Jenseits des Lustprinzips (1920-006/1920.1)

Über das Werk

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  • Blatow, Arkadi
  • Diplomatische Umschrift, Lektorat
  • Diercks, Christine
  • Huber, Christian
  • Kaufmann, Kira
  • Liepold, Sophie
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  • Andorfer, Peter
  • Stoxreiter, Daniel

Freud, Sigmund: Jenseits des Lustprinzips (1920-006/1920.1). In: Andorfer, Peter; Blatow, Arkadi; Diercks, Christine; Huber, Christian; Kaufmann, Kira; Liepold, Sophie; Roedelius, Julian; Rohrwasser, Michael; Stoxreiter, Daniel (2022): Sigmund Freud Edition: Digitale Historisch-Kritische Gesamtausgabe, Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage, Wien. [3.4.2023], file:/home/runner/work/frd-static/frd-static/data/editions/plain/sfe-1920-006__1920.1.xml
§ 1

Jenseits des Lustprinzips

§ 2

von Sigm. Freud

§ 3

In der psychoanalytischen Theorie nehmen wir unbedenklich an, dass der Ablauf der seelischen Vorgänge, automatisch durch das Lustprinzip reguliert wird, das heisst, wir glauben, dass er jedesmal durch eine unlustvolle Spannung angeregt wird, und dann eine solche Richtung einschlägt, dass sein Endergebnis mit einer Herabsetzung dieser Spannung, als mit einer Vermeidung von Unlust oder Erzeugung von Lust zusa,menfällt. Wenn wir die von uns studirten seelischen Prozesse mit Rücksicht auf diesen Ablauf betrachten, führen wir den oekonomischen Gesichtspunkt in unsere Arbeit ein. Wir meinen, eine Darstellung, die neben dem topischen und dem dynamischen Moment noch dies oekonomische zu würdigen versuche, sei die vollständigste, die wir uns derzeit vorstellen können, und verdiene es, durch den Namen einer metapsychologischen, hervorgehoben zu werden.

§ 4

Es hat dabei für uns kein Interesse zu untersuchen, in wie weit wir uns miz der Aufstellung des Lustprinzips einem bestimmten, historisch festgelegten, philosophischen System angenähert ofder angeschlossen haben. Wir gelangen zu solchen spekulativen Annahmen bei dem Bemühen, von den Tatsachen der täglichen Beobachtung auf unserem Gebiet Beschreibung und Rechenschaft zu geben. Priorität und Originalität gehören nicht zu den Zielen, die der psychoanalytischen Arbeit gesetzt sind, und die Eindrücke, welche der Aufstellung dieses Prinzips zu Grunde leigen, sind so augenfällig dass es kaum möglich ist, sie zu übersehen. Dagegen würden wir uns gerne zur Dankbarkeit gegen eine philosophische oder psychologische Theorie bekennen, die uns zu sagen wüsste, was die Bedeutungen der für uns so imperativen Lust- und Unlustempfindungen sin sind. Leider wird uns hier nichts Brauchbares geboten. Es ist das dunkelste und unzugänglichste Gebiet des Seelenlebens, und wenn wir unmöglich vermeiden können, es zu berühren, so wird die lockerste Annahme darüber, meine ich, die beste sein. Wir haben uns entschlossen, Lust und Unlust mit der Quantität der im Seelenleben vorhandenen-und nicht irgendwie gebundenen- Erregung in Beziehung zu bringen, solcher Art, dass Unlust einer Steigerung, Lust einer Verringerung dieser Quantität entspricht. Wir denken dabei nicht an ein einfaches Verhältnis zwischen der Stärke der Empfindungen und den Veränderungen, auf die sie bezogen werden; am wenigsten-nach allen Erfahrungen der Psychophysiologie- xx an direkte Proportionalität; wahrscheinlich ist das Mass der Verringerung oder Vermehrung in der Zeit das für die Empfindung entscheidende Moment. Das Experiment fände hier möglicher Weise Zutritt, für uns Analytiker ist weiteres Eingehen in diese Problemem nicht geraten, solange nicht ganz bestimmte Beobachtungen uns leiten können.

§ 5

Es kann uns aber nicht gleichgültig lassen, wenn wir finden, daß ein so tiefblickender Forscher wie G. Th. Fechner eine Auffassung von Lust und Unlust vertreten hat, welche im Wesentlichen mit der zusamm̄enfällt, die uns von der psychoanalytischen Arbeit aufgedrängt wird. Die Äußerung Fechner s ist in seiner kleinen Schrift: Einige Ideen zur Schöpfungs- und Entwicklungsgeschichte der Organismen, 1873 (Abschnitt XI, Zusatz, p. 94) enthalten und lautet wie folgt:

" § 6

„Insofern bewußte Antriebe im̄er mit Lust oder Unlust in Beziehung stehen, kann auch Lust oder Unlust mit Stabilitäts- und Instabilitätsverhältnißen in psychophysischer Beziehung gedacht werden, und es läßt sich hierauf die anderwärts von mir näher zu entwickelnde Hypothese begründen, daß jede, die Schwelle des Bewußtseins übersteigende psychophysische Bewegung nach Maßgabe mit Lust behaftet sei, als sie sich der vollen Stabilität über eine gewiße Grenze hinaus nähert, mit Unlust nach Maßgabe, als sie über eine gewiße Grenze davon abweicht, indeß zwischen beiden, als qualitative Schwelle der Lust und Unlust zu bezeichnenden Grenzen eine gewiße Breite aesthetischer Indifferenz besteht, .........“

"
§ 7

Die Tatsachen, die uns veranlasst haben, an die Herrschaft des Lustprinzips im Seelenleben zu glauben, finden auch ihren Ausdruck in der Annahme, dass es ein Bestreben des seelischen Apparats sei, die ihn ihm vorhandene Quantität von Erregung möglichst niedrig oder wenigstens konstant zu erhalten.Esn ist dasselbe, nur in andere Fassung gebracht. denn wenn die Arbeit des seelischen Apparats dahin geht, die Erregungsquantität niedrig zu halten, so muß alles, was dieselbe zu steigern geeignet ist, als funktionswidrig, d.h. als unlustvoll empfunden werden. Das Lustprinzip leitet sich aus dem Konstanzprinzip ab; in Wirklichkeit wurde das Konstanzprinzip aus den Tatsachen ¿¿ erschloßen, die uns die Annahme des Lustprinzips aufnötigten. Bei eingehenderer Diskussion werden wir auch finden, daß dies von uns angenom̄ene Bestreben des seelischen Apparats sich als spezieller Fall dem Fechner schen Prinzip zum der Tendenz zur Stabilität unterordnet, zu dem der er die Lust- Unlustempfindungen in Beziehung gebracht hat.

§ 8

Dann müssen wir aber sagen, es sei eigentlich unrichtig, von einer Herrschaft des Lustprinzips über den Ablauf der seelischen Prozesse zu reden. Wenn eine solche bestände, müsste die übergrosse Mehrheit unserer Seelenvorgänge von Lust begleitet sein oder zur Lust führen, während doch die allgemeinste Erfahrung dieser Folgerung energisch widerspricht. Es kann also nur so sein, dass eine starke Tendenz zum Lustprinzip in der Seele besteht, der sich aber gewisse andere Kräfte oder Verhältnisse widersetzen, so dass der Endausgang nicht immer

§ 9

⎾ [eingeklebte Ergänzung]

§ 10

Es kann uns aber nicht gleichgültig lassen, wenn wir finden, daß ein so tiefblickender Forscher wie G. Th. Fechner eine Auffassung von Lust und Unlust vertreten hat, welche im Wesentlichen mit der zusamm̄enfällt, die uns von der psychoanalytischen Arbeit aufgedrängt wird. Die Äußerung Fechner s ist in seiner kleinen Schrift: Einige Ideen zur Schöpfungs- und Entwicklungsgeschichte der Organismen, 1873 (Abschnitt XI, Zusatz, p. 94) enthalten und lautet wie folgt:

" § 11

"Insofern bewußte Antriebe im̄er mit Lust oder Unlust in Beziehung stehen, kann auch Lust oder Unlust mit Stabilitäts- und Instabilitätsverhältnißen in psychophysischer Beziehung gedacht werden, und es läßt sich hierauf die anderwärts von mir näher zu entwickelnde Hypothese begründen, daß jede, die Schwelle des Bewußtseins übersteigende psychophysische Bewegung nach Maßgabe mit Lust behaftet sei, als sie sich der vollen Stabilität über eine gewiße Grenze hinaus nähert, mit Unlust nach Maßgabe, als sie über eine gewiße Grenze davon abweicht, indeß zwischen beiden, als qualitative Schwelle der Lust und Unlust zu bezeichnenden Grenzen eine gewiße Breite aesthetischer Indifferenz besteht, ........."

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§ 12

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§ 13

denn wenn die Arbeit des seelischen Apparats dahin geht, die Erregungsquantität niedrig zu halten, so muß alles, was dieselbe zu steigern geeignet ist, als funktionswidrig, d.h. als unlustvoll empfunden werden. Das Lustprinzip leitet sich aus dem Konstanzprinzip ab; in Wirklichkeit wurde das Konstanzprinzip aus den Tatsachen ¿¿ erschloßen, die uns die Annahme des Lustprinzips aufnötigten. Bei eingehenderer Diskussion werden wir auch finden, daß dies von uns angenom̄ene Bestreben des seelischen Apparats sich als spezieller Fall dem Fechner schen Prinzip zum der Tendenz zur Stabilität unterordnet, zu dem der er die Lust- Unlustempfindungen in Beziehung gebracht hat. der Lusttendenz entsprechen kann. Vgl Die Bemerkung Fechner’s bei ähnlichem Anlaße (ebda ^p 90): „Damit aber, daß die Tendenz zum Ziele noch nicht die Erreichung des Zieles bedeutet und das Ziel überhaupt nur in Approximationen erreichbar ist, ...........“ Wenn wir uns nun der Frage zuwenden, welche Umstände die Durchsetzung des Lustprinzips zu vereiteln vermögen, dann betreten wir wieder sicheren und bekannten Boden und können unsere analytischen Erfahrungen in reichem Ausmass zur Beantwortung heranziehen.

§ 14

Der erste Fall einer solchen Hemmung des Lustprinzips ist uns als ein gesetzmässiger vertraut. Wir wissen, dass das Lustprinzip einer primären Arbeitsweise des seelischen Apparats eignet, und dass es für die Selbstbehauptung des Organismus unter den Schwierigkeiten der Aussenwelt so recht von Anfang an unbrauchbar, ja in hohem Grade gefährlich ist. Unter dem Einfluss der Selbsterhaltungstriebe des Ichs wird es vom Realitätsprinzip abgelöst, welches, ohne die Absicht endlicher Lustgewinnung aufzugeben, doch den Aufschub der Befriedigung, den Verzicht auf mancherlei Möglichkeiten einer solchen, und die zeitweilige Duldung der Unlust auf dem langen Umwege zur Lust fordert und durchsetzt. Das Lustprinzip bleibt dann noch lange Zeit die Arbeitsweise der schwerer “erziehbaren“ Sexualtriebe, und es kommt immer wieder vor, dass es, sei es von diesen letzteren aus, sei es im Ich selbst, das Realitätsprinzip zum Schaden des ganzen Organismus überwältigt.

§ 15

Es ist indes unzweifelhaft, dass die Ablösungs des Lustprinzips durch das Realitätsprinzip nur für einen geringen und nicht für den intensiw vsten Teil der Unlusterfahrungen verantwortlich gemacht werden kann. Eine andere, nicht weniger gesetzmässige, Quelle der Unlustentbindung ergiebt sich aus den Konflikten und Spaltungen im seelischen Apparat, während das Ich seine Entwicklung zu höher zusammengesetzten Organisationen durchmacht. Fast alle Energie, die den Apparat erfüllt, stammt aus den mitgebrachten Triebrecgungen, aber diese werden nicht alle zu den gleichen Entwicklungsphasen zugelassen. Unterwegs geschieht es immer wieder, dass einzelne Triebe oder Triebantei-

§ 16

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§ 17

Vgl Die Bemerkung Fechner’s bei ähnlichem Anlaße (ebda ^p 90): „Damit aber, daß die Tendenz zum Ziele noch nicht die Erreichung des Zieles bedeutet und das Ziel überhaupt nur in Approximationen erreichbar ist, ...........“ le sich in ihren Zielen oder Ansprüchen als xxxxxxxxxxx unverträglich mit den übrigen erweisen, die sich zu der umfassenden Einheit des Ichs zusammenschliessen können. Sie werden dann von dieser Einheit durch den Prozess der Verdrängung abgespalten, auf niedrigeren Stufen der psychischen Entwicklung zurückgehalten und zunächst von der Möglichkeit einer Befriedigung abgeschnitten. Gelingt es ihnen dann, was bei den verdrängten Sexualtrieben so leicht geschieht, sich auf Umwegen zu einer direkten oder Ersatzbefriedigung durchzuringen, so wird dieser Erfolg, der sonst eine Lustmöglichkeit gewesen wäre, vom Ich als Unlust empfunden. Infolge des alten, in die Verdrängung auslaufenden Konfliktes hat das Lustprinzip einen neuerlichen Durchbruch erfahren, gerade während gewisse Triebe am Werke waren, in Befolgung des Prinzips neue Lust zu gewinnen. Die Einzelheiten des Vorganges, durch welchen die Verdrängung eine Lustmöglichkeit in eine Unlustquelle verwandelt, sind noch nicht gut verstanden oder nicht klar darstellbar, aber sicherlich ist alle neurotische Unlust von solcher Art, ist Lust, die nicht als solche empfunden werden kann.

§ 18

Die beiden hier angezeigten Quellen der Unlust decken noch lange nicht die Mehrzahl unserer Unlusterlebnisse, aber vom Rest wird man mit einem Anschein von gutem Recht behaupten, dass sein Vorhandensein der Herrschaft des Lustprinzips nicht widerspricht. Die meiste Unlust, die wir verspüren, ist ja Wahrnehmungsunlust, entweder Wahrnehmung des Drängens unbefriedigter Triebe oder äussere Wahrnehmung, sei es, dass diese an sich peinlich ist, oder dass sie unlustvolle Erwartungen im seelischen Apparat erregt, von ihm als “Gefahr“ erkannt wird. Die Reaktion auf diese Triebansprüche und Gefahrdrohungen, in der sich die eigentliche Tätigkeit des seelischen Apparats äussert, kann dann in korrekter Weise vom Lustprinzip oder dem es modifizierenden Realitätsprinzip geleitet werden. Somit scheint es nicht notwendig, eine weitergehende Einschränkung des Lustprinzips anzuerkennen, und doch kann gerade die Untersuchung der seelischen Reaktion auf die äusserliche Gefahr neuen Stoff und neue Fragestellungen zu dem hier behandelten Problem liefern.

§ 19

II.

§ 20

Nach schweren mechanischen Erschütterungen, Eisenbahnzusammenstössen und anderen, mit Lebensgefahr verbundenen Unfällen ist seit langem ein Zustand beschrieben worden, dem dann der Name “traumatische Neurose“ verblieben ist. Der schreckliche, eben jetzt abgelaufene Krieg hat eine grosse Anzahl solcher Erkrankungen entstehen lassen und wenigstens der Versuchung ein Ende gesetzt, sie auf organische Schädigung des Nervensystems durch Einwirkung mechanischer Gewalt zurückzuführen.+/+/ Das Zustandsbild der traumatischen Neurose nähert sich der Hysterie durch seinen Reichtum an ähnlichen motorischen Symptomen, übertrifft diese aber in der Regel durch die stark ausgebildeten Anzeichen subjektiven Leidens, etwa wie bei einer Hypochondrie oder Melancholie, und durch die Beweise einer weit umfassenderen allgemeinen Schwächung und Zerrüttung der seelischen Leistungen. Ein Verständnis ist bisher weder für die Kriegsneurosen noch für die traumatischen Neurosen des Friedens erzielt worden. Bei den Kriegsneurosen wirkte es einerseits aufklärend, aber doch wiederum verwirrend, dass dasselbe Krankheitsbild gelegentlich ohne Mithilfe einer groben mechanischen Gewalt zu Stande kommen konnte; an der gemeinen traumatischen Neurose heben sich zwei Züge hervor, an welche die Ueberlegung anknüpfen konnte, erstens, dass das Hauptgewicht der Verursachung auf das Moment der Überraschung, auf den Schreck, zu fallen schien, und zweitens, dass eine gleichzeitig erlittene Verletzung oder Wunde zumeist der Entstehung der Neurose entgegenwirkte. Schreck, Furcht, Angst werden mit Unrecht wie synonyme Ausdrücke gebraucht; sie lassen sich in ihrer Beziehung zur Gefahr gut auseinanderhalten. Angst bezeichnet einen gewissen Zustand wie Erwartung der Gefahr und Vorbereitung auf dieselbe, mag sie auch eine unbekannte sein; Furcht verlangt ein bestimmtes Objekt, vor dem man sich fürchtet; Schreck aber benennt den Zustand, in den man gerät, wenn man in Gefahr kommt, ohne auf sie vorbereitet zu sein, betont das Moment der Ueberraschung. Ich glaube nicht, dass die Angst eine traumatische Neurose erzeugen kann; an der Angst ist etwas, was gegen den Schreck und also auch gegen die Schreckneurose schützt. Wir werden auf diesen Satz später zurückkommen.

++ // Vgl. Zur Pychoanalyse der Kriegsneurosen, mit Beiträgen von Ferenczi, Abraham, Simmel und E. Jones. Band I. Der Internat. Psychoanalytischen Bibliothek, 1919. § 21

Das Studium des Traumes dürfen wir als den zuverlässigsten Weg zur Erforschung der seelischen Tiefenvorgänge betrachten. Nun zeigt das Traumleben der traumatischen Neurose den Charakter, dass es den Kranken immer wieder in die Situation seines Unfalles zurückführt, aus der er mit neuem Schrecken erwacht. Darüber verwundert man sich viel zu wenig. Man meint, es sei eben ein Beweis für die Stärke des Eindrucks, den das traumatische Erlebnis gemacht hat, dass es sich dem Kranken, sogar im Schlaf, immer wieder aufdrängt. Der Kranke sei an das Trauma sozusagen psychisch fixirt. Solche Fixirungen an das Erlebnis, welches die Erkrankung ausgelöst hat, sind uns seit langem bei der Hysterie bekannt. Breuer und Freud äusserten 1893: Die Hysterischen leiden grossenteils an Reminiszenzen. Auch bei den Kriegsneurosen haben Beobachter wie Ferenczi und Simmel manche motorische Symptome durch Fixirung an den Moment des Traumas erklären können.

§ 22

Allein es ist mir nicht bekannt, dass die an traumatischer Neurose Krankenden sich im Wachleben viel mit der Erinnerung an ihren Unfall beschäftigen. Vielleicht bemühen sie sich eher, nicht an ihn zu denken. Wenn man es als selbstverständlich hinnimmt, dass der nächtliche Traum sie wieder in die krankmachende Situation versetzt, so verkennt man die Natur des Traumes. Dieser würde es eher entsprechen, dem Kranken Bilder aus der Zeit der Gesundheit oder der erhofften Genesung vorzuführen. Sollen wir durch die Träume der Unfallsneurotiker nicht an der wunscherfüllenden Tendenz des Traumes irre werden, so bleibt uns etwa noch die Auskunft, bei diesem Zustand sei wie so vieles andere auch die Traumfunktion erschüttert und von ihren Absichten abgelenkt worden.

§ 23

Ich mache nun den Vorschlag, das dunkle und düstere Thema der traumatischen Neurose zu verlassen und die Arbeitsweise des seelischen Apparates an einer seiner frühzeitigsten, normalen Betätigungen zu studieren. Ich meine das Kinderspiel.

§ 24

Die verschiedenen Theorien des Kinderspeiels xx sind erst kürzlich von S. Pfeifer in der „Imago“ (V/4) zusammengestellt und analytisch gewürdigt worden; ich kann hier aufh diese Arbeit verweisen. Diese Theorien bemühen sich, die Motive des Spielens der Kinder zu erraten, ohne dass dabei der oekonomische Gesichtspunkt, die Rücksicht auf Lustgewinn, in den Vordergrund gerückt würde. Ich habe, ohne das Ganze dieser Erscheinungen umfassen zu wollen, eine Gelegenheit ausgenützt, die sich mir bot, um das erste selbstgeschaffene Spiel eines Knaben im Alter von 1½ Jahre aufzuklären. Es war mehr als eine flüchtige Beobachtung, denn ich lebte durch einige Wochen mit dem Kinde und dessen Eltern unter einem Dach, und es dauerte ziemlich lange, bis das rätselhafte und andauernd wiederholte Thun mir seinen Sinn verriet.

§ 25

Das Kind war in seiner intellektuellen Entwicklung keineswegs voreilig, es sprach mit 1½ Jahren erst wenige verständliche Worte und verfügte ausserdem über mehrere bedeutungsvolle Laute, die von der Umgebung verstanden wurden. Aber es war in gutem Rapport mit den Eltern und dem einzigen Dienstmädchen und wurde wegen seines “anständigen“ Charakters gelobt. Es störte die Eltern nicht zur Nachtzeit, befolgte gewissenhaft die Verbote, manche Gegenstände zu berühren und in gewisse Räume zu gehen, und vor allem anderen, es weinte nie, wenn die Mutter es für Stunden verliess, obwohl es dieser Mutter zärtlich anhing, die das Kind nicht nur selbst genährt, sondern auch ohne jede fremde Beihilfe gepflegt und betreut hatte. Dieses brave Kind zeigte nun die gelegentlich störende Gewohnheit, alle kleinen Gegenstände, deren es habhaft wurde, weit weg von sich in eine Zimmerecke, unter ein Bett u.s.w. zu schleudern, so dass das Zusammensuchen seines Spielzeuges oft keine leichte Arbeit war. Dabei brachte es mit dem Ausdruck von Interesse und Befriedigung ein lautes, langgezogenes 00000 o–o–o–o hervor, das nach dem übereinstimmenden Urteil der Mutter und des Beobachters keine Interjektion war, sonderen “Fort“ bedeutete. Ich merkte endlich, dass das ein Spiel sei, und dass das Kind alle seine Spielsachen nur dazu benützte, mit ihnen “fortsein“ zu spielen.

§ 26

Eines Tages machte ich dann die Beobachtung, die meine Auffassung bestätigte. Das Kind hatte eine Holzspule, die mit einem Bindfaden umwickelt war. Es fiel ihm nie ein, sie z.B. am Boden hinter sich herzuziehen, also Wagen mit ihr zu spielen; sondern es warf die am Faden gehaltene Spule mit grossem Geschick über den Rand seines verhängten Bettchens, so dass sie darin verschwand, sagte dazu sein bedeutungsvolles 00000 o–o–o–o und zog dann die Spule am Faden wieder aus dem Bett heraus, begrüsste aber deren Erscheinen jetzt mit einem freudigen "Da“. Das war also das komplette Spiel, Verschwinden und Wiederkommen, wovon man zumeist nur den ersten Akt zu sehen bekam, und dieser W wurde für sich allein unermüdlich als Spiel wiederholt, obwohl die grössere Lust unzweifelhaft dem zweiten Akt anhing. x) x)

§ 27

Die Deutung des Spieles lag dann nahe. Es war im Zusammenhang mit der grossen kulturellen Leistung des Kindes, mit dem von ihm zustande gebrachten Triebverzicht (Verzicht auf Triebbefriedigung), das Fortgehen der Mutter ohne Sträuben zu gestatten. Es entschädigte sich gleichsam dafür, indem es dasselbe Verschwinden und Wiederkommen mit den ihm erreichbaren Gegenständen selbst in Szene setzte. Für die affektive Einschätzung dieses Spieles ist es natürlich gleichgiltig, ob das Kind es selbst erfunden oder sich infolge einer Anregung zu eigen gemacht hatte. Unser Interesse wird sich einem anderen Punkte zuwenden. Das Fortgehen der Mutter kann dem Kinde unmöglich angenehm, oder auch nur gleichgiltig gewesen sein. Wie stimmt es also zum Lustprinzip, dass es dieses ihm peinliche Erlebnis als Spiel wiederholt? Man wird vielleicht antworten wollen, das Fortgehen müsste als Vorbedingung des erfreulichen Wiedererscheinens gespielt werden, im letzteren sei die eigentliche Spielabsicht gelegen. Dem würde die Beobachtung widersprechen, dass der erste Akt, das Fortgehen, für sich allein als Spiel inszenisiert wurde, und zwar ungleich häufiger als das zum lustvollen Ende fortgeführte Ganze.

§ 28

Die Analyse eines solchen einzelnen Falles ergibt keine sichere Entscheidung:; bei unbefangener Betrachr tung gewinnt man den Eindruck, dass das Kind das Erlebnis aus einem anderen Mo- tiv als zum Spiel wiederholt gemacht hat. Es war dabei passiv, wurde vom Erlebnis betroffen und bringt sich nun in eine aktive Rolle, indem es dasselbe, trotzdem es unlustvoll war, als Spiel wiederholt. Dieses Bestreben könnte man einem Bemächtigungstrieb

x) x) Diese Deutung wurde dann durch eine weitere Beobachtung völlig gesichert. Als eines Tages die Mutter über viele Stunden abwesend gewesen war, wurde sie beim Wiederkom̄en mit der Mitteilung begrüßt: Bebi oooo! die zunächst unverständlich blieb. Es ergab sich aber bald, daß das Kind während dieses langen Alleinseins ein Mittel gefunden hatte, sich selbst verschwinden zu lassen., indem. Es hatte sein Bild in dem fast bis zum Boden reichenden Standspiegel entdeckt und sich dann wiedererkannt, so daß das Spiegelbild „fort“ war. § 29

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§ 30

x) Diese Deutung wurde dann durch eine weitere Beobachtung völlig gesichert. Als eines Tages die Mutter über viele Stunden abwesend gewesen war, wurde sie beim Wiederkom̄en mit der Mitteilung begrüßt: Bebi oooo! die zunächst unverständlich blieb. Es ergab sich aber bald, daß das Kind während dieses langen Alleinseins ein Mittel gefunden hatte, sich selbst verschwinden zu lassen., indem. Es hatte sein Bild in dem fast bis zum Boden reichenden Standspiegel entdeckt und sich dann wiedererkannt, so daß das Spiegelbild „fort“ war. zurechnen, der sich davon unabhängig macht, ob die Erinnerung an sich lustvolle war oder nicht. ! Man kann aber aufch eine andere Deutung versuchen. Das Wegwerfen des Gegenstandes, so d dass er fort ist, könnte die Befriedigung eines im Leben unterdrückten Racheimpulses gegen die Mutter sein, weil sie vom Kinde Kinde fortgegangen ist, und dann die trotzige Bedeutung haben: Ja, geh’ nur fort, ich brauch’ dich nicht, ich schick’ dich selber weg. Dasselbe Kind, das ich mit 1½ Jahren bei seinem ersten Spiel beobachtete, pflegte ein Jahr später, ein Spielzeug, über das es sich geäussrgert hatte, auf den Boden zu werfen und dabei zu sagen: Geh’ in K(r)ieg! Man hatte ihm damals erzählt, der abwesende Vater befindet sich im Krieg, und es vermisste den Vater gar nicht, sondern gab die deutlichsten Anzeichen von sich, dass es im Alleinbesitz der Mutter nicht gestört werden wolle. Wir wissen auch von anderen Kindern, dass sie ähnliche feindselige Regungen durch das Wegschleudern von Gegenständen, an Stelle der Personen auszudrücken vermögen. x/x/ Man gerät so im n Zweifel, ob der Drang, etwas Eindrucksvolles psychisch zu verarbeiten, sich seiner voll zum bemächtigen, sich primär und unabhängig vom Lustprinzip äussern kann. Im hier diskutierten Falle könnte er einen unangenehmen Eindruck doch nur darum im Spiel wiederholen, weil mit dieser Wiederholung ein andersartiger, aber direkter Lustgewinn verbunden ist.

§ 31

Auch die weitere Verfolgung des Kinderspieles hilft diesem unserem Schwanken zwischen zwei Auffasssungen nicht ab. Man sieht, dass die Kinder alles im Spiele wiederholen, was ihnen im Leben grossen Eindruck gemacht hat, dass sie dabei die Stärke des Eindrucks abreagieren und sich sozusagen zu Herren der Situation machen. Aber anderseits ist es klar genug, dass all ihr Spielen unter dem Einfluss des Wunsches steht, der diese ihre Zeit dominirt, des Wunsches: gross zu sein und so tun zu können wie die Grossen. Man macht auch die Beobachtung, dass der Unlustcharakter des Erlebnisses es nicht immer für das Spiel unbrauchbar macht. Wenn der Doktor dem Kinde in den Hals geschaut oder eine kleine Operation an ihm gemacht ausgeführt hat, so wird dies erschreckende Erlebnis in die Aktivität des Spieles ganz gewiss zum Inhalt des nächsten Spieles werden, aber der Lustgewinn aus anderer Quelle ist dabei nicht zu übersehen. Indem das Kind aus der Passivität des Erlebens in die Aktivität des Spieles übergeht, fügt es einem Spielgefährten das Unangenehme zu, das ihm selbst widerfahren war, und rächt sich so an der Person dieses Stellvertreters.

+/+/ Vgl. Eine Kindheitserinnerung aus “Dichtung und Wahrheit“, Imago V/4., Sammlg. kl. Schr. zur Neurosenlehre. IV. Folge. § 32

Aus diesen Erörterungen geht immerhin hervor, dass die Annahme eines besonderen Nachahmungstriebes als Motiv des Spielens überflüssig ist. Schliessen wir noch die Mahnungen an, dass das künstlerische Spielen und Nachahmen der Erwachsenen, das zum Unterschied vom Verhalten des Kindes. auf die Person des Zuschauers zielt, diesem die schmerzlichsten Eindrücke z.B. in der Tragödie nicht erspart, und doch von ihm als hoher Genuss empfunden werden kann. Wir werden so davon überzeugt, dass es auch unter der Herrschaft des Lustprinzips Mittel und Wege genug gibt, um das an sich Unlustvolle zum Gegenstand der Erinnerung und seelischen Bearbeitung zu machen. Mag sich mit diesen in endlichen Lustgewinn auslaufenden Fällen und Situationen eine oekonomisch gerichtete Aesthetik befassen; für unsere Absichten leisten sie nichts, denn sie setzen Existenz und Herrschaft des Lustprinzips voraus, und zeugen nicht für die Wirksamkeit von Tendenzen jenseits des Lustprinzips, d.h. solcher, die ursprünglicher als dies und von ihm unab- hängig wären. |

§ 33

III.

§ 34

III.

§ 35

Fünfundzwanzig Jahre intensiver Arbeit haben es mit sich gebracht, dass die nächsten Ziele der psychoanalytischen Technik heute ganz andere sind als zu Anfang. Zuerst als das den Kranken verborgene konnte der analysierende Arzt nichts anderes anstreben, als das dem Kranken verborgene Unbewusste zu erraten, zusammenzusetzen und zur rechten Zeit mitzuteilen. Die Psychoanalyse war vor allem eine Deutungskunst. Da die therapeutische Aufgabe dadurch nicht gelöst war, trat sofort die nächste Absicht auf, den Kranken zur Bestätigung der Konstruktion durch seine eigene Erinnerung zu nötigen. Bei diesem Bemühen fiel das Hauptgewicht auf die Widerstände des Kranken; die Kunst war jetzt, diese baldigst aufzudecken, dem Kranken zu zeigen und ihn durch menschliche Beeinflussung (hier die Stelle für die als “Uebertragung“ wirkende Suggestion) zum Aufgeben der Widerstände zu bewegen.

§ 36

Dann aber wurde es immer deutlicher, dass das gesteckte Ziel, die Bewusstwerdung des Unbewussten, auch auf diesem Wege nicht voll erreichbar ist. Der Kranke kann von dem in ihm Verdrängten nicht alles erinnern, vielleicht gerade das Wesentliche nicht, und erwirbt so keine Ueberzeugung von der Richtigkeit der ihm mitgeteilten Konstruktion. Er ist vielmehr genötigt, das Verdrängte als gegenwärtiges Erlebnis zu wiederholen, anstatt es, wie der Arzt es lieber sähe, als ein Stück der Vergangenheit zu erinnern . Diese mit unerwünschter Treue auftretende Reproduktion hat immer ein Stück des infantilen Sexuallebens, also des Oedipuskomplexes und seiner Ausläufer, zum Inhalt und spielt sich regelmässig auf dem Gebiete der Übertragung, das heisst der Beziehung zum Arzt ab. Hat man es in der Behandlung so weit gebracht, so kann man sagen, die frühere Neurose sei nun durch eine frische Übertragungsneurose ersetzt. Der Arzt hat sich sich bemüht, den Berich dieser Uebertragungsneurose möglichst einzuschränken, möglichst viel in die Erinnerung zu drängen und möglichst wenig zur Wiederholung zuzulassen. Das Verhältnis, das sich zwischen Erinnerung und Reproduktion herstellt, ist für jeden Fall ein anderes. In der Regel ,kann der Arzt dem Analysierten diese Phase der Kur nicht ersparen; er muss ihn ein gewisses Stück seines vergessenen Lebens wiedererleben lassen und hat dafür zu sorgen, dass ein Mass von Ueberlegenheit erhalten bleibt, kraft dessen die anscheinende Realität doch nicht immer wieder als Spielzeuggelung einer vergessenen Vergangenheit erkannt wird. Gelingt dies, so ist die Überzeugung des Kranken und der von ihr abhängige therapeutische Erfolg gewonnen.

§ 37

Um diesen “ Wiederholungszwang“, der sich während der psychoanalytischen Behandlung der Neurotiker äussert, begreiflicher zu finden, muss man sich vor allem von dem Irrtum frei machen, man habe es bei der Bekämpfung der Widerstände mit dem Widerstand des Unbewussten zu tun. Das Unbewusste, d.h. “das Verdrängte“, leistet den Bemühungen der Kur überhaupt keinen Widerstand, es strebt ja selbst nichts anderes an, als gegen den auf ihm lastenden Druck zum Bewusstsein oder zur Abfuhr durch die reale Tat durchzudringen. Der Widerstand in der Kur geht von denselben höheren Schichten und Systemen des Seelenlebens aus, die seinerzeit die Verdrängung durchgeführt haben. Da aber die Motive der Widerstände, ja diese selbst erfahrungsmässig in der Kur zunächst unbewusst sind, werden wir gemahnt, eine Unzweckmässigkeit unserer Ausdrucksweise zu verbessern. Wir entgehen der Unklarheit, wenn wir nicht das Bewusste und das Unbewusste, sondern das zusammenhängende Ich und das Verdrängte in Gegensatz zu einander bringen. Vieles am Ich mag sicherlich selbst unbewusst sein; wahrscheinlich nur einen Teil davon decken wir mit dem Namen des Vorbewussten. Nach dieser Ersetzung einer bloss desskriptiven Ausdrucksweise durch eine systematische oder dynamische können wir sagen, der Widerstand der Analysierten gehe von ihrem Ich aus, und dann erfassen wir sofort, der Widerstandszwang Wiederholungszwang ist dem unbewussten Verdrängten zuzuschreiben. Er konnte sich wahrscheinlich nicht eher äussern, als bis die entgegenkommende Arbeit der Kur, die Verdrängung gelockert hatte.

§ 38

Es ist kein Zweifel, dass der Widerstand des bewussten und vorbewussten Ichs im Dienste des Lustprinzips steht, er will ja die Unlust ersparen, die durch das Freiwerden des Verdrängten errregt würde, und unsere Bemühung geht dahin, solcher Unlust unter Berufung auf das Realitätsprinzip Zulassung zu erwirken. In welcher Beziehung zum Lustprinzip steht aber der Wiederholungszwang., Ddie Kraftäusserung des Verdrängten? Es ist klar, dass das meiste, was der Wiederholungszwang wiedererleben lässt, dem Ich Unlust bringen muss, denn er fördert ja Leistungen verdrängter Triebregungen zu Tage; aber das ist Unlust, die wir schon gewürdigt haben, die dem Lustprinzip nicht widerspricht, Unlust für das eine System und gleichzeitig Befriedigung für das andere. Die neue und merkwürdige Tatsache aber, die wir jetzt zu beschreiben haben, ist, dass der Wiederholungszwang auch solche Erlebnisse der Vergangenheit wiederbringt, die keine Lustmöglichkeit enthalten, die auch damals nicht Befriedigungen, selbst nicht von seither verdrängten Triebregungen, gewesen sein können.

§ 39

Die Frühblüte des infantilen Sexuallebens war infolge der Unverträglichkeit ihrer Wünsche mit der Realität und der Unzulänglichkeit der kindlichen Entwicklungsstufe zum Untergang bestimmt. Sie gieng bei den peinlichsten Anlässen unter tief schmerzlichen Empfindungen zu Grunde. Der Liebes- verlust und das Misslingen hinterliessen eine dauernde Beeinträchtigung des Selbstgefühls als narzistische Narbe., S15⎾nach meinen Erfahrungen wie nach den Ausführungen Marcinowski’s x)x) den stärksten Beitrag zu dem häufigen „Minderwertigkeitsgefülen) der Neurotiker. Die Sexualforschung, der durch die körperliche Ent- wicklung des Kindes Schranken gesetzt werden, brachte es zu keinem befriedigenden Abschluss; daher die spätere Klage: Ich kann nichts fertigbringen, mir kann nichts gelingen. Die zärtliche Bindung, meist an den gegengeschlechtlichen Elternteil, erlag der Enttäuschung, dem vergeblichen Warten auf Befriedigung, der Eifersucht bei der Geburt eines neuen Kindes, die unzweideutig die Untreue des oder der Geliebten erwies; der eigene mit tragischem Ernst unternommene Versuch, selbst ein solches Kind zu schaffen, xxx miss- lang in beschämender Weise; die Abnahme der dem Kleinen gespendeten Zärtlichkeit, der gesteigerte Anspruch der Erziehung, ernste Worte und eine gelegentliche Bestrafung hatten endlich den ganzen Umfang der ihm zugefallenen Verschmähung enthüllt. Es gibt dahier einige wenige Typen, die regelmässig wiederfinden kehren, undwie der typischen Liebe dieser Kinderzeit ein Ende gesetzen t wird.

§ 40

Alle diese unerwünschten Anlässe und schmerzlichen Affektklagen werden nun vom Neurotiker in der Uebertragung wiederholt und mit grossem Geschick neu belebt. Sie streben den Abbruch der unvollendeten Kur an, sie wissen sich den Eindruck der Verschmähung wieder zu verschaffen, den Arzt zu harten Worten und kühlem Benehmen gegen sie zu nötigen, sie finden die geeignteten Objekte für ihre Eifersucht, sie ersetzen das heiss begehrte Kind der Urzeit durch den Vorsatz oder das Versprechen eines grossen Geschenkes, das meist ebensowenig real wird wi... e jenes. Nichts von alledem köonnte damals lustbringend sein; man sollte meinen, es müsste heute die geringere Unlust bringen, wenn es als Erinnerung auftauchte, als wenn es sich zu neuem Erklebnis gestaltete. Aber ein Zwang drängt zum letzteren.

x) Marcinowski, Die erotischen Quellen des r Minderwertigkeitsgefühle, Zeitsch. f. Sexualwissenschaft IV. 1918 § 41

⎾[eingeklebte Ergänzung]

§ 42

S15⎾ nach meinen Erfahrungen wie nach den Ausführungen Marcinowski’s x)x) den stärksten Beitrag zu dem häufigen „Minderwertigkeitsgefülen) der Neurotiker.

x)x) Marcinowski , Die erotischen Quellen des r Minderwertigkeitsgefühle, Zeitsch. f. Sexualwissenschaft IV. 1918 § 43

Dasselbe, was die Psychoanalyse an den Uebertragungsphänomenen der Neurotiker aufzeigt, kann man auch im Leben nicht neurotischer Personen wiederfinden. Es macht bei diesen den Eindruck eines sie verfolgenden Schicksals, eines dämonischen Zuges in ihrem Erleben, und die Psychoanalyse hat vom Anfang an, solches Schicksal für zum grossen Teil selbstbereitet und durch frühinfantile Einflüsse determiniert gehalten. Der Zwang, der sich dabei äussert, ist vom Wiederholungszwang der Neurotiker nicht verschieden, wenngleich diese Personen niemals die Zeichen eines durch Symptombildung erledigten neurotischen Konflikts geboten haben. So kennt man Personen, bei denen jede menschliche Beziehung den Ausx gleichen Ausgang nimmt;: Wohltäter, die von jedem ihrer Schützlinge, nach einiger Zeit, im Groll verlassen werden, so verschieden diese sonst auch sein mögen, denen also bestimmt scheint, alle Bitterkeit des Undanks auszukosten; Männer, bei denen jede Freundschaft den Ausgang nimmt, dass der Freund sie verrät; andere, die es unbestimmt oft in ihrem Leben wiederholen, eine andere Person zur grossen Autorität für sich oder auch für die Oeffentlichkeit zu erheben, und diese Autorität dann nach abgemessener Zeit selbst stürzen, um sie durch eine neue zu ersetzen; Liebende, bei denen jedes zärtliche Verhältnis zum Weibe dieselben Phasen durchmacht und zum gleichen Ende führt u.s.w., us.w. Wir verwundern uns über diese “ewige Wiederkehr des Gleichen“ nur wenig, wenn es sich um ein aktives Verhalten des Betreffenden handelt ,und wenn wir den sich gleichbleibenden Charakterzug seines Wesens auffinden, der sich in der Wiederholung der nämlichen Erg lebnisse äussern muss. Weit stärker wirken jene Fälle auf uns, bei denen die Person etwas passiv zu erleben scheint, worauf ihr ein Einfluss nicht zusteht, während sie doch immer nur die Wiederho- lung desselben Schicksals erlebt. Man denke z.B. an die Geschichte jener Frau, die dreimal nacheinander Männer heiratete. , die nach kurzer Zeit erkrankten und von ihr zu Tode gepflegt werden mussten.+/+/ Die ergreifendste, poetische Darstellung eines solchen Schicksalsszuges hat Tasso im romantischen Epos “Gerusalemme liberata“ gegeben. Held Tankred hat unwissentlich, die von ihm geliebte Clorinda getötet, als sie in der Rüstung eines feindseligenlichen Ritters mit ihm kämpfte. Nach ihrem Begräbnis dringt er in den unheimlichen Zauberwald ein, der das Heer der Kreuzfahrer schreckt. Dort zerhaut er einen hohen Baum mit seinem Schwerte, aber aus der Wunde des Baumes strömt Blut, und die Stimme Clorinda’s, deren Seele in diesen n Baum gebannt war, klagt ihn an, dass er wiederum die Geliebte geschädigt hat be.

§ 44

Angesichts solcher Beobachtungen aus dem Verhalten in der Uebertragung und aus dem Schicksal der Menschen werden wir den Mut zur Annahme finden, dass es im Seelenleben wirklich einen Wiederholungszwang giebt, der sich über das Lustprinzip hinaussetzt. Wir werden auch jetzt geneigt sein, die Träume desr Unfallsneurotikers und den Antrieb zum Spiel des Kindes auf diesen Zwang zu beziehen. Allerdings müssen wir uns sagen, dass wir die Wirkungen des Wiederholungszwanges, uns nur in seltenen Fällen rein, ohne Mithilfe anderer Motive, erfassen können.

§ 45

Beim Kinderspiel haben wir bereits hervorgehoben, welche andere Deutungen seine Entstehung zulässt. Wiederholungszwang und direkte lustvolle Triebbefriedigung scheinen sich dabei zu intimer Gemeinsamkeit zu verschränken. Die Phänomene der Uebertra- gung stehen offenkundig im Dienste des Widerstandes von Seiten des auf der Verdrängung beharrenden Ichs; der Wiederholungszwang wird gleichsam vom Ich, das am Lustprinzip festhalten will, zur Hilfe gerufen. An dem, was man den Schicksalszwang nennen könnte, scheint uns vieles durch die rationelle Erwägung verständlich, so dass man ein Bedürfnis nach der Aufstellung eines neuen geheimnisvollen Motivs nicht verspürt.

3/3/Vngl. hiezu die treffende Bemerkung in dem Auffsatz von C.G. Jung, Die Bedeutung des Vaters für das Schicksal des Einzelnen, Jahrb.f.Psychoanalyse I., 1909. § 46

Am unverdächtigsten ist vielleicht der Fall der Unfallsträume, aber bei näherer Ueberlegung muss man doch zugestehen, dass auch in den anderen Beispielen der Sachverhalt durch die Leistung der uns bekannten Motive nicht gedeckt wird. Es bleibt genug übrig, was die Annahme des Wiederholungszwanges rechtfertigt, und dieser berscheint uns ursprünglicher, elementarer, triebhafter als das von ihm zur Seite geschobene Lustprinzip. Wenn es aber einen solchen Wiederholungszwang im Seelischen giebt, so möchten wir gerne etwas darüber wissen, welcher Funktion er entspricht, unter welchen Bedingungen er hervortreten kann, und in welcher Beziehung er zum Lustprinzip steht, dennm wir doch bisher die Herrschaft über den Ablauf der Erregungsvorgänge im Seelenleben zugetraut haben.

§ 47

IV.

§ 48

Was nun folgt, ist Spekulation, oft weitausholende Spekulation, die ein jeder nach seiner besonderen Einstellung würdigen oder vernachlässigen wird. 18 Im Weiteren ein Versuch zur konsequenten Ausbeutung einer Idee, aus Neugierde, wohin dies führen wird.

§ 49

Die psychoanalytische Spekulation knüpft an den bei der Untersuchung unbewusster Vorgänge empfangenen Eindruck an, dass das Bewusstsein nicht der allgemeinste Charakter der seelischen Vorgänge, sondern nur eine besondere Funktion derselben sein könne. In metapsychologischer Ausdrucksweise behauptet

§ 50

[eingeklebte Ergänzung]

§ 51

Im Weiteren ein Versuch zur konsequenten Ausbeutung einer Idee, aus Neugierde, wohin dies führen wird. sie, das Bewusstsein sei die Leistung eines besonderen Systems, das sie Bw. benennt. Da das Bewusstsein im Wesentlichen Wahrnehum mungen von Erregungen liefert, die aus der Aussenwelt kommen, und Empfindungen von Lust und Unlust, die nur aus dem Inneren des S seelischen Appparates stammen können, kann dem System Bw-W eine räumliche Stellung zugewiesen werden. Es muss an der Grenze von aussen und innen liegen, der Aussenwelt zugekehrt sein und die anderen psychischen Systeme umhüllen. Wir bemerken dann, dass wir mit diesen Annahmen nichts Neues gewagt, sondern uns der lokalisierenden Hirnanatomie angeschlossen haben, welche den “Sitz“ des Bewusstseins in die Hirnrinde, in die äusserste, umhüllende Schicht des Zentralorgans verlegt. Die Hirnanatomie braucht sich keine Gedanken darüber zu machen, warum – anatomisch gesprochen – das Bewusstsein gerade an der Oberfläche des Gehirns untergebracht ist, anstatt wohlverwahrt irgendwo im innersten Innern desselben zu hausen. Vielleicht bringen wir es in der Ableitung einer solchen Lage für unser System W-Bw weiter.

§ 52

Das Bewusstsein ist nicht die einzige Eigentümlichkeit, die wir den Vorgängen in diesem System zuschreiben. Wir stützen uns auf die Eindrücke unserer psychoanalytischen Erfahrung, wenn wir annehmen, dass alle Erregungsvorgänge, in den anderen Systemen daselbst Dauerspuren als Grundlage des Gedächtnisses in diesen hinterlassen, Erinnerungsreste also, die nichts mit dem Bewusstwerden zu tun haben. Sie sind oft am stärksten und haltbarsten, wenn der sie zurücklassende Vorgang niemals zum Bewusstsein gekommen ist. Wir finden es aber beschwerlich zu glauben, dass solche Dauerspuren der Erregung auch im System Bw-W zu Stande kommen. Sie würden die Eignung des Systems zur Aufnahme neuer Erregungen sehr bald einschränken +/+/, wenn sie immer bewusst blieben; im anderen Falle, wenn sie unbewusst würden, stellten sie uns vor die Aufgabe, die Existenz unbewusster Vorgänge in einem System zu erklären, dessen Funktionieren sonst vom Phänomen des Bewusstseins begleitet wird. Wir hätten sozusagen durch unsere Annahme, welche das Bewusstwerden in ein besonderes System verweist, nichts verändert und nichts gewonnen. Wenn dies auch keine absolut verbindliche Erwägung sein mag, so kann sie uns doch zur Vermutung bewegen, dass Bewusstwerden und Hinterlassung einer Gedächtnisspur für dasselbe System mit einander unverträglich sind. Wir würden so sagen können, im System Bw werde der Erregungsvorgang bewusst, hinterlasse aber keine Dauerspur; alle die Spuren desselben, auf welche sich die Erinnerung stüttzt, könn ämen bei der Fortpflanzung der Erregung auf die nächsten inneren Systeme in diesen zu Stande. In diesem Sinne ist auch das Schema entworfen, welches ich dem Sspekulationen ven Abschnitt meiner “Traumdeutung“ 1900, eingefügt habe. Wenn man bedenkt, wie wenig wir aus anderen Quellen über die Entstehung des Bewusstseins wissen, wird man dem Satze, das Bewusstsein entstehe an Stelle der Erinnerungsspur wenigstens die Bedeutung einer irgendwie bestimmten Behauptung einräumen müssen.

+/+/ Dies durchaus nach J. Breuers Auseinandersetzung im theoretischen Abschnitt der “Studien über Hysterie“,1895. § 53

Das System Bw. wäre also durch die Besonderheit ausgezeichnet, dass der Erregungsvorgang in ihm nicht wie in allen anderen psychischen Systemen eine dauernde Veränderung ihrer seiner Elemente hinterlässt, sondern gleichsam im Phänomen des Bewusstwerdens verpufft. Eine solche Abweichung von der allgemeinen Regel fordert eine Erklärung durch ein Moment, welches ausschliesslich bei diesem einen System abzusprechende Moment in Betracht kommt, und dies den anderen Systemen abzusprechende Moment könnte leicht die exponierte Lage des Systems Bw sein, sein unmittelbares Anstossen an die Aussenwelt.

§ 54

Stellen wir uns den lebenden Organismus in seiner grösstmöglichen Vereinfachung vor als undifferenziertes Bläschen reizbarer Substanz vor; dann ist seine der Aussenwelt zugekehrte Oberfläche durch Iihre Lage selbst differenziert und dient als R reizaufnehmendes Organ. Die Embryologie als Wiederholung der Entwicklungsgeschichte zeigt auch wirklich, dass das Zentralnervensystem aus dem Ectoderm hervorgeht, und die graue Hirnrinde ist noch immer ein Abkömmling der primitiven Oberfläche und könnte wesentliche Eigenschaften derselben durch Erbschaft übernommen haben. Es wäre dann leicht denkbar, dass durch unausgesetzten Anprall der äusseren Reize an die Oberfläche des Bläschens dessen Substanz bis in eine gewisse Tiefe dauernd verändert wird, so dass ihr Erregungsvorgang anders abläuft als in tieferen Schichten. Es bildete sich so eine Rinde, die endlich durch die Reizwirkung so durchgebrannt ist, dass sie der Reizaufnahme die günstigsten Verhältnisse entgegenbringt und einer weiteren Modifikation nicht fähig ist. Auf das System Bw übertragen, würde dies meinen, dass dessen Elemente keine Dauerveränderung beim Durchgang der Erregung nicht mehr annehmen können, weil sie bereits aufs äusserste im Sinne dieser Wirkung modifiziert sind. Dann sind sie aber befähigt, das Bewusstsein entstehen zu lassen. Worin diese Modifikation der Instanz Substanz und des Erregungsvorganges in ihr besteht, darüber kann man sich mancherlei Vorstellungen machen, die sich derzeit der Prüfung derzeit entziehen. Man kann annehmen, die Erregung habe bei ihrem Fortgang von einem Element zum anderen einen Widerstand zu überweinden, und diese Verringerung des Widerstandes setze a eber n die Dauerspur der Erregung (Bahnung); im System Bw bestünde also ein solcher Uebergangswiderstand von einem Element zum anderen nicht mehr. Man kann mit dieser Vorstellung die Breuer’sche Unterscheidung von ruhender (gebundener) und frei beweglicher Besetzungsenergie in den Elementen der psychischen Systeme zusammenbringen; +/+/ die Elemente des Systems Bw würden dann keine gebundene und nur unfrei abfuhrfähigen Energie führen. Aber ich meine, vorläufig ist es besser, wenn man sich über diese Verhältnisse möglichst unbestimmt äussert. Immerhin hätten wir durch diese Spekulation die Entstehung des Bewusstseins in einen gewissen Zusammenhang mit der Lage des Systems Bw und den ihm zuzuschreibenden Besonderheiten des Erregungsvorganges verflochten.

§ 55

An dem lebenden Bläschen mit seiner reizaufnehmenden Rindenschichte haben wir noch anderes zu erörtern. Dieses Stückchen lebender Substanz schwebt inmitten einer mit den stärksten Energien geladenen Aussenwelt und würde von den Reizwirkungen derselben erschlagen werden, wenn es nicht mit einem Reizschutz versehen wäre. Es bekommt ihn dadurch, dass seine äusserste Oberfläche die dem Lebenden zukommende Struktur aufgiebt, gewissermassen anorganisch wird und nun als eine besondere Hülle oder Membran reizabhaltend wirkt, d.h. veranlasst, dass die Energien der Aussenwelt sich nun mit einem Bruchteil ihrer Intensität auf die nächsten, lebend gebliebenen Schichten fortsetzen können. Diese können nun hinter dem Reizschutz sich der Aufnahme der durchgelassenen Reizmengen widmen. Die Aussenschicht hat aber durch ihr Absterben alle tieferen vor dem gleichen Schicksal bewahrt, wenigstens so lange bis nicht Reize von solcher Stärke herankommen., dass sie den Reizschutz durchbrechen. Für den lebenden Organismus ist der Reizschutz eine beinahe wichtigere Aufgabe als die Reizaufnahme; er ist mit einem eigenen Energievorrat ausgestattet und muss vor allem bestrebt sein, die besonderen Formen der Energieumsetzung, dies in ihm spielen, vor dem gleichmachenden, also zerstörenden Einfluss der übergrossen, draussen arbeitenden Energien zu bewahren. Die Reizaufnahme dient vor allem der Absicht, Richtung und Art der äusseren Reize zu erfahren und dazu muss es genügen, der Aussenwelt kleine Proben zu entnehmen, sie in geringen Quantitäten zu verkosten. Bei den hochentwickelten Organismen hat sich die reizaufnehmende Rindenschicht des einstigen Bläschens längst in die Tiefe des Körperinnern zurückgezogen, aber Anteile von ihr sind an der Oberfläche unmittelbar unter dem allgemeinen Reizschutz zurückgelassen. Dies sind die Sinnesorgane, die im Wesentlichen Einrichtungen zur Aufnahme spezifischer Reizeinwirkungen enthalten, aber ausserdem besondere Vorrichtungen zu neuerlichem Schutz gegen übergrosse Reizmengen und zur Abhaltung unangemessener Reizarten. Es ist für sie charakteristisch, dass sie nur sehr geringe Quantitäten des äusseren Reizes verarbeiten, sie nehmen nur Stichproben der Aussenwelt vor, vielleicht darf man sie Fühlern vergleichen, die sich an die Aussenwelt heranl tasten und dann nur immer wieder von ihr zurückziehen.

+/+/ Studien über Hysterie von I. Breuer u. S. Freud 3. unveränderte Auflage, 1917. § 56

Ich gestatte mir an dieser Stelle ein Thema flüchtig zu berühren, welches die gründlichste Behandlung verdienen würdee. Der Kant sche Satz, dass Zeit und Raum notwendige Formen unseres Denkens sind, kann heute infolge ge- wisser psychoanalytischer Er Kkenntnisse einer Diskussion unterzogen werden. Wir haben erfahren, dass die unbewussten Seelenvorgänge an sich "zeitlos“ sind. Das heisst zunächst, dass sie nicht zeitlich geordnet werden, dass die Zeit nichts an ihnen verändert, dass man die Zeitvorstellung nicht an sie heranbringen kann. Es sind dies negative Charaktere, die man sich nur durch Vergleichung mit den bewussten seelischen Prozessen deutlich machen kann. Unsere abstrakte Zeitvorstellung scheint vielmehr durchaus von der Arbeitsweise des Systems B-Ww hergeholt zu sein und einer Selbstwahrnehmung derselben zu entsprechen. Bei dieser Funktionsweise des Systems dürfte ein anderer Weg des Reizschutzes beschritten werden. Ich weiss, dass diese Behauptungen sehr dunkel klingen, muss mich aber auf solche Andeutungen beschränken. Die andere Abstraktion, die sich an das Funktionieren von BW anknüpfen lässt, ist aber nicht Raum, sondern Stoff (Substanz)

§ 57

Wir haben bisher ausgeführt, dass das lebende Bläschen mit einem Reizschutz gegen die Ausssenwelt ausgestattet ist. Vorhin hatten wir festgelegt, dass die nächste Rindenschicht desselben als Organ zur Reizaufnahme von aussen differenzirt sein muss. Diese empfindliche Rindschichtspätere Rindenschicht, das spätere System Bw, empfängt aber auch Erregungen von innen her; die Stellung des sSystems zwischen aussen und innen, und die Verschiedenheit der Bedingungen für die Einwirkung von der einen und der anderen Seite werden massgebend für die Leistung des sSystems und des ganzen seelischen Apparats. Gegen aussen giebt es einen Reizschutz, die ankommenden Erregungsgrössen werden nur in verkleinerten Masstab wirken; nach innen zu ist der Reizschutz unmöglich, die Erregungen der tieferen Schichten setzen sich direkt und in unverringertem Mass auf das System fort, indem gewisse Charaktere ihres Ablaufs die Reihe der Lust- Unlustempfindungen erzeugen. Allerdings werden die von innen kommenden Erregungen nach ihrer Intensität und nach anderen qualitativen Charakteren (eventuell nach ihrer Amy plitude) der Arbeitsweise des Systems adaequater sein, als die von der Aussenwelt zuströmenden Reize. Aber zweierlei ist durch diese Verhältnisse entscheidend bestimmt, erstens die Praevalenz der Lust-und Unlustempfindungen die ein Index für Vorgänge im Innern des Apparats sind, über alle äusseren Reize, und zweitens eine Richtung des Verhaltens gegen solche innere Erregungen, welche allzu grosse Unlustvermehrung herbeiführen. Es wird sich die Neigung ergeben, sie so zu behandeln, als ob sie nicht von innen, sondern von aussen her einwirkten, um die Abwehrmittel des Reizschutzes gegen sie in Anwendung bringen zu können. Dies ist die Herkunft der Projektion, der eine so grosse Rolle bei der Verursachung pathologischer Prozesse vorbehalten ist.

§ 58

Ich habe den Eindruck, dass wir durch die letzten Ueberlegungen, die Herrschaft des Lustprinzips unserem Verständnis angenähert haben; eine Aufklärung jener Fälle, die sich ihm widersetzen, haben wir aber nicht erreicht. Gehen wir darum einen Schritt weiter. Solche Erregungen von aussen, die stark genug sind, den Reizschutz zu durchbrechen heissen wir traumatische. Ich glaube, dass der Begriff des Traumas eine solche Beziehung auf eine sonst wirksame Reizabhaltung erfordert. Ein Vorkommnis, wie das äussere Trauma wird gewiss eine grossartige Störung im Energiebetrieb des Organismus hervorrufen und alle Abwehrmittel in Bewegung setzen. Aber das Lustprinzip ist dabei zunächst aussser Kraft gesetzt. Die Ueberschwemmung des seelischen Apparates mit grossen Reizmengen ist nicht mehr hintanzuhalten; es ergiebt sich vielmehr eine andere Aufgabe, den Reiz zu bewältigen, die hereingebrochenen Reizmengen psychisch zu binden, um sie dann der Erledigung zuzuführen. Wa

§ 59

Wahrscheinlich ist die spezifische Unlust des körperlichen Schmerzes der Erfolg davon, dass der Reizschutz in beschränktem Umfange durchbrochen wurde. Von dieser Stelle der Peripherie strömen dann dem seelischen Zentralapparat kontinuierliche Erregungen zu, wie sie sonst nur aus dem Innern des Apparats kommen konnten.+/+/Und was können wir als die Reaktion des Seelenlebens auf diesen Einbruch erwarten? Von allen Seiten her wird die Besetzungsenergie aufgeboten, um in der Umgebung der Einbruchstelle entsprechend hohe Energiebesetzungen zu schaffen. Es wird eine grossartige “Gegenbesetzung“ hergestellt, zu deren Gunsten alle anderen psychischen Systeme verarmen. , so dass eine ausgedehnte Lähmung oder Herabsetzung der sonstigen psychischen Leistung erfolgt. Wir suchen aus solchen Beispielen zu lernen, unsere metapsychologischen Vermutungen an solche Vorbilder anzulehnen. Wir ziehen also aus diesem Verhalten den Schluss, dass ein selbst hochbesetztes System im Stande ist, neu hinzukommende strömende Energie aufzunehmen, sie in ruhende Besetzung umzuwandeln, also sie psychisch zu “binden“. Je höher die eigene ruhen- de Besetzung ist, desto grösser wäre auch ihre bindende Kraft; umgekehrt also je niedriger seine Besetzung ist, desto weniger wird das System für die Aufnahme zuströmender Energie befähigt sein, desto gewaltsamer müssen dann die Folgen eines solchen Durchbruches des Reizschutzes sein. Man wird gegen die- se Auffassung nicht mit Recht einverstan wenden, dass die Erhöhung der Besetzung um die Einbruchstelle sich weit einfacher aus der direkten Fortleitung der ankommenden Erregungsmengen erkläre. Wenn dem so wäre, so würde der seelische Apparat ja nur eine Vermehrung seiner Energiebesetzungen erfahren, und der lähmende Charakter des Schmerzes, die Verarmung aller anderen Systeme bliebe unaufgeklärt. Auch die sehr heftigen Abfuhrwirkungrn des Schmerzes stören unsere Erklärung nicht, denn sie gehen reflektorisch vor sich, d.h. sie erfolgen ohne Vermittlung des seelischen Apparats. Die Unbestimmtheit all unserer Erörterungen, die wir metapsychologische heissen, rührt natürlich daher, dass wir nichts über die Natur des Erregungsvorganges in den Elementen der psychischen Systeme wissen und uns zu keiner Auf nnahme darüber berechtigt fühlen. So operiren wir also stets mit einem grossen X, welches wir in jede neue Formel mit hinübernehmen. Dass dieser Vorgang sich mit quantitativ verschiedenen Energien vollzieht, ist eine leicht zulässige Forderung, dass er auch mehr als eine Qualität (z.B. in der Art einer Amplitude) hat, mag uns wahrscheinlich sein; als neu haben wir die Aufstellung Breuers in Betracht gezogen, dass es sich um zweierlei Formen der Energieerfüllung handelt, so dass eine freiströmende, nach Abfuhr drängende und eine ruhende Besetzung der psychischen Systeme (oder ihrer Elemente) zu unterscheiden ist.

+/+/ Vgl. Triebe und Triebschicksale.Sammlg.kl.Schriften zur Neurosenlehre IV., 1919. § 60

Ich glaube, man darf den Versuch wagen, die die gemeine traumatische Neurose als die Folge eines ausgiebigen Durchbruchs des Reizschutzes aufzufassen. Damit wäre also die alte, naive Lehre vom Schock in ihre Rechte eingesetzt, anscheinend im Gegensatz zu einer späteren und psychologisch anspruchsvolleren, welche nicht der mechanischen Gewalteinwirkung, sondern dem Schreck und der Lebensbedrohung die aetiologische Bedeutung zuspricht. Allein diese Gegensätze sind nicht unversöhnlich, und die psychoanalytische Auffassung der traumatischen Neurose ist mit der rohesten Form der Schocktheorie nicht identisch. Versetzt letztere das Wesen des Schocks in die direkte Schädigung der molekularen Struktur, oder selbst der histologischen Struktur der nerw vösen Elemente, so suchen wir dessen Wirkung aus der Durchbrechung des Reizschutzes für das Seelenorgan und aus den daraus sich ergebenden Aufgaben¿¿¿ zu verstehen. Der Schreck behält seine Bedeutung auch für uns. Seine Bedingung ist das Fehlen der Angstbereitschaft, welche die Ueberbesetzung der den Reiz zunächst aufnehmenden Systeme einschliesst. Infolge dieser niedrigeren Besetzung sind die Systeme dann nicht gut im Stande, die ankommenden Erregungsmengen zu binden, die Folgen der Durchbrechung des Reizschutzes stellen sich um sovieles leichter ein. Wir finden so, dass die Angstbereitschaft mit der Ueberbesetzung der aufnehmenden Systeme die letzte Linie des Reizschutzes darstellt. Für eine ganze Anzahl von Traumen mag der Unterschied zwischen den unvorbereiteten und den durch Ueberbesetzung vorbereiteten Systemen das für den Ausgang entscheidende Moment sein; von einer gewissen Stärke des Traumas an wird er wohl nicht mehr ins Gewicht fallen. Wenn die Träume der Unfallsneurotiker die Kranken so regelmässig in die Situation des Unfalles zurückführen, so dienen su ie damit allerdings nicht der Wunscherfüllung, deren halluzinatorische Herbeiführung ihnen unter der Herrschaft des Lustprinzips zur Funktion geworden ist. Aber wir dürfen annehmen, dass sie sich dadaurch einer anderen Aufgabe zur Verfügung stellen, deren Lösung vorangehen muss, ehe das Lustprinzip seine Herrschaft beginnen kann. Diese Träume suchen die Reizbewältigung unter Angstentwicklung nachzuholen, deren Unterlassung die Ursache der traumatischen Neurose geworden ist. Sie geben uns so einen Ausblick auf eine Funktion des seelischen Apparats, welche, iohne dem Lustprinzip zu widersprechen, doch unabhängig von ihm ist und ursprünglicher scheint als die Absicht des Lustgewinns und der Unlustvermeidung.

§ 61

S29 Hier wäre also die Stelle, zuerst eine Ausnahme von dem Satze, der Traum ist eine Wunscherfüllung, zuzugestehen. Die Angstträume sind keine solche Ausnahme, wie ich wiederholt und eingehend gezeigt habe, auch die „Strafträume“ nicht, denn diese setzen nur an die Stelle der verpönten Wunscherfüllung die dafür gebührende Strafe, sind also die Wunscherfüllung des auf den verworfenen Trieb reagierenden Schuldbewußtseins. Aber die oben erwähnten Träume der Unfallsneurotiker lassen sich nicht mehr unter den Gesichtspunkt der Wunscherfüllung bringen, und ebensowenig die in den Psychoanalysent vorfallenden Träume, die uns die Erinnerung der psychischen Traumen der Kindheit wiederbringen. Sie gehorchen vielmehr dem Wiederholungszwang, der in der Analyse allerdings durch den – nicht unbewußten Wunsch, das Vergessene und Verdrängte heraufzubeschwören, unterstützt wird. So wäre also auch die Funktion des Traumes, Motive zur Unterbrechung des Schlafes durch Wunscherfüllung der störenden Regungen zu beseitigen, nicht seine ursprüngliche; er konnte sich ihrer erst bemächtigen, nachdem das gesamte Seelenleben die Herrschaft des Lustprinzips angenom̄en hatte. Giebt es ein „Jenseits des Lustprinzips, so ist es nur folgerichtig, auch für die wunscherfüllende Tendenz des Traumes eine Vorzeit zuzulassen.

§ 62

Nur erhebt sich, wenn diese Tendenz einmal durchbrochen ist, die weitere Frage: Sind solche Träume, welche im Interesse der psychischen Bindung traumatischer Eindrücke dem Wiederholungszwange folgen, nicht auch außerhalb der Analyse möglich? Dies ist durchaus zu bejahen.

§ 63

Von den “Kriegsneurosen“, soweit diese Bezeichnung mehr als die Beziehung zur Veranlassung des Leidens bedeutet, habe ich an anderer Stelle ausgeführt, dass sie sehr wohl traumatische Neurosen sein könnten, die durch einen Ichkonflikt erleichtert worden sind.+/+/ S29 Die auf Sx erwähnte Tatsache, daß eine gleichzeitige grobe Verletzung durch das Trauma die Chance für die Entstehung einer Neurose verringert, ist nicht mehr unverständlich, wenn man zweier von der psychoanalytischen Forschung betonter Verhältniße gedenkt. Erstens, daß mechanische Erschütterung als eine der Quellen der Sexualerregung anerkannt werden muss (vgl. die Bemerkungen über die von Einfluß Wirkung des Schaukelns und Eisenbahnfahrens in „Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie 4 Aufl, 1920, S x), und zweitens, daß dem schmerzhaften und fieberhaften Kranksein ein mächtiger Einfluß auf die Verteilung der Libido während seiner Dauer zukom̄t. So würde also die mechanische Gewalt des Traumas ein das Quantum Sexualerregung freimachen, welches infolge der mangelnden Angstvorbereitung traumatisch wirkt. Die gleichzeitige Körperverletzung würde aber durch die Anspruchnahme einer narzißtischen Überbesetzung des leidenden Organs den Überschuß an Erregung binden (S. z. Einführung des Narzißmus, Kl. Schriften zur Neurosenlehre, vierte Folge 1918). Es ist auch bekannt, aber für die Libidotheorie nicht genügend verwertet worden, daß so schwere Störungen in der Libidoverteilung wie die einer Melancholie durch eine interkurrente organische Erkrankung zeitweilig rückg aufgehoben werden, ja daß sogar der Zustand einer voll entwickelten Dementia praecox unter der nämlichen Bedingung einer vorübergehenden Rückbildung fähig ist.

§ 64

V.

§ 65

Der Mangel eines Reizschutzes für die reizaufnehmende Rindenschicht gegen Erregungen von innen her wird die Folge haben müssen, dass diese Reizübertragungen die grössere oekonomische Bedeutung gewinnen und häufig zu oekonomischen Störungen Anlass geben, die den traumatischen Neurosen gleichzu-

+/+/Zur Psychoanalyse der Kriegsneurosen.Einleitung. Internationalen Psychoanalytische Bibliothek Nr. 1, 1919. § 66

[eingeklebte Ergänzung]

§ 67

S29 Hier wäre also die Stelle, zuerst eine Ausnahme von dem Satze, der Traum ist eine Wunscherfüllung, zuzugestehen. Die Angstträume sind keine solche Ausnahme, wie ich wiederholt und eingehend gezeigt habe, auch die „Strafträume“ nicht, denn diese setzen nur an die Stelle der verpönten Wunscherfüllung die dafür gebührende Strafe, sind also die Wunscherfüllung des auf den verworfenen Trieb reagierenden Schuldbewußtseins. Aber die oben erwähnten Träume der Unfallsneurotiker lassen sich nicht mehr unter den Gesichtspunkt der Wunscherfüllung bringen, und ebensowenig die in den Psychoanalysent vorfallenden Träume, die uns die Erinnerung der psychischen Traumen der Kindheit wiederbringen. Sie gehorchen vielmehr dem Wiederholungszwang, der in der Analyse allerdings durch den – nicht unbewußten Wunsch, das Vergessene und Verdrängte heraufzubeschwören, unterstützt wird. So wäre also auch die Funktion des Traumes, Motive zur Unterbrechung des Schlafes durch Wunscherfüllung der störenden Regungen zu beseitigen, nicht seine ursprüngliche; er konnte sich ihrer erst bemächtigen, nachdem das gesamte Seelenleben die Herrschaft des Lustprinzips angenom̄en hatte. Giebt es ein „Jenseits des Lustprinzips, so ist es nur folgerichtig, auch für die wunscherfüllende Tendenz des Traumes eine Vorzeit zuzulassen.

§ 68

Nur erhebt sich, wenn diese Tendenz einmal durchbrochen ist, die weitere

§ 69

[Fortsetzung der eingeklebten Ergänzung]

§ 70

Frage: Sind solche Träume, welche im Interesse der psychischen Bindung traumatischer Eindrücke dem Wiederholungszwange folgen, nicht auch außerhalb der Analyse möglich? Dies ist durchaus zu bejahen.

§ 71

§ 72

S29 Die auf Sx erwähnte Tatsache, daß eine gleichzeitige grobe Verletzung durch das Trauma die Chance für die Entstehung einer Neurose verringert, ist nicht mehr unverständlich, wenn man zweier von der psychoanalytischen Forschung betonter Verhältniße gedenkt. Erstens, daß mechanische Erschütterung als eine der Quellen der Sexualerregung anerkannt werden muss (vgl. die Bemerkungen über die von Einfluß Wirkung des Schaukelns und Eisenbahnfahrens in „Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie 4 Aufl, 1920, S x), und zweitens, daß dem schmerzhaften und fieberhaften Kranksein ein mächtiger Einfluß auf die Verteilung der Libido während seiner Dauer zukom̄t. So würde also die mechanische Gewalt des Traumas ein das Quantum Sexualerregung freimachen, welches infolge der mangelnden Angstvorbereitung traumatisch wirkt. Die gleichzeitige Körperverletzung würde aber durch die Anspruchnahme einer narzißtischen Überbesetzung des leidenden Organs den Überschuß an Erregung binden (S. z. Einführung des Narzißmus, Kl. Schriften zur Neurosenlehre, vierte Folge 1918). Es ist auch bekannt, aber für die Libidotheorie nicht genügend verwertet worden, daß so schwere Störungen in der Libidoverteilung wie die einer Melancholie durch eine interkurrente organische Erkrankung zeitweilig rückg aufgehoben werden, ja daß sogar der Zustand einer voll entwickelten Dementia praecox unter der nämlichen Bedingung einer vorübergehenden Rückbildung fähig ist. stellen sind. Die ausgiebigsten Quellen solch innerer Erregung sind die sogenannten Triebe de Organismus, die Repraesentatntnten aller aus dem Körperinneren stammenden, auf den seelischen Apparat übertragenen Kraftwirkungen, selbst das wichtigste wie das dunkelste Element der psychologischen Forschung.

§ 73

Vielleicht finden wir die Annahme nicht zum gewagt, dass die von den Trieben ausgehenden Regungen nicht den Typus des gebundenen, sondern den des frei beweglichen, nach Abfuhr drängenden Nervenvorganges einhalten. Das Beste, was wir über diese Vorgänge wissen, rührt aus dem Studium der Traumarbeit her. Dabei fanden wir, daß die Prozeße in den unbewussten Systemen von denen in den (vor-)bewussten gründlich verschiedeen sind, daß im Unbewussten Besetzungen leicht vollständig übertragen, verschoben, verdichtet werden können, was nur fehlerhafte Resultate ergeben könnte, wenn es an vorbewusstem Material geschähe, und was darum auch die bekannten Sonderbarkeiten des manifesten Traumes ergiebt, nachdem die vorbewussten Tagesreste die Bearbeitung nach den Gesetzen des Unbewussten erfahren haben. Ich nannte die Art dieser Prozesse im Unbewussten den psychischen “Primärvorgang“ zum Unterschied von dem für unser normales Wachleben giltigen Sekundärvorgang. Da die Triebregungen alle an den iunbewussten Systemen angreifen, ist es kaum eine Neuerung zu sagen, dass sie dem Primärvorgang folgen, und anderseits gehört wenig dazu, um den psychischen Primärvorgang mit der frei beweglichen Besetzung, den Sekundärvorgang mit Veränderungen an der gebundenen oder tonischen Besetzung Breuers zu identifiziren+/+/ Es wäre dann die Auf- gabe der höheren Schichten des seelischen Apparates, die im Primärvorgang anlangende Erregung der Triebe zu binden. Das Misglücken dieser Bindung würde eine der traumatischen Neurose analoge Störung hervorrufen; erst nach erfolgter Bindung könnte sich die Herrschaft des Lustprinzips (und seiner Modifikation) zum Realitätsprinzip) ungehemmt durchsetzten: Bis dahin aber würde die andere Aufgabe des Seelenapparates, die Erregung zu bewältigen oder zu binden, voranstehen, zwar nicht im Gegensatz zum Lustprinzip aber unabhängig von ihm und zum Teil ohne Rücksicht auf dieses.

+/+/ Vgl. den Abschnitt VII. Psychologie der Traumvorgänge in meiner “Traumdeutung“ § 74

Die Aüssrungen eines Wiederholungszwanges, die wir an den frühen Tätigkeiten des kindlichen Seelenlebens, wie an den Ergebnissen der psychoanalytischen Kur beschrieben haben, zeigen im hohen Grad den triebhaften, und wo sie sich im Gegensatz zum Lustprinzip befinden, den daemonischen Charakter. Beim Kinderspiel glauben wir es ja zu begreifen, daß das Kind auch das unlustvolle Erlebnis darum wiederholt, weil es sich durch seine Aktivität eine weit gründlichere Bewältigung des starken Eindruckes erwirbt, als beim bloss passiven Erleben möglich war. Jede neuerliche Wiederholung scheint diese angestrebte Beherrschung zu verbessern, und auch bei lustvollen Erlebnissen kann sich das Kind an Wiederholungen nicht genugthun und wierd unerbittlich auf der Irdentität des Eindruckes bestehen. Dieser Charakterzug ist dazu bestimmt, späterhin zu verschwinden. Ein zum zweiten Mal angehörter Witz wird fast wirkungslos bleiben, eine Theateraufführung wird nie mehr zum zweiten Mal den Eindruck erreichen, denn sie das erste Mal hinterliess; ja der Erwachsene wird schwer zu bewegen sein, ein Buch, das ihm sehr gefallen hat, so bald nochmals durchzulesen. Immer wird die Neuheit die Bedingung des Genusses sein;. d Das Kind aber wird nicht müde werden, vom Erwachsenen die Wiederholung eines ihm gezeigten oder mit ihm angestellten Spieles zu verlangen, bis dieser erschöpft es verweigert, und wenn man ihm eine schöne Geschichte erzählt hat, will es immer wieder die nämliche Geschichte anstatt einer neuen hören, besteht unerbittlich auf der Identität der Wiederholung und verbessert jede Abänderung, die sich der Erzähler zu Schulden kommen lässt, mit der er sich vielleicht sogar ein neues Verdienst erwerben wollte. Dem Lustprinzip wird dabei nicht widersprochen; es ist hin sinnfäällig, dass die Wiederholung, das Wiederfinden der Identität, selbst eine Lustquelle bedeutet. Beim Analysierten hingegen wird es klar, daß der Zwang, die Begehbenheiten seiner infantilen Lebensperiode in der Uebertragung zu wiederholen, sich in jeder Weise über das Lustprinzip hinaussetzt. Er Der Kranke benimmt sich dabei völlig wie infantil und zeigt uns so, daß die verdrängten Erinnerungsspuren seiner urzeitlichen Erlebnisse nicht im gebundenen Zustande in ihm vorhanden, ja gewissermassen des Sekundärvorganges nicht fähig sind. Dieser Ungebundenheit verdanken sie auch ihr Vermögen, durch Anheftung an die Tagesreste eine im Traum darzustellende Wunschphantasie zu bilden:. d Derselbe Wiederholungszwang tritt uns so oft als therapeutisches Hindernis entgegen, wenn wir zu Ende der Kur die völlige Ablösung vom Arzte durchsetzen wollen, und es ist anzunehmen, dass die dunkle Angst der mit der Analyse nicht Vertrauten, die sich scheuen, irgend etwas aufzuwecken, was man nach ihrer Meinung besser schlafen liesse, im Grunde das Auftreten dieses daemonischen Zwanges fürchtet.

§ 75

Auf welche Art hängt aber das Triebhafte mit dem Zwang zur Wiederholung zusammen? Hier muss sich uns die Idee aufdrängen, dass wir einem allgemeinen, bisher nicht klar erkannten Charakter der

§ 76

33

§ 77

Triebe, vielleicht alles organischen Lebens überhaupt auf die Spur gekommen sind. Ein Trieb wäre also ein dem Bbelebten Organischen innewohnender Drang zur Wiederherstellung eines früheren Zustandes, welchen dies Belebte unter dem Einfluss äußerer Störungskräfte aufgeben musste, eine Art von organischer Elastizität, oder wenn man will, die Aeusserung der Trägheit im organischen Leben. Ich bezweifle nicht, daß ähnliche Vermutungen über die Natur der „Triebe“ bereits wiederholt geäußert worden sind.

§ 78

Diese Auffassung des Triebes klingt befremdlich, denn wir haben uns daran gewöhnt, im Trieb das zur Veränderung und Entwicklung drängende Moment zu sehen, und sollen nun das gerade Gegenteil in ihm erkennen, den Ausdruck der konservativen Natur des Lebenden. Anderseits fallen uns sehr bald jene Beispiele aus dem Tierleben ein, welche die historische Bedingtheit der Triebe zu bestätigen scheinen. Wenn gewisse Fische um die Laufaichzeit beschwerliche Wanderungen unternehmen, um den Laich in bestimmten Gewässern, weit entfernt von ihren sonstigen Wohnorten, abzulegen, so haben sie nach der Deutung vieler Biologen unter nur die früheren Wohnstätten ihrer Art aufgesucht, die sie im Laufe der Zeit gegen andere vertauscht hatten. Dasselbe soll für die Wanderflüge der Zugvögel gelten, ; aber der Suche nach weiteren Beispielen enthebt uns bald die Mahnung, dass wir in den Phänomenen der Erblichkeit und in den Tatsachen der Embryologie die grossartigsten Beweise für den organischen Wiederholungszwang haben. Wir sehen, der Keim eines lebenden Tieres ist genötigt, in seiner Entwicklung die Strukturen all der Formen, von denen das Tier abstammt– wenn auch in flüchtiger Abkürzung zu wiederholen , anstatt auf dem kürzesten Wege zu seiner definitiven Gestaltung zu eilen, und können dies Verhalten nur zum ge-

§ 79

[eingeklebte Ergänzung]

§ 80

Ich bezweifle nicht, daß ähnliche Vermutungen über die Natur der „Triebe“ bereits wiederholt geäußert worden sind. geringsten Teil mechanisch erklären, dürfen die historische Erklärung nicht bei Seite lassen. Und ebenso erstreckt sich weit in die Tierreihe hinauf ein Reproduktionsvermögen, welches ein verlorenes Organ durch die Neubildung eines ihm durchaus gleichen ersetzt.

§ 81

Der naheliegende Einwand, es verhalte sich wohl so, dass es ausser den konservativen Trieben, die zur Wiederholung nötigen, auch andere giebt, die zur Neu- gestaltung und zum Fortschritt drängen, darf gewiss nicht unberücksichtigt bleiben. Aber vorher mag es uns verlocken, die Annahme, daß alle Triebe Früheres wiederherstellen wollen, in ihre letzten Konsequenzen zu verfolgen. Mag, was dabei herauskommt, den Anschein des “Tiefsinnigen“ erwecken oder an Mystisches anklingen, so wissen wir uns doch von dem Vorwurf frei, etwas derartiges angestrebt zu haben. Wir suchen nüchterne Resultate der Forschung oder der auf sie gegründeten Überlegung, und unser Wunsch möchte diesen x keinen anderen Charakter als den der Sicherheit verleihen. druck von Kräften machen, die nach Veränderung und Fortschritt streben, während sie blos ein altes Ziel auf alten und neuen Wegen zu erreichen trachten. Auch dieses Endziel alles organischen Strebens ließe sich angeben. Der konservativen Natur der Triebe widerspräche es, wenn das Ziel des Lebens ein noch nie zuvor erreichter Zustand wäre. Es muss vielmehr ein alter, ein Ausgangszustand sein, den das Lebende einmal verlassen hat, und zu dem es über alle Umwege der Entwicklung zurückstrebt. Da nach unserer Wenn wir es als ausnahmslosen Erfahrung annehmen dürfen, dass alles Lebende aus inneren Gründenr stirbt, ins Anorganische zurückkehrt, so können wir nur sagen: Das Ziel alles Lebens ist der Tod, und zurückgreifend: Das Leblose war früher da als das Lebende.

§ 82

Wenn also alle organischen Triebe konservativ, historisch erworben und auf Regression, Wiederholungherstellung von Früherem gerichtet sind, so müßen wir alle Erfolge der organischen Entwicklung auf die Rechnung äussererr, störender und ablenkender Einflüsse setzen. Das elementare Lebewesen würde sich vonn seinem Anfang an nicht haben ändern wollen, hätte unter sich gleichbleibenden Verhältnissen stets nur den nämlichen Lebenslauf wiederholt. Aber im letzten Grunde müsste es die Entwicklungsgeschichte unserer Erde und ihres Verhältnisses zur Sonne sein, die uns in der Entwicklung der Organismen ihren Abdruck hinterlassen hat. Die konservativen organischen Triebe haben jede dieser aufgezwungenen Abänderungen des Lebenslaufes aufgenom̄en und zur Wiederholung aufbewahrt und müßen uns so denn täuschenden Ein-

§ 83

Irgend einmal wurden in unbelebter Materie durch eine noch ganz unvorstellbare Krafteinwirkung die Eigenschaften des Lebenden erweckt. Vielleicht war es ein Vorgang vorbildlich ähnlich jenem anderen, der in einer gewissen Schicht der lebenden Materie später das Bewusstsein entstehen ließ. Die damals entstandene Spannung in den m vorhin unbelebten Stoff trachtete danach sich abzugleichen,; es war der erste Trieb gegeben, um der zum Leblosen zurückzukehren. Die damals lebende Substanz hatte das Sterben noch leicht, es war wahrscheinlich nur ein kurzer Lebensweg zu durchlaufen, dessen Richtung durch die chemische Struktur des jungen Lebens bestimmt war. Eine lange Zeit hindurch mag so die lebende Substanz immer wieder neu geschaffen worden und leicht gestorben sein, bis sich massgebende äußere Einflüsse so änderten, dass sie die noch überlebende Substanz zu immer grösseren Ablenkungen vom ursprünglichen Lebensweg und zu immer komplizirteren Umwegen bis zur Erreichung des Todesziels nötigten. Diese Umwege zum Todeo, von den konservativen Trieben getreulich festgehalten, bieten uns heute das Bild der Lebenserscheinungen. Wenn man all an der ausschliesslich konservativen Natur der Triebe festhält, kann man zu anderen Vermutungen über Herkunft und Ziel des Lebens nicht gelangen.

§ 84

Ebenso befremdend wie diese Folgerungen klingt dann, was sich für die grossen Gruppen von Trieben ergiebt, die wir hinter den Lebenserscheinungen der Organismen statuiren. Die Aufstellung der Selbsterhaltungstriebe, die wir jedem lebenden Wesen zugestehen, steht in merkwürdigem Gegensatz zur Voraussetzung, dass das gesamte Triebleben der Herbeiführung des Todes dient. Die theoretische Bedeutung der Selbsterhaltungs-Macht-und Geltungstriebe schrumpft sozusagen in diesem Lichte gesehen ein; es sind Partialtriebe, dazu bestimmt, den eigenen Todesweg des Organismus zu sichern und andere Möglichkeiten der Rückkehr zum Anorganischen als die immanenten fernzuhalten, aber das rätselhafte, in keinem n Zusammenhang einfügbare Bestreben des Organismus, sich aller Welt zum Trotz zu behaupten, entfällt. Es erübrigt, dass der Organismus nur auf seine Weise sterben will; auch diese Lebenswächter sind ursprünglich Trabanten des Todes gewesen. Dabei kom̄t das pParadoxe Verhalten zu Stande, daß der lebende Organismus sich auf das energischste gegen Einwirkungen (Gefahren) sträubt, die ihm dazu verhelfen könnten, sein Lebensziel auf kurzem Wege (durch Kurzschluß sozusagen) zu erreichen, aber dies Verhaltenncharakterisirt eben eine rein triebhaftes im Gegensatz zu einem intelligenten Streben.– Vgl. übrigens die später folgende Korrektur dieser extremen Auffassung der Selbsterhaltungstriebe.

§ 85

Aber besinnen wir uns, dem kann nicht so sein. In ein ganz anderes Licht rücken die Sexualtriebe, für welche die Neurosenlehre eine Sonderstellung in Anspruch genommen hat. Nicht alle Organismen sind dem äusseren Zwang unterlegen, der sie zu immer weiteren gehender Entwicklung antreibt ieb. Vielen ist es gelungen, sich auf ihrer niedrigen Stufe bis auf die Gegenwart zu bewahren; es leben ja noch heute, wenn nicht alle so doch viele Lebewesen, die den Vorstufen der höheren Thiere und Pflanzen ähnlich sein müßen. Und ebenso machen nicht alle Elementarorganismen, welche den komplizirten Leib eines höheren Lebexxwesens zusammensetzen, den ganzen Entwicklungsweg bis zum natürlichen Tode mit:. Einige unter ihnen, die Keimzellen, bewahren wahrscheinlich die ursprüngliche Struktur der lebenden Substanz und lösen sich, mit allen ererbten und neu

§ 86

[eingeklebte Ergänzung]

§ 87

Dabei kom̄t das pParadoxe Verhalten zu Stande, daß der lebende Organismus sich auf das energischste gegen Einwirkungen (Gefahren) sträubt, die ihm dazu verhelfen könnten, sein Lebensziel auf kurzem Wege (durch Kurzschluß sozusagen) zu erreichen, aber dies Verhaltenncharakterisirt eben eine rein triebhaftes im Gegensatz zu einem intelligenten Streben.– Vgl. übrigens die später folgende Korrektur dieser extremen Auffassung der Selbsterhaltungstriebe. erworbenen Triebanlagen beladen, nach einer gewissen Zeit vom ganzen Organismus ab. Vielleicht sind es gerade diese beiden Eigenschaften, die ihnen ihre selbständige Existenz ermöglichen. Unter günstige Bedingungen b gebracht, beginnen sie sich zu entwickeln d.h. das Spiel, dem sie ihre Entstehung verdanken, zu wiederholen, und dies endet damit, dass wieder ein Anteil ihrer Substanz, die Entwicklung bis zum Ende fortführt, während ein anderer als neuer Keimrest von Neuem auf den Anfang der Entwicklung zurückgreift. So arbeiten diese Keimzellen dem Sterben der lebenden Substanz entgegen und wissen für sie zu erringen, was uns als potentielle Unsterblichkeit erscheinen muß, wen̄gleich es viel leicht nur eine Verlängerung des Todesweges bedeutet. Völlig unverständlich In höchstem Grad bedeutungsvoll ist uns die Tatsache, daß die Keimzelle für diese Leistung durch die Verschmelzung mit einer anderen, ihr ähnlichen , und doch von ihr verschiedenen, gekräftigt oder überhaupt erst befähigt wird.

§ 88

Die Triebe, welche die Schicksale dieser das Einzelwesen überlebenden Elementarorganismen in Acht nehmen, für ihre sichere Unterbringung sorgen, solange sie wehrlos gegen die Reize der Aussenwelt sind, ihr Zusammentreffen mit den anderen Keimzellen herbeiführen u-s.w., bilden die Gruppe der Sexualtriebe. Sie sind in demselben Sinne konservativ wie die anderen, indem sie frühere Zustände der lebenden Substanz wiederbringen, aber sie sind es in stärkerem Masse, indem sie sich als besonderes resistent gegen äussere Einwirkungen erweisen, und da dann noch in einem weiteren Sinne, da sie das Leben selbst für längere Zeiten erhalten. Sie sind die eigentlichen Lebenstriebe; dadurch, dass sie der Absicht der anderen Triebe, welche durch die Funktion zum Tode führt, entgegenwirken, deutet sich ein

§ 89

[Hier fehlt das Faksimile der Seite 38 ohne die eingeklebte Ergänzung, so dass man die Transkription des der langen, gestrichenen Passage, die aus der diplomatischen Umschrift der ersten Reinschrift hier übernommen wurde, nicht überprüfen konnte. In der digital zugänglichen Fassung des Faksimiles findet sich diese Seite auch nicht ohne diese Einklebung. Quelle: https://www.loc.gov/resource/mss39990.OV0721/?sp=64 ] [2021-04-12]

§ 90

Gegensatz zwischen ihnen und den übrigen an, den die Neurosenlehre als bedeutungs- voll erkannt hat. Es ist wie ein Zauderrhythmus im Leben der Orig ganismen; die eine Triebgruppe stürmt nach vorwärts, ums das Endziel des Lebens möglichst bald zu erreichen, die andere schnellt an einer gewissen Stelle dieses Weges zurück, um ihn vorn einem bestimmten Punkt an nochmals zu machen und so die Dauer des Weges zu verlängern. Aber wenn auch Sexualität und Unterschied der Geschlechter waren zu Anfang Beginn des Lebens gewiss nicht vorhanden waren, und der geschilderte Ablauf erscheint uns als spätere Komplikation eines ursprünglich einfacheren und selbst als Wiederholung eines uns unbekan̄ten aber gewiß sehr wichtigen Moments in der Geschichte der lebenden Substanz, von dem an sie gelernt hat, ihr Leben zu verlängern, ein zweites und ein dem ersten entgegengesetzes Ziel zu erwerben. so bleibt es doch möglich, daß die später als sexuelle zu bezeichnenden Triebe von allen Anfang an in Tätigkeit getreten sind und ihre Gegenarbeit gegen das Spiel der Ichtriebe nicht erst zu einem späteren Zeitpunkt aufgenommen haben.x/

§ 91

Greifen wir nun selbst ein erstes Mal zurück, um zu fragen, ob nicht alle diese Spekulationen der Begründung entbehren: Giebt es wirklich, abgesehen von den Sexualtrieben, keine anderen Triebe als solche, die einen früheren Zustand wiederherstellen wollen, nicht auch andere, die nach einem noch nie erreichten streben? Ich weiss in der organischen Welt kein sicheres Beispiel, das unserer vorgeschlagenen Charakteristik widerspräche. Ein Trieb zur Höherentwicklung in der Tier-und Pflanzenwelt lässt sich gewiss nicht feststellen, wennn auch eine solche Entwicklungsrichtung tatsächlich unbestritten bleibt. Aber einerseits ist es vielfach nur Sache unserer Einschätzung, wenn wir eine Entwicklungsstufe für höher als eine andere erklären, und anderseits zeigt uns die Wissenschaft des Lebenden, daß Höherentwicklung in einem Punkte sehr häufig durch Rückbildung in einem anderen erkauft oder wettgemacht wird. Auch giebt es Tierformen genug, deren Jugendzustände uns erkennen laßen, dass ihre Entwicklung vielmehr einen rückschreitenden Charakter hat gewonnennommen hat. Höherentwicklung wie Rückbildung könnten beide Folgen der zur Anpassung drängenden äusseren Kräfte sein, und die Rolle der Triebe könnte sich für beide Fälle darauf beschränken, die aufgezwungene Veränderung als innere Kraftquelle festzuhalten. x/ x/

§ 92

Vielen von uns mag es auch schwer werden, auf den Glauben zu verzichten, dass im Menschen selbst ein Trieb zur Vervollkommnung wohnt, der ihn auf seine gegenwärtige Höhe geistiger Leistung und ethischer Sublimierung gebracht hat, und von dem man erwarten darf, daß er seiner Entwicklung zum Uebermenschen besorgen wird. Allein ich glaube nicht an einen solchen/ inneren/ Trieb und sehe keinen Weg, diese woltuende Illusion zu schonen. Die bisherige Entwicklung des Menschen scheint mir keiner anderen Erklärung zu bedürfen, als die der Tiere, und was man an einer Minderzahl von menschlichen Individuen als rastlosen Drang zu weiterer Vervollkommnung beobachtent, läßt sich ungezwungen als Folge der Triebverdrängung verstehen, auf welche das Wertvollste an der menschlichen Kultur aufgebaut ist. Der verdrängte Trieb giebt es nie auf, nach seiner vollen Befriedigung zu streben, die in der Wiederholung eines primären Befriedigungserlebnisses bestünde; alle Ersatz-, Reaktionsbildungen und Sublimierungen sind ungenügend, um seine anhaltende Spannung aufzuheben, und aus der Differenz zwischen der gefundenen und der geforderten Befriedigungslust ergiebt sich das t¿¿ reibende Moment, welches bei keiner der hergestellten Situationen zu verharren gestattet, sondern nach des Dichters Worten “ungebändigt immer vorwärts dringt“ (Mephisto im Faust I. Studierzimmer.) Der Weg nach rückwärts, zur vollen Befriedigung

x/x/ Auf anderem Wege ist Ferenczi zur Möglichkeit derselben Auffassung gelangt (Entwicklungsstufen des Wirklichkeitssinnes, Int. Zeit. f. Psychoanalyse I, 1913): " „Bei konsequenter Durchführung dieses Gedankengangs muß man sich mit der Idee einer auch das organische Leben beherrschenden Beharrungs- resp. Regressionstendenz vertraut machen, während die Tendenz nach Fortentwicklung, Anpassung etc nur auf äußere Reize hin lebendig wird." (S.137) " § 93

[eingeklebte Ergänzung]

§ 94

Auf anderem Wege ist Ferenczi zur Möglichkeit derselben Auffassung gelangt (Entwicklungsstufen des Wirklichkeitssinnes, Int. Zeit. f. Psychoanalyse I, 1913): ist in der Regel durch die Widerstände, welche die Verdrängungen aufrecht halten, verlegt, und somit bleibt nichts anderes übrig als in der anderen noch freien Entwicklungsrichtung fortzuschreiten, allerdings ohne Aussicht, den Prozess abschl liessen und das Ziel erreichen zu können. Die Vorgänge bei der Ausbildung einer neurotischen Phobie, die ja nichts anderes als ein Fluchtversuch vor einer Triebbefriedigung ist, geben uns das Vorbild für die Entstehung dieses anscheinenden “Vervollkommnungstriebes“, denn wir aber als unmöglich allen menschlichen Individuen zuschreiben können. Die dynamischen Bedingungen dafür sind zwar ganz allgemein vorhanden, aber die oekonomischen Verhältnisse scheinen das Phänomen nur in seltenen Fällen zu begünstigen.

" § 95

„Bei konsequenter Durchführung dieses Gedankengangs muß man sich mit der Idee einer auch das organische Leben beherrschenden Beharrungs- resp. Regressionstendenz vertraut machen, während die Tendenz nach Fortentwicklung, Anpassung etc nur auf äußere Reize hin lebendig wird." (S.137)

"
§ 96

[Die Fortsetzung findet sich nach dem Einschub des neuen Kapitels am Ende des Textes als numehr Kapitel VII.]

§ 97

S40.

§ 98

VI.

§ 99

Unser bisheriges Ergebnis, welches einen scharfen Gegensatz zwischen den „Ichtrieben” und den Sexualtrieben aufstellt, die ersteren zum Tode und die letzteren zur Lebenserhaltung drängen läßt, wird uns gewiß nach vielen Richtungen selbst nicht befriedigen. Dazu kom̄t, daß wir eigentlich nur für die ersteren den konservativen oder besser regredierenden, einem Wiederholungszwang entsprechenden Charakter des Triebs in Anspruch nehmen konnten.

§ 100

Denn nach unserer Annahme rühren die Ichtriebe von der Belebung der unbelebten Materie her und wollen die Unbelebtheit wieder herstellen. Die Sexualtriebe aber hingegen –, es ist augenfällig, daß sie primitive Zustände des Lebewesens reproduziren, aber ihr mit allen Mitteln angestrebtes Ziel ist die Verschmelzung zweier in bestim̄ter Weise differenzirter Keimzellen. Wenn diese Vereinigung nicht zu Stande kommt, dann stirbt die Keimzelle wie alle anderen Elemente des vielzelligen Organismus. Nur unter dieser Bedingung kann die Geschlechtsfunktion das Leben verlängern und ihm den Schein der Unsterblichkeit verleihen. ¿ Welches wichtige Ereignis im Entwicklungsgang der lebenden Substanz wird aber durch die geschlechtliche Fortpflanzung oder ihren Vorläufer, die Kopulation zweier Individuen unter den Protisten wiederholt? Das wissen wir nicht zu sagen, und darum würden wir es als Erleichterung empfinden, wenn unser ganzer Gedankenaufbau sich als irrtümlich erkennen ließe.

§ 101

Kehren wir darum zu einer von uns eingeflochtenen Annahme zurück, in der Erwartung, sie werde sich exakt widerlegen lassen. Wir haben auf Grund der Voraussetzung weitere Schlüße aufgebaut, daß alles Lebende aus inneren Ursachen sterben müße. Wir haben diese Annahme so sorglos gemacht, weil sie uns nicht als solche erscheint. Wir sind gewohnt so zu denken, unsere Dichter bestärken uns darin. Vielleicht haben wir uns dazu entschloßen, weil ein Trost in diesem Glauben liegt. Wenn man schon selbst sterben und vorher seine Liebsten durch den Tod verlieren soll, so will man wenigstens lieber einem unerbittlichen Naturgesetz, der hehren Ανάγχη, erlegen sein als einem Zufall, der sich etwa noch hätte f vermeiden laßen. Aber vielleicht ist dieser Glaube an die innere Gesetzmäßigkeit des Sterbens auch nur eine der Illusionen, die wir uns geschaffen haben, „um die Schwere des Daseins zu ertragen”. Ursprünglich ist er sicherlich nicht, denn primitiven Völkern ist die Idee eines „natürlichen Todes” fremd; sie führen jedes Sterben unter ihnen auf den Einfluß eines Feindes oder eines beste bösen Geistes zurück. Versäumen wir es darum nicht, uns zur Prüfung dieses Glaubens an die biologische Wissenschaft zu wenden.

§ 102

Wenn wir so thun, dürfen wir erstaunt sein, wie wenig die Biologen in der Frage des natürlichen Todes einig sind, ja daß ihnen der Begriff des Todes überhaupt unter den Händen zerrinnt. Die Tatsache einer bestimmten durchschnittlichen Lebensdauer wenigstens bei höheren Thieren spricht natürlich für den Tod aus inneren Ursachen, aber der Umstand, daß einzelne große Thiere und riesenhafte Baumgewächse ein sehr hohes und bisher nicht abschätzbares Alter erreichen, hebt diesen Eindruck wieder auf. Nach der großartigen Konzeption von W. Fliess sind alle Lebenserscheinungen, – und gewieß auch der Tod der Organismen an die Erfüllung bestimmter Termine gebunden, in denen die Abhängigkeit zweier lebenden Substanzen, einer männlichen und einer weiblichen, vom Sonnenjahr zum Ausdruck kom̄t. Allein die Beobachtungen, wie leicht und bis zu welchem Ausmaß es dem Einfluß äußerer Kräfte möglich ist, die Lebensäußerungen insbesondere der Pflanzenwelt in ihrem zeitlichen Auftreten zu verändern sie zu verfrühen oder hintanzuhalten, sträuben sich gegen die Starrheit der Fliess’schen Formeln und lassen zum mindesten an der Alleinherrschaft der von ihm aufgestellten Gesetze zweifeln.

§ 103

Das größte Interesse knüpft sich für uns an die Behandlung, welche das Thema von der Lebensdauer und vom Tode der Organismen in den Arbeiten von A. Weismann gefunden hat. x)x) Von diesem

x)x) Über die Dauer des Lebens 1882; Über Leben und Tod 1892; Das Keimplasma 1892. u. a. 1) Über Leben und Tod. 2 Aufl, 1892, S20. § 104

Was uns hieran fesselt, ist die unerwartete Analogie mit unserer eigenen, auf so verschiedenem Wege entwickelten Auffassung. Weismann, der die lebende Substanz morphologisch betrachtet, erkennt in ihr einen Bestandteil, der dem Tode verfallen ist, das Soma, den Körper abgesehen vom Geschlechts- und Vererbungsstoff, und einen unsterblichen, eben dieses Keimplasma, welches der Erhaltung der Art, der Fortpflanzung dient. Wir haben nicht den lebenden Stoff, sondern die in ihm thätigen Kräfte eingestellt und sind dazu geführt worden zwei Arten von Trieben zu unterscheiden, jene welche das Leben zum Tod führen wollen, und die anderen die Sexualtriebe, welche immer wieder die Erneuerung des Lebens anstreben und durchsetzen. Das klingt wie ein dynamisches Korollar zu Weismann’s morphologischer Theorie.

§ 105

Der Anschein einer bedeutsamen Übereinstimmung verflüchtigt sich alsbald, wenn wir Weismann’s Entscheidung über das Problem des Todes vernehmen. Denn Weismann macht läßt die Sonderung von sterblichem Soma und unsterblichem Keimplasma erst bei den vielzelligen Organismen gelten, bei den einzelligen Thieren sind Individuum und Fortpflanzungszelle noch ein und dasselbe, x) x) Die Ein – zelligen erklärt er also für potentiell unsterblich, der Tod tritt erst bei den Metazoen, den Vielzelligen, auf. Dieser Tod der höheren Lebewesen ist allerdings ein natürlicher, ein Tod aus inneren Ursachen, aber er beruht nicht auf einer Ureigenschaft der lebenden Substanz x)x), kann nicht als eine absolute, im Wesen des Lebens begründete Notwendigkeit aufgefaßt werden. x)x) Der Tod ist vielmehr eine Zweck- mäßigkeitseinrichtung, eine Erscheinung der Anpassung an die äußeren Lebensbedingungen, weil von der Sonderung der Körperzellen in Soma und Keimplasma, an die unbegrenzte Lebensdauer des Individuums ein ganz unzweckmäßiger Luxus geworden wäre. Mit dem Eintritt dieser Differenzirung bei den Vielzelligen wurde der Tod möglich und zweckmäßig. Seither stirbt das Soma der höheren Lebewesen aus in̄eren Gründen zu bestim̄ten Zeiten ab, die Protisten aber sind unsterblich geblieben. Die Fortpflanzung abe hingegen ist nicht erst mit dem Tod eingeführt worden, sie ist vielmehr eine Ureigenschaft der lebenden Materie wie das Wachstum, aus welchem sie hervorging, und das Leben ist von seinem Beginn auf Erden an kontinuirlich geblieben. x)x)

x)x) dank des Lebens, S 38- x)x) Leben und Tod, zweite Aufl, S. 67. x)x) Dauer des Lebens, S 33. x)x) Über Leben und Tod, Schluß. § 106

Es ist leicht einzusehen, daß das Zugeständnis eines natürlichen Todes für die höheren Organismen unserer Sache wenig hilft. Wenn der Tod eine späte Erwerbung der Lebewesen ist, dann kom̄en Todestriebe, die sich vom Beginn des Lebens auf Erden ableiten, weiter nicht in Betracht. Die Vielzelligen mögen dann immerhin aus inneren Gründen sterben, an den Mängeln ihrer Differenzirung oder an den Unvollkom̄enheiten seines ihres Stoffwechsels; es hat für die Frage, die uns beschäftigt, kein Interesse. Eine solche Auffassung und Ableitung des Todes liegt dem gewohnten Denken der Menschen auch sicherlich viel näher als die befremdende Annahme von „Todestrieben“.

§ 107

Die Diskussion, die sich an die Aufstellungen von Weisman angeschloßen, hat nach meinem Urteil in keiner Richtung Entscheidendes ergeben.x)

§ 108

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§ 109

x) Vgl. Max Hartmann, Tod und Fortpflanzung 1906. Alex. Lipschütz, Warum wir sterben, Kosmos19bücher 1914. Franz Dof lein, Das Problem des Todes und der Unsterblichkeit bei den Pflanzen und Tieren, 1919.

§ 110

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§ 111

Manche Autoren sind zum Standpunkt von Goette zurückgekehrt (1883), der in dem Tod die direkte Folge der Fortpflanzung sah. Hartmann charakterisirt den Tod nicht durch Auftreten einer „Leiche“ eines abgestorbenen Anteils der lebenden Substanz, sondern definirt ihn als den „Abschluß der individuellen Entwicklung“. In diesem Sinne sind auch die Protozoen sterblich, der Tod fällt bei ihnen im̄er mit der Fortpflanzung zusam̄en, aber

§ 112

er wird durch diese gewissermaßen verschleiert, indem die ganze Substanz des Elterntieres direkt in die jungen Kinderindividuen übergeführt werden kann (l.c. S. 29).

§ 113

Das Interesse der Forschung hat sich bald darauf gerichtet, die behauptete Unsterblichkeit der lebenden St Substanz an den Einzelligen experimentell zu erproben. Ein Amerikaner, Woodruff hat ein bewimpertes Infusorium, ein „Pantoffelthierchen", das sich durch Teilung in zwei Individuen fortpflanzt, in Zucht genom̄en und es bis zur 3029 sten Generation, wo er den Versuch abbrach, verfolgt, indem er jedesmal das eine der Teilprodukte isolirte und in frisches Wasser brachte. Dieser späte Abköm̄ling des ersten Pantoffelthierchens war ebenso frisch wie der Urahn, ohne alle Zeichen des Alterns oder der Degeneration; somit schien, wenn solchen Zalen bereits Beweiskraft zukommt, die Unsterblichkeit der Protisten experimentell erweisbar. x)

§ 114

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§ 115

x) Für dies und das Folgende vgl Lipschütz l.c. S. 26 und 52 ff.

§ 116

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§ 117

Andere Forscher sind zu anderen Resultaten gekommen. Maupas, Calkins und A. haben im Gegensatz zu Woodruff gefunden, daß auch diese Infusorien nach einer gewißen Anzal von Teilungen schwächer werden, an Größe abnehmen, einen Teil ihrer Organisation einbüßen und endlich sterben, wenn sie nicht gewiße auffrischende Einflüße erfahren. Demnach stürben die Protozoen nach einer Phase des Altersverfalles ganz wie die höheren Tiere, so recht im Widerspruch zu den Behauptungen Weismann’s,

§ 118

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der den Tod als eine späte Erwerbung der lebenden Organismen anerkennt.

§ 120

Aus dem Zusammenhange dieser Untersuchungen heben wir zwei Tatsachen heraus, die uns einen festen Anhalt zu bieten scheinen. Erstens: Wenn die Thierchen zu einem Zeitpunkt, da sie noch keine Altersveränderung zeigen, miteinander zuzweit verschmelzen, „kopuliren“ können, worauf sie nach einiger Zeit wieder auseinandergehen, – so bleiben sie vom Alter verschont, sie sind „verjüngt“ worden. Diese Kopulation ist doch wol der Vorläufer der geschlechtlichen Fortpflanzung höherer Wesen; sie hat mit der Vermehrung noch nichts zu thun, beschränkt sich auf die Vermischung der Substanzen beider Individuen (Weismann’s Amphimixis). Der auffrischende Einfluß der Kopulation kann aber auch ersetzt werden durch bestim̄te Reizmittel, Veränderungen in der Zusam̄ensetzung der Nährflüßigkeit, Temperatursteigerung oder Schütteln. Man erinnert sich an das berühmte Be Experiment von J. Loeb, der See­igeleier durch gewiße chemische Reize zu Teilungsvorgängen zwang, die sonst nur nach der Befruchtung auftreten.

§ 121

Zweitens: Es ist doch wahrscheinlich, daß die Infusorien durch ihren eigenen Lebensprozeß zu einem natürlichen Tod geführt werden, denn der Widerspruch zwischen den Ergebnißen von Woodruff und von anderen rührt daher, daß Woodruff jede neue Generation in frische Nährflüßigkeit brachte. Unterließ er

§ 122

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dies, so beobachtete er dieselben S Altersveränderungen der Generationen wie die anderen Forscher. Er schloß, daß die Thierchen durch die Produkte des Stoffwechsels, die sie an die umgebende Flüßigkeit abgeben, geschädigt werden, und konnte dann überzeugend nachweisen, daß nur die Produkte des eigenen Stoffwechsels diese zum Tode der Generation führende Wirkung haben. Denn in einer Lösung die mit den Abfallsprodukten einer entfernter verwandten Art übersättigt war, gediehen dieselben Thierchen ausgezeichnet, die in ihrer eigenen Nährflüßigkeit angehäuft sicher zu Grunde gingen. Das Infusor stirbt also sich selbst überlassen eines natürlichen Todes an der Unvollkom̄enheit der Beseitigung ihrer eigenen Stoffwechselprodukte; aber vielleicht sterben auch alle höheren Thiere im Grund an dem gleichen Unvermögen.

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Es mag uns da der Zweifel anwandeln, ob es überhaupt zweckdienlich war, die Entscheidung der Frage nach dem natürlichen Tod im Studium der Protozoen zu suchen. Die primitive Organisation dieser Lebewesen mag uns wichtige Verhältniße verschleiern, die auch bei ihnen Statt haben aber erst bei höheren Tieren erkannt werden können, wo sie sich einen morphologischen Ausdruck verschafft haben.

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Wenn wir den morphologischen Standpunkt verlassen, um den dynamischen einzunehmen, so kann es uns überhaupt gleichgiltig sein, ob sich der natürliche Tod der Protozoen erweisen läßt oder nicht. Bei ihnen hat sich die später

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als sterblich erkannte Substanz von der unsterblichen noch in keiner Weise gesondert. Die Triebkräfte, die das Leben in den Tod überführen wollen, könnten auch bei in ihnen von Anfang an wirksam sein, und doch könnte ihr Effekt durch den der lebenserhaltenden Kräfte so gedeckt werden, daß ihr direkter Nachweis sehr schwierig wird. Wir haben allerdings gehört, daß die Beobachtungen und Versuche der Biologen uns die Annahme solcher zum Tod führenden inneren Vorgänge auch für die Protisten gestatten.

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Aber selbst wenn die Protisten für als unsterblich im Sinne von Weismann erweisen, so gilt seine Behauptung, der Tod sei eine späte Erwerbung, nur für die manifesten Wirkungen Äußerungen des Todes und macht keine Annahme über die zum Tode drängenden Prozeße unmöglich. Unsere Erwartung, die Biologie werde die Ann Anerken̄ung der Todestriebe unmöglich glatt beseitigen machen, hat sich nicht erfüllt. Wir können uns mit ihrer Möglichkeit weiter beschäftigen, wenn wir sonst Gründe dafür haben. Die auffällige Ähnlichkeit der Weismann'schen Sonderung von Soma und Keimplasma mit unserer Scheidung der Le Todestriebe von den Lebenstrieben bleibt aber bestehen und erhält ihren Wert wieder.

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Verweilen wir kurz bei dieser exquisit dualistischen Auffassung des Trieblebens. Nach der Theorie E. Hering's von den Vorgängen in der lebenden Substanz laufen in ihr unausgesetzt zweierlei Prozeße entgegengesetzter Richtung ab, die einen aufbauend – assimilatorisch, die

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anderen abbauend – di assimilatorisch. Sollen wir es wagen in diesen beiden Richtungen der Lebensprozeße die Betätigung unserer beiden Triebregungen, der Lebenstriebe und der Todestriebe zu erkennen? Aber etwas anderes können wir uns nicht verhehlen, daß wir unversehens in den Hafen der Philosophie Schopenhauers eingelaufen sind; für den ja der Tod „das eigentliche Resultat" und insoferne der Zweck des Lebens ist x), der Sexualtrieb aber die Verkör-

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x) Über die anscheinende Absichtlichkeit im Schicksale des Einzelnen, Großherzog Wilhelm Ernst Ausgabe, IV Bd. S 268 –––––––––––––––––––––––––––––

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¿ perung des Willens zum Leben.

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Versuchen wir kühn, einen Schritt weiter zu gehen. Nach allgemeiner Einsicht ist die Vereinigung zalreicher Zellen zu einem Lebensverband, die Vielzelligkeit der Organismen, ein Mittel zur Verlängerung eh¿ ihrer Lebensdauer geworden. Eine Zelle hilft dazu, das Leben einer der anderen zu erhalten, und der Zellenstaat kann weiterleben, auch wenn einzelne Zellen absterben müßen.

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Wir haben bereits gehört, daß auch die Kopulation, die zeitweilige Verschmelzung, zweier Einzelliger, lebenserhaltend und verjüngend auf beide wirkt. Somit könnte man den Versuch machen die in der Psychoanalyse gewonnene Libidotheorie auf das Verhältniß der Zellen zu einander zu übertragen und sich vorzustellen, daß es die in jeder Zelle thätigen Lebens- oder Sexualtriebe sind, welche die anderen Zellen zum Objekt nehmen, deren Todestriebe, d.i die von diesen angeregten Prozeße

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teilweise neutralisiren und sie so am Leben erhalten, während andere Zellen dasselbe für sie besorgen und noch andere in der Ausübung dieser libidinösen Funktion sich selbst aufopfern. Die Keimzellen selbst würden sich absolut „narzißtisch" benehmen, wie wir’s in der Neurosenlehre zu bezeichnen gewohnt sind, wenn ein ganzes Individuum seine Libido im Ich behält und nichts von ihr für Objektbesetzungen verausgabt. Die Keimzellen brauchen ihre Libido, die Tätigkeit ihrer Lebenstriebe für sich selbst als Vorrat für ihre spätere, großartig aufbauende Tätigkeit. So würde also die Libido unserer Sexualtriebe mit dem Eros der Dichter und Philosophen zusam̄enfallen, der alles Lebende zusam̄enhält.

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An dieser Stelle finden wir den Anlaß die langsame Entwicklung unserer Libidotheorie zu überschauen. Die Analyse der Übertragungsneurosen zwang uns zunächst den Gegensatz zwischen Sexualtrieben, die auf das Objekt gerichtet waren sind, und anderen Trieben auf, die wir nur sehr ungenügend erkannten und vorläufig als Ichtriebe bezeichneten. Unter ihnen mußten Triebe, die der Selbsterhaltung des Individuums dienen, in erster Linie anerkannt werden. Was für andere Unterscheidungen da zu machen waren, konnte man nicht wissen. Keine Kenntnis wäre für die Begründung einer richtigen Psychologie so wichtig gewesen wie eine ungefähre Einsicht in die gemeinsame Natur und die etwaigen Besonderheiten der Triebe. Aber auf keinem Gebiet der Psychologie

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tappte man so sehr im Dunkeln. Jedermann stellte so viele Triebe oder „Grundtriebe" auf, als ihm beliebte und wirtschaftete mit ihnen wie die alten griechischen Naturphilosophen mit ihren vier Elementen: dem Wasser, der Erde, dem Feuer und der Luft. Die Psychoanalyse, die irgend einer Annahme über die Triebe nicht entraten konnte, hielt sich vorerst an die populäre Triebunterscheidung, für die das Wort von „Hunger und Liebe" vorbildlich ist. Es war wenigstens kein neuer Willkürakt. Damit la reichte man in der Analyse der Psychoneurosen ein ganzes Stück weit aus. Der Begriff der Sexualität – und damit der eines Sexualtriebs – mußte freilich erweitert werden, bis er vieles einschloß, was sich nicht der Fortpflanzungsfunktion einordnete, und darüber gab es Lärm genug in der strengen, vornehmen oder blos heuchlerischen Welt.

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Der nächste Schritt erfolgte, als sich die Psychoanalyse näher an das psychologische Ich herantasten konnte, das ihre¿ zunächst nur als ze verdrängende, zensurirende und zu Schutzbauten, Reaktionsbildungen, befähigte Instanz bekannt geworden war.

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Kritische und andere, weitblickende, Geister hatten zwar längst gegen die Einschränkung des Libidobegriffes auf die Energie der dem Objekt zugewendeten Sexualtriebe Einspruch erhoben. Aber sie versäumten es mitzuteilen, woher ihnen die bessere Einsicht gekom̄en war, und verstanden nicht, etwas für die Analyse Brauchbares aus ihr abzuleiten. In

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bedächtigerem Fortschritten eiten fiel es nun der psychoanalytischen Beobachtung auf, wie regelmäßig Libido vom Objekt abgezogen und aufs Ich gerichtet wird, (Introversion) und indem sie die Libidoentwicklung des Kindes in ihren frühesten Phasen studirte, kam sie zur Einsicht, daß das Ich das eigentliche und ursprüngliche Reservoir der Libido sei, die erst von da aus auf das Objekt erstreckt werde. Das Ich trat unter die Sexualobjekte und wurde gleich als das vornehmste unter ihnen erkannt. Wenn die Libido so im Ich verweilte, wurde sie narzißtisch genannt.x) Diese

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––––––––––––––––––––––––––––– x) Zur Einführung des Narzißmus. Jahrb. der Psychoanalyse VI 1914 und Sam̄lung kl. Schriften zur Neurosenlehre, vierte Folge 1918 ––––––––––––––––––––––

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narzißtische Libido war natürlich auch die Kraftäußerung von Sexualtrieben, im analytischen Sinne, die man mit den von Anfang an zugestandenen „Selbsterhaltungstrieben" identifizieren mußte. Somit war der ursprüngliche Gegensatz von Ichtrieben und Sexualtrieben unzureichend geworden. Ein Teil der Ichtriebe war als libidinös erkannt; im Ich waren – neben anderen wahrscheinlich – auch Sexualtriebe wirksam, doch ist es berechtigt, daß die alte Formel die Psychoneurose beruhe auf einem Konflikt zwischen den Ichtrieben und den Sexualtrieben nichts enthielt, was heute zu verwerfen wäre. Der Unterschied der beiden Triebarten, der ursprünglich irgend¿ wie qualitativ gemeint war, ist jetzt nur anders, nämlich topisch zu bestimmen. Insbesondere die Übertragungsneurose, das eigentliche Studienobjekt

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der Psychoanalyse, bleibt das Ergebnis eines Konflikts zwischen dem Ich und der libidinösen Objektbesetzung.

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Umsomehr müßen wir den libidinösen Charakter der Selbsterhaltungstriebe jetzt betonen, da wir den weiteren Schritt wagen, den Sexualtrieb als den alles Leben erhaltenden Eros zu erkennen. und die narzißtische Libido des Ichs aus den Libidobeiträgen ableiten, w¿ mit denen die Somazellen an einander haften. Nun aber sehen finden wir uns plötzlich in folgender Weise Frage gegenüber: Wenn auch die Selbsterhaltungstriebe libidinöser Natur sind, dann haben wir vielleicht überhaupt keine anderen Triebe als libidinöse. Es sind wenigstens keine anderen zu sehen. Dann muß man aber doch den Kritikern recht geben, die von Anfang an geahnt haben, die Psychoanalyse erkläre alles aus der Sexualität, oder den Neuerern wie Jung, die kurz entschloßen Libido für „Triebkraft“ überhaupt gebraucht haben. Ist dem nicht so?

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¿ In unserer Absicht lag dies Resultat allerdings nicht. Wir sind ja vielmehr von einer scharfen Scheidung zwischen Ichtrieben = Todestrieben und Sexualtrieben = Lebenstrieben ausgegangen. Wir waren ja bereit, auch die angeblichen Selbsterhaltungstriebe des Ichs zu den Todestrieben zu rechnen, was wir jetzt berichtigend zurückziehen müßen. Wir vermuten, daß im Ich noch andere als die Selbsterhaltungstriebe thätig sind, wir sollten nur im Stande sein, sie aufzuzeigen. Es ist zu bedauern, daß die Analyse des Ichs so wenig fortgeschritten ist, daß dieser Nachweis uns recht schwer wird. Die

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libidinösen Triebe des Ichs mögen allerdings in besonderer Weise mit den anderen, uns noch fremden Ichtrieben verknüpft nach dem Ausdruck von Alf. Adler „verschränkt" sein. Noch ehe wir den Narzißmus klar erkannt hatten, bestand bereits in der Psychoanalyse die Vermutung, daß die „Ichtriebe" libidinöse Komponenten an sich gezogen haben. Aber das sind recht unsichere Möglichkeiten, denen die Gegner kaum Rechnung tragen werden. Es bleibt mißlich, daß uns die Analyse bisher im̄er nur in den Stand gesetzt hat, libidinöse Triebe nachzuweisen. Den Schluß, daß es darum andere nicht giebt, möchten wir darum doch nicht mitmachen.

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Bei dem gegenwärtigen Dunkel der Trieblehre thun wir wol nicht gut, irgend einen Einfall, der uns Aufklärung verspricht, zurückzuweisen. Wir sind von der großen Gegensätzlichkeit von Lebens- und Todestrieben ausgegangen. Die Objektliebe selbst zeigt uns eine zweite solche Polarität, die von Liebe (Zärtlichkeit) und Haß (Aggression). Wenn es uns nun gelänge, diese beiden Polaritäten in Beziehung zu einander zu bringen, die eine auf die andere zurückzuführen! Wir haben von jeher eine sadistische Komponente des Sexualtriebes anerkanntx), sie kann sich, wie wir wissen,

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–––––––––––––––––––––––––– x) „Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie", von der ersten Auflage 1905 an. ––––––––––––––––––––––––––

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selbständig machen und als Perversion das gesamte Sexualstreben der Person beherrschen. Sie tritt auch in einer der von mir sogenannten „praegenitalen Organisationen" als

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dominierender Partialtrieb hervor? Wie soll man aber den sadistischen Trieb, der auf die Schädigung des Objekts zielt, vom lebenserhaltenden Eros ableiten können.? Liegt da nicht die Annahme nahe, daß dieser Sadismus eigentlich ein Todestrieb ist, der durch den Einfluß der narzißtischen Libido vom Ich abgedrängt wurde, so daß er erst am Objekt zum Vorschein kommt? Er tritt dann in den Dienst der Sexualfunktion; im oralen Organisationsstadium der Libido fällt die Liebesbemächtigung noch mit der Vernichtung des Objekts zusam̄en, später trennt sich der sadistische Trieb ab und endlich übernim̄t er auf der Stufe des Genitalprimats zum Zwecke der Fortpflanzung die Funktion, das Sexualobjekt soweit zu bewältigen, als es die Ausführung des Geschlechtsaktes erfordert.

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Wenn es erlaubt ist eine solche Annahme zu machen, so wäre die Forderung erfüllt, ein Beispiel eines – allerdings verschobenen – Todestriebes aufzuzeigen. Nur daß diese Auffassung von jeder Anschaulichkeit weit entfernt ist und einen geradezu mystischen Eindruck macht. Wir kommen in den Verdacht, um jeden Preis eine Auskunft aus einer großen Verlegenheit gesucht zu haben. Dann dürfen wir uns aber darauf berufen, daß eine solche Annahme nicht neu ist, daß wir sie bereits früher einmal gemacht haben, als von einer Verlegenheit noch keine Rede war. Klinische Beobachtungen haben uns seinerzeit zur Auffassung genötigt, daß der dem Sadismus komplementäre Partialtrieb des Masochismus als eine Rückwendung des Sadismus

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Ja, man könnte sagen, der aus dem Ich herausgedrängte Sadismus zeige habe den libidinösen Komponenten des Sexualtriebs den Weg gezeigt; späterhin drängen diese zum Objekt nach. Wo der ursprüngliche Sadismus keine Ermäßigung und Verschmelzung erfährt, ist die bekannte Liebe-Haß-Ambivalenz des Liebeslebens hergestellt.

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gegen das eigene Ich zu verstehen sei.x) Eine

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––––––––––––––––––––––––––– x) Vgl Sexualtheorie – 4 Aufl 1920, und „Triebe und Triebschicksale" in Sam̄lg kl. Schriften, vierte Folge. ––––––––––––––––––––––––––– Wendung des Triebes vom Objekt zum Ich ist aber prinzipiell nichts anderes als die Wendung vom Ich zum Objekt, die hier als neu infrage steht. Der Sadismus, de Masochismus, die Wendung des Triebs gegen das eigene Ich, wäre dann in Wirklichkeit eine Rückkehr zu einer früheren Phase desselben, eine Regression. In einem Punkte bedürfte die damals vom Masochismus gegebene Darstellung einer Berichtigung als allzu ausschließlich. Der Masochismus könnte auch, was ich dort bestreiten wollte, ein primärer sein x) .

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––––––––––––––––––––––––––– x) In einer inhalts- und gedankenreichen, für mich leider nicht ganz durchsichtigen Arbeit hat Sabina Spielrein ein ganzes Stück dieser Spekulation vorweggenom̄en. Sie bezeichnet die sadistische Komponente des Sexualtriebs als die „destruktive". (Die Destruktion als Ursache des Werdens, Jahrb. f. Psychoanalyse IV. 1912. –––––––––––––––––––––––––––

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Aber kehren wir zu den lebenserhaltenden Sexualtrieben zurück. Schon aus der Er Protistenforschung haben wir erfahren, daß die Verschmelzung zweier Individuen ohne nachfolgende Teilung, die Kopulation, auf beide Individuen, die sich dann bald von einander lösen, ¿ stärkend und verjüngend wirkt. (S. o. Lipschütz). Sie zeigen in weiteren Generationen keine Degenerationserscheinungen und scheinen befähigt, den Schädlichkeiten ihres eigenen Stoffwechsels länger zu widerstehen. Ich meine, daß diese eine Beobachtung als vor-

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bildlich für den Effekt auch der geschlechtlichen Vereinigung genom̄en werden darf. Aber auf welche Weise bringt die Verschmelzung zweier wenigverschiedener Zellen eine solche Erneuerung des Lebens zu Stande? Der Versuch, der die Konjugation bei den Protozoen durch die Einwirkung chemischer, ja selbst mechanischer Reize (l. .) ersetzt, gestattet wol eine sichere Antwort zu geben: Es geschieht durch die Zufuhr neuer Reizgrößen. Das stim̄t nun aber gut zur Annahme, daß der Lebensprozeß des Individuums aus inneren Gründen zur Abgleichung chemischer Span̄ungen, d.h. zum Tode führt, während die Vereinigung mit einer individuell verschiedenen lebenden Substanz diese Span̄ungen vergrößert, sozusagen neue Vitaldifferenzen einführt, die dann abgelebt werden müssen. Für diese Verschiedenheit muß es natürlich ein oder mehrere Optima geben. Daß wir als die herrschende Tendenz des Seelenlebens, vielleicht des Nervenlebens überhaupt, das Streben nach Herabsetzung, Konstanterhaltung, Aufhebung der inneren Spa Reizspan̄ung erkannten, wie es gleich (das Nirwanaprinzip nach einem englischen Autor), wie es im Lustprinzip zum Ausdruck kom̄t, das ist ja eines unserer stärksten Motive an die Existenz von Todestrieben zu glauben.

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Als empfindliche Störung unseres Gedankenganges verspüren wir es aber noch immer, daß wir gerade für den Sexualtrieb jenen Charakter eines Wiederholungszwanges nicht nachweisen können, der uns zuerst zur Aufspürung der Todestriebe führte.

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Das Gebiet der embryonalen Entwicklungsvorgänge ist zwar überreich an solchen Wiederholungserscheinungen, die beiden Keimzellen der geschlechtlichen Fortpflanzung und ihre Lebensgeschichte sind selbst nur Wiederholungen der Anfänge des organischen Lebens; aber das Wesentliche an den vom Sexualtrieb intendirten Vorgängen ist doch die Verschmelzung zweier Zelleiber. Erst durch diese wird bei den höheren Lebewesen die Unsterblichkeit der lebenden Substanz gesichert.

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Mit anderen Worten: wir sollen Auskunft schaffen über die Entstehung der geschlechtlichen Fortpflanzung und die Herkunft der Sexualtriebe überhaupt, eine Aufgabe, vor der ein Außenstehender zurückschrecken muß, und die von den Spezialforschern selbst bisher nicht gelöst werden konnte. In knappster Zusam̄endrängung sei darum aus all den widerstreitenden Angaben und Meinungen hervorgehoben, was einen Anschluß an unseren Gedankengang zuläßt.

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Die eine Auffassung benim̄t dem Problem der Fortpflanzung seinen geheimnisvollen Reiz, indem sie die Fortpflanzung als eine Teilerscheinung des Wachstums auffa darstellt. (Teil Vermehrung durch Teilung, Sproßung, Knospung). Die Entstehung der Fortpflanzung durch geschlechtlich differenzirte Keimzellen könnte man sich nach nüchterner Darwin'scher Denkungsart, so vorstellen daß der Vorteil der Amphimixis, der sich dereinst bei der zufälligen Konjugation zweier Protisten ergab, ¿¿ im

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der weiteren ferneren Entwicklung festgehalten und weiter ausgenützt wurde.x) Das „Geschlecht“

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x) Obwohl Weismann (Das Keimplasma, 1892) auch diesen Vorteil leugnet: „Die Befruchtung bedeutet keinesfalls eine Verjüngung oder Erneuerung des Lebens, sie wäre durchaus nicht notwendig zur Fortdauer des Lebens, sie ist nichts als eine Einrichtung, um die Vermischung zweier verschiedener Vererbungstendenzen möglich zu machen.“ Als die Wirkung einer solchen Vermischung betrachtet er aber doch eine gest Steigerung der Variabilität der Lebewesen.

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wäre also nicht sehr alt, und die außerordentlich heftigen Triebe, welche die geschlechtliche Vereinigung herbeiführen wollen, wiederholten dabei etwas, was sich zufällig einmal ereignet und seither als vorteilhaft befestigt hat.

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Es ist hier wiederum wie beim Tod die Frage, ob man bei den Protisten nichts anderes gelten lassen sollen, als was sie zeigen, und ob man annehmen ¿ darf, daß Kräfte und Vorgänge, die erst bei höheren Lebewesen sichtbar werden, auch bei diesen zuerst entstanden sind. Für unsere Absichten leistet die erwähnte Auffassung der Sexualität sehr wenig. Man wird gegen sie einwenden dürfen, daß sie die Existenz von Lebenstrieben, die schon im einfachsten Lebewesen wirken, voraussetzt, denn sonst wäre ja die Konjugation, die dem Lebensablauf entgegenwirkt und die Aufgabe des Ablebens erschwert, nicht festgehalten und ausgearbeitet, sondern vermieden worden. Wenn man

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also die Annahme von Todestrieben nicht fahren lassen will, muß man ihnen von allem Anfang an Lebenstriebe zugesellen. Aber man muß es zugestehen, wir arbeiten da an einer Gleichung mit zwei Unbekannten.

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Was wir sonst in der Literatur Wissenschaft über die Entstehung der Geschlechtlichkeit finden, ist so wenig, daß man dies Problem einem Dunkel vergleichen kann in welches auch nicht der Lichtstral einer Hypothese gedrungen ist. An ganz anderer Stelle begegnen wir allerdings einer solchen Hypothese, die aber von so phantastischer Art ist, – gewiß eher als ein Mythus als eine wissenschaftliche Erklärung –, daß ich nicht wagen würde, sie hier anzuführen, wenn sie nicht gerade die eine Bedingung erfüllen würde, nach deren Erfüllung wir streben. Sie leitet nämlich einen Trieb ab von dem Bedürfnis nach Wiederherstellung eines früheren Zustandes.

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Ich meine natürlich die Theorie, die Plato im Symposion durch Aristophanes entwickeln läßt, und die nicht nur die Herkunft des Geschlechtstriebs, sondern auch seiner wichtigsten Variation in Bezug auf das Objekt behandelt: x)

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x) Übersetzung von Rud. Kaßner

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„Die menschliche Natur warja einst ganz anders. Ursprünglich gab es drei Geschlechter, Drei und nicht wie heute zwei; neben dem männlichen und weiblichen lebte ein drittes Geschlecht, welches an den beiden

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ersten gleichen Anteil hatte, ......" Alles an diesen Menschen war aber doppelt, sie hatten also vier Hände und vier Füße, zwei Gesichter, doppelte Schamteile us.w. Da ließ sich Zeus bewegen, jeden Menschen in zwei Teile zu teilen, „wie man Birnen, um sie einzumachen entzwei schneidet" ..... „Als nun auf diese Weise die ganze Natur entzwei war, kam in jeden Menschen die große Sehnsucht nach seiner eigenen anderen Hälfte und die beiden Hälften schlugen die Arme ineinander und verflochten ihre Leiber und wollten wieder zusam̄enwachsen ......."

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Sollen wir, dem Wink des Dichterphilosophen folgend, die Annahme wagen, daß die l ebende Substanz bei ihrer Belebung gleichzeitig in kleine Partikel zerrißen wurde, die seither durch die Sexualtriebe ihre Wiedervereinigung anstreben? Daß diese Triebe, in denen sich die chemische Affinität der unbelebten Materie fortsetzt, durch das Reich der Protisten hindurch allmälich die Schwierigkeiten überwinden, welche eine mit lebensgefährlichen Reizen geladene Umgebung diesem Streben entgegengesetzte, die sie zur Bildung einer schützenden Rindenschicht nötigt? Daß sie diese zersprengten Teilchen lebender Substanz so die Vielzelligkeit erreichen und endlich den Keimzellen den Trieb zur Wiedervereinigung in höchster Konzentration übertragen? Ich glaube es ist hier die Stelle, abzubrechen.

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Doch nicht, ohne einige Worte kritischer Besinnung anzuschließen. Man könnte mich fragen, ob und inwieweit ich selbst

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von den hier entwickelten Annahmen überzeugt bin. Meine Antwort würde lauten daß ich weder selbst überzeugt bin noch bei anderen um Glauben für sie werbe. Richtiger: ich weiß nicht, wie weit ich an sie glaube. Es scheint mir, daß das affektive Moment der Überzeugung hier gar nicht in Betracht zu kom̄en braucht. Man kann sich doch einem Gedankengang hingeben, ihn verfolgen, soweit er führt, nur aus wissenschaftlicher Neugierde, oder wenn man will, als advocatus diaboli, der sich darum doch nicht dem Teufel selbst verschreibt. Ich verkenne nicht, daß der dritte Schritt in der Trieblehre, den ich hier unternehme, nicht die Sicherheit beanspruchen kann wie die beiden früheren, die Erweiterung des Begriffs der Sexualität und die Aufstellung des Narzißmus. Diese Neuerungen waren direkte Übersetzungen der Beobachtung in Theorie, mit nicht and größeren Fehlerquellen behaftet, als in all solchen Fällen unvermeidlich ist. Die Behauptung des regressiven Charakters der Triebe ruht allerdings auch auf beobachtetem Material, nämlich auf den Tatsachen des Wiederholungszwanges. Allein vielleicht habe ich deren Bedeutung überschätzt. Die Durchführung dieser Idee ist jedenfalls nicht anders möglich, als daß man mehrmals nacheinander Tatsächliches mit blos Erdachtem kombinirt und sich dabei weit von der Beobachtung entfernt. Man weiß, daß das Endergebnis umso unverläßlicher wird, je öfter man dies während des Aufbaues einer Theorie thut,

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aber der Grad der Unsicherheit ist nicht angebbar. Man kann dabei glücklich geraten haben oder schmälich in die Irre gegangen sein. Der sogenan̄ten Intuition traue ich bei solchen Arbeiten wenig zu; was ich von ihr gesehen habe, schien mir eher der Erfolg einer gewißen Unparteilichkeit des Intellekts. Nur daß man leider selten unparteiisch ist, wo es sich es um die letzten Dinge, die großen Probleme der Wissenschaft und des Lebens handelt. Ich glaube, ein jeder wird da von innerlich tief begründeten Vorlieben beherrscht, denen er mit seiner Spekulation unwissentlich in die Hände arbeitet. Bei so guten Gründen zum Mistrauen bleibt wol alsnichts anderes als ein kühles Wolwollen für die Ergebniße der eigenen Denkbemühung möglich. Ich beeile mich nur hinzuzufügen, daß solche Selbstkritik durchaus nicht zu besonderer Toleranz gegen abweichende Meinungen verpflichtet. Man darf unerbittlich Lehren Theorien abweisen, denen schon die ersten Schritte in der Analyse der Beobachtung widersprechen, und kann dabei doch wissen, daß die Richtigkeit derer, die man vertritt, doch nur eine vorläufige ist.

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In der Beurteilung unserer Spekulation über die Lebens- und Todestriebe würde es uns wenig stören, daß so viel befremdende und unanschauliche Vorgänge darin vorkom̄en, wie ein Trieb werde von anderen herausgedrängt, oder er wende sich vom Ich zum Objekt und dgl. Dies rührt nur daher, daß wir genötigt sind,

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mit den wissenschaftlichen Terminis, dh eine der eigenen Bildersprache der Psychologie (richtig: der Tiefenpsychologie) zu arbeiten. Sonst könnten wir die entsprechenden Vorgänge überhaupt nicht beschreiben, ja, würden sie gar nicht wahrgenom̄en haben. Die Mängel in unserer Beschreibung würden wahrscheinlich verschwinden, wenn wir anstatt der psychologischen Termini schon die physiologischen oder chemischen einsetzen könnten. Diese gehören zwar auch nur einer Bildersprache an, aber einer uns seit längerer Zeit vertrauten und vielleicht auch einfacheren.

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Hingegen wollen wir uns recht klar machen, daß die Unsicherheit unserer Spekulation zu einem hohen Grade durch die Nötigung gesteigert wurde, Anleihen bei der biologischen Wissenschaft zu machen. Die Biologie ist wahrlich ein Reich der unbegrenzten Möglichkeiten, wir haben die überraschendsten Aufklärungen von ihr zu erwarten und können nicht erraten, welche Antworten sie auf die von uns an sie gestellten Fragen in einige Jahrzehnte später geben würde. Vielleicht gerade solche, durch die unser ganzer künstlicher Bau von Hypothesen umgeblasen wird. Wenn dem so ist, könnte jemand fragen, wozu unternim̄t man also solche Arbeiten, wie die in diesem Abschnitt niedergelegte, und warum bringt man sie doch zur Mitteilung? Nun, ich kann nicht in Abrede stellen,

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27 ⎾ [eingeklebte Ergänzung; danach beginnt der Text des II. Kapitels]

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daß einige der Analogien, Verknüpfungen und Zusam̄enhänge darin mir der Beachtung würdig erschienen sind.

§ 203

§ 204

[40] [Diese Zählung basiert auf der Transkription der 1. Reinschrift und berücksichtigt nicht das eingefügte 6. Kapitel]

§ 205

[Ende des 5. Kapitels, das hier nicht noch einmal wiedergegeben wird. Der entsprechende Text findet sich oben auf Seite 40. An dieser Stelle wird nach dem Ende des eingeschobenen VI. Kapitels mit dem folgenden und abschließenden VII. Kapitel fortgefahren.]

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VII.

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Wenn es ein wirklich so allgemeiner Charakter der Triebe ist, dass sie einen früheren Zustand wiederherstellen wollen, so dürfen wir uns nicht darüber verwundern, dass im Seelenleben soviele Vorgänge sich unabhängig vom Lustprinzip vollziehen. Dieser Charakter würde sich jedem Partialtrieb mitteilen und sich in seinem Falle auf die Wiedererreichung einer bestim̄ten Staz tion des Entwicklungsweges beziehen. Aber all dies, worüber das Lustprinzip noch keine Macht bekommen hat, brauchte darum noch nicht im Gegensatz zu ihm zu stehen, und die Aufgabe ist noch ungelöst, das Verhältnis der triebhaften Wiederholungsvorgänge zur Herrschaft des Lustprinzips zu bestimmen.

§ 208

Wir haben es als eine der frühesten und wichtigsten Funktionen des seelischen Apparates erkannt, die anlangenden Triebregungen zu “binden’, den in ihnen herrschenden Primärvorgang durch den Sekundärvorgang zu ersetzen, ihre frei

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Trennen wir Funktion und Tendenz schärfer von einander, als wir es bisher gethan haben. Das Lustprinzip ist dann eine Tendenz, welche im Dienste einer Funktion steht, der es zufällt, den seelischen Apparat überhaupt erregungslos zu machen, oder den Betrag der Erregung in ihm konstant oder möglichst niedrig zu erhalten. Wir können uns noch für keine dieser Fassungen sicher entscheiden, aber wir merken, dass die so bestimmmte Funktion Anteil hätte an dem allgemeinsten Streben alles Lebenden, zur Ruhe der anorganischen Welt zurückzukehren. Der alles seelische Leben beherrschende Lusttrieb unterschiede sich in diesem Charakter nicht von den anderen organischen Welt zurückzukehren Trieben, welche die somatische Erregung ans Seelische heranbringen. Wir haben alle erfahren, daß die grösste uns erreichbare Lust, die des Sexualaktes, mit dem momentanen Erlöschen einer hoch gesteigerten Erregung verbunden ist. Die Bindung der Triebreguerregung wäre aber eine vorbereitende Funktion, welche die Erregung für ihre endgiltige Erledigung in der Abfuhrlust zurichten soll.

§ 212

Aus demselben Zusammenhang erhebt sich die Frage, ob die Lustund Unlustempfindungen von den gebundenen wie von den ungebundenen Erregungsvorgängen in gleicher Weise erzeugt werden können. Da erscheint es denn ganz unzweifelhaft, dass die ungebundenen, die Primärvorgänge, weit intensivere Empfindungen nach beiden Richtungen ergeben als die gebundenen, die des Sekundärvorgangs. Die Primärvorgänge sind auch die zeitlich früheren, zu Anfang des Seelenlebens giebt es keine anderen und wir können schliessen, wenn das Lustprinzip nicht schon bei ihnen in Wirksamkeit wäre, könnte es sich überhaupt für die späteren nicht herstellen. Wir kommen so zu dem im Grunde nicht einfachen Ergebnis, daß der as Lusttrieb streben zu Anfang des seelischen Lebens sich weit intensiver äussert als späterhin, aber nicht so uneingeschränkt, er s muß sich häufige Durchbrüche gefallen lassen. In reiferen Zeiten ist die Herrschaft des Lustprinzips sehr viel mehr gesichert, aber der Trieb diese selbst ist der Bändigung so wenig entgangen wie die anderen Triebe überhaupt. Jedenfalls muß das, was am Erregungsvorgange die Empfindungen von Lust und Unlust entstehe lässt, beim Sekundärvorgang ebenso vorhanden sein wie beim Primärvorgang. Vielleicht sind die sogenannten Spannungsempfindungen, die uns das Bewusstsein neben den Lust-Unlustempfindungen von innnen her vermittelt, eher auf die ungebundenen und auf die Abfuhrvorgänge zu beziehen. Vielleicht wird das Vorkommen von lustvoller wie von unlustvoller Spannung durch diese Zuteilung unserem Verständnis näher gebracht.

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Ich halte es für überflüssig, die Zaghaftigkeit wie die Unsicherheit dieser Spekulationen entschuldigen zu wollen. Wer das tatsächliche hinter ihnen herausgreifen will, der möge die Erscheinungen des Wiederholungszwanges seiner Aufmerksamkeit würdigen.

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Mit dieser Auffassung konkurrirt aber eine andere, welche die Empfindungen von Span̄ung auf die absolute Größe und auf das Niveau der Energiebahntzung, Lust und Unlust dagegen auf die Änderung dieser Größe in der Zeiteinheit beziehen möchte. Die beiden Möglichkeiten sind nicht unvereinbar mit einander und

§ 217

§ 218

Hier wäre die Stelle, mit weiteren Studien einzusetzen. Unser Bewußtsein vermittelt uns von ¿ innen her nicht nur die Empfindungen von Lust und Unlust, sondern auch von einer eigentümlichen Span̄ung, die selbst wieder eine lustvolle oder eine unlustvolle sein kann. Sind es nun die gebundenen und die ungebundenen Energievorgänge die wir mittels dieser Empfindungen von einander unterscheiden sollen, oder ist die Spannungsheempfindung auf die absolute Größe, eventuell das Niveau der Besetzung zu beziehen, während die Lust-Unlustreihe auf die Änderung der Besetzungsgröße in der Zeiteinheit zu beziehen hindeutet? Es muß uns auch auffallen, daß die Lebenstriebe soviel mehr mit unserer inneren Wahrnehmung zu thun haben, da sie als Störenfriede auftreten, unausgesetzt Span̄ungen mit sich bringen, deren Erledigung als Lust empfunden wird, während die Todestriebe ihre Arbeit unauffällig zu leisten scheinen. Das Lustprinzip scheint geradezu im Dienste der Todestriebe zu stehen; es wacht allerdings auch über die Reize von außen, die von beiderlei Triebarten als Gefahren eingeschätzt werden, aber ganz besonders über die Reizsteigerungen von innen her, die eine Erschwerung der Lebensaufgabe erzielen. Hieran knüpfen sich ungezälte andere Fragen, deren Beantwortung jetzt nicht möglich ist. Man muß geduldig sein und auf weitere Mittel und Anläße zur Forschung warten. Auch bereit bleiben, einen Weg wieder zu verlassen, den man eine Weile verfolgt hat, wenn er zu nichts Gutem zu führen scheint. Nur solche Gläubige, die von der Wissenschaft einen Ersatz für den aufgegebenen Katechismus fordern, werden dem Forscher die Fortbildung oder selbst die Umbildung seiner Ansichten verübeln dürfen. Im übrigen tröstet mag uns ein Dichter über die langsamen Fortschritte unserer wissenschaftlichen Erkenntnis trösten.

§ 219

" § 220

„Was man nicht erfliegen kann, muß man erhinken. .............................................. Die Schrift sagt, es ist keine Sünde zu hinken. .x)

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x)x) Rückert in den Markamen des Haris