Stellungnahme zum Fall Prof. Dr. Beer (1905-008/1905)

Über das Werk

  • Herausgegeben von
  • Diercks, Christine
  • Rohrwasser, Michael
  • Konzept für die Edition und die Datenbank, Richtlinien, Quellenforschung, Signaturen, Referenzsystem
  • Diercks, Christine
  • Quellenforschung, Digitalisierung der Datenquellen, Bildbearbeitung, Faksimile-Ausgabe, Bibliografie
  • Blatow, Arkadi
  • Diplomatische Umschrift, Lektorat
  • Diercks, Christine
  • Huber, Christian
  • Kaufmann, Kira
  • Liepold, Sophie
  • Technische Umsetzung der Datenbank und der digitalen Instrumente
  • Roedelius, Julian
  • Datenexport aus Drupal und TEI Serialisierung
  • Andorfer, Peter
  • Stoxreiter, Daniel

Freud, Sigmund: Stellungnahme zum Fall Prof. Dr. Beer (1905-008/1905). In: Andorfer, Peter; Blatow, Arkadi; Diercks, Christine; Huber, Christian; Kaufmann, Kira; Liepold, Sophie; Roedelius, Julian; Rohrwasser, Michael; Stoxreiter, Daniel (2022): Sigmund Freud Edition: Digitale Historisch-Kritische Gesamtausgabe, Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage, Wien. [3.4.2023], file:/home/runner/work/frd-static/frd-static/data/editions/plain/sfe-1905-008__1905.xml
§ 1

Nr. 1110 Wien, Freitag DIE ZEIT 27. OKTOBER 1905

§ 2

Prof. Dr. Siegmund Freud.

§ 3

Prof. Dr. Freud, den wir in den Nachmittagsstunden aufsuchten, äußerte sich ungefähr folgendermaßen: Auf die Affäre des Prof. Beer kann ich im besonderen nicht eingehen, weil ich einzig und allein auf die Zeitungsberichte angewiesen bin und ich mir kein Urteil bilden kann, ob die Aussagen der beiden Knaben oder die Verteidigung des Angeklagten richtig sind. Ich verfechte gleich vielen Gelehrten den Standpunkt, daß der Homosexuelle nicht vor das Forum deines Gerichtshofes gehört. Ich bin sogar der festen Ueberzeugung, daß Homosexuelle nicht als Kranke behandelt werden müssen, denn der pervers Veranlagte ist deshalb noch lange nicht krank. Müßten wir dann nicht viele große Denker und Gelehrte aller Zeiten, von deren perverser Veranlagung wir Bestimmtes wissen und von denen wir gerade ihren gesunden Geist bewundern, als krankhafte Menschen bezeichnen? Homosexuelle Personen sind nicht krankhaft, sie gehören aber auch nicht vor den Gerichtshof! Sowohl bei uns in Oesterreich als noch in weit größerem Umfang in Deutschland ist eine mächtige Bewegung im Zuge, den Paragraph des Gesetzbuches, der sich gegen die Perversen wendet, zu eliminieren. Der Bewegung haben sich bedeutende Gelehrte angeschlossen, und sie wird immer größere Kreise ziehen, bis sie zu einem endgültigen Erfolg gelangen wird. Anders verhält es sich jedoch in einem Falle wie dem des Prof. Beer, vorausgesetzt daß er schuldig ist. Der Angeklagte hat sich in diesem Falle an Kindern unter 14 Jahren vergriffen, und ein solcher Mensch muß vor dem Gerichtshof abgeurteilt werden. Die Verurteilung müßte aus demselben Grund erfolgen, als ob ein Mädchen unter 14 Jahren geschlechtlich mißbraucht worden wäre, und zwar müßte wegen Notzucht, Verführung oder Schändung die Anklage erhoben werden. Eine Verurteilung zweier erwachsener Personen wegen homosexuellen Verkehrs ist zu bedauern; ein Mensch, der Knaben mißbraucht hat, die noch nicht das gesetzliche Alter erreicht haben, soll verurteilt werden. Dies ist meine Meinung, und diese dürfte wohl eine große Anzahl meiner Kollegen teilen.

§ 4

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