Die okkulte Bedeutung des Traumes (1900-001/1925.7)

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  • Diercks, Christine
  • Huber, Christian
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Freud, Sigmund: Die okkulte Bedeutung des Traumes (1900-001/1925.7). In: Andorfer, Peter; Blatow, Arkadi; Diercks, Christine; Huber, Christian; Kaufmann, Kira; Liepold, Sophie; Roedelius, Julian; Rohrwasser, Michael; Stoxreiter, Daniel (2022): Sigmund Freud Edition: Digitale Historisch-Kritische Gesamtausgabe, Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage, Wien. [3.4.2023], file:/home/runner/work/frd-static/frd-static/data/editions/plain/sfe-1900-001__1925.7.xml
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Die okkulte Bedeutung des Traumes

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Von

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Sigm. Freud

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Derim Druck befindliche Ill, Bund der „Gesunmelteu Sehr-ihren“ von Sigm. Freud enthält zum Teil noch unveröfi‘entliclite „Ergänzungm und z„„u,k„in-i zur Traumdeutung“. Einer dieser Beiträge gelingt hier zum Abdruck. (Anmzrlnmg tier Valagls.)

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Wenn der Probleme des Traumlebens kein Ende abzusehen ist, so kann sich nur der darüber verwundern, der eben vergißt, daß alle Probleme des Seelenlebens auch am Trauma wiederkehren, irermelirt um einige neue, die die besondere Natur der Träume betrell'en. Viele der Dinge, die wir am Traum studieren, weil sie sich uns dort zeigen, haben aber mit dieser psychischen Besonderheit. da Traumes nichts oder wenig zu tun. So ist z. B. die Sym— bolik kein 'I‘raumproblem, sondern ein Thema unseres archaischen Denkens, unserer „Grundsprache“ nach des Paranoikers Sclireber trefilichem Ausdruck, sie beherrscht den Mythus und das religiöse Ritual nicht minder als den Traum; kaum daß der Traumsymbolik die Eigenheit verbleibt, vorwiegend sexuell Bedeutsames zu verhülleu! Auch der Angsllraum braucht seine Aufklärung nicht von der Traumlehre zu erwarten, die Angst ist vielmehr ein Neurosenproblem, es bleibt nur zu erörtern, wie Angst unter den Bedingungen des Träumens entstehen kann,

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Ich meine, es ist mit dem Verhältnis des Traumes zu den angeblichen Tatsachen der okkulten Welt auch nicht anders. Aber da der Traum selbst immer etwas Geheimnisvolles war, hat man ihn mit jenen anderen anerkannten Geheimnisscn in intime Beziehung gesetzt. Er hatte wohl auch ein historisches Anrecht darauf, denn in den Urzeiten, als unsere Mythologie sich bildete, mögen die Traumhilder an der Entstehung der Seelenvorstellungen beteiligt gewesen sein,

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Es soll zwei Kategorien von Träumen geben, die den okkulten Phänomenen zuzurechnen sind, die prophetischen und die telepathischen Für beide spricht eine unübersehbare Masse von Zeugnissen; gegen beide die hartnäckige Abneigung. wenn man will, das Vorurteil der Wissenschaft

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Daß es propheti50he Träume in dem Sinne gibt, daß ihr Inhalt irgendeine Gestaltung der Zukunft darstellt, leidet allerdings keinen Zweifel, fraglich bleibt nur, ob diese Vorhersagen in irgend be merkenswerter Weise mit dem übereinstimmen, was später wirklich geschiehL Ich gesiehe, daß mich für diesen Fall der Vorsatz der Unparteiliclik9it im Stiche läßt. Daß es irgendeiner psychischen Leistung außer einer scharfsinnigen Berechnung möglich sein sollte, das zukünftige Geschehen im Einzelnen vurauszuschen, widerspricht einerseits zu sehr allen Erwartungen und Einstellungen der Wissenschaft und entspricht anderseits allzu getreu uralten, wohlbekanmen Menschheilswünschen, welche die Kritik als unbe— rechtigte Annmßung verweri'en muß. Ich meine also, wenn man die Unzuverlässigkeit, Leiclxtgläubigkeil und Unglaubwflrdigkeit der meisten Berichte zusammenhält mit der Möglichkeit effektiv er— leichterter Erinnerungs1äuschungen und der Notwendigkeit einzel— ner Zufallstrefier, dm” man erwarten, daß sich der Spuk der Propheu'schen Wa11ruäume in ein l\ichls auflösen wird. Persönlich habe ich nie etwas erlebt oder erfahren, was ein günstigeres Vorurteil erwecken könnte

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Anders steht es mit den telepathischen Träumen. Hier sei aber vor allem bemerkt, daß noch niemand behauptet hat, das telepa

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thische Phänomen — die Aufnahme eines seelischen Vorgangs in einer Person durch eine andere auf anderem Wege als dem der Sinueswahmehmung — sei ausschließlich an den Traum ge

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bunden. Die ']‘elepaihie ist also wiederum kein Traumproblem, man braucht sein Urteil über ihre Existenz nicht aus dem Studium der telepathischen Träume zu schöpfen.

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Unterwirft man die Berichte über telcpnthische Vorkommnisse (ungenau: Gedankeniibertragmg) derselben Kritik, mit der man andere okkulte Behauptungen abgewehrt hat, so behält man doch Bin ansehnliches Material übrig, das man nicht so leicht vemach— läsigen kann, Auch gelingt es auf diesem Gebiet weit eher, eigene Beobachtungen und Erfahrungen zu sammeln, die. eine freundliche Einstellung zum Problem der Teleparhie berechtigen, wenngleich sie für die Herstellung einer gesicherten Überzeugung noch nicht ausreichen mögen. Man bildet sich vorläufig die Meinung, es könnte wohl sein. dal] die Telepathie wirklich existiert und daß sie den Wahrheitskern von vielen anderen, sonst unglaublichen Aufstellungen bildet.

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Man tut gewiß Recht daran, wenn man auch in Sachen der Telepathie jede Position der Skepsis hartnäckig verteidigt und nur ungern vor der Macht der Beweise zurückweicht. Ich glaube ein Material gefunden zu haben, welches den meisten sonst zulässigen Bedenken entzogen ist: nicht erfüllte Prophezeiungen berufsmäßiger Wahrsager. Leider stehen mir nur wenige solcher Beobachtungen zu Gebote, aber zwei unter diesen haben mir einen starken Eindruck hinterlassen. Es ist mir versagt, diese so ausführlich mitzu« teilen, daß sie auch auf andere wirken könnten. Ich muß mich auf die Hervorhebung einiger wesentlicher Punkte beschränken.

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Den betreffenden Personen war also — am fremden Ort und von seiten eines fremden Wahrsagen, der dabei irgendeine, wahr»

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scheinlich gleichgültige, Praktik betrieb — etwas für eine bestimmte Zeit vorhergesagt werden, was nicht eingetroffen war. Die Ver— fallszeit der Prophezeiung war längst vorüber, Es war auffällig, daß die Gewährspersonen anstatt mit Spott und Enttäuschung mit offenbarem Wohlgefallen von ihrem Erlebnis erzählten. Im Inhalte der ihnen gewordenen Verkündigung fanden sich ganz bestimmte Einzelheiten, die willkürlich und unverständlich schienen, die eben nur durch ihr Eintreffen gerechtfertigt, worden wären. So sagte :. B. der Chiromant der Siebenundzwanzigjährigen, aber viel jünger aussehendal Frau, die den Ehering abgezogen hatte, sie werde noch heiraten und rnit zweiunddreißig Jahren zwei Kinder haben. Die Frau war dreiundvienig Jahre alt, als sie, schwer krank geworden, mir diese Begebenheit in ihrer Analyse erzählte, sie war kinderlos geblieben. Wenn man ihre Geheim— geschicl'lte kannte, die dem „Prufesseur“ in der Halle des Pariser Hotels sicherlich unbekannt geblieben war, konnte man die beiden Zahlen der Prophezeiung vurstehen. Das Mädchen hama nach einer ungewöhnlich intensiven Vatcrbindung geheiratet und sich dann sehnlichst Kinder gewünscht, um ihren Mann an die. Stelle des Vaters rücken zu können. Nach jahrelanger Enttäuschung, an der Schwelle einer Neurose, holte sie. sich die Prophezeiung, die — ihr das Schicksal ihrer Mutter versprach Auf diese traf es zu, daß sie mit. zweiunddreißig Jahren zwei Kinder gehabt hatte, So war es also nur mit Hilfe der Psychoanalyse möglich, die Eigen— tümlichkeiten der angeblich von außen her erfolgenden Boischaft sinnvoll zu deuten Dann aber konnte man den ganzen, so ein— deutig bestimmten Sachverhalt nicht besser aullglären als durch die Annahme, ein starker Wunsch der Befragendeu — in Wirklichkeit der stärkste unbewußte Wunsch ihres Aliektlebens und der Motor ihrer keimenden Neurose — habe sich durch unmittelbare Überlragung dem mit einer ablenkenden Hantiemng heschäf. tigten VVahrsager kundgegeben.

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Ich habe auch bei Versuchen im intimen Kreise wiederholt den Eindruck gewonnen, daß die Übertragung von stark effektiv betonten Erinnerungen unschwer gelingt. Gen-am man sich, die Einfia‘lle der Person, auf welche übertragen werden soll, einer analytischen Bearbeitung zu unterziehen, so kommen oft Übereinstimmungen zum Vorschein, die sonst unkenntlich geblieben wären. Aus manchen Erfahrungen hin ich geneigt, den Schluß zu ziehen, daß solche Übertragungen besonders gut in dem Moment zustande kommen, da eine Vurstellung aus dem Unbcwußten auftaucht, theoretisch ausgedrückt, sobald sie aus dem „Primärvnrgnng“ in den „Sekundärvnrgang“ übergeht.

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Bei aller durch die Tragweite, Neuheit und Dunkelheit des Gegenstandes gebotenen Vorsicht, hielt ich es doch nicht mehr für berechtigt, mit diesen Äußerungen zum Pmblcm der Tele— pathie zurückzuhalten. Mit dem Traum hat dies alles nur so viel zu tun: Wenn es telepathische Botschaften gibt, so ist; nicht ab— 1.uweisen, daß sie auch den Schlafenden erreichen und von ihm im Traum erfaßt werden können. In nach der Analogie mit anderem “'ahrnehmunge- und Gedankenmnteiial darf man es auch nicht abweisen, daß telepnthische Botschaften, die während des Tages aufgenommen wurden, erst im Traum der nächsten Nacht zur Verarbeitung kommen. Es wäre dann nicht. einmal ein Einwand, wenn das teleputhisch vermittelte Material im Traum wie ein anderes verändert und umgestaltet würde. Man möchfle gerne mit Hilfe. der Psychoanalyse mehr und besser Gesicherres über die Telepathie erfahren.

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