit dem Vornamen Josef. *)*)

§ 896

Nach den Regeln der Traumdeutung wäre ich nun noch immer nicht berechtigt, das non vivit, das ich brauche, durch non vixit, das mir die Erinnerung an das Josefs-Monument zur Verfügung stellt, zu ersetzen. Ein anderes Element der Traumgedanken muß dies durch seinen Beitrag ermöglicht haben. Es heißt mich nun etwas darauf achten, daß in der Traumszene eine feindselige und eine zärtliche Gedankenströmung gegen meinen Freund P. zusammentreffen, die erstere oberflächlich, die letztere verdeckt, und in den nämlichen Worten: Non vixit ihre Darstellung erreichen. Weil er sich um die Wissenschaft verdient gemacht hat, errichte ich ihm ein Denkmal; aber weil er sich eines bösen Wunsches schuldig gemacht hat (der am Ende des Traumes ausgedrückt ist), darum vernichte ich ihn. Ich habe da einen Satz von ganz besonderem Klange gebildet, bei dem mich ein Vorbild beeinflußt haben muß. Wo findet sich nur eine ähnliche Antithese, ein solches Nebeneinanderstellen zweier entgegengesetzter Reaktionen gegen dieselbe Person, die beide den Anspruch erheben, voll berechtigt zu sein, und doch einander nicht stören wollen? An einer einzigen Stelle, die sich aber dem Leser tief einprägt; in der Rechtfertigungsrede des Brutus in Shakespeares Julius Cäsar: „ "Weil Cäsar mich liebte, wein' ich um ihn; weil er glücklich war, freue ich mich; weil er tapfer war, ehr’ ich ihn, aber weil er herrschsüchtig war, erschlug ich ihn." “ Ist das nicht der nämliche Satzbau und Gedankengegensatz wie in dem Traumgedanken, den ich aufgedeckt habe? Ich spiele also den Brutus im Traume. Wenn ich nur von dieser überraschenden Kollateralverbindung noch eine andere bestätigende Spur im Trauminhalt auffinden könnte! Ich denke, dies könnte folgendes sein: Mein Freund Fl. kommt im Juli nach Wien. Diese Einzelheit findet gar keine Stütze in der Wirklichkeit. Mein Freund ist im Monat Juli meines Wissens niemals in Wien gewesen. Aber der Monat Juli ist nach Julius Cäsar benannt und könnte darum sehr wohl die von mir gesuchte Anspielung auf den Zwischengedanken, daß ich den Brutus spiele, vertreten.*)*)

*) Als Beitrag zur Überdeterminierung: Meine Entschuldigung für mein Zuspätkommen lag darin, daß ich nach langer Nachtarbeit am Morgen den weiten Weg von der Kaiser Josef-Straße in die Währingerstraße zu machen hatte. § 897

Merkwürdigerweise habe ich nun wirklich einmal den Brutus gespielt. Ich habe die Szene Brutus und Cäsar aus Schillers Gedichten vor einem Auditorium von Kindern aufgeführt, und zwar als 14jähriger Knabe im Vereine mit meinem um ein Jahr älteren Neffen, der damals aus England zu uns gekommen war, — auch so ein Revenant denn es war der Gespiele meiner ersten Kinderjahre, der mit ihm wieder auftauchte. Bis zu meinem vollendeten dritten Jahre waren wir unzertrennlich gewesen, hatten einander geliebt und miteinander gerauft, und diese Kinderbeziehung hat wie ich schon einmal angedeutet, überall meine späteren Gefühle im Verkehre mit Altersgenossen entschieden. Mein Neffe John hat seither sehr viele Inkarnationen gefunden, die bald diese, bald jene Seite seines in meiner unbewußten Erinnerung unauslöschlich fixierten Wesens wiederbelebten. Er muß mich zeitweilig sehr schlecht behandelt haben, und ich muß Mut bewiesen haben gegen meinen Tyrannen, denn es ist mir in späteren Jahren oft eine kurze Rechtfertigungsrede wiedererzählt worden, mit der ich mich verteidigte, als mich der Vater — sein Großvater — zur Rede stellte: Warum schlägst du den John? Sie lautete in der Sprache des noch nicht Zweijährigen: Ich habe ihn ge(sch)lagt, weil er mich ge(sch)lagt hat. Diese Kinderszene muß es sein, die non vivit zum non vixit ablenkt, denn in der Sprache späterer Kinderjahre heißt ja das SchlagenWichsen; die Traumarbeit verschmäht es nicht, sich solcher Zusammenhänge zu bedienen. Die in der Realität so wenig begründete Feindseligkeit gegen meinen Freund P., der mir vielfach überlegen war und darum auch eine Neuausgabe des Kindergespielen abgeben konnte, geht sicherlich auf die komplizierte infantile Beziehung zu John zurück.

*) Dazu noch Cäsar-Kaiser. § 898

Ich werde also auf diesen Traum noch zurückkommen.

§ 899

f) Absurde Träume. Die intellektuellen Leistungen im Traume.

§ 900

Bei unseren bisherigen Traumdeutungen sind wir so oft auf das Element der Absurdität im Trauminhalt gestoßen, daß wir die Untersuchung nicht länger aufschieben wollen, woher dasselbe rührt, und was es etwa bedeutet. Wir erinnern uns ja, daß die Absurdität der Träume den Gegnern der Traumschätzung ein Hauptargument bot, um im Traume nichts anderes als ein sinnloses Produkt einer reduzierten und zerbröckelten Geistestätigkeit zu sehen.

§ 901

Ich beginne mit einigen Beispielen, in denen die Absurdität des Trauminhalts nur ein Anschein ist, der bei besserer Vertiefung in den Sinn des Traumes sofort verschwindet. Es sind einige Träume, die — wie man zuerst meint, zufällig — vom toten Vater handeln.

§ 902

I. Der Traum des Patienten, der seinen Vater vor sechs Jahren verloren:

§ 903

Dem Vater ist ein großes Unglück widerfahren. Er ist mit dem Nachtzuge gefahren, da ist eine Entgleisung erfolgt, die Sitze sind zusammengekommen, und ihm ist der Kopf quer zusammengedrückt worden. Er sieht ihn dann auf dem Bette liegen, mit einer Wunde über dem Augenbrauenrand links, die vertikal verläuft. Er wundert sich darüber, daß der Vater verunglückt ist (da er doch schon tot ist, wie er bei der Erzählung ergänzt). Die Augen sind so klar.

§ 904

Nach der herrschenden Beurteilung der Träume hätte man sich diesen Trauminhalt so aufzuklären: Der Träumer hat zuerst, während er sich den Unfall seines Vaters vorstellt, vergessen, daß dieser schon seit Jahren im Grabe ruht; im weiteren Verlaufe des Träumens wacht diese Erinnerung auf und bewirkt, daß er sich über den eigenen Traum noch selbst träumend verwundert. Die Analyse lehrt aber, daß es vor allem überflüssig ist, nach solchen Erklärungen zu greifen. Der Träumer hatte bei einem Künstler eine Büste des Vaters bestellt, die er zwei Tage vor dem Traume in Augenschein genommen hat. Diese ist es, die ihm verunglückt vorkommt. Der Bildhauer hat den Vater nie gesehen, er arbeitet nach ihm vorgelegten Photographien. Am Tage vor dem Traume selbst hat der pietätvolle Sohn einen alten Diener der Familie ins Atelier geschickt, ob auch der dasselbe Urteil über den marmornen Kopf fällen wird, nämlich daß er zu schmal in der Querrichtung von Schläfe zu Schläfe ausgefallen ist. Nun folgt das Erinnerungs material, das zum Aufbau dieses Traumes beigetragen hat. Der Vater hatte die Gewohnheit, wenn geschäftliche Sorgen oder Schwierigkeiten in der Familie ihn quälten, sich beide Hände gegen die Schläfen zu drücken, als ob er seinen Kopf, der ihm zu weit würde, zusammenpressen wollte. — Als Kind von vier Jahren war unser Träumer zugegen, wie das Losgehen einer zufällig geladenen Pistole dem Vater die Augen schwärzte (die Augen sind so klar). — An der Stelle, wo der Traum die Verletzung des Vaters zeigt, trug der Lebende, wenn er nachdenklich oder traurig war, eine tiefe Längsfurche zur Schau. Daß diese Furche im Traume durch eine Wunde ersetzt ist, deutet auf die zweite Veranlassung des Traumes hin. Der Träumer hatte sein kleines Töchterchen photographiert; die Platte war ihm aus der Hand gefallen und zeigte, als er sie aufhob, einen Sprung, der wie eine senkrechte Furche über die Stirn der Kleinen lief und bis zum Augenbrauenbogen reichte. Da konnte er sich abergläubischer Ahnungen nicht erwehren, denn einen Tag vor dem Tode der Mutter war ihm die photographische Platte mit deren Abbild gesprungen.

§ 905

Die Absurdität dieses Traumes ist also bloß der Erfolg einer Nachlässigkeit des sprachlichen Ausdruckes, der die Büste und die Photographie von der Person nicht unterscheiden will. Wir sind alle gewöhnt so zu reden: Findest du den Vater nicht getroffen? Freilich wäre der Anschein der Absurdität in diesem Traume leicht zu vermeiden gewesen. Wenn man schon nach einer einzigen Erfahrung urteilen dürfte, so möchte man sagen, dieser Anschein von Absurdität ist ein zugelassener oder gewollter.

§ 906

II. Ein zweites, ganz ähnliches Beispiel aus meinen eigenen Träumen (ich habe meinen Vater im Jahre 1896 verloren):

§ 907

Der Vater hat nach seinem Tode eine politische Rolle bei den Magyaren gespielt, sie politisch geeinigt, wozu ich ein kleines undeutliches Bild sehe: eine Menschenmenge wie im Reichstage; eine Person, die auf einem oder auf zwei Stühlen steht, andere um ihn herum. Ich erinnere mich daran, daß er auf dem Totenbette Garibaldi so ähnlich gesehen hat, und freue mich, daß diese Verheißung doch wahr geworden ist.

§ 908

Das ist doch absurd genug. Es ist zur Zeit geträumt, da die Ungarn durch parlamentarische Obstruktion in den gesetzlosen Zustand gerieten und jene Krise durchmachten, aus der Koloman Szell sie befreite. Der geringfügige Umstand, daß die im Traume gesehene Szene aus so kleinen Bildern besteht, ist nicht ohne Bedeutung für die Aufklärung dieses Elemente. Die gewöhnliche visuelle Traumdarstellung unserer Gedanken ergibt Bilder, die uns etwa den Eindruck der Lebensgröße machen; mein Traumbild ist aber die Reproduktion eines in den Text einer illustrierten Geschichte Österreichs eingeschobenen Holzschnittes, der Maria Theresia auf dem Reichstage von Preßburg darstellt; die berühmte Szene des „Moriamur pro rege nostro“*)*). Wie dort Maria Theresia, so steht im Traume der Vater von der Menge umringt; er steht aber auf einem oder zwei Stühlen, also als Stuhlrichter. (Er hat sie geeinigt: — hier vermittelt die Redensart: Wir werden keinen Richter brauchen.) Daß er auf dem Totenbette Garibaldi so ähnlich sah, haben wir Umstehenden wirklich alle bemerkt. Er hatte postmortale Temperatursteigerung, seine Wangen glühten rot und röter . . . unwillkürlich setzen wir fort: Und hinter ihm, in wesenlosem Scheine lag, was uns alle bändigt, das Gemeine.

§ 909

Diese Erhebung unserer Gedanken bereitet uns darauf vor, daß wir gerade mit dem „Gemeinen“ zu tun bekommen sollen. Das „postmortale“ der Temperaturerhöhung entspricht den Worten „nach seinem Tode“ im Trauminhalt. Das Quälendste seiner Leiden war die völlige Darmlähmung (Obstruktion) der letzten Wochen gewesen. An diese knüpfen allerlei unehrbietige Gedanken an. Einer meiner Altersgenossen, der seinen Vater noch als Gymnasiast verlor, bei welchem Anlaß ich ihm dann tief erschüttert meine Freundschaft antrug, erzählte mir einmal höhnend von dem Schmerze einer Verwandten, deren Vater auf der Straße gestorben und nach Hause gebracht worden war, wo sich dann bei der Entkleidung der Leiche fand, daß im Moment des Todes oder postmortal eine Stuhlentleerung stattgefunden hatte. Die Tochter war so tief unglücklich darüber, daß ihr diesen häßliche Detail die Erinnerung an den Vater stören mußte. Hier sind wir nun zu dem Wunsche vorgedrungen, der sich in diesem Traume verkörpert. Nach seinem Tode rein und groß vor seinen Kindern dastehen, wer möchte das nicht wünschen? Wohin ist die Absurdität dieses Traumes geraten? Ihr Anschein ist nur dadurch zu stande gekommen, daß eine völlig zulässige Redensart, bei welcher wir gewöhnt sind über die Absurdität hinwegzusehen, die zwischen ihren Bestandteilen vorhanden sein mag, im Traume getreulich dargestellt wird. Auch hier können wir den Eindruck nicht abweisen, daß der Anschein der Absurdität ein gewollter, absichtlich hervorgerufener, ist.**)**)

*) Ich weiß nicht mehr, bei welchem Autor ich einen Traum erwähnt gefunden habe, in dem es von ungewöhnlich kleinen Gestalten wimmelte, und als dessen Quelle sich einer der Stiche Jacques Callots herausstellte, die der Träumer bei Tag betrachtet hatte. Diese Stiche enthalten allerdings eine Unzahl sehr kleiner Figuren; eine Reihe derselben behandelt die Greuel des Dreißigährigen Krieges. **) Die Häufigkeit, mit welcher im Träume tote Personen wie lebend auftreten, handeln und mit uns verkehren, hat eine ungebührliche Verwunderung hervorgerufen und sonderbare Erklärungen erzeugt, aus denen unser Unverständnis für den Traum sehr auffällig erhellt. Und doch ist die Aufklärung dieser Traume eine sehr naheliegende. Wie oft kommen wir in die Lage uns zu denken: Wenn der Vater noch leben würde, was würde er dazu sagen? Dieses Wenn kann der Traum nicht anders darstellen als durch die Gegenwart in einer bestimmten Situation. So träumt z. B. ein junger Mann, dem sein Großvater ein großes Erbe hinterlassen hat, bei einer Gelegenheit von Vorwurf wegen einer bedeutenden Geldausgabe, der Großvater sei § 910

III. In dem Beispiel, das ich jetzt anführe, kann ich die Traumarbeit dabei ertappen, wie sie eine Absurdität, zu der im Material gar kein Anlaß ist, absichtlich fabriziert. Es stammt aus dem Traume, den mir die Begegnung mit dem Grafen Thun vor meiner Ferialreise eingegeben hat. „Ich fahre in einem Einspänner und gebe Auftrag zu einem Bahnhofe zn fahren. „Auf der Bahnstrecke selbst kann ich natürlich nicht mit Ihnen fahren“ sage ich, nachdem er einen Einwand gemacht, als ob ich ihn übermüdet hätte; dabei ist es so, als wäre ich schon eine Strecke mit ihm gefahren, die man sonst mit der Bahn fährt. Zu dieser verworrenen und unsinnigen Geschichte gibt die Analyse folgende Aufklärungen: Ich hatte am Tage einen Einspänner genommen, der mich nach Dornbach in eine entlegene Straße führen sollte. Er kannte aber den Weg nicht und fuhr nach Art dieser guten Leute immer weiter, bis ich es merkte und ihm den Weg zeigte, wobei ich ihm einige spöttische Bemerkungen nicht ersparte. Von diesem Kutscher spinnt sich eine Gedankenverbindung zu den Aristokraten an, mit der ich später noch zusammentreffen werde. Vorläufig nur die Andeutung, daß uns bürgerlichem Plebs die Aristokratie dadurch auffällig wird, daß sie sich mit Vorliebe an die Stelle des Kutschers setzt. Graf Thun lenkt ja auch den Staatswagen von Österreich. Der nächste Satz im Traume bezieht sich aber auf meinen Bruder, den ich also mit dem Einspännerkutscher identifiziere. Ich hatte ihm heuer die gemeinsame Italienfahrt abgesagt („Auf die Bahnstrecke selbst kann ich mit Ihnen nicht fahren“), und diese Absage war eine Art Bestrafung für seine sonstige Klage, daß ich ihn auf diesen Reisen zu übermüden pflege (was unverändert in den Traum gelangt), indem ich ihm zu rasche Ortsveränderung, zu viel des Schönen an einem Tage, zumute. Mein Bruder hatte mich an diesem Abend zum Bahnhofe begleitet, war aber kurz vorher bei der Stadtbahnstation Westbahnhof ausgesprungen, um mit der Stadtbahn nach Purkersdorf zu fahren. Ich hatte ihm bemerkt, er könne noch eine Weile länger bei mir bleiben, indem er nicht mit der Stadtbahn, sondern mit der Westbahn nach Purkersdorf fahre. Davon ist in den Traum gekommen, daß ich mit dem Wagen eine Strecke gefahren bin, die man sonst mit der Bahn fährt. In Wirklichkeit war es umgekehrt (und „Umgekehrt ist auch gefahren“); ich hatte meinen Bruder gesagt: Die Strecke, die du mit der Stadtbahn fährst, kannst du auch in meiner Gesellschaft in der Westbahn fahren. Die ganze Traumverwirrung richte ich dadurch an, daß ich anstatt „Stadtbahn“ — „Wagen“ in den Traum einsetze, was allerdings zur Zusammenziehung des Kutschen mit dem Bruder gute Dienste leistet. Dann bekomme ich im Traume etwas Unsinniges heraus, was bei der Erklärung kaum entwirrbar scheint, und beinahe einen Widerspruch mit einer früheren Rede von mir („Auf die Bahnstrecke selbst kann ich mit Ihnen nicht fahren“) herstellt. Da ich aber Stadtbahn und Einspännerwagen überhaupt nicht zu verwechseln brauche, muß ich diese ganze rätselhafte Geschichte im Traume absichtlich so gestaltet haben.

wieder am Leben und fordere Rechenschaft von ihm. Was wir für die Auflehnung den Traum halten, der Einspruch aus unserem besseren Wissen, daß der Mann doch schon gestorben sei, ist in Wirklichkeit der Trostgedanke, daß der Verstorbene das nicht zu erleben brauchte, oder die Befriedigung darüber, daß er nichts mehr dreinzureden hat. § 911

In welcher Absicht aber? Wir sollen nun erfahren, was die Absurdität im Traume bedeutet, und aus welchen Motiven sie zugelassen oder geschaffen wird. Die Lösung des Geheimnisses im vorliegenden Falle ist folgende: Ich brauche im Traume eine Absurdität und etwas Unverständliches in Verbindung mit dem „Fahren“, weil ich in den Traumgedanken ein gewisses Urteil habe, das nach Darstellung verlangt. An einem Abend bei jener gastfreundlichen und geistreichen Dame, die in einer anderen Szene des nämlichen Traumes als „Haushälterin“ auftritt, hatte ich zwei Rätsel gehört, die ich nicht auflösen konnte. Da sie der übrigen Gesellschaft bekannt waren, machte ich mit meinen erfolglosen Bemühungen die Lösung zu finden eine etwas lächerliche Figur. Es waren zwei Äquivoke mit „Nachkommen“ und „Vorfahren“. Sie lauteten, glaube ich, so:

§ 912

Der Herr befiehlt's,

§ 913

Der Kutscher tut’s.

§ 914

Ein jeder hat’s,

§ 915

Im Grabe ruht's. (Vorfahren.)

§ 916

Verwirrend wirkte es, daß das zweite Rätsel zur einen Hälfte identisch mit dem ersten war:

§ 917

Der Herr befiehlt’s,

§ 918

Der Kutscher tut's.

§ 919

Nicht jeder hat's,

§ 920

In der Wiege ruht’s. (Nachkommen)

§ 921

Als ich nun den Grafen Thun so großmächtig vorfahren sah, in die Figaro-Stimmung geriet, die das Verdienst der hohen Herren darin findet, daß sie sich die “Mühe gegeben haben, geboren zu werden (Nachkommen zu sein), wurden diese beiden Rätsel zu Zwischengedanken für die Traumarbeit. Da man Aristokraten leicht mit Kutschern verwechseln kann, und man dem Kutscher früher einmal in unseren Landes „Herr Schwager“ zu sagen pflegte, konnte die Verdichtungsarbeit meinen Bruder in dieselbe Darstellung einbeziehen. Der Traumgedanke aber, der dahinter gewirkt hat, lautet: Es ist ein Unsinn, auf seine Vorfahren stolz zu sein. Lieber bin ich selber ein Vorfahr, ein Ahnherr. Wegen dieses Urteils: Es ist ein Unsinn, also der Unsinn im Traume. Jetzt löst sich wohl auch das letzte Rätsel dieser dunklen Traumstelle, daß ich mit dem Kutscher schon vorher gefahren, mit ihm schon vorgefahren.

§ 922

Der Traum wird also dann absurd gemacht, wenn in den Traumgedanken als eines der Elemente des Inhalts das Urteil vorkommt: Das ist ein Unsinn, wenn überhaupt Kritik und Spott einen der unbewußten Gedankenzüge des Träumers motivieren. Das Absurde wird somit eines der Mittel, durch welches die Traumarbeit den Widerspruch darstellt, wie die Umkehrung einer Materialbeziehung zwischen Traumgedanken und Trauminhalt, wie die Verwertung der motorischen Hemmungsempfindung. Das Absurde des Traumes ist aber nicht mit einem einfachen „Nein“ zu übersetzen, sondern soll die Disposition der Traumgedanken wiedergeben, gleichzeitig mit dem Widerspruch zu höhnen oder zu lachen. Nur in dieser Absicht liefert die Traumarbeit etwas Lächerliches. Sie verwandelt hier wiederum ein Stück des latenten Inhalts in eine manifeste Form.*)*)

§ 923

Eigentlich sind wir einem überzeugenden Beispiel von solcher Bedeutung eines absurden Traumes schon begegnet. Jener ohne Analyse gedeutete Traum von der Wagnervorstellung, die bis morgens ¾8 Uhr dauert, bei der das Orchester von einem Turme aus dirigiert wird u. s. w. (siehe Seite 246) will offenbar besagen: Das ist eine verdrehte Welt und eine verrückte Gesellschaft. Wer's verdient, den trifft es nicht, und wer sich nichts daraus macht, der hat's, womit sie ihr Schicksal im Vergleiche zu dem ihrer Cousine meint. — Daß sich uns als Beispiele für die Absurdität der Träume zunächst solche vom toten Vater dargeboten haben, ist auch keineswegs ein Zufall. Hier finden sich die Bedingungen für die Schöpfung absurder Träume in typischer Weise zusammen. Die Autorität, die dem Vater eigen ist, hat frühzeitig die Kritik des Kindes hervorgerufen; die strengen Anforderungen, die er gestellt, haben das Kind veranlaßt, zu seiner Erleichterung auf jede Schwäche des Vaters scharf zu achten; aber die Pietät, mit der die Person des Vaters besonders nach seinem Tode für unser Denken umgeben ist, verschärft die Zensur, welche die Äußerungen dieser Kritik vom Bewußtwerden abdrängt.

§ 924

IV. Ein neuer absurder Traum vom toten Vater:

§ 925

Ich erhalte eine Zuschrift vom Gemeinderat meiner Geburtsstadt betreffend die Zahlungskosten für eine Unterbringung im Spital im Jahre 1851, die wegen eines Anfalls bei mir notwendig war. Ich mache mich darüber lustig, denn erstens war ich 1851 noch nicht am Leben, zweitens ist mein Vater, auf den es sich beziehen kann, schon tot. Ich gehe zu ihm ins Nebenzimmer, wo er auf dem Bette liegt, und erzähle es ihm. Zu meiner Uberraschung erinnert er sich, daß er damals 1851 einmal betrunken war und eingesperrt oder verwahrt werden mußte. Es war, als er für das Haus T... gearbeitet. Du hast also auch getrunken, frage ich. Bald darauf hast du geheiratet? Ich rechne, daß ich ja 1856 geboren bin, was mir als unmittelbar folgend vorkommt.

*) Die Traumarbeit parodiert also den ihr als lächerlich bezeichneten Gedanken, indem sie etwas Lächerliches in Beziehung mit ihm erschafft. So ähnlich verfährt Heine, wenn er die schlechten Verse des Bayerkönigs verspotten will. Er tut es in noch schlechteren: Herr Ludwig ist ein großer Poet, Und singt er, so stürzt Apollo Vor ihm auf die Knie und bittet und fleht, „Halt ein, ich werde sonst toll oh!“ § 926

Die Aufdringlichkeit, mit welcher dieser Traum seine Absurditäten zur Schau trägt, werden wir nach den letzten Erörterungen nur als Zeichen einer besonders erbitterten und leidenschaftlichen Polemik in den Traumgedanken übersetzen. Mit um so größerer Verwunderung konstatieren wir aber, daß in diesem Traume die Polemik offen betrieben und der Vater als diejenige Person bezeichnet ist, die zum Ziele des Gespöttes gemacht wird. Solche Offenheit scheint unseren Voraussetzungen über die Zensur bei der Traumarbeit zu widersprechen. Zur Aufklärung dient aber, daß hier der Vater nur eine vorgeschobene Person ist, während der Streit mit einer anderen geführt wird, die im Traume durch eine einzige Anspielung zum Vorschein kommt. Während sonst der Traum von Auflehnung gegen andere Personen handelt, hinter denen sich der Vater verbirgt, ist es hier um kehrt; der Vater wird ein Strohmann zur Deckung anderer, und der Traum darf darum so unverhüllt sich mit seiner sonst geheiligten Person beschäftigen, weil dabei ein sicheres Wissen mitspielt, daß er nicht in Wirklichkeit gemeint ist. Man erfährt diesen gehverhalt aus der Veranlassung des Traumes. Er erfolgte nämlich, nachdem ich gehört hatte, ein älterer Kollege, dessen Urteil für unantastbar gilt, äußere sich abfällig und verwundert darüber, daß einer meiner Patienten die psychoanalytische Arbeit bei mir jetzt schon ins fünfte Jahr fortsetze. Die einleitenden Sätze des Traumes deuten in durchsichtiger Verhüllung darauf hin, daß dieser Kollege eine Zeitlang die Pflichten übernommen, die der Vater nicht mehr erfüllen konnte (Zahlungskosten, Unterbringung im Spital); und als unsere freundschaftlichen Beziehungen sich zu lösen begannen, geriet ich in denselben Empfindungskonflikt, der im Falle einer Mißhelligkeit zwischen Vater und Sohn durch die Rolle und die früheren Leistungen des Vaters erzwungen wird. Die Traumgedanken wehren sich nun erbittert gegen den Vorwurf, daß ich nicht schneller vorwärts komme, der von der Behandlung dieses Patienten her sich dann auch auf anderes erstreckt. Kennt er denn jemanden, der das schneller machen kann? Weiß er nicht, daß Zustände dieser Art sonst überhaupt unheilbar sind und lebenslange dauern? Was sind vier bis fünf Jahre gegen die Dauer eines ganzen Lebens, zumal, wenn dem Kranken die Existenz wahrend der Behandlung so sehr erleichtert worden ist?

§ 927

Das Gepräge der Absurdität wird in diesem Traume zum guten Teil dadurch erzeugt, daß Sätze aus verschiedenen Gebieten der Traum gedanken ohne vermittelnden Übergang aneinander gereiht werden. So verläßt der Satz: Ich gehe zu ihm ins Nebenzimmer etc. das Thema, aus dem die vorigen Sätze geholt sind, und reproduziert getreulich die Umstände, unter denen ich dem Vater meine eigenmächtige Verlobung mitgeteilt habe. Er will mich also an die vornehme Uneigennützigkeit mahnen, die der alte Mann damals bewies, und diese in Gegensatz zu dem Benehmen eines anderen, einer neuen Person, bringen. Ich merke hier, daß der Traum darum den Vater verspotten darf, weil er in den Traumgedanken in voller Anerkennung anderen als Muster vorgehalten wird. Es liegt im Wesen jeder Zensur, daß man von den unerlaubten Dingen das, was unwahr ist, eher sagen darf als die Wahrheit. Der nächste Satz, daß er sich erinnert, einmal betrunken und darum eingesperrt gewesen zu sein, enthält nichts mehr, was sich in der Realität auf den Vater bezieht. Die von ihm gedeckte Person ist hier niemand geringerer als der große — Meynert, dessen Spuren ich mit so hoher Verehrung gefolgt bin, und dessen Benehmen gegen mich nach einer kurzen Periode der Bevorzugung in unverhüllte Feindseligkeit umschlug. Der Traum erinnert mich an seine eigene Mitteilung, er habe in jungen Jahren einmal der Gewohnheit gefrönt, sich mit Chloroform zu berauschen, und habe darum die Anstalt aufsuchen müssen, und an ein zweites Erlebnis mit ihm kurz vor seinem Ende. Ich hatte einen erbitterten literarischen Streit mit ihm geführt in Sachen der männlichen Hysterie, die er leugnete, und als ich ihn als Totkranken besuchte und nach seinem Befinden fragte, verweilte er bei der Beschreibung seiner Zustände und schloß mit den Worten: „ "Sie wissen ich war immer einer der schönsten Fälle von männlicher Hysterie." So hatte er zu meiner Genugtuung und zu meinem Erstaunen zugegeben, wogegen er sich so lange hartnäckig gesträubt. Daß ich aber in dieser Szene des Traumes Meynert durch meinen Vater verdecken kann, hat seinen Grund nicht in einer zwischen beiden Personen aufgefundenen Analogie, sondern ist die knappe, aber völlig zureichende Darstellung eines Konditionalsatzes in den Traumgedanken, der ausführlich lautet: Ja, wenn ich zweite Generation, der Sohn eines Professors oder Hofrates, wäre, dann wäre ich freilich rascher vorwärts gekommen. Im Traume mache ich nun meinen Vater zum Hofrat und Professor. Die gröbste und störendste Absurdität des Traumes liegt in der Behandlung der Jahreszahl 1851, die mir von 1856 gar nicht verschieden vorkommt, als würde die Differenz von fünf Jahren gar nichts bedeuten. Gerade dies soll aber aus den Traumgedanken zum Ausdruck gebracht werden. Vier bis fünf Jahre, das ist der Zeitraum, während dessen ich die Unterstützung des eingangs erwähnten Kollegen genoß, aber auch die Zeit, während welcher ich meine Braut auf die Heirat warten ließ, und durch ein zufälliges, von den Traumgedanken gern ausgenütztes Zusammentreffen auch die Zeit, während welcher ich jetzt meinen ver

§ 928

V. Ein anderer absurder Traum, der mit Zahlen spielt.

§ 929

Einer meiner Bekannten, Herr M., ist von keinem Geringeren als von Goethe in einem Aufsatze angegriffen worden, wie wir alle meinen, mit ungerechtfertigt großer Heftigkeit. Herr M. ist durch diesen Angriff natürlich vernichtet. Er beklagt sich darüber bitter bei einer Tischgesellschaft; seine Verehrung für Goethe hat aber unter dieser persönlichen Erfahrung nicht gelitten. Ich suche mir die zeitlichen Verhältnisse, die mir unwahrscheinlich vorkommen, ein wenig aufzuklären. Goethe ist 1832 gestorben; da sein Angriff auf M. natürlich früher erfolgt sein muß, so war Herr M. damals ein ganz junger Mann. Es kommt mir plausibel vor, daß er 18 Jahre alt war. Ich weiß aber nicht sicher, welches Jahr wir gegenwärtig schreiben, und so versinkt die ganze Berechnung im Dunkel. Der Angriff ist übrigens in dem bekannten Aufsatze von Goethe „Natur“ enthalten.

§ 930

Wir werden bald die Mittel in der Hand haben, den Blödsinn dieses Traumes zu rechtfertigen. Herr M., den ich aus einer Tischgesellschaft kenne, hatte mich unlängst aufgefordert, seinen Bruder zu untersuchen, bei dem sich Zeichen von paralytischer Geistesstörung bemerkbar machten. Die Vermutung war richtig; es ereignete sich bei diesem Besuche das Peinliche, daß der Kranke ohne jeden Anlaß im Gespräche den Bruder durch Anspielung auf dessen Jugendstreiche bloßstellte. Den Kranken hatte ich nach seinem Geburtsjahre gefragt und ihn wiederholt zu kleinen Berechnungen veranlaßt, um seine Gedächtnisschwächung klar zu legen; Proben, die er übrigens noch recht gut bestand. Ich merke schon, daß ich mich im Traume benehme wie ein Paralytiker. (Ich weiß nicht sicher, welches Jahr wir schreiben.) Anderes Material des Traumes stammt aus einer anderen rezenten Quelle. Ein mir befreundeter Redakteur einer medizinischen Zeitschrift hatte eine höchst ungnädige, eine „vernichtende“ Kritik über das letzte Buch meines Freundes Fl. in Berlin in sein Blatt aufgenommen, die ein recht jugendlicher und wenig urteilsfähiger Referent verfaßt hatte. Ich glaubte ein Recht zur Einmengung zu haben und stellte den Redakteur zur Rede, der die Aufnahme der Kritik lebhaft bedauerte, aber eine Remedur nicht versprechen wollte. Daraufhin brach ich meine Beziehungen zur Zeitschrift ab und hob in meinem Absagebriefe die Erwartung hervor, daß unsere persönlichen Beziehungen unter diesem Vorfalle nicht leiden würden. Die dritte Quelle dieses Traumes ist die damals frische Erzählung einer Patientin von der psychischen Erkrankung ihres Bruders, der mit dem Ausrufe „Natur, Natur“ in Tobsucht verfallen war. Die Ärzte hatten gemeint, der Ausruf stamme aus der Lektüre jenes schönen Aufsatzes von Goethe und deute auf die Überarbeitung des Erkrankten bei seinen naturphilosophischen Studien. Ich zog es vor, an den sexuellen Sinn zu denken, in dem auch die Mindergebildeten bei uns von der „Natur“ reden, und daß der Unglückliche sich später an den Genitalien verstümmelte, schien mir wenigstens nicht Unrecht zu geben. 18 Jahre war das Alter dieses Kranken, als jener Tobsuchtsanfall sich einstellte.

§ 931

269

§ 932

Wenn ich noch hinzufüge, daß das so hart kritisierte Buch meines Freundes („Man fragt sich, ist der Autor verrückt oder ist man es selbst,“ hatte ein anderer Kritiker geäußert) sich mit den zeitlichen Verhältnissen des Lebens beschäftigt und auch Goethes Lebensdauer auf ein Vielfaches einer für die Biologie bedeutsamen Zahl zurückführt, so ist es leicht einzusehen, daß ich mich im Traume an die Stelle meines Freundes setze. (Ich suche mir die zeitlichen Verhältnisse . . . ein wenig aufzuklären.) Ich benehme mich aber wie ein Paralytiker und der Traum schwelgt in Absurdität. Das heißt also, die Traumgedanken sagen ironisch: „Natürlich, er ist der Narr, der Verrückte, und Ihr seid die genialen Leute, die es besser verstehen. Vielleicht aber doch umgekehrt?“ Und diese Umkehrung ist nun ausgiebig im Trauminhalt vertreten, indem Goethe den jungen Mann angegriffen hat, was absurd ist, während leicht ein ganz junger Mensch noch heute den unsterblichen Goethe angreifen könnte, und indem ich vom Sterbejahre Goethes an rechne, während ich den Paralytiker von seinem Geburtsjahre an rechnen ließ.

§ 933

Ich habe aber auch versprochen zu zeigen, daß kein Traum von anderen als egoistischen Regungen eingegeben wird. Somit muß ich es rechtfertigen, daß ich in diesem Traume die Sache meines Freundes zu der meinigen mache und mich an seine Stelle setze. Meine kritische Überzeugung im Wachen reicht hiefür nicht aus. Nun spielt aber die Geschichte des 18jährigen Kranken und die verschiedenartige Deutung seines Ausrufes „Natur“ auf den Gegensatz an, in den ich mich mit meiner Behauptung einer sexuellen Ätiologie für die Psychoneurosen zu den meisten Ärzten gebracht habe. Ich kann mir sagen: So wie deinem Freunde, so wird es auch dir mit der Kritik ergehen, ist dir zum Teil auch bereits so ergangen, und nun darf ich das „Er“ in den Traumgedanken durch ein „Wir“ ersetzen. „Ja, Ihr habt recht, wir zwei sind die Narren.“ Daß „mea res agitur“, daran mahnt mich energisch die Erwähnung des kleinen, unvergleichlich schönen Aufsatzes von Goethe, denn der Vortrag dieses Aufsatzes in einer populären Vorlesung war es, der mich schwankenden Abiturienten zum Studium der Naturwissenschaft drängte.

§ 934

VI. Ich bin es schuldig geblieben, noch von einem anderen Traume, in dem mein Ich nicht vorkommt, zu zeigen, daß er egoistisch ist. Ich erwähnte auf Seite 190 einen kurzen Traum, daß Professor M. sagt: „Mein Sohn, der Myop. . .“ und gab an, das sei nur ein Vortraum zu einem anderen, in em ich eine Rolle spiele. Hier ist der fehlende Haupttraum, der uns eine absurde und unverständliche Wortbildung zur Aufklärung bietet:

§ 935

Wegen irgend welcher Vorgänge in der Stadt Rom ist es notwendig, die Kinder zu flüchten, was auch geschieht. Die Szene ist dann vor einem Tore, Doppeltor nach antiker Art (die Porta romana in Siena, wie ich noch im Traume weiß). Ich sitze auf dem Rande eines Brunnens und bin sehr betrübt, weine fast. Eine weibliche Person — Wärterin, Nonne — bringt die zwei Knaben heraus und übergibt sie dem Vater, der nicht ich bin. Der Ältere der beiden ist deutlich mein Ältester, das Gesicht des anderen sehe ich nicht; die Frau, die den Knaben bringt, verlangt zum Abschied einen Kuß von ihm. Sie zeichnet sich durch eine rote Nase aus. Der Knabe verweigert ihr den Kuß, sagt aber, ihr zum Abschied die Hand reichend: Auf Geseres und zu uns beiden (oder zu einem von uns): Auf Ungeseres . Ich habe die Idee, daß letzteres einen Vorzug bedeutet.

§ 936

Dieser Traum baut sich auf einem Knäuel von Gedanken auf die durch ein im Theater gesehenes Schauspiel „Das neue Ghetto angeregt wurden. Die Judenfrage, die Sorge um die Zukunft der Kinder, denen man ein Vaterland nicht geben kann, die Sorge, sie so zu erziehen, daß sie freizügig werden können, sind in den zugehörigen Traumgedanken leicht zu erkennen.

§ 937

An den Wässern Babels saßen wir und weinten.“ — Siena ist wie Rom durch seine schönen Brunnen berühmt; für Rom muß ich im Traume (vgl. Seite 136) mir irgend einen Ersatz aus bekannten Örtlichkeiten suchen. Nahe der Porta romana von Siena sahen wir ein großes, hell erleuchtetes Haus. Wir erfuhren, daß es das Manicomio, die Irrenanstalt sei. Kurz vor dem Traume hatte ich gehört, daß ein Glaubensgenosse seine mühselig erworbene Anstellung an einer staatlichen Irrenanstalt hatte aufgeben müssen.

§ 938

Unser Interesse erweckt die Rede: Auf Geseres, wo man nach der im Traume festgehaltenen Situation erwarten müßte: Auf Wiedersehen, und ihr ganz sinnloser Gegensatz: Auf Ungeseres.

§ 939

Geseres ist nach den Auskünften, die ich mir bei Schriftgelehrten geholt habe, ein echt hebräisches Wort, abgeleitet von einem Verbum „goiser“ und läßt sich am besten durch „anbefohlene Leiden, Verhängnis“, wiedergeben. Nach der Verwendung des Wortes im Jargon sollte man meinen, es bedeute „Klagen und Jammern“. Ungeseres ist meine eigenste Wortbildung und zieht meine Aufmerksamkeit zuerst auf sich, macht mich aber auch zunächst ratlos. Die kleine Bemerkung zu Ende des Traumes, daß Ungeseres einen Vorzug gegen Geseres bedeute, öffnet den Einfällen und damit dem Verständnis die Pforten. Ein solches Verhältnis findet ja beim Kaviar statt; der ungesalzene wird höher geschätzt als der gesalzene. Kaviar fürs Volk, „noble Passionen“: darin liegt eine scherzhafte Anspielung an eine der Personen meines Haushaltes verborgen, von der ich hoffe, daß sie, jünger als ich, die Zukunft meiner Kinder in acht nehmen wird. Dazu stimmt es dann, daß eine andere Person meines Haushaltes, unsere brave Kinderfrau, in der Wärterin (oder Nonne) vom Traume wohl kenntlich gezeigt wird. Zwischen dem Paar gesalzenungesalzen und Geseres-Ungeseres fehlt es aber noch an einem vermittelnden Übergang. Dieser findet sich in „gesäuert und ungesäuert“; bei ihrem fluchtartigen Auszug aus Ägypten hatten die Kinder Israels nicht die Zeit, ihren Brotteig gären zu lassen, und essen zur Erinnerung daran noch heute ungesäuertes Brot zur Osterzeit. Hier kann ich auch den plötzlichen Einfall unterbringen, der mir während dieses Stückes der Analyse gekommen ist. Ich erinnerte mich, wie wir in den letzten Ostertagen in den Straßen der uns fremden Stadt Breslau herumspazierten, mein Freund aus Berlin und ich. Ein kleines Mädchen fragte mich um den Weg in eine gewisse Straße:, ich mußte mich entschuldigen, daß ich ihn nicht wisse, und äußerte dann zu meinem Freunde: Hoffentlich beweist die Kleine später im Leben mehr Scharfblick bei der Auswahl der Personen, von denen sie sich leiten läßt. Kurz darauf fiel mir ein Schild in die Augen: Dr. Herodes, Sprechstunde . . . Ich meinte: Hoffentlich ist der Kollege nicht gerade Kinderarzt. Mein Freund hatte mir unterdessen seine Ansichten über die biologische Bedeutung der bilateralen Symmetrie entwickelt und einen Satz mit der Einleitung begonnen : "Wenn wir das eine Auge mitten auf der Stirn trügen wie der Kyklop. . ." “ Das führt nun zur Rede des Professors im Vortraume: Mein Sohn, der Myop. Und nun bin ich zur Hauptquelle für das Geseres geführt werden. Vor vielen Jahren, als dieser Sohn des Professors M., der heute ein selbständiger Denker ist, noch auf der Schulbank saß, erkrankte er an einer Augenaffektion, die der Arzt für besorgniserweckend erklärte. Er meinte, solange sie einseitig bleibe, habe sie nichts zu bedeuten, sollte sie aber auch auf das andere Auge übergreifen, so wäre es ernsthaft. Das Leiden heilte auf dem einen Auge schadlos ab; kurz darauf stellten sich aber die Zeichen für die Erkrankung des zweiten wirklich ein. Die entsetzte Mutter ließ sofort den Arzt in die Einsamkeit ihres Landaufenthaltes kommen. Der schlug sich aber jetzt auf die andere Seite. „Was machen Sie für Geseres? herrschte er die Mutter an. Ist es auf der einen Seite gut geworden, so wird es auch auf der anderen gut werden.“ Und so ward es auch.

§ 940

Und nun die Beziehung zu mir und den meinigen. Die Schulbank, auf der der Sohn des Professors M. seine erste Weisheit erlernt, ist durch Schenkung der Mutter in das Eigentum meines Ältesten übergegangen, dem ich im Traume die Abschiedsworte in den Mund lege. Der eine der Wünsche, die sich an diese Übertragung knüpfen lassen, ist nun leicht zu erraten. Diese Schulbank soll aber auch durch ihre Konstruktion das Kind davor schützen, kurzsichtig und einseitig zu werden. Daher im Traume Myop (dahinter Kyklop) und die Erörterungen über Bilateralität. Die Sorge um die Einseitigkeit ist eine mehrdeutige; es kann neben der körperlichen Einseitigkeit die der intellektuellen Entwicklung gemeint sein. Ja, scheint es nicht, daß die Traumszene in ihrer Tollheit gerade dieser Sorge widerspricht? Nachdem das Kind nach der einen Seite hin sein Abschiedswort gesprochen, ruft es nach der anderen hin das Gegenteil davon, wie um das Gleichgewicht herzustellen. Es handelt gleichsam in Beachtung der bilateralen Symmetrie!

§ 941

So ist der Traum oft am tiefsinnigsten, wo er am tollsten erscheint. Zu allen Zeiten pflegten die, welche etwas zu sagen hatten und es nicht gefahrlos sagen konnten, gern die Narrenkappe aufzusetzen. Der Hörer, für den die untersagte Rede bestimmt war, duldete sie eher, wenn er dabei lachen und sich mit dem Urteil schmeicheln konnte, daß das Unliebsame offenbar etwas Närrisches sei. Ganz so wie in Wirklichkeit der Traum, verfährt im Schauspiel der Prinz, der sich zum Narren verstellen muß, und darum kann man auch vom Traume aussagen, was Hamlet, wobei er die eigentlichen Bedingungen durch witzig-unverständlich ersetzt, von sich behauptet: „ "Ich bin nur toll bei Nord - Nord - West; weht der Wind aus Süden, so kann ich einen Reiher von einem Falken unterscheiden." *)*)

§ 942

Ich habe also das Problem der Absurdität des Traumes dahin aufgelöst, daß die Traumgedanken niemals absurd sind — wenigstens nicht von den Träumen geistesgesunder Menschen — und daß die Traumarbeit absurde Träume und Träume mit einzelnen absurden Elementen produziert, wenn ihr in den Traumgedanken Kritik, Spott und Hohn zur Darstellung in ihrer Ausdrucksform vorliegt. Es liegt mir nun daran zu zeigen, daß die Traumarbeit überhaupt durch das Zusammenwirken der drei erwähnten Momente — und eines vierten noch zu erwähnenden — erschöpft ist, daß sie sonst nichts leistet als eine Übersetzung der Traumgedanken unter Beachtung der vier ihr vorgeschriebenen Bedingungen, und daß die Frage, ob die Seele im Traume mit all ihren geistigen Fähigkeiten arbeitet oder nur mit einem Teile derselben, schief gestellt ist und an den tatsächlichen Verhältnissen abgleitet. Da es aber reichlich Träume gibt, in deren Inhalt geurteilt, kritisiert und anerkannt wird, in denen Verwunderung über ein einzelnes Element des Traumes auftritt, Erklärungsversuche gemacht und Argumentationen angestellt werden, muß ich die Einwendungen, die aus solchen Vorkommnissen sich ableiten, an ausgewählten Beispielen erledigen.

*) Dieser Traum gibt auch ein gutes Beispiel für den allgemein gültigen Satz, daß die Träume derselben Nacht, wenngleich in der Erinnerung gesondert, auf dem Boden des nämlichen Gedankenmaterials erwachsen sind. Die Traumsituation, daß ich meine Kinder aus der Stadt Rom flüchte, ist übrigens durch die Rückbeziehung auf einen analogen, in meine Kindheit fallenden Vorgang entstellt. Der Sinn ist, daß ich Verwandte beneide, denen sich bereits vor vielen Jahren ein Anlaß geboten hat, ihre Kinder auf einen anderen Boden zu versetzen. § 943

Meine Erwiderung lautet: Alles, was sich als scheinbare Betätigung der Urteilsfunktion in den Träumen vorfindet, ist nicht etwa als Denkleistung der Traumarbeit aufzufassen, sondern gehört dem Material der Traumgedanken an und ist von dorther als fertiges Gebilde in den manifesten Trauminhalt gelangt. Ich kann meinen Satz zunächst noch überbieten. Auch von den Urteilen, die man nach dem Erwachen über den erinnerten Traum fällt, den Empfindungen, die die Reproduktion dieses Traumes in uns hervorruft, gehört ein guter Teil dem latenten Trauminhalt an und ist in die Deutung des Traumes einzufügen.

§ 944

I. Ein auffälliges Beispiel hiefür habe ich bereits angeführt. Eine Patientin will ihren Traum nicht erzählen, weil er zu unklar ist. Sie hat eine Person im Traume gesehen, und weiß nicht, ob es der Mann oder der Vater war. Dann folgt ein zweites Traumstück, in dem ein „Misttrügerl“ vorkommt, an das folgende Erinnerung sich anschließt. Als Junge Hausfrau äußerte sie einmal scherzhaft: vor einem jungen Verwandten, der im Hause verkehrte, daß ihre nächste Sorge die Anschaffung eines neuen Misttrügerls sein müsse. Sie bekam am nächsten Morgen ein solches zugeschickt, das aber mit Maiglöckchen gefüllt war. Dieses Stück Traum dient der Darstellung der Redensart „Nicht auf meinem eigenen Mist gewachsen“. Wenn man die Analyse vervollständigt, erfährt man, daß es sich in den Traumgedanken um die Nachwirkung einer in der Jugend gehörten Geschichte handelt, daß ein Mädchen ein Kind bekommen, von dem es unklar war, wer eigentlich der Vater sei. Die Traumdarstellung greift also hier ins Wachdenken über und läßt eines der Elemente der Traumgedanken durch ein im Wachen gefälltes Urteil über den ganzen Traum vertreten sein.

§ 945

II. Ein ähnlicher Fall: Einer meiner Patienten hat einen Traum, der ihm interessant vorkommt, denn er sagt sich unmittelbar nach dem Erwachen: Das muß ich dem Doktor erzählen. Der Traum wird analysiert und ergibt die deutlichsten Anspielungen auf ein Verhältnis, das er während der Behandlung begonnen, und von dem er sich vorgenommen hatte, mir nichts zu erzählen.*)*)

§ 946

III. Ein drittes Beispiel aus meiner eigenen Erfahrung:

§ 947

Ich gehe mit P. durch eine Gegend, in der Häuser und Gärten vorkommen, ins Spital. Dabei die Idee, daß ich diese Gegend schon mehrmals im Traume gesehen habe. Ich kenne mich nicht sehr gut aus; er zeigt mir einen Weg der durch eine Ecke in eine Restauration führt (Saal, nicht Garten); dort frage ich nach Frau Doni und höre, sie wohnt im Hintergrunde in einer kleinen Kammer mit drei Kindern. Ich gehe hin und treffe schon vorher eine undeutliche Person mit meinen zwei kleinen Mädchen, die ich dann mit mir nehme, nachdem ich eine Weile mit ihnen gestanden bin. Eine Art Vorwurf gegen meine Frau, daß sie sie dort gelassen hat.

§ 948

Beim Erwachen fühle ich dann große Befriedigung, die ich damit motiviere, daß ich jetzt aus der Analyse erfahren werde, was es bedeutet: Ich habe schon davon geträumt.**)**) Die Analyse lehrt mich aber nichts darüber; sie zeigt mir nur, daß die Befriedigung zum latenten Trauminhalt und nicht zu einem Urteile über den Traum gehört. Es ist die Befriedigung darüber, daß ich in meiner Ehe Kinder bekommen habe. P. ist eine Person, mit der ich ein Stück weit im Leben den gleichen Weg gegangen bin, die mich dann sozial und materiell weit überholt hat, die aber in ihrer Ehe kinderlos geblieben ist. Die beiden Anlässe des Traumes können den Beweis durch eine vollständige Analyse ersetzen. Tags zuvor las ich in der Zeitung die Todesanzeige einer Frau Dona A . . y (woraus ich Doni mache), die im Kindbett gestorben; ich hörte von meiner Frau, daß die Verstorbene von derselben Hebamme gepflegt worden sei wie sie selbst bei unseren beiden Jüngsten. Der Name Dona war mir aufgefallen, denn ich hatte ihn kurz vorher in einem englischen Roman zum erstenmal gefunden. Der andere Anlaß des Traumes ergibt sich aus dem Datum desselben; es war die Nacht vor dem Geburtstage meines ältesten, wie es scheint, dichterisch begabten Knaben.

*) Die noch im Traume enthaltene Mahnung oder der Vorsatz: Das muß ich dem Doktor erzählen, bei Träumen während der psychoanalytischen Behandlung entspricht regelmäßig einem großen Widerstand gegen die Beichte des Traumes und wird nicht selten vom Vergessen des Traumes gefolgt. **) Ein Thema, über welches sich eine weitläufige Diskussion in den letzten Jahrgängen der Revue philosophique angesponnen hat (Paramnesie im Traume). § 949

IV. Dieselbe Befriedigung verbleibt mir nach dem Erwachen aus dem absurden Traume, daß der Vater nach seinem Tode eine politische Rolle bei den Magyaren gespielt, und motiviert sich durch die Fortdauer der Empfindung, ie den letzten Satz des Traumes begleitete:Ich erinnere mich daran, daß er auf dem Totenbette Garibaldi so ähnlich gesehen, und freue mich darüber, daß es doch wahr geworden ist . .. (Dazu eine vergessene Fortsetzung.) Aus der Analyse kann ich nun einsetzen, was in diese Traumlücke gehört. Es ist die Erwähnung meines zweiten Knaben, dem ich den Vornamen einer großen historischen Persönlichkeit gegeben habe, die mich in den Knabenjahren, besonders seit meinem Aufenthalt in England, mächtig angezogen. Ich hatte das Jahr der Erwartung über den Vorsatz, gerade diesen Namen zu verwenden, wenn es ein Sohn würde, und begrüßte mit ihm hoch befriedigt schon den eben Geborenen. Es ist leicht zu merken, wie die unterdrückte Größensucht des Vaters sich in seinen Gedanken auf die Kinder überträgt; ja man wird gern glauben, daß dies einer der Wege ist, auf denen die im Leben notwendig gewordene Unterdrückung derselben vor sich geht. Sein Anrecht, in den Zusammenhang dieses Traumes aufgenommen zu werden, erwarb der Kleine dadurch, daß ihm damals der nämliche — beim Kinde und beim Sterbenden leicht verzeihliche — Unfall widerfahren war, die Wäsche zu beschmutzen. Vergleiche hiezu die Anspielung „Stuhlrichter“ und den Wunsch des Traumes: Vor seinen Kindern groß und rein dazustehen.

§ 950

V. Wenn ich nun Urteilsäußerungen, die im Traume selbst verbleiben, sich nicht ins Wachen fortsetzen oder sich dahin verlegen, heraussuchen soll, so werde ich’s als große Erleichterung empfinden, daß ich mich hiefür solcher Träume bedienen darf, die bereits in anderer Absicht mitgeteilt worden sind. Der Traum von Goethe, der Herrn M. angegriffen hat, scheint eine ganze Anzahl von Urteilsakten zu enthalten. Ich suche mir die zeitlichen Verhältnisse, die mir unwahrscheinlich vorkommen, ein wenig aufzuklären. Sieht das nicht einer kritischen Regung gegen den Unsinn gleich, daß Goethe einen jungen Mann meiner Bekanntschaft literarisch angegriffen haben soll? „Es kommt mir plausibel vor, daß er 18 Jahre alt war.“ Das klingt doch ganz wie das Ergebnis einer allerdings schwachsinnigen Berechnung; und „Ich weiß nicht sicher, welches Jahr wir schreiben“ wäre ein Beispiel von Unsicherheit oder Zweifel im Traume.

§ 951

Nun weiß ich aber aus der Anal se dieses Traumes, daß diese scheinbar erst im Traume vollzogenen Urteilsakte in ihrem Wortlaute eine andere Auffassung zulassen, durch welche sie für die Traumdeutung unentbehrlich werden und gleichzeitig jede Absurdität vermieden wird. Mit dem Satze: „Ich suche mir die zeitlichen Verhältnisse ein wenig aufzuklären“, setze ich mich an die Stelle meines Freundes, der wirklich die zeitlichen Verhältnisse des Lebens aufzuklären sucht. Der Satz verliert hiemit die Bedeutung eines Urteiles, welches sich gegen den Unsinn der vorhergehenden Sätze sträubt. Die Einschaltung, „die mir unwahrscheinlich vorkommt“, gehört zusammen mit dem späteren „Es kommt mir plausibel vor“. Ungefähr mit den gleichen Worten habe ich der Dame, die mir die Krankengeschichte ihres Bruders erzählte, erwidert: Es kommt mir unwahrscheinlich vor, daß der Ausruf „Natur, Natur“, etwas mit Goethe zu tun hatte; es ist mir viel plausibler, daß er die Ihnen bekannte sexuelle Bedeutung gehabt hat.“ Es ist hier allerdings ein Urteil gefällt worden, aber nicht im Traume, sondern in der Realität, bei einer Veranlassung, die von den Traumgedanken erinnert und verwertet wird. Der Trauminhalt eignet sich dieses Urteil an wie irgend ein anderes Bruchstück der Traum— gedanken.

§ 952

Die Zahl 18, mit der das Urteil im Traume unsinnigerweise in Verbindung gesetzt ist, bewahrt noch die Spur des Zusammenhanges, aus dem das reale Urteil gerissen wurde. Endlich daß „ich nicht sicher bin, welches Jahr wir schreiben“, soll nichts anderes als meine Identifizierung mit dem Paralytiker durchsetzen, in dessen Examen sich dieser eine Anhaltspunkt wirklich ergeben hatte.

§ 953

Bei der Auflösung der scheinbaren Urteilsakte des Traumes kann man sich an die eingangs gegebene Regel für die Ausführung der Deutungsarbeit mahnen lassen, daß man den im Traume hergestellten Zusammenhang der Traumbestandteile als einen unwesentlichen Schein beiseite lassen und jedes Traumelement für sich der Zurückführung unterziehen möge. Der Traum ist ein Konglomerat, das fur die Zwecke der Untersuchung wieder zerbröckelt werden soll. Man wird aber anderseits aufmerksam gemacht, daß sich in den Träumen eine psychische Kraft äußert, welche diesen scheinbaren Zusammenhang herstellt, also das durch die Traumarbeit gewonnene Material einer sekundären Bearbeitung unterzieht. Wir haben hier Äußerungen jener Macht vor uns, die wir als das vierte der bei der Traumbildung beteiligten Momente später würdigen werden.

§ 954

VI. Ich suche nach anderen Beispielen von Urteilsarbeit in den bereits mitgeteilten Träumen. In dem absurden Traume von der Zuschrift des Gemeinderates frage ich: Bald darauf hast du geheiratet? Ich rechne, daß ich ja 1856 geboren bin, was mir unmittelbar folgend vorkommt. Das kleidet sich ganz in die Form einer Schlußfolge. Der Vater hat bald nach dem Anfall im Jahre 1851 geheiratet; ich bin ja der Älteste, 1856 geboren; also das stimmt. Wir wissen, daß dieser Schluß durch die Wunscherfüllung verfälscht ist, daß der in den Traumgedanken herrschende Satz lautet: 4 oder 5 Jahre, das ist kein Zeitraum, das ist nicht zu rechnen. Aber jedes Stück dieser Schlußfolge ist nach Inhalt wie nach Form aus den Traumgedanken anders zu determinieren: Es ist der Patient, über dessen Geduld der Kollege sich beschwert, der unmittelbar nach Beendigung der Kur zu heiraten gedenkt. Die Art, wie ich mit dem Vater im Traume verkehre, erinnert an ein Verhör oder ein Examen, und damit an einen Universitätslehrer, der in der Inskriptionsstunde ein vollständiges Nationale aufzunehmen pflegte: Geboren, wann? 1856. — Patre? Darauf sagte man den Vornamen des Vaters mit lateinischer Endung, und wir Studenten nahmen an, der Hofrat ziehe aus dem Vornamen des Vaters Schlüsse, die ihm der Vorname des Inskribierten nicht jedesmal gestattet hätte. Somit wäre das Schlußziehen des Traumes nur die Wiederholung des Schlußziehens, das als ein Stück Material in den Traumgedanken auftritt. Wir erfahren hieraus etwas Neues. Wenn im Trauminhalt ein Schluß vorkommt, so kommt er ja sicherlich aus den Traumgedanken; in diesen mag er aber enthalten sein als ein Stück des erinnerten Materials oder er kann als logisches Band eine Reihe von Traumgedanken miteinander verknüpfen. In jedem Falle stellt der Schluß im Traume einen Schluß aus den Traumgedanken dar.*)*)

§ 955

Die Analyse dieses Traumes wäre hier fortzusetzen. An das Verhör des Professors reiht sich die Erinnerung an den (zu meiner Zeit lateinisch abgefaßten) Index der Universitätsstudenten. Ferner an meinen Studiengang. Die fünf Jahre, die für das medizinische Studium vorgesehen sind, waren wiederum zu wenig für mich. Ich arbeitete unbekümmert in weitere Jahre hinein, und im Kreise meiner Bekannten hielt man mich für verbummelt, zweifelte man, daß ichfertig“ werden würde. Da entschloß ich mich schnell, meine Prüfungen zu machen, und wurde doch fertig; trotz des Aufschubs. Eine neue Verstärkung der Traumgedanken, die ich meinen Kritikern trotzig entgegenhalte. „Und wenn Ihr es auch nicht glauben wollt, weil ich mir Zeit lasse; ich werde doch fertig, ich komme doch zum Schluß. Es ist schon oft so gegangen.“

§ 956

Derselbe Traum enthält in seinem Anfangsstück einige Sätze, denen man den Charakter einer Argumentation nicht gut absprechen kann. Und diese Argumentation ist nicht einmal absurd, sie könnte ebensowohl dem wachen Denken angehören. Ich mache mich im Traume über die Zuschrift es Gemeinderates lustig, denn erstens war ich 1851 noch nicht auf der Welt, zweitens ist mein Vater, auf den es sich beziehen kann, schon tot. Beides ist nicht nur an sich richtig, sondern deckt sich auch völlig mit den wirklichen Argumenten, die ich im Falle einer derartigen Zuschrift in Anwendung bringen würde. Wir wissen aus der früheren Analyse (Seite 266), daß dieser Traum auf dem Boden von tief erbitterten und hohngetränkten Traumgedanken erwachsen ist; wenn wir außerdem noch die Motive zur Zensur als recht starke annehmen dürfen, so werden wir verstehen, daß die Traumarbeit eine tadellose Widerlegung einer unsinnigen Zumutung nach dem in den Traumgedanken enthaltenen Vorbild zu schaffen allen Anlaß hat. Die Analyse zeigt uns aber, daß der Traumarbeit hier doch keine freie Nachschöpfung auferlegt worden ist, sondern daß Material aus den Traumgedanken dazu verwendet werden mußte. Es ist, als kämen in einer algebraischen Gleichung außer den Zahlen ein + und —, ein Potenz- und ein Wurzelzeichen vor, und jemand, der diese Gleichung abschreibt, ohne sie zu verstehen, nähme die Operationszeichen wie die Zahlen in seine Abschrift hinüber, würfe aber dann beiderlei durcheinander. Die beiden Argumente lassen sich auf folgendes Material zurückführen. Es ist mir peinlich, zu denken, daß manche der Voraussetzungen, die ich meiner psychologischen Auflösung der Psychoneurosen zu Grunde lege, wenn sie erst bekannt geworden sind, Unglauben und Gelächter hervorrufen werden. So muß ich behaupten, daß bereits Eindrücke aus dem zweiten Lebensjahre, mitunter auch schon aus dem ersten, eine bleibende Spur im Gemütsleben der später Kranken zurücklassen und — obwohl von der Erinnerung viefach verzerrt und übertrieben — die erste und unterste Begründung für ein hysterisches Symptom abgeben können. Patienten, denen ich dies an passender Stelle auseinandersetze, pflegen die neugewonnene Aufklärung zu parodieren, indem sie sich bereit erklären, nach Erinnerungen aus der Zeit zu suchen, da sie noch nicht am Leben waren. Eine ähnliche Aufnahme dürfte nach meiner Erwartung die Aufdeckung der ungeahnten Rolle finden, welche bei weiblichen Kranken der Vater in den frühesten sexuellen Regungen spielt. (Vgl. die Auseinandersetzung Seite 181.) Und doch ist nach meiner gut begründeten Überzeugung beides wahr. Ich denke zur Bekräftigung an einzelne Beispiele, bei denen der Tod des Vaters in ein sehr frühes Alter des Kindes fiel, und spätere sonst unerklärbare Vorfälle bewiesen, daß das Kind doch Erinnerungen an die ihm so früh entschwundene Person unbewußt bewahrt hatte. Ich weiß, daß meine beiden Behauptungen auf Schlüssen beruhen, deren Gültigkeit man anfechten wird. Es ist also eine Leistung der Wunscherfüllung, wenn gerade das Material dieser Schlüsse, deren Beanständung ich fürchte, von der Traumarbeit zur Herstellung einwandfreier Schlüsse verwendet wird.

*) Diese Ergebnisse korrigieren in einigen Punkten meine früheren Angaben über die Darstellung der logischen Relationen (Seite 228). Letztere beschreiben das allgemeine Verhalten der Traumarbeit, berücksichtigen aber nicht die feinsten und sorgfältigsten Leistungen derselben. § 957

VII. In einem Traume, den ich bisher nur gestreift habe, wird eingangs die Verwunderung über das auftauchende Thema deutlich ausgesprochen.

§ 958

Der alte Brücke muß mir irgend eine Aufgabe gestellt haben; sonderbar genug bezieht sie sich auf Präaration meines eigenen Untergestells, Becken und Beine, das ich vor mir sehe wie im Seziersaal, doch ohne den Mangel am Körper zu spüren, auch ohne Spur von Grauen. Louise N. steht dabei und macht die Arbeit bei mir. Das Becken ist ausgeweidet, man sieht bald die obere, bald die untere Ansicht desselben, was sich vermengt. Dicke, fleischrote Knollen (bei denen ich noch im Traume an Hämorrhoiden denke) sind zu sehen. Auch mußte etwas sorgfältig ausgeklaubt werden, was darüber lag und zerknülltem Silberpapier glich. *)*) Dann war ich wieder im Besitze meiner Beine und machte einen Weg durch die Stadt, nahm aber (aus Müdigkeit) einen Wagen. Der Wagen fuhr zu meinem Erstaunen in ein Haustor hinein, das sich öffnete und ihn durch einen Gang passieren ließ, der am Ende abgeknickt, schließlich weiter ins Freie führte. **)**) Schließlich wanderte ich mit einem alpinen Führer, der meine Sachen trug, durch wechselnde Landschaften. Auf einer Strecke trug er mich mit Rücksicht auf meine müden Beine. Der Boden war sumpfig; wir gingen am Rande hin; Leute saßen am Boden, ein Mädchen unter ihnen, wie Indianer oder Zigeuner. Vorher hatte ich auf dem schlüpfrigen Boden mich selbst weiter bewegt unter steter Verwunderung, daß ich es nach der Präparation so gut kann. Endlich kamen wir zu einem kleinen Holzhaus, das in ein offenes Fenster ausging. Dort setzte mich der Führer ab und legte zwei bereit stehende Holzbretter auf das Fensterbrett, um so den Abgrund zu überbrücken, der vom Fenster aus zu überschreiten war. Ich bekam jetzt wirklich Angst für meine Beine. Anstatt des erwarteten Überganges sah ich aber zwei erwachsene Mauer auf Holzbänken liegen, die an den Wänden der Hütte waren, und wie zwei Kinder schlafend neben ihnen. Als ob nicht die Bretter, sondern die Kinder den Übergang ermöglichen sollten. Ich erwache mit Gedankenschreck.

§ 959

Wer sich nur einmal einen ordentlichen Eindruck von der Ausgiebigkeit der Traumverdichtung geholt hat, der wird sich leicht vorstellen können, welche Anzahl von Blättern die ausführliche Analyse dieses Traumes einnehmen muß. Zum Glück für den Zusammenhang entlehne ich dem Traume aber bloß das eine Beispiel für die Verwunderung im Traume, die sich in der Einschaltung „sonderbar genug“ kundgibt. Ich gehe auf den Anlaß des Traumes ein. Es ist ein Besuch jener Dame Louise N., die auch im Traume der Arbeit assistiert. „Leih’ mir etwas zum Lesen.“ Ich biete ihr „She“ von Rider Haggard an. Ein „sonderbares Buch, aber voll von verstecktem Sinne“, will ich ihr auseinandersetzen; „das ewig Weib liche, die Unsterblichkeit unserer Affekte – —“ Da unterbricht sie mich: Das kenne ich schon. Hast du nichts eigenes? — „Nein, meine eigenen unsterblichen Werke sind noch nicht geschrieben.“ — Also wann erscheinen denn deine sogenannten letzten Aufklärungen, die, wie du versprichst, auch für uns lesbar sein werden? fragt sie etwas anzüglich. Ich merke jetzt, daß mich ein anderer durch ihren Mund mahnen läßt, und verstumme. Ich denke an die Überwindung, die es mich kostet, auch nur die Arbeit über den Traum, in der ich soviel vom eigenen intimen Wesen preisgeben muß, in die Öffentlichkeit zu schicken. „Das beste, was du wissen kannst, darfst du den Buben doch nicht sagen.“ Die Präparation am eigenen Leib, die mir im Traume aufgetragen wird, ist also die mit der Mitteilung der Träume verbundene Selbstanalyse. Der alte Brücke kommt mit Recht hiezu; schon in diesen ersten Jahren wissenschaftlicher Arbeit traf es sich, daß ich einen Fund liegen ließ, bis sein energischer Auftrag mich zur Veröffentlichung zwang. Die weiteren Gedanken aber, die sich an die Unterredung mit Louise N. anspinnen, greifen zu tief, um bewußt zu werden; sie erfahren eine Ablenkung über das Material, das in mir nebstbei durch die Erwähnung der „She“ von Rider Haggard geweckt worden ist. Auf dieses Buch und auf ein zweites desselben Autors, „Heart of the world“, geht das Urteil „sonderbar genug“, und zahlreiche Elemente des Traumes sind den beiden phantastischen Romanen entnommen. Der sumpfige Boden, über den man getragen wird, der Abgrund, der mittels der mitgebrachten Bretter zu überschreiten ist, stammen aus der „She“; die Indianer, das Mädchen, das Holzhaus aus „Heart of the world“. In beiden Romanen ist eine Frau die Führerin, in beiden handelt es sich um gefährliche Wanderungen, in She um einen abenteuerlichen Weg ins Unentdeckte, kaum je Betretene. Die müden Beine sind nach einer Notiz, die ich bei dem Traume finde, reale Sensation jener Tage gewesen. Wahrscheinlich entsprach ihnen eine müde Stimmung und die zweifelnde Frage: Wie weit werden mich meine Beine noch tragen? In der „She“ endet das Abenteuer damit, daß die Führerin, anstatt sich und den anderen die Unsterblichkeit zu holen, im geheimnisvollen Zentralfeuer den Tod findet. Eine solche Angst hat sich unverkennbar in den Traumgedanken geregt. Das „Holzhaus“ ist sicherlich auch der Sarg, also das Grab. Aber in der Darstellung dieses unerwünschtesten aller Gedanken durch eine Wunscherfüllung hat die Traumarbeit ihr Meisterstück geleistet. Ich war nämlich schon einmal in einem Grabe, aber es war ein ausgeräumtes Etrnskergrab bei Orvieto, eine schmale Kammer mit zwei Steinbänken an den Wänden, auf denen die Skelette von zwei Erwachsenen gelagert waren. Genau so sieht das Innere des Holzhauses im Traume aus, nur ist Stein durch Holz ersetzt. Der Traum scheint zu sagen: „Wenn du schon im Grabe weilen sollst, so sei es das Etruskergrab,“ und mit dieser Unterschiebung verwandelt er die traurigste Erwartung in eine recht erwünschte. Leider

*) Stanniol, Anspielung auf Stannius, Nervensystem der Fische, vgl. S. 252. **) Die Örtlichkeit im Flure meines Wohnhauses, wo die Kinderwagen der Parteien stehen; sonst aber mehrfach überbestimmt. § 960

VIII. In dem Zusammenhang eines anderen Traumes findet sich gleichfalls ein Ausdruck der Verwunderung über das im Traume Erlebte, aber verknüpft mit einem so auffälligen, weit hergeholten und beinahe geistreichen Erklärungsversuche, daß ich bloß seinetwegen den ganzen Traum der Analyse unterwerfen müßte, auch wenn der Traum nicht noch zwei andere Anziehungspunkte für unser Interesse besäße. Ich reise in der Nacht vom 18. auf den 19. Juli auf der Südbahnstrecke und höre im Schlafe: „Hollthurn, 10 Minuten ausrufen. Ich denke sofort an Holothurien — ein naturhistorisches Museum —, daß hier ein Ort ist, wo sich tapfere Männer erfolglos gegen die Übermacht ihres Landesherrn gewehrt haben. —Ja, die Gegenreformation in Österreich! — Als ob es ein Ort in Steiermark oder Tirol wäre. Nun sehe ich undeutlich ein kleines Museum, in dem die Reste oder Erwerbungen dieser Männer aufbewahrt werden. Ich möchte aussteigen, verzögere es aber. Es stehen Weiber mit Obst auf dem Perron, sie kauern auf dem Boden und halten die Körbe so einladend hin. — Ich habe gezögert aus Zweifel, ob wir noch Zeit haben, und jetzt stehen wir noch immer. — Ich bin plötzlich in einem anderen Coupé, in dem Leder und Sitze so schmal sind, daß man mit dem Rücken direkt an die Lehne stößt. *)*) Ich wundere mich darüber, aber ich kann ja im schlafenden Zustand umgestiegen sein. Mehrere Leute, darunter ein englisches Geschwisterpaar; eine Reihe Bücher deutlich auf einem Gestell an der Wand. Ich sehe „Wealth of nations“, „Matter and Motion“ (von Maxwell), dick und in braune Leinwand gebunden. Der Mann fragt die Schwester nach einem Buche von Schiller, ob sie das vergessen hat. Es sind die Bücher bald wie die meinen, bald die der Beiden. Ich möchte mich da bestätigend oder unterstützend ins Gespräch mengen — — —. Ich wache, am ganzen Körper schwitzend, auf, weil alle Fenster geschlossen sind. Der Zug hält in Marburg.

§ 961

Während der Niederschrift fällt mir ein Traumstück ein, das die Erinnerung übergeben wollte. Ich sage dem Geschwister paare auf ein gewisses Werk: It is from . . ., korrigiere mich aber: It is by. .. Der Mann bemerkt zur Schwester: Er hat es ja richtig gesagt.

*) Diese Beschreibung ist für mich selbst nicht verständlich. aber ich folge dem Grundsatze, den Traum in jenen Worten wiederzugeben, die mir beim Niederschreiben einfallen. Die Wortfassung ist selbst ein Stück der Traumdarstellung. § 962

Der Traum beginnt mit dem Namen der Station, der mich wohl unvollkommen geweckt haben muß. Ich ersetze diesen Namen, der Marburg lautete, durch Hollthurn. Daß ich Marburg beim ersten oder vielleicht bei einem späteren Ausrufen gehört habe, beweist die Erwähnung Schillers im Traume, der ja in Marburg, wenngleich nicht im steirischen, geboren ist.*)*) Nun reiste ich diesmal, obwohl erster Klasse, unter sehr unangenehmen Verhältnissen. Der Zug war überfüllt, in dem Coupé hatte ich einen Herrn und eine Dame angetroffen, die sehr vornehm schienen und nicht die Lebensart besaßen oder es nicht der Mühe wert hielten, ihr Mißvergnügen über den Eindringling, irgendwie zu verbergen. Mein höflicher Gruß wurde nicht erwidert; obwohl Mann und Frau nebeneinander saßen (gegen die Fahrtrichtung), beeilte sich die Frau doch, den Platz ihr gegenüber am Fenster vor meinen Augen mit einem Schirme zu belegen; die Tür wurde sofort geschlossen, demonstrative Reden über das Öffnen der Fenster gewechselt. Wahrscheinlich sah man mir den Lufthunger bald an. Es war eine heiße Nacht und die Luft im allseitig abgeschlossenen Coupé bald zum Ersticken. Nach meinen Reiseerfahrungen kennzeichnet ein so rücksichtslos übergreifendes Benehmen Leute, die ihre Karte nicht oder nur halb bezahlt haben. Als der Kondukteur kam und ich mein teuer erkauftes Billett vorzeigte, tönte es aus dem Munde der Dame unnahbar und wie drohend: Mein Mann hat Legitimation. Sie war eine stattliche Erscheinung mit mißvergnügten Zügen, im Alter nicht weit von der Zeit des Verfalls weiblicher Schönheit; der Mann kam überhaupt nicht zu Worte, er saß regungslos da. Ich versuchte zu schlafen. Im Traume nehme ich fürchterliche Rache an meinen unliebenswürdigen Reisegefährten; man würde nicht ahnen, welche Beschimpfungen und Demütigungen sich hinter den abgerissenen Brocken der ersten Traumhälfte verbergen. Nachdem dies Bedürfnis befriedigt war, machte sich der zweite Wunsch geltend, das Coupé zu wechseln. Der Traum wechselt so oft die Szene, und ohne daß der mindeste Anstoß an der Veränderung genommen wird, daß es nicht im geringsten auffällig gewesen wäre, wenn ich mir alsbald meine Reisegesellschaft durch eine angenehmere aus meiner Erinnerung ersetzt. hätte. Hier aber tritt der Fall ein, daß irgend etwas den Wechsel der Szene beanständete und es für notwendig hielt, ihn zu erklären. Wie kam ich plötzlich in ein anderes Coupé? Ich konnte mich doch nicht erinnern umgestiegen zu sein. Da gab es nur eine Erklärung: ich mußte im schlafenden Zustand den Wagen verlassen haben, ein seltenes Vorkommnis, wofür aber doch die Erfahrung des Neuropathologen Beispiele liefert. Wir wissen von Personen, die Eisenbahnfahrten in einem Dämmerzustand unternehmen, ohne durch irgend ein Anzeichen ihren abnormen Zustand zu verraten, bis sie an irgend einer Station der Reise voll zu sich kommen und dann die Lücke in ihrer Erinnerung bestaunen. Für einen solchen Fall von „Automatisme ambulatoire“ erkläre ich also noch im Traume den meinigen.

*) [Schiller ist nicht in einem Marburg, sondern in Murbach geboren, wie jeder deutsche Gymnasiast weiß, und wie auch ich wußte. Es ist dies wieder einer jener Irrtümer (vgl. Seite 139), die sich als Ersatz für eine absichtliche Verfälschung an anderer Stelle einschleichen, und deren Aufklärung ich in der „Psychopathologie des Alltagslebens“ versucht habe.] § 963

Die Analyse gestattet eine andere Auflösung zu geben. Der Erklärungsversuch, der mich so frappiert, wenn ich ihn der Traumarbeit zuschreiben mußte, ist nicht originell, sondern aus der Neurose eines meiner Patienten kopiert. Ich erzählte bereits an anderer Stelle von einem hochgebildeten und im Leben weichherzigen Manne, der kurz nach dem Tode seiner Eltern begann, sich mörderischer Neigungen anzuklagen, und nun unter den Vorsichtsmaßregeln litt, die er zur Sicherung gegen dieselben treffen mußte. Es war ein Fall von schweren Zwangsvorstellungen bei voll erhaltener Einsicht. Zuerst wurde ihm das Passieren der Straße durch den Zwang verleidet, sich von allen Begegnenden Rechenschaft abzulegen, wohin sie verschwunden seien; entzog sich einer plötzlich seinem verfolgenden Blicke, so blieb ihm die peinliche Empfindung und die Möglichkeit in Gedanken, er könnte ihn beseitigt haben. Es war unter anderem eine Kainsphantasie dahinter, denn „alle Menschen sind Brüder“. Wegen der Unmöglichkeit, diese Aufgabe zu erledigen, gab er das Spazierengehen auf und verbrachte sein Leben eingekerkert zwischen seinen vier Wänden. In sein Zimmer gelangten aber durch die Zeitung beständig Nachrichten von Mordtaten, die draußen geschehen waren, und sein Gewissen wollte ihm in der Form des Zweifels nahe legen, daß er der gesuchte Mörder sei. Die Gewißheit, daß er ja seit Wochen seine Wohnung nicht verlassen habe, schätzte ihn in eine Weile gegen diese Anklagen, bis ihm eines Tages die Möglichkeit durch den Sinn fuhr, daß er sein Haus im bewußtlosen Zustand verlassen und so den Mord begangen haben könne, ohne etwas davon zu wissen. Von da an schloß er die Haustür ab, übergab den Schlüssel der alten Haushälterin und verbot ihr eindringlich, denselben auch nicht auf sein Verlangen in seine Hände gelangen zu lassen.

§ 964

Daher stammt also der Erklärungsversuch, daß ich im bewußtlosen Zustand umgestiegen bin —, er ist aus dem Material der Traumgedanken fertig in den Traum eingetragen worden und soll im Trauma offenbar dazu dienen, mich mit der Person jenes Patienten zu identifizieren. Die Erinnerung an ihn wurde in mir durch naheliegende Assoziation geweckt. Mit diesem Manne hatte ich einige Wochen vorher die letzte Nachtreise gemacht. Er war geheilt, begleitete mich in die Provinz zu seinen Verwandten, die mich beriefen; wir hatten ein Coupé für uns, ließen alle Fenster die Nacht hindurch offen und hatten uns, solange ich wach blieb, vortrefflich unterhalten. Ich wußte, daß feindselige Impulse gegen seinen Vater aus seiner Kindheit in sexuellem Zusammenhange die Wurzel seiner Erkrankung gewesen waren. Indem ich mich also mit ihm identifizierte, wollte ich mir etwas Analoges eingestehen. Die zweite Szene des Traumes löst sich auch wirklich in eine übermütige Phantasie auf, daß meine beiden ältlichen Reisegefährten sich darum so abweisend gegen mich benehmen, weil ich sie durch mein Kommen an dem beabsichtigten nächtlichen Austausch von Zärtlichkeiten gehindert habe. Diese Phantasie aber geht auf eine frühe Kinderszene zurück, in der das Kind, wahrscheinlich von sexueller Neugierde getrieben, in das Schlafzimmer der Eltern eindringt und durch das Machtwert des Vaters daraus vertrieben wird.

§ 965

Ich halte es für überflüssig, weitere Beispiele zu häufen. Sie würden alle nur bestätigen, was wir aus den bereits angeführten entnommen haben, daß ein Urteilsakt im Traume nur die Wiederholung eines Vorbildes aus dem Traumgedanken ist. Zumeist eine übel angebrachte, in unpassendem Zusammenhange eingefügte Wiederholung, gelegentlich aber, wie in unseren letzten Beispielen, eine so geschickt verwendete, daß man zunächst den Eindruck einer selbständigen Denktätigkeit im Traume empfangen kann. Von hier aus könnten wir unser Interesse jener psychischen Tätigkeit zuwenden, die zwar nicht regelmäßig bei der Traumbildung mitzuwirken scheint, die aber, wo sie es tut, bemüht ist, die nach ihrer Herkunft disparaten Traumelemente widerspruchsfrei und sinnvoll zu verschmelzen. Wir empfinden es aber vorher noch als dringlich, uns mit den Affektäußerungen zu beschäftigen, die im Traume auftreten, und dieselben mit den Affekten zu vergleichen, welche die Analyse in den Traumgedanken aufdeckt.

§ 966

g) Die Affekte im Traume.

§ 967

Eine scharfsinnige Bemerkung von Stricker 77) hat uns aufmerksam gemacht, daß die Affektäußerungen des Traumes nicht die geringschätzige Art der Erledigung gestatten, mit der wir erwacht den Trauminhalt abzuschütteln pflegen. „Wenn ich mich im Traume vor Räubern fürchte, so sind die Räuber zwar imaginär, aber die Furcht ist real,“ und ebenso geht es, wenn ich mich im Traume freue. Nach dem Zeugnisse unserer Empfindung ist der im Traume erlebte Affekt keineswegs minderwertig gegen den im Wachen erlebten von gleicher Intensität, und energischer als mit seinem Vorstellungsinhalte, erhebt der Traum mit seinem Affektinhalt den Anspruch, unter die wirklichen Erlebnisse unserer Seele aufgenommen zu werden. Wir bringen diese Einreihung nun im Wachen nicht zu stande, weil wir einen Affekt nicht anders psychisch zu würdigen verstehen als in der Verknüpfung mit einem Vorstellungsinhalt. Passen Affekt und Vorstellung der Art und der Intensität nach nicht zueinander, so wird unser waches Urteil irre.

§ 968

An den Träumen hat immer Verwunderung erregt, daß Vorstellungsinhalte nicht die Affektwirkung mit sich bringen, die wir als notwendig im wachen Denken erwarten würden. Strümpell äußerte, im Traume seien die Vorstellungen von ihren psychischen Werten entblößt. Es fehlt im Traume aber auch nicht am gegenteiligen Vorkommen, daß intensive Affektäußerung bei einem Inhalt auftritt, der zur Entbindung von Affekt keinen Anlaß zu bieten scheint. Ich bin im Traume in einer gräßlichen, gefahrvollen ekelhaften Situation, verspüre aber dabei nichts von Furcht oder Abscheu; hingegen entsetze ich mich andere Male über harmlose, und freue mich über kindische Dinge.

§ 969

Dieses Rätsel des Traumes verschwindet uns so plötzlich und so vollständig wie vielleicht kein anderes der Traumrätsel, wenn wir vom manifesten Trauminhalt zum latenten übergehen. Wir werden mit seiner Erklärung nichts zu schaffen haben, denn es besteht nicht mehr. Die Analyse lehrt uns, daß die Vorstellungsinhalte Verschiebungen und Ersetzungen erfahren haben, während die Affekte unverrückt geblieben sind. Kein Wunder, daß der durch die Traumentstellung veränderte Vorstellungsinhalt zum erhalten gebliebenen Affekt dann nicht mehr paßt; aber auch keine Verwunderung mehr, wenn die Analyse den richtigen Inhalt an seine frühere Stelle eingesetzt hat.

§ 970

An einem psychischen Komplex, welcher die Beeinflussung der Widerstandszensur erfahren hat, sind die Affekte der resistente Anteil, der uns allein den Fingerzeig zur richtigen Ergänzung geben kann. Deutlicher noch als beim Traume enthüllt sich dies Verhältnis bei den Psychoneurosen. Der Affekt hat hier immer Recht wenigstens seiner Qualität nach; seine Intensität ist ja durch Verschiebungen der neurotischen Aufmerksamkeit zu steigern. Wenn der Hysteriker sich wundert, daß er sich von einer Kleinigkeit so sehr fürchten muß, oder der Mann mit Zwangsvorstellungen, daß ihm aus einer Nichtigkeit ein so peinlicher Vorwurf erwächst, so gehen beide irre, indem sie den Vorstellungsinhalt— die Kleinigkeit oder die Nichtigkeit— für das Wesentliche nehmen, und sie wehren sich erfolglos, indem sie diesen Vorstellungsinhalt zum Ausgangspunkte ihrer Denkarbeit machen. Die Psychoanalyse zeigt ihnen dann den richtigen Weg, indem sie im Gegenteil den Affekt als berechtigt anerkennt, und die zu ihm gehörige, durch eine Ersetzung verdrängte Vorstellung aufsucht. Voraussetzung ist dabei, daß Affektentbindung und Vorstellungsinhalt nicht diejenige unauflösbare organische Einheit bilden als welche wir sie zu behandeln gewöhnt sind, sondern daß beide Stücke aneinander gelötet sein können, so daß sie durch Analyse voneinander lösbar sind. Die Traumdeutung zeigt, daß dies in der Tat der Fall ist.

§ 971

Ich bringe zuerst ein Beispiel, in dem die Analyse das scheinbare Ausbleiben des Affekts bei einem Vorstellungsinhalt aufklärt, der Affektentbindung erzwingen sollte.

§ 972

I. Sie sieht in einer Wüste drei Löwen, von denen einer lacht, fürchtet sich aber nicht vor ihnen. Dann muß sie doch vor ihnen geflüchtet sein, denn sie will auf einen Baum klettern, findet aber ihre Cousine, die französische Lehrerin ist, schon oben u. s. w.

§ 973

Dazu bringt die Analyse folgendes Material: Der indifferente Anlaß zum Traume ist ein Satz ihrer englischen Aufgabe geworden: Die Mähne ist der Schmuck des Löwen. Ihr Vater trug einen solchen Bart, der wie eine Mähne das Gesicht umrahmte. ihre englische Sprachlehrerin heißt Miß Lyons (Lions = Löwen). Ein Bekannter hat ihr die Balladen von Loewe zugeschickt. Das sind also die drei Löwen; warum sollte sie sich vor ihnen fürchten? — Sie hat eine Erzählung gelesen, in welcher ein Neger, der die anderen zum Aufstand aufgehetzt, mit Bluthunden gejagt wird und zu seiner Rettung auf einen Baum klettert. Dann folgen in übermütigster Stimmung Erinnerungsbrocken wie die: Die Anweisung, wie man Löwen fängt, aus den „Fliegenden Blättern“: Man nehme eine Wüste und siebe sie durch, dann bleiben die Löwen übrig. Ferner die höchst lustige, aber nicht sehr anständige Anekdote von einem Beamten, der gefragt wird, warum er sich denn nicht um die Gunst seines Chefs ausgiebiger bemühe, und der zur Antwort gibt, er habe sich wohl bemüht da hineinzukriechen, aber sein Vordermann war schon oben. Das ganze Material wird verständlich, wenn man erfährt, daß die Dame am Traumtage den Besuch des Vorgesetzten ihres Mannes empfangen hatte. war sehr höflich mit ihr, küßte ihr die Hand, und sie fürchtete sich gar nicht vor ihm, obwohl er ein sehr „großes Tier“ ist und in der Hauptstadt ihres Landes die Rolle eines „Löwen der Gesellschaft“ spielt. Dieser Löwe ist also vergleichbar dem Löwen im Sommernachtstraume, der sich als Schnock, der Schreiner demaskiert, und so sind alle Traumlöwen, vor denen man sich nicht fürchtet.

§ 974

II. Als zweites Beispiel ziehe ich den Traum jenes Mädchens heran, das den kleinen Sohn ihrer Schwester als Leiche im Sarg liegen sah, dabei aber, wie ich jetzt hinzufüge, keinen Schmerz und keine Trauer verspürte. Wir wissen aus der Analyse, warum nicht. Der Traum verhüllte nur ihren Wunsch, den geliebten Mann wiederzusehen; der Affekt mußte auf den Wunsch abgestimmt sein und nicht auf dessen Verhüllung. Es war also zur Trauer gar kein Anlaß.

§ 975

In einer Anzahl von Träumen bleibt der Affekt wenigstens noch in Verbindung mit jenem Vorstellungsinhalt, welcher den zu ihm passenden ersetzt hat. In anderen geht die Auflockerung des Komplexes weiter. Der Affekt erscheint völlig gelöst von seiner zugehörigen Vorstellung, und findet sich irgendwo anders im Traume untergebracht, wo er in die neue Anordnung der Traumelemente hineinpaßt. Es ist dann ähnlich, wie wir’s bei den Urteilsakten des Traumes erfahren haben. Findet sich in den Traumgedanken ein bedeutsamer Schluß, so enthält auch der Traum einen solchen; aber der Schluß im Traume kann auf ein ganz anderes Material verschoben sein. Nicht selten erfolgt diese Verschiebung nach dem Prinzip der Gegensätzlichkeit.

§ 976

Die letztere Möglichkeit erläutere ich an folgendem Traumbeispiele, das ich der erschöpfendsten Analyse unterzogen habe.

§ 977

III. Ein Schloß am Meere, später liegt es nicht direkt am Meere, sondern an einem schmalen Kanal, der ins Meer führt. Ein Herr P. ist der Gouverneur. Ich stehe mit ihm in einem großen dreifenstrigen Salon, vor dem sich Mauervorsprünge wie Festungszinnen erheben. Ich bin etwa als freiwilliger Marineoffizier der Besatzung zugeteilt. Wir befürchten das Eintreffen von feindlichen Kriegsschiffen, da wir uns im Kriegszustand befinden. Herr P. hat die Absicht wegzugehen; er erteilt mir Instruktionen, was in dem befürchteten Falle zu geschehen hat. Seine kranke Frau befindet sich mit den Kindern im gefährdeten Schlosse. Wenn das Bombardement beginnt, soll der große Saal geräumt werden. Er atmet schwer und will sich entfernen; ich halte ihn zurück und frage, auf welche Weise ich ihm nötigenfalls Nachricht zukommen lassen soll. Darauf sagt er noch etwas, sinkt aber gleich darauf tot um. Ich habe ihn wohl mit den Fragen überflüssigerweise angestrengt. Nach seinem Tode, der mir weiter keinen Eindruck macht, Gedanken, ob die Witwe im Schlosse bleiben wird, ob ich dem Oberkommando den Tod anzeigen und als der nächste im Befehl die Leitung des Schlosses übernehmen soll. Ich stehe nun am Fenster und mustere die vorbeifahrenden Schiffe; es sind Kauffahrer, die auf dem dunklen Wasser rapid vorbeisausen, einige mit mehreren Kaminen, andere mit bauschiger Decke (die ganz ähnlich ist, wie die Bahnhofsbauten im [nicht erzählten] Vortraume).Dann steht mein Bruder neben mir und wir schauen beide aus dem Fenster auf den Kanal. Bei einem Schiffe erschrecken wir und rufen: Da kommt das Kriegsschiff. Es zeigt sich aber, daß nur dieselben Schiffe zurückkehren, die ich schon kenne. Nun kommt ein kleines Schiff, komisch abgeschnitten, so daß es mitten in seiner Breite endigt; auf Deck sieht man eigentümliche becher- oder dosenartige Dinge. Wir rufen wie aus einem Munde: Das ist das Frühstücksschiff.

§ 978

Die rasche Bewegung der Schiffe, das tiefdunkle Blau des Wassers, der braune Rauch der Kamine, das alles ergibt zusammen einen hochgespannten, düsteren Eindruck.

§ 979

Die Örtlichkeiten in diesem Traume sind aus mehreren Reisen an die Adria zusammengetragen (Miramare, Duino, Venedig, Aquileja). Eine kurze, aber genußreiche Osterfahrt nach Aquileja mit meinem Bruder, wenige Wochen vor dem Traume, war mir noch in frischer Erinnerung. Auch der Seekrieg zwischen Amerikas und Spanien und an ihn geknüpfte Besorgnisse um das Schicksal meiner in Amerika lebenden Verwandten spielen mit hinein. An zwei Stellen dieses Traumes treten Affektwirkungen hervor. An der einen Stelle bleibt ein zu erwartender Affekt aus, es wird ausdrücklich hervorgehoben, daß mir der Tod des Gouverneurs keinen Eindruck macht; an einer anderen Stelle, wie ich das Kriegsschiff zu sehen glaube, erschrecke ich und verspüre im Schlafe alle Sensationen des Schreckens. Die Unterbringung der Affekte ist in diesem gut gebauten Traume so erfolgt, daß jeder auffällige Widerspruch vermieden ist. Es ist ja kein Grund, daß ich beim Tode des Gouverneurs erschrecken sollte, und es ist wohl angebracht, daß ich als Kommandant des Schlosses bei dem Anblicke des Kriegsschiffes erschrecke. Nun weist aber die Analyse nach, daß Herr P. nur ein Ersatzmann für mein eigenes Ich ist (im Traume bin ich sein Ersatzmann). Ich bin der Gouverneur, der plötzlich stirbt. Die Traumgedanken handeln von der Zukunft der Meinigen nach meinem vorzeitigen Tode. Kein anderer peinlicher Gedanke findet sich in den Traumgedanken. Der Schreck, der im Traume an den Anblick des Kriegsschiffes gelötet ist, muß von dort losgemacht und hieher gesetzt werden. Umgekehrt zeigt die Analyse, daß die Region der Traumgedanken, aus der das Kriegsschiff genommen ist, mit den heitersten Reminiszenzen erfüllt ist. Es war ein Jahr vorher in Venedig, wir standen an einem zauberhaft schönen Tage an den Fenstern unseres Zimmers auf der Riva Schiavoni und schauten auf die blaue Lagune, in der heute mehr Bewegung zu finden war als sonst. Es wurden englische Schiffe erwartet, die feierlich empfangen werden sollten, und plötzlich rief meine Frau heiter wie ein Kind: Da kommt das englische Kriegsschiff! Im Traume erschrecke ich bei den nämlichen Worten; wir sehen wieder, daß Rede im Traume von Rede im Leben abstammt. Daß auch das Element „englisch“ in dieser Rede für die Traumarbeit nicht verloren gegangen ist, werde ich alsbald zeigen. Ich verkehre also hier zwischen Traumgedanken und Trauminhalt Fröhlichkeit in Schreck, und brauche nur anzudeuten, daß ich mit dieser Verwandlung selbst ein Stück des latenten Trauminhalts zum Ausdruck bringe. Das Beispiel beweist aber, daß es der Traumarbeit freisteht, den Affektanlaß aus seinen Verbindungen in den Traumgedanken zu lösen und beliebig wo anders im Trauminhalt einzufügen.

§ 980

Ich ergreife die nebstbei sich bietende Gelegenheit das „Frühstücksschiff“, dessen Erscheinen im Traume eine rationell festgehaltene Situation so unsinnig abschließt, einer näheren Analyse zu unter ziehen. Wenn ich das Traumobjekt besser ins Auge fasse, so fällt mir nachträglich auf, daß es schwarz war und durch sein Abschneiden in seiner größten Breite an diesem Ende eine weitgehende Ähnlichkeit mit einem Gegenstand erzielte, der uns in den Museen etruskischer Städte interessant geworden war. Es war dies eine rechteckige Tasse aus schwarzem Ton, mit zwei Henkeln, auf der Dinge wie Kaffee- oder Teetassen standen, nicht ganz unähnlich einem unserer modernen Service für den Frühstücktisch. Auf Befragen erfuhren wir, das sei die Toilette einer etruskischen Dame mit den Schminkeund Puderbüchsen darauf; und wir sagten uns im Scherze, es wäre nicht übel, so ein Ding der Hausfrau mitzubringen. Das Traumobjekt bedeutet also — schwarze Toilette, Trauer und spielt direkt auf einen Todesfall an. Mit dem anderen Ende mahnt das Traumobjekt an den „Nachen“ vom Stamme νέχυζ, wie mein sprachgelehrter Freund mir mitgeteilt, auf den in Vorzeiten die Leiche gelegt und dem Meere zur Bestattung überlassen wurde. Hieran reiht sich, warum im Traume die Schiffe zurückkehren.

§ 981

„Still, auf gerettetem Boote, treibt in den Hafen der Greis.“

§ 982

Es ist die Rückfahrt nach dem Schiffbruche, das Frühstücksschiff ist ja wie in seiner Breite abgebrochen. Woher aber der Name „Frühstücks“schiff? Hier kommt nun das „Englische“ zur Verwendung, das wir bei den Kriegsschiffen erübrigt haben. Frühstück = breakfast, Fastenbrecher. Das Brechen gehört wieder zum Schiff bruche, das Fasten schließt sich der schwarzen Toilette an.

§ 983

An diesem Frühstücksschiffe ist aber nur der Name vom Traume neugebildet. Das Ding hat existiert und mahnt mich an eine der heitersten Stunden der letzten Reise. Der Verpflegung in Aquileja mißtrauend, hatten wir uns von Görz Eßwaren mitgenommen, eine Flasche des vorzüglichen Istrianer Weines in Aquileja eingekauft, und während der kleine Postdampfer durch den Kanal delle Mee langsam in die öde Lagunenstrecke nach Grado fuhr, nahmen wir, die einzigen Passagiere, in heiterster Laune auf Deck das Frühstück ein, das uns schmeckte wie selten eines zuvor. Das war also das „Frühstücksschiff“, und gerade hinter dieser Reminiszenz frohesten Lebensgenusses verbirgt der Traum die betrübendsten Gedanken an eine unbekannte und unheimliche Zukunft.

§ 984

Die Ablösung der Affekte von den Vorstellungsmassen, die ihre Entbindung hervorgerufen haben, ist das Auffälligste, was ihnen bei der Traumbildung widerfährt, aber weder die einzige noch die wesentlichste Veränderung, die sie auf dem Wege von den Traumgedanken zum manifesten Traume erleiden. Vergleicht man die Affekte in den Traumgedanken mit denen im Traume, so wird eines sofort klar: Wo sich im Traume ein Affekt findet, da findet er sich auch in den Traumgedanken, aber nicht umgekehrt. Der Traum ist im allgemeinen affektarmer als das psychische Material, aus dessen Bearbeitung er hervorgegangen ist. Wenn ich die Traumgedanken rekonstruiert habe, so übersehe ich, wie in ihnen regelmäßig die intensivsten Seelenregungen nach Geltung ringen, zumeist im Kampfe mit anderen, die ihnen scharf zuwiderlaufen. Blicke ich dann auf den Traum zurück, so finde ich ihn nicht selten farblos, ohne jeden intensiveren Gefühlston. Es ist durch die Traumarbeit nicht bloß der Inhalt, sondern auch oft der Gefühlston meines Denkens auf das Niveau des Indifferenten gebracht. Ich könnte sagen, durch die Traumarbeit wird eine Unterdrückung der Affekte zu stande gebracht. Man nehme z. B. den Traum von der botanischen Monographie. Ihm entspricht im Denken ein leidenschaftlich bewegtes Plaidoyer für meine Freiheit, so zu handeln, wie ich handle, mein Leben so einzurichten, wie es mir einzig und allein richtig scheint. Der daraus hervorgegangene Traum klingt gleichgültig: Ich habe eine Monographie geschrieben, sie liegt vor mir, ist mit farbigen Tafeln versehen, getrocknete Pflanzen sind jedem Exemplar beigelegt. Es ist wie die Ruhe eines Leichenfeldes; man verspürt nichts mehr vom Toben der Schlacht.

§ 985

Es kann auch anders ausfallen, in dem Traume selbst können lebhafte Affektäußerungen eingehen; aber wir wollen zunächst bei der unbestreitbaren Tatsache verweilen, daß so viele Träume indifferent erscheinen, während man sich in die Traumgedanken nie ohne tiefe Ergriffenheit versetzen kann.

§ 986

Die volle theoretische Aufklärung dieser Affektunterdrückung während der Traumarbeit ist hier nicht zu geben; sie würde das sorgfältigste Eindringen in die Theorie der Affekte und in den Mechanismus der Verdrängung voraussetzen. Ich will nur zwei Gedanken hier eine Erwähnung gönnen. Die Affektentbindung bin ich — aus anderen Gründen — genötigt mir als einen zentrifugalen, gegen das Körperinnere gerichteten Vorgang vorzustellen, analog den motorischen und sekretorischen Innervationsvorgängen. Wie nun im Schlafzustand die Aussendung motorischer Impulse gegen die Außenwelt aufgehoben erscheint, so könnte auch die zentrifugale Erweckung von Affekten durch das unbewußte Denken während des Schlafes erschwert sein. Die Affektregungen, die während des Ablaufes der Traumgedanken zu stande kommen, wären also an und für sich schwache Regungen, und darum die in den Traum gelangenden auch nicht stärker. Nach diesem Gedankengange wäre die „Unterdrückung der Affekte“ überhaupt kein Erfolg der Traumarbeit, sondern eine Folge des Schlafzustandes. Es mag so sein, aber es kann unmöglich alles sein. Wir müssen auch daran denken, daß jeder zusammengesetztere Traum sich auch als das Kompromißergebnis eines Widerstreites psychischer Mächte enthüllt hat. Einerseits haben die wunschbildenden Gedanken gegen den Widerspruch einer zensurierenden Instanz anzukämpfen, anderseits haben wir oft gesehen, daß im unbewußten Denken selbst ein jeder Gedankenzug mit seinem kontradiktorischen Gegenteil zusammengespannt war. Da alle diese Gedankenzüge affektfähig sind, so werden wir im ganzen und großen kaum irre gehen, wenn wir die Affektunterdrückung auffassen als Folge der Hemmung, welche die Gegensätze gegeneinander, und die Zensur gegen die von ihr unterdrückten Strebungen übt. Die Affekthemmung wäre dann der zweite Erfolg der Traumzensur, wie die Traumentstellung deren erster war.Ich will ein Traumbeispiel einfügen, in dem der indifferente Empfindungston des Trauminalts durch die Gegensätzlichkeit in den Traumgedanken aufgeklärt werden kann. Ich habe folgenden kurzen Traum zu erzählen, den jeder Leser mit Ekel zur Kenntnis nehmen wird:

§ 987

IV. Eine Anhöhe, auf dieser etwas wie ein Abort im Freien, eine sehr lange Bank, an deren Ende ein großes Abortloch. Die ganze hintere Kante dicht besetzt mit Häufchen Kot von allen Größen und Stufen der Frische. Hinter der Bank ein Gebüsch. Ich uriniere auf die Bank; ein langer Harnstrahl spült alles rein, die Kotpatzen lösen sich leicht ab und fallen in die Öffnung. Als ob am Ende noch etwas übrig bliebe.

§ 988

Warum empfand ich bei diesem Traume keinen Ekel?

§ 989

Weil, wie die Analyse zeigt, an dem Zustandekommen dieses Traumes die angenehmsten und befriedigendsten Gedanken mitgewirkt hatten. Mir fällt in der Analyse sofort der Augiasstall ein, den Herkules reinigt. Dieser Herkules bin ich. Die Anhöhe und das Gebüsch gehören nach Aussee, wo jetzt meine Kinder weilen. Ich habe die Kindheitsätiologie er Neurosen aufgedeckt und dadurch meine eigenen Kinder vor Erkrankung bewahrt. Die Bank ist (bis auf das Abortloch natürlich) die getreue Nachahmung eines Möbels, das mir eine anhängliche Patientin zum Geschenk gemacht hat. Sie mahnt mich daran, wie meine Patienten mich ehren. Ja selbst das Museum menschlicher Exkremente ist einer herzerfreuenden Deutung fähig. So sehr ich mich dort davor ekle, im Traume ist es eine Reminiszenz an das schöne Land Italien, in dessen kleinen Städten bekanntlich die W. C. nicht anders ausgestattet sind. Der Harnstrahl, der alles rein abspült, ist eine unverkennbare Größenanspielung. So löscht Gulliver bei den Liliputanern den großen Brand; er zieht sich dadurch allerdings das Mißfallen der allerkleinsten Königin zu. Aber auch Gargantua, der Übermensch bei Meister Rabelais, nimmt so seine Rache an den Parisern, indem er auf Notre-Dame reitend seinen Harnstrahl auf die Stadt richtet. In den Garnierschen Illustrationen zum Rabelais habe ich gerade gestern vor dem Schlafengehen geblättert. Und merkwürdig wieder ein Beweis, daß ich der Übermensch bin! Die Plattform von Notre-Dame war mein Lieblingsaufenthalt in Paris; jeden freien Nachmittag pflegte ich auf den Türmen der Kirche zwischen den Ungetümen und Teufelsfratzen dort herumzuklettern. Daß aller Kot vor dem Strahle so rasch verschwindet, das ist das Motto: Flavit et dissipati sunt, mit dem ich einmal den Abschnitt über Therapie der Hysterie überschreiben werde.

§ 990

Und nun die wirksame Veranlassung des Traumes. Es war ein heißer Nachmittag im Sommer gewesen, ich hatte in den Abendstunden meine Vorlesung über den Zusammenhang der Hysterie mit den Perversionen gehalten, und alles, was ich zu sagen wußte, mißfiel mir so gründlich, kam mir alles Wertes entkleidet vor. Ich war müde, ohne Spur von Vergnügen an meiner schweren Arbeit, sehnte mich weg von diesem Wühlen im menschlichen Schmutze, nach meinen Kindern und dann nach den Schönheiten Italiens. In dieser Stimmung ging ich vom Hörsaal in ein Café, um dort in freier Luft einen bescheidenen Imbiß zu nehmen, denn die Eßlust hatte mich verlassen. Aber einer meiner Hörer ging mit mir; er hat um die Erlaubnis dabei zu sitzen, während ich meinen Kaffee trank und an meinem Kipfel würgte, und begann mir Schmeicheleien zu sagen. Wie viel er bei mir gelernt, und daß er jetzt alles mit anderen Augen ansehe, daß ich den Augiasstall der Irrtümer und Vorurteile in der Neurosenlehre gereinigt, kurz daß ich ein sehr großer Mann sei. Meine Stimmung paßte schlecht zu seinem Lobgesange; ich kämpfte mit dem Ekel, ging früher heim, um mich los zu machen, blätterte noch vor dem Schlafengehen im Rabelais und las eine Novelle von C. F. Meyer „Die Leiden eines Knaben“.

§ 991

Aus diesem Material war der Traum hervorgegangen, die Novelle von Meyer brachte die Erinnerung an Kindheitsszenen hinzu (vergl. den Traum vom Grafen Thun, letztes Bild). Die Tagesstimmung von Ekel und Überdruß setzte sich im Traume insofern durch, als sie fast sämtliches Material für den Trauminhalt beistellen durfte. Aber in der Nacht wurde die ihr gegensätzliche Stimmung von kräftiger und selbst übermäßiger Selbstbetonung rege und hob die erstere auf. Der Trauminhalt mußte sich so gestalten, daß er in demselben Material dem Kleinheitswahn wie der Selbstüberschätzung den Ausdruck ermöglichte. Bei dieser Kompromißbildung resultierte ein zweideutiger Trauminhalt, aber auch durch gegenseitige Hemmung der Gegensätze ein indifferenter Empfindungston.

§ 992

Nach der Theorie der Wunscherfüllung wäre dieser Traum nicht ermöglicht worden, wenn nicht der gegensätzliche, zwar unterdrückte aber mit Lust betonte, Gedankenzug des Größenwahns zu dem des Ekels hinzugetreten wäre. Denn Peinliches soll im Traume nicht dargestellt werden; das Peinliche aus unseren Tagesgedanken kann nur dann den Eintritt in den Traum erringen, wenn es seine Einkleidung gleichzeitig einer Wunscherfüllung leiht.

§ 993

Die Traumarbeit kann mit den Affekten der Traumgedanken noch etwas anderes vornehmen, als sie zuzulassen oder zum Nullpunkte herabzudrücken. Sie kann dieselben in ihr Gegenteil verkehren. Wir haben bereits die Deutungsregel kennen gelernt, daß jedes Element des Traumes für die Deutung auch sein Gegenteil dar stellen kann, ebensowohl wie sich selbst. Man weiß nie im vorhinein, ob das eine oder das andere zu setzen ist; erst der Zusammenhang entscheidet hierüber. Eine Ahnung dieses Sachverhalts hat sich offenbar dem Volksbewußtsein aufgedrängt; die Traumbücher verfahren bei der Deutung der Träume sehr häufig nach dem Prinzip des Kontrastes. Solche Verwandlung ins Gegenteil wird durch die innige assoziative Verkettung ermöglicht, die in unserem Denken die Vorstellung eines Dinges an die seines Gegensatzes fesselt. Wie jede andere Verschiebung dient sie den Zwecken der Zensur, ist aber auch häufig das Werk der Wunscherfüllung, denn die Wunscherfüllung besteht ja in nichts anderem als in der Ersetzung eines unliebsamen Dinges durch sein Gegenteil. Ebenso wie die Dingvorstellungen können also auch die Affekte der Traumgedanken im Traume ins Gegenteil verkehrt erscheinen, und es ist wahrscheinlich, daß diese Affektverkehrung zumeist von der Traumzensur bewerkstelligt wird. Affektunterdrückung wie Affektverkehrung dienen ja auch im sozialen Leben, das uns die geläufige Analogie zur Traumzensur gezeigt hat, vor allem der Verstellung. Wenn ich mündlich mit der Person verkehre, vor der ich mir Rücksicht auferlegen muß, während ich ihr Feindseliges sagen möchte, so ist es beinahe wichtiger, daß ich die Äußerungen meines Affekts vor ihr verberge, als daß ich die Wortfassung meiner Gedanken mildere. Spreche ich zu ihr in nicht unhöflichen Worten, begleite diese aber mit einem Blicke oder einer Gebärde des Hasses und der Verachtung, so ist die Wirkung, die ich bei dieser Person erziele, nicht viel anders, als wenn ich ihr meine Verachtung ohne Schonung ins Gesicht geworfen hätte. Die Zensur heißt mich also vor allem meine Affekte unterdrücken, und wenn ich ein Meister in der Verstellung bin, werde ich den entgegengesetzten Affekt heucheln, lächeln, wo ich zürnen, und mich zärtlich stellen, wo ich vernichten möchte.

§ 994

Wir kennen bereits ein ausgezeichnetes Beispiel solcher Affektverkehren im Traume im Dienste der Traumzensur. Im Traume „von des Onkels Bart“ empfinde ich große Zärtlichkeit für meinen Freund R., während und weil die Traumgedanken ihn einen Schwachkopf schelten. Aus diesem Beispiele von Verkehrung der Affekte haben wir uns den ersten Hinweis auf die Existenz einer Traumzensur geholt. Es ist auch hier nicht nötig anzunehmen, daß die Traumarbeit einen derartigen Gegenaffekt ganz von neuem schafft; sie findet ihn gewöhnlich im Material der Traumgedanken bereitliegend und erhöht ihn bloß mit der psychischen Kraft der Abwehrmotive, bis er für die Traumbildung überwiegen kann. Im letzterwähnten Onkeltraume stammt der zärtliche Gegenaffekt wahrscheinlich aus infantiler Quelle (wie die Fortsetzung des Traumes nahe legt), denn das Verhältnis Onkel und Neffe ist durch die besondere Natur meiner frühesten Kindererlebnisse (vergl. die Analyse Seite 259) bei mir die Quelle aller Freundschaften und alles Hasses geworden. Die Komplikation der Aufhebungs-, Subtraktions- und Verkehrungsvorgänge, durch welche endlich aus den Affekten der Traumgedanken die des Traumes werden, läßt sich an geeigneten Synthesen vollständig analysierter Träume gut überblicken. Ich will hier noch einige Beispiele von Affektregung im Traume behandeln, die etwa einige der besprochenen Fälle als realisiert erweisen.

§ 995

V. In dem Traume von der sonderbaren Aufgabe, die mit der alte Brücke stellt, mein eigenes Becken zu präparieren, vermisse ich im Traume selbst das dazu gehörige Grauen. Dies ist nun Wunscherfüllung in mehr als einem Sinne. Die Präparation bedeutet die Selbstanalyse, die ich gleichsam durch die Veröffentlichung des Traumbuches vollziehe, die mir in Wirklichkeit so peinlich war, daß ich den Druck des bereitliegenden Manuskripte um mehr als ein Jahr aufgeschoben habe. Es regt sich nun der Wunsch, daß ich mich über diese abhaltende Empfindung hinaussetzen möge, darum verspüre ich im Traume kein „Grauen“. Das „Grauen“ im anderen Sinne möchte ich auch gern vermissen; es graut bei mir schon ordentlich, und dies Grau der Haare mahnt mich gleichfalls, nicht länger zurückzuhalten. Wir wissen ja, daß am Schlusse des Traumes der Gedanke zur Darstellung durchdringt, ich würde es den Kindern überlassen müssen, in der schwierigen Wanderung ans Ziel zu kommen.

§ 996

In den zwei Träumen, die den Ausdruck der Befriedigung in die nächsten Augenblicke nach dem Erwachen verlegen, ist diese Befriedigung das einemal motiviert durch die Erwartung, ich werde jetzt erfahren, was es heißt, „ich habe schon davon geträumt“, und bezieht sich eigentlich auf die Geburt der ersten Kinder, das anderemal durch die Überzeugung, es werde jetzt eintreffen, „was sich durch ein Vorzeichen angekündigt hat“, und diese Befriedigung ist die nämliche, die seinerzeit den zweiten Sohn begrüßt hat. Es sind hier im Traume die Affekte verblieben, die in den Traumgedanken herrschen, aber es geht wohl in keinem Traume so ganz einfach zu. Vertieft man sich ein wenig in beide Analysen, so erfährt man, daß diese der Zensur nicht unterliegende Befriedigung einen Zuzug aus einer Quelle erhält, welche die Zensur zu fürchten hat, und deren Affekt sicherlich Widerspruch erregen würde, wenn er sich nicht durch den gleichartigen, gern zugelassenen Befriedigungsaffekt aus der erlaubten Quelle decken, sich gleichsam hinter ihm einschleichen würde. Ich kann dies leider nicht an dem Traumbeispiel selbst erweisen, aber ein Beispiel aus anderer Sphäre wird meine Meinung verständlich machen. Ich setze folgenden Fall: Es gäbe in meiner Nähe eine Person, die ich hasse, so daß in mir eine lebhafte Regung zu stande kommt, mich zu freuen, wenn ihr etwas widerfährt. Dieser Regung gibt aber das Moralische in meinem Wesen nicht nach; ich wage es nicht, den Unglückswunsch zu äußern, und nachdem ihr unverschuldet etwas zugestoßen ist, unter drücke ich meine Befriedigung darüber und nötige mich zu Äußerungen und Gedanken des Bedauerns. Jedermann wird sich in solcher Lage schon befunden haben. Nun ereigne es sich aber, daß die gehaßte Person sich durch eine Überschreitung eine wohlverdiente Unannehmlichkeit zuziehe; dann darf ich meiner Befriedigung darüber freien Lauf lassen, daß sie von der gerechten Strafe getroffen worden ist, und äußere mich darin übereinstimmend mit vielen anderen, die unparteiisch sind. Ich kann aber die Beobachtung machen, daß meine Befriedigung intensiver ausfällt als die der anderen; sie hat einen Zuzug aus der Quelle meines Hasses erhalten, der bis dahin von der inneren Zensur verhindert war, Affekt zu liefern, unter den geänderten Verhältnissen aber nicht mehr gehindert wird. Dieser Fall trifft in der Gesellschaft allgemein zu, wo antipathische Personen oder Angehörige einer ungern gesehenen Minorität eine Schuld auf sich laden. Ihre Bestrafung entspricht dann gewöhnlich nicht ihrem Verschulden, sondern dem Verschulden vermehrt um das bisher effektlose Übelwollen, das sich gegen sie richtet. Die Strafenden begehen dabei zweifellos eine Ungerechtigkeit; sie werden aber an der Wahrnehmung derselben gehindert durch die Befriedigung, welche ihnen die Aufhebung einer lange festgehaltenen Unterdrückung in ihrem Innern bereitet. In solchen Fällen ist der Affekt seiner Qualität nach zwar berechtigt, aber nicht sein Ausmaß; und die in dem einen Punkte beruhigte Selbstkritik vernachlässigt nur zu leicht die Prüfung des zweiten Punktes. Wenn einmal die Türe geöffnet ist, so drängen sich leicht mehr Leute durch, als man ursprünglich einzulassen beabsichtigte.

§ 997

Der auffällige Zug des neurotischen Charakters, daß affektfähige Anlässe bei ihm eine Wirkung erzielen, die qualitativ berechtigt, quantitativ über das Maß hinausgeht, erklärt sie auf diese Weise, soweit er überhaupt eine psychologische Erklärung zuläßt. Der Überschuß rührt aber aus unbewußt gebliebenen, bis dahin unterdrückten Affektquellen her, die mit dem realen Anlaß eine assoziative Verbindung herstellen können, und für deren Affektentbindung die einspruchsfreie und zugelassene Affektquelle die erwünschte Bahnung eröffnet. Wir werden so aufmerksam gemacht, daß wir zwischen der unterdrückten und der unterdrückenden seelischen Instanz nicht ausschließlich die Beziehungen gegenseitiger Hemmung ins Auge fassen dürfen. Ebensoviel Beachtung verdienen die Fälle, in denen die beiden Instanzen durch Zusammenwirken, durch gegenseitige Verstärkung, einen pathologischen Effekt zu stande bringen. Diese andeutenden Bemerkungen über psychische Mechanik wolle man nun zum Verständnis der Affektäußerungen des Traumes verwenden. Eine Befriedigung, die sich im Traume kundgibt, und die natürlich alsbald an ihrer Stelle in den Traumgedanken aufzufinden ist, ist durch diesen Nachweis allein nicht immer vollständig aufgeklärt. In der Regel wird man für sie eine zweite Quelle in den Traum gedanken aufzusuchen haben, auf welche der Druck der Zensur lastet, und die unter dem Drucke nicht Befriedigung, sondern den gegenteiligen Affekt ergeben hätte, die aber durch die Anwesenheit der ersten Traumquelle in den Stand gesetzt wird, ihren Befriedigungsaffekt der Verdrängung zu entziehen und als Verstärkung zu der Befriedigung aus anderer Quelle stoßen zu lassen. So erscheinen die Affekte im Traume als zusmmengefaßt aus mehreren Zuflüssen und als überdeterminiert in bezug auf das Material der Traumgedanken; Affektquellen, die den nämlichen Affekt liefern können, treten bei der Traumarbeit zur Bildung desselben zusammen.*)*)

§ 998

Ein wenig Einblick in diese verwickelten Verhältnisse erhält man durch die Analyse des schönen Traumes, in dem „Non vixit den Mittelpunkt bildet (vgl. Seite 257). In diesem Traume sind die Affektäußerungen von verschiedener Qualität an zwei Stellen des manifesten Inhalts zusammengedrängt. Feindselige und peinliche Regungen (im Traume selbst heißt es „von merkwürdigen Affekten ergriffen“) überlagern einander dort, wo ich den gegnerischen Freund mit den beiden Worten vernichte. Am Ende es Traumes bin ich ungemein erfreut und urteile dann anerkennend über eine im Wachen als absurd erkannte Möglichkeit, daß es nämlich Revenants gibt, die man durch den bloßen Wunsch beseitigen kann.

§ 999

Ich habe die Veranlassung dieses Traume noch nicht mitgeteilt. Sie ist eine wesentliche und führt tief in das Verständnis des Traumes hinein. Ich hatte von meinem Freunde in Berlin (den ich mit Fl. bezeichnet habe) die Nachricht bekommen, daß er sich einer Operation unterziehen werde, und daß in Wien lebende Verwandte mir die weiteren Auskünfte über sein Befinden gehen würden. Diese ersten Nachrichten nach der Operation lauteten nicht erfreulich und machten mir Sorge. Ich wäre am liebsten selbst zu ihm gereist, aber ich war gerade zu jener Zeit mit einem sehmerzhaften Leiden behaftet, das mir jede Bewegung zur Qual machte. Aus den Traumgedanken erfahre ich nun, daß ich für das Leben des teuren Freundes fürchtete. Seine einzige Schwester, die ich nicht gekannt, war, wie ich wußte, in jungen Jahren nach kürzester Krankheit gestorben. (Im Traume: Fl. erzählt von seiner Schwester und sagt: in ¾ Stunden war sie tot.) Ich muß mir eingebildet haben, daß seine eigene Natur nicht viel resistenter sei, und mir vorgestellt, daß ich auf weit schlimmere Nachrichten nun endlich doch reise — und zu spät komme, worüber ich mir ewige Vorwürfe machen könnte.**)**) Dieser Vorwurf wegen des Zuspätkommens ist zum Mittelpunkte des Traumes geworden, hat sich aber in einer Szene dargestellt, in der der verehrte Meister meiner Studentenjahre Brücke mir mit einem fürchterlichen Blicke seiner blauen Augen den Vorwurf macht. Was diese Ablenkung der Szene zu stande gebracht, wird sich bald ergeben; die Szene selbst kann der Traum nicht so reproduzieren, wie ich sie erlebt habe. Es läßt zwar dem anderen die blauen Augen, aber er gibt mir die vernichtende Rolle, eine Umkehrung, die offenbar das Werk der Wunscherfüllung ist. Die Sorge um das Leben des Freundes, der Vorwurf, daß ich nicht zu ihm hinreise, meine Beschämung (er ist unauffällig (zu mir) nach Wien gekommen), mein Bedürfnis, mich durch meine Krankheit für entschuldigt zu halten, das alles setzt den Gefühlssturm zusammen, der im Schlafe deutlich verspürt, in jener Region der Traumgedanken tobt.

*) [Analog habe ich später die außerordentlich starke Lustwirkung der tendenziösen Witze erklärt.] **) Diese Phantasie aus den unbewußten Traumgedanken ist es, die gebieterisch non vivit anstatt non vixit verlangt. „Du bist zu spät gekommen, er lebt nicht mehr.“ Daß auch die manifeste Situation des Traum auf „non vivit" zielt, ist Seite 258 angegeben werden. § 1000

An der Traumveranlassung war aber noch etwas anderes, was auf mich eine ganz entgegengesetzte Wirkung hatte. Bei den ungünstigen Nachrichten aus den ersten Tagen der Operation erhielt ich auch die Mahnung, von der ganzen Angelegenheit niemandem zu sprechen, die mich beleidigte, weil sie ein überflüssiges Mißtrauen in meine Verschwiegenheit zur Voraussetzung hatte. Ich wußte zwar, daß dieser Auftrag nicht von meinem Freunde ausging, sondern einer Ungeschicklichkeit oder Überängstlichkeit des vermittelnden Boten entsprach, aber ich wurde von dem versteckten Vorwurfe sehr peinlich berührt, weil er — nicht ganz unberechtigt war. Andere Vorwürfe als solche, an denen „etwas daran ist”, haften bekanntlich nicht, haben keine aufregende Kraft. Zwar nicht in der Suche meines Freundes, aber früher einmal in viel jüngeren Jahren hatte ich zwischen zwei Freunden, die beide auch mich zu meiner Ehrung so nennen wollten, überflüssigerweise etwas ausgeplaudert, was der eine über den anderen gesagt hatte. Auch die Vorwürfe, die ich damals zu hören bekam, habe ich nicht vergessen. Der eine der beiden Freunde, zwischen denen ich damals den Unfriedensstifter machte, war Professor Fleischl; der andere kann durch den Vornamen Josef, den auch mein im Traume auftretender Freund und Gegner P. führte, ersetzt werden.

§ 1001

Von dem Vorwurfe, daß ich nichts für mich zu behalten vermöge, zeugen im Traume die Elemente unauffällig und die Frage Fls.,wie viel von seinen Dingen ich P. denn mitgeteilt habe. Die Einmengung dieser Erinnerung ist es aber, welche den Vorwurf des Zuspätkommens aus der Gegenwart in die Zeit, da ich im Brückeschen Laboratorium lebte, verlegt, und indem ich die zweite Person in der Vernichtungsszene des Traumes durch einen Josef ersetze, lasse ich diese Szene nicht nur den einen Vorwurf darstellen, daß ich zu spät komme, sondern auch den von der Verdrängung stärker betroffenen daß ich kein Geheimnis bewahre. Die Verdichtungs- und Verschiebungsarbeit des Traumes sowie deren Motive werden hier augenfällig.

§ 1002

Der in der Gegenwart geringfügige Ärger über die Mahnung, nichts zu verraten, holt sich aber Verstärkungen aus in der Tiefe fließenden Quellen und schwillt so zu einem Strome feindseliger Regungen gegen in Wirklichkeit geliebte Personen an. Die Quelle, welche die Verstärkung liefert, fließt im Infantilen. Ich habe schon erzählt, daß meine warmen Freundschaften wie meine Feindschaften mit Gleichalterigen auf meinen Kinderverkehr mit einem um ein Jahr älteren Neffen zurückgehen, in dem er der Überlegene war, ich mich frühzeitig zur Wehre setzen lernte, wir unzertrennlich miteinander lebten und einander lichten, dazwischen, wie Mitteilungen älterer Personen bezeugen, uns rauften und — verklagten. Alle meine Freunde sind in gewissem Sinne Inkarnationen dieser ersten Gestalt, die „früh sich einst dem trüben Blick gezeigt“, Revenants. Mein Neffe selbst kam in den Jünglingsjahren wieder, und damals führten wir Cäsar und Brutus miteinander auf. Ein intimer Freund und ein gehaßter Feind waren mir immer notwendige Erfordernisse meines Gefühlslebens; ich wußte beide mir immer von neuem zu verschaffen, und nicht selten stellte sich das Kindheitsideal so weit her, daß Freund und Feind in dieselbe Person zusammenfielen, natürlich nicht mehr gleichzeitig oder in mehrfach wiederholter Abwechslung, wie es in den ersten Kinderjahren der Fall gewesen sein mag.

§ 1003

Auf welche Weise bei so bestehenden Zusammenhängen ein rezenter Anlaß zum Affekt bis auf den infantilen zurückgreifen kann, um sich durch ihn für die Affektwirkung zu ersetzen, das möchte ich hier nicht verfolgen. Es gehört der Psychologie des unbewußten Denkens an und fände seine Stelle in einer psychologischen Aufklärung der Neurosen. Nehmen wir für unsere Zwecke der Traumdeutung an, daß sich eine Kindererinnerung einstellt oder eine solche phantastisch gebildet wird etwa folgenden Inhalts: Die beiden Kinder geraten in Streit miteinander um ein Objekt, — welches, lassen wir dahingestellt, obwohl die Erinnerung oder Erinnerungstäuschung ein ganz bestimmtes im Auge hat; — ein jeder behauptet, er sei früher gekommen, habe also das Vorrecht darauf; es kommt zur Schlägerei, Macht geht vor Recht; nach den Andeutungen des Traumes könnte ich gewußt haben, daß ich im Unrecht bin (den Irrtum selbst bemerkend); ich bleibe aber diesmal der Stärkere, behaupte das Schlachtfeld, der Unterlegene eilt zum Vater, respektive Großvater verklagt mich, und ich verteidige mich mit den mir durch die Erzählung des Vaters bekannten Worten: Ich habe ihn gelagt, weil er mich gelagt hat; so ist diese Erinnerung oder wahrscheinlicher Phantasie, die sich mir während der Analyse des Traumes — ohne weitere Gewähr, ich weiß selbst nicht wie — aufdrängt, ein Mittelstück der Traumgedanken, das die in den Traumgedanken waltenden Affektregungen, wie eine Brunnenschale die zugeleiteten Gewässer, sammelt. Von hier aus fließen die Traumgedanken in folgenden Wegen: Es geschieht dir ganz recht, daß du mir den Platz hast räumen müssen; warum hast du mich vom Platze verdrängen wollen? Ich brauche dich nicht, ich werde mir schon einen anderen verschaffen, mit dem ich spiele u. s. w. Dann eröffnen sich die Wege, auf denen diese Gedanken wieder in die Traumdarstellung einmünden. Ein solches „Ôte-toi que je m’y mette“ mußte ich seinerzeit meinem verstorbenen Freunde Josef zum Vorwurfe machen. Er war in meine Fußstapfen als Aspirant im Brückeschen Laboratorium getreten, aber dort war das Avancement langwierig. Keiner der beiden Assistenten rückte von der Stelle, die Jugend wurde ungeduldig. Mein Freund, der seine Lebenszeit begrenzt wußte, und den kein intimes Verhältnis an seinen Vordermann band, gab seiner Ungeduld gelegentlich lauten Ausdruck. Da dieser Vordermann ein schwer Kranker war, konnte der Wunsch, ihn beseitigt zu wissen, außer dem Sinne: durch eine Beförderung auch eine anstößige Nebendeutung zulassen. Natürlich war bei mir einige Jahre vorher der nämliche Wunsch, eine frei gewordene Stelle einzunehmen, noch viel lebhafter gewesen; wo immer es in der Welt Rangordnung und Beförderung gibt, ist ja der Weg für der Unterdrückung bedürftige Wünsche eröffnet. Shakespeares Prinz Hal kann sich nicht einmal am Bett des kranken Vaters der Versuchung entziehen, einmal zu probieren, wie ihm die Krone steht. Aber der Traum straft, wie begreiflich, diesen rücksichtslosen Wunsch nicht an mir, sondern an ihm.*)*)

§ 1004

„Weil er herrschsüchtig war, darum erschlug ich ihn.“ Weil er nicht erwarten konnte, daß ihm der andere den Platz räume, darum ist er selbst hinweggeräumt worden. Diese Gedenken hege ich unmittelbar, nachdem ich in der Universität der Enthüllung des dem anderen gesetzten Denkmals beigewohnt habe. Ein Teil meiner im Traume verspürten Befriedigung deutet sich also: Gerechte Strafe; es ist dir recht geschehen.

§ 1005

Bei dem Leichenbegängnis dieses Freundes machte ein junger Mann die unpassend scheinende Bemerkung: Der Redner habe so gesprochen, als ob jetzt die Welt ohne den einen Menschen nicht mehr bestehen könne. Es regte sich in ihm die Auflehnung des wahrhaften Menschen, dem man den Schmerz durch Übertreibung stört. Aber an diese Rede knüpfen sich die Traumgedanken an: Es ist wirklich niemand unersetzlich; wie viele habe ich schon zu Grabe geleitet; ich aber lebe noch, ich habe sie alle überlebt, ich behaupte den Platz. Ein solcher Gedanke im Moment, da ich fürchte, meinen Freund nicht mehr unter den Lebenden anzutreffen, wenn ich zu ihm reise, läßt nur die weitere Entwicklung zu, daß ich mich freue wieder jemanden zu überleben, daß nicht ich gestorben bin, sondern er, daß ich den Platz behaupte wie damals in der phantasierten Kinderszene. Diese aus dem Infantilen kommende Befriedigung darüber, daß ich den Platz behaupte, deckt den Hauptanteil des in den Traum aufgenommenen Affekts. Ich freue mich darüber, daß ich überlebe, ich äußere das mit dem naiven Egoismus der Anekdote zwischen Ehegatten: „Wenn eines von uns stirbt, übersiedle ich nach Paris.“ Es ist für meine Erwartung so selbstverständlich, daß nicht ich der eine bin.

*) Es wird aufgefallen sein, dell der Name Josef eine so große Rolle in meinen Träumen spielt (siehe den Onkeltraum). Hinter den Personen, die so heißen, kann ich mein Ich im Traume besonders leicht verbergen, denn Josef hieß auch der aus der Bibel bekannte Traumdeuter. § 1006

Man kann sich’s nicht verbergen, daß schwere Selbstüberwindung dazu gehört, seine Träume zu deuten und mitzuteilen. Man muß sich als den einzigen Bösewicht enthüllen unter all den Edlen, mit denen man das Leben teilt. Ich finde es also ganz begreiflich, daß die Revenants nur so lange bestehen, als man sie mag, und daß sie durch den Wunsch beseitigt werden können. Das ist also das, wofür mein Freund Josef gestreift werden ist. Die Revenants sind aber die aufeinander folgenden Inkarnationen meines Kindheitsfreundes; ich bin also auch befriedigt darüber, daß ich mir diese Person immer wieder ersetzt habe, und auch für den, den ich jetzt zu verlieren im Begriffe hin, wird sich der Ersatz schon finden. Es ist niemand unersetzlich.

§ 1007

Wo bleibt hier aber die Traumzensur? Warum erhebt sie nicht den energischesten Widerspruch gegen diesen Gedankengang der rohesten Selbstsucht und verwandelt die an ihm haftende Befriedigung nicht in schwere Unlust? Ich meine, weil andere einwurfsfreie Gedankenzüge über die nämlichen Personen gleichfalls in Befriedigung ausgehen und mit ihrem Affekt jenen aus der verbotenen infantilen Quelle decken. In einer anderen Schicht von Gedanken habe ich mir bei jener feierlichen Denkmalsenthüllung gesagt: Ich habe so viele teure Freunde verloren, die einen durch Tod, die anderen durch Auflösung der Freundschaft; es ist doch schön, daß sie sich mir ersetzt haben, daß ich den einen gewonnen habe, der mir mehr bedeutet, als die anderen konnten, und den ich jetzt in dem Alter, wo man nicht mehr leicht neue Freundschaften schließt, für immer festhalten werde. Die Befriedigung, daß ich diesen Ersatz für die verlorenen Freunde gefunden habe, darf ich ungestört in den Traum hinübernehmen, aber hinter ihr schleicht sich die feindselige Befriedigung aus infantiler Quelle mit ein. Die infantile Zärtlichkeit hilft sicherlich die heute berechtigte verstärken; aber auch der infantile Haß hat sich seinen Weg in die Darstellung gebahnt.

§ 1008

Im Traume ist aber außerdem ein deutlicher Hinweis auf einen anderen Gedankengang enthalten, der in Befriedigung auslaufen darf. Mein Freund hat kurz vorher nach langem Warten ein Töchterchen bekommen. Ich weiß, wie sehr er seine früh verlorene Schwester betrauert hat, und schreibe ihm, auf dieses Kind würde er die Liebe übertragen, die er zur Schwester empfunden; dieses kleine Mädchen wurde ihm den unentsetzlichen Verlust endlich vergessen machen.

§ 1009

So knüpft auch diese Reihe wieder an den Zwischengedanken des latenten Trauminhalts an, von dem die Wege nach entgegen

§ 1010

VII.

§ 1011

Zur Psychologie der Traumvorgänge.

§ 1012

Unter den Träumen, die ich durch Mitteilung von seiten anderer erfahren habe, befindet sich einer, der jetzt einen ganz besonderen Ana ruch auf unsere Beachtung erhebt. Er ist mir von einer Patientin erzählt worden, die ihn selbst in einer Vorlesung über den Traum kennen elemt hat; seine eigentliche Quelle ist mir unbekannt 6blieben. euer Dame aber hat er durch seinen Inhalt Eindruck emaänt, denn sie hat es nicht versäumt, ihn „naehzuträumen“, d. h. ‘ erneute des Traumes in einem eigenen Traume zu wiederholen, um durch diese Übertragung eine Übereinstimmung in einem bestimmten Punkte auszudrücken.

§ 1013

Die Vorbedingungen dieses vorbildlichen Traumes sind folgende: Ein Vater hat Tage und Nächte lang am Krankenbette seines Kindes gewacht. Naehdem das Kind gestorben, begibt er sich in einem Nebenzimmer zur Ruhe, läßt aber die Tür geöfl‘net, um aus seinem Schlafraume in jenen zu blicken, worin die Leiche des Kindes aufgeba.hrt li , von großen Kerzen umstellt. Ein alter Mann ist zur Woche beste lt worden und sitzt neben der Leiche, Gebete murmelnd. Nach einigen Stunden Schlafes träumt der Vater, daß das Kind an seinem Bette steht, ihn am Arme faßt und ihm vorwurfsvoll zuraunt: Vater, siehst du denn nicht, daß ich verbrenne? Et erwacht, merkt einen hellen Lichtschein, der aus dem Leichenzimmer kommt, eilt hin, findet den greisen Wächter eingeschlummert, die Hüllen und einen Arm der teuren Leiche verbrannt durch eine Kerze, die brennend auf sie gefallen war.

§ 1014

Die Erklärung} dieses rührenden Traumes ist einfach genug und wurde auch von em Vortragenden, wie meine Patientin erzählt, richtig gegeben. Der helle Lichtsehein drang durch die offen stehende Tür ins Auge des Sehlat‘enden und regte denselben Schluß bei ihm an, den er als Wachender ,5,620 n hätte, es sei durch Umfallen einer Kerze ein Brand in der N e er Leiche entstanden. Vielleicht hatte selbst der Vater die' Besorgnis mit in den Schlaf hinübergenommen, daß der greise Wächter seiner Aufgabe nicht gewachsen sein dürfte.

§ 1015

§ 1016

314 VII. Psychologie der Tranmvorgänge.

§ 1017

Auch wir finden an dieser Deutung nichts zu verändern, es sei. denn, daß wir die Forderung hinzufügten, der Inhalt des Trauma müsse überdeterminiert, und die Rede des Kindes aus Reden zusammengesetzt sein, die es im Leben wirklich eführt, und die an dem Vater wichtige Ereignisse anknüpfen. Etwa. ie Klage: Ich verbrennen, an das Fieber, in dem das Kind gestorben, und die Worte: Vater, siehst du denn nicht? an eine andere uns unbekannte, aber nfi'eküeiche Gelegenheit.

§ 1018

Nachdem Wir aber den Traum als einen sinnvollen, in Clan Zusammenhang des psychischen Geschehens einfüghsren Vorgang erkannt haben, werden wir uns verwundern dürfen, daß unter solchen Ver» hältnissen überhaupt ein Traum zu stande kam, wo das rascheste Er— wachen geboten war. Wir werden denn aufmerksam, daß auch dieser Traum einer Wunscherftillung nicht entbehrt. Im Trauma benimmt sich das tote Kind wie ein lebendes, es mahnt selbst den Vater, kommt an sein Bett und. zieht ihn am Arme, wie es wahrscheinlich in jener Erinnerung tet, aus welcher der Traum das erste Stück der Rede des Kindes geholt hat. Dieser Wunscherfilllung zu Liebe hat der Vater nun seinen Schlaf um einen Moment verlängert. Der Traum erhielt das Verfecht vor der Überlegung im Wachen, weil er das Kind noch einmal lebend zeigen konnte. Wäre der Vater zuerst erwacht und hätte denn den Schluß gezogen, der ihn ins Leichenzimmer führte, so hätte er gleichsam das Leben des Kindes um diesen einen Moment verkürzt.

§ 1019

Es kann kein Zweifel darüber sein, durch welche Eigentümlichkeit dieser kleine Traum unser Interesse fesselt. Wir haben uns bisher vorwiegend darum gekummert, worin der geheime Sinn der Träume besteht, auf welchem Wege derselbe gefunden wird, und welcher Mittel sich die Traumarbeit bedient hat, ihn zu verbergen. Die Aufgaben der Traumdeutung standen bis jetzt im Mittelpunkte unseres Blick— feldes. Und nun stoßen wir auf diesen Traum, welcher der Den keine Aufgabe stellt, dessen Sinn unverhüllt gegeben_ist, und werden aufmerksam, daß dieser Traum noch immer die wesenthcheu Charaktere bewahrt, durch die ein Traum auflällig von unserem wachen Denken abweicht und unser Bedürfnis nach Erklärung rege macht. Nach der Beseitigung alles dessen, was_ die Deutungsarbeit _angeht, können wir erst merken, wie unvollständig unsere Psycholog1e des Traumes geblieben ist.

§ 1020

Ehe wir aber mit unseren Gedanken diesen neuen Weg- einsehlegen, wollen wir Halt machen und zurückschsuen, ob wir auf unserer Wanderung bis hieher nichts Wieht1gee unheachtet gelassen haben. Denn wir müssen uns klar darüber werden,_ daß die bequeme und behagliche Strecke unseres Weges hinter uns heg_t. Bisher haben alle W e, die wir gegangen sind, wenn ich nicht sehr um, ins Lichte, zur An ärnng und zum vollen Verständnis geführt; von dem Moment an, da wir in die seelischen Vorgänge beim Träumen tiefer eindringen

§ 1021

§ 1022

Die psychologische Besonderheit des Traumes. 315

§ 1023

wollen, werden alle Pfade ins Dunkel münden. Wir können es unmö lich dahin bringen, den Traum als psychischen Vorgang aufzufilltren, denn erklären heißt auf Bekenntes zurückführen, und es ibt derzeit keine psychologische Kenntnis, der wir nnterordnen könnten, was sich aus der psychologischen Prüf der Träume als Erklärungngd erschließen laßt. Wir werden im egeuteil genötigt sein, eine Reihe von neuen Annahmen aufzustellen, die den Bau des seelischen Apparate und. das Spiel der in ihm tätigen Kräfte mit Vermutungen streifen, und die wir bedacht sein müssen, nicht zu weit über die erste logische Angliederung auszuspinnen, weil sonst ihr Wert sich ins Unbestimmbare verläuft. Selbst wenn wir keinen Fehler im Schließen begehen und alle logisch sich ergebenden Möglichkeiten in Rechnung ziehen, droht uns die wehrscheinliche Unvollstündigkeit im Ansatz der Elemente mit dem völligen Fehlschlagen der Rechnung. Einen Aufschluß über die Konstruktion und Arbeitsweise des Seeleninstruments wird man durch die sorgt)tltigste Untersuchung des 'I‘raumes oder einer anderen vereinzelten Leistung nicht gewinnen oder wenigstens nicht begründen können, sondern wird zu diesem Zwecke znssmmentragen müssen, was sich bei dem ve leichenden Studium einer ganzen Reihe von psychischen Leistungen 3 konstant erforderlich herausstellt. So werden die psycholo ischen Annahmen, die wir aus der Analyse der Traumvorgttnge sc öpfen, gleichsam an einer Haltestelle warten müssen, bis sie den Anschluß an die Ergebnisse anderer Untersuchungen et'unden haben die von einem anderen Anfi'iifl'spunkte her zum erne des nümlichen Problems vordringen wo en.

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a) Das Vergessen der Träume.

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Ich meine also, wir wenden uns vorher zu einem Thema, aus dem sich ein bisher unbeschteter Einwand ableitet, der doch geeignet ish unseren Bemühungen um die Traumdeutung den Boden zu ent— ziehen. Fs ist uns von mehr als einer Seite vorgelmlten werden, daß Wit den Traum, den wir deuten wollen eigentlich gar nicht kennen, richtiger, daß wir keine Gewähr dafiir haben, ihn so zu kennen, wie er wirklich vorgefalleu ist (vgl. Seite 32). Was wir vom Trauma erinnern, und woran wir unsere Deutun ünste üben, das ist erstens verstümmelt durch die Untreue unseres educhtnisses, welches in ganz besonders hohem Grade zur Bewahrung des Traumes unfkhi scheint, und hat vielleicht gerade die bedeutsamsten Stücke seines Inia.lts eingebüßt. Wir finden uns ja so alt, wenn wir unseren Träumen Aufmerksamkeit schenken wollen zur K] verenlaßt, daß wir viel mehr geträumt haben und leider davon nic ts mehr wissen als dies eine Bruchstück, dessen Erinnerung selbst uns ' tümlich unsicher vorkommt. Zweitens sber spricht alles dafür, unsere Erinner den Traum nicht nur lückenhsfi, sondern auch ungetreu und v ht wiedergibt. So wie man einerseits daran zweifeln kann, ob das Ge

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träumte wirklich so unzusammenhängend und verschwommen war, wie wir's im Gedächtnise haben, so läßt sich anderseits in Zweifel ziehen, ob ein Traum so zusammenhängend gewesen ist, wie wir ihn erzählen, ob wir bei dem Versuche der Reproduktion nicht vorhandene oder durch Vergessen geschaffene Lücken mit willkürlich gewähle neuen Material ausfiillen, den Traum ausschmücken, abrunden, zurichten, so daß jedes Urteil unmöglich wird, was der wirkliche Inhalt unseres Traumes war. Ja bei einem Autor (Spitta“) haben wir die Mutmaßung gefunden, daß alles, was Ordnung und Zusammenhang ist, überhaupt erst bei dem Versuche, sich den Traum zurückzurufen, in ihn hineingetragen wird. So sind wir in Gefahr, daß man uns den Gegenstand selbst aus der Hund Winde, dessen Wert zu bestimmen wir unternommen haben.

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Wir haben bei unseren Traumdeutungen bisher diese Warnungen überhört. Ja wir haben im Gegenteil in den kleinsten, unscheinbarsten und unsichersten Inhaltsbestandteilen des Traumes die Aufforderung zur Deu— tung nicht minder vernehmlich gefunden, als in dessen deutlich und sicher erhaltenen. Im Traume von Irmas Injektion hieß es: Ich rufe sc hnell den Doktor M. herbei, und wir nehmen an, auch dieser kleine Zusatz wäre nicht in den Traum gelangt, wenn er nicht eine besondere Ablei zuließe. So kamen wir zur Geschichte jener unglücklichen Patienfin, an deren Bett ich „schnell“ den älteren Kollegen berief. In dem scheinbar absurden Traume, der den Unterschied von 51 und 56 als quantité négligeable behandelt, war die Zahl 51 mehrm als erwähnt. Anstatt dies selbstverständlich oder gleichgültig zu finden, haben wir daraus auf einen zweiten Gedankengang‘ in dem latenten Trauminhalt geschlossen, der zur Zahl 51 hinflihrt, und die Spur, die wir weiter verfolgten, führte uns zu Befürchtungen, welche 51 Jahre als Lebensgrenze hinstellen, im schärfsten Gegensatz zu einem dominierenden Gedankenzug, der prahlerisch mit den Lebensjahren um sich wirft. In dem Trauma „Non vixit“ fand ich als unscheinbares Einsehiebsel, das ich anfangs übersah, die Stelle: „Da P. ihn nicht versteht, fragt mich Fl. etc.“ Als dann die Deutung steckte, griff ich auf diese Worte zurück, und fand von ihnen aus den Weg zu der Kinderphantasie, die in den 'I‘raumgedunken als intermediärer Knotenpunkt auftritt. Es geschah dies mittels der Zeilen des Dichters:

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Selten habt Ihr mich verstanden, Selten auch verstand ich Euch, Nur wenn wir im Kot uns fanden, So verstanden wir uns gleich!

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Jede Anal se könnte mit Beispielen belegen, wie gerade die geringfügigsten Züge des Traumes zur Deutung unentbehrlich sind, und wie die Erledigung der Aufgabe verzögert wird, indem sich die Aufmerksamkeit solchen erst spät zuwendet. Die gleiche Würdigung haben wir bei der Traumdeutung jeder Nuanee des sprachlichen Aus

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Das Vergessen der Träume. 317

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druckes geschenkt, in welchem der Traum uns verlag; ja, wenn uns ein unsinniger oder unzureichender Wortlaut vorgelegt wurde, als ob es der Anstrengung nicht gelungen wäre, den Traum in die richtige Fassung zu übersetzen, haben wir auch diese Mangel des Ausdruckes respektiert. Kurz, was nach der Meinung der Autoren eine willkürliche, in der Verlegenheit eilig zusammengebraute Improvisation sein soll, das haben wir behandelt wie einen heiligen Text. Dieser Wider— spruch bedarf der Aufklärung.

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Sie lautet zu unseren Gunsten, ohne darum den Autoren Unrecht zu geben. Vom Stand unkte unserer neu gewonnenen Einsichten über die Entstehung des umes vereinigen sich die Widersprüche ohne Rest. Es ist richtig, daß wir den Traum beim Versuche der Re roduktion entstellen; wir finden darin wieder, was wir als die sekun e und oft mißverständliche Bearbeitung des Traumes durch die Instanz des normalen Denkens bezeichnet haben. Aber diese Entstehung ist selbst nichts anderes als ein Stück der Bearbeitung, welcher die Traumgedanken gesetzmäßig infolge der Traumzensur unterliegen. Die Autoren haben hier das manifest arbeitende Stück der Traumentstellung geahnt oder bemerkt; uns verschlägt es wenig, da wir wissen, daß eine weit ausgiebigere Entstellungsarbeit, minder leicht faßbar, den Traum bereits von den verborgenen Traumgedanken an zum Objekt erkoren hat. Die Autoren irren nur darin, daß sie die Modifikation des Traumes bei seinem Erinnern und In—Worte-Fassen für willkürlich, also für nicht weiter auflösbar und demnach für geeignet halten, uns an der Erkenntnis des Traumes irre zu leiten. Sie unterschätzen die Determinierung im Psychischen. Es gibt da nichts Willkürliches. Es läßt sich ganz allgemein zeigen, daß ein zweiter Gedankenzug sofort die Bestimmung des Elements übernimmt, welches vom ersten unbestimmt gelassen wurde. Ich will mir z. B. ganz willkürlich eine Zahl einfallen lassen; es ist nicht möglich; die Zahl, die mir einfallt, ist durch Gedanken in mir, die meinen momentanen Vorsatz fern stehen mögen, eindeutig und notwendig bestimmt.*) Ebenso wenig willkürlich sind die Veränderungen, die der Traum bei der Redaktion des Wachens erfährt. Sie bleiben in assoziativer Verknüpfung mit dem Inhalt, an dessen Stelle sie sich setzen, und dienen dazu, uns den Weg zu diesem Inhalt zu zeigen, der selbst wieder der Ersatz eines anderen sein mag.

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Ich pflege bei den Traumanalysen mit Patienten folgende Probe auf diese Behauptung nie ohne Erfolg anzustellen. Wenn mir der Bericht eines Traumes zuerst schwer verständlich erscheint, so bitte ich den Erzähler, ihn zu wiederholen. Das geschieht dann selten mit den nämlichen Worten. Die Stellen aber, an denen er den Ausdruck verändert hat, die sind mir als die schwachen Stellen der Traum— verkleidung kenntlich gemacht worden, die dienen mir wie Hagen das gestickte Zeichen an Siegfried s Gewand. Dort kann die Traum

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') [Vgl. Psychopathologie des Alltagslebens. 1. Aufl., 1901 u. 1904, 2. Aufl., 1907.]

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3l8 VII. Psychologie der Traumvorgänge.

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deutung ansetzen. Der Erzähler ist durch meine Auffordeng gewarnt werden, daß ich besondere Mühe zur Lösung des Traumes anzuwenden gedenke; er schützt also rasch, unter dem Drange des Widerstandes, die schwachen Stellen der Traumverkleidung, indem er einen verräterischen Ausdruck durch einen ferner abliegenden ersetzt. Er macht mich so auf den von ihm fallen gelassenen Ausdruck aufmerksam. Aus der Mühe, mit der die Traumlösung verteidigt wird, darf ich auch auf die Sorgfalt schließen, die dem Traume sein Gewand ge— woben hat.

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Minder Recht haben die Autoren, wenn sie dem Zweifel, mit dem unser Urteil der Traumerzählung begegnet, so sehr viel Raum machen. Dieser Zweifel entbehrt nämlich einer intellektuellen Gewähr; unser Gedächtnis kennt überhaupt keine Garantien, und doch unterliegen wir viel öfter als objektiv gerechtfertigt ist, dem Zwange, seinen Angaben Glauben zu schenken. Der Zweifel an der richtigen Wiedergabe des Traumes oder einzelner Traumdaten ist wieder nur ein Abkömmling der Traumzensur, des Widerstandes gegen das Durchdringen der Traumgedanken zum Bewußtsein. Dieser Widerstand hat: sich mit den von ihm durchgesetzten Verschiebungen und Ersetzungen nicht immer erschöpft, er heftet sich dann noch an das Durch elassene als Zweifel. Wir verkennen diesen Zweifel um so leichter, als er die Vorsicht gebraucht, niemals intensive Elemente des Traumes anzugreifen, sondern bloß schwache und undeutliche. Wir wissen aber jetzt bereits, daß zwischen Traumgedanken und Traum eine völlige Um— wertung aller psychischen Werte stattgefunden hat; die Entstehung war nur möglich durch Wertentziehung, sie äußert sich regelmäßig darin und begnügt sich gelegentlich damit. Wenn zu einem undcutlichen Element des Trauminhalts noch der Zweifel hinzutritt, so können wir dem Fingerzeig folgend in diesem einen direkteren Abkömmling eines der verfemten Traumgedanken erkennen. Es ist damit, wie nach einer großen Umwälzung in einer der Republiken des Altertums oder der Renaissance. Die früher herrschenden edlen und mächtigen Familien sind nun verbannt, alle hohen Stellungen mit; Emporkömmlingen besetzt; in der Stadt geduldet sind nur noch ganz vern.rmte und machtlose Mitglieder oder entfernte Anhänger der Gestürzten. Aber auch diese genießen nicht die vollen Bürgerrechte, sie werden mißtrauisch überwacht. An der Stelle des Mißtrauens im Beispiel steht in unserem Falle der Zweifel. Ich verlange darum bei der Analyse eines Traumcs, daß man sich von der ganzen Skala. der Sicherheitsschät2ung‘ frei mache, die leiseste Möglichkeit, daß etwas der oder jener Art im Trauma vorgekommen sei, behandle wie die volle Gewißheit. Solange jemand bei der Verfolgung eines Traumelements sich nicht zum Verzicht auf diese Rücksicht entschlossen, so lange stockt hier die Analyse. Die Geringschätznng für das betrefl'ende Element hat bei dem Analysierten die psychische Wirkung, daß ihm von den ungewollten Vorstellungen hinter demselben nichts

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Der Zweifel an der Treue der Traumerinnerung. 319

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einfallen will. Solche Wirkung ist eigentlich nicht selbstverständlich; es wäre nicht widersinnig, wenn jemand sagte: Ob dies oder jenes im Trauma enthaan war, weiß ich nicht sicher; es filllt mir aber dazu folgendes ein. Niemals sagt er so und gerade diese die Analyse störende Wirkung des Zweifels laßt ihn als einen Abkömmling und als ein Werkzeug des psychischen Widerstandes entlarven. Die Ps choanalyse ist mit Recht mißtrauisch. fine ihrer Regeln lautet: %Vas immer die Fortsetzung der Arbeit stört, ist ein Widerstand.

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Auch das Vergessen der Träume bleibt so lange unergrllndlich, als man nicht die Macht der psychischen Zensur zu seiner Erklärung mit heranzieht. Die Empfindun , daß man in einer Nacht sehr viel

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träumt und davon nur wenig ehalten hat, mag in einer Reihe von %?!llen einen anderen Sinn haben, etwa den, daß die Traumarbeit die Nacht hindurch spürbar vor sich gegangen ist und nur den einen kurzen Traum hinterlassen hat. Sonst ist an der Tatsache, daß man den Traum nach dem Erwachen fortschreitend vergißt, ein Zweifel nicht möglich. Man verg)ißt ihn oft trotz peinlicher Bemühungen ihn zu merken. Ich meine a er, so wie man in der Regel den Umfang dieses Vergessene überschätzt, so überschätzt. man auch die mit der Lückenhaftigkeit des Traumes verbundene Einbuße an seiner Kenntnis. Alles, was das Vergessen am Trauminhalt gekostet hat, kann man ofl'. durch die Anal se wieder hereinbringen; wenigstens in einer ganzen Anzahl von F en kann man von einem einzelnen stehen gebliebenen Brocken aus, zwar nicht den Traum — aber an dem liegt ja auch nichts — doch die Traumgedanken alle auflinden. Es verlangt einen größeren Aufwand an Aufmerksamkeit und Selbstllberwindung beider Analyse; das ist alles, zeigt aber doch an, daß das Vergessen des Traumes eine feindselige Absicht nicht verfehlt hat.

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Einen überzeugenden Beweis für die tendenziöse, dem Widerstand dienende Natur des Traumvergessens") gewinnt man bei den Analysen aus der Würdigung einer Vorstufe des Vergessens. FA kommt gar nicht selten vor, daß mitten in der Deutungsarbeit plötzlich ein ausgelassenes Stück des Traumes auftaucht, das als bisher vergessen bezeichnet wird. Dieser der Vergessenheit entrissene Traumteil ist nun jedesmal der wichtigste; er liegt auf dem kürzesten Wege zur Traumlösung und war darum dem Widerstand am meisten ausgesetzt. Unter den Traumbeispielen, die ich in den Zusammenhang dieser Abhandlung cingestreut abe, trifft es sich einmal, daß ich so ein Stuck Trauminhalt nachträglich einzuschalten habe. Es ist dies ein Reise— traum, der Rache nimmt an einer unliebenswllrdigen Reisegeflthrtin, den ich wegen seines zum Teil grob unflatigen Inhalts fast ungedeutet

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') Vgl. über die Absicht beim Vergessen überhaupt meine kleine Abhandlung über den „psychischen Mechanismus der Vergeßlichkeit' in der Monatsmhrifl in: Psychiatrie und Neurologie, 1898. [Dieselbe ist spater In die „Psychopathologie des Alltagslebens“ aufgenommen worden.]

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320 VII. Psychologie der Traumvorgänge.

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gelassen habe. Das ausgelassene Stück lautet: Ich sage auf ein Buch von Schiller: It is from . . . korrigiere mich aber, den Irrtum selbst bemerkend: It is by . . . Der Mann bemerkt hierauf zu seiner Schwester: „Er hat es ja richtig gesagt.“

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Die Selbstkorrektur im Traume, die manchen Autoren so wunderbar erschienen ist, verdient wohl nicht uns zu beschäftigen. Ich werde lieber für den Spraehirrtum im Traume das Vorbild aus meiner Erinnerung aufzeigen. Ich war 19jährig zum erstenmal in England und einen Tag lang am Strande der Irish Sea. Ich schwelgte natürlich im Fange der von der Flut zuruekgelaseenm Seetiere und beschäftigte mich gerade mit einem Seestern (der Traum beginnt mit: HollthurnHolothurien), als ein reizendes kleines Mädchen zu mir trat und mich fragte: Is it a starfish? Is it alive? Ich antwortete: Yes he is alive, schämte mich aber dann der Inkorrektheit und wiederholte den Satz richtig. An Stelle des Sprachfehlers, den ich damals begangen habe, setzt nun der Traum einen anderen, in den der Deutsche ebenso leicht verfällt. „Das Buch ist von Schiller,“ soll man nicht mit from, . . . sondern mit by . . . übersetzen. Daß die Traumarbeit diesen Ersatz vollzieht, weil from durch den Gleichklaug mit dem deutschen Eigen— schafizswort fromm eine großartige Verdichtung ermöglicht, das nimmt uns nach allem, was wir von den Absichten der Traumarbeit und von ihrer Rücksichtslosigkeit in der Wahl der Mittel gehört haben, nicht mehr Wunder. Was Will aber die harmlose Erinnerung vom Meeres— strand im Zusammenhang des Traumes besagen? Sie erläutert an einem möglichst unschuldigen Beispiel, daß ich das Geschlechtswort am unrechten Platze gebrauche, also das Gesehlechtliehe (h e) dort anbringe, wo es nicht hingehört. Dies ist allerdings einer der Schlüssel zur Lösung des Traumes. Wer dann noch die Ableitung des Buch— titels „Matter and Motion“ angehört hat (Moliére im Malade Imaginaire; La matiére est-elle laudable? — a motion 'of the bowels], der wird sich das Fehlende leicht ergänzen können.

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Ich kann übrigens den Beweis, daß das Vergessen des Traumeg zum großen Teil Widerstandsleistung ist, durch eine Demonstratio ad oculos erledigen. Ein Patient erzählt, er habe geträumt, aber den Traum 5 urlos vergessen; dann gilt er eben als nicht vorgefallen. Wir setzen die Arbeit fort, ich stoße auf einen Widerstand, mache dem Kranken etwas klar, helfe ihm durch Zureden und Drängen, sich mit irgend einem unangenehmen Gedanken zu versöhncn, und kaum ist das gelungen, so mit er aus: Jetzt weiß ich auch wieder, was ich geträumt habe. Demelbe Widerstand, der ihn an diesem Tage in der Arbeit gestört hat, hat ihn auch den Traum vergessen lassen. Durch die Überwindung dieses Widerstandes habe ich den Traum zur Erinnerung gefördert.

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Ebenso kann sich der Patient, bei einer gewissen Stelle der Arbeit angelangt, an einen Traum erinnern, der vor drei, vier oder

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Verspätete Deutung von Träumen. 321

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mehr Tagen vorgefalleu ist, und bis dahin in der Vergessenheit geruht hat.

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Daß die Träume ebensowenig vergessen werden wie andere seelische Akte, und daß sie auch in bezug auf ihr Hatten im Gedächtnis den anderen seelischen Leistungen un eschmälert gleichzustellen sind, zeigt mir eine Erfahrung, die ich bei er Abfassung dieses Manuskripte machen konnte. Ich hatte in meinen Notizen reichlich eigene Träume aufbewahrt, die ich damals aus irgend einem Grunde nur sehr unvollständig oder auch überhaupt nicht der Deutung unterziehen konnte. Bei einigen derselben habe ich nun, ein bis zwei Jahre s ater, den Versuch, sie zu deuten, unternommen, in der Absicht mir teriul zur Illustration meiner Behauptungen zu schaden. Dieser Versuch gelang mir ausnahmslos; ja ich möchte behaupten, die Deutung ging solange Zeit später leichter vor sich als damals, so lange die Träume frische Erlebnisse waren, wofür ich als mögliche Erklärung angeben möchte, daß ich seither aber manche Widerstände in meinem Innern w gekommen bin, die mich damals störten. Ich habe bei solchen n:citräglichen Deutungen die damaligen Ergebnisse an Traum

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edanken mit den heutigen, meist viel reichhaltigeren verglichen und damang unter dem heutigen unverändert wiedergefunden. Ich trat meinem Erstaunen hierüber rechtzeitig in den Weg, indem ich mich hesann, daß ich ja bei meinen Patienten längst in Übung habe, Träume aus früheren Jahren, die sie mir legentlich erzählen, deuten zu lassen, als ob es Träume aus der etzten Nacht wären, nach demselben Verfahren und mit demselben Erfolge. Bei der Besprechung der Angstträume werde ich zwei Beispiele von solch verspäteter Traumdeutung mitteilen. Als ich diesen Versuch zum erstenmal unstellte, leitete mich die berechtigte Erwartung, daß der Traum sich auch hierin nur verhalten werde wie ein neurotisches Symptom. Wenn ich nämlich einen Psychoneurotiker, eine Hysterie etwa, mittels Psychoanalyse behandle, so muß ich fur die ersten, längst flberwundenen S mptome seines Leidens ebenso Aufklärung schaffen wie für die noch heute bestehenden, die ihn zu mir geführt haben, und. finde erstere Aufgabe nur leichter zu lösen als die heute dringende. Schon in den 1895 publizierten „Studien über H star-ie" konnte ich die Aufklärung eines ersten hysterischen Angstanfalles mitteilen, den die mehr als 40jährige Frau in ihrem 15. Lebensjahre gehabt hatte. .

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In loserer Anreihung will ich hier noch einiges vorbringen, was ich über die Deutung der Träume zu bemerken habe, und was vielleicht den Leser orientieren wird, der mich durch Nacherbeit an seinen eigenen Träumen kontrollieren Will.

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Es wird niemand erwarten dürfen, daß ihm die Deutung seiner Träume mühelos in den Schoß falle. Schon zur Wahrnehmung endoptischer Phänomene und anderer für ewö_hnlich der Aufmerksamkeit entzogener Sensationen bedarf es er Übung, obwohl kein

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Freud, Traumdeutung. 3. Aufl. 21

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322 VII. Psychologie der Traumvorgänge.

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Eychisches Motiv sich gegen diese Gruppe von Wahrnehmungen sträubt. ‘ ist erheblich schwieriger, der „ungewollten Vorstellungen“ habhafl: zu werden. Wer dies verlangt, wird sich mit den Erwartungen erfilllen müssen, die in dieser Abhandlung rege gemacht werden, und wird in Befolgung der hier gegebenen Regeln jede Kritik, jede Voreingenommeuheit, jede afl'ektive oder intellektuelle Parteinuhme wahrend der Arbeit bei sich niederzuhalten bestrebt sein. Er wird der Vorschrift eingedenk bleiben, die Claude Bernard für den Experimentator im physiologischen Laboratorium aufgestellt hat: vaailler comme une biete, d. h. so ausdauernd, aber auch so unbekümmert um das Ergebnis. Wer diese Ratschläge befolgt, der wird die Aufgabe allerdings nicht mehr schwierig finden. Die Deutung eines Traumes vollzieht sich auch nicht immer in einem Zuge; nicht selten fühlt man seine Leistungsfhhigkeit erschöpfi, wenn man einer Verkettung von Einflillen gefolgt ist, der: Traum sagt einem nichts mehr an diesem Tage; man tut dann gut, abzubrechen und an einem nächsten zur Arbeit zurückzukehren. Dann lenkt ein anderes Stück des Trauminhalts die Aufmerksamkeit auf sich, und man findet den Zugang zu einer neuen Schicht von Traumgedanken. Man kann das die „frakfionierte“ Traumdeutung heißen.

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Am schwierigsten ist der Anfänger in der Traumdeutung zur Anerkennung der Tatsache zu bewegen, daß seine Aufgabe nicht voll erledigt isä wenn er eine vollständige Deutung des Traumes in Händen hat, ie sinnreich, zusammenhängend ist und über alle Elemente des __Trauminhalts Auskunft gibt. Es kann außerdem eine andere, eine Uberdeutung desselben Traumes möglich sein, die ihm entgangen ist. Es ist wirklich nicht leicht, sich von dem Reichtum an unbewußten, nach Ausdruck ringenden Gedankengängen in unserem Denken eine Vorstellung zu machen und an die Geschicklichkeit der Traumarbeit zu glauben, durch mehrdeutige Ausdrucksweise jedesmal gleichsam sieben Fliegen mit einem Schlage zu trefl‘en, wie der Schneidergeselle im Märchen. Der Leser wird immer geneigt sein, dem Autor vorzuwerfen, daß er seinen Witz überflüssig vergeude; wer sich selbst Erfahrung erworben hat, wird sich eines Besseren belehrt finden.

§ 1067

Die Frage, ob jeder Traum zur Deutung gebracht werden ist mit Nein zu beantworten. Man darf nicht vergessen, daß man bei der Deutungsarbeit die psychischen Mächte gegen sich hat, welche die Entstehung des Traumes versehulden. Es wird so eine Frage des Kräfteverhältnisses, ob man mit seinem intellektuellen Interesse, seiner Fähigkeit zur Selbstuberwindung, seinen psychologischen Kenntnissen und seiner Übung in der Traumdeutung den inneren Widerständen den Herren zeigen kann. Ein Stück weit ist das immer möglich, so weit wenigstens, um die Überzeugung zu gewinnen, daß der Traum eine sinnreiehe Bildung ist, und meist auch, um eine Ahnung dieses Sinnes zu gewinnen. Recht häufig ge— stattet ein niichstfolgender Traum, die für den ersten angenommene Deutung zu versichern und weiter zu führen. Eine ganze Reihe von

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Herabsetzung des Widerstandes im Sehlafzustande. 323

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Träumen, die sich durch Wochen oder Monate zieht, ruht oft auf gemeinsamem Boden, und ist dann im Zusammenhange der Deutung zu unterwerfen. Von aufeinander folgenden Träumen kann man oil; merken, wie der eine zum Mittelpunkte nimmt, was in dem nächsten nur in der Peripherie angedeutet wird, und umgekehrt, so daß die beiden einander auch zur Deutung ergänzen. Daß die verschiedenen Träume derselben Nacht ganz regelmäßig von der Deutungsarbeit wie ein Ganzes zu behandeln sind, habe ich bereits durch Beispiele erwiesen.

§ 1071

In den bestgedeuteten Träumen muß man oft eine Stelle im Dunkeln lassen, weil man bei der Deut merkt, daß dort ein Knaual von Traumgedanken anhebt, der til-ä: nicht entwirren will, aber auch zum Trauminhalt keine weiteren Beiträge geliefert hat. Dies ist dann der Nabel des Traumes, die Stelle, an der er dem Unerkannten auiisitzt. Die Traumgedanken, auf die man bei der Deutung gerät, müssen ja ganz allgemein ohne Abschluß bleiben und nach allen Seiten hin in die netzartige Verstriekung unserer Gedankenwelt auslaufen. Aus einer dichter-en Stelle dieses Geflechtes erhebt sich dann der Traumwunsch wie der Pilz aus seinem Myzelium.

§ 1072

Wir kehren zu den Tatsachen des Traumvergessens zurück. Wir haben es nämlich versäumt, einen wichtigen Schluß aus ihnen zu ziehen. Wenn das Wachleben die unverkennbare Absicht zeigt, den Traum, der bei Nacht gebildet werden ist, zu vergessen, entweder als Ganzes unmittelbar nach dem Erwachen oder stückweise im Laufe des Tages, und wenn wir als den Hauptbeteiligten bei diesem Vergessen den seelischen Widerstand gegen den Traum erkennen, der doch schon in der Nacht das Seinige gegen den Traum etan hat, so liegt die Frage nahe, was eigentlich gegen diesen %Viderstand die Traumbildung überhaupt ermöglicht hat. Nehmen wir den grellsten Fall, in dem das Wachleben den Traum wieder beseitigt, als ob er gar nicht vorgefallen ware. Wenn wir dabei das Spiel der psychischen Kräfte in Betracht ziehen, so müssen wir aussagen, der Traum wäre überhaupt nicht zu stande gekommen, wenn der Widerstand bei Nacht gewaltet hätte wie bei Tage. Unser Schluß ist, daß dieser während der Nachtzeit einen Teil seiner Macht eingebußt hatte; wir wissen, er war nicht aufgehoben, denn wir haben seinen Anteil an der Traumbildlmg in der Traumenüstellung nach ewiesen. Aber die Möglichkeit drängt sich uns auf, daß er des %Iachts verringert war, daß durch diese Abnahme des Wider— standes die Traumbildung möglich wurde, und wir verstehen so leicht, daß er, mit dem Erwachen in seine volle Kraft 6' esetzt, sofort wieder beseitigt, was er, solange er schwach war, z?lassen mußte. Die beschreibende Psychologie lehrt uns ja, daß die Hauptbedingung der Traumbildung der Schlafzusta.nd der Seele ist; wir könnten nun die Erklärung hinzufügen: der Schlafzustand ermöglicht die Traumbildung, indem er die endopsychische Zensur herabsetzt.

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21°

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324 VII. Psychologie der Traumvorgänge.

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Wir sind gewiß in Versuchung, diesen Schluß als den einzig möglichen aus den Tatsachen des Traumvergessens anzusehen, und weitere Folgerungen über die Energieverhältnisse des Schlafens und des Wachens aus ihm zu entwickeln. Wir wollen aber vorläufig hierin innehalten. Wenn wir uns in die Psychologie des Traunsee ein Stück weiter vertieft haben, werdenwir erfahren, daß man sich die Ermöglichung der Traumbildung auch noch anders vorstellen kann. Der Widerstand gegen das Bewußtwerden der Traumgedunken kann vielleicht auch umgangen werden, ohne daß er an sich eine Herabsetzung erfahren hatte. Es ist auch plausibel, daß beide der Traumbildung günstigen Momente, die Herabsetzung sowie die Umgebung des Widerstandes, durch den Schlafzustand gleichzeitig ermöglicht werden. Wir brechen hier ab, um nach einer Weile hier fortzusetzen.

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Es gibt eine andere Reihe von Einwendungen gegen unser Verfahren bei der Traumdeutung, um die wir uns jetzt bekümmern müssen. Wir gehen ja so hervor, daß wir alle sonst das Nachdenken beherrschenden Zielvorstellu en fallen lassen, unsere Aufmerksam— keit auf ein einzelnes Traume ement richten und dann notieren, was uns an ungewollten Gedanken zu demselben einfällt. Dann greifen wir einen nächsten Bestandteil des Tranminhalts auf, wiederholen an ihm dieselbe Arbeit und lassen uns, unbek‘timmert um die Richtung, nach der die Gedanken treiben, von ihnen weiter fiihren, wobei wir — wie man zu sagen pfi t — vom Hundertsten ins Tausendste geraten. Dabei hegen wir 'e zuversichtliche Erwarhmg‘, am Ende

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aus: ohne unser Dazutun auf die Traumgedanken zu geraten, aus denen der Traum entstanden ist. Dagegen wird die Kritik nun etwa folgendes einzuwenden haben: Daß man von einem einzelnen Element des Traumes irgendwohin gelangt, ist nichts Wunderbares. An jede Vorstellung laßt sich assoziativ etwas knüpfen; es ist nur merkwürdig, daß man bei diesem ziellosen und. willkürlichen Gedanken— ablaui' gerade zu den ’h'anmgedanlten geraten soll. Wahrscheinlich ist das eine Selbsttänschung; man folgt der Assoziationskette von dem einen Element aus, bis man sie aus irgend einem Grunde ahreißen merkt; wenn man dann ein zweites Element aufnimmt, so ist es nur natürlich, daß die ursprüngliche Unbeschrä.nktheit der Assoziation jetzt eine Einengung erfährt. Man hat die frühere Gedankenkette noch in Erinnerung und wird darum bei der Analyse der zweiten Traumvorstellung leichter auf einzelne Einfälle stoßen, die auch mit den Einlällen aus der ersten Kette irgend etwas gemein haben. Dann bildet man sich ein, einen Gedanken gefunden zu haben, der einen Knotenpunkt zwischen zwei Traumelementen darstellt. Da man sich sonst jede Freiheit der Gedankenverbindung gestattet und. eiientlich nur die Übergänge von einer Vorstellung zur anderen aussc ließt, die beim normalen Denken in Krafi; treten so wird es schließlich nicht schwer, aus einer Reihe von „Zwischengedanken“ etwas zusammenzubrnuen, was man die Traumgedsnken benennt, und

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Einwände gegen die Technik der Traumdeutung. 325

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ohne jede Gewähr, da diese sonst nicht bekannt sind fiir den psychischen Ersatz des Traumes ausgibt. Es ist aber alles Willkür und witzig erscheinende Ausnützung des Zufallcs dabei, und jeder der sich dieser uunützen Mühe unterzieht, kann zu einem beliebigen Traume auf diesem Wege eine ihm beliebige Deutung herausgrllbeln.

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Wenn uns solche Einwände wirklich vorgeruckt werden, so können wir uns zur Abwehr auf den Eindruck unserer Traum— deutungen berufen auf die überraschenden Verbindungen mit anderen Traumelementen, die sich während der Verfolgun der einzelnen Vorstellungen ergeben, und auf die Unwahrscheinlich eit, daß etwas, was den Traum so erschöpfend deckt und aufklärt wie eine unserer Traumdeutungen, anders gewonnen werden könne, als indem man vorher hergestellten sychischeu Verbindungen nachfli.hrt. Wir könnten auch zu unserer echtfertigung heranziehen, daß das Verfahren bei der Traumdeuan identisch ist mit dem bei der Auflösung der hysterischen Symptome, wo die Richtigkeit des Verfahrens durch das Auftauchen und Schwinden der S mptome zu ihrer Stelle gewährleistet wird, wo also die Auslegung es Textes an den eingeschalteten Illustrationen einen Anhalt findet. Wir haben aber keinen Grund, dem Problem, wieso man durch Verfolgung einer sich willkürlich und ziellos weiter spinnenden Gedankenkette zu einem präexistenten Ziele gelangen könne, aus dem Wege zu gehen, da wir dieses Problem zwar nicht zu lösen, aber voll zu beseitigen vermö en.

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Fß ist nämlich nachweisbar unrichtig, aß wir uns einem ziel— losen Vorstellungsablauf hingehen, wenn wir, wie bei der Traumdeutungsarbeit, unser Nachdenken fallen und. die ungewollten Vorstellungen auftauchen lassen. Es läßt sich zeigen, daß wir immer nur auf die uns bekannten Zielvorstellungen verzichten können, und daß mit dem Aufhören dieser sofort unbekannte — wie wir ungenau sagen: unbewußte — Zielvorstellungen zur Macht kommen die jetzt den Ablauf der ungewollten Vorstelluu en determiniert h ten. Ein Denken ohne Zielvorstellungen läßt sie durch unsere eigene Beeinfluss unseres Seelenlebens überhaupt nicht herstellen; es ist mit aber ano unbekannt, in welchen Zuständen psychischer Zerrllttung es sich sonst herstellt. Die Ps chiater haben hier viel zu früh auf die Festigkeit des chisehen efliges verzichtet. Ich weiß, daß ein 11 eregelter, der Zrelvorstelluu en entbehrender Gedankenablauf im Räumen der H sterie und der aranoia. ebenso wenig vorkommt wie bei der Bild

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er bei der Auflösung der Träume. Er tritt vielleicht bei den endeenen psychischen Afl'ektionen überhaupt nicht ein; selbst die De— ' "en der Verwerrenen sind nach einer eistreichen Vermutung von Leuret sinnvoll und. werden nur durch nslasgungen fiir uns unverständlich. Ich habe die nämliche Überzeugung gewonnen, wo mir Gel enheit zur Beobachtung geboten war. Die Delirien sind das Wei—fi einer Zensur, die sich keine Mühe mehr gibt, ihr Walten zu verbergen, die anstatt ihre Mitwirkung zu einer nicht mehr anstößigen

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326 VII. Psychologie der Traumvorg-änge.

§ 1088

Umarbeitung zu leihen, rücksichtslos ausstreicht, wogegen sie Einspruch erhebt, wodurch denn das Ubriggelassene zusammenhanglos wird. Diese Zensur verfth ganz analog der russischen Zeitungszensur an der Grenze, welche ausländische Journale nur von schwarzen Stricken durchsetzt in die Hände der zu bchütenden Leser gelangen läßt.

§ 1089

Das freie Spiel der Vorstellungen nach beliebiger Assoziationeverkettung kommt vielleicht bei destruktiven organischen Gehirnprozessen zum Vorschein; was bei den Psychoneurosen für solches gehalten wird, läßt sich allemal durch Einwirkung der Zensur auf eine Gedankenreihe aufklären, welche von verborgen gebliebenen Zielvorstellungen in den Vordergrund geschoben wird. Als ein untrüg— liches Zeichen der von Zielvorstellungen freien Assoziation hat man es betrachtet, wenn die euftauchenden Vorstellungen (oder Bilder) untereinander durch die Bande der sogenannten oberflächlichen Assoziationen verknüpft erscheinen, also durch Assonanz, Wortzweideutigkeit, zeitliches Znsemmentrefi‘en ohne innere Sinnbeziehung, durch alle die Assoziatioan die wir im Witz und beim Werts iel zu verwerten uns gestatten. Dieses Kennzeichen triü für die Gedankenverbindungen, die uns von den Elementen des Trauminhalts zu den Kollaterslen und von diesen zu den ei entlichen Treumgedanken fiihren, zu; Wirhahen bei vielen Traumana ysen Beispiele davon gefunden, die unser Befremden wecken mußten. Keine Anknüpfi1ng war da, zu locker, kein Witz zu verwerflich, als daß er nicht die Brücke von einem Gedanken zum anderen hätte bilden dürfen. Aber das richtige Verständnis solcher Naehsichtigkeit liegt nicht fern. Jedesmal, wenn ein psychisches Element mit einem anderen'dureh eine anstößige und oberflächliche Assoziation verbunden ist, existiert auch eine korrekte und tiefergehende Verknüpfung zwischen den beiden, welche dem Widerstand der Zensur unterliegt.

§ 1090

Druck der Zensur, nicht Aufhebung der Zielvorstellungen ist die richtige Begründung fiir das Vorhenschen der oberflächlichen Assoziationen. Die oberflächlichen Assoziationen ersetzen in der Derstellnng die tiefen, wenn die Zensur diese normalen Verhindungswege unganghar m_acht. Es ist, wie wenn ein allgemeines Verkehrshindernis, z. B. eine Übermhwemmnng, im Gebirge die großen und breiten Straßen unwegsam werden läßt; der: Verkehr wird dann auf unbequemen und steilen Fußpfaden aufrecht erhalten, die sonst nur der Jäger begangen hat.

§ 1091

Man kann hier zwei Fälle voneinander trennen, die im wesent— lichen eins sind. Entweder die Zensur richtet sich nur gegen den Zusammenhang zweier Gedanken, die voneinander losgelöst, dem

§ 1092

*) [Vgl hiezu die glänzende Bestätigung dieser Behauptung. die C. G. Jung durch Anfäystäiä bei Dementin praecex erbracht hat. („Zur Psychologie der Dementia meinen, 07 .

§ 1093

§ 1094

Rechtfertigung der Deutungstechnik. 327

§ 1095

Einspruch entgehen. Dann treten die beiden Gedanken nacheinander ins Bewußtsein; ihr Zusammenhang bleibt verborgen; aber dafiir fällt uns eine oberflächliche Verknüpfung zwischen beiden ein, an die wir sonst nicht gedacht hatten, und die in der Regel an einer anderen Ecke des Vorstellungskom lexes ansetzt, als von welcher die unterdrückte, aber wesentliche Q’erbindung ausgeht. Oder aber, beide Gedanken unterliegen an sich wegen ihres Inhalts der Zensur; dann erscheinen beide nicht in der richtigen, sondern in modifizierter, ersetzter Form, und die beiden Ersatzgedsnken sind so gewählt, daß sie durch eine oberflächliche Assoziatron die wesentliche Verbindung wiedergeben, in der die von ihnen ersetzten stehen. Unter dem Drucke der Zensur hat hier in beiden Fällen eine Verschiebung stattgefunden von einer normalen, ernsthaften Assoziation auf eine oberflächliche, absurd ersch einend e.

§ 1096

Weil wir von diesen Verschiebungen wissen, vertrauen wir uns bei der Traumdeutung auch den oberflächlichen Assoziationen ganz ohne Bedenken auf)

§ 1097

Von den beiden Sätzen, daß mit dem Aufgeben der bewußten Zielvorstellungen die Herrschaft über den Vorstellungsablauf an verborgene Zielvorstellungen ubergeht, und daß oberflächliche Assoziationen nur ein Verschiebungsersatz sind fur unterdrückte tiefer gehende, macht die Psychoanal se bei Neurosen den ausgiebigsten Gebrauch; ja., sie erhebt die bei en Sätze zu Grundpfeilem ihrer Technik. Wenn ich einem Patienten auftrage, alles Nachdenken fahren zu lassen und mir zu berichten, was immer ihm dann in den Sinn kommt, so halte ich die Voraussetzung fest, daß er die Zielvorstellungen der Behandlung nicht fahren lassen kann, und halte mich für berechti I:, zu fol

§ 1098

rn, daß das scheinbar Harmloseste und Willkürlichste, es er mir

§ 1099

richtet, im Zusammenhange mit seinem Krankheitszustand steht. Eine andere Zielvorstellung, von der dem Patienten nichts ahnt, ist die meiner Person. Die volle Würdigung sowie der eingehende Nach— weis der beiden Aufklamngen gehört demnach in die Darstellung der

§ 1100

ycheanalytischen Technik als therapeutischen Methode. Wir haben

§ 1101

ier einen der Anschlüsse erreicht, bei denen wir das Thema der Traumdeutung vorsätzlich fallen lassen.“)

§ 1102

*) Dieselben Erwägungen gelten natürlich auch fiir den Fall, daß die oben-« fliehlichen Assoziationen im Trauminhalt bloflgelegt werden, wie z. B. in den beiden von Henry mitgeteilten Trennen [Seite 42: pélerlnage — Pelletier — pelle; Kilometer — Kilogramm — Gilolo — Loboliu. -— Lopez — Lotto]. Aus der Arbeit mit “Neurotikern weiß ich, welche Reminlszenz sich so darzustellen liebt. Es ist das Nachschlagen im Konversationslexikou (Lexikon überhaupt), aus dem ja die meisten in der Zeit der Pubertätsneugierde ihr Bedürfnis nach Aufklärung der sexuellen Büste! gestillt haben. _

§ 1103

**) [Die hier vorgetragenen, damals sehr unwahrscheinheb klingenden Sitze haben seither durch die „diagnostischen Assoziationsstudien“ J ungs und seiner Schüler eine experimentelle Rechtfertigung und Verwertung erfahren.]

§ 1104

§ 1105

328 VII. Psychologie der Traumvorgänge.

§ 1106

Eines nur ist richtig und bleibt von den Einwendungen bestehen, nämlich daß wir nicht alle Einfälle der Deutungsarbeit auch in die nächtliche Traumarbeit zu versetzen brauchen. Wir machen ja beim Deuten im Wachen einen Weg-, der von den Traumelementen zu den Traumgedanken rückläuft. Die Trauma-beit hat den umgekehrten Weg genommen, und es ist gar nicht wahrscheinlich, daß diese Wege in umgekehrter Richtung gsngbsr Sind. Es erweist sich vielmehr, daß wir bei Tag über neue Gedankenverbindungen Schachte fiihren, welche die Zwischengedanken und die Traumgedanken bald an dieser, bald an jener Stelle trefl'en. Wir können sehen, wie sich das frische Gedankenmaterial des Tages in die. Deutungsreihen einschieht, und wahrscheinlich nötigt auch die Widerstandssteigerung, die seit der Nachtzeit eingetreten ist, zu neuen und ferneren Umwegen. Die Zahl oder Art der Kollateralen aber, die wir so bei Tage anspinnen, ist psycho— logisch vö]lig bedeutungslos, wenn sie uns nur den Weg zu den gesuchten Treuxngedenkcn führen.

§ 1107

6) Die Regression.

§ 1108

Nun aber, (in. wir uns gegen die Einwendungen verwahrt oder wenigstens angezeigt haben, wo unsere Waffen zur Abwehr ruhen, dürfen wir es nicht länger verschieben, in die psychologischen Untersuchungen einzutreten, für die wir uns längst gerüstet haben. Wir stellen die Hauptergehnisse unserer bisherigen Untersuchung zusammen. Der Traum ist ein vollwichtiger psychischer Akt; seine Triebkrafi ist allemal ein zu erfüllender Wunsch; seine Unkenntlichkeit als Wunsch und seine vielen Sonderharkeiten und Absurditäten rühren von dem Einfluß der sychischen Zensur her, den er bei der Bildung erfahren hat; außer er Nötigung. sich dieser Zensur zu entziehen, haben bei seiner Bildung mitgewirkt eine Nötigung zur Verdichtung des 5 chischen Materials, eine Rücksicht auf Darstellbarkeit in Sinnesh' dem und —— wenn auch nicht regelmäßig — eine Rücksicht auf ein rationelles und. intelligibles Außer-ee des Traumgebildes. Von jedem dieser Sätze fiihrt der Weg weiter zu psychologischen Postulaten und. Mutmußungen; die gegenseitige Beziehung des Wunschmotivs und der vier Bedingungen sowie dieser untereinander, ist zu untersuchen; der Traum ist in den Zusammenhang des Seeleulebens einzureihen.

§ 1109

Wir haben einen Traum an die Spitze dieses Abschnittes gestellt, um uns an die Rätsel zu mahnen, deren Lösung noch aussteht, Die. Deutung dieses Trsumes vom brennenden Kinde bereitete uns keine Schwierigkeiten, wenngleich sie nicht in unserem Sinne vollständig gegeben war. Wir Frag-ten uns, warum hier überhaupt geträumt wurde, anstatt zu erwachen, und erkannten als des eine Motiv des Träumens den Wunsch, das Kind als lebend vorzustellen Daß noch ein anderer Wunsch dabei eine Rolle spielt, werden wir nach späteren Erörterungen

§ 1110

§ 1111

Die Regression. 329

§ 1112

einsehen können. Zunächst also ist es die Wunscherftlllung, der zu Liebe der Denkvorgang des Schlafens in einen Traum verwandelt wurde.

§ 1113

Macht man diese rückgängig, so bleibt nur noch ein Charakter übrig, welcher die beiden Arten des psychischen Geschehens voneinander scheidet. Der Traumgedanke hätte gelautet: Ich sehe einen Schein aus dem Zimmer, in dem die Leiche liegt. Vielleicht ist eine Kerze _umgefallen und das Kind brennt! Der Traum gibt das Resultat dieser Überlegung unverändert wieder, aber dargestth in einer Situation, die gegenwärtig und mit den Sinnen wie ein Erlebnis des Wachens zu erfassen ist. Das ist aber der allgemeinste und anfflllligste psychologische Charakter des Truumens; ein Gedanke, in der Regel der gewünschte, wird im Traume objektiviert, als Szene dargestellt oder, wie wir meinen, erlebt. _

§ 1114

Wie soll man nun diese charakteristische Ei ntflmlichkeit der Traumarbeit erklären oder — bescheidener aus„ rückt — in den Zusammenhang der psychischen Vorgänge einfügen?

§ 1115

Bei näherem Zusehen merkt man wohl, daß in der Erscheinungs— form des Traumes zwei voneinander fast unabhängige Charaktere ausgeprägt sind. Der eine ist die Darstellung als egenwärtige Situation mit Weglassung' des „vielleicht“; der andere die msetzung des Gedankens in visuelle Bilder und in Rede.

§ 1116

Die Umwandlung, welche die Traumgedanken dadurch erfahren, daß die in ihnen ausgedrückte Erwartung ins Präsens gesetzt wird, scheint vielleicht gerade an diesem Traume nicht sehr auflllli . FA

§ 1117

dies mit der besonderen, eigentlich nebensächlichen Role der Wunscherfllllung in diesem Traume zusammen. Nehmen wir einen anderen Traum vor, in dem sich der Traumwunsch nicht von der Fortsetzung der \Vachgedanken in den Schlaf absondert, z. B. den von Irmas In'ektion. Hier ist der zur Darstellung gelangende Traum‘ edanke ein ptativ: Wenn doch der Otto an der Krankheit Irmas Schuld sein möchte! Der Traum verdrängt den Optativ und ersetzt ihn durch ein simples Präsens. Ja, Otto ist Schuld an der Krankheit Irmas. Das ist also die erste der Verwandlungen, die auch der entetellungsfreie Traum mit den Traumgedanken vornimmt. Bei dieser ersten Eigentümlichkeit des Traumes werden wir uns aber nicht lange aufhalten. Wir erledigen sie durch den Hinweis auf die bewußte Phantasie, auf den Tagtraum, der mit seinem Vorstellungsinhalt ebenso verführt. Wenn Daudets Mr. Joyeuse beschäftignngslos durch die Straßen von Paris irrt, während seine Töchter glauben müssen, er habe eine Anstellung und sitze in seinem Bureau, so träumt er von den Vorfällen, die ihm zur Protektion und zu einer Anstellung verhelfen sollen, gleichfalls im Präsens Der Traum gebraucht also das Präsens in derselben Weise und mit demselben Rechte wie der Tagtraum. Das Präsens ist die Zeitform, in welcher der Wunsch als erfüllt dargestellt wird.

§ 1118

§ 1119

330 VII. Psychologie der Traumvorgänge.

§ 1120

Dem Traume allein zum Unterschiede vom Tagtraume eigentllmlich ist aber der zweite Charakter, daß der Vorstellungsinhalt nicht gedacht, sondern in sinnliche Bilder verwandelt wird, denen man dann Glauben schenkt, und die man zu erleben meint. Fügen wir gleich hinzu, daß nicht alle Träume die Umwandlung von Vorstellung in Sinnesbild zeigen; es gibt Träume, die nur aus Gedanken bestehen, denen man die Wesenheit der Träume darum doch nicht bestreiten wird. Mein Traum: „Autodidasker — die Tagesphantasie mit Professor N.“ ist: ein solcher, in den sich kaum mehr sinnliche Elemente einmengten. als wenn ich seinen Inhalt bei Tag gedacht hätte. Auch gibt es in jedem längeren Traume Elemente, welche die Umwandlung ins Sinnliche nicht mitgemacht haben, die einfach gedacht oder gewußt werden, wie wir's vom Wachen her gewöhnt sind. Ferner wollen wir gleich hier daran denken, daß solche Verwandlung von Vorstellungen in Sinnesbilder nicht dem Trauma allein zukommt, sondern ebenso der Halluzination, den Visionen, die etwa selbständig in der Gesundheit aufl;reten oder als Symptome der Psychoneurosen. Kurz, die Beziehung, die wir hier untersuchen, ist nach keiner Rich— tung eine ausschließliche; es bleibt aber bestehen, daß dieser Charakter des Traumeß, wo er vorkommt, uns als der bemerkenswerteste erscheint, so daß wir ihn nicht aus dem Traumleben weggenommen denken könnten. Sein Verständnis erfordert aber weit ausgreifende Erörterungen.

§ 1121

Unter allen Bemerkungen zur Theorie des Träumens, welche man bei den Autoren finden kann, möchte ich eine als anknüpfen— wert hervorheben. Der große Gr. Th. Fechner “) spricht in seiner Psychophgsik (II. Teil, p. 520) im Zusammenhange einiger Erörterungen, ie er dem Traume widmet, die Vermutung aus, daß der Schauplatz der Träume ein anderer sei, als der des wachen Vorstellungslebens. Keine andere Annahme gestatte es, die besonderen Eigentumliehkeiten des Traumlebens zu begreifen.

§ 1122

Die Idee, die uns so zur Verfllgung gestellt wird, ist die einer psychischen Lokalitat. Wir wollen ganz beiseite lassen, daß der seelische Apparat, um den es sich hier handelt, uns auch als anatomisches Prä erst bekannt ist, und wollen der Versuchung sorg— fältig aus dem ege gehen, die psychische Lokalität etwa anatomisch zu bestimmen. Wir bleiben auf psychologischen Boden und gedenken nur der Aufforderung zu folgen, daß wir uns das Instrument, welches den Seelenleistungen dient, vorstellen wie etwa ein zusammengesetztes Mikroskop, einen photographischen Apparat u. dgl. Die psychische Lokalitll.t entspricht dann einem Orte innerhalb eines solchen Apparate, an dem eine der Vorstul'en des Bildes zu stande kommt. Beim Mikroskop und Fernrohr sind dies bekanntlich zum Teil ideelle Örtlichkeiten, Gegenden, in denen kein greifbarer Bestandteil des Apparate gelegen ist. Fur die Unvollkommenheiten dieser und. aller ah 'chen Bilder Entschuldigung zu erbitten, halte ich für überflüssig. Diese

§ 1123

§ 1124

F e e h n e r s Idee einer psychischen Lokalitüt. 33 1

§ 1125

Gleichnisse sollen uns nur bei einem Versuch unterstützen, der es unternimmt, uns die Komplikation der psychischen Leistung verständlich zu machen, indem wir diese Leistung zerlegen und die Einzel— leistung den einzelnen Bestandteilen des Apparats zuweisen. Der Versuch, die Zusammensetzung des seelischen Instruments eus solcher Zerlegung zu erraten, ist meines Wissens noch nicht gewagt werden. Er scheint mir harmlos. Ich meine, wir dürfen unseren Vermutungen freien Lauf lassen, wenn wir dabei nur unser kühles Urteil bewahren, das Gerüste nicht für den Bau halten. Da. wir nichts anderes henötigen als Hilfsvorstellungen zur ersten Annäherung an etwas Unbe— kanntes, so werden wir die rohesten und greifbarsten Annahmen zu— nächst allen anderen vorziehen.

§ 1126

Wir stellen uns also den seelischen Apparat vor als ein zusammengesetztes Instrument, dessen Bestandteile wir Instanzen oder der Anschaulichkeit zuliebe Systeme heißen wollen. Dann bilden wir die Erwartung, daß diese Systeme vielleicht eine konstante räumliche Orientierung gegeneinander haben, etwa wie die verschiedenen Linsensysteme des Fernrohres hintereinander stehen. Strenge nommen brauchen wir die Annahme einer wirklich räumlichen Ano ung der psychischen Systeme nicht zu machen. Es genügt uns, wenn eine feste Reihenfolge dadurch hergestth wird, daß bei gewissen ps chischen Vorgängen die Systeme in einer bestimmten zeitlichen lizolge von der Erregung durchlaufen werden. Diese Folge mag bei anderen Vorgängen eine Abänderun erfahren; eine solche Möglichkeit wollen wir uns offen lassen. Von en Bestandteilen des Apparate wollen wir von nun an der Kürze halber als „d’-Systeme“ sprechen.

§ 1127

Das erste, das uns auflällt, ist nun, daß dieser aus W-Systemen zusammengesetzte Apparat eine Richtung hat. All unsere psychische Tätigkeit geht von (inneren oder äußeren) Reizen aus und endigt in Innervationen. Somit schreiben wir dem Ap arat ein sensibles und ein motorisches Ende zu; an dem sensiblen ‘nde befindet sich ein System, welches die Wahrnehmungen empfängt, am motorischen Ende ein anderes, welches die Schleusen der Motilitltt eröfl'net. Der syehische Vorgang verläuft im allgemeinen vom Wahmehmungsen 0 zum Motilitätsende. Das allgemeinste Schema des psychischen Apparate hätte also folgendes Ansehen:

§ 1128

m;. 1.

§ 1129

W M

§ 1130

/ ll \

§ 1131

\/

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§ 1133

332 VII. Psychologie der Traumvorgänge.

§ 1134

Das ist aber nur die Erfüllung der uns längst vertrauten Forderung, der psychische Apparat müsse gebaut sein wie ein Reflexapparat. Der Reflexvorgang bleibt das Vorbild auch aller psychischen Leistung.

§ 1135

Wir haben nun Grund, am sensiblen Ende eine erste Differen— zierung eintreten zu lassen. Von den Wahrnehmungen, die an uns herankommen, verbleibt in unserem psychischen Apparat eine Spur, die wir „Erinnerungsspur“ heißen können. Die Funktion, die sich auf diese Erinnerungsspnr bezieht, heißen wir ja Gedächtnis. Wenn wir Ernst mit dem Vorsatze machen, die psychischen Vorgänge an Systeme zu knüpfen, so kann die Erinnerungsspur nur bestehen in bleibenden Veränderungen an den Elementen der Systeme. Nun bringt es, wie schon von anderer Seite ausgefiihrt, offenbar Schwierigkeiten mit sich, wenn ein und. dasselbe System an seinen Elementen Veränderungen getreu bewahren und doch neuen Anlässen zur Veränderung immer frisch und aufnahmsfiihig entgegentreten soll. Nach dem Prinzip, das unseren Versuch leitet, werden wir also diese beiden Leistungen auf verschiedene Systeme verteilen. Wir nehmen an, daß ein vorderstes . ystem des Apparate die Wahrnehmung-sreize aufnimmt, aber nichts von ihnen bewa rt, also kein Gedächtnis hat, und daß hinter diesem ein zweites System liegt, welches die momentane Erregung des ersten in Dauerspuren umsetzt. Dann ware dies das Bild unseres psychischen Apparate (Fig. 2):

§ 1136

Fig. 2. W Er Er' Er" M

§ 1137

/ \

§ 1138

\__‘__*

§ 1139

Es ist bekannt, daß wir von den Wahrnehmungen, die auf System W einwirken, noch etwas anderes als bleibend bewahren als den Inhalt derselben. Unsere Wahrnehmungen erweisen sich auch als im Gedächtnisse miteinander verknüpft, und zwar vor allem nach ihrem einstigen Zusammentreffen in der Gleichzeitigkeit. Wir heißen das die Tatsache der Assoziation. Es ist nun klar, wenn das W -S stem überhaupt kein Gedächtnis hat, daß es auch die Spuren für ie Assoziation nicht aufbewahren kann; die einzelnen VV-Elemente wären in ihrer Funktion unerträglich behindert, wenn sich gegen eine neue Wahrnehmung ein Rest früherer Verknüpfung geltend machen würde. Wir müssen also als die Grundlage der Assoziation vielmehr die Erinnerungssysteme annehmen. Die Tatsache der Assoziation be—

§ 1140

§ 1141

Ein Schema des seelischen Apparates. 333

§ 1142

steht dann darin, daß info e von Widerstandsverringeru en und Bahnungen von einem der Er-Elemente die Erregung sich er nach einem zweiten als nach einem dritten Er—Element fortpflanzt.

§ 1143

Bei näherem Eingehen ergibt sich die Notwendigkeit, nicht eines, sondern mehrere solcher Er-Systeme anzunehmen, in denen dieselbe, durch die W-Elemente fortgepflanzte Er ung eine verschiedenart' e Fixierung erfährt. Das erste dieser Er- steme wird jedenfalls äe Fixierung der Assoziation durch Gleichzeitigl;eit enthalten, in den weiter entfernt liegenden wird dasselbe Erregungsmaterial nach anderen Arten des Zusammentreffen angeordnet sein, so daß etwa Beziehungen der Ahnlichkeit u. a. durch diese späteren S steme dargestellt würden. FA wäre natürlich mäßig, die psychische Bedeut eines solchen Systems in Worten angeben zu wollen. Die Char teristik desselben läge in der Innigkeit seiner Beziehungen zu Elementen des Erinnerungerohmaterials, das heißt, wenn wir auf eine tiefer greifende Theorie hinweisen wollen, in den Abstufungen des Leitungswiderstandes nach diesen Elementen hin.

§ 1144

Eine Bemerkung allgemeiner Natur, die vielleicht auf Bedeutsames hinweist, wäre hier einzuschalten. Das W-System, welches keine Fähigkeiten hat, Veränderungen zu bewahren, also kein Ge— duchtnis, ergibt für unser Bewußtsein die ganze Mannigfaltigkeit der sinnlichen Qualitäten. Umgekehrt sind unsere Erinnerungen, die am tiefsten uns eingeprägten nicht ausgenommen, an sich unbewußt. Sie können bewußt gemacht werden; es ist aber kein Zweifel, daß sie im unbewußten Zustand alle ihre Wirkun n entfalten. Was wir unseren Charakter nennen, beruht ja auf den innerungsspuren unserer Eindrücke, und zwar sind gerade die Eindrücke, die am stärksten auf uns gewirkt hatten, die unserer ersten Jugend, solche, die fast nie bewußt werden. Werden aber Erinnerungen wieder bewußt, so zeigen sie keine sinnliche Qualität oder eine sehr geringfügige im Ve leiche zu den Wahrnehmungen. Ließe sich nun bestätigen, daß Ge sehtnis und. Qualität für das Bewußtsein an den W-Systemen einander ausschließen, so eröffnete sich in die Bedingungen der Neuronerregung ein vielvers rechender Einblick.

§ 1145

Was wir bisher über die Zusammensetzung des psychischen A

§ 1146

ats am sensiblen Ende angenommen haben, erfolgte ohne Blic nicht auf den Traum und die aus ihm ahleitbaren psyc ologischen Aufen. Für die Erkenntnis eines anderen Stückes des Apparate wird uns aber der Traum zur Beweisquelle. Wir haben gesehen, daß es uns unmöglich wurde, die Traumbildung zu erklären, wenn wir nicht die Annahmen zweier psychischen Instanzen wagen wollten, von denen die eine die Tätigkeit der anderen einer Kritik unterzieht, als deren Fol e sich die Ausschließung vom Bewußtwerden er 'bt.

§ 1147

Die 'tisierende Instanz, haben wir geschlossen, unter tnähere Bezieh en zum Bewußtsein als die kritisierte. Sie steht zwischen dieser un dem Bewußtsein wie ein Schirm. Wir haben ferner Anhalts

§ 1148

§ 1149

334 VII. Psychologie der Traumvorgltnge.

§ 1150

punkte gefunden, die kritisierende Instanz mit dem zu identifizie

§ 1151

was unser waches Leben lenkt und über unser willkürliehes, hewußtes Handeln entscheidet. Ersetzen wir nun diese Instanzen im Sinne unserer Annahmen durch Systeme, so wird durch die letzterwähnte Erkenntnis des kritisierende System aus motorische Ende gerückt. Wir tragen nun die beiden Systeme in unser Schema ein und drücken in den ihnen verliehenen Namen ihre Beziehung zum Bewußtsein aus.

§ 1152

Fig. 3. W Er Er' Ulm: VW) | ' ...... ‘ 1 ' | ')

§ 1153

Das letzte der Systeme am motorischen Ende heißen wir das Vorbewußte, um anzudeuten, daß die Erregungsvorgänge in demselben ohne weitere Aufhaltung zum Bewußtsein gelangen können, falls noch gewisse Bedingungen erfüllt sind, z. B. die Erreichung einer gewissen Intensität, eine gewisse Verteilung jener Funktion, die man Aufmerksamkeit zu nennen hat, und dergleichen. Es ist gleichzeitig das System welches die Schlüssel zur willkürlichen Motilitat inne hat. Das System dahinter heißen wir das Unbewnßte, weil es keinen Zugang zum Bewußtsein hat, außer durch das Vorbewußte, bei welchem Durchgang sein Erregungsvorgang sich Abänderungen gefallen lassen muß.

§ 1154

In welches dieser Systeme verlegen wir nun den Anstoß zur Traumbildung? Der Vereinfachung zu Liebe in das System Ubw. Wir werden zwar in späteren Erörterungen hören, daß dies nicht ganz richtig ist, daß die Traumbildnng genötigt ist an Traumgedanken anzuknüpfen, die dem System des Vorbewußten angehören. Wir werden aber auch an anderer Stelle, wenn wir vom Traumwunsche handeln, erfahren, daß die T riebkreft für den Traum vom Ubw beigestellt wird, und wegen dieses letzteren Moments wollen wir das unbewußte System als den Ausgangspunkt der Traumbildun annehmen. Diese Traumerregung wird nun wie alle anderen Gedanfienbildungen das Bestreben äußern, sich ins wa fortzusetzen und von diesem aus den Zugang zum Bewußtsein zu gewinnen.

§ 1155

Die Erfahrung lehrt uns, daß den Traumgedanken tagsüber dieser W , der durchs Vorbewußte zum Bewußtsein führt, durch die Widerstan zensur verlegt ist. In der Nacht schafi'en sie sich den Zugang zum Bewußtsein; aber es erhebt sich die Frage, auf welchem

§ 1156

§ 1157

Die Richtung des Erregungsablaufes. 335

§ 1158

Wege und dank welcher Veränderung. Würde dies den Traumedanken dadurch ermöglicht, daß nachts der Widerstand ubsinkt, er an der Grenze zwischen Unbewußten und. Vorbewußten wacht, so bekamen wir Träume in dem Material uiiserer Vorstellungen, die nicht den halluzinatorischen Charakter zeigen, der uns jetzt interessiert.

§ 1159

Das Absinken der Zensur zwisehen den beiden Systemen Ubw und VW) kann uns also nur solche Traumbildungen erklären wie Autodidasker, aber nicht Träume wie den vom brennenden Kinde, den wir uns als Problem an den Eingang dieser Untersuchungen gestth haben.

§ 1160

Was im halluzinatorischen Traume vor sich geht, können wir nicht anders beschreiben, als indem wir sagen: Die Erregung nimmt einen rückläufigen Weg. Anstatt gegen das motorische Ende des A parats pflanzt sie sich gegen as sensible fort und langt schließ 'ch beim System der Wahrnehmungen an. Heißen wir die Richtung, nach welcher sich der psychische Vorgang aus dem Unbewußten im Wachen fortsetzt, die progrediente, so dürfen wir vom Traume aussagen, er habe re gredienten Charakter.

§ 1161

Diese Regres si o n ist dann sicherlich eine der wichtigsten psychologischen Eigonttimliehkeiten des Traumvorganges; aber wir dürfen nicht vergessen, daß sie dem Träumen nicht allein zukommt. Auch das absichtliche Erinnern und andere Teilvorgänge unseres normalen Denkens entsprechen einem Rückschreiten im psychischen Apparat von irgend welchem kam lcxen Vorstellun sakt auf das Rohmaterial der Erinnerungsspuren, ie ihm zu Gran e liegen. Während des Wachens aber reicht dieses Zurückgreifen niemals über die Erinnerungsbilder hinaus; es vermag die halluzinatorische Belebung der Wahrnehmungsbilder nicht zu erzeugen. Warum ist dies im Trauma anders? Als wir von der Verdichtungsarbeit. des Traumes sprachen, konnten wir der Annahme nicht ausweichen, daß durch die Trauma.rbeit die an den Vorstellungen haftenden Intensitäten von einer zur anderen voll übertragen werden. Wahrscheinlich ist es diese Abänderung des sonsti en psychischen Vorganges, welche es ermöglicht, das System der W is zur vollen sinnlichen Lebhafizigkeit in umgekehrter Richtung, von den Gedanken her, zu besetzen.

§ 1162

Ich hofl'e, wir sind weit davon entfernt, uns über die Tragweite dieser Erörterungen zu täuschen. Wir haben nichts anderes getan, als für ein nicht zu erklärendes Phänomen einen Namen ben. Wir heißen es Regression, wenn sich im Traume die Vorste lung in das sinnliche Bild rückverwandelt, aus dem sie irgend einmal hervorgegangen ist. Auch dieser Schritt verlangt aber Rechtfertigung. Wozu die Namengebung, wenn sie uns nichts Neues lehrt? Nun ich meine, der Name „Regressiou“ dient uns insofern, als er die uns bekannte Tatsache an das Schema des mit einer Richtung versehenen seelischen Apparate knüpft. An dieser Stelle verlchnt es sich aber zum erstenmal, ein solches Schema aufgestellt zu haben.

§ 1163

§ 1164

V

§ 1165

336 VII. Psychologie der Traumvorg‘änge.

§ 1166

Denn eine s_ndere Eigentümlichkeit der Traumhildung wird uns ohne neue Überlegung allein mit Hilfe des Schemas einsichtlich werden. Wenn wir den Traumvorgang als eine Regression innerhalb des von uns angenomménen seelischen Apparate ansehen, so erklärt sich uns ohne weiteres die empirisch festgestellte Tatsache, daß alle Denkrelationen der Traumgedsnken bei der Traumarbeit verloren gehen oder nur mübseligen Ausdruck finden. 'Diese Denkrelationen sind nach unserem Schema nicht in den ersten Er-Systemen, sondern in weiter nach vorn liegenden enthalten und müssen bei der Regression bis auf die Wahrnehmungsbilder ihren Ausdruck ain— büßen. Das Gefüge der Traumgedanken wird bei der Regression in sein Rohmaterial aufgelöst.

§ 1167

Durch welche Veränderung wird aber die bei Tag unmögliche Regression ermöglicht? Hier wollen wir es bei Vermutnn bewenden Lassen. Es muß sich wohl um Veränderungen 'in en Energiebesetzu en der einzelnen Systeme handeln, durch welche sie wegsamer 0 er unwegsamer fiir den Ablauf der Erregung werden; aber in jedem derartigen Ap erst könnte der nämliche Effekt für den Weg der Erregung durc mehr als eine Art von solchen Abänderungen zu stande gebracht werden. Man denkt natürlich sofort an den Schlafzustand und an Besetzungeänderungen, die er am sensiblen Ende des Ap ats hervorruft. Bei Tag gibt es eine kontinuierlich laufende trömnng von dem llf-System der W het zur Motilität; diese hat bei Nacht ein Ende und könnte einer Rückström der Erregung kein Hindernis mehr bereiten. Es wäre dies die „A schließun von der Außenwelt“, welche in der Theorie einiger Autoren 'e psychologischen Charaktere des Traumes aufklären soll (vgl. Seite 56). Indes wird man bei der Erklärung der Regression des Traumes Rücksicht auf jene anderen Regressionen nehmen müssen, die in krankhafi.en Wachzuständen zu stande kommen. Bei diesen Formen läßt natürlich die eben gegebene Auskunft im Sticks. Es kommt zur Regression trotz der ununterbrochenen sensiblen Strömung in progredienter Richtung.

§ 1168

Für die Halluzinstionen der Hysterie, der Paranoia, die Visionen geistßsmrmnlfl Personen kann ich die Aufklärung geben, daß sie tatsächlich Refressionen entsprechen, (1. h. in Bilder verwandelte Gedanken ein , und daß nur solche Gedanken diese Verwandlung erfahren, welche mit unterdrückten oder nnbewußt gebliebenen Erinner en im intimen memenhana:tehen. Z. B. einer meiner jüngsten steriker, ein zwölijähriger _be, wird am Einschlafen ehindert nrch „grüne Gesichter mit roten Augen“, vor . onen er sich entsetzt. Quelle dieser Erscheinung ist die unterdrückte, aber einstens bewußte Erinnerung an einen Knaben, den er vor vier Jahren oftmals sah, und der ihm ein ahschreckendes Bild vieler' Kinderunarten bot, darunter auch jener der Omnia, aus der er sich selbst jetzt einen nachträglichen Vorwurf macht. Die Mama hatte dnmsln

§ 1169

Hysterische Regressionen, Visionen. 337

§ 1170

bemerkt, daß der ungezogene Junge eine grünliche Gesichtsfarbe habe und rote (d. h. rot gerunderte) Augen. Daher das Schreckges net, das übrigens nur dazu bestimmt ist, ihn an eine andere Vor ersage der Mama zu erinnern, daß solche Jungen blödsinnig werden, in der Schule nichts erlernen können und früh sterben. Unser kleiner Patient läßt den einen Teil der Prophezeiung ein— trefl'en; er kommt im G mnasium nicht weiter und fürchtet sich, wie das Verhör seiner ungewo lten Einfälle zeigt, entsetzlich vor dem zweiten Teile. Die Belmndlung__ hat allerdings nach kurzer Zeit den Erfolg, daß er schläft, seine Angstlichkeit verliert und sein Schuljahr mit einem Vorzugszeugnis abschließt.

§ 1171

Hier kann ich die Auflösung einer Vision anreihen, die mir eine 4Q'ährige Hysteriku aus ihren gesunden Tagen erzählt hat. Eines or ens schlägt sie die Augen auf und sieht ihren Bruder im Zimmer, der doch, wie sie weiß, sich in der Irrenanstalt befindet. Ihr kleiner Sohn schläft im Bette neben ihr. Damit das Kind nicht erschrickt und in Krämpfe verfällt, wenn es den Onkel sieht, zieht sie die Bettdec ke über dasselbe, und dann verschwindet die Erscheinung. Die Vision ist die Umnrbeitung einer Kindererinnerung der Dame, die zwar bewußt war, aber mit allem unbewußtem Material in ihrem Innern in intimster Beziehung stand. Ihre Kinderfrau hatte ihr erzählt, daß die sehr früh verstorbene Mutter (sie war zur Zeit des Todesfalles erst 1‘/, Jahre alt) an epile tischen oder hysterischeu K ra m p fe n gelitten hatte, und zwar seit einem hreck, den ihr der Bruder (der Onkel meiner Patientin) dadurch verursachte, daß er ihr als Gespenst mit einer Bettdeeke über dem Kopfe erschien. Die Vision enthält dieselben Elemente wie die Erinnerung: Die Erscheinung des Bruders, die Bettdecke, den Schreck und seine Wirkung. Diese Elemente sind aber zu neuem Zusammenhange angeordnet und auf andere Personen übertragen. Das ofi‘enkundige Motiv der Vision, der durch sie ersetzte Gedanke, ist die Besorgnis, daß ihr kleiner Sohn, der seinem Onkel physisch so shnlich war, das Schicksal desselben teilen könnte.

§ 1172

Beide hier führte Beispiele sind nicht frei von aller Beziehung- zum Schls ushmd und darum vielleicht zu dem Beweise ungeeignet, für den ich sie brauche. Ich verweise also auf meine Analyse einer halluzinierenden Paranoika“) und auf die Ergebnisse meiner noch nicht veröffentlichten Studien über die Psychologie der Psychoneurosen, um zu bekrilfligen, daß man in diesen Fällen von

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'enter Gedunkenverwandlung den Einfluß einer unterdrückten oder unbewußt ebliebenen Erinnerung, meist einer infuntilen, nicht übersehen darf. iese Erinnerung zieht leichsum den mit ihr in Verbindung sßhenden, an seinem A'usdruc durch die Zensur verhin

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') Weitere Bemerkungen über die Abwehruenroplyoh0lcn. Neurol el Zentralblatt, 1896, Nr. 10. [Sammlung kl. Schriften |. Neumonlehre. p. 112.

§ 1175

Freud, Traumdeutung. !. Aufl. 23

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",

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338 VII. Psychologie der Traumvorgänge.

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derten Gedanken in die Regression als in jene Form der Darstel— lung, in der sie selbst ps chisch vorhanden ist. Ich darf hier als ein Ergebnis der Studien ü er Hysterie einführen, daß die infantilen Szenen (seien sie nun Erinnerungen oder Phantasien), wenn es gelingt, , sie bewußt zu machen, halluzinatorisch gesehen werden und erst nach der Mitteilung diesen Charakter abstreifen. Es ist auch bekannt, 1 daß selbst bei Personen, die sonst im Erinnern nicht visuell sind, ; die frühesten Kindererinnerungen den Charakter der sinnlichen Leb— ' haftigkeit bis in späte Jahre bewahren.

§ 1180

Wenn man sich nun erinnert, welche Rolle in den Traum— gedanken den infantilen Erlebnissen oder den auf sie gegründeten Phantasien zuflt11t, wie häufig Stücke derselben im Trauminhalt wieder auftauchen, wie die Traumwünsche selbst häufig aus ihnen abgeleitet sind, so wird man auch fiir den Traum die Wahrscheinlichkeit nicht abweisen, daß die Verwandlung von Gedanken in visuelle Bilder mit die Folge der An ziehung sein möge, welche die nach Neubeleb strebende visuell dar esteIlte Erinnerung auf den nach Ausdruuä ringenden vom Bew tsein abgeschnittenen Gedanken ausübt. Nach dieser Auffassung ließe sich der Traum auch beschreiben als der durch Übertragung auf Rezentes veränderte Ersatz der infantilen Szene. Die Infantilszene kann ihre Erneu nicht durchsetzen; sie muß sich mit der Wiederkehr als Traum begnügen.

§ 1181

Der Hinweis auf die gewissermaßen vorbildliche Bedeutung der Infantilszenen (oder ihrer phantastischen Wiederholungen) für den Trauminhalt, macht eine der Annahmen Scherners und seiner An— hänger über die inneren Reizquellen überflüssig. Sch erner nimmt. einen Zustand von „Gesichtsreiz“, von innerer Erregung im Schorgsm an, wenn die Träume eine besondere Lebhaftigkeit ihrer visuellen Elemente oder einen besonderen Reichtum an solchen erkenne»,la53en. Wir brauchen uns gegen diese Annahme nicht zu stränme dürfen uns etwa damit b augen einen ,solchen Erregungszustau \ bloß für das psychische ahnehmungssystem des. Schorgans Eli statuieren, werden aber geltend machen, daß dieser Erregungszusflmd‘. ein durch die Erinnerung hergestellter die Aufl'rischung der seiner. zeit aktuellen Seherregung ist. Ich ha e aus eäener Erfahrung kein, gutes Beispiel für solchen Einfluß einer infan ' en Erinnerung zur Hand; meine Träume sind überhaupt weniger reich an sinnlichen Elementen, als ich die anderer schätzen muß; aber in dem schönsten und lebhaftesten Traume dieser letzten Jahre wird es mir leicht, die halluzinatorische Deutlicbkeit des Traummhsflis auf sinnliche Qualitäten rezenter und kürzlich erfolgter Emdrücke zurückzuführen. Ich habe auf Seite 287 einen Traum erwähnt, In dem die tiefblaue Farbe des Wassers, die braune Farbe des Rauches aus den Kaminen der Schifl’e und das düstere Braun und Rat der Bauwerke, die ich sah, mir einen tiefen Eindruck hinterheßen. Wenn irgend einer, so mußhe_

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Die Regression erklärt durch die Anziehung der Infnntilszenen. 339

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dieser Traum auf Gesichtsreiz gedeutet werden. Und was hatte mein Sehergan in diesen Reizzustend versetzt? Ein rezenter Eindruck, der sich mit einer Reihe früherer zusammentat. Die Farben, die ich sah, waren zunächst die des Ankersteinbaukastens, mit dem die Kinder am Tage vor meinem Traume ein großartiges Bauwerk aufgeführt hatten, um es meiner Bewunderung zu zeigen. Da fanden sich das nämliche düstere Rot an den großen das Blau und Braun an den kleinen Steinen. Dazu gesellten sich die Farbeneindrücke der letzten italienischen Reisen, des schöne Blau des Isonzo und der Lagune und das Braun des Karstes. Die Farbensehönheit des Traunsee war nur eine Wiederholung der in der Erinnerung gesehenen.

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F essen wir zusammen, was wir über die Eigentümliehkeit des Traumes, seinen Vorstellungsinhelt in sinnliche Bilder umzugießen, erfhhren haben. Wir haben diesen Charakter der Traumarbeit nicht etwa. erklärt, auf bekannte Gesetze der Ps eholo 'e zurüc führt, sondern haben ihn als auf unbekannte Verb tnisse ' deutend emusgegrifl'en und durch den Namen des „regredienten“ Charakters ausgezeichnet. Wir haben emeint, diese Regression sei wohl überall, wo sie vorkommt, eine Wiriung des Widerstandes, der sich dem Vordringen des Gedankens zum Bewußtsein auf dem normalen Wege entg{egensetzt, sowie der gleichzei3'fgen Anziehung, welche als sinnesstar vorhandene Erinnerun en & ihn ”ausüben. Beim 'I‘raume käme vielleicht zur Erleichterung er Rearession hiezu das Aufhören der progredienten 'l‘agesströmnng von en Sinnesorganen, welches Hilfsmoment bei den anderen Formen von R 'on durch Verstärku der anderen Regresionsmotive watt gemac twerden muß. Wir wollen auch nicht vergessen uns zu merken, doll bei diesen pathologischen Fällen von Regression wie im Trauma der Vorgang der Energieübertragung ein anderer sein dürfi.e .als bei den ressionen des normalen seelischen Lebens, da durch ihn eine volle h uzinatorisehe Besetzung der Wahrnehmungss sterne ermöglicht wird. Was wir bei der Analyse der Traumarbeit s die „Rücksicht auf Darstellbarkeit“ bewhrieben haben, dürfie auf die auswählende Anziehung der von den Tmumgedanken berührten, visuell erinnerten Szenen zu beziehen sein. _

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Leicht möglich, daß dieses erste Stück linearer ps chologischen Verwertung des Tmumes uns selbst nicht sonderlich be riedigt. Wir wollen uns damit tröston, daß w_u- Ja genötigt sind, ins Dunkle hinaus zu bauen. Sind wir nicht völlig in die Irre geraten, so müssen wir von einem anderen An rifl‘spunkte her in un fhhr die nämliche Region geraten, in wele er wir uns dann vie sieht heuer zurecht

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finden werden. c) Zur Wunseherfüllung.

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Der vorangestellte Traum vom brennenden Kinde gibt uns einen willkommenen Anlaß, Schwierigkeiten, auf welche die Lehre von der

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340 VII. Psychologie der Traumvorgä.uge.

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Wunscherfiillung stößt, zu würdigen. Wir haben es gewiß alle mit Befremden aufgenommen, daß der Traum nichts anderes als eine Wunscherfüllung sein soll, und nicht etwa allein wegen des Widers ruchs, der vom Angsttranrne ausgeht. Nachdem uns die ersten Anf

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arungen durch die Analyse beichrt hatten, hinter dem 'lh‘aume ver— herge sich Sinn und psychischer Wert, so wäre unsere Erw keineswegs auf eine so eindeutige Bestimmung dieses Sinnes gefaßt gewesen. Nach der korrekten, aber kärgiichen Definition des Aristoteles ist der Traum das in den Schlafzustand — insofern man schläft — fortgesetzte Denken. Wenn nun unser Denken bei Tage so verschiedenartige ps chische Akte schafl, Urteile, Schlußfolgerungen, Widerlegungen, wartungen, Vorsätze u. dgl., wodurch soll es bei Nacht genötigt sein, sich allein auf die Erzeugung von Wünschen einzuschränken? Gibt es nicht vielmehr reichlich Träume, die einen andersartigen psychischen Akt in Traumgestalt verwandelt bringen, z. B. eine Besorgnis, und ist nicht gerade der vorangestell ganz besonders durchsich' e Traum den Vaters ein solcher? Er zieht auf den Hehtscheiu hin, er ihm auch sehlafend ins Auge fällt, den hesorgten SGhlnß, daß eine Kerze um efallen sei und die Leiche in Brand gesteckt haben könne; diesen hluß verwandelt er in einen Traum, indem er ihn in eine sinnfällige Situation und in das Präsens einkleidet. __ Welche Rolle spielt dabei die Wunscherfüllung, und. ist denn die Ubermacht des vom Wachen her sich fortsetzenden oder-durch den neuen Sinneseindruck angeregten Gedankens dabei irgend zu verkenuen?

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Das ist alles richtig und nötigt uns’ auf die Rolle der Wunsch.. erfuilung im Trauma und auf die Bedeutung der in den Schlaf siehfortsetzenden Wachgedanken näher einzugehen.

§ 1194

Gerade die Wunsoherfüllung hat uns bereits zu einer Scheidung“ der Träunie in zwei Gruppen veranlaßt. Wir haben Träume ge‘ fanden, die sich offen als Wunscherf'flllungen eben; andere, derefi Wunseherflillung unkenntlich, oft mit allen 'tteln versteckt ware. In den letzteren erkannten wir die Leistungen der Traumzensur. Die unentstellten Wunschträume fanden wir hauptsächlich bei Kindern ;: kurze, oii’enherzi e Wunschträume schienen — ich 1 Nach. druck auf diesen orbehalt —— auch bei Erwachsenen vor nimm

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Wir können nun fragen, woher jedesmal der Wunsch stame der sich im Trauma verwirklicht. Aber auf welchen Gegensatz Oder auf welche Mannigfalfigkeit beziehen wir dieses „Woher“? Ich mein ‘_ auf den Gegensatz zwischen dem bewußt gewordenen Tageslehen un : einer unhewußt ebliebenen ps ehwchen Tätigkeit, die sich erst zur Nachtzeit hemerk machen kann 1611 finde dann eine dreifache. Möglichkeit für die Herkunft emes Wunschea. _Er kann 1. bei Tage erregt worden sein und mfolge äußerer Yerhältmsse keine Befriedig . ‘ gefunden haben; es erübrigt dann für file Nacht ein anerkannter ii:s unerledigter Wunsch; 2. er kann ber Tage aufgetaucht, sein, aber

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Die Herkunft des Traumwunsches. 341

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Verwerfung gefunden haben; es erübrigt uns dann ein unerledigter, aber unterdrückter Wunsch oder 3. er kann außer Beziehung mit dem Tagesleben sein und zu jenen Wünschen gehören, die erst nachts aus dem Unterdrückten in uns rege werden. Wenn wir unser Schema des psychischen Apperats vornehmen, so lokalisieren wir einen Wunsch der ersten Art in das System wa; vom Wunsche der zweiten Art nehmen wir an, daß er aus dem System WM in das Ubw zurückgedrängt werden ist und wenn überhaupt, nur dort sich erhalten hat; und von der VV’unschre n der dritten Art glauben wir, daß sie überhaupt unfähig ist, (Es äystem des Ubw zu überschreiten. Heben nun Wünsche aus diesen verschiedenen Quellen den gleichen Wert für den Traum, die gleiche Macht einen Traum anzuregen?_

§ 1199

Eine Überschau über die Träume, die uns fiir die Beantwortung dieser Frage zu Gebote stehen, mahnt uns zunächst, als vierte Quelle des Traumwunsches hinzuzufügen die aktuellen bei Nacht sich erhebenden Wunschregungen (z. B. auf den Durstreiz, das sexuelle Bedürfnis). Sodann wird uns wahrscheinlich, daß die Herkunft des Tmumwunsches an seiner Fähigkeit, einen Traum anzuregen, nichts ändert. Ich erinnere an den Traum der Kleinen, welcher die bei Tage unterbrochene Seefahrt fortsetzt, und an die nebenstehenden Kinderträume; sie werden durch einen unerfüllten aber nicht unterdrückten Wunsch vom Tage erklärt. Beispiele , daß ein bei Tage unterdrückter Wunsch sich im Traume Luft macht, sind überaus reichlich nachzav:isen; ein einäachstes sächer Aät könnte ich hier nachtr . ' 6 etwas spo mutige ame eren jü re Freundin sic?l€äerlobt hat, beantwortet tagsüber 'e Anfragenngder Bekannten, ob sie den Bräutigam kenne, und was sie von ihm halte, mit uneiugeschrünkten Labs rüchen, bei denen sie ihrem Urteil Schweigen auferl denn sie hätte gern die Wahrheit gesagt: Er ist ein Dutzen mensch. Nachts träumt sie, daß dieselbe F an sie gerichtet wird, und antwortet mit der Formel: Bei N ac . bestellungen genügt die An abe der Nummer. Endlich, daß in allen Träumen, die der Entstel ung unterlagen sind, der Wunsch aus dem Unbewußten stammt und bei Tfie nicht vernehmbnr werden konnte, haben wir als das Ergebnis z reicher Analysen erfahren. So scheinen zunächst alle Wünsche für die 'I‘raumbildung von gleichem Werte und gleicher Macht.

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Ich kann hier _nwht _beweisen, daß es sich doch eigentlich anders verhält, aber ich ne1ge sehr zur Annahme einer strengeren Bedingtheit des Traumwunsches. Die Kinderfilme lassen ja keinen Zweifel darüber, daß ein bei Tage unerledigter Wunsch der Traum— erreger sein kann. Aber es ist nicht zu vergessen, das ist dann der Wunsch eines Kmdes, eine Wunschregung von der dem Infantilen eigenen Stärke- Es ist mir durchaus zweifelhaft, ob ein am Tage nicht erfüllter Wunsch bei einem Erwachsenen genügt, um einen

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342 VII. Psychologie der Traumvorgünge.

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Traum zu schaffen. Es scheint mir vielmehr, daß wir mit der fortschreitendeu Beherrschung unseres Trieblebens durch die denkende Tätigkeit auf die Bildung oder Erhaltung so intensiver Wünsche, wie das Kind sie kennt, als unnütz immer mehr verzichten. Es mögen sich dabei ia individuelle Verschiedenheiten geltend machen, der eine den infnntilen Typus der seelischen Vorgänge länger bewahren als ein anderer, wie ja solche Unterschiede auch für die Abschwächung des ursprünglich deutlich visuellen Vorstellens bestehen. Aber im allgemeinen glaube ich, wird beim Erwachsenen der unerfüllt vom Tage übrig gebliebene Wunsch nicht genügen, einen Traum zu schaflen. Ich gebe gern zu, daß die aus dem Bewußten stammende Wunschregung einen Beitrag zur Anregung des Traumes liefern wird, aber wahrscheinlich auch nicht mehr. Der Traum entstünde nicht, wenn der vorhewußte Wunsch sich nicht eine Verstärkung von anderswoher zu holen wußte.

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Aus dem Unbewußten nämlich. Ich stelle mir vor, daß der bewußte Wunsch nur dann zum Traumerreger wird, wenn es ihm gelingt, einen gleichlautenden unbewußten zu wecken, durch den er sich verstärkt. Diese unhewußten Wünsche betrachte ich, nach den Andeutungen aus der Psychoanal se der Neurosen, als immer rege, jederzeit bereit, sich Aus ruck zu verschaffen, wenn sich ihnen Gelegen— heit bietet, sich mit einer Regung aus dem Bewußten zu alliieren, ihre große Intensität auf deren geringere zu über“agen.*) Es muß dann zum Anschein kommen, als hätte allein der bewußte Wunsch sich im Traume realisiert; allein eine kleine Anfälligkeit in der Gestalt1m dieses T raumes wird uns ein Fingerzeig werden, dem mächtigen He er aus dem Unbewnßten auf die Spur zu kommen. Diese immer regen, sozusagen unsterblicheu Wünsche unseres Unbewußten, welche an die Titanen der Sage erinnern, auf denen seit Urzeiten die schweren Gebirgsmnssen lasten, welche einst von den siegreichen Göttern auf sie gewälzt werden, und die unter den Zuckungm ihrer Glieder noch jetzt von Zeit zu Zeit erheben; —— diese in der Verdräng} befindlichen Wünsche, sage ich, sind aber selbst infimtiler er unit, wie wir durch die psychologische Erforschun der Neurosen erfahren. Ich möchte also den früher ausgesproc enen Satz, die Herkunft des Traumwunsches sei gleichgültig, beseitigen und durch einen anderen ersetzen, der lautet: Der Wunsch,

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*) Sie teilen diesen Charakter der Unwrstörbarkeit mit allen anderen wirklich unbewußten; d. In. dem System Ubw allein angehörigen seelischen Akten. Diese sind ein- für_'allemal gebalmie Wege, die nie veröden und den Erregung-svorgnng immer wieder zur Abfuhr leiten. so oft die nnbewußte Erregung sie wiederhesetzt. Um mich eine. Gleichnims zu bedienen: es gibt für sie keine andere Art der Ver» nichtnng als für die Schatten der odysseisehen Unterwelt, die sum neuen Leben er— wnuhen, sobald sie Blut getrunken heben. Die vom vorhewußten System l.bhl.ugigen Vorgänge sind in ganz anderem Sinne zerstörbnr. Auf diesem Unterschiede ruht die Psychothernpie der Neuronen.

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Die Tagesmste. 343

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welcher sich im Traume darstellt, muß ein infantiler sein. Er stammt dann beim Erwachsenen aus dem Ubw; beim Kinds, wo es die Sonderung und Zensur zwischen wa und Ubw noch nicht gibt, oder wo sie sich erst allmählich herstellt, ist es ein unerflillter, unverdrän ter Wunsch des Wachlebens. Ich weiß, diese Anschauung ist nicht emein zu erweisen; aber ich behaupte, sie ist häufig zu erweisen, auch wo man es nicht vermutet hätte, und ist nicht allgemein zu widerlegen.

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Die aus dem bewußten Wachleben erübrigten Wunschreg n lasse ich also fiir die Traumbildung in den Hintergrund treten.lm%äh will ihnen keine andere Rolle z estehen als etwa dem Material an aktuellen Sensationen während es Schlafes für den Trauminhalt (vgl. Seite 161 u. H.). Ich bleibe auf der Linie, die mir dieser Gedankengang vorschreibt, wenn ich jetzt die anderen ps ehischen n in Betracht ziehe, die vom Tagesleben übrig beiben und die nicht Wünsche sind. & kann uns gelingen, den Energiebesetzungen unseres wachen Denkens ein vorläufiges Ende zu machen, wenn wir beschließen den Schlaf nufzusuchen. Wer das gut kann, der ist ein guter Schilder; der erste Napoleon soll ein Muster dieser Gattung

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ewesen sein. Aber es gelingt uns nicht immer und nicht immer vollständig. Unerledigte Probeme, quälende Sorgen, eine Übermacht von Eindrücken, setzen die Denktütigkeit auch während des Schlafes fort und unterhalten seelische Vorgän e in dem System, das wir als das Vorbewußte bezeichnet haben. enn uns um eine Einteilung dieser in den Schlaf sich fortsetzenden Denk.regungen zu tun is so können wir folgende Gruppen derselben aufstel en: 1. Das währen des Tages durch zufällige Abhaltung nicht zu Ende Gebraehte, 2. das durch Erlahmen unserer Denkkraft Unerledi , das Ungelöste, 3. das bei Tage Zurückgewiesene und Unterdrüc te. Dazu gesellt sich als eine mächtige 4. Grup e, was durch die Arbeit des Vor— bewußten tagsüber in unserem bw r e gemacht werden ist, und endlich können wir als 5. Grup e an gen: die indifl'erenten und darum unerledigt bliebenen Ein rücke des Tages.

§ 1212

Die psychisc?en Intensitäten, welche durch diese Reste des Tageslebens in den Schlafzustand eingeführt werden, zumal aus der Gruppe des Ungelösten, braucht man nicht zu unterschätzen. Sicherlich ringen diese Erregungen auch zur Nachtzeit nach Ausdruck, und ebenso sicher dürfen wir annehmen, daß der Schlafzustand die gewohnte Fortführung des Erregungsvor nges im Vorbewußten und deren Abschluß durch das Bewußtwer£n unmöglich macht. Insofern wir unserer Denkvorgänge auf dem normalen Wege bewußt werden können, auch zur Nachtzeit, insofern schlafen wir eben nicht. Was für Veränderung der Sehlafzustand im S stem wa hervorrufi„ weiß ich nicht abzugeben; aber es ist unzwei elhafi, daß die psychologische Charakteristik des Schlafes wesentlich in den Besetzunge— veränderungen gerade dieses Systems zu suchen ist, das auch den

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344 VII. Psychologie der Traumvorgünge.

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Zugang zu der im Schlafe gelahmten Motilität beherrscht. Im Gegensatze dazu wußte ich von keinem Anlaß aus der Psychologie des Traumes, der uns annehmen hieße, daß der Schlaf anders als sekundär in den Verhältnissen des Systems Ubw etwas verändere. Der nächtlichen Erregung im wa bleibt also kein anderer Weg als der, den die Wunscherregungen aus dem Ubw nehmen; sie muß die Verstärkung aus dem Ubw suchen und die Umwege der unbewußten Erregungen mitmachen. Wir stellen sich aber die vorbewußten Tagesreste zum Traume? Es ist kein Zweifel, daß sie reichlich in den Traum eindringen, daß sie den Trauminhalt benützen, um sich auch zur Nachtzeit dem Bewußtsein aufzudrängen; ja sie dominieren gelegentlich den Trauminhalt, nötigen ihn, die Tagesarbeit fortzusetzen; es ist auch sicher, daß die Tagesreste jeden anderen Charakter ebensowohl haben können wie den der Wünsche; aber es ist dabei höchst lehrteich und für die Lehre von der Wunseherfiillung geraden entscheidend zu sehen, welcher Bedingung sie sich fügen müssen, um in den Traum Aufnahme zu finden.

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Greifen wir eines der früheren Traumbeispiele heraus, z. B. den Traum, der mir Freund Otto mit den Zeichen der Basedowschon Krankheit erscheinen läßt (Seite 190). Ich hatte am Tage eine Besorgnis gebildet, zu der mir das Aussehen Ottos Anlaß gab, und die Sorge ging mir nahe, wie alles, was diese Person betrifft. Sie folgte mir auch, darf ich annehmen, in den Schlaf. Wahrscheinlich wollte ich ergrllnden, was ihm fehlen könnte. Zur Nachtzeit fand diese Sorge Ausdruck in dem Tranme, den ich mitgeteilt habe, dessen Inhalt erstens unsinnig war und zweitens keiner Wunscherfitllung entsprach. Ich begann aber nachzuf'orschen, woher der unangemessene Ausdruck der bei Tag verspürten Besorgnis rühre, und. durch die Analyse fand ich einen Zusammenhang, indem ich ihn mit einem Baron L., mich selbst aber mit Professor R. identifizierte. Warum ich gerade diesen Ersatz des Tagesgedanken hatte wählen müssen, dafür gab es nur eine Erklärung. Zu der Identifizierung mit: Professor R. mußte ich im Ubw immer bereit sein, da durch sie einer der unsterblichen Kinderwünsehe, der Wunsch der Größensucht, sich erfüllte. Häßliche, der Verwerfung bei Tage sichere Gedanken gegen meinen Freund hatten die Gel enheit benutzt, sich zur Darstellung mit einzuschleiehen, aber auch di5%0rge des Tages war zu einer Art von Ausdruck durch einen Ersatz im Trauminhalt gekommen. Der Tagesgedanke, der an sich kein Wunsch, sondern im Gegenteil eine Besorgnis war, mußte sich auf irgend einem Wege die Ankntlpfung an einen infantilen, nun unbewußten und unterdrückten Wunsch verschafl'en, der ihn dann, wenn auch gehörig zugerichtet, fiir das Bewußtsein „entstehen“ ließ. Je dominierender diese Sorge war, desto gewaltsamer durfte die herzustellende Verbindung sein; zwischen dem Inhalt des Wunsches und dem der Besorgnis brauchte ein Zusamm gar nicht zu bestehen und bestand auch keiner in unserem Beispiele.

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Der unbewußte Wunsch als Triebkraft des ’l‘raumee. 345

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Ich kann es nun scharf bezeichnen, was der unbewußte Wunsch für den Traum bedeutet. Ich will zugeben, daß es eine ganze Klasse von Träumen gibt, zu denen die Anregung vorwiegend oder selbst ausschließlich aus den Resten des Tageslebens stammt, und ich meine, selbst mein Wunsch, endlich einmal Professor extraordinarius zu werden, hätte mich diese Nacht in Ruhe schlafen lassen können, wäre nicht die Sorge um die Gesundheit meines Freundes vom Tage her noch rührig gewesen. Aber diese Sorge hätte noch keinen Traum gemacht; die Triebkraft, die der Traum bedurfie, mußte von einem Wunsche beigesteuert werden; es war Suche der Besorgnis, sich einen solchen Wunsch als Triebkraft des Traumes zu versehafl'en. Um es in einem Gleichnisse zu sagen: Es ist sehr wohl möglich, daß ein Tagesgedanke die Rolle des Unternehmers fiir den Traum spielt; aber der Unternehmer, der, wie man sagt, die Idee hat und den Drang sie in Tat umzusetzen, kann doch ohne Kapital nichts machen; er braucht einen Kapitalisten der den Aufwand bestreitet, und dieser Ka italist, der den psychischen Aufwand fiir den Traum beistellt, ist emal und unweigerlich, was immer auch der Tagesgedanke sein mag, ein Wunsch aus dem Unbewußten.

§ 1220

Andere Male ist der Kapitalist selbst der Unternehmer; das ist fiir den Traum sogar der gewöhnlichen Fall. Es ist durch die Tagesarbeit ein un ewußter Wunsch angeregt werden, und der scheiß nun den Traum. Auch für alle anderen Möglichkeiten des hier als Beispiel verwendeten wirtschaftlichen Verhältnisses bleiben die Traumvorgänge parallel; der Unternehmer kann selbst eine Kleinigkeit an Kapital mitbringen; es können mehrere Unternehmer sich an denselben Kapitalisten wenden; es können mehrere Kapitalisten gemeinsam das für die Unternehmer Erforderliche zusammensteuern. So gibt es auch Träume, die von mehr als einem Traumwunsche tragen werden, und dergleichen Variationen mehr, die leicht zu überse en sind und uns kein Interesse mehr bieten. Was an dieser Erörterung über den Traumwunsch noch unvollständig ist, werden wir erst später ergänzen können.

§ 1221

Das Tertium comparationis der hier gebrauchten Gleichnisse, die in zugemessener Menge zur freien Verfügung tellte Quantität, läßt noch feinem Verwendun zur Beleuchtun er 'I‘raumstruktur zu. In den meisten Träumen ßt sich ein mit anderer sinnlicher Intensität ausgestattetes Zentrum erkennen, wie auf Seite 222 ausgeführt. Das ist in der Regel die direkte Darstellung der Wunscherflfllung, denn, wenn wir die Verschiebun n der Traumarbeit rück

§ 1222

' machen, finden wir die psychische tensth der Elemente in den '1raumgedanken durch die smnh'che Intensität der Elemente im Trauminhalt ersetzt. Die Elemente in der Nahe der Wunscherfllllung haben mit deren Sinn oft nichts zu tun, sondern erweisen sich als Abkömmlinge peinlicher, dem Wunsche zuwiderlaufender Gedanken. Durch den oft künstlich hergestellten‘ Zusammenhang mit dem zentralen

§ 1223

§ 1224

346 VII. Psychologie der Traumvorgänge.

§ 1225

Element haben sie aber so viel Intensität abbekommen, daß sie zur Darstellung fähig geworden sind. So diifundiert die darstellende Krafi; der ‘Nunscherflillung über eine gewisse Sphäre von Zusammenhang, innerhalb deren alle Elemente, auch die an sich mittersen, zur Dar— stellung gehoben werden. Bei Träumen mit mehreren treibenden Wünschen gelingt es leicht, die Sphären der einzelnen Wunscherfüllungen voneinander abzugrenzen, oft auch die Lücken im Traume als Grenzzonen zu verstehen.

§ 1226

Wenn wir auch die Bedeutung der Tagesreste ftir den Traum durch die vorstehenden Bemerkungen eingeschränkt haben, so verlohnt es doch der Mühe, ihnen noch einige Aufmerksamkeit zu schenken. Sie müssen doch ein notwendiges Ingrediens der Traumhildung sein, wenn uns die Erfahrung mit der Tatsache überraschen kann, daß jeder Traum eine Anknüpfung an einen rezei1ten Tageseindruck, oft der gleichgültigsten Art, mit in seinem Inhalt erkennen laßt. Die Notwendigkeit für diesen Zusatz zur Traummisehung vermochten wir noch nicht einzusehen. (Seite 128). Sie ergibt sich auch nur, wenn man an der Rolle des unbewußten Wunsches festhält und dann die Neurosen sychologie um Auskunft befragt. Aus dieser erfährt man, daß "e unbewußte Vorstellung als solche überhaupt unfähig ist ins Vorbewußte einzutreten, und daß sie dort nur eine Wirkung zu äußern vermag, indem sie sich mit einer harmlosen, dem Vorbewußten bereits angehörigen Vorstellung in Verbindung setzt, auf sie ihre Intensität überträgt _und sich durch sie decken laßt. Es ist dies die Tatsache der Übertragung, welche für so viele auffällige Vorfälle im Seelenleben der Neurotiker die Aufklärung enthält. Die Ubertragung kann die Vorstellung aus dem Vorbewußten, welche somit zu einer unverdient großen Intensität gelangt, unverändert lassen oder ihr selbst eine Modifikation durch en Inhalt der übe enden Vorstellung aufdrängen. Man verzeihe mir die Neigung zu G eichnissen aus dem täglichen Leben, aber ich bin versucht zu sagen, die Verhältnisse liegen für die verdrängte Vorstellung ähnlich wie in unserem Vaterland für den amerikanischen Zahnarzt, der seine Praxis nicht ausüben darf, wenn er sich nicht eines rite promovierten Doktors der Medizin als Aushängeschild und Deckung vor dem Gesetze bedient Und ebenso wie es nicht gerade die beschäftigtesten Arzte sind, die solche Allianzen mit dem Zahntechniker eingehen, so werden auch im Psychischen nicht jene vorbewußten oder bewußten Vorstellungen zur Deckung einer verdrängten erkoren, die selbst enügend von der im Vorbewußten tätigen Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben. Das Unbewußte umspinnt mit seinen Verbindungen vorzugsweise jene Eindrücke und Vorstellungen des Vorbewußten, die entweder als indiil'erent außer Beachtun geblieben sind, oder denen diese Beachtung durch Verwerfimg bald wieder entzogen wurde. Es ist ein bekannter Satz aus der Assoziationelehre, durch alle Erfahrung bestätigt, daß Vorstellungen, die eine sehr

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§ 1228

Die Übertragung an die Tagesmte. 347

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innige Verbindung nach der einen Seite angeknüpfi haben, sich wie ablehnend gegen ganze Gruppen von neuen Verbindungen verhalten; ich habe einmal den Versuch gemacht, eine Theorie der hysterischen Lähmung-en auf diesen Satz zu be rüuden.

§ 1230

Wenn wir annehmen, daß das nümliche Bedürfnis zur Übertragung von den verdrängten Vorstellungen aus, das uns die Analyse der Neurosen kennen lehrt, sich auch im Trauma geltend macht, so erklären sich auch mit einem Sehlage zwei der Rätsel des Traumes, daß jede Traumanalvse eine Verwebung eines rezenten Eindruckes nachweist, und daß dies rezeute Element oft von der gleichgülti sten Art ist. Wir fügen hinzu, was wir bereits an anderer Stelle ge ernt haben, daß diese rezenten und indifferenten Elemente als Ersatz der alleralteeten aus den Traumgedankeu darum so häufig in den Trauminhalt gelangen, weil sie gleichzeitig von der Widerstandszensur am wenigsten zu befürchten haben. Während aber die Zensurt'reiheit uns nur die Bevorzugung der trivia.len Elemente aufklärt, läßt die Konstanz der rezeuten Elemente auf die Nötigung zur Übertragung durchblicken. Dem Anspruche des Verdrängteu auf noch assozintionsfreies Material genügen beide Gruppen von Eindrücken, die indifi'erenten, weil sie zu ausgiebigen Verbindungen keinen Anlaß geboten haben, die rezenten, weil dazu noch die Zeit gefehlt hat.

§ 1231

Wir sehen so, daß die Tagesmste, denen wir die indifl'erenten Eindrücke jetzt zurechnen dürfen, nicht nur vom Ulm: etwas eutlehuen, wenn sie an der Traumbilduna;änteil gewinnen, nämlich die Triebkraft, über die der verdmngte unsch verfllgt, sondern daß sie auch dem Unbewu__ßten etwas unentbehrliches bieten, die notwendige Anheltung zur Übertragung. Wollten wir hier in die seelischen Vorgänge tiefer eindringen, so müßten wir das Spiel der Erregungen zwischen Vorbewußtem und Unbewußtem schärfer beleuchten, wozu wohl das Studium der Psychoneurosen drängt, aber gerade der Traum keinen ’ Anhalt bietet.

§ 1232

Nur noch eine Bemerkung über die Tagesmste. Es ist kein Zweifel, daß sie die eigentlichen Störer des Schlefee sind, und nicht der Traum, der sich vie mehr bemüht den Schlaf zu bitten. Hierauf werden wir noch später zurückkommen.

§ 1233

Wir haben bisher den Traumwunseh verfolgt, ihn aus dem Gebiete des Ulm abgeleitet und sein Verhältnis zu den Tagesresten zérgliedert, die ihrerseits Wünsche sein können oder sychische Regungen irgend welcher anderen Art oder einfach rezente ' drücke. Wir haben so Raum geschaffen für die Ansprüche, die man zu Gunsten der traumbildenden Bedeutung der wachen Deukarbeit in all ihrer Mannigfaltigkeit erheben kann. Es wäre nicht einmal unmö lich, daß wir auf Grund unserer Gedankenreihe selbst 'ene extremen ‘lllle aufklären, in denen der Traum als Fortsetzer er Tagesarbeit eine un— gelöste Aufgabe des Wachens zum glücklichen Ende bringt. Es mangelt uns nur an einem Beispiel solcher Art, um durch dessen Analyse

§ 1234

§ 1235

348 VII. Psychologie der Traumvorgälnge.

§ 1236

die infantile oder verdrängte Wunschquelle aufzudecken, deren Heran— ziehung die Bemühung der vorbewußten Tätigkeit so erfolgreich verstärkt hat. Wir sind aber um keinen Schritt der Lösung des Rätsels näher gekommen, warum das Unbewußte im Schlafe nichts anderes bieten kann als die Triebkraft zu einer Wunscherfüllung? Die Beantwortung dieser Frage muß ein Licht auf die psychische Natur des Wünschens werfen; sie soll an der Hand des Schemus vom psychi— schen Apparat gegeben werden.

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Wir zweifeln nicht daran, daß auch dieser Apparat seine heutige Vollkommenheit erst über den Weg einer langen Entwicklung erreicht hat. Versuchen wir‘s, ihn in eine frühere Stufe seiner Leistungsfähigkeit zurückzuversetzen. Anderswie zu begründende Annahmen sagen uns, daß der Apparat zunächst dem Bestreben folgte, sich möglichst reizlos zu erhalten, und darum in seinem ersten Aufbau das Schema des Reflexapparats annahm, das ihm gestattete, eine von außen an ihn anlangende sensible Err ung alsbald auf motorischem Wege abzufilhren. Aber die Not des bens stört diese einfache Funktion; ihr verdankt der Apparat auch den Anstoß zur weiteren Ausbildung. In der Form der großen Kö rbedürfnisse tritt die Not des Lebens zuerst an ihn heran. Die durch l£fs innere Bedürfnis gesetzte Erregung wird sich einen Abfluß in die Motilität suchen, die man als „Innere Ver— änderung“ oder als „Ausdruck der Gemütshewegung“ bezeichnen kann. Das hungrige Kind wird hilflos schreien oder zappeln. Die Situation bleibt aber unverändert, denn die vom inneren Bedürfnis ausgehende Erregung entspricht nicht einer momentan stoßenden, sondern einer kontinuierlich wirkenden Kraft. Eine Wendun kann erst eintreten, wenn auf irgend einem Wege, beim Kinde dnre fremde Hilfeleistung, die Erfahrung des Befriedigungserlebnisses gemacht wird, das den inneren Reiz aufhebt. Ein wesentlicher Bestandteil dieses Erlebnisses ist das Erscheinen einer swissen Wahrnehmung (der Speise im Beispiel), deren Erinnerunsgbil von jetzt an mit der Gedächtnis— spur der Bedürfniserregun assoziiert bleibt. Sobald dies Bedürfnis ein nächstes Mal auftritt, ' sich, dank der hergestellten Verknüpfung, eine psychische Regung ergeben, welche das Erinnerungsbild jener Wahrnehmung wieder besetzen und die Wahrnehmung selbst wieder hervorrufen, also eigentlich die Situation der ersten Befriedigung wieder herstellen will. Eine solche Regung ist das, was wir einen Wunsch heißen; das Wiedererseheinen der Wahrnehmung ist die Wunscherfüllung, und die volle Besetzung der Wahrnehmun von der Bedürfniserregung her der kürzeste Weg zur Wunscherfül ung. Es hindert uns nichts, einen primitiven Zustand des psychischen Apparate anzunehmen, in dem dieser Weg wirklich so begangen wird, das Wünschen also in ein Hallnzinieren ausläuft. Diese erste psychische Tätigkeit zielt also auf eine Wahrnehmungsidentitltt, nämlich auf die Wiederholung jener Wahrnehmung, welche mit der Befriedigung des Bedürfirisses verknüpft ist.

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Das Wünschen als primäre Tätigkeit des Unbewußteu. 349

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Eine bittere Lebenserfahrung muß diese primitive Denktäti keit zu einer zweckmäßigeren, sekundären, modifiziert haben. Die eb stellung der Wahrnehmungsidentität auf dem kurzen regredienten W im Innern des Apparate hat an anderer Stelle nicht die Folge, welc e mit der Besetzung derselben Wahrnehmung von außen her verbunden ist. Die Befriedigung tritt nicht ein, das Bedürfnis dauert fort. Um die innere Besetzung der äußeren gleichwertig zu machen, müßte dieselbe fortwährend aufrecht erhalten werden, wie es in den hnl1uzinutorischen Psychosen und in den Hungerphantasien auch wirklich geschieht, die i re psychische Leistung in der Festhaltung des gewünschten Objekts erschöpfen. Um eine zweckmäßigere Verwendung , der psychischen Kraft zu erreichen, wird es notwendig, die volle Regression aufzuhalten, so daß sie nicht über das Erinner bild hinausgeht und von diesem aus andere Wege suchen,kann, die ießlich zur Herstellung der gewünschten Identität von der Außenwelt her fiihren. Diese Hemmung sowie die darauf folgende Ablenkung der Erregung wird zur Aufgabe eines zweiten Systems, welches die willkürliche Motilitttt beherrscht, d. h. an dessen Leistung sich erst die Verwendung der Motilität zu vorher erinnerten Zwecken anschließt. All die komplizierte Denktätigkeit aber, welche sich vom Erinnerungebild bis zur Herstellung der Wahrnehm identititt durch die Außenwelt fortspinnt, stellt doch nur einen durc die Erfahru notwendig gewordenen Umweg zur Wunscherfüllung darf) n%)us Denken ist doch nichts anderes als der Ersatz des halluzinatorisehen Wunsches, und wenn der Traum eine Wunscherfilllung ist, so wird das eben selbstverständlich, da nichts anderes als ein Wunsch unseren seelischen Appai‘at zur Arbeit anzutreiben vermag. Der Traum, der seine Wünsche auf kurzem regredienten Wege erfüllt, hat uns hiemit nur eine Probe der primären, als unzweckmitßig verlassenen Arbeitsweise des psychischen Ap amts aufbewahrt. In das Nachtleben scheint verbannt, was einst im %Vaehen herrschte, als das sychisehe Leben noch jung und untüchtig war, etwa wie mr in der £inderstube die abgelegten primitiven Wafl'en der erwachsenen Menschheit, Pfeil und Bogen, wiederfinden. Das Träumen ist ein Stück des überwundenen Kinderseelenlebens. In den Psychosen werden diese sonst im Wachen nnterdrückten Arbeitsweisen des psychischen Apparate sich wiederum Geltung erzwingen und dann ihre Unfhhi keit zur Befriedigung unserer Bedürfnisse gegen die Außenwelt an en Tag!

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Die unbewußten Wunschregungen streben offenbar auch bei in sich geltend zu machen, und die Tatsache der Übe ung sowie 0 Psychosen belebten uns, daß sie auf dem W durch as System des Vorbewußten zum Bewußtsein und zur Beherrsc ung der Motilität durchdringen möchten. In der Zensur zwischen Ubw und wa, deren An—

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") Von der Wunscherfüllnng das Trauma rühmt Lo Lan-ein") mit Recht: „Sans fntigne sérieuse, sans Glas obligé de resourir h cette lutte opiniltre et longue qui use et comde les jouinnnces poursuiviel.“

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350 VII. Psychologie der Traumvorgänge.

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nahme uns der Traum geradezu anfnötigt, haben wir also den Wächter unserer geistigen Gesundheit zu erkennen und zu ehren. Ist es nun nicht eine Unvorsichtigkeit dieses W ächters, daß er zur Nachtzeit seine Tätigkeit verringert, die unterdrückten Regungen des Ubw zum Ausdrucke kommen läßt, die halluzinstorisehe Regression wieder ermöglicht? Ich denke nicht, denn wenn sich der kritische Wächter zur Ruhe begibt -— wir haben die Beweise dafür, daß er doch nicht tief schlummert —— so schließt er auch das Tor zur Motilität Welche Regnngen aus dem sonst gehemmtcn Ubw sich auch auf dem Schauplatze tummeln mögen, man kann sie gewähren lassen, sie bleiben harmlos, weil sie nicht im stande sind, den motorischen Apparat in Bewegung zu setzen, welcher allein die Außenwelt verändernd beeinflußen kann. Der Schlafzustsncl garantiert die Sicherheit der zu bewacbenden Festung. Minder harmlos gestaltet es sich, wenn die Kräfteversclfiebung nicht durch den nächtlichen Nschlaß im Kräfteaufwand der kritischen Zensur, sondern durch pathologische Schwächung derselben oder durch pathologische Verstärkung der unbewußten Erregungen hergestellt wird, solange das Vorbewußte besetzt und die Tore zur Motilität offen sind. Dann wird der Wächter überwältigt, die unbewußten Erregung-en unterworfen sich das wa, beherrschen von ihm uns unser Reden und Handeln oder erzwingen sich die halluzinatorisehe Regression und lenken den nicht für sie bestimmten Apparat ver-möge der Anziehung, welche die Wahrnehmungen auf die Verteilung unserer psychischen Energie ausüben. Diesen Zustand heißen wir Psychose.

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Wir befinden uns da auf dem besten Wege, an dem psychologischen Gerüste weiter zu bauen, das wir mit der Einiiigung der beiden Systeme Übw und Wut: verlassen haben. Wir haben aber noch Motive genug, bei der Würdigung des Wuusehes als einziger psychischer Triebkral't für den Traum zu verweilen. “’ir haben die Aufklärung entgegengenommen, daß der Traum darum jedesmal eine Wunscheri’lillung ist, weil er eine Leistung des Systems Ubw ist, welches kein anderes Ziel seiner Arbeit als Wunscherfiillung kennt und über keine anderen Kräfte als die der \Vnnschregungen verfügt. Wenn wir nun auch nur einen Moment länger an dem Rechte festhalten wollen, von der Traumdeutung aus so weitgreifende psycho— logische Spekulationen aufzufilhren, so obliegt uns die Verpflichtung zu zeigen, deli wir durch sie den Traum in einen Zusammenhang einreihen, welcher auch andere psychische Bildungen umfassen kann. Wenn ein System des Ulm—oder etwas ihm für unsere Erörterupgen analoges — existiert, so kann der Traum nicht dessen einzige Außerung sein; jeder Traum mag eine Wunscherfüllung sein, aber es muß noch andere Formen sbnormer Wunscberfiillnngen geben als die Träume. Und wirklich gipf'elt die Theorie aller psychoneurotischen Symptome in dem einen Sstze, daß auch sie als Wunscherfüllungen des Unbewußten eufgefaßt werden müssen Der Traum wird durch unsere Aufklärung nur das erste Glied einer

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Die Wunschtheorie der psy0bu—neurotischen Symptomeh 351

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für den Psychiater höchst bedeutungsvollen Reihe, deren Verständnis die Lösung des rein psychologischen Anteils der sychiatrischen Auf— gabe bedeutet. Von anderen Gliedern dieser erhe von Wunscherftlllungen, z. B. von den hysterischen Symptomen, kenne ich aber einen wesentlichen Charakter, den ich am Traume noch vermisse. Ich weiß nämlich aus den im Laufe dieser Abhandlung oftmals angedeuteten Untersuchungen, daß zur Bildung eines hysterisehen Symptoms beide Strömungen unseres Seelenlebens zusammentretfen müssen. Das S mptom ist nicht bloß der Ausdruck eines realisierten unbewnßten Väunsches, es muß noch ein Wunsch aus dem Vorbewnßten dazukommen, der sich durch das nämliche Symptom erfüllt, so daß das Symptom mindestens zweifach determ1niert wird, je einmal von einem der im Konflikt befindlichen Systeme her. Einer weiteren Uberdeterminiernng sind — ähnlich wie beim Traume — keine Schranken gesetzt, Die Determinierung, die nicht dem Ubw entstammt, ist, soviel ich sehe, regelmäßig ein Gedankenzug der Reaktion gegen den unbewußten Wunsch, z. B. eine Selbstbestrafung. Ich kann also ganz allgemein sagen, ein hysterisches Symptom entsteht nur dort, wo zwei gegensützliche Wunscherfllllungen, jede aus der Quelle eines anderen psychischen S stems, in einem Ausdruck Zusammentreffen können. [ gl. hiezu meine letzten Formulierungen der Entstehung hysterischer S mptome in einem Aufsatz der „Zeitschrift für Sexualwissenschafl“ von irschfeld u. a., 1908.] Beis iele würden hier wenig fruchten, da nur dei vollständige Enthüliung der vorliegenden Komplikation Überzeugung erwecken kann. Ich lasse es darum bei der Behauptung und bringe ein Beispiel bloß seiner Anschaulichkeit, nicht seiner Beweiskraft wegen. Das hysterische Erbrechen also bei einer Patientin erwies sich einerseits als die Erfüllung einer unbewnßten Phantasie aus den Pubertätsjahren, nämlich des Wunsches, fortwährend gravid zu sein, ungezählt viele Kinder zu haben, wozu sgüter die Erweiterung trat: von möglichst vielen Männern. Gegen iesen unbhdiggn Wunsch hatte sich eine mächtige Abwehrregung erhoben. Da die latientin aber durch das Erbrechen ihre Körperfülle und ihre Schönheit verlieren konnte, so daß kein Mann mehr an ihr Gefallen fand, so war das Symptom auch dem stmfenden Gedanken eng recht und durfte, von beiden Seiten zugelassen, zur Realität werden. Es ist dieselbe Manier auf eine Wunscherfüllung einzugehen, welche der Partherköni in gegen den Triumvir Crassns beliebte Sie meinte, er habe den Fe dzug aus Goldgier unternommen; so ließ sie der Leiche geschmolzenes Gold in den Rachen gießen. Hier hast du, was du dir gewünscht hast.“ Vom Traume wissen wir % jetzt nur, daß er eine Wunscherfilllung des Unbewnßten ansdrflckt; es scheint, daß das herrschende, vorbewußte System diese gewähren laß nachdem sie ihr gewisse Entstehungen aufgenötigt hat. Man ist zum wirklich nicht im stunde, allgemein einen dem Traumwnnsche gegenstttzliehen Gedankenzug nachzuweisen, der

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sich wie sein Widerpart im Traume verwirklicht. Nur hie und da sind uns in den Traumanulysen Anzeichen von Reaktionsschöpf'ungen begegnet, z. B. die Zärtlichkeit für Freund R. im Onkeltraume (Seite 99). Wir können aber die hier vermißte Zutat aus dem Vorbewußten an anderer Stelle auffinden. Der Traum darf einen Wunsch aus dem Ubw nach allerlei Entstellungeu zum Ausdruck bringen, während sich das herrschende System auf den Wunsch zu schlafen zurückgezogen hat, und diesen Wunsch durch Herstellung der ihm möglichen Besetzungsänderungen innerhalb des psychischen Appamts realisiert, endlich ihn die ganze Dauer des Schlafes über festhält.*)

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Dieser festgehaltene Wunsch des Vorbewußten zu schlafen, wirkt ' nun ganz allgemein erleichternd auf die Traumbildung. Denken wir an den Traum des Vaters, den der Lichtschein aus dem Totenzimmer zur Folgerung anregt, die Leiche könne in Brand geraten sein. Wir haben als die eine der psychischen Kräfte, die den Ausschlag dafur

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ben, daß der Vater im Traume diesen Schluß zieht, anstatt sich umh den Lichtschein wecken zu lassen, den Wunsch aufgewiesen, der das Lehen des im Traume vorgestellten Kindes um den einen Moment verlängert. Andere aus dem Verdrängten stammenden Wünsche entgehen uns wahrscheinlich, weil wir die Analyse dieses Tranmes nicht machen können. Aber als zweite Triebkrait dieses Tranmes dürfen wir das Sehlaf'bedflrfnis des Vaters hinznnehmen; sowie durch den Traum das Leben des Kindes, so wird auch der Schlaf des Vaters um einen Moment verlängert. Den Traum gewähren lassen, heißt diese Motivierung, sonst muß ich erwaehen. Wie bei diesem Traume, so leiht auch bei allen anderen der Schlat'wunseh dem unbewußten Wunsche seine Unterstützung. Wir haben auf Seite 65 von Träumen berichtet, die sich ofl'enkundig als Bequemlichkeitsträume gehen. Eigent— lich haben alle Träume Anspruch auf diese Bezeichnung. Bei den Weckträumen, die den äußeren Sinnesreiz so verarbeiten, daß er mit der Fortsetzung des Schlafens vertraglich wird, ihn in einen Traum verweben, um ihm die Ansprüche zu entreißen, die er als Mahnung an die Außenwelt erheben könnte, ist die Wirksamkeit des Wunsehes, weiter zu schlafen, am leichtesten zu erkennen. Derselbe muß aber ebenso seinen Anteil an der Gestattung aller anderen Träume haben, die nur von innen her als Wecker am Schlafzustand rütteln können. Was das wa in manchen Fällen dem Bewußtsein mitteilt, wenn der Traum es zu arg treibt: Aber lass’ doch und schlaf” weiter, es ist ja nur ein Traum; das beschreibt, auch ohne daß es laut wird, ganz allgemein das Verhalten unserer herrschenden Seelentätigkeit gegen das Träumen. Ich muß die Folgerung ziehen, daß wir den ganzen Schlafzustand über ebenso sicher Wissen, daß wir traumen, wie wir es wissen, daß wir schlafen. Es ist durchaus

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') Diesen Gedanken entlehne ich der Schlaftheorie von Liéhault, des Erwecken der hypnotischen Forschung in unseren Tagen. (Du sommeil provoqué etc., Paris 1889.)

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Der Anteil des Schlafwunsobes am Trauma. 353

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notwendig, den Einwand dagegen gering zu schätzen, daß unser Be— wußtsein auf das eine Wissen nie gelenkt wird, auf das andere nur bei bestimmtem Anlaß, wenn sich die Zensur wie übermth fühlt. Dagegen gibt es Personen, bei denen die nächtliche Festhaltung des Wissens, daß sie schlafen und träumen, ganz offenkundig wird, und denen also eine bewußte Fähigkeit, das Traumleben zu lenken, eigen scheint. Ein solcher Träumer ist z. B. mit. der Wendung die ein Traum nimmt, unzufrieden, er bricht ihn, ohne aufzuwachen, ab und beginnt ihn von neuem, um ihn anders fortzusetzen, ganz wie ein ulärer Schriftsteller auf Verlangen seinem Schauspiel einen glückii°cheren Ausgang gibt. Oder er denkt sich ein anderes Mal im Sehlafe, wenn ihn der Traum in eine sexuell erregende Situation versetzt hat: „Das will ich nicht weiter träumen, um mich in einer Pollution zu erschöpfen, sondern hehe es mir lieber für eine reale Situation auf.“

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(1) Das Wecken durch den Traum. Die Funktion des Traumes. Der Angsttraum.

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Seitdem wir wissen, daß das Vorbewußte über die Nacht auf den Wunsch zu schlafen eingestellt ist, können wir den Traumvorgang mit Verständnis weiter verfolgen. Wir fassen aber zunächst unsere bisherige Kenntnis desselben zusammen. Es seien also von der Wacharbeit Tagesreste übrig geblieben, denen sich die Energiebesetzung nicht völlig entziehen ließ. Oder es sei durch die Wacha.rbeit ta über einer der uubewußten Wünsche rege geworden oder es treffe idea zusammen; wir haben die hier mö liche Mannigfalti keit bereits erprtert. Schon im Laufe des T es otfiar erst mit Hers ung des Schlafzustandes hat der unbewußte uusch sich den W zu den Tagesresteu gebahnt, seine Übertragung auf sie bewerkstel 'gt. Es entsteht nun ein auf das rezente Material übertragener Wunsch oder der unterdrückte rezente Wunsch hat sich durch Verstärkung aus dem Unbewußten neu belebt. Er möchte nun auf dem normalen W der Gedunkenvorgänge durch das VW), dem er mit einem Bestan teil ja angehört, zum Bewußtsein vordringen. Aber es stößt auf die Zensur, die noch besteht, und deren Einfluß er jetzt unterliegt. Hier nimmt er die Entstellung an, die schon durch die "Übertragung auf das Rezente angebahut war. Bis jetzt ist er nun auf dem Wege, etwas ähnliches zu werden wie eine Zwangsvorstellung, eine Wahnidee u. dgl., nämlich ein durch Übertragung verstärkter, durch Zensur im Ausdruck entstehter Gedanke. Nun aber gestattet der Schlafzustand des Vorbewußten nicht das weitere Vordriu en; wahrscheinlich hat sich das System durch Herabsetzung seiner ltrregungen gegen das Eindringen geschützt. Der Traumvor eng schlägt also den Weg der Regression ein, der gerade durch die iligenttlmlichkeit des Sehlaizustaudes eröfi'net ist, und folgt dabei der Anziehung, welche Erinnerungagruppen auf ihn ausüben, die zum Teil selbst nur als visuelle Besetzungen, nicht als Übersetzung in die Zeichen der späteren Systeme vorhanden sind.

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rund, Traumdeutung. aus. 88

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Auf dem Wege zur Regression erwirbt er die Darstellbarkeit. Von der Kompression werden wir später handeln. Erhat jetzt das zweite Stück seines mehrmals geknickten Verlaufes zurückgelegt. Das erste Stück spann sich progredient von den unbewußten Szenen oder Phantasien zum Vorbewußten; das zweite Stück strebt von der Zensurgrenze an wieder zu den Wahrnehmungen hin. “’enn der Traumvorgang aber Wahrnehmungsinhalt geworden ist, so hat er das ihm durch Zensur und Schlafzustand im wa gesetzte Hindernis gleichsam umgangen. Es gelingt ihm, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und vom Be— wußtsein bemerkt zu werden. Das Bewußtsein nämlich, daß uns ein Sinnesorgan für die Auffassung psychischer Qualitäten bedeutet, ist im Wachen von zwei Stellen her erregbar. Von der Peripherie des ganzen Apparats, dem Wahrnehmungssystem, in erster Linie; außerdem von den Lust- und Unlusterregungen, die sich als einzige psychische Qualität bei den Energieumsetzungen im Innern des Apparate ergeben. Alle Vorgänge in den ll"—Systemen sonst, auch die im wa, entbehren jeder psychischen Qualität und. sind darum kein Objekt des Bewußtseins, insofern sie ihm nicht Lust oder Unlust zur Wahrnehmung liefern. Wir werden uns zur Annahme entschließen müssen, daß diese Lust- und Unlustentbindungen automatisch den Ablauf der Besetzungsvorgänge regulieren. Es hat sich aber später die Notwendigkeit herausgestellt, zur Ermöglichung feinerer Leistungen den Vorstellungsablauf unabhängiger von den Unlustzeichen zu gestalten. Zu diesem Zwecke bedurite das Vino—System eigener Qualitäten, die das Bewußtsein anziehen könnten, und erhielt sie höchst wahrscheinlich durch die Verknüpfung der vorbewußten Vorgänge mit dem nicht qualitätslosen Erinnerungss_ystem der Sprachzeichen. Durch die Qualitäten dieses Systems wird Jetzt das Bewußtsein, daß vorher nur Sinnesorgan für die Wahrnehmungen war, auch zum Sinnesorgan fiir einen Teil unserer Denkvor auge. Es gibt jetzt gleichsam zwei Sinnes— oberflächen, die eine dem Väahrnehmen, die andere den vorbewußten Denkvorgitngen zugewendet.

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Ich muß annehmen, daß die dem wa zugewendete Sinnesflitche des Bewußtseins durch den Sehlafzustand weit unerregbarer gemacht wird, als die gegen die ""-Systeme gerichtete. Das Aufgeben des Interesses für die nächtlichen Denkvorgänge ist ja auch zweckmäßig. Es soll im Denken nichts verfallen; das wa verlangt zu schlafen. Ist der Traum aber einmal Wahrnehmung geworden, so vermag er durch die jetzt gewonnenen Qualitäten das Bewußtsein zu erregen. Diese Sinneserregung leistet das, worin überhaupt ihre Funktion besteht; sie dirigiert einen Teil der im wa verfligbaren Besetzungsenergie als Aufmerkmmkeit auf das Erregende. So muß man also zugeben, daß der Traum jedesmal weckt, einen Teil der ruhenden Krafl des WM in Tätigkeit versetzt. Er erfährt nun von dieser jene Beeinflussung, die wir als sekundäre Bearbeituu mit; Rück— sicht auf Zusammenhang und Verständlichkeit bezeichnet eben. Das

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Die psychischen Wege des Traumvorganges. 355

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will besagen, der Traum wird von ihr behandelt wie jeder andere Wahrnehmungsinhalt; er wird denselben Erwartungsvorstellungen unterm en, soweit sein Material sie eben zuläßt. Soweit bei diesem dritten tuek des Traumvorgan es eine Ablaufrichtung in Betracht kommt, ist es wieder die p 'ente.

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Zur Verhütung von M' verständnissen wird ein Wort über die zeitlichen Eigenschaften dieser Traumvorgunge wohl angebracht sein. Ein sehr anziehender Gedankengang Go lets”), der ofl'enbar durch das Rätsel des Mauryschen Guillotinentraumes enger t ist, sucht darzutun,flaß der Traum keine andere Zeit in Anspruäi nimmt als die der Über angsperiode zwischen Schlafen und Erwachen. Das Erwachen brauc t Zeit; in dieser Zeit fällt der Traum vor. Man meint, das letzte Bild des Traumes war so stark, daß es zum Erwachen nötigte. In Wirklichkeit war es nur darum so stark, weil wir bei ihm dem Erwachen schon so nahe waren. „Un réve c’est un réveil qui commence.“

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Es ist schon von Dugas‘“) hervorgehoben werden, daß Goblot viel Tatsächliches beseitigen muß, um seine These allgemein zu halten. Es gibt auch Träume, aus denen man nicht erwacht, z. B. manche, in denen man träumt, daß man träumt. Nach unserer Kenntnis der Traumarbeit können wir unmöglich zugeben, daß sie sich nur über die Periode des Erwachens erstrecke. Es muß uns im teil wahrscheinlich werden, daß das erste Stück der Traumarbeit reits am T e, noch unter der Herrschaft des Vorbewußten beginnt. Das zweiteagStück derselben, die Veränderung durch die Zensur, die Anziehung durch die unhewußten Szenen, das Durehdringen zur Wahrnehmung, das geht wohl die ganze Nacht hindurch for und insofern dürften wir immer recht haben, wenn wir eine Empfin ung angeben, wir hätten die ganze Nacht geträumt, auch wenn wir nicht zu wissen, was. Ich glaube aber nicht, daß es notwendi ist anzunehmen. die Traumvorgänge hielten bis zum Bewußtwe en wirklich die zeitliche Folge ein, die wir beschrieben haben; es sei zuerst der übertragene Traumwunsch vorhanden, dann gehe die Entstellung durch die Zensur vor sich, darauf folge die Richtungsünderung zur Regression u. s. w. Wir haben eine solche Sukzession bei der Beschreibung herstellen müssen; in Wirklichkeit handelt es sich wohl vielmehr um gleichzeitiges Erproben dieser und jener Wege, um ein Hin- und Herwogen der Erregung, bis endlich durch deren zweck— mäßigste Verteilung gerade die eine Gruppierungäiie bleibende wird. Ich möchte selbst nach gewissen persönlichen ahrungen glauben, daß die Traumarbeit oft mehr als einen Tag und eine Nacht raucht, um ihr figebn.is zu liefern, wobei dann die außerordentliche Kunst im Aufbau des Traumes alles Wunderbare verliert. Selbst die Rücksicht au.f die Verständlichkeit als Wahrnehmungsereignis kann meiner Meinung nach zur Wirkung kommen, ehe der Traum das Bewußtsein an sich zieht. Von da an erfährt der Vorgang allerdings eine

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Beschleunigung, da. der Traum ja jetzt dieselbe Behandlung erfährt wie etwas anderes Wahrgenommenes. Es ist wie mit einem Feuer werk, das Stunden lang hergerichtet und dann in einem Moment entzündet wird.

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Durch die Traumarbeit gewinnt der Traumvorgang nun entweder die enllgende Intensität, um das Bewußtsein auf sich zu ziehen und das orbewußte zu wecken, ganz unabhängig von der Zeit und Tiefe des Schlafes; oder seine Intensth ist dazu nicht nügend, und er muß bereit bleiben, bis ihm unmittelbar vor dem rwaehen die beweglicher gewordene Aufmerksamkeit entgegenkommt. Die meisten Träume erscheinen mit vergleichsweise geringen psychischen Intensitäten zu arbeiten, denn sie warten das Erwachen ab. Es erklärt sich so aber auch, daß wir in der Regel etwas Geträumtes wahrnehmen, wenn man uns plötzlich aus tiefem Sehlafe reißt. Der erste Blick dabei wie beim spontanen Erwachen trifl't den von der Traum— arbeit geschafl'enen Wahrnehmungsinhalt, der nächste dann den von außen gegebenen.

§ 1276

Das größere theoretische Interesse wendet sich aber den Träumen zu, die mitten im Schlafe zu wecken vermögen. Man darf der sonst überall nachweisbaren Zweckmäßigkeit gedenken und sich fragen, warum dem Trauma, also dem unbewußten Wunsche, die Macht lassen wird, den Schlaf, also die Erfüllung des vorbewußten Wunsches, zu stören. Fe muß das wohl an Energierelationen liegen, in welche uns die Einsicht fehlt. Besäßen wir diese, so würden wir wahrscheinlich finden, daß das Gewährenlassen des Traumes und der Aufwand einer gewissen detachierten Aufmerksamkeit für ihn eine Era amis an Energie darstellt gegen den Fall, daß das Unbewußte nac ts ebenso in Schranken gehalten werden sollte wie tagsüber. Wie die Erfahrung zeiggc bleibt das Träumen, selbst wenn es mehrmals in einer Nacht den blaf unterbricht, mit dem Schlafen vereinbar. Man erwacht fiir einen Moment und schläft sofort wieder ein. 1% ist, wie wenn man schlafend eine Fliege wegscheucht; man erwacht ad hoc. Wenn man wieder einschläfl, hat man die Störung beseitigt. Die Erfllllung des Schlafwunsches ist, wie bekannte Beispiele vom Ammenschlaie u. dgl. zeigen, ganz gut mit der Unterhaltung eims gewissen Aufwandes von Aufmerksamkeit nach einer bestimmten Richtung vereinbar.

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Hier verlangt aber ein Einwand gehört zu werden, der auf einer besseren Kenntnis der unbewußten Vorgänge fußt. Wir haben selbst die unbewußten Wünsche als immer rege bezeichnet. Trotz— dem seien sie bei Tag nicht stark genug, sich vernehmbar zu machen. Wenn aber der Schlafzustand besteht und der unbewußte Wunsch die Kraft gezeigt hat, einen Traum zu bilden und mit ihm das Vorbewußte zu wecken, warum versiegt diese Kratt, nachdem der Traum zur Kenntnis genommen worden ist? Sollte der Traum sich nicht vielmehr fortwährend erneuern, gerade wie die störende

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Das Wacken durch den Traum. 357

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Fliege es liebt, immer wieder nach ihrer Vertreibung wiederzukehrcn? Mit welchem Rechte haben wir behauptet, daß der Traum die Schlafstörung beseitigt?

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Es ist ganz richtig, daß die unbewnßten Wünsche immer rege bleiben. Sie stellen Wege dar, die immer gungbar sind, so oft ein Erregungsqusntum sich ihrer bedient. Es ist sogar eine hervor

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ende Besonderheit unbewußter Vorgänge, daß sie unzerstörba.r bleiben. Im Unbewußten ist nichts zu Ende zu bringen, ist nichts vergangen oder vergessen. Man bekommt hievon den stärksten Eindruck beim Studium der Neurosen, speziell der Hysterie. Der unbewußte Gedunkenweg, der zur Entladung im Anfall fiihrt, ist sofort wieder gangbar, wenn sich genug Erregung angesammelt hat. Die Kränkung, die vor dreißig Jahren vorgefallen ist, wirkt, nachdem sie sich den Zugang zu den unbewußten Affektquellen verschafft hat, alle die dreißig Jahre wie eine frische. So ofi: ihre Erinnerung angerlihrt wird, lebt sie wieder auf und zeigt sich mit Er besetzt, die sich in einem Anfall motorische Abfuhr verschafft. Gerade hier hat die Psychotherapie einzugrcifen. Ihre Aufgabe ist es, für die unbewußten Vorgänge eine Erledigung und ein Vergessen zu schaffen. Was wir nämlich geneigt sind, für selbstverständlich zu halten und für einen primären Einfluß der Zeit auf die seelischen Erinnerungsreste erklären, das Abblassen der Erinnerungen und die Atfektschwäche der nicht mehr rezenten Eindrücke, das sind in Wirklichkeit sekundäre Veränderungen, die durch mühevolle Arbeit zu stande kommen. FA ist das Vorbewußte, welches diese Arbeit leistet, und die Psycho. therapie kann keinen anderen Weg einrchlagen, als das 0010 der Herrschaft des VW) zu unterwerfen.

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Für den einzelnen unbewußten Erregungsvo eng gibt es also zwei Ausgänge. Entweder er bleibt sich selbst übdäassen, dann bricht er endlich irgendwo durch und scheiß: seiner Erregung für dies eine Mal einen Abfluß in die Motilitltt oder er unterlie der Beeinflussung des Vorbewußten, und seine Erregung wird urch dasselbe ge. bunden, anstatt abgeführt. Letzteres abergeschieht beim Tranmvorgang. Die Besetzung, die dem Zur Wahrnehm gewordenen Traum von seiten des wa entgegenkommt, weil sie urch die‘Bcwußtseinserregung hingelenkt worden ist, bindet die unbewußte Erregung des Traumes und macht sie als Störung unschädlich. Wenn der Träumer für einen Augenblick erwacht, so hat er wirklich die Fliege weggescheucht, die den Schlaf zu stören drohte Es kann uns jetzt ahnen, daß es wirklich zweckmäßigtar und wohlfeiler war, den unbewußten Wunsch gewähren zu lassen, ihm den Weg zur Regression frei zu geben, damit er einen Traum bilde, und dann diesen Traum durch einen kleinen Aufwand von vorbewußter Arbeit zu binden und zu erledigen, als das Unbewußte auch die ganze Zeit des Sehlafens über im Zsume zu halten. Es stand ja zu erwarten, daß der Traum, auch wenn er ursprünglich kein zweckmäßiger Vor.

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gang war, im Krüftespiel des seelischen Lebens sich einer Funktion bemüchtigt haben würde. Wir sehen, welches diese Funktion ist. Er hat die Aufgabe übernommen, die frei gelassene Erregung des Ubw wieder unter die Herrschaft des Vorbewußten zu bringen; er führt dabei die Erregung des Ulm ab, dient ihm als Ventil und sichert gleichzeitig gegen einen geringen Aufwand an Wachtätigkcit den Schlaf es Vorbewußten. So stellt er sich als ein Kompromiß, ganz wie die anderen psychischen Bildungen seiner Reihe, gleichzeitig in den Dienst der beiden S sterne, indem er beider Wünsche, insoweit sie miteinander verträg ich sind, erfllllt. Ein Blick auf die Seite 55 mitgeteilte Robertsche „Ausscheidungstheorie“ wird zeigen, daß wir diesem Autor in der Hauptsache, in der Bestimmung der Funktion des Traumes, recht geben müssen, während wir in den Voraussetzungen und in der Würdigung des Traumvorganges von ihm abweichen. Die Einschränkung, insofern beide Wünsche miteinander verträglich sind, enthält einen Hinweis auf die möglichen Fälle, in denen die Funktion des Traumes zum Scheitern gelangt. Der 'l‘raumvorgang wird zunächst als Wunscherflillung des Unbewußten zugelassen; wenn diese versuchte Wunscherfüllung am Vorbewußten so intensiv rüttelt, daß dies seine Ruhe nicht mehr bewahren kann, so hat der Traum das Kompromiß gebrochen, das andere Stück seiner Aufgabe nicht mehr erfilllt. Er wird dann sofort abgebrochen und durch das volle Erwachen ersetzt. FA ist eigentlich auch hier nicht die Schuld des Traumes, wenn er, sonst der Hüter des Schlafes, als Störer desselben auftreten muß, und braucht uns gegen seine Zweckmüßigkeit nicht einzunehmen. FA ist dies nicht der einzige Fall im Organismus, daß eine sonst zweckmäßige Einrichtung un— zweckmäßig und störend wird, sobald in den Bedingungen ihres Entstehens etwas geändert ist, und dann dient die Störung wenigstens dem neuen Zwecke, die Veränderung anzuzeigen und die Regulie mittel des Organismus wider sie wach zu rufen. Ich habe natürlich den Fall des Angsttraumes im Auge, und um nicht dem Anscheine recht zu geben, daß ich diesem Zeugen gegen die Theorie der Wunscherfilll ausweiche, wo immer ich auf ihn stoße, will ich der Erklärun des ngsttraumes wenigstens mit Andeutungen naher treten. D ein ps chischer Vorgang, der Angst entwickelt, darum doch eine Wunsc erfüllung sein kann, enthält fiir uns längst keinen Widerspruch mehr. Wir wissen uns das Vorkommnis so zu erklären daß der Wunsch dem einen System, dem Ubw, angehört während das S stem des VW diewn Wunsch verworfen und unterdrückt hat. Die nterwerfung des Übw durch das wa ist auch bei völliger s;yüchischer Gesundheit keine durchgreifende; das Maß dieser Unterckung ergibt den Grad unserer psychischen Normalität. Neurotische Symptome zeigen uns an, daß sich die beiden Systeme im Konflikt mitemunder befinden; sie sind die Kompromißergebnisse dieses Konflikts, die ihm ein vorläufiges Ende setzen. Sie gestatten einer

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Die 'l‘mumt'unktion. Ihr Scheitern im Angsttraum. 359

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seits dem Ubw einen Ausweg für den Abfluß seiner Erregung, dienen ihm als Ausfallstor und geben doch anderseits dem wa die Mög— lichkeit, das Ubw einigermaßen zu beherrschen. Lehrmich ist es z. B. die Bedeutung einer hysterischen Phobie oder der Platza.n t in Betracht zu ziehen. Ein Neurotiker sei unfähig allein über ie Straße zu gehen, was wir mit Recht als „Symptom“ anfuhren. Man hehe nun dieses Symptom auf, indem man ihn zu dieser Handlung nötigt, für die er sich unfähig glaubt. Es erfolgt dann ein Angstanfall, wie auch oft ein Angstanfall auf der Straße die Veranlassung fur die Herstellung der Platzangst geworden ist. Wir erfahren so, daß das Symptom konstituiert werden ist, um den Ausbruch der Angst zu verhüten; die Phobie ist der Angst wie eine Grenzfestung vorgelegt.

§ 1290

Unsere Erörterung läßt sich nicht weiter führen, wenn wir nicht auf die Rolle der Afl'ekte bei diesen Vorgängen eingehen, was aber hier nur unvollkommen möglich ist. Stellen wir also den Satz auf, daß die Unterdrückung des Ubw vor allem darum notwendig wird, weil der sich selbst überlassene Vorstellungsabluuf im Ubw einen Afl'ekt entwickeln würde, der ursprünglich den Charakter der Lust hatte, aber seit dem Vorgang der Verdran gung den Charakter der Unlust trägt. Die Unterdrückung hat den Zweck, aber auch den Erfolg, diese Unlustentwicklung zu verhtiten. Die Unterdrückung erstreckt sich auf den Vorstellungsinhalt des Ubw, weil vom Vorstellnngsinhalt her die Entbindung der Unlust erfolgen könnte. Eine ganz bestimmte Annahme über die Natur der Afl'ektentwicklung ist hier zu Grunde gelegt. Dieselbe wird als eine motorische oder sekretorische Leistung angesehen, zu welcher der Innenationsschlüssel in den Vorstellungen des Ubw gelegen ist. Durch die Beherrschung von seiten des wa werden diese Vorstellungen gleichsam gedrosselt, an der Aussendung der Afi'ekt entwickelnden Impulse gehemmt. Die Gefahr, wenn die Besetzung von seiten des VW! aufhört, besteht also darin, daß die unbewußten Erreguugen solchen Afl‘ekt entbinden, der —— infolge der früher stat ehabten Verdrängung — nur als Unlust, als Angst vorspürt werden nun.

§ 1291

Diese Gefahr wird durch das Gewährenlassen des Traumvorganges entfesselt. Die Bedingungen fiir deren Realisierung liegen darin, daß Verdrängungen stattgefunden haben, und daß die unterdrückten Wunschregungen star genug werden können. Sie stehen also ganz außerhalb des psychologischen Rahmens der Traumbildung. Wäre es nicht daß unser Thema durch dies eine Moment, die Befreiung des wa während des Schlafes, mit dem Thema. der Angstentwicklung zusammenhinge, so könnte ich auf die Besprechung des Angsttraumes verzichten und mir alle ihm anhangenden Dunkelheiten hier ersparen.

§ 1292

Die Lehre vom Angsttraume gehört, wie ich schon wiederholt ausgesprochen habe, in die Nenrosenpsychologie. Wir haben weiter

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VII. Psychologie der Traumvorgäugc.

§ 1295

nichts mit ihr zu schaffen, nachdem wir einmal ihre Berührungsstelle mit: dem Thema des Traumvorganges aufgezeigt haben. Ich kann nur noch eines tun. Da ich behauptet habe, daß die neurotische Angst aus sexuellen Quellen stammt, kann ich Angsttrüume der Analyse unterziehen, um das sexuelle Material in deren Traumgedanken nachzuweisen.

§ 1296

Aus guten Gründen verzichte ich hier auf alle die Beispiele, die mir nenrotische Patienten in reicher Fülle bieten, und bevorzuge Angstträume von jugendlichen Personen.

§ 1297

Ich selbst habe seit Jahrzehnten keinen eigentlichen Angsttraum mehr gehabt. Aus meinem siebenten oder achten Jahre erinnere ich mich an einen solchen, den ich etwa 30 Jahre später der Deutung unterworfen habe. Er war sehr lebhaft und zeigte mir die geliebte Mutter mit eigentümlich ruhigem, sehlat'endem Gesichtsausdruck, die von zwei (oder drei) Personen mit Vogelschnilbeln ins Zimmer getragen und aufs Bett

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ele t wird. Ich erwachte weinend und schreiend und störte den gchl der Eltern. Die — eigentümlich drapierten — uberlangen Gestalten mit Vogelschnfibeln hatte ich den Illustrationen der Philippsonscheu Bibel entnommen; ich glaube, es waren Götter mit Sperberköpfen von einem ägyptischen Grabreliet‘. Sonst aber liefert mir die Analyse die Erinnerung an einen ungezogenen Hausmeistersjungen, der mit uns Kindern auf der Wiese vor dem Hause zu spielen pflegte; und ich möchte sagen, der hieß Phili p. Es ist mir dann, als hätte ich von dem Knaben zuerst das qugäre Wort

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hört, welches den sexuellen Verkehr bezeichnet und von den Ge— ildeten nur durch ein lateinisches, durch „koitieren“ ersetzt wird, das aber durch die Auswahl der Sperberkö fe deutlich genug gekennzeichnet ist. Ich muß die sexuelle Be entung des Wortes aus der Mieue des welterfahmnen Lehrmeisters ernten haben. Der Gesichtsausdruck der Mutter im Trauma war vom Angesicht des Großvaters kopiert, den ich einige Tage vor seinem Tode im Koma schnarchend gesehen hatte. Die Deutung der sekundären Bearbeitung im Traume muß also gelath haben, daß die Mutter stirbt, auch das Grabrelief stimmt dazu. In dieser Angst erwachte ich und ließ nicht ab, bis ich die Eltern geweckt hatte. Ich erinnere mich, daß ich mich plötzlich beruhigte, als ich die Mutter zu Gesicht bekam, als ob ich die Beruhigung bedurft hätte: sie ist also nicht gestorben. Diese sekundäre Deutung des Traumes ist aber schon unter dem Einflusse der entwickelten Angst geschehen. Nicht daß ich ilngstlich war, weil ich geträumt ha daß die Mutter stirbt; sondern ich deutete den Traum in der vor wußten Bearbeian so, weil ich schon unter der Herrschaft der Angst stand. Die Angst aber laßt sich mittels der Verdrängung zurückflihren auf ein unkles, offenkundig sexuelles Gelum, das in dem visuellen Inhalt des Traumes seinen guten Ausdruck gefunden hatte.

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Analysen von Angsttrltumen. 361

§ 1302

Ein 27jähriger Mann, der seit einem Jahre schwer leidend ist, hat zwischen 11 und 13 Jahren wiederholt unter schwerer Angst geträumt, daß ein Mann mit einer Hecke ihm nachsetzt; er möchte laufen, ist aber wie gelähmt und kommt nicht von der Stelle. Das ist wohl ein gutes Muster eines sehr gemeinen und sexuell unverdächtigen Angsttraumes. Bei der Analyse gerät der Träumer zuerst auf eine, der Zeit nach spätere Ermhlung seines Onkels, daß er auf der Straße nächtlich von einem verdächtigen Individuum angefallen wurde, und schließt selbst aus diesem Einfall, daß er zur Zeit des Traumes von einem ähnlichen Erlebnis gehört haben kann. Zur Hacks erinnert er, daß er sich in jener Lebenszeit einmal beim Holzverkleinern mit der Hecke an der Hand verletzt hatte. Er gerät dann unvermittelt auf sein Verhältnis zu seinem jüngeren Bruder, den er zu mißbandeln und hinzuwerfen pflegte, erinnert sich s eziell eines Males, wo er ihn mit dem Stiefel an den Kopf traf, so ß er blutete und die Mutter dann äußerte: Ich habe Angst, er wird ihn noch einmal anbringen. Während er so beim Thema der Gewalttat festgehalten scheint, taucht ihm plötzlich eine Erinnerung aus dem neunten Lebensjahre auf. Die Eltern waren spät nach Hause gekommen, gingen, während er sich schlafend stellte, zu Hatte, und er hörte dann ein Keuchen und andere Geräusche, die ihm unheimlich vorkamen, konnte auch die Lage der beiden im Bette ernten. Seine weiteren Gedanken zeigen, daß er zwischen dieser Beziehung der Eltern und seinem Verhältnis zu seinem jüngeren Bruder eine Analogie hergestellt hatte. Er subsummierte, was bei den Eltern verfiel, unter den Begriff: Gewalttat und Rauferei, und

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elangte so, wie bei Kindern sehr häufig, zur sa.distischen Auffassung es Koitusaktes. Ein Beweis für diese Auffassung war ihm, daß er oft Blut im Bette der Mutter bemerkt hatte.

§ 1304

Daß der sexuelle Verkehr Erwachsener den Kindern, die ihn bemerken, unheimlich vorkommt und Angst in ihnen erweckt, ist, möchte ich sagen Ergebnis der täglichen Erfahrung. Ich habe für diese Angst die Erklärung gegeben, daß es sich um eine sexuelle Err handelt, die von ihrem Verständnis nicht bewältigt wird, auch wo ] darum auf Ablehnung stößt, weil die Eltern in sie verfloehten sind, und die darum sich in Angst verwandelt. In einer noch früheren Lebensperiode stößt die sexuelle Regung für den gegengeschlechtlichen Teil des Elternpaares noch nicht auf Verdrängung und äußert sich frei, wie wir gehört haben (Seite 182).

§ 1305

Auf die bei Kindern so häufigen nächtlichen Angsta.nfillle mit Halluzinationeu (den Pavor nocturnus) würde ich dieselbe Erklärung unbedenklich anwenden. Es kann sich auch da. nur um unversta.ndene und ubgelehnte sexuelle Regungen handeln, bei deren Aufzeichnung sich auch wahrscheinlich eine zeitliche Periodizitnt herausstellen würde, da eine Steigerung der sexuellen Libido ebensowohl

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362 VII. Psychologie der Traumvorgänge.

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durch zufällige erregende Eindrücke, als auch durch die spontanen, schubweise eintrefi‘enden Entwicklungsvorgflnge erzeugt werden kann.

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Mir fehlt es an dem erforderlichen Beobachtungsmaterisl, um diese Erklärung durchzuführen. Den Kinderärzten scheint es dagegen an dem Gesichtspunkte zu fehlen, der allein das Verständnis der ganzen Reihe von Phänomenen, sowohl nach der sometischen als auch nach der psychischen Seite gestattet. Als ein komisches Beispiel, wie nahe man, durch die Scheuklappen der medizinischen Mythologie geblendet, am Verständnis solcher Fälle vorbeigehen kann, möchte ich einen Fall anfähren, den ich in der These über den Pavor nocturnus von Debacker") 1881 (p. 66) gefunden habe.

§ 1310

Ein 13jähriger Knabe von schwacher Gesundheit begann tl.ngstlich und verträumt zu werden, sein Schlaf wurde unruhig und fast jede Woche einmal durch einen schweren Anfall von Angst mit Halluzinationen unterbrochen. Die Erinnerung an diese Träume war immer sehr deutlich. Er konnte also erzählen, daß der Teufel ihn angeschrieu habe:_ Jetzt haben wir dich, jetzt haben wir dich, und dann roch es nach Pech und Schwefel und das Feuer verbrannte seine Haut. Aus diesem Traume schreckte er dann auf, konnte zuerst nicht schreien, bis die Stimme frei wurde und man ihn deutlich sagen hörte: „Nein, nein, nicht mich, ich hab' ja nichts getan,“ oder auch: „Bitte, nicht, ich werd' es nie mehr tun.“ Einigemal sagte er auch: „Albert hat; das nicht getan.“ Er vermied es später sich auszukleiden, „weil das Feuer ihn nur ergreife, wenn er ausgekleidet sei.“ Mitten aus diesen Teufelsträumen, die seine Gesundheit in Gefahr brachten, wurde er aufs Land geschickt, erholte sich dort im Verlaufe von 11], Jahren und gestand dann einmal 15 Jahre alt: „Jo n’osais pas l’avouer, mais j’éprouvais continuellement des picotements et des surexcitations aux parties'); a la fin, cela m'énervait tant que plusieurs fois, j'ai pensé me jener par la fenétre an dortoir.“

§ 1311

Es ist wahrlich nicht schwer zu ernten. 1. daß der Knabe in früheren Jahren masturhiert,_ es wahrscheinlich geleugnet hatte und , mit schweren Strafen fiir seine Unart bedroht werden war. (Sein Ge— ständnis: Je ne le ferni plus; sein Leugnen: Albert n'a jamais fait ca); 2. daß unter dem Andrang der Pubertät die Versuchung zu masturbieren in dem Kitzel an den Genitalien wieder erwachte; daß aber 'etzt 3. ein Verdrängungskampf in ihm losbrach, der die Libido unte ckte und sie in Angst verwandelte, welche Angst nachträglich die damals angedrohten Strafen aufnahm.

§ 1312

Hören wir dagegen die Folgerungen unserm Autors (p. 69). „Es geht aus dieser Beobachan hervor, daß 1. der Einfluß der Pubertät bei einem Knaben von geschwächter Gesundheit einen Zustand von großer Schwache herbeiflihren und daß es dabei zu einer sehr erheblichen Gehirnanämie“) kommen kann.

§ 1313

") Von mir hervorgehoben; übrigens nicht mißverstlndlieh. “) Meine Hervorhebung.

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Der Pavor nocturnns, 363

§ 1316

2. Diese Gehirnanitmie erzeugt eine Charakterverimderung, dämonomanisehe Halluzinationen und sehr heftige nächtliche, vielleicht auch tägliche Angstzustlinde.

§ 1317

3. Die Dämonomanie und die Selbstverwürfe des Knaben gehen auf die Einflüsse der religiösen Erziehung zurück, die als Kind auf ihn gewirkt hatten.

§ 1318

4. Alle Erscheinungen sind infolge eines längeren Landnnfenthalte durch körperliche Übung und Wiederkehr der Kräfte nach abgelaufener Pubertät verschwunden.

§ 1319

5. Vielleicht darf man der Heredität und der alten Syphilis des Vaters einen prädisponierenden Einfluß auf die Entstehung des Gehirn— zustandes beim Kinde zuschreiben. '

§ 1320

Das Schlußwort: „Nous avons fait entrer cette observation dans le cadre des dé1ires apyrétiques d’inanition, car c’est & l'ischémie cérébrale que nous rattachons cet état particulier.“

§ 1321

e) Der Primär- und der Sekundärvorgang. Die Verdrängun g.

§ 1322

Indem ich den Versuch wagte, tiefer in die Psychologie der Traumvorgänge einzudringen, habe ich eine schwierige Aufgabe unternommen, welcher auch meine Darstellungskunst kaum gewachsen ist. Die Gleichzeitigkeit eines so komplizierten Zusammenhanges durch ein Nacheinander in der Beschreibung wiedermgeben und dabei bei jeder Aufstellung voraussetzungslos zu erscheinen, will meinen Kräften zu schwer werden. Es nicht sich nun an mir, daß ich bei der Darstellung der Traumpsychologie nicht der historischen Entwicklung meiner Einsichten folgen kann. Mir waren die Gesichtspunkte für die Auffassung des Traumes durch vorhergegangene Arbeiten über die Psychologie der Neurosen ge eben, auf die ich mich hier nicht beziehen soll und doch immer wi er beziehen muß, während ich in umgekehrter Rich— tung vorgehen und vom Traume aus den Anschluß an die Psychologie der N eurosen erreichen möchte. Ich kenne alle Beschwerden, die sich hieraus fiir den Leser ergeben; aber ich weiß kein Mittel, sie zu vermeiden.

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Unbefriedigt von dieser Sachl verweile ich gern bei einem anderen Gesichts unkte, der mir en Wert meiner Bemühung zu heben scheint. ch fand ein Thema vor, das von den schärfsten Widersprüchen in den Meinungen der Autoren beherrscht war, wie die EinfiIhrung des ersten A schnittes gezeigt hat. Nach unserer Bearbeian der Traumprobleme ist für die meisten dieser Widersprüche Raum gesehafl‘en werden. Nur zweien der geäußerten Ansichten, daß der Traum ein sinnloser und ein sometischer Vorgang sei, mußten wir selbst entschieden widersprechen; sonst aber haben wir allen einander widersprechenden Meinungen an irgend einer Stelle des verwickelten Zusammenhanges recht geben und nachweisen können, daß sie etwas Richtiges herausgefunden hatten. Daß der

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354 VII. Psychologie der Traumvorgänge.

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Traum die Anregungen und Interessen des Waehlebens furtsctzt, hat sich durch die Aufdeckung der verborgenen Traumgedankeu ganz allgemein bestätigt. Diese beschäfiigen sich nur mit dem, was uns wichtig scheint und uns mächtig interessiert. Der Traum gibt sich nie mit Kleinigkeiten ab. Aber auch das Gegenteil haben wir gelten lassen, daß der Traum die gleichgültigen Abfälle des Tages auiklaubt und sich eines großen Tagesinteresses nicht eher bemächtigen kann, als bis es sich der Wacharbeit einigermaßen entzogen hat. Wir fanden dies gültig für den 'I'rauminhalt, der den Traumgedankeu einen durch Entstehung veränderten Ausdruck gibt. Der Traumvorgang, 11 wir, bemächtigt sich aus Gründen der Assoziationsmechanik leic ter des frischen oder des leichgültigen Vorstellungsmaterials, welches von der wachen Denktätig eit noch nicht mit Beschlag belegt ist, und aus Gründen der Zensur übertrngt er die ps chische Intensität von dem Bedeutsamen, aber auch Anstößigen, auf es Indifl'erente. Die Hypermnesie des Traumes und die Verfügung über das Kindheitsmaterial sind zu Grundpf'eilern unserer Lehre geworden; in unserer Traumtheorie haben wir dem aus dem Infantilen stammenden Wunsch die Rolle des unentbehrlichen Motors fiir die Traumbildnng zugeschrieben. An der experimentell nachgewiesenen Bedeutung der äußeren Sinnesreize während des Schlafes zu zweifeln, konnte uns natürlich nicht einfallen, aber wir haben dieses Material in dasselbe Verhältnis zum 'l‘raumwunsch gesetzt wie die von der Tagan-beit erübrigten Gedankenreste. Daß der Traum den objektiven Sinnesreiz nach Art einer Illusion deutet, brauchten wir nicht zu bestreiten; aber wir haben das von den Autoren unbestimmt gelassene Motiv für diese Deutung hinzugefü . Die Deutung erfolgt so, daß das wahrgenommene Obiekt für ie Schlafstörung unschädlich und für die Wunscherfüllung verwendbar wird. Den subjektiven Erregungszustand der Sinnesorgane während des Schlafes, der durch T ru mbull Ladd‘°) nachgewiesen scheint, lassen wir zwar nicht als besondere 'l‘raumquelle elten, aber wir wissen ihn durch regrediente Belebung der hinter dem Trauma wirkenden Erinnerungen zu erklären. Auch den inneren 0 anischen Sensationen, die gern zum Angelpunkte der Traumer ärung enommeu werden, ist in unserer Auffassung eine, wenngleich besc eidenere Rolle verblieben. Sie stellen uns — die Sensatiouen des Fallens, Schwebens, Gehemmtseins — ein allezeit bereites Material dar, dessen sich die Trauma.rbeit zum Ausdruck der Traumgedanken, so ofi es not tut, bedient.

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Daß der Traumvo g ein rapider, momentaner ist, erscheint uns richtig fiir die W rnehmung des vorgebildeten Trauminhalts durch das Bewußtsein; fiir die] vorhergehenden Stücke des Traum— vo haben wir einen angsarnen, w nden Ablauf wahrsche‘ain'ligofl: gefunden. Zum Rätsel des überrdiäen, in den kürzesten Moment zusammengede Trauminhalts konnten wir den Bei

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liefern, daß es sich dabei um das Aufgreifen bereits fertig-er Gebilde

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Versöhnung der Widersprüche in der Truumlehre. 365

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des psychischen Lebens handle. Daß der Traum von der Erinnerung entste t und versttimmelt wird, fanden wir richtig, aber nicht hinderlich, da dies nur das letzte manifeste Stück einer von Anfang der Traumbildung an wirksamen Entstellungsnrbeit ist. In dem erbitterten und einer Versöhnung scheinbar unfähigen Streite, ob das Seelenleben nachts schlafe oder über all seine Leistungslähigkeit wie bei Tage verfllge, haben wir beiden Teilen recht und doch keinem ganz recht geben können. In den Traumgedanken fanden wir die Beweise einer höchst komplizierten, mit fast allen Mitteln des seelischen Apparats arbeitenden, intellektuellen Leistung; doch ist es nicht abzuweisen, daß diese Traumgedanken bei Tage entstanden sind, und es ist unentbehrlich anzunehmen, daß es einen Schlafzustand des Seelenlebens gibt. So kam selbst die Lehre vom partiellen Schlafe zur Geltung; aber nicht in dem Zerfall der seelischen Zusammenhänge haben wir die Charakteristik des Schlafzustandes gefunden, sondern in der Einstellung des den Tag beherrschenden psychischen Systems auf den. Wunsch zu schlafen. Die Ablenkung von der Außenwelt bewahrte auch für unsere Auffassung ihre Bedeutung; sie hilft, wenn auch nicht als einziges Moment, die Regression der Traumdarstellung ermöglichen. Der Verzicht auf die willkürliche Lenkung des Vorstellungsablaufes ist unbestreitbar; aber das psychische Leben wird darum nicht ziellos, denn wir haben gehört, daß nach dem Aufgaben der gewollten Zielvorstellungen unfewollte zur Herrschaft ge— langen. Die lockere Assoziationsverknüp ung im Traume haben wir nicht nur anerkannt, sondern ihrer Herrschaft einen weit größeren Umfang zugewiesen, als geath werden konnte:, wir haben aber gefunden, daß sie nur der erzwungene Ersatz für eine andere, korrekte und sinnvolle ist. Gewiß nannten auch wir den Traum absurd; aber Beis iele konnten uns lehren, wie klug der Traum ist, wenn er sich & surd stellt. Von den Funktionen, die dem 'l‘raume zuerkannt worden sind, trennt uns kein Widerspruch. Daß der Traum die Seele wie ein Ventil entlaste, und daß nach Roberts Ausdruck allerlei Schädliches durch das Vorstellen im Traume unschädlich gemacht wird, trifft nicht nur genau mit unserer Lehre von der zweifachen Wunscherfüllung durch den Traum zusammen, sondern wird für uns sogar nach seinem Wortlaute verständlicher als bei Robert. Das freie sich Ergehen der Seele im Spiele ihrer Fähigkeiten findet sich bei uns wieder in dem Gewährenlassen des Traumes durch die vorbewußte Tati keit. Die „Ruckkehr auf den embryonalen Standpunkt des Seele ebene im Traume“ und die Bemerkung von Havelock Ellis”), „an archaic world of va.st emotions and imperfect thoughts“ erscheinen uns als glückliche Vorwegnahmen unserer Ausführungen, die pri mitive, bei Tage unterdrückte Arbeitsweisen an der Traumbildung beteiligt sein lassen; und wie bei Delage "‘) wird bei uns das „Unterdrückte“ zur Triebfeder des Träumens.

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366 VII. Psychologie der Traumvorgänge.

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Die Rolle, welche Seherner der Traumphantnsie zusehreibt, und die Deutungen Scherners selbst, haben wir in vollem Umieuge anerkannt, aber ihnen gleichsam eine andere Lokalität im Problem enweisen müssen. Nicht der Traum bildet die Phantasie, sondern an der Bildung der Traumgedanken hat die unbewußte l’lntntasietütigkeit den größten Anteil. Wir bleiben Schernel‘ für den Hinweis auf" die Quelle der Treumgedanken verpflichtet; aber i'nst alles, was er der Traumarbeit zuschreibt, ist der Tätigkeit des bei Tage regsemen Unhewußten zuzurechnen, welche die Anregungen für die Träume nicht minder ergibt als die für die neurotischen Symptome. Die Traumurbeit mußten wir von dieser Tätigkeit als etwas gänzlich Verschiedenes und weit mehr Geh bundenes absondern. Endlich haben wir die Beziehung des Treumes zu den Seelenstörungen keineswegs aufgegeben, sondern sie auf neuem Boden fester begründet.

§ 1335

Durch das neue in unserer Traumlehre wie durch eine höhere Einheit zusemmengehnlten, finden wir also die verschiedenartigsten und widersprechendsten Ergebnisse der Autoren unserem Gebäude eingefügt, manche derselben anders gewendet, nur wenige gänzlich verworfen. Aber auch unser Aufbau ist noch unfertig. Von den vielen Unklarheiten abgesehen, die wir durch unser Vordringen in das Dunkel der Psychologie auf uns gezogen haben, scheint auch noch ein neuer Widers ruch uns zu hedriicken. Wir haben einerseits die Traumgedanken ureh völlig normale geistige Arbeit entstehen lassen, anderseits aber eine Reihe von ganz abnormen Denkvorgängen unter den Traumgednnken und von ihnen aus zum Trauminhnit auf— gefunden, welche wir dann bei der Traumdeutung wiederholen. Alles, was wir die „Treumarbeit“ geheißen haben, scheint sich von den uns als korrekt bekannten psychischen Vorgängen so weit zu entfernen, daß die härtesten Urteile der Autoren über die niedrige psychische Leistung des Träumens uns wohl angebracht dtmken müssen.

§ 1336

Hier sehnii‘en wir vielleicht nur durch noch weiteres Vordringen Aufklärung und. Abhilfe. Ich will eine der Konstellationen herausgreifen, die zur Traumbiidung führen:

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Wir haben erfahren, daß der Traum eine Anzahl von Gedanken ersetzt, die aus unserem Tagesleben stammen und vollkommen logisch gefügt sind. Wir können darum nicht bezweifeln, daß diese Gedanken unserem normalen Geistesleben entstammen. Alle Eigenschaften, welche wir an unseren Gedankengängen hochschätzen, durch welche sie sich als komplizierte Leistungen hoher Ordnung kennzeichnen, finden wir an den Traumgedanken wieder. Es besteht aber keine Nötigung‘ anzunehmen, daß diese Gedankenarbeit während des Schlafes vollzogen wurde, was unsere bisher festgehaltene Vorstellung vom psychischen Sehlefzustand a.rg heirren würde. Diese Gedanken können vielmehr sehr wohl vom Tage stammen, sich, von ihrem Anstoß an, unserem Bewußtsein unbemerkt, fortgesetzt haben und fanden sich

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Der Widerspuch zwischen den beiden Stücken der „Traumarbeit“. 367

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dann mit dem Einschlafen als fertig vor. Wenn wir aus dieser Sachlage etwas entnehmen sollen, so ist es höchstens der Beweis, daß die kampliziertesten Denkleistungen ohne Mittun des Bewußt— seins möglich sind, was wir ohnedies aus jeder Psychoanalyse eines Hysterischen oder einer Person mit Zwangsvorstellungen erfahren mußten. Diese ’l‘raumgedanken sind an sich sicherlich nicht bewußtseinsunfithig; wenn sie uns tagsüber nicht bewußt worden sind, so mag dies verschiedene Gründe haben. Das Bewußtwerden hängt mit der Zuwendung einer bestimmten psychischen Funktion, der Aufmerksamkeit, zusammen, die, wie es scheint, nurin bestimmter Quantität eufgewendet wird, welche von dem betreifenden Gedankengang durch andere Ziele abgelenkt sein mochte. Eine andere Art, wie solche Gedankengänge em Bewußtsein vorenthalten werden können, ist folgende: Von unserem bewußten Nachdenken her wissen wir, daß wir bei Anwendung der Aufmersamkeit einen bestimmten Weg verfolgen. Kommen wir auf diesem Wege an eine Vorstellung, welche der Kritik nicht Stand hält, so brechen wir ab:, wir lassen die Aufmerksamkeitsbesetzung{ fallen. Es scheint nun, daß der begonnene und verlassene Gedan engang sich denn fortspinnen kann, ohne daß sich ihm die Aufmerksamkeit wieder zuwendet, wenn er nicht an einer Stelle eine besonders hohe Intensität erreicht, welche die Aufmerksamkeit erzwingt. Eine anfängliche etwa mit Bewußtsein erfolgte Verwerfung durch das Urteil als unrichtig oder als unbrauchbar für den aktuellen Zweck des Deukaktes, kann also die Ursache sein, daß ein Denkvorgang vom Bewußtsein unbemerkt sich bis zum Einschla.fen fortsetzt.

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Resümieren wir daß wir einen solchen Gedankengang einen vorbewußten heißen, ihn für völlig korrekt halten, und daß er ebensowohl ein bloß vernachlässigter, wie ein abgebrochener, unterdrückter sein kann. Sagen wir auch frei heraus, in welcher Weise wir uns den Vorstellungsablauf veranschaulichen. Wir glauben, daß von einer Zielvorstellung aus eine gewisse Erregungs%öße, die wir „Besetzungsenergie“ heißen, längs der durch diese ielvorstellung au ewäblten Assoziationswege verschoben wird. Ein „vernachlässigter Gelämkengang hat eine solche Besetzung nicht erhalten; - von einem „unterdrückten“ oder „verworfenen“ ist sie wieder zurückgezogen werden; beide sind ihren eigenen Erregungen überlassen. Der zielbesetzte Gedanken eng wird unter gewissen Bedingungen fähig, die Aufmerksamkeit es Bewußtseins auf sich zu ziehen, und erhält dann durch dessen Vermittlung eine „Überbesetzung“. Unsere Annahmen über die Natur und Leistung des Bewußtseins werden wir ein wenig später klarlegen müssen.

§ 1342

Ein so im Vorbewußten angeregter Gedankengang kann spontan erlöschen oder sich erhalten. Den ersteren Ausgang stellen wir uns so vor, daß seine Energie nach allen von ihm ausgehenden Assoziationerichtungen difl’undiert, die ganze Gedankenkette in einen erregten Zustand versetzt, der fiir eine Weile anbü.lt, dann aber abklingt, in

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368 VII. Psychologie der Traumvorgänge.

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dem die abfuhrbedürftige Erregung sich in ruhende Besetzung umwandelt.*) Tritt dieser erste Ausgang ein, so hat der Vorgang weiter keine Bedeutung für die Traumbildung. Es lauern aber in unserem Vorbewußten andere Zielvorstellungen, die aus den Quellen unserer unbewußten und immer regen Wünsche stammen. Diese können sich der Erregung in dem sich selbst überlassenen Gedankenkreise bemßchtigen, stellen die Verbindung zwischen ihm und dem unbewu.ßten Wunsche her, übertragen ihm die dem unbewußten Wunsch eigene Energie, und von jetzt an ist; der vernachlässigte oder unterdrückte Gedankengang im stunde, sich zu erhalten, obwohl er durch diese Verstärkung keinen Anspruch auf den Zu eng zum Bewußtsein erhält. Wir können sagen, der bisher vorbewußte edankengang ist ins Unhewußte gezogen worden.

§ 1346

Andere Konstellationen zur Traumbildung wären, daß der vorbewußte Gedankengang von vornherein in Verbindung mit dem unbewußten Wunsche stand, und darum auf Abweisung von seiten der herrschenden Zielbesetzung stieß, oder daß ein unbewußter Wunsch aus anderen (etwa. somatischen) Gründen rege geworden ist und ohne En nkommen eine Übertragung auf die vom wa nicht besetzten ps c ischen Reste sucht. Alle drei Fälle treflen endlich in einem Erge nis zusammen, daß ein Gedankenzug im Vorbewußten zu stande kommt, der von der vorbewußten Besetzung verlassen, vom unbewußten Wunsche her Besetzung gefunden hat.

§ 1347

Von da an erleidet der Gedankean eine Reihe von Umwandlungen, die wir nicht mehr als normale psychische Vorgänge anerkennen, und die ein uns befremdendes Resultat, eine psychopathologische Bildung, ergeben. Wir wollen dieselben herausheben und zusammenstellen:

§ 1348

' l. Die Intensitlten der einzelnen Vorstellungen werden nach ihrem ganzen Betrage abflußflihig und übergeben von einer Vorstellung auf die andere, so daß einzelne mit großer Intensität versehene Vorstellungen gebildet werden. Indem sich dieser Vorgang mehrmals wiederholt, kann die Intensith eines ganzen Gedankenzuges schließlich in einem einzigen Vorstellungselement gesammelt sein. Dies ist die Tatsache der Kompression oder Verdichtung, die wir während der Traumarbeit kennen gelernt haben. Sie trägt die Hauptschuld an dem befremdenden Eindruck des 'I‘raumes, den etwas ihr analoges ist uns aus dem normalen und dem Bewußtsein zugänglichen Seelenleben ganz unbekannt. Wir haben auch hier Vorstellungen, die als Knotenpunkte oder als Endergebnisse nur Gedankenketten eine große Esychische Bedeutung besitzen, a er diese Wertigkeit äußert sich in einem fitrdie innere Wahrnehmung sinnfälligen Charakter; das in ihr Vorgestellte wird darum in keiner Weise intensiver. Im Verdiehtungsvorgang setzt sich aller psychische Zusammenhang in die

§ 1349

') [Vgl. hiesu die bedeutsamen Darlegungen von J. Bre ner in unseren „Studien

§ 1350

über Hysterie“ 1896 und 2. Aufl. 1909.]

§ 1351

§ 1352

Die „abnormen“ Vorgänge bei der Traumarbeit. 369

§ 1353

Intensität des Vorstellungsinhalts um. Es ist der nämliche Fall wie wenn ich in einem Buche ein Wort, dem ich einen überragenden Wert für die Auffassung des Textes beilege, gesperrt oder fett drucken lasse. In der Rede würde ich dasselbe Wort laut und langsam sprechen und nachdrücklich betonen. Das erstere Gleichnis führt unmittelbar zu einem der Traumerbeit entlehnten Beispiele (Trimethylumin im Traume von Irmas Injektion). Die Kunsthistoriker machen uns darauf aufmerksam, daß die ältesten historischen Skulpturen ein ähnliches Prinzip befolgen, indem sie die Rang röße der dargestellten Personen durch die Bildgröße zum Ausdruc brin en. Der König wird zwei- oder dreimal so groß gebildet als sein ef'olge oder der überwundene Feind. Ein Bildwerk aus der Römerzeit wird sich zu demselben Zwecke feinerer Mittel bedienen. Es wird die Figur des Imperators in die Mitte stellen, ihn hoch aufgerichtet zeigen, besondere Sorgfalt auf die Durcbbildung seiner Gestalt verwenden, die Feinde zu seinen Füßen legen, ihn aber nicht mehr als Riesen unter Zwergen erscheinen lassen. Indes ist die Verbeugung des Untergebenen vor seinem Vorgesetzten in unserer Mitte noch heute ein Nachklang jenes alten Darstellungsprinzips.

§ 1354

Die Richtung, nach welcher die Verdichtung-en des Traumes fortschreiten, ist einerseits durch die korrekten vorbewußten Relationen der Traumgedaüken, anderseits durch die Anziehung der visuellen Erinnerungen im Unbewußten vorgeschrieben. Der Erfolg der Verdichtungsarbeit erzielt jene Intensitäten, die zum Durchbruche gegen die Wahrnehmungssysteme erfordert werden.

§ 1355

2. Es werden wiederum durch freie Übertragbarkeit der Inten— sitäten und. im Dienste der Verdichtung Mittelvorstellungen ebildet, Kompromisse gleichsam (vgl. die zahlreichen Beispiele). Gleich%alls etwas Unerhörtes im normalen Vorstellungseblauf, bei dem es vor allem auf die Auswahl und Festhaltung des „richtigen“ Vorstellungs— elements ankommt. Dagegen ereignen sich Misch- wie Kompromiß bildungen außerordentlich häufig, wenn wir fiir die vorbewußten Gedanken den sprachlichen Ausdruck suchen, und werden als Arten des „Versprechens“ angeführt.

§ 1356

8. Die Vorstellungen, die einander ihre Intensitäten übertrage stehen in den lockersten Beziehungen zueinander und sin durch solche Arten von Assoziationen verknüpft, welche von unserem Denken verschmä.ht und nur dem witz' en Eifekt zur Ausnützung überlassen werden. Insbesondere gelten leichklangs- und Wortlautassoziationen als den anderen gleichwertig.

§ 1357

4. Einander widers rechende Gedanken streben nicht danach-, einander aufzuheben, son crn bestehen nebeneinander, setzen sich oft“, als ob kein Widers ruch bestünde, zu Verdichtungsprodukteix zusammen oder bilden ompromisse, die wir unserem Denken nie verzeihen würden, in unserem Handeln aber oft gutheißen.

§ 1358

Freud, Traumdeutung. 2. Aufl. 24

§ 1359

§ 1360

370 VII. Psychologie der Traumvorgänge.

§ 1361

Dies waren einige der auffälligsten abnormen Vorgänge, denen im Laufe der Traumarbeit die vorher rationell gebildeten Traumgedanken unterzogen werden. Man erkennt als den Hauptcharakter

§ 1362

erselben, daß aller Wert darauf gelegt wird, die beseizende Energie beweglich und abfuhrfähig zu machen; der Inhalt und die eigene Bedeutung der ps chischen Elemente, an denen diese Besetzungen haften, wird zur Nibensache. Man könnte noch meinen, die Verdich— tung und Kompromißbildung geschehe nur im Dienste der Regression, wenn es sich darum handelt, Gedanken in Bilder zu verwandeln. Allein die Analyse —- und noch deutlicher — die Synthese solcher Träume, die der Regression auf Bilder eutbehren, z. B. des Traumes „Autodidasker — Gespräch mit Hofrat N.“, ergeben die nämlichen Versehiebungs- und Verdichtungsvorgänge wie die anderen.

§ 1363

So können wir uns also der Einsicht nicht verschließen, daß an der Traumbildung zweierlei wesensverschiedene psychische Vorgänge beteiligt sind; der eine schaflt vollkommen korrekte, dem normalen Denken gleichwertige Traumgedanken; der andere verfährt mit denselben auf eine höchst befremdende, inkorrekte Weise. Den letzteren haben wir schon im Abschnitt VI als die eigentliche Traumarbeit abgesondert. Was haben wir nun zur Ableitung dieses letzteren psychischen Vor enges vorzubringen?

§ 1364

Wir iönnten hier eine Antwort nicht geben, wenn wir nicht ein Stück weit in die Psychologie der Neurosen, speziell der Hysterie, eingedrungen wären. Aus 'eser aber erfuhren wir, daß die nämlichen inkorrekten psychischen Vorgänge — und noch andere nicht aufgemhlte — die Herstellung der hysterischen Symptome beherrschen. Auch bei der Hysterie finden wir zunächst eine Reihe von völlig korrekten, unseren bewußten ganz gleichwertigen Gedanken, von deren Existenz in dieser Form wir aber nichts erfahren können, die wir erst nachträglich rekonstruieren. Wenn sie irgendwo zu unserer Wahrnehmung durchgedrungen sind, so ersehen wir aus der Analyse des

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ebildeten S mptoms, daß diese normalen Gedanken eine abnorme Behandlung er itten haben und mittels Verdichtung, Kompromißbildnng, über oberflächliche Assoziationen, unter Deckung der Widersprüche, eventuell auf dem Wege der Regression in das Symptom übergefülsrt worden sind. Bei der vollen Identität zwischen den Eigentümlichkeiteu der Traumarheit und der psychischen Tätigkeit, welche in die psychoneurotischen Symptome ansläufi, werden wir uns für berechtigt halten, die Schlüsse, zu denen uns die Hysterie nöti auf den Traum zu übertragen.

§ 1366

Aus der Lehre von der ysterie entnehmen wir den Satz, daß solche ahnorme psychische Bearbeitung eines normalen Gedankenzuges nur dann vorkommt, wenn dieser zur Übertragung eines unbewußten Wunsches geworden ist, der aus em Infantilen stammt und sich in der Verdrängung befindet. Diesem Satze zuliebe haben wir die Theorie des

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§ 1368

Die nämliohen abnormen Vorgänge bei den Neuroseu. 371

§ 1369

Traumes auf die Aufnahme gebaut, daß der treibende Traumwunsch allemal aus dem Unbewußten stammt, was, wie wir selbst zugestandeu, sich nicht allgemein nachweisen, wenn auch nicht zurückweisen laßt. Um aber sagen zu können, was die „Verdrängung“ ist, mit deren Namen wir schon so oft gespielt haben, müssen wir ein Stück an unserem psy:;hologischen Gerüste weiter bauen.

§ 1370

Wir tten uns in die Fiktion eines primitiven psychischen Ap a.rats vertieft, dessen Arbeit durch das Bestreben geregelt wird, Anhnuthng von Erregung zu vermeiden und sich möglichst erregungslos zu erhalten. Er war darum nach dem Schema eines Refiexappnrats gebaut; die Motilitat, zunächst der Weg zur inneren Veränderung des Körpers, war die ihm zu Gebote stehende Abfuhrbahn. Wir erörterten dann die psychischen Folgen eines Befriedigungserlebnisses und hätten dabei schon die zweite Annahme einfügen können, daß Anhäufung der Erreg -— nach gewissen uns nicht bekümmernden Modalitäten — als Unlust empfunden wird und den Apparat in Tätigkeit versetzt, um das Befriedigungserlebnis, bei dem die Verringerung der Erregung als Lust verspürt wird, wieder herbeizufiihren. Eine solche, von der Unlust ausgehende, auf die Lust zielende Strömung im Apparat heißen wir einen Wunsch; wir haben gesagt, nichts anderes als ein Wunsch sei im stande, den Apparat in Bewegu zu b ' n, und der Ablauf der Erregung in ihm werde automatise durch die Wahrnehmungen von Lust und Unlust geregelt. Das erste Wünschen dürfle ein halluzinatorisches Besetzen der Befriedigungserinnerung gewesen sein. Diese Halluzination erwies sich aber, wenn sie nicht bis zur Erschöpfun festgehalten werden sollte, als untilchti , das Aufhören des Bed nisses, also die mit der Befriedigung ver undene Lust, herbeizuftlhren.

§ 1371

FA wurde so eine zweite Tätigkeit — in unserer Ausdrucksweise die Tätigkeit eines zweiten Systems — notwendig, welche nicht gestattete, daß die Erinnerungsbesetzun zur Wahrnehmung_vordringe und von dort aus die psychischen Krä binde, sondern die vom Bedürfnisreiz ausgehende Erregung auf einen Umweg leite, der endlich über die willkürliche Motilitüt die Außenwelt so verändert, daß die reale Wahrnehmung des Befriedigungsohjektes eintreten kann. So weit haben wir das Schema des psychischen Apparate bereits verfolgt); die beiden Systeme sind der Keim zu dem, was wir als Ulm und w in den voll ausgebildeten Apparat einzetzen.

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Um die Außenwelt zweckmäßig durch die Motilität verändern zu können, bedarf es der Anhäufung einer großen Summe von Erfahrungen in den Erinnerungssystemen und einer mann" schen Fixierung der Beziehungen, die durch verschiedene Zielvo lungen in diesem Erinnerungsmaterial hervorgerufen werden. Wir gehen nun in unseren Annahmen weiter. Die vielfach tastende, Besetzungen aussendende und wieder einziehende Tätigkeit des zweiten Systems bedarf einerseits der freien Verfügung über alles Erinnerungsmaterial; anderseits wäre es überflüssiger Aufwand, wenn sie große Besetzungsquanti

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372 VII. Psychologie der Traumvorgänge.

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taten auf die einzelnen Denkwege schickte, die dann unzweckmäßig abströmen und die für die Verändern der Außenwelt notwendige Quantth verringern würden. Der Zwec mäßigkeit zuliebe postuliere ich also, daß es dem zweiten System gelingt, die Energiebesetzung zum größeren Anteil in Ruhe zu erhalten und nur einen kleineren Teil zur Verschiebung zu verwenden. Die Mechanik dieser Vorgänge ist mir ganz unbekannt; wer mit diesen Vorstellungen Ernst machen wollte, müßte die hysikalischen Analogien heraussuchen und sich einen Weg zur Veransc aulichung des Bewegungsvorganges bei der Neuronerregung bahnen. Ich halte nur an der Vorstellung fest, daß die Tätigkeit des ersten W-Systems auf freies Abströmen der Erregungsquantitäten gerichtet ist, und daß das zweite System durch die von ihm ausgehenden Besetzungen eine Hemmung dieses Abströmens, eine Verwandlung in ruhende Besetzung, wohl unter Niveauerhöhung, herbeiführt. Ich nehme also an, daß der Ablauf der Erregung unter der Herrschaft des zweiten Systems an ganz andere mechanische Verhältnisse geknüpft wird, als unter der Herrschaft des ersten. Hat das zweite ystem seine robende Denkarbeit beendigt, so hebt es auch die Hemmung und Siauung der Erregun en auf und laßt öaelben zur Metilimt abfließen.

§ 1377

Es ergibt sich nun eine interessante Gedankenfolge, wenn man die Beziehungen dieser Abflußhemmung durch das zweite System zur Regulierung durch das Unlustprinzip ins Auge fat. Suchen wir uns das Gegenstück zum primären Befriedigungserlebnis auf, das äußere Schreckerlebnis. Es wirke ein Wahrnehmungsreiz auf den primitiven Apparat ein, der die Quelle einer Schmerzerregung ist. Es werden dann so lange ungeordnete motorische Außerungen erfolgen, bis eine derselben den Apparat der Wahrnehmung und gleichzeitig dem Schmerze entzieht, und diese wird bei Wiederuuftreten der Wahrnehmung sofort wiederholt werden (etwa als Fluchtbewegung), bis die Wahrnehmung wieder verschwunden ist. Es wird aber hier keine Neigung übrig bleiben, die Wahrnehmung der Schmerzquelle halluzinatorisch oder anderswie wieder zu besetzen. Vielmehr wird im rimaren Apparat die Neigung bestehen, dies peinliche Erinnerungst<i sofort, wenn es irgendwie geweckt wird, wieder zu verlassen, weil ja das Überfließen seiner Erregung auf die Wahmehmun Unlust hervorrufen würde (genauer: hervorzurufen beginnt). Die A wendung von der Erinnerung, die nur eine Wiederholung der einstige? Flucht vor der Wahrnehmung ist, wird auch dadurch erleichtert, die Erinnerung nicht wie die Wahrnehmung genug Qualth besitzt, um das Bewußtsein zu erregen und hiedurch neue Besetzung an sich zu ziehen. Diese mühelos und regelmäßig erfolgende Abwendung des psychischen Vorganges von der Erinnerung des einst Peinlichen gibt uns das Vorbild und das erste Beispiel der psychischen Verdrängung. Es ist allgemein bekann wie viel von dieser Abwendnng vom Peinlichen, von der Taktik > des ogels Strauß, noch im normalen Seelenleben des Erwachsenen nachweisbar geblieben ist.

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Primlir- und Sekundärvorgang. 373

§ 1380

Zufolge des Unlustprinzips ist das erste W-System also über— haupt unfähig, etwas Unangenehmes in den Denkmsammenha.ng zu ziehen. Das System kann nichts anderes als wünschen. Bliebe es so, so wäre die Denkarbeit des zweiten Systems gehindert, welches die Verfügung über alle in der Erfahrung niedergel n Erinnerungen braucht. Es eröfl'nen sich nun zwei Wege; entwe er macht sich die Arbeit des zweiten Systems vom Unlustprinzip völlig frei, setzt ihren Weg fort, ohne sich um die Erinnerungsunlust zu kümmern; oder sie versteht es, die Unlusterinnernng in solcher Weise zu besetzen, daß die Unlustentbindung dabei vermieden wird. Wir können die erste Möglichkeit zuruekweieen, denn das Unlustprinzip zeigt sich auch als Regula.tor für den Erregungsablanf des zweiten Systems; somit werden wir auf die zweite gewiesen, daß dies System eine Erinnerung so besetzt, daß der Abfluß von ihr gehemmt wird, also auch der einer motorischen Innervnfion vergleichbare Abfluß zur Entwicklung der Unlust. Zur Hypothese, daß die Besetzung durch das zweite System gleichzeitig eine Hemmung ftir den Abfluß der Erregung darstellt, werden wir also von zwei Ausg punkten her geleitet, von der Rücksicht auf das Unlustprinzip sage von dem Prinzip des kleinsten Innervationsaufwandes. Halten wir aber daran fest — es ist der Schlüssel zurVerdrängungslehre —, daß das zweite System nur dann eine Vorstellung besetzen kann, wenn es im stunde ist, die von ihr ausgehende Unlustentwicklung zu hemmen._ Was sich etwa ieser Hemmung entzöge, bliebe auch für das zweite System unzugänglich, würde em Unlustprinzip zufolge alsbald verlassen werden. Die Hemmung der Unlnst braucht indes keine vollständige zu sein; ein Beginn derselben muß zugelassen werden, de es dem zweiten System die Natur denErinner-ung und etwa deren mange‘lnde Eignung für den vom Denken gesuchten Zweck anze' t.

§ 1381

lgDen psychischen Vorgang, welchen das erste System allein zulä.ßt, werde ich jetzt Primärvorgang nennen; den, der sich unter der Hemmung des zweiten ergibt, Sekundarvorgan g. Ich kann noch an einem anderen Punkte zeigen, zu welchem Zwecke das zweite System den Primärvorgang korrigieren muß. Der Primärvorga.ng strebt nach Abfuhr der Erregung, um mit der so gesammelten Erregungsgröße eine Wahrnehmungsidentität herzustellen; der Sekundärvorgang hat diese Absicht verlassen und an ihrer statt die andere aufgenommen, eine Denkidentität zu erzielen. Das ganze Denken ist nur ein Umweg von der als Zielvorstellung genommenen Befriedigungserinnerung bis zur identischen Besetzun derselben Erinnerung, die auf dem Wege über die motorischen Erfs. rungen wieder erreicht werden soll. Das Denken muß sich fiir die Verbindungswege zwisehen den Vorstellungen interessieren, ohne sich durch die Intensitäten derselben beitren zu lassen. Es ist aber klar, daß die Ver» dichtungen von Vorstellungen, Mittel- und Kompromißbildungen in der

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374 VII. Psychologie der Traumvorgänge.

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Erreichung dieses Identitätszieles hinderlich sind; indem sie die eine Vorstellung für die andere setzen, lenken sie vom Wege ab, der von der ersteren weiter geführt hatte. Solche Vorgänge werden also im sekundären Denken sorgfältig vermieden. Es ist auch nicht schwer zu übersehen, daß das Unlustprinzip dem Denkvorgang, welchem es sonst die wichtigsten Anhaltspunkte bietet, auch Schwierigkeiten in der Verfolgung der Denkidentität in den Weg legt. Die Tendenz des Denkens muß also dahin gehen, sich von der ausschließlichen Regulierung durch das Unlust rinzip immer ,mehr zu befreien und die Afl'ektentwicklung durch ie Denkarbeit auf ein Mindestes, das noch als Signal verwertbar ist, einzuschränken. Durch eine neuerliche Überbesetzung, die das Bewußtsein vermittelt, soll diese Verfeinerung der Leistung erzielt werden. Wir wissen aber, daß diese selbst im normalsten Seelenleben selten vollständig gelingt, und daß unser Denken der Fälschung durch die Eimengung des Unlustprinzips immer zugänglich bleibt.

§ 1385

Aber nicht dies ist die Lücke in der Funktionstüchtigkeit unseres seelischen Ap amts, durch welche es möglich wird, daß Gedanken, die sich als Ergebnisse der sekundären Denkarbeit darstellen, dem

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rimaren psychischen Vorgang verfallen, mit welcher Formel wir jetzt ie zum Trauma und zu den hysterischen Symptomen führende Arbeit beschreiben können. Der Fall von Unzulänglic keit ergibt sich durch das Zusammentreffen zweier Momente aus unserer Entwicklung» geschichte, von denen das eine ganz dem seelischen Apparat anheimfällt, und einen maßgebenden Einfluß auf das Verhältnis der beiden Systeme ausgeübt hat, das andere aber im wechselnden Betrsge zur Geltung kommt und Triebkräfte organischer Herkunft ins Seelenleben einführt. Beide stammen aus dem Kinderleben und sind ein Niederschlag der Veränderung, die unser seelischer und somatischer Organismus seit den infantilen Zeiten erfahren hat.

§ 1387

Wenn ich den einen psychischen Vorgang im Seelenapparat den primären benannt habe, so tat ich dies nicht allein mit: Rücksicht auf die Rangordnung und Leistungsfiihigkeit, sondern durfte auch die zeitlichen Verhältnisse bei der Namengebung mitsprechen lassen. Ein psychischer Apparat, der nur den Primarvorgang besäße, existiert zwar unseres Wissens nicht und ist insofern eine theoretische Fiktion; aber so viel ist tatsächlich, daß die Primärvorgänge in ihm von Anfang an gegeben sind, während die sekundären erst allmählich im Laufe des Lebens sich ausbilden, die primären hemmen und überlagern und ihre volle Herrschaft über sie vielleicht erst mit; der Lebenshöhe erreichen. Info dieses verspäteten Eintreffen der sekundären Vorgänge bleibt er Kern unseres Wesens, aus unbewußten Wunsch— regungen bestehend, unfaßbar und unhemmba.r fiir das Vorbewußte, dessen Rolle ein- fiir allemal darauf beschränkt wird, den aus dem Unbewußten stammenden Wunschregungen die zweckmäßigsten Wege “zuweisen. Diese mibewußten Wünsche stellen für alle späteren

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Die Verdrängung. 375

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seelischen Bestrebungen einen Zwang der, dem sie sich zu fiigen haben, den etwa abzuleiten und auf höher stehende Ziele zu lenken sie sich bemühen dürfen. Ein großes Gebiet des Erinnerungernnterials bleibt auch infolge dieser Verspätung der vorbewußten Besetzung unzugänglich.

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Unter diesen aus dem Infentilen stammenden, unzerstörbaren und unhemmbaren Wunschregungen befinden sich nun auch solche, deren Erfüllung in das Verhältnis des Widerspruches zu den Zielvorstellungen des sekundären Denkens getreten sind. Die Erfüllung dieser Wünsche würde nicht mehr einen Lust-, sondern einen Unlustafl'ekt hervorrufen, und eben diese Affektverwandlung macht das Wesen dessen aus, was wir als „Verdrängung“ bezeichnen und worin wir die infantile Vorstufe der Verurteilung (der Verwerfung durch das Urteilen) erkennen. Auf welchem Wege, durch welche Triebkräfte eine solche Verwandlung vor sich gehen kann, darin besteht das Problem der Verdrängung, das wir hier nur zu streifen brauchen. Es genügt uns, festzuhalten, daß eine solche Afl’ektverwandlung im Laufe der Entwicklung vorkommt (man denke nur an das Auftreten des anfänglich fehlenden Ekele im Kinderleben), und daß sie an die Tätigkeit des sekundären S stems geknüpft ist. Die Erinnerungen, von denen aus der unbewu e Wunsch die Afl'ektentbiuduug hervorruft, waren dem wa niemals zugänglich; darum ist deren Afl'ektentbindung auch nicht zu hemmen. Eben wegen dieser Afi'ektentwicklung sind diese Vorstellungen jetzt auch nicht von den vorbewnßten Gedanken her zugänglich, auf die sie ihre Wunschkraft übertragen haben. Vielmehr tritt das Unlustprinzip in Kraft und veranlaßt, daß das wa sich von diesen Übertragungs edanken abwendet. Dieselben werden. sich selbst überlassen, „ver räugt", und somit wird das Vorhandensein eines infantileu, dem V bw von Anfang an entzogenen Erinnerungsschatzes zur Vorbedingung der Verdränat;ng

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Im günstigsten Falle nimmt die Unlustentwicklung ein e sowie den Ubertrsgungsgednnken im wa die Besetzung entzogen ist, und dieser Erfolg kennzeichnet das Eingreifen des Uniustprinzips als zweckuiäßig. Anders aber, wenn der verdrängte unbewußte Wunsch eine organische Verstärkung erfährt, die er seinen. Übertragung-ggedenken leihen, wodurch er sie in den Stand setzen kann, mit ihrer Erregung den Versuch zum Durehdringen zu machen, auch wenn sie von der Besetzung des wa verlassen werden sind. Es kommt dann zum Abwehrkampfe, indem das wa den Gegensatz gegen die verdrän ten Gedanken verstärkt, und in weiterer Folge zum Durchdringen der ilbertragungsgedanken, welche Träger des unbewußten Wunschee sind, in irgend einer Form von Kompromiß durch Symptombildung. Von dem Moment aber, da die verdrängten Gedanken von der unbewußteu Wunscherregnng kräftig besetzt, von der vorbewußtmi Besetzung degegen verlaseen sind, unterliegen sie dem primären psychi— schen Vorgang, zielen sie nur auf motorische Abfuhr oder, wenn der

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376 VII. Psychologie der Traumvorgänge.

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Weg frei ist, auf halluzinatorische Belebung der gewünschten Wahrnehmungsidentität. Wir haben früher empirisch gefunden, daß die beschriebenen inkorrekten Vorgänge sich nur mit Gedanken abspielen, die in der Verdrängung stehen. Wir erfassen jetzt ein weiteres Stück des Zusammenhanges. Diese inkorrekten Vor änge sind die im psychischen Apparat primären; sie treten ü erall dort; ein, wo Vorstellungen von der vorbewußten Besetzung verlassen, sich selbst überlassen werden und sich mit der ungehemmten, nach Abfluß strebenden Energie vom Unbewußten h er erfüllen können. Einige andere Beobachtungen kommen hinzu, die Auffassung zu stützen, daß diese inkorrekt genannten Vorgänge nicht wirklich Fälschungen der normalen Denkfehler sind, sondern die von einer Hemmung befreiten Arbeitsweisen des psychischen Apparate. So sehen wir, daß die Überleitung der vorbewußten Erregung auf die Motilität nach denselben Vorgängen geschieht, und daß die Verknüpfung der vorbewußten Vorstellungen mit. Worten leicht die nämlichen, der Unsufmerksamkeit zugeschriebenen Verschiebungen und Vermen gungen zeigt. Endlich möchte sich ein Beweis für den Arbeitszuwachs. der bei der Hemmung dieser primären Verlaufmreisen notwendig wird, aus der Tatsache ergeben, daß wir einen k o m i so 11 e n Effekt, einen durch L 8. ch e n abzuführenden Übersehuß erzielen, wenn wir diese Verlaufsweisen des Denken 5 zum Bewußtsein vordringen lassen.

§ 1396

Die Theorie der Psychoneurosen behauptet mit aussehließender Sicherheit, daß es nur sexuelle Wunschregungen aus dem Infantileu sein können, welche in den Entwicklungsperioden der Kindheit die Verdrängung (Afi'ektverwandlung) erfahren haben, in späteren Entwicklungsperioden dann einer Erneuerung fähig sind, sei es infolge dmellen Konstitution, die sich ja. aus der ursprünglichen Bisexuslität herausbildet, sei es infolge ungünstiger Einflüsse des sexuellen Lebens, und die somit die Triebkräfte für alle psychoneurotische Symptombildung abgeben. Nur durch die Einfuhrung dieser sexuellen Kräfte sind die in der Theorie der Verdrängung noch anfweisbaren Lücken zu schließen. Ich will es dahingestellt sein lassen, ob die Forderung der Sexuellen und Infantilen auch für die Theorie des Treumes erhoben werden darf; ich lasse diese hier unvollendet, weil ich schon durch die Annahme, der Traumwunseh stimme jedesmal aus dem Unbewußten, einen Schritt weit über das Beweisbare hinausgegangen bin.*) Ich Will auch nicht weiter untersuchen, worin der

§ 1397

') Es sind hier wie an mderen Stellen Lücken in der Bearbeitung des Themas, die ich absichtlich belassen hehe, weil deren Ansfiillung einerseits einen zu großen Aufwand, anderseits die Anlehnung nn ein dem Trauma fremdes Material erfordern würde. So habe ich el 2. B. vermieden anzugeben, ob ich mit dem Worte ,unterdrückt" einen anderen Sinn verbinde als mit dem Worte „verdrflngt“. Es dürfte nur Isla: geworden sein, daß letzteres die Zugehörigkeit zum Uubswm’iten stk-ker nl: da.! erstere betont. Ich bin auf das ns.hsliegsnds Problem nicht eingegangen,

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Die abnormen Vorgänge sind die primitiven. 377

§ 1400

Unterschied im Spiele der psychischen Kräfte bei der Traumbildun und bei der Bildung der hysterischen Symptome gelegen ist; es feh t uns ja hiezu die genauere Kenntnis des einen der in Vergleich zu bringenden Glieder. Aber auf einen anderen Punkt lege ich Wert und schicke das Bekenntnis voraus, daß ich nur dieses Punktes wegen all die Erörterungen über die beiden psychischen Systeme, ihre Arbeitsweisen und die ,Verdrängung hier aufgenommen habe. Es kommt jetzt nämlich nicht darauf an, ob ich die in Rede stehenden psychologischen Verhältnisse annähernd richtig oder, wie bei so schwierigen Dingen leicht möglich, schief und lückenhaft aufgefaßt habe. Wie immer die Deutung der psychischen Zensur, der korrekten und der abnormen Bearbeitung des 'l‘ruuminhalts sich verändern mag, es bleibt gültig, daß solche Vorgänge bei der Traumbildung wirksam sind, und daß sie die größte Analogie im wesentlichen mit den bei der hysterischen Symptombildung erkannten Vorgängen zeigen. Nun ist der Traum kein pethologisches Phänomen; er hat keine Störung des psychischen Gleichgewichtes zur Voraussetzung; er hinteth keine Schwächung der Leistungsfiihigkeit. Der Einwand, daß meine Träume und die meiner neurotischen Patienten nicht auf die Träume gesunder Menschen schließen lassen, dürfte wohl ohne Würdigung abzuweisen sein. Wenn wir also aus den Phänomenen auf deren Triebkräfte schließen, so erkennen wir, daß der sychische Mechanismus, dessen sich die Neurose bedient, nicht erst urch eine das Seelenleben ergreifende krankheite Störung geschafl‘en wird, sondern in dem normalen Aufbau des seelischen Apparate bereit liegt. Die beiden yehischen Systeme, die Übergang-szensur zwischen ihnen, die emmung und Überlagerung der einen Tätigkeit durch die andere, die Beziehungen beider zum Bewußtsein —oder was eine richtigere Deutung der tatsächlichen Verhältnisse an

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warum die Tranmgednnken die Entstellung durch die Zensur auch fllr den Fall erfahren, daß sie auf die progredlente Fortsetzung zum Bewußtsein verzichten und sich für den Weg der Regression entscheiden, u. dgL Unterlassungen mehr. Es kann mir vor ullem darauf an, einen Eindruck von den Problemen su erwecken, zu denen die weitere Zergliederung der Truumarbsit führt. und die anderen Themen unsudeuten, mit denen diese! auf dem Wege zusammentrifl't. Die Entscheidung, an welcher Stelle die Verfolgung abgebrochen werden soll, ist mir denn nicht immer leicht geworden. — Daß ich die Rolle des sexuellen Vorstellungslebsus fm- den Trsum nicht erschöpfend behandelt und die Deutung von Träumen mit. ofl'enkundlg sexuellen Inhalt vermieden habe, beruht auf einer besonderen Motivierung, die sich vielleicht mit der Erwartung der Leser nicht deckt. Es liegt gerade meinen Anschauungen und den Lehrmeinungen, die ich in der Neuropathologie vertrete, völlig tern, das Sexna.lleben als ein Pudendum anzusehen, das weder den Arzt noch den wissenschaftlicheu Forscher zu bekilmmem hat. Auch finde ich die sitlliche Entrllstung lacherllch, durch welche der Übersetzer des Artsmldoros sus Dahlia ') über die „Symbolik der Träume“ sich bewegen ließ, das dort enthaltene Kapitel über sexuelle Trauma der Kenntnis der Leser zu unterschlugen. Fiir mich wu nllein die Einsicht maßgebend, daß ich mich bei der Erklllruug sexueller 'l‘rLume tief in die noch ungeleten Probleme der Perversion und der Blsexunlltlt vemtricken müßte, und so spsrte ich mir dies Material für einen anderen Zusammenhang.

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378 VII. Psychologie der Traumvorgänge.

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deren Statt ergeben mag; —— das alles gehört zum normalen Aufbau unseres Seeleninstruments, und der Traum zeigt uns einen der Wege, die zur Kenntnis der Struktur desselben führen. Wenn wir uns mit einem Minimum von völlig gesichertem Erkenntniszuwaehs bcgnügen wollen, so werden wir sagen, der Traum beweist uns, daß das Unterdrückte auch beim normalen Menschen fortbesteht und psychischer Leistungen fähig bleibt. Der Traum ist selbst eine der Außerungen dieses Unterdrüekten; nach der Theorie ist er es in allen Fällen, nach der greifbaren Erfahrung wenigstens in einer großen Anzahl, welche die auffälligen Charaktere des Treumlebens gerade am deutlichsten zur Schau trägt. Das seelisch Unterdrückte, welches im Waehleben durch die gegensätzliche Erledigung der Widersprüche am Ausdruck gehindert und von der inneren Wahrnehmung abgeschnitten wurde, findet im Nachtleben und unter der Herrschaft der Kompromißbildungen Mittel und Wege, sich dem Bewußtsein aufzudräugen

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Flectere si nequeo Superos, Acheronta movebo.

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Die Traumdeutung aber ist die Via. regia zur Kenntnis des Unbewußten im Seelenleben.

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Indem wir der Analyse des Traumes folgen, bekommen wir ein Stück weit Einsicht in die. Zusammensetzung dieses allerwunder— barsten und allergeheimnisvollsten Instruments, freilich nur ein kleines Stück weit, aber es ist damit der Anfang gemacht, um von anderen — pathologisch zu heißenden — Bildungen her weiter in die Zerlegung desselben vorzudringen. Denn die Krankheit —wenigstens die mit Recht funktionell genannte -—— hat nicht die Zer— trummeruug dieses Apparate, die Herstellung neuer Spaltungen in seinem Innern zur Voraussetzung; sie ist dynamisch aut'zuklären durch Stärkung und Schwächung der Komponenten des Kräftespiels, von dem so viele Wirkungen während der normalen Funktion verdeckt sind. An anderer Stelle könnte noch gezeigt werden, wie die Zusammensetzung des Apparats aus den beiden Instanzen eine Verfeinerung auch der normalen Leistung gestattet, die einer einzigen unmöglich wäre.*)

§ 1408

f) Das Unbewußte und das Bewußtsein. —Die Realität.

§ 1409

Wenn wir genauer zusehen, ist es nicht der Bestand von zwei Systemen nahe em motorischen Ende des Apparate, sondern von zweierlei Vorgängen oder Ablaufsarten der Erregung,

§ 1410

") Der Traum ist nicht das einzige Phänomen, welches die chhopathologie nut die Psychologie zu begründen gestattet. In einer kleinen, noch nicht abgeschlossenen Reihe von Aufsl.t.sen in der Mountsschril't für Psychiatrie und Neurologie (über den psychischen Mechanismus der Vergeßlichksit 1898 — über Deckerinnarungen 1899) suche ich eine Anzahl von alltäglichen psychischen Erscheinungen als Stützen der nlmlichen Erkenntnis zu deuten. [Diese und weitere Anfall-se über Vergessen, Versprechen. Vergroifen u. s. w. sind seither als „Psychopnthologie des Alltagsleben" gesammelt erschienen (1904 und 1907).]

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Das Unbewußte und das Bewußtsein. — Die Realität. 879

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deren Annahme uns durch die psychologischen Erörterungen der vor— stehenden Abschnitte nahe gelegt wurde. Es gelte uns gleich; denn unsere Hilfsvorstellungen fallen zu lassen, müssen wir immer bereit sein, wenn wir uns in der Lage glauben, sie durch etwas anderes zu ersetzen, was der unbekannten Wirklichkeit besser angenühert ist. Versuchen wir es jetzt, einige Anschauungen richtig zu stellen, die sich mißverständlich bilden konnten, so lange wir die beiden Systeme im nächsten und rohesten Sinne als zwei Lokalitäten innerhalb des seelischen Apparats im Auge hatten, Anschauungen, die ihren Niederschag in den Ausdrücken „verdrängen“ und „durchdringen“ zurückgelassen haben. Wenn wir also sagen, ein nnbewnßter Gedanke strebe nach Übersetzung ins Vorbewußte, um dann zum Bewußtsein durchzudringen, so meinen wir nicht, daß ein zweiter an neuer Stelle gelegener Gedanke gebildet werden soll, eine Überschrift gleichsam, neben welcher das Original fortbesteht; und auch vom Durchdringen zum Bewußtsein wollen wir jede Idee einer Ortsveränderung sorgfältig ablösen. Wenn wir sagen, ein vorbewußter Gedanke wird verdrängt und dann vom Unbewußten aufgenommen, so könnten uns diese dem Vorstellungskreise des Kampfes um ein Termin entlehnten Bilder zur Annahme verlocken, daß wirklich in der einen psychischen Lokalität eine Anordnung aufgelöst und durch eine neue in der anderen Lokalität ersetzt wird. Für diese Gleichnisse setzen wir ein, was dem realen Sachverhalt besser zu entsprechen scheint, daß eine Energiebesetzung auf eine bestimmte Anordnung verlegt oder von ihr zurückgezogen wird, so daß das psychische Gebilde unter die Herrschaft einer Instanz gerät oder ihr entzogen ist. Wir ersetzen hier wiederum eine topische Vorstellungsweise durch eine dynamische;.nicht das ps chische Gebilde erscheint uns als das Bewegliche, sondern dessen nnervation.

§ 1414

Dennoch halte ich es für zweckmäßig und berechtigt, die anschauliche Vorstellung der beiden Systeme weiter zu pflegen. Wir weichen jedem Mißbrauche dieser Darstellungsweise aus, wenn wir uns erinnern, daß Vorstellungen, Gedanken, psychische Gebilde im allgemeinen überhaupt nicht in organischen Elementen des Nerven—

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stcms lokalisiert werden dürfen, sondern so zu sagen zwischen i nen, wo Widerstände und Bahnungen das ihnen entsprechende Korrelat bilden. Alles, was Gegenstand unserer inneren Wahrnehmung werden kann, ist virtuell, wie das durch den Gang der Lichtsrahlen gegebene Bild im Fernrohre. Die S steme aber, die selbst nichts Psychisches sind und nie unserer psyc ischen Wahrnehmung zugänglich werden, sind wir berechtigt anzunehmen gleich den Linsen des Fernrohres, die das Bild entwerfen. In der Fortsetzung dieses Gleichnisses entspräpbe die Zensur zwischen zwei Systemen der Strahlenbrechnng beim Ubergange in ein neues Medium.

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Wir haben bisher Psychologie auf eigene Faust getrieben; es ist Zeit, sich nach den Lehrmeinungen umzusehen, welche die heutige

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380 VII. Psychologie der Traumvorgänge.

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Psychologie beherrschen, und deren Verhältnis zu unseren Aufste lungen zu prüfen. Die Frage des Unbewußten in der Psychologie ist nach dem kräftigen Worte von Lipps") weniger eine sychologische Frage, als die Frage der Psychologie. Solange die sychologie diese Frage durch die Worterklärung erledigte, das „Psychische“ sei eben das „Bewußte“, und „unbewußte psychische Vorgänge“ ein glreifbarcr Widersinn, blieb eine psychologische Verwertung der Beobachtungen, welche ein Arzt an abnormen Seelcnzuständen gewinnen konnte, ausgeschlosen. Erst dann trefl'en der Arzt und der Philosoph zusammen, wenn beide anerkennen, unbewußte psychische Vorgänge seien „der zweckmäßige und wohlberechtigte Ausdruck für eine feststehende Tatsache“. Der Arzt kann nicht anders, als die Versicher , „das Bewußtsein sei der unentbehrliche Charakter des Psychisc an“, mit__Achselzucken Zurückweisen, und etwa, wenn sein Respekt vor den Außerungen der Philoso hen noch stark genug ist, annehmen. sie behandelten nicht dasselbe %bjekt und trieben nicht die gleiche Wissenschaft. Denn auch nur eine einzige verständnisvolle Beobachtung des Seelenlebens eines Neurotikers, eine einzige Traum— analyse, muß ihm die unemhütterliche Überzeugung aufdrängen, daß die kompliziertesten und korrektesten Denkvorgänge, denen man doch den Namen psychischer Vorgänge nicht versagen wird, vorfallen können, ohne das Bewußtsein der Person zu erregen. Gewiß erhält der Arzt von diesen unbewußten Vorgängen nicht eher Kunde, als bis sie eine Mitteilu oder Beobachtung zulassende Wirkung auf das Bewußtsein ausgeü !: haben. Aber dieser Bewußtseinsefl'ekt kann einen von dem unbewußten Vorgang ganz abweichenden psychischen Charakter zeigen, so daß die innere Wahrnehmung unmöglich den einen als den Ersatz des anderen erkennen kann. Der Arzt muß sich das Recht wahren, durch einen Schlußprozeß vom Bewußtseinsefl'ekt zum unbewußten psychischen Vorgang vorzudringen; er erfährt auf diesem Wege, daß der Bem1ßtseinsefl'ekt nur eine entfernte psychische Wirkung des unbewußten Vorganges ist, und daß letzterer nicht als solcher bewußt geworden ist, auch daß er bestanden und gewirkt hat, ohne sich noch den_i_ Bewußtsein irgendwie zu verraten. Die Rückkehr von der Uherschätzung der Bewußtseinseigenschaft wird zur unerlaßliehen Vorbedingung fiir jede richtige Einsicht in den Her-gang des Psychischen. Das Unbewußte muß nach dem Ausdrucke von Lipps als allgemeine Basis des psychischen Lebens angenommen werden. Das Unbewußte ist der größere Kreis, der den kleineren des Bewußten in sich einschließt; alles Bewußte hat eine unbewußte Vorstufe, während das Unbewußte auf dieser Stufe stehen bleiben und doch den vollen Wert einer psychischen Leistung beanspruchen kann. Das Unbewußte ist das eigentlich reale Psychische, uns nach seiner inneren Natur

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‘) Der: Begrifi des Unbewnßlon in der Psychologie. — Vortrag auf dem dritten internationalen Kongreß fur Plydiologi0 zu München 1897.

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Die Überschätzung des Bewußtseins. 381

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so unbekannt wie das Reale der Außenwelt, und uns durch die Daten des Bewußtseins ebenso unvollständig gegeben wie die Außenwelt durch die Angaben unserer Sinnesorgane.

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Wenn der alte Gegensatz von Bewußtleben und Traumlehen durch die Einsetzung des unbewußten Psychischen in die ihm gehührencle Stellung entwertet ist, so werden eine Reihe von Traumproblemen ab estreift, welche frühere Autoren nach eingehend beschäftigt haben. manche Leistungen, über deren Vollziehung im Traume man sich wundern konnte, sind nun nicht mehr dem Traume unzureehnen, sondern dem auch bei Tage arbeitenden unbewußten Denken. Wenn der Traum mit einer symbolüierenden Darstellung des Körpers, nach Scherner, zu spielen scheint, so wissen wir, dies ist die Leiltung gewisser unhewußter Phantasien, die wahrscheinlich sexuellen Regungen nachgehen, und. die nicht nur im Trauma, sondern auch in den hysterischen Phobien und anderen Symptomen zum Ausdruck kommen. Wenn der Traum Arbeiten des Tages fortfühxt und erledigt, und selbst wertvolle Einfitlle ans Licht fördert, so haben wir hievon nur die Traumverkleidung abzuziehen als Leistung der Traumarbeit und als Marke der Hilfeleistung dunkler Mächte der Seelentief'en (vgl. den Teufel in Tertinis Sonatentraum). Die intellektuelle Leistung selbst fällt denselben Seelenkräften zu, die tagsüber alle solche vollhringen. Wi: neigen wahrscheinlich in viel zu hohem Melle zur Uberschätzung des bewi1ßten Charakters auch der intellektuellen und künstlerischen Produktion. Aus den Mitteilungen einiger höchstproduktiven Menschen, wie Goethe und Helmholtz, erfahren wir doch eher, daß das Wesentliche und Neue ihrer Schöpfimgen ihnen einfallsartig gegeben wurde und fast fertig zu ihrer Wahrnehmung kam. Die Mithilfe der bewußten Tätigkeit in anderen Fällen hat, nichts Befremdendes, wo eine Anstrengung aller Geisteskräfie vorlag. Aber es ist das viel mißhrauchte Vorrecht der bewußten Tätigkeit, (laß |ie uns alle anderen verdecken darf, wo immer sie mittut.

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Es verlohnt sich kaum der Mühe, die historische Bedeutung der Träume als ein besonderes Thema. aufzustellen. Wo ein Häuptling etwa durch einen Traum zu einem kühnen Unternehmen bestimmt wurde, dessen Erfolg verundernd in die Geschichte eingeglifl'en hat, da ergibt sich ein neues Problem nur so lange, als man den Traum wie eine fremde Macht anderen vertrauteren Seelenkräften gegen— 'üher stellt, nicht mehr, wenn man den. Traum als eine Form des Ausdrucks fiir Regungen betrachtet, auf denen bei Tage ein Widerstand lastete, und die sich bei Nacht Verstärkung aus tiefliegenden Erregungsquellen holen konnten. Die Achtung aber, mit der dem Braume bei den alten Völkern begegnet wurde, ist eine auf richtige psychologische Ahnung gegründete Huldigung vor dem Ungehändigten und Unzerstörberen in der Menschenseele, dem Dämo nischen,

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welches den Traumwunsch hergibt, und das. wir in unserem Unbewußten wiederfinden.

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Ich sage nicht ohne Absicht, in unserem Unbewußten, denn was wir so heißen, deckt sich nicht mit dem Unbewußten der Philoso hen, auch nicht mit dem Unbewußten bei Lipps. Dort soll es laß den Gegensatz zu dem Bewußten bezeichnen; daß es außer den bewußten Vorgängen auch unhewußte psychische gibt, ist die heiß beetrittene und energisch verteidigte Erkenntnis. Bei Lippe hören wir von dem weiter reichenden Satze, daß alles Psychische al- unbewußt vorhanden ist, einiges davon dann auch als bewußt. Aber nicht zum Erweie für diesen Satz haben wir die. Phänomene des Traumes und. der hystcrischen Symptombildung herangezogen; die Beobachtung des normalen Tageslebens reicht allein hin, ihn über jeden Zweifel festzustellen. Das neue, was uns die Anal se der psychopathologiecheu Bildnngen und schon ihres erstes Glie es, der Träume, gelehrt, besteht darin, daß das Unbewußte — also das Psychische — als Funktion zweier gesonderter Systeme vorkommt und schon im normalen Seelenleben so vorkommt. Es gibt also zweierlei Unbewnßtee, was wir von den Ps chologen noch nicht gesondert finden. Beides ist Unbewußtes im Sinne der Ps chologie; aber in unserem ist das eine, das wir Ubw heißen, auch hewußtseinsunfähig, während das andere wa von uns darum genannt wird, weil dessen Er— regungen, zWar auch nach Einhaltung gewisser Regeln, vielleicht erst unter Überstehung einer neuen Zensur, aber doch ohne Rücksicht auf das Ubw-System zum Bewußtsein gelangen können. Die Tatsache, daß die Erregungen, um zum Bewußtsein zu kommen, eine unabänderliche Reihenfolge, einen Instanzenzug durchzumachen haben, der uns durch ihre Zensurveränderung verraten wurde, diente uns zur Aufstellung eines Gleichnisees aus der Räumlichkeit. Wir beschrieben die Beziehungen der beiden Systeme zueinander und zum Bewußtsein, indem wir sagten, das System wa stehe wie ein Schirm zwischen dem System Ubw und dem Bewußtsein. Das System wa sperre nicht nur den Zugang zum Bewußtsein, es beherrsche auch den Zugang zur Willkürliehen Motilität und vérfi1ge über die Aussendung einer mobilen Besetzungeenergie, von der uns ein Anteil als Aufmerksamkeit vertraut ist.

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Auch von der Unterscheidung Ober- und Unterbewußtsein, die in der neueren Literatur der Peychoneuroeen eo behebt geworden ist, müssen wir uns fern halten, da gerade sie die Gleichstellung des Psychischen und des Bewußten zu betonen scheint.

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Welche Rolle verbleibt in unserer Darstellung dem einst all-' mächtigen, alles andere verdeckenden Bewußtsein? Keine andere, als die eines Sinnesorgane zur Wuhrnehmung'psychischer Qualitäten. Nach dem Grundgedanken unseres schematischen Versuches können wir die Bewußtseinswahrnehmung nur als die eigene Leistung eines besonderen Systems auffassen, für welche sich die Abkürzungsbezeiehnung Bw empfiehlt. Das System denken wir uns in

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Die Funktion des Bewußtseins. 383

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seinen mechanischen Charakteren ähnlich wie die Wahrnehmungss steme FV, also erregbar durch Qualitäten, und unfähig die Spur von \?eränderungen zu bewahren, also ohne Gedächtnis. Der psychische Apparat, der mit dem Sinnesorgen der W-Systeme der Außenwelt zugekehrt ist, ist selbst Außenwelt für das Sinnesorgen des Bw, dessen teleologische Rechtfertigung in diesem Verhältnisse ruht. Das Prinzip des Instanzenzuges, welches den Bau des Apparate zu beherrschen scheint, tritt uns hier nochmals entgegen. Das Material an Erre ungen fließt dem Bw—Sinnesorgan von zwei Seiten her zu, von dem W-bystem her, dessen durch Qualitäten bedingte Erregung wahrscheinlich eine neue Verarbeitung durchmaoht, bis sie zur bewußten Empfindung wird, und aus dem Innern des Apparats selbst, dessen quantitative Vorgänge als Qualitätenreihe der Lust und Unlust empfunden werden, wenn sie bei gewissen Veränderungen angelangt sind.

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Die Philosophen, welche inne wurden, daß korrekte und hoch zusammengesetzte Gedankenbildnngen auch ohne Dazutun des Bewußtseins möglich sind, haben es dann als Schwierigkeit erfunden, dem Bewußtsein eine Verrichtung zuzuschreiben; es erschien ihnen als ' überflüssige Spiegelung des vollendeten psychischen Vorganges. Die Analogie unseres Blu-Systems mit den Wahrnehmungssystemen entreißt uns dieser Verlegenheit. Wir sehen, daß die Wahrnehmung durch unsere Sinnesorgane die Folge hat, eine Aufmerksamkeitsbesetzung auf die Wege zu leiten, nach denen die ankommende Sinneserregung sich verbreitet; die qualitative Erregung des W-Systems dient der mobilen Quantität im psychischen Apparat als Regulntor ihres Ablaufes. Dieselbe Verrichtung können wir für das überlagernde Sinnesorgan des Bio-Systems in Anspruch nehmen. Indem es neue Qualitäten wahrnimmt, leistet es einen neuen Beitrag zur Lenkung und zweckmäßigen Verteilung der mobilen Besetzungsquantitäten. Mittels der Lust- und Unlustwahrnehmung beeinflußt es den Verlauf der Besetzungen innerhalb des sonst unbewußt und durch Quantitätsverschiebungen arbeitenden psychischen Apparate. Es ist wahrscheinlich, daß das Unlustprinzip die Verschiebungen der Besetzung zunächst automatisch regelt; aber es ist sehr wohl möglich, daß das Bewußtsein dieser Qualitäten eine zweite und feinem Regulierung hinzutut, die sich sogar der ersteren widersetzen kann und die Leistungsfllhigkeit des Ap erste vervollkommnet, indem sie ihn gegen seine ursprüngliche Anlage in den Stand setzt, auch was mit Unlustentbindung verknüpft ist, der Besetzung und Bearbeitung zu unterziehen. Aus der Neurosenpsycholo ie eriä.hrt man, daß diesen Regulierungen durch die Qualitätserregung er Sinnesorgane eine große Rolle bei der Funktionstätigkeit des Apparate zugedacht ist. Die automatische Herrschaft des rimttren Unlustpnnzips und die damit verbundene Einschränkung der eistungsflihigkeit wird. durch die sensiblen Regulierungen, die selbst wieder Automatismen sind, gebrochen. Man erfährt, daß die Verdrängung, die, ursprünglich zweckmäßig, doch in schädlichen Verzicht auf Hemmung und seelische

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Beherrschung ausläuft, sich soviel leichter an Erinnerungen als an “’ahrnehmungen vollzieht, weil bei ersteren der Besetzungszuwacbs durch die Erregung der psychischen Sinnesorgane ansbleihen muß. Wenn ein sbzuwehrender Gedanke einerseits nicht bewußt wird, weil er der Verdrängung unterlegen ist, so kann er andere Male nur darum verdrängt werden, weil er aus anderen Gründen der Bewußtseinswahrnehmung entzogen wurde. Es sind das Winke, deren sich die Therapie bedient, um vollzogene_ Verdrängungen rückgängig zu machen.

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Der Wert der Überhesetzung, welche durch den regulierenden Einfluß des BwSinnesorgans auf die mobile Quantität hergestellt wird, ist im teleolo 'schen Zusammenhang durch nichts besser dargetan, als durch die bchöpfung einer neuen Qualitätenreihe und somit einer neuen Regulierung, welche das Vorrecht des Menschen von den Tieren ausmacht. Die Denkvorgänge sind nämlich an sich qualitiltslos bis auf die sie begleitenden Lust- und Unlusterregungen, die ja als mögliche Störung des Denkens in Schranken gehalten werden sollen. Um ihnen eine Qualität zu verleihen, werden sie beim Menschen mit den Wert— erinnerungen assoziiert, deren Qualitätsreste genügen, um die Aufmerksamkeit des Bewußtseins auf sie zu ziehen und von ihm aus dem Denken eine neue mobile Besetzung zuzuwenden.

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Die ganze Mannigfsltigkeit der Bewußtseinsprobleme laßt sich erst bei der Zergliedernng der h sterischen Denkyorgänge übersehen. Man empfängt dann den Eindruck, daß auch der Übergang vom Vor» bewußten zur Bewußtseinsbesetzung mit: einer Zensur verknüpft ist, ähnlich der Zensur zwischen Ubw und WM. Auch diese Zensur setzt erst bei einer gewissen quantitativen Grenze ein, so daß ihr wenig intensive Gedankenbildungen entgehen. Alle möglichen Fälle der Abhaltun von dem Bewußtsein sowie des Durchdringens zu demselben unter 'nschränkungen, finden sich im Rahmen der psychoneurotischen Phänomene vereinigt; sämtlich weisen sie auf den innigen und zwei— seitu'gen Zusammenhang zwischen Zensur und Bewußtsein hin. Mit der Mitteilung zweier derartiger Vorkommnisse will ich diese psychologischen Erörterungen beschließen.

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Ein Konsilium im Vorjahre führt mich zu einem intelligent und unbeftmgen blickenden Mädchen. Ihr Aufzug ist befremdend; wo doch sonst die Kleidung des Weibes bis in die letzte Falte beseelt ist, trägt sie einen Strumpf herabhnngend und zwei Knöpfe der Bluse offen. Sie klagt über Schmerzen in einem Beine und entblößt unaufgefordert eine Wade. Ihre Hauptklage aber lautet wörtlich: Sie hat ein Gefühl im Leibe, als ob etwas darin stecken würde, was sich hin und her bewegt und sie durch und durch erschüttert. Manchmal wird ihr dabei der ganze Leib wie steif. Mein mitanwesender Koll e sieht mich dabei an; er findet die Klage nicht mißverständlich. erkwurdig erscheint uns beiden, daß die Mutter der Kranken sich dabei nichts denkt; sie muß sich ja wiederholt in der Situation befunden haben, welche ihr Kind be

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schreibt. Das Mädchen selbst hat keine Ahnung von dem Belang ihrer Rede, sonst würde sie dieselbe nicht im Munde führen. Hier ist es gelungen, die Zensur so abzublenden, daß eine sonst im Vorbewußten verbleibende Phantasie wie harmlos in der Maske einer Klage zum Bewußtsein zugelassen wird.

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Ein. anderes Beispiel. Ich beginne eine psychoanalytische Behandlung mit einem 14jährigen Knaben, der an Tic convulsif, hysterischem Erbrechen, Kopfschmerz u. dgl. leidet, indem ich ihm versichere, er werde nach dem Augenschluß Bilder sehen oder Einfälle bekommen, die er mir mitteilen soll. Er antwortet in Bildern. Der letzte Eindruck, ehe er zu mir gekommen ist, lebt in seiner Erinnerung visuell auf. Er hatte mit seinem Onkel ein Brettspiel gespielt und sieht jetzt das Brett vor sich. Er erörtert verschiedene Stellungen, die günstig sind oder ungünstig, Züge, die man nicht machen darf. Dann sieht er auf dem Brette einen Dolch liegen, einen Gegenstand, den sein Vater besitzt, den aber seine Phantasie auf das Brett verlegt. Dann liegt eine Sichel auf dem Brette, dann kommt eine Sense hinzu, und jetzt tritt das Bild eines alten Bauern auf, der das Gras vor dem entfernten heimatlichen Hause mit: der Sense mäht. Nach wenigen Tagen habe ich das Verständnis für diese Aneinanderreihung von Bildern gewonnen. Unerfreuliche „Familienverhältnisse haben den Knaben in Aufregung gebracht. Ein harter, jähzorniger Vater, der mit der Mutter im Unfrieden lebte, dessen Erziehungsmittel Drohungen waren; die Scheidung des Vaters von der weichen und zärtlichen Mutter.-, die Wiederverheiratung des Vaters, der eines Tages eine junge Frau als die neue Mama nach Hause brachte. In den ersten Tagen nachher brach die Krankheit des 14jährigen Knaben aus. Es ist die unterdrtickte Wut gegen den Vater, die jene Bilder zuverständlichen Anspielungen zusammengesetzt hat. Eine Reminiszeuz aus der M hologie hat das Material gegeben. Die Sichel ist die, mit der Zeus en Vater entmannte, die Sense und das Bild des Bauern schildern den Krems, den gewaltflitigen Alten, der seine Kinder frißt, und an dem Zeus so unkindlich Rache nimmt. Die Heirat des Vaters war eine Gelegenheit, ihm die Vorwürfe und Drohungen zurückzugeben, die das Kind früher einmal von ihm gehört hatte, weil es mit: den Genitalien spielte (das Brettspiel; die verbotenen Züge; der Dolch, mit dem man umbringen kann). Hier sind es lang verdrängte Erinnerungen und deren unbewußt gebliebene Abkömmlinge, die auf dem ihnen eröffneten Umwege sich als scheinbar sinnlose Bilder ins Bewußtsein schleichen.

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So würde ich also den theoretischen Wert der Beschäftigungmit dem Trauma in den Beiträgen zur psychologischen Erkenntnis und in der Vorbereitung für das Verständnis der Psychoneurosen suchen: Wer vermag zu ahnen, zu welcher Bedeutung sich eine gründliche Bekanntschaft mit dem Bau und. den Leistungen des Seelenapparats noch erheben kann, wenn schon der heutige Stand unseres Wissens eine glückliche therapeutische Beeinflussung, der an sich heilbaren

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Freud. 'l‘numdentung. 2. Aufl. 25

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Formen von Pszchoneurosen gestattet? Und der praktische Wert dieser Beschäftigung, öre ich fragen, für die Seelenkenntnis, die Aufdeckung der verborgenen Charaktereigenschafien der einzelnen? Haben denn die unbewußten Regungen, die der Traum ofl'enbart, nicht den Wert von realen Möchten im Seelenleben? Ist die ethische Bedeutung der unterdrückten Wünsche gering anzuschlagen, die, wie sie Träume schaffen eines Tages anderes schaffen können?

§ 1451

Ich fühle mich nicht berechtigt, auf diese Fragen zu antworten. Meine Gedanken haben diese Seite des Traumproblems nicht weiter verfolgt. Ich meine nur, jedenfalls hatte der römische Kaiser Unrecht, welcher einen Untertanen hinrichten ließ, weil dieser geträumt hatte, daß er den Imperator ermordet. Er hätte sich zuerst darum bekümmern sollen, was dieser Traum bedeutete: sehr wahrscheinlich war es nicht dasselbe, was er zur Schau trug. Und selbst, wenn ein Traum, der anders lautete, diese majestätsverbrecherische Bedeutung hätte, wäre es noch am Platze, des Wortes von Plata zu gedenken, daß der T endhafi;e sich begnügt, von dem zu träumen, was der Böse im Lä€en tut. Ich meine also, am besten gibt man die Träume frei. Ob den unbewußten Wünschen R ealität zuzuorkennemist und in welchem Sinne, kann ich kurzerhand nicht sagen. Allen Übergangs- und Zwischengedanken ist sie natürlich abzusprechen. Hat man die unbewußten Wünsche, auf ihren letzten und wahrsten Ausdruck gebracht, vor sich, so muß man sich wohl erinnern, daß auch dem sychisch Realen mehr als nur eine Existenzform zukommt. Für as praktische Bedürfnis der Charakterbeurteilung des Menschen genügt zumeist die Tat und die bewußt sich äußernde Gesinnung. Die Tat vor allem verdient in die erste Reihe gestellt zu werden, denn viele zum Bewußtsein durchgedrungene Im ulse werden noch durch reale Mächte des Seelenlebens vor ihrem inmünden in die Tat aufgehoben; ja, sie begegnen oft darum keinem psychischen Hindernis auf ihrem Wege, weil das Unbewußte ihrer anderweitigen Verhinderung sicher ist. Es bleibt auf alle Fälle lehrreich, den viel dumhwühlten Boden kennen zu lernen, auf dem unsere Tugenden sich stolz erheben. Die nach allen Richtungen hin dynamisch bewegte Kam likation eines menschlichen Charakters fügt sich höchst selten der Elrledigung durch eine einfache Alternative, wie unsere überjührte Morallehre es möchte.

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Und der Wert des Tranmes fiir die Kenntnis der Zukunft? Daran ist natürlich nicht zu denken. Man möchte dafiir einsetzen: Für die Kenntnis der Vergangenheit. Denn aus der Vergangenheit stammt der Traum in jedem Sinne. Zwar enthehrt auch der alte Glaube, daß der Traum uns die Zukunft zeigt, nicht völli des Gehalts an Wahrheit. Indem uns der Traum einen Wunsc als erfüllt verstellt, führt er uns allerdings in die Zukunft; aber diese vom Trüumer für gegenwärtig genommene Zukunft ist durch den unzerstörbaren Wunse zum Ebenbilde jener Vergangenheit gestaltet.

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Nachtrag .

§ 1536

Erst während der Korrektur der letzten Bogen im September 1899 erhielt ich Kenntnis von einer kleinen Schrift „Induktive Untersuchungen über die Fundamentalgesetze der psychischen Phänomene“ von Dr. Ch. Ruths, 1898, welche eine größere Arbeit über die Analyse der Träume ankündigt. Nach den vom Autor gegebenen Andeutungen darf ich erwarten, daß seine Resultate in machen Punkten mit den meinigen zusammentreffen.

§ 1537

[Ich habe von dem Erscheinen der so angekündigten Arbeit nichts vernommen.]