Jenseits des Lustprinzips (1920-006/1919)

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  • Diercks, Christine
  • Huber, Christian
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Freud, Sigmund: Jenseits des Lustprinzips (1920-006/1919). In: Andorfer, Peter; Blatow, Arkadi; Diercks, Christine; Huber, Christian; Kaufmann, Kira; Liepold, Sophie; Roedelius, Julian; Rohrwasser, Michael; Stoxreiter, Daniel (2022): Sigmund Freud Edition: Digitale Historisch-Kritische Gesamtausgabe, Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage, Wien. [3.4.2023], file:/home/runner/work/frd-static/frd-static/data/editions/plain/sfe-1920-006__1919.xml
§ 1

Jenseits des Lustprinzips

§ 2

von Sigm. Freud

§ 3

I.

§ 4

In der psychoanalytischen Theorie nehmen wir unbedenklich an, daß der Ablauf der seelischen Vorgänge automatisch durch das Lustprinzip regulirt wird. Das heißt, wir glauben, daß er jedesmal durch eine unlustvolle Spannung angeregt wird und dann in eine solche Richtung einschlägt, daß sein Endergebnis mit einer Herabsetzung oder Aufhebung dieser Span̄ung, also mit einer Vermeidung von der Unlust oder Erzeugung von Lust zusam̄enfällt.

§ 5

Wenn wir die von uns studirten seelischen Prozeße mit Rücksicht auf diesen Ablauf betrachten, führen wir den oekonomischen Gesichtspunkt in unsere Arbeit ¿ ein. Wir meinen, eine Darstellung, die neben dem topischen und dem dynamischen Moment noch dies oekonomische zu würdigen versuche, sei die vollständigste, die wir uns derzeit vorstellen können, und verdiene es, durch den Namen einer metapsychologischen hervorgehoben zu werden.

§ 6

Es hat dabei für uns kein Interesse zu untersuchen, in wie weit wir uns mit der Aufstellung des Lustprinzips einerm bestim̄ten, historisch festgelegten, philosophischen Theorie System angenähert oder angeschloßen haben. Wir gelangen zu solchen spekulativen Annahmen bei dem Bemühen, von den Tatsachen der täglichen Beobachtung auf unserem Gebiet Beschreibung und Rechenschaft zu geben. Priorität und Originalität gehören nicht zu den Zielen, die der psychoanalytischen Arbeit gesetzt sind, und die Eindrücke, welche der Aufstellung dieses Prinzips zu Grunde liegen, sind so augenfällig, daß es kaum möglich ist, sie zu übersehen. Dagegen würden wir uns gerne zur Dankbarkeit gegen eine philosophische oder psychologische Theorie bekennen, die uns zu sagen wüßte, welches was die Bedingungen der für uns so imperativen Lust- und Unlustempfindungen sind. Leider wird uns hier nichts Brauchbares geboten. Es ist das dunkelste und unzugänglichste Gebiet des Seelenlebens, und wenn wir unmöglich vermeiden können, es zu berühren, so wird die lockerste Annahme darüber, meine ich, die beste sein. Wir haben uns entschloßen, Lust und Unlust mit der Quantität der im Seelenleben vorhandenen – und nicht irgendwie gebundenen – Erregung in Beziehung zu bringen, solcher Art, daß Unlust einer Steigerung, Lust einer Verring- erung dieser Quantität entspricht. Wir denken dabei nicht an ein einfaches Verhältnis zwischen der Stärke der Empfindungen und den Veränderungen, auf die sie bezogen werden; am wenigsten – nach allen Erfahrungen der Psychophysiologie – an direkte Proportionalität; wahrscheinlich ist das Maß der Verringerung oder Vermehrung in der Zeit das für die Empfindung entscheidende Moment. Das Experiment fände hier möglicher Weise Zutritt, für uns Analytiker ist weiteres Eingehen in diese Probleme nicht geboten raten, so lange nicht ganz bestim̄te Beobachtungen uns leiten können.

§ 7

Die Tatsachen, die uns veranlaßt haben, an die Herrschaft des Lustprinzips im Seelenleben zu glauben, finden auch ihren Ausdruck in der Annahme, daß es ein Bestreben des seelischen Apparats sei, die in ihm vorhandene Quantität von Erregung möglichst niedrig oder wenigstens konstant zu erhalten. Es ist dasselbe, nur in andere Fassung gebracht.

§ 8

Dann müßen wir aber sagen, es sei eigentlich unrichtig von einer Herrschaft des Lustprinzips über den Ablauf der seelischen Prozeße zu reden. Wenn eine solche bestände, müßte die übergroße Mehrheit unserer Seelenvorgänge von Lust begleitet sein oder und zur Lust führen, während doch die allgemeinste Erfahrung dieser Folgerung energisch widerspricht. Es kann also nur so sein, daß eine starke Tendenz zum Lustprinzip in der Seele besteht, der sich aber gewiße andere Kräfte oder Verhältniße widersetzen, so daß der Endausgang nicht immer der Lusttendenz entsprechen kann. Wenn wir uns nun der Frage zuwenden, welche Umstände die Durchsetzung des Lustprinzips zu vereiteln vermögen, dann betreten wir wieder sicheren, uns bekannten Boden und können unsere analytischen Erfahrungen in reichem Ausmaß zur Beantwortung heranziehen.

§ 9

Der erste Fall einer solchen Hemmung des Lustprinzips ist uns als ein gesetzmäßiger vertraut. Wir wissen, daß das Lustprinzip einer primären Arbeitsweise des seelischen Apparats eignet, und daß es für die Selbsterhaltung behauptung des Organismus unter den Schwierigkeiten der Außenwelt so recht von Anfang an unbrauchbar, ja in hohem Grade gefährlich ist.

§ 10

Unter dem Einfluß der Selbsterhaltungstriebe des Ichs wird es vom Realitätsprinzip abgelöst, welches ohne die Absicht endlicher Lustgewinnung aufzugeben, doch den Aufschub der Befriedigung, den Verzicht auf mancherlei Möglichkeiten einer solchen, und die zeitweilige Duldung der Unlust auf dem langen Umwege zur Lust fordert und durchsetzt. Das Lustprinzip bleibt dann noch lange Zeit die Arbeitsweise der schwerer »erziehbaren« Sexualtriebe, und es kom̄t immer wieder vor, daß es, sei es von diesen letzteren aus, sei es im Ich selbst, das Realitätsprinzip zum Schaden des ganzen Organismus überwältigt.

§ 11

Es ist indeß unzweifelhaft, daß die Ablösung des Lustprinzips durch das Realitätsprinzip nur für einen geringen und nicht für den intensivsten Teil der Unlusterfahrungen verantwortlich gemacht werden kann. Eine andere, nicht weniger gesetzmäßige, Quelle der Unlustentbindung ergiebt sich aus den Konflikten und Spaltungen im seelischen Apparat, während das Ich seine Entwicklung zu höher zusam̄engesetzten Organisationen durchmacht. Fast alle Energie, die den Apparat erfüllt, stam̄t aus den mitgebrachten Triebregungen, aber diese werden nicht alle zur den gleichen Entwicklungsphasen zugelassen. Unterwegs geschieht es immmer wieder, daß einzelne Triebe oder Triebanteile sich in ihren Zielen oder Ansprüchen als unverträglich mit den übrigen erweisen, die sich zu der umfassenden Einheit des Ichs zusam̄enschließen können. Sie werden dann von dieser Einheit durch den Prozeß der Verdrängung abgespalten, auf niedrigeren Stufen der psychischen Entwicklung zurückgehalten und zunächst von der Möglichkeit einer Befriedigung abgeschnitten. Gelingt es ihnen dann, was bei den verdrängten Sexualtrieben so leicht geschieht, sich auf Umwegen zu einer direkten oder Ersatzbefriedigung durchzuringen, so wird dieser Erfolg, der sonst eine Lustmöglichkeit gewesen wäre, vom Ich als Unlust empfunden. Infolge des alten in die Verdrängung auslaufenden Konflikts hat das Lustprinzip einen neuerlichen Durchbruch erfahren, gerade während gewiße Triebe am Werke waren, in Befolgung des Prinzips neue Lust zu gewinnen.

§ 12

Die Einzelheiten des Vorganges, durch welchen die Ver- drängung eine Lustmöglichkeit in eine Unlustquelle verwandelt, sind noch nicht gut verstanden oder nicht klar darstellbar, aber sicherlich ist alle neurotische Unlust von solcher Art, ist Lust, die nicht als solche empfunden werden kann. bild der traumatischen Neurose nähert sich der Hysterie durch seinen Reichtum an ähnlichen motorischen Symptomen, übertrifft diese aber in der Regel durch die stark ausgebildeten Anzeichen subjektiven Leidens, etwa wie bei einer Hypochondrie oder Melancholie, und durch die Beweise einer weit umfassenderen allgemeinen

§ 13

Die beiden hier angezeigten Quellen der Unlust decken noch lange nicht die Mehrzal unserer Unlusterlebniße, aber vom Rest wird man mit einem Anschein von gutem Recht behaupten, daß sein Vorhandensein der Herrschaft des Lustprinzips nicht widerspricht. Die meiste Unlust, die wir verspüren, ist ja Wahrnehmungsunlust, entweder Wahrnehmung des Drängens unbefriedigter Triebe oder äußere Wahrnehmung, sei es, daß diese an sich peinlich ist, oder daß sie unlustvolle Erwartungen im seelischen Apparat erregt von ihm als „Gefahr“ erkannt wird. Die Reaktion auf diese Triebansprüche und Gefahrdrohungen, in der sich die eigentliche Tätigkeit des seelischen Apparats äußert, kann dann in korrekter Weise vom Lustprinzip oder dem es modifizirenden Realitätsprinzip geleitet werden. Somit scheint es nicht notwendig, eine weitergehende Einschränkung des Lustprinzips anzuerkennen, und doch kann gerade die Untersuchung der seelischen Reaktion auf die äußerliche Gefahr neuen Stoff und neue Fragestellungen zu derm hier behandelten Frage Problem liefern.

§ 14

II.

§ 15

Nach schweren mechanischen Erschütterungen, Eisenbahnzusam̄en­stößen und anderen mit Lebensgefahr verbundenen Unfällen ist seit langem ein Zustand beschrieben worden, dem dann der Name „traumatische Neurose" verblieben ist. Der schreckliche, eben jetzt abgelaufene Krieg hat eine große Anzal solcher Erkrankungen entstehen lassen und wenigstens der Versuchung ein Ende gesetzt, sie auf organische Schädigung des Nervensystems durch Einwirkung mechanischer Gewalt zurückzuführen *) . Das Zustands-

*)*) Vgl. Zur Psychoanalyse der Kriegsneurosen, mit Beiträgen von Ferenczi, Abraham, Simmel und E. Jones. Band I der Internat. psychoanalytischen Bibliothek, 1919 § 16

Schreck, Furcht, Angst werden mit Unrecht wie synonyme Ausdrücke gebraucht; sie lassen sich in ihrer Beziehung zur Gefahr gut auseinanderhalten. Angst bezeichnet einen gewißen bestim̄ten Zustand von Erwartung der Gefahr und Vorbereitung auf dieselbe, mag sie auch eine unbekannte sein; Furcht verlangt ein bestim̄tes Objekt, vor dem man sich fürchtet; Schreck aber benennt den Zustand, in den man gerät, wenn man in Gefahr kom̄t, ohne auf sie vorbereitet zu sein, betont das Moment der Überraschung. Ich glaube nicht, daß die Angst eine traumatische Neurose erzeugen kann; an der Angst ist etwas, was gegen den Schreck und also auch gegen die Schreckneurose schützt. Wir werden auf diesen Satz später zurückkom̄en.

§ 17

Das Studium des Traumes dürfen wir als den zuverlässigsten Weg zur Erforschung der seelischen Tiefenvorgänge betrachten. Nun zeigt das Traumleben der traumatischen Neurose den Charakter, daß es den Kranken immer wieder in die Situation seines Unfalles zurückführt, aus der er mit neuem Schreck erwacht. Darüber verwundert man sich viel zu wenig. Man meint, es sei eben ein Beweis für die Stärke des Eindrucks, den das traumatische Erlebnis gemacht hat, daß dies es sich dem Kranken sogar im Schlaf im̄er wieder aufdrängt. Der Kranke sei an das Trauma sozusagen psychisch fixirt. Solche Fixirungen an das Erlebnis, welches die Erkrankung ausgelöst hat, sind uns seit langem bei der Hysterie bekannt. Breuer und Freud äußerten 1893: Die Hysterischen leiden großenteils an Reminiszenzen. Auch bei den Kriegsneurosen haben Beobachter wie Ferenczi und Simmel manche motorische Symptome durch Fixirung an den Moment des Traumas erklären können.

§ 18

Allein es ist mir nicht bekannt, daß die an traumatischer Neurose Krankenden sich im Wachleben viel mit der Erinnerung an ihren Unfall beschäftigen. Vielleicht bemühen sie sich eher, nicht an ihn zu denken. Wenn man es als selbstverständlich hinnim̄t, daß der nächtliche Traum sie wieder in die krank machende Situation versetzt, so verkennt man die Natur des Traumes. Dieser würde es eher entsprechen dem Kranken Bilder aus der Zeit der Gesundheit oder der erhofften Genesung vorzuführen. Sollen wir durch die Träume der Unfallsneurotiker nicht an der wunscherfüllenden Tendenz des Traumes irre werde, so bleibt uns etwa noch die Auskunft, bei diesem Zustand sei wie so vieles andere auch die Traumfunktion erschüttert und von ihren Absichten abgelenkt worden.

§ 19

Ich habe nun die Absicht mache nun den Vorschlag, das dunkle und düstere Thema der traumatischen Neurose zu verlassen und die Arbeitsweise des seelischen Apparats an einer sehr seiner frühzeitigsten normalen Betätigungen zu studieren. Ich meine das Kinderspiel.

§ 20

Die verschiedenen Theorien des Kinderspiels sind erst kürzlich von S. Pfeiffer in der Imago zusam̄engestellt und analytisch gewürdigt worden; ich kann hier auf diese Arbeit verweisen. Diese Theorien bemühen sich, die Motive des Spielens der Kinder zu erraten, ohne daß dabei der oekonomische Gesichtspunkt, die Rücksicht auf Lustgewinn, in den Vordergrund gerückt würde. Ich habe, ohne das Ganze dieser Erscheinungen umfassen zu wollen, eine Gelegenheit ausgenützt, die sich mir bot, um das erste selbstgeschaffene Spiel eines Knaben im Alter von 1½ Jahren aufzuklären. Es war mehr als eine flüchtige Beobachtung, denn ich lebte durch einige Wochen mit dem Kinde und dessen Eltern unter einem Dach, und es dauerte ziemlich lange, bis das rätselhafte und ausdauernd wiederholte Thun mir seinen Sinn verriet.

§ 21

Das Kind war in seiner intellektuellen Entwicklung keineswegs voreilig, es sprach mit 1½ Jahren erst wenige verständliche Worte und verfügte außerdem über mehrere bedeutungsvolle Laute, die von der Umgebung verstanden wurden. Aber es war in gutem Rapport mit den Eltern und dem einzigen Dienst-

§ 22

Eines Tages machte ich dann die Beobachtung, die meine Auffassung bestätigte. Das Kind hatte eine Holzspule, die mit einem Bindfaden umwickelt war. Es wurde fiel ihm nie ein, zB. sie zB. am Boden hinter sich herzuziehen, also Wagen mit ihr zu spielen; sondern es warf die am Faden gehaltene Spule mit großem Geschick über den Rand seines verhängten Bettchens, sagte d so daß sie darin verschwand, sagte dazu sein bedeutungsvolles oooo und zog dann die Spule am Faden wieder aus dem Bett heraus, begrüßte aber deren Erscheinen jetzt mit einem freudigen: Da. Das war also das komplette Spiel, Verschwinden und Wiederkom̄en, wovon man zumeist nur den ersten Akt zu sehen bekam, und dieser wurde für sich allein unermüdlich als Spiel wiederholt, obwol die größere Lust unzweifelhaft dem zweiten Akt anhieng.

§ 23

Die Deutung des Spieles lag dann nahe. Es war im Zusam̄enhang mit der großen kulturellen Leistung des Kindes, mit dem von ihm zu Stande gebrachten Triebverzicht (Verzicht auf Triebbefriedigung), das Fortgehen der Mutter ohne Sträuben zu gestatten. Es entschädigte sich gleichsam dafür, indem es dasselbe Verschwinden und Wiederkom̄en selbst mit den ihm

§ 24

Die Analyse eines solchen einzelnen Falles ergiebt keine sichere Entscheidung. Bei unbefangener Betrachtung gewinnt man den Eindruck, daß das Kind das Erlebnis aus einem anderen Motiv als Spiel wiederholt: Es war dabei passiv, wurde vom Erlebnis betroffen und bringt sich nun in eine aktive Rolle, indem es dasselbe, trotzdem es unlustvoll war, als Spiel wiederholt. Dieses Bestreben könnte man einem Bemächtigungstrieb zurechnen, der sich davon unabhängig macht, ob die Erin̄erung an sich lustvoll war oder nicht. Man kann aber auch eine andere Deutung versuchen. Das Wegwerfen des Gegenstandes, so daß er „fort“ ist, könnte die Befriedigung eines im Leben unterdrückten Ha Racheimpulses gegen die Mutter sein, weil sie vom Kinde fortgegangen ist, und dann die trotzige Bedeutung haben: Ja, geh nur fort, ich brauch dich nicht, ich schick dich selber weg. Diesselbe Kind, das ich mit 1½ Jahren bei seinem ersten Spiel beobachtete, pflegte ein Jahr später ein Spielzeug, über das es sich geärgert hatte, auf den Boden zu werfen und dabei zu sagen: Geh in K(r)ieg! Man hatte ihm damals erzält, der abwesende Vater befinde sich im Krieg, und es vermißte den Vater gar nicht, sondern gab die deutlichsten Anzeichen von sich, daß es im Alleinbesitz der Mutter nicht gestört werden wolle. Wir wissen auch von anderen Kindern, daß sie ähnliche feindselige Regungen durch das Wegschleudern von Gegenständen, an Stelle der Personen, auszudrücken vermögen. *) Man gerät so in Zweifel, ob der Drang etwas Eindrucksvolles psychisch zu verarbeiten, sich seiner voll zu bemächtigen, sich primär und unabhängig vom Lusttrieb äußern kann. Im hier diskutirten Falle könnte er einen unangenehmen Eindruck doch nur darum im Spiel wiederholen, weil mit dieser Wiederholung ein andersartiger, aber direkter Lustgewinn verbunden ist.

Vgl: Eine Kindheitserinnerung aus „Dichtung und Wahrheit", Imago 1917, Sam̄lg kl. Schr. zur Neurosenlehre. IV. Folge. § 25

Auch die weitere Verfolgung des Kinderspiels hilft diesem unseren Schwanken zwischen zwei Auffassungen nicht ab. Man sieht, daß die Kinder alles im Spiel wiederholen, was ihnen im Leben großen Eindruck gemacht hat, daß sie dabei die Stärke des Eindrucks abreagiren und sich sozusagen zu Herren der Situation machen. Aber anderseits ist es klar genug, daß all ihr Spielen unter dem Einfluß des Wunsches steht, der diese ihre Zeit dominirt, des Wunsches: groß zu sein und so thun zu können wie die Großen. Man macht auch die Beobachtung, daß der Unlustcharakter des Erlebnißes es nicht immer für das Spiel unbrauchbar macht. Wenn der Doktor dem Kind in den Hals geschaut oder eine kleine Operation an ihm gemacht hat, so wird dies erschreckende Erlebnis ganz gewiß zum Inhalt des nächsten Spieles werden, aber der Lustgewinn aus anderer Quelle ist dabei nicht zu übersehen. Indem das Kind aus der Passivität des Erlebens in die Aktivität des Spieles übergeht, fügt es einem Spielgefährten das Unangenehme zu, das ihm selbst widerfahren war, und rächt sich so an der Person dieses Stellvertreters.

§ 26

Aus diesen Erörterungen geht im̄erhin hervor, daß die Annahme eines besonderen Nachahmungstriebes als Motiv des Spielens überflüßig ist. Schließen wir noch die Mahnung an, daß das künstlerische Spielen und Nachahmen der Erwachsenen, das zum Unterschied vom Verhalten des Kindes, auf die Person des Zuschauers zielt, diesem die schmerzlichsten Eindrücke zB. in der Tragödie nicht erspart, und doch von ihm als hoher Genuß empfunden werden kann. Wir werden so davon überzeugt, daß es auch unter der Herrschaft des Lustprinzips Mittel und Wege genug giebt, um das an sich Unlustvolle zum Gegenstand der Erinnerung und seelischen Bearbeitung zu machen. Mag sich mit diesen in endlichen Lustgewinn auslaufenden Fällen und Situationen eine oekonomisch gerichtete Aesthetik befassen; für unsere Absichten leisten sie nichts, denn sie setzen Existenz und Herrschaft des Lustprinzips voraus, und zeugen nicht für die Wirksamkeit von Tendenzen jenseits des Lustprinzips, d.h. solcher die ursprünglicher als dies und von ihm unabhängig wären.

§ 27

III.

§ 28

Fünfundzwanzig Jahre intensiver Arbeit haben es mit sich gebracht, daß die nächsten Ziele der psychoanalytischen Technik heute ganz andere sind als zu Anfang. Zuerst konnte der analysirende Arzt nichts anderes er anstreben, als das dem Kranken verborgene Unbewußte erraten, zusam̄ensetzen und zur rechten Zeit mitteilen. Die Psychoanalyse war vor allem eine Deutungskunst. Da die therapeutische Aufgabe dadurch nicht gelöst war, trat sofort die nächste Absicht auf, den Kranken zur Bestätigung desr Konstruktion durch seine eigene Erinnerung zu bewegen nötigen. Bei diesem Bemühen fiel das Hauptgewicht auf die Widerstände des Kranken; die Kunst war jetzt, diese baldigst aufzudecken, dem Kranken zu zeigen und ihn durch menschliche Beeinflußung (hier die Stelle für die als durch „Übertragung“ wirkende Suggestio) zum Aufgeben der Widerstände zu bewegen.

§ 29

Dann aber wurde es immer deutlicher, daß das gesteckte Ziel, die Bewußtwerdung des Unbewußten, auch auf diesem Wege nicht voll erreichbar ist. Der Kranke kann von dem in ihm Verdrängten nicht alles erinnern, vielleicht gerade das Wesentliche nicht, und erwirbt so keine Überzeugung von der Richtigkeit der ihm mitgeteilten Konstruktion. Er ist vielmehr genötigt, das Verdrängte als gegenwärtiges Erlebnis zu wiederholen, anstatt es, wie der Arzt es lieber sähe, als ein Stück der Vergangenheit zu erinnern.

§ 30

§ 31

Diese mit unerwünschter Treue auftretende Reproduktion hat immer ein Stück des infantilen Sexuallebens, also des Oedipuskomplexes und seiner Ausläufer, zum Inhalt, und spielt sich regelmäßig auf dem Gebiet der Übertragung, d. h. der Beziehung zum Arzt ab. Hat man es in der Behandlung so weit gebracht, so kann man sagen, die frühere Neurose sei nun durch eine frische Übertragungsneurose ersetzt. Der Arzt hat sich bemüht, das den Bereich dieser Übertragungsneurose möglichst einzuschränken, möglichst viel in die Erinnerung zu drängen und möglichst wenig zur Wiederholung zuzulassen. Das Verhältnis das sich zwischen Erinnerung und Reproduktion herstellt, ist für jeden Fall ein anderes. In der Regel kann der Arzt dem Analysirten diese Phase der Kur nicht ersparen; er muß ihn diese ein gewißes Stück seines vergessenen Lebens wiedererleben lassen und hat dafür zu sorgen, daß ein Maß von Überlegenheit erhalten bleibt, kraft dessen die anscheinende Realität doch im̄er wieder als Spiegelung einer vergessenen Vergangenheit erkannt wird. Gelingt dies, so ist die Überzeugung des Kranken und der von ihr abhängige therapeutische Erfolg gewonnen.

§ 32

Um diesen „Wiederholungszwang“, der sich während der psychoanalytischen Behandlung der Neurotiker äußert, begreiflicher zu finden, muß man sich vor allem von dem Irrtum frei machen, man habe es bei der Bekämpfung der Widerständes mit dem „Widerstand des Unbewußten" zu thun. Das Unbewußte d. h. das Verdrängte leistet den Bemühungen der Kur überhaupt keinen Widerstand, es strebt ja selbst nichts anderes an, als sich gegen den auf ihm lastenden Druck zum Bewußtsein oder und zur Abfuhr durch die reale That durchzudringen. Der Widerstand in der Kur geht denselben höheren Schichten und Systemen des Seelenlebens aus, die seinerzeit die Verdrängtenung durchgeführt haben. Da aber die Motive der Widerstände, ja diese selbst erfahrungsmäßig in der Kur zunächst unbewußt sind, werden wir gemahnt, eine Unzweckmäßigkeit unserer Ausdrucksweise zu verbessern. Wir entgehen der Unklarheit, wenn wir nicht das Bewußte und das Unbewußte, sondern das zusam̄enhängende Ich und das Verdrängte in Gegensatz zu einander bringen. Vieles am Ich mag selbst unbewußt sein; wahrscheinlich nur einen Teil davon decken wir mit dem Namen des Vorbewußten. Nach dieser Ersetzung einer blos deskriptiven Ausdrucksweise durch eine systematische oder dynamische können wir sagen, der Widerstand der Analysirten gehe von ihrem Ich aus, und dann erfassen wir sofort, der Wiederholungszwang ist dem unbewußten Verdrängten zuzuschreiben. Er konnte sich wahrscheinlich nicht eher äußern, als bis die entgegenkom̄ende Arbeit der Kur die Verdrängung gelockert hatte.

§ 33

Es ist kein Zweifel, daß der Widerstand des bewußten und vorbewußten Ichs im Dienste des Lustprinzips steht, er will ja die Unlust ersparen, die durch das Freiwerden des Verdrängten erregt würde, und unsere Bemühung geht dahin, solcher Unlust unter Berufung auf das Realitätsprinzip Zulassung zu erwirken. In welcher Beziehung zum Lustprinzip steht aber der Wiederholungszwang, die Kraftäußerung des Verdrängten? Es ist klar, daß das Meiste, was der Wiederholungszwang wiedererleben läßt, dem Ich Unlust bringen muß, denn er fördert ja T Leistungen verdrängter Triebregungen zu Tage, aber das ist Unlust, die wir schon gewürdigt haben, die dem Lustprinzip nicht widerspricht, Unlust für das eine System und gleichzeitig Befriedigung für das andere. Die neue und merkwürdige Tatsache aber, die wir jetzt zu beschreiben haben, ist, daß der Wiederholungszwang auch solche Erlebniße der Vergangenheit wiederbringt, die keine Lustmöglichkeit enthalten, die auch damals nicht Befriedigungen, selbst nicht von seither verdrängten Triebregungen, gewesen sein können.

§ 34

Die Frühblüte des infantilen Sexuallebens war infolge der Unverträglichkeit ihrer Wünsche mit der Realität und der Unzulänglichkeit der kindlichen Entwicklungsstufe zum Untergang bestimmt. Sie gieng bei den peinlichsten Anläßen unter tief schmerzlichen Empfindungen zu Grunde; der Liebesverlust und das Mislingen hinterließen eine dauernde Beeinträchtigung des Selbstgefüls als narzißtische Narbe. Die Sexualforschung, der durch die Konstitution körperliche Entwicklung des Kindes Schranken gesetzt waren, brachte es zu keinem befriedigenden Abschluß; daher die spätere Klage: Ich kann nichts fertig bringen, mir kann nichts gelingen. Die Li zärtliche Bindung, meist an den gegenschlechtlichen Elternteil, erlag der Enttäuschung, dem vergeblichen Warten auf Befriedigung, der Eifersucht bei der Geburt eines neuen Kindes, die unzweideutig die Untreue des oder der Geliebten erwies; das er eigene mit tragischem Ernst unternom̄ene Versuch, selbst ein solches Kind zu schaffen, mislang in beschämender Weise, die Abnahme der dem Kleinen gespendeten Zärtlichkeit, der gesteigerte Anspruch der Erziehung, ernste Worte und eine gelegentliche Bestrafung hatten endlich den ganz Umfang der ihm zugefallenen Verschmähung enthüllt. Es giebt hier einige wenige Typen, die sich regelmäßig wiederholen finden und der typischen Liebe dieser Kinderzeit ein Ende setzen.

§ 35

Alle diese so unerwünschten Anläße und schmerzlichen Affektlagen werden nun vom Neurotiker in der Übertragung wiederholt und mit großem Geschick neu belebt. Sie streben den Abbruch der unvollendeten Kur an, sie wissen sich den Eindruck der Verschmähung wieder zu verschaffen, den Arzt zu harten Worten und kühlem Benehmen gegen sie nötigen, sie finden die geeigneten Objekte für ihre Eifersucht, sie ersetzen das heiß begehrte Kind der Urzeit durch den Vorsatz oder das Versprechen eines großen Geschenks, das meist ebensowenig real wird wie jenes. Nichts von alledem konnte damals lustbringend sein; man sollte meinen, es müßte heute die geringere Unlust bringen, wenn es als Erinnerung auftauchte, als wenn es sich zum neuen Erlebnis gestaltete. Aber ein Zwang drängt zum letzteren.

§ 36

Dasselbe, was die Psychoanalyse an den Übertragungsphänomenen der Neurotiker aufzeigt, kann man auch im Leben nicht neurotischer Personen wiederfinden. Es macht bei diesen den Eindruck eines sie verfolgenden Schicksals, eines dämonischen Zuges in ihrem Erleben, und die Psychoanalyse hat von Anfang an, solches Schicksal für zum großen Teil selbstbereitet und durch frühinfantile Einflüße determinirt gehalten. Der Zwang, der sich dabei äußert ist vom Wiederholungszwang der Neurotiker nicht verschieden, wen̄gleich diese Personen niemals die Zeichen eines durch Symptombildung erledigten neurotischen Konflikts geboten haben. So kennt man Personen, bei denen jede menschliche Beziehung den gleichen Ausgang nim̄t: Woltäter, die von jedem ihrer Schützlinge, nach einiger Zeit, im Groll verlassen werden, so verschieden sie sonst auch sein mögen, denen also bestim̄t scheint, alle Bitterkeiten des Undanks auszukosten; Männer, bei denen jede Freundschaft den Ausgang nim̄t, daß der Freund sie verrät; andere, die es unbestim̄t oft in ihrem Leben wiederholen, eine andere Person zur großen Autorität für sich oder auch für die Öffentlichkeit zu erheben, und diese Autorität dann nach abgemessener Zeit selbst stürzen, um sie durch eine neue zu ersetzen; Liebende, bei denen jedes zärtliche Verhältnis zum Weib dieselben Phasen durchmacht und zum gleichen Ende führt usw usw. Wir verwundern uns über diese „ewige Wiederkehr des Gleichen" nur wenig, wenn es sich um ein aktives Verhalten des Betreffenden handelt, und wenn wir den sich gleichbleibenden Charakterzug seines Wess Wesens auffinden, der sich in der Wiederholung der nämlichen Ergebniße äußern muß. Weit stärker wirken jene Fälle auf uns, bei denen die Person etwas passiv zu erleben scheint, worauf ihr ein Einfluß nicht zusteht, während sie doch immer nur Wiederholungen desselben Schicksals erlebt. Man denke zB. an die Geschichte jener Frau die dreimal nach einander Männer heiratete, die nach kurzer Zeit erkrankten und von ihr zu Tode gepflegt werden mußten. *) Die er- greifendste poetische Darstellung eines solchen Schicksalszuges hat Tasso im romantischen Epos „Befreiten Jerusalem" „Gerusalemme liberata" gegeben. Held Tankred hat unwissentlich die von ihm geliebte Clorinda getödtet als sie in der Rüstung eines feindlichen Ritters mit ihm kämpfte. Nach ihrem Begräbnis dringt er in den unheimlichen Zauberwald ein, der das Heer der Kreuzfahrer schreckt. Dort zerhaut er einen hohen Baum mit seinem Schwerte, aber aus der Wunde des Baumes strömt Blut, und die Stimme Clorinda’s deren Seele in diesen Baum gebannt war, klagt ihn an, daß er wiederum die Geliebte geschädigt hat.

*) Vgl hiezu die treffenden Bemerkungen in dem Aufsatz von C. G. Jung, Die Bedeutung des Vaters für das Schicksal des Einzelnen, Jahrb. f. Psychoanalyse I 1909 § 37

Angesichts solcher Beobachtungen aus dem Verhalten in der Übertragung und aus dem Schicksal der Menschen werden wir den Mut zur Annahme finden, daß es im Seelenleben wirklich einen Wiederholungszwang giebt, der sich über das Lustprinzip hinaussetzt. Wir werden jetzt auch geneigt sein, die Träume der Unfallsneurotiker und den Antrieb zum Spiel des Kindes auf diesen Zwang zu beziehen. Allerdings müßen wir uns sagen, daß wir die Wirkungen des Wiederholungszwanges nur in seltenen Fällen rein, ohne Mithilfe anderer Motive, erfassen können. Beim Kinderspiel haben wir bereits hervorgehoben, welche anderen Deutungen seine Entstehung zuläßt, Wiederholungszwang und direkte lustvolle Triebbefriedigung scheinen sich dabei zu intimer Gemeinsamkeit zu verschränken. Die Phänomene der Übertragung st stehen offenkundig im Dienst des Widerstandes von Seiten des auf der Verdrängung beharrenden Ichs; der Wiederholungszwang ist wird gleichsam von dem Ich, das am Lustprinzip festhalten will, zur Hilfe gerufen. An dem, was man den Schicksalszwang nennen könnte, scheint uns vieles durch rationelle Erwägung verständlich, so daß man ein Bedürfnis nach der Aufstellung eines neuen geheimnisvollen Motivs Motors nicht verspürt. Am unverdächtigsten ist vielleicht der Fall der Unfallsträume, aber bei näherer Überlegung muß man doch zugestehen, daß auch in den anderen Beispielen der Sachverhalt durch die Leistung der uns bekannten Motive g nicht gedeckt wird. Es bleibt genug übrig, was die Annahme des Wiederholungszwanges rechtfertigt, und dieser erscheint uns ursprünglicher, elementarer, als das triebhafter als das von ihm zur Seite geschobene Lustprinzip.

§ 38

Wenn es aber einen solchen Wiederholungszwang im Seelischen giebt, so möchten wir gerne etwas darüber wissen, welcher Funktion er entspricht, unter welchen Bedingungen er hervortreten kann, und in welcher Beziehung er zum Lustprinzip steht, dem wir doch bisher die Herrschaft über den Ablauf der Erregungsvorgänge im Seelenleben zugetraut haben.

§ 39

IV.

§ 40

Was nun folgt, ist Spekulation, oft weitausholende Spekulation, die ein jeder nach seiner besonderen Einstellung würdigen oder vernachläßigen wird.

§ 41

Die psychoanalytische Spekulation knüpft an den bei der Untersuchung unbewußter Vorgänge empfangenen Eindruck an, daß das Bewußtsein nicht der allgemeinste Charakter der seelischen Vorgänge, sondern nur eine besondere Funktion unter dernselben sein könne. In metapsychologischer Ausdrucksweise behauptet sie, das Bewußtsein sei die Leistung eines besonderen Systems, das sie Bw benennt. Da das Bewußtsein im Wesentlichen Wahrnehmungen von Erregungen liefert, die aus der Außenwelt kom̄en, und Empfindungen von Lust und Unlust, die nur aus dem Inneren des seelischen Apparates stam̄en können, wird kann dem System Bw=W eine räumliche Stellung zu be zugewiesen werden. Es muß an der Grenze von außen und innen liegen, der Außenwelt zugekehrt sein und die anderen psychischen Systeme umhüllen. Wir bemerken dann, daß wir mit diesen Annahmen nichts Neues gewagt, sondern uns der lokalisirenden Hirnanatomie angeschlossen haben, welche den „Sitz" des Bewußtseins in die Hirnrinde, in die äußerste, umhüllende Schicht des Zentralorgans verlegt.

§ 42

Die Hirnanatomie braucht sich keine Gedanken darüber zu machen, warum – anatomisch gesprochen – das Bewußtsein gerade an der Oberfläche des Gehirns untergebracht ist anstatt wolverwahrt irgendwo im innersten Inneren desselben zu hausen. Vielleicht bringen wir es in der Ableitung einer solchen Lage für unser System W=Bw weiter.

§ 43

Das Bewußtsein ist nicht die einzige Eigentümlichkeit, die wir den Vorgängen in diesem System zuschreiben. Wir stützen uns auf die Eindrücke unserer psychoanalytischen Erfahrung, wenn wir annehmen, daß alle Vorgänge Erregungsvorgänge in den anderen Systemen daselbst dauernde Dauerspuren als Grundlage des Gedächtnißes hinterlassen, Erinnerungsreste also, die nichts mit dem Bewußtwerden zu thun haben. Sie sind oft am stärksten und haltbarsten, wo wenn der sie zurücklassende Vorgang niemals zum Bewußtsein gekom̄en ist. Wir finden es aber beschwerlich zu glauben, daß solche Dauerspuren der Erregung auch im System Bw=W zu Stande kom̄en. Sie würden die Eignung des Systems zur Aufnahme neuer Erregungen sehr bald einschränken, *)

§ 44

Wenn dies auch kein absolut verbindliches Argument ist, so mag es uns doch wenn sie im̄er bewußt blieben; im anderen Falle, wenn sie unbewußt würden, stellten sie uns vor die Aufgabe, die Existenz unbewußter Vorgänge in einem System zu erklären, deßen Funktioniren sonst vom Phänomens des Bewußtseins begleitet wird. Wir hätten sozusagen durch unsere Annahme, welche das Bewußtwerden in ein besonderes System verweist, nichts verändert und nichts gewonnen. Wenn dies auch keine absolut verbindliche Erwägung sein mag, so kann sie uns doch zur Vermutung bewegen, daß Bewußtwerden und Hinterlassung einer Gedächtnisspur für dasselbe System mit einander unverträglich sind. Wir würden so sagen können, im System Bw werde der Erregungsvorgang bewußt, hinterlasse aber keine Dauerspur; alle die Spuren desselben, auf welche sich die Erin̄erung stützt, kämen bei der Fortpflanzung der Erregung auf die nächsten in̄eren Systeme in diesen zu Stande. In diesem Sinne ist auch das Schema entworfen, welches ich dem spekulativen Abschnitt meiner „Traumdeutung" 1900 eingefügt habe. Wenn man bedenkt, wie wenig wir aus anderen Quellen über die Entstehung des Bewußtsein wissen, wird man dem Satze, das Bewußtsein entstehe an Stelle der Erinnerungsspur wenigstens die Bedeutung einer irgendwie bestim̄ten Behauptung einräumen müßen.

*)*) Dies durchaus nach J. Breuers Auseinandersetzung im theoretischen Abschnitt der Studien über Hysterie", 1895. § 45

Das System Bw wäre also durch die Besonderheit ausgezeichnet, daß der Erregungsvorgang in ihm nicht wie in allen anderen psychischen Systemen eine dauernde Veränderung der ihrer Elemente hinterläßt, sondern gleichsam im Phänomen des Bewußtwerdens verpufft. Eine solche Abweichung von der allgemeinen Regel fordert eine Erklärung durch ein Moment, welches ausschließlich bei diesem einen System in Betracht kom̄t, und dies bei den anderen Systemen abzusprechende Moment könnte leicht die exponirte Lage des Systems Bw sein, sein unmittelbares Anstoßen an die Außenwelt.

§ 46

Stellen wir uns den lebenden Organismus in seiner größtmöglichen Vereinfachung vor als undifferenzirtes Bläschen reizbarer, lebender Substanz; dann ist seine der Außenwelt zugekehrte Oberfläche durch seine ihre Lage selbst differenzirt und dient als reizaufnehmendes Organ. Die Embryologie als Wiederholung der Entwicklungsgeschichte zeigt auch wirklich, daß das Zentralnervensystem aus dem Ectoderm hervorgeht, und die graue Hirnrinde ist noch im̄er ein Abköm̄ling der primitiven Oberfläche und könnte wesentliche Eigenschaften derselben durch Erbschaft übernom̄en haben. Es wäre dann leicht denkbar, daß durch den unausgesetzten Anprall der äußeren Reize an die Oberfläche des Bläschens dessen Substanz bis zu in eine gewiße Tiefe dauernd verändert wird, so daß ihr Erregungsvorgang anders abläuft als in tieferen Schichten. Es bildete sich so eine Rinde, die endlich durch die Reizwirkung so durchgebrannt ist, daß sie der Reizaufnahme die günstigsten Verhältniße entgegenbringt und einer weiteren Modifikation nicht fähig ist. Auf das System Bw übertragen, würde dies meinen, daß dessen Elemente keine Dauerveränderung beim Durchgang der Erregung mehr annehmen können, weil sie bereits aufs äußerste im Sinne dieser Veränderung Wirkung modifizirt sind. Dann sind sie aber befähigt das Bewußtsein entstehen zu lassen. Worin diese Modifikation der Substanz und des Erregungsvorganges in ihr besteht, darüber kann man sich mancherlei Vorstellungen machen, die sich der Prüfung derzeit entziehen. Man kann annehmen, die Erregung habe bei ihrem Fortgang von einem Element zum anderen einen Widerstand zu überwinden, und diese Verringerung des Widerstandes setze eben die Dauerspur der Erregung (Bahnung); im System Bw bestünde also ein solcher Übergangswiderstand zwi von einem Element zum anderen nicht mehr. Man kann mit dieser Vorstellung die Breuer’sche Unterscheidung von ruhender (gebundener) und frei beweglicher Besetzungsenergie in den Elementen der psychischen Systeme zusam̄enbringen *) ; die Elemente des Systems Bw würden dann keine gebundene und nur frei abfuhrfähige Energie führen. Aber ich meine, vorläufig ist es besser, wenn man sich über diese Verhältniße möglichst unbestim̄t äußert. Immerhin hätten wir durch diese Spekulationen die Entstehung des Bewußtseins in einen gewißen Zusam̄enhang mit der Lage des Systems Bw und demn ihm zuzuschreibenden Besonderheiten des Erregungsvorganges verflochten.

*)*) Studien über Hysterie von J. Breuer u S. Freud 3 Auflage, 1917. § 47

An dem lebenden Bläschen mit seiner reizaufnehmenden Rindenschichte haben wir noch anderes zu erörtern. Dieses Stückchen lebender Substanz schwebt inmitten einer mit den stärksten Energien geladenen Außenwelt und würde von den Reizwirkungen derselben erschlagen werden, wenn es nicht mit einem Reizschutz versehen wäre. Es bekommt ihn dadurch, daß seine äußerste Oberfläche die dem Lebenden zukommende Struktur aufgiebt, gewißermaßen anorganisch wird und nun als eine besondere Hülle oder Membran reizabhaltend wirkt, d. h. veranlaßt, daß die Energien der Außenwelt sich nur mit einem Bruchteil ihrer Intensität auf die nächsten, lebend gebliebenen Schichten fortsetzen können. Diese können nun hinter dem Reizschutz sich der Aufnahme der durchgelassenen Reizmengen widmen. Die Außen- schicht hat aber durch ihr Absterben alle tieferen vor dem gleichen Schicksal bewahrt, wenigstens so lange, bis nicht Reize von solcher Stärke herankom̄en daß sie den Reizschutz durchbrechen. Für den lebenden Organismus ist der Reizschutz eine beinahe wichtigere Aufgabe als die Reizaufnahme; er ist mit einem eigenen Energievorrat ausgestattet und muß vor allem bestrebt sein, die besonderen Formen der Energieumsetzung, die in ihm spielen, vor dem gleichmachenden, also zerstörenden Einfluß der übergroßen, draußen arbeitenden Energien zu bewahren. Die Reizaufnahme dient vor Allem der Absicht, Richtung und Quali Art der äußeren Er Reize zu erfahren, und dazu muß es genügen, der Außenwelt kleine Proben zu entnehmen, sie in geringen Quantitäten zu verkosten. Bei den hochentwickelten Organismen hat sich die reizaufnehmende Rindenschicht des einstigen Bläschens längst in die Tiefe des Körperinnern zurückgezogen, aber Anteile von ihr sind an der Oberfläche unmittelbar unter dem allgemeinen Reizschutz zurückgelassen. Dies sind die Sinnesorgane, die im Wesentlichen Einrichtungen zur Aufnahme beson spezifischer Reizeinwirkungen enthalten aber außerdem besondere Vorrichtungen zum neuerlichem Schutz gegen übergroße Reizmengen und zur Abhaltung unangemessener Reizarten. Es ist für sie charakteristisch, daß sie nur sehr geringe Quantitäten des äußeren Reizes verarbeiten, sie nehmen nur Stichproben der Außenwelt vor, vielleicht darf man sie Fühlern vergleichen, die sich an die Außenwelt herantasten und dann im̄er wieder von ihr zurückziehen.

§ 48

Ich gestatte mir an dieser Stelle, ein Thema flüchtig zu berühren welches die gründlichsten Behandlung verdienen würde. Der Kant sche Satz, daß Zeit und Raum notwendige Fo¿ Formen unseres Denkens sind, kann heute infolge gewißer psychoanalytischer Erkenntniße einer Diskussion unterzogen werden. Wir haben erfahren, daß die unbewußten Seelenvorgänge an sich „zeitlos“ sind. Das heißt zunächst, daß sie nicht zeitlich geordnet werden, daß die Zeit nichts an ihnen verändert, daß man die Zeitvorstellung nicht an sie heranbringen kann. Es sind dies negative Charaktere, die man sich nur durch Vergleichung mit den bewußten seelischen Prozeßen deutlich machen kann. Unsere abstrakte Zeitvorstellung scheint vielmehr durchaus an von der Arbeitsweise des Systems Bw=W hergeholt zu sein und einer Selbstwahrnehmung derselben zu entsprechen. Die Bei dieser Funktionsweise des Systems dürfte ein anderer Weg des Reizschutzes beschritten werden. Ich weiß, daß diese Behauptungen sehr dunkel klingen, muß mich aber auf solche Andeutungen beschränken. Die andere Abstraktion, die sich an das Funktioniren von Bw anknüpfen läßt, ist aber nicht Raum, sondern Stoff: Substanz.)

§ 49

Wir haben bisher ausgeführt, daß das lebende Bläschen mit einem Reizschutz gegen die Außenwelt ausgestattet ist. Vorhin hatten wir festgelegt, daß die nächste Rindenschicht desselben als Organ zur Reizaufnahme von außen differenzirt sein muß. Diese empfindliche Rindenschicht, das spätere System Bw, empfängt aber auch Erregungen von innen her; die Stellung des Systems zwischen außen und ¿r innen, und die Verschiedenheit der Bedingungen für die Einwirkung von der einen und der anderen Seite werden maßgebend für die Leistung des Systems und des ganzen seelischen Apparats. Gegen außen giebt es einen Reizschutz, die ankom̄enden Erregungsgrößen werden nur in verkleinertem Maßstab wirksam; nach in̄en zu ist ein Reizschutz unmöglich, die Erregungen der tieferen Schichten setzen sich direkt und in unverringertem Maß auf das System fort, indem sie gewiße Charaktere ihres Ablaufs die Reihe der Lust-Unlustempfindungen erzeugen. Allerdings werden die von in̄en kom̄enden Erregungen nach ihrer Intensität und nach anderen qualitativen Charakteren (eventuell: nach ihrer Amplitude) der Arbeitsweise des Systems adaequater sein als die von der Außenwelt zuströmenden Reize. Aber zweierlei ist durch diese Verhältniße entscheidend bestimmt, erstens die Praevalenz der Lust-Unlustempfundenenindungen, die ein Index für Vorgänge im Innern des Apparats sind, über alle äußeren Erreg Reize, und zweitens eine Richtung des Verhaltens gegen solche innere Erregungen, welche allzugroße Unlustvermehrung herbeiführen. Es wird sich die Neigung ergeben, sie so zu behandeln, als ob sie nicht von außen in̄en sondern von außen her einwirkten, um die Abwehrmittel des Reizschutzes gegen sie in Anwendung bringen zu können. Dies ist die Herkunft der Projektion, der eine so große Rolle bei der Verursachung pathologischer Prozeße vorbehalten ist.

§ 50

Ich habe den Eindruck, daß wir uns durch die letzten Überlegungen die Herrschaft des Lustprinzips unserem Verständnis angenähert haben; eine Aufklärung jener Fälle, die sich ihm wiedersetzen, haben wir aber nicht erreicht. Gehen wir darum einen Schritt weiter.

§ 51

Solche Erregungen von Außen, welche stark genug sind, den Reizschutz gegen zu durchbrechen heißen wir traumatische. Ich glaube, daß der Begriff des Traumas eine solche Beziehung auf einen sonst wirksame Reizabhaltung erfordert. Ein Vorkom̄nis wie das äußere Trauma wird gewiß eine großartige Störung im Energiebetrieb des Organismus hervorrufen und alle Abwehrmittel in Bewegung setzen. Aber das Lustprinzip ist dabei zunächst außer Kraft gesetzt. Die Überschwem̄ung des seelischen Apparates mit großen Reizmengen ist nicht mehr hintanzuhalten; es ergiebt sich vielmehr eine andere Aufgabe den Reiz zu bewältigen, die hereingebrochenen Reizmengen psychisch zu binden, um sie dann der Erledigung zuzuführen.

§ 52

Wahrscheinlich ist die spezifische Unlust des körperlichen Schmerzes der Erfolg des R davon, daß der Reizschutz an einer einzelnen in beschränktem Stelle Umfang durchbrochen wurde. Von dieser Stelle der Peripherie strömen dann dem seelischen Zentralapparat kontinuirliche Erregungen zu, wie sie sonst nur aus dem Inneren des Apparats kommen konnten. *) Und was können wir als die Reaktion

*)*) Vgl Triebe und Triebschicksale. Sam̄lg kl. Schriften zur Neurosenlehre IV. 1918. § 53

Ich glaube, man darf den Versuch wagen, die gemeine traumatische Neurose als die Folge eines ausgiebigen Durchbruchs des Reizschutzes aufzufassen. Damit wäre die alte, naive Lehre vom Schok in ihre Rechte eingesetzt, anscheinend im Gegensatz zu einer späteren und psychologisch anspruchsvolleren, welche nicht der mechanischen Gewalteinwirkung sondern dem Schreck und der Lebensbedrohung die aetiologische Bedeutung zuspricht. Allein diese Gegensätze sind nicht unversöhnlich, und die psychoanalytische Auffassung der traumatischen Neurose ist mit der rohesten Form der Shoktheorie nicht identisch. Versetzt letztere das Wesen des Shoks in die direkte Schädigung der molekularen Struktur, der oder selbst der histologischen Struktur der nervösen Elemente, so suchen wir dessen Wirkung aus der Durchbrechung des Reizschutzes für das Seelenorgan und aus den daraus sich ergebenden Aufgaben zu verstehen.

§ 54

Der Schreck behält seine Bedeutung auch für uns. Seine Bedingung ist das Fehlen der Angstbereitschaft, welche die Überbesetzung der den Reiz zunächst aufnehmenden Systeme einschließt. In Folge dieser niedrigeren Besetzung sind diese Systeme dann nicht gut im Stande die ankom̄enden Erregungsmengen zu binden, der Durchbruch des die Folgen der Durchbrechung des Reizschutzes stellen sich um sovieles leichter h ein. Wir finden so, daß die Angstbereitschaft mit der Überbesetzung der aufnehmenden Systeme die letzte Linie des Reizschutzes darstellt. Für eine ganze Anzal von Traumen mag der Unterschied zwischen demn unvorbereiteten und den durch Überbesetzung vorbereiteten Systemen das für den Ausgang entscheidende Moment sein; von einer gewißen Stärke des Traumas an wird er wol nicht mehr ins Gewicht fallen.

§ 55

Wenn die Träume der Unfallsneurotiker die Kranken so regelmäßige in die Situation des Unfalls zurückführen, so dienen sie damit allerdings nicht der Wunscherfüllung, deren halluzinatorische Herbeiführung ihnen unter der Herrschaft des Lustprinzips zur Funktion geworden ist. Aber wir dürfen annehmen, daß sie sich dadurch einer anderen Aufgabe zur Verfügung stellen, deren Lösung vorangehen muß, ehe das Lustprinzip seine Herrschaft beginnen kann. Diese Träume suchen die Reizbewältigung unter Angstentwicklung nachzuholen, deren Unterlassung die Ursache der traumatischen Neurose geworden ist. Sie geben uns so einen Ausblick auf eine Funktion des seelischen Apparats, welche, ohne dem Lustprinzip zu widersprechen doch unabhängig von ihm ist und ursprünglicher scheint als die Absicht des Lustgewinns und der Unlustvermeidung. Von den „Kriegsneurosen", soweit diese Bezeichnung mehr als die Beziehung zur Veranlassung des Leidens bedeutet, habe ich an anderer Stelle ausgeführt, daß sie sehr wol traumatische Neurosen sein könnten, die durch einen Ichkonflikt erleichtert worden sind. x)

1) Zur Psychoanalyse der Kriegsneurosen. Einleitung. Internationale psychoanalytische Bibliothek Bd I. 1919. § 56

V.

§ 57

Der Mangel eines Reizschutzes für die reizaufnehmende Rich Rindenschichtes gegen Erregungen von innen her wird die Folge haben müßen, daß diese Reizübertragungen die größere oekonomische Bedeutung gewinnen und häufig zu oekonomischen Störungen Anlaß geben, die den traumatischen Neurosen gleichzustellen sind. Die ausgiebigsten Quellen solch innerer Erregung sind die sogenannten Triebe des Organismus, die Repraesentanten aller aus dem Körperinnern stam̄enden, auf den seelischen Apparat übertragenen Kraftwirkungen, selbst das wichtigste wie das dunkelste Element der psychologischen Forschung.

§ 58

Vielleicht finden wir die Annahme nicht zu gewagt, daß die von den Trieben ausgehenden Regungen nicht den Typus des gebundenen, sondern den des frei beweglichen, nach Abfuhr drängenden Nervenvorganges einhalten. Das Beste, was wir über diese Vorgänge wissen, rührt aus dem Studium der Traumarbeit her. Dabei fanden wir, daß die Prozeße in den unbewußten Systemen von denen in den (vor)bewußten gründlich verschieden sind, daß im Unbewußten Besetzungen leicht vollständig übertragen, verschoben, verdichtet werden können, was nur fehlerhafte Resultate ergeben könnte, wenn es an vorbewußtem Material geschähe, und was darum auch die bekannten Sonderbarkeiten des manifesten Traumes ergiebt, nachdem die vorbewußten Tagesreste die Bearbeitung nach den Gesetzen des Unbewußten erfahren haben. Ich nannte die Art dieser Prozeße im Unbewußten den psychischen „Primärvorgang“ zum Unterschied von dem für unser normales Wachleben giltigen Sekundärvorgang. Da die Triebregungen alle an den unbewußten System angreifen, ist es kaum eine Neuerung zu sagen, daß sie dem Primärvorgang folgen, und anderseits gehört wenig dazu, um den psychischen Primärvorgang mit der frei beweglichen Besetzung, den Sekundärvorgang mit Veränderungen an der gebundenen oder tonischen Besetzung Breuers zu identifiziren. *) Es wäre dann die Aufgabe der höheren Schichten des seelischen Apparates, die im Primärvorgang anlangende Erregung der Triebe zu binden. Das Misglücken dieser Bindung würde eine der traumatischen Neurose analoge Störung hervorrufen; erst nach erfolgter Bindung könnte würde sich die Herrschaft des Lustprinzips (und seiner Modifikation zum Realitätsprinzip ungehemmt durchsetzen. Bis dahin aber würde die andere Aufgabe des Seelenapparats, die Erregung zu bewältigen oder zu binden, voranstehen, zwar nicht im Gegensatz zum Lustprinzip aber unabhängig von ihm und zum Teil ohne Rücksicht auf dieses.

*)*) Vgl. den Abschnitt VII Psychologie der Traumvorgänge in meiner Traumdeutung." § 59

Die Äußerungen eines Wiederholungszwanges, die wir an den frühen Tätigkeiten des kindlichen Seelenlebens und wie an den Ergebnißen der psychoanalytischen Kur beschrieben haben, zeigen im hohen Grad den triebhaften, und wo sie sich im Gegensatz zum Lustprinzip befinden, den daemonischen Charakter. Beim Kinderspiel glauben wir es zu begreifen, daß das Kind auch das unlustvolle Erlebnis darum wiederholt, weil es sich durch seine Aktivität eine weit gründliche Bewältigung des starken Eindruckes erwirbt, als beim blos passiven Erleben möglich war. Jede W neuerliche Wiederholung scheint diese angestrebte Beherrschung zu verbessern, und auch bei lustvollen Erlebnißen kann sich das Kind an Wiederholungen nicht genugthun und wird unerbittlich auf der Identität des Eindruckes bestehen. Dieser Charakterzug ist dazu bestim̄t, späterhin zu verschwinden. Ein zum zweiten Mal angehörter Witz wird fast wirkungslos bleiben, die Wiederholung eine Theateraufführung wird nie mehr zum zweiten Mal den Eindruck erreichen, den sie das erste Mal hinterließ; ja der Erwachsene wird schwer zu bewegen sein, ein Buch, das ihm sehr gefallen hat, so bald nochmals durchzulesen. Im̄er wird die Neuheit die Bedingung des Genußes sein; das Kind wird nicht müde werden, vom Erwachsenen die Wiederholung eines ihm gezeigten oder mit ihm angestellten Spieles zu verlangen, bis dieser erschöpft es verweigert, und wenn man ihm

§ 60

Auf welche Art hängt aber das Triebhafte mit dem Zwang zur Wiederholung zusammen? Hier muß sich uns die Idee aufdrängen, daß wir einem allgemeinen, bisher nicht klar erkannten Charakter der Triebe, vielleicht alles organischen Lebens überhaupt auf die Spur gekommen sind. Ein Trieb wäre also ein dem belebten Organischen innewohnender Drang zur Wiederherstellung eines früheren Zustandes, welchen dies Belebte unter dem Einfluß äußerer Störungskräfte aufgeben mußte, eine Art von organischer Elastizität, oder wenn man will, die Äußerung der Trägheit im organischen Leben.

§ 61

Diese Auffassung des Triebes klingt befremdlich, denn wir haben uns daran gewöhnt, im Trieb das zur Veränderung und Entwicklung drängende Moment zu sehen, und sollen nun das gerade Gegenteil in ihm erkennen, den Ausdruck der konservativen Natur im des Lebenden. Anderseits fallen uns sehr bald jene Beispiele aus dem Thierleben an ein, welche die historische Bedingtheit der Triebe zu bestätigen scheinen. Wenn gewiße Fische um die Laichzeit beschwerliche Wanderungen unternehmen, um den Laich in bestim̄ten Gewässern weit entfernt von ihren sonstigen Wohnorten abzulegen so haben sie nach der Mein Deutung vieler Biologen nur die früheren Wohnstätten ihrer Art aufgesucht, die sie im Laufe der Zeit gegen andere vertauscht hatten. Dasselbe soll für die Wanderflüge der Zugvögel gelten, aber der Suche nach weiteren Beispielen enthebt uns bald der f die Mahnung, daß wir in den Phänomenen der Erblichkeit und in den Tatsachen der Embryologie die großartigsten Beweise für den organischen Wiederholungszwang haben.

§ 62

Wir sehen, der Keim eines lebenden Thieres ist genötigt, in seiner Entwicklung die Strukturen all der Formen, von denen das Thier abstammt – wennauch in flüchtiger Abkürzung – |zu wiederholen, anstatt auf dem kürzesten Wege zu seiner definitiven Gestaltung zu eilen, und können dies Verhalten nur zum geringsten Teil mechanisch erklären, dürfen die historische Erklärung nicht bei Seite lassen. Und ebenso erstreckt sich weit in die Thierreihe hinauf ein Reproduktionsvermögen, welches ein verlorenes Organ durch die Neubildung eines ihm durchaus gleichen ersetzt.

§ 63

Der naheliegende Einwand, es verhalte sich wol so, daß es außer den konservativen Trieben, die zur Wiederholung nötigen, auch andere giebt, die F zur Neugestaltung und zum Fortschritt drängen, darf gewiß nicht unberücksichtigt bleiben. Aber vorher mag es uns verlocken, die Annahme, daß alle Triebe Früheres wiederherstellen wollen in ihre letzten Konsequenzen zu verfolgen. Mag, was dabei herauskommt, den Anschein des „Tiefsinnigen" erwecken oder an Mystisches anklingen, so wissen wir uns doch von dem Vorwurf frei, etwas derartiges angestrebt zu haben. Wir suchen nüchterne Resultate der Forschung oder der auf sie gegründeten Überlegung, und unser Wunsch möchte diesen keinen anderen Charakter als den der Sicherheit verleihen.

§ 64

Wenn also alle organischen Triebe konservativ, historisch erworben und auf Wiederherstellung von Früherem gerichtet sind, so müßen wir alle Erfolge der organischen Entwicklung auf die Rechnung äußerer, störender und ablenkender Einflüße setzen. Das elementare Lebewesen würde sich von seinem Anfang an nicht haben ändern wollen, hätte unter sich gleichgbleibenden Verhältnißen stets nur den nämlichen Lebenslauf wiederholt. Aber in der Außenwelt war alles in Veränderung begriffen; im letzten Grunde müßte es die Entwicklungsgeschichte unserer Erde, und ihres Verhältnißes zur Sonne sein, die uns in der Entwicklung der Organismen ihren Abdruck hinterlassen hat. Die konservativen organischen Triebe haben jede dieser aufgezwungenen Abänderungen des Lebenslaufes aufgenom̄en und zur Wiederholung aufbewahrt und müßen uns so den täuschenden Eindruck von Kräften machen, die nach Veränderung und Fortschritt streben, während sie blos ein altes Ziel auf alten und neuen Wegen zu erreichen trachten. Auch dieses Endziel alles organischen Strebens ließe sich angeben.

§ 65

Der konservativen Natur der Triebe widerspräche es, wenn das Ziel des Lebens ein noch nie zuvor erreichter Zustand wäre. Es muß vielmehr ein alter, ein Ausgangszustand sein, den das Lebende einmal verlassen hat, und zu dem es über alle Umwege der Entwicklung zurückstrebt. Da nach unserer ausnahmslosen Erfahrung alles Lebende aus inneren Gründen stirbt, ins Unbe Anorganische zurückkehrt, so können wir nur sagen: Das Ziel alles Lebens ist der Tod, und zurückgreifend: Das Leblose war früher da als das Lebende.

§ 66

Irgend einmal wurden in unbelebter Materie durch eine noch ganz unvorstellbare Krafteinwirkung die Eigenschaften des Lebenden erweckt. Vielleicht war es ein Vorgang vorbildlich ähnlich jenem anderen, der in der lebenden einer gewißen Schicht der lebenden Materie später das Bewußtsein entstehen ließ.

§ 67

Die damals entstandene Spannung in derm vorhin unbelebten Stoff trachtete danach sich abzugleichen, es war der erste Trieb gegeben, um zum Leblosen zurückzukehren. Die damals lebende Substanz hatte das Sterben noch leicht, es war wahrscheinlich nur ein kurzer Lebensweg zu durchlaufen, dessen Richtung durch die chemische Struktur des jungen Lebens bestim̄t war. Eine lange Zeit hindurch mag so die lebende Substanz im̄er wieder neu geschaffen worden und leicht gestorben sein, bis sich maßgebende äußere Einflüße so änderten, daß sie die noch überlebende Substanz zu immer größeren Ablenkungen vom ursprünglichen Lebensweg und zu i_mer komplizirteren Umwegen bis zur Erreichung des Todesziels nötigten.

§ 68

Diese Umwege zum Tode, von den konservativen Trieben getreulich festgehalten, bieten uns heute das Bild der Lebenserscheinungen. Wenn man an der ausschließlich konservativen Natur der Triebe festhält, kann man zu anderen Vermutungen über Herkunft und Ziel des Lebens nicht gelangen.

§ 69

Ebenso befremdend wie diese Folgerungen klingt dann, was sich für die großen Gruppen von Trieben ergiebt, die wir hinter den Lebenserscheinungen der Organismen statuieren. Die Aufstellung der Selbsterhaltungstriebe, die wir jedem lebenden Wesen zugestehen, steht in merkwürdigem Gegensatz zur Voraussetzung, daß das gesamte Triebleben der Herbeiführung des Todes dient. Die theoretische Bedeutung der SelbsterhaltungsMacht- und Geltungstriebe schrumpft sozusagen ein; es sind Partialtriebe, dazu bestim̄t, den eigenen Todesweg des Organismus zu sichern und andere Möglichkeiten der Rückkehr zum Anorganischen als die immanenten fernzuhalten, aber das rätselhafte in keinen Zusam̄enhang einfügbare Bestreben des Organismus, sich aller Welt zum Trotz zu behaupten, entfällt. Es erübrigt, daß der Organismus nur auf seine Weise sterben will; auch diese Lebenswächter sind ursprünglich Trabanten des Todes gewesen.

§ 70

In ein ganz anderes Licht rücken die Sexualtriebe, für die welche die Neurosenlehre eine A Sonderstellung in Anspruch genom̄en hat. Nicht alle Organismen sind dem äußeren Zwang unterlegen, der sie zu im̄er weiter gehender Entwicklung antreibt. Vielen ist es gelungen, sich auf ihrer niedrigen Stufe bis auf die Gegenwart zu bewahren; es leben ja noch heute, wenn nicht alle, so doch viele Lebewesen, die den Vorstufen der höheren Thiere und Pflanzen ähnlich sein müßen. Und ebenso machen nicht alle Elementarorganismen, welche den komplizirten Leib eines höheren Lebewesens ausmachen zusam̄ensetzen, den ganzen Entwicklungsweg bis zum natürlichen Tode mit. Einige unter ihnen, die Keimzellen, h bewahren wahrscheinlich die ursprüngliche Struktur der lebenden Substanz und lösen sich, mit allen ererbten und neu erworbenen Triebanlagen beladen, nach einer gewißen Zeit vom ganzen Organismus ab. Vielleicht sind es gerade diese beiden Eigenschaften, die ihnen ihre selbständige Existenz ermöglichen. Unter günstige Bedingungen gebracht beginnen sie sich zu entwickeln d.h. das Spiel, dem sie ihre Entstehung verdanken, zu wiederholen, und dies endet damit, daß wieder ein Anteil ihrer Substanz die Entwicklung bis zum Ende fortführt, während ein anderer als neuer Keimrest von Neuem auf den Anfang der Entwicklung zurückgreift. So arbeiten diese Keimzellen dem Sterben der lebenden Substanz entgegen und wissen für sie zu erringen was uns als potentielle Unsterblichkeit erscheinen muß, wen̄gleich es vielleicht nur eine Verlängerung des Todesweges bedeutet. Völlig unverständlich ist uns die Tatsache, daß die Keimzelle für diese Leistung durch die Verschmelzung mit einer anderen, ihr ähnlichen und doch von ihr verschiedenen, gekräftigt oder überhaupt erst befähigt wird.

§ 71

Die Triebe, welche die Schicksale dieser das Einzelwesen überlebenden Elementarorganismen beh in Acht nehmen, für ihre sichere Unterbringung sorgen, solange sie wehrlos gegen die Reize der Außenwelt sind, ihr Zusam̄entreffen mit den anderen Keimzellen herbeiführen u.s.w. bilden die Gruppe der Sexualtriebe. Sie sind in demselben Sinne konservativ wie die anderen, indem sie frühere Zustände der lebenden Substanz wiederbringen, aber sie sind es in stärkerem Maße, indem sie sich als besonders resistent gegen äußere Einwirkungen erweisen, und dann noch in einem weiteren Sinne, da sie das Leben selbst für längere Zeiten aus erhalten.

§ 72

Sie sind die eigentlichen Lebenstriebe; dadurch, daß sie der Absicht der anderen Triebe, welche durch die Funktion zum Tode führt, entgegenwirken, deutet sich ein Gegensatz zwischen ihnen und den übrigen an, den die Neurosenlehre als bedeutungsvoll erkannt hat. Es ist wie ein Zauderrythmus im Leben der Organismusen; die eine Triebgruppe stürmt nach vorwärts, um das Endziel des Lebens möglichst bald zu erreichen, die andere schnellt an einemr gewißen Punkt Stelle dieses Weges zurück, um ihn von einem bestim̄ten Punkt an nochmals zu machen und so die Wegstre Dauer des Weges zu verlängern. Aber Sexualität und Unterschied der Geschlechter waren zu Anfang des Lebens gewiß nicht vorhanden, und der geschilderte Ablauf erscheint uns als spätere Kom- plikation eines ursprünglich einfacheren und selbst als Wiederholung eines uns unbekan̄ten aber gewiß sehr wichtigen Moments in der Geschichte der lebenden Substanz, von dem an sie gelernt hat, ihr Leben zu verlängern, ein zweites und ein dem ersten entgegengesetzes Ziel zu erwerben.

§ 73

Greifen wir nun selbst zurück um zu fragen ob nicht alle diese Spekulationen der Begründung entbehren: Giebt es wirklich keine anderen Triebe als solche, die einen früheren Zustand wiederherstellen wollen, nicht auch andere, die nach einem noch nie erreichten streben? Ich weiß in der organischen Welt kein sicheres Beispiel, das unserer vorgeschlagenen Charakteristik widerspräche. Ein Trieb zur Höherentwicklung in der Thier- und Pflanzenwelt läßt sich gewiß nicht feststellen, wenn auch eine solche Entwicklungsrichtung tatsächlich unbestritten bleibt. Aber einerseits ist es vielfach nur Sache unserer Einschätzung, wenn wir eine Entwicklungsstufe für höher als eine andere erklären, und anderseits zeigt uns die Wissenschaft des Lebenden, daß Höherentwicklung in einem Punkte sehr häufig durch Rückbildung in einem anderen erkauft oder wettgemacht wird. Auch giebt es Thierformen genug, deren Jugendzustände uns erkennen laßen, daß ihre Entwicklung vielmehr einen rückschreitenden Charakter gewonnen hat. Höherentwicklung wie Rückbildung könnten beide Folgen der zur Anpassung drängenden äußeren Kräfte sein und die Rolle der Triebe könnte sich für beide Fälle darauf beschränken, die aufgezwungene Veränderung als innere Kraftquelle festzuhalten.

§ 74

Vielen von uns mag es auch schwer werden, auf den Glauben zu verzichten, daß im Menschen selbst ein Trieb zur Vervollkom̄nung wohnt, der ihn bis zu auf seine gegenwärtige Höhe geistiger Leistung und ethischer Sublimirung gebracht hat, und von dem man erwarten darf, daß er seine Entwicklung zum Übermenschen besorgen wird. Allein ich glaube nicht an einen solchen inneren Trieb und sehe keinen Weg, diese schöne wolthuende Illusion zu schonen. Die bisherige Entwicklung des Menschen scheint mir keiner anderen Erklärung zu bedürfen als die der Thiere, und was man an einer Minderzal von menschlichen Individuen als rastlosen Drang zu weiterer Vervollkom̄nung beobachtet, läßt sich ungezwungen als Folge der Triebverdrängung verstehen, auf welche das Wertvollste an der menschlichen Kultur aufgebaut ist. Der verdrängte Trieb giebt es nie auf, nach seiner vollen Befriedigung zu streben, die in der Wiederholung eines primären Befriedigungserlebnißes bestünde; alle Ersatz-, Reaktionsbildungen und Sublimirungen sind ungenügend um seine anhaltende Span̄ung aufzuheben, und aus der Differenz zwischen der gefundenen und der geforderten Befriedigungslust ergiebt sich das treibende Moment, welches bei keiner der hergestellten Situationen zu verharren gestattet, sondern nach des Dichters Worten „ungebändigt immer vorwärts dringt" (Mephisto im Faust I Studirzimmer). Der Weg nach rückwärts, zur vollen Befriedigung ist in der Regel durch die Widerstände, welche die Verdrängungen aufrecht halten, verlegt, und somit bleibt nichts anderes übrig als in der anderen noch freien Entwicklungsrichtung fortzuschreiten, allerdings ohne Aussicht, den Prozeß abschließen und das Ziel erreichen zu können.

§ 75

Die Vorgänge bei der Ausbildung einer neurotischen Phobie, die ja nichts anderes als ein Fluchtversuch vor einer Triebbefriedigung ist, geben uns das Vorbild für die Entstehung dieses anscheinenden „Vervollkom̄nungstriebes", den wir aber unmöglich allen menschlichen Individuen zuschreiben können. Die dynamischen Bedingungen dafür sind zwar ganz allgemein vorhanden, aber die oekonomischen Verhältniße scheinen dieas Phänomen nur in seltenen Fällen zu begünstigen.

§ 76

VI.

§ 77

Wenn es ein so allgemeiner Charakter der Triebe ist, daß sie einen früheren Zustand wiederher stellen wollen, so dürfen wir uns nicht darüber verwundern, daß im Seelenleben soviele Vorgänge sich unabhängig vom Lustprinzip vollziehen. Dieser Charakter würde sich jedem Partialtrieb mitteilen und sich in seinem Falle auf die Wiedererreichung einer bestim̄ten Station des Entwicklungsweges beziehen. Aber all dies, worüber das Lustprinzip noch keine Macht bekommen hat, brauchte darum noch nicht im Gegensatz zu ihm zu stehen, und die Aufgabe ist noch ungelöst, das Verhältnis der triebhaften Wiederholungsvorgänge zur Herrschaft des Lustprinzips zu bestimmen.

§ 78

Wir haben es als eine der frühesten und wichtigsten Funktionen des seelischen Apparates erkannt, die anlangenden Triebregungen zu „binden", den in ihnen herrschenden Primärvorgang durch den Sekundärvorgang zu ersetzen, ihre frei bewegliche Besetzungsenergie in vorwiegend ruhende (tonische) Besetzung umzuwandeln. Während dieser Umsetzung kann auf die Entwicklung von Unlust nicht Rücksicht genom̄en werden, allein das Lustprinzip wird dadurch nicht aufgehoben. Die Umsetzung geschieht vielmehr im Dienste des Lustprinzips; die Bindung ist ein vorbereitender Akt, der die Herrschaft des Lustprinzips einleitet und sichert.

§ 79

Trennen wir Funktion und Tendenz schärfer von einander, als wir es bisher gethan haben. Das Lustprinzip ist dann eine Tendenz, welche im Dienste einer Funktion steht, der es zufällt, den seelischen Apparat überhaupt erregungslos zu machen, oder den Betrag der Erregung in ihm konstant oder möglichst niedrig zu erhalten. Wir können uns noch für keine dieser Fassungen sicher entscheiden, aber wir merken, daß die so bestim̄te Funktion Anteil hätte an dem allgemeinsten Streben alles Lebenden, zur Ruhe der anorganischen Welt zurückzukehren. Der alles seelische Leben beherrschende Lusttrieb unterschiede sich in diesem Charakter nicht von den anderen organischen Trieben, welche die somatische Erregung ans Seelische heranbringen. Wir haben alle erfahren, daß die höchste größte uns erreichbare Lust, die des Sexualaktes, mit dem momentanen Erlöschen jede einer hoch gesteigerten Erregung verbunden ist. Die Bindung der Trieberregung wäre aber eine vorbereitende Funktion, welche die Erregung für ihre endgiltige Erledigung in der Abfuhrlust zurichten soll.

§ 80

Aus demselben Zusam̄enhang erhebt sich die Frage, ob die U Lust- und Unlustempfindungen von den gebundenen wie von den ungebundenen Erregungsvorgängen in gleicher Weise erzeugt werden können. Da erscheint es denn ganz unzweifelhaft, daß die ungebundenen, die Primärvorgänge weit intensivere Empfindungen nach beiden Richtungen ergeben als die gebundenen, die des Sekundärvorgangs. Die Primärvorgänge sind auch die zeitlich früheren, zu Anfang des Seelenlebens giebt es keine anderen, und wir können schließen, wenn das Lustprinzip nicht schon bei ihnen in Wirksamkeit wäre, könnte es sich überhaupt für die späteren nicht herstellen. Wir kom̄en so zu dem im Grunde nicht einfachen Ergebnis, daß der Lusttrieb zu Anfang des seelischen Lebens sich weit intensiver äußert als späterhin, aber nicht so uneingeschränkt; er muß sich häufige Durchbrüche gefallen laßen. In reiferen Zeiten ist die Herrschaft des Lustprinzips sehr viel mehr gesichert, aber der Trieb selbst ist der Bändigung so wenig entgangen wie die anderen Triebe.

§ 81

Jedenfalls muß das, was am Erregungsvorgang die Empfindungen von Lust und Unlust entstehen läßt, beim Sekundärvorgang ebenso vorhanden sein wie beim Primärvorgang. Vielleicht sind die sogenan̄ten Span̄ungsempfindungen, die uns das Bewußtsein neben den Lust-Unlustempfindungen von innen her vermittelt, eher auf die gebundenen, die direkten Lust-Unlustempfindungen aber auf die ungebundenen und auf die Abfuhrvorgänge zu beziehen. Vielleicht wird das Vorkom̄en von lustvoller wie von unlustvoller Spannung durch diese Zuteilung unserem Verständnis näher gebracht.

§ 82

Ich halte es für überflüßig, die Zaghaftigkeit wie die Unsicherheit dieser Spekulationen entschuldigen zu wollen. Wer das Tatsächliche hinter ihnen herausgreifen würdigen will, der möge die Erscheinungen des Wiederholungszwanges seiner Aufmerksamkeit würdigen.

§ 83

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