Massenpsychologie und Ich-Analyse (1921-001/1923)

Über das Werk

  • Herausgegeben von
  • Diercks, Christine
  • Rohrwasser, Michael
  • Konzept für die Edition und die Datenbank, Richtlinien, Quellenforschung, Signaturen, Referenzsystem
  • Diercks, Christine
  • Quellenforschung, Digitalisierung der Datenquellen, Bildbearbeitung, Faksimile-Ausgabe, Bibliografie
  • Blatow, Arkadi
  • Diplomatische Umschrift, Lektorat
  • Diercks, Christine
  • Huber, Christian
  • Kaufmann, Kira
  • Liepold, Sophie
  • Technische Umsetzung der Datenbank und der digitalen Instrumente
  • Roedelius, Julian
  • Datenexport aus Drupal und TEI Serialisierung
  • Andorfer, Peter
  • Stoxreiter, Daniel

Freud, Sigmund: Massenpsychologie und Ich-Analyse (1921-001/1923). In: Andorfer, Peter; Blatow, Arkadi; Diercks, Christine; Huber, Christian; Kaufmann, Kira; Liepold, Sophie; Roedelius, Julian; Rohrwasser, Michael; Stoxreiter, Daniel (2022): Sigmund Freud Edition: Digitale Historisch-Kritische Gesamtausgabe, Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage, Wien. [3.4.2023], file:/home/runner/work/frd-static/frd-static/data/editions/plain/sfe-1921-001__1923.xml
§ 1

SIGM. FREUD

§ 2

Massenpsyckologie‘ untl ICh-‘AfifilY56

§ 3

§ 4

§ 5

SIGM. FREUD

§ 6

Massenfsyclxologie un(l IC1’I’AH31YSC

§ 7

„, J„,.Lgeselme A.;flage (g._..,. T.,„„„.;)

§ 8

Internationaler Psychoanalytiscller Verlag Leipzig / Wien / Zürich

§ 9

§ 10

IMAGO-BUCHER

§ 11

I. DER KÜNSTLER

§ 12

msisz zu EINER SEXUAI.»PSYCHOLDGIE Von Dr, O'I'IO MNK

§ 13

Du Wuk lienl.u behandelt in lichwoller narslr-Huul.’ enueheidende Frngzn, Der Weg ni kuiin „ uber- km" Mersch iuf der Smile. Die zen.

§ 14

Viele sehr verdiengtvnllr, wenn .neh hr.ne und hei. nahe rückeielnslose Meinunch. El gehört eine gran: Freiheit dee Gum-s und eine sehr schärrharc Unhe{ungenhrjt dem. Rnnk hat eul dam \Vogi- 1,ur sine... „hen die llunniere eine gerne Mr.-xlgi- phynhnlogischel’ Pmbh'ml: eufihreu sexuellen Geheli hin geprul‘z und mit schöner Prignune demorm.nn<

§ 15

iinchner Allgemeine Zeitung.

§ 16

II. TOLSTOIS KINDHEITSERINNERUNGEN

§ 17

um BEITRAG zu FREch !,IBIDOTHEORIF. Von Dr. N. OSSH’OW

§ 18

Auf der gig-mischen Penönliehkuir d.\tsr-< eruilen Runen. mchünemi‘l rriigeernsehi.urnernd mus xe(nem künstler'ßchen Sdmflen. fen mcklguchurft in drin Aniohiegrnphiechen. ruht hier zum nsh‘mnnl der 15chixfle und gelantl‘rlc Blick psychoannlyumlxer liehennmie Der Mmich und Künstler. .elhsl ein Zerelxederer, selbst ein Trager gernehseher Tiefen. p.,chologir, mu hier in den Lguchtkrgcl modernster winenschafilicher Seelaneivlsicht. ln mnrkwiirdieer

§ 19

eise kreuzen sich dnhei die Wege 'l'olsmlachex Sexuurriihelei mlrdenen der r.;ychoannlynecln-n Eroslelire. Die Smdie heinspruchr. sowohl von den Ge. nießern Tohwischer Kunsr willkommen gehelflcn in werden. eh euch hei dern wiesenschofllieh orieniierlen

§ 20

Lutz brennende. lniereese vumfindmi.

§ 21

III. DER EIGENE UND DER FREMDE GOTT

§ 22

ZUR PSYCHOANAI.YSE DER RELIGIÖSEN ENTWICKLUNG

§ 23

Von Dr. THEODOR REIK

§ 24

lnh_ulu Über kuueküvex Vergerren. — Iran; und Mini im Telrnud — Der hl. Em heniu. vemhreihi einl_e — Die medemufmiznflznen £öner, — DN Evaneehun. dulufluflschknrioüu _ Die ,eychonnnlyurchc D_eunine des Judnsprnhleinr. , am und Teufel. —— the Unhmmlmhkdt fremder einer und Kulle — D Dnheinrliche uns infanul:n Komplexen _ me qui» v.lened Tflzhgegensaupnnre,—Üher D erenzit-runu. meer Arbeilen sollen, rohreihl der Verioner in dr! Ve_rheiuerkin.g, „einen Versuch dorslellen. vor. enolyn_echen Guichu unkien am die Erscheinungen der reh Dsgn Pelndse' knic und lniolerune piychnlon-isch eu_erkleren und zugleich den hleieren Ursachen der religloeeu Verschildenheim-i nuch1ufnrlnhül.Woffrne die Konvergenz der Ergebnisse in diesm ven ver» rehiedenen Senen _her.elirhricn Untersuchungen einen Schiuii uni die Ru;hpgk=it dee Gun-zn ruleßi. windc ich ließen.” den die vorlingznflg Aufsnnreiho ein

§ 25

„ Sind( der religioscn Entwicklung in einem

§ 26

neuen Lichte emh=inen lim“

§ 27

IV. D 0 S T 0 J EW S K I Von JOLAN NEUFELD

§ 28

Wie in ee ruo‘glieh, (IAB ein Memo n. loyui gesinvlt „ und dnher an m-v Venchw' ing gegen den 7Arun iellnimml> wi knnn mund iiei rel.izibi und ul lelc.h lhxolut ung nn sein? Woher kommt er, l|n en. Menn—h, ll=v mit jeder Nervenineer an seiner Hi-mmlsciiollr klein. Mml-1tf. in Jahn: iru Ausleude verbrini:i> Woher koiumi es, deil er dern Gelde nr.. unlerhrochen nnclzjugl. um es denn wie rtwm voll. kornrnen erlloscx nun Yr-rulm hinnusnuwerien? Wie du Lehen. so ist uueh die Dichtung Dmtainwkis „nem-tisch. niitselhuh: Unrekiere. entgl=inepervene ximl die Heiden reiner Romnne und g<‘bcn lm! Räucl „her Rneel auf. die mit der Bl.-Wulllscin5psydloln e übnrhnlllil nielu Idibnr sind. Der Lenhe.echhieeel e.— llryolnnnuiyee eine Sprmgt die Schlägt-r.

§ 29

GEMEINSAME TAGTRÄUME

§ 30

Von HANNS SACHS

§ 31

Als die Psyclw«llnlyse eul die enhr.heidenlle liedeuruug dcr 'l'uull'äurui: fur den vaznswzg und die l.iehesweisl des Eiu7dm-n hinwiu, lrnf .ie wmiguens nn di.eer einen Slilllc um einer lungst g'dngbniren 0Llerie'uzunz zusammen. deil namlich die *i'egirnurne \üz eiigeniein menschlich: Vomum seien. von der aus rich in hegnndtzU-,m Sundnri'nile der Aufstieg zum Kunstwerk, 7ur Dichtung volliielie. Sachs wem nun die unhewniiren hellen der 'l‘aglrnumn noch. und unirrsuchl eingehen die Frage, \v'lv fiel. der Tnghnum zum Kunnwerk vemnnd.-li, whdurch ich der Dichter vorn Neiiroiiker, vom vc ruchnr. vom yilhree dchnssc undschhnlllichunler !crnlllrvomFfuu-hcrundN-1ch.|nne.r ulitursnhnldu, Er weis: nul den Zusammenhang mischen dern nach Entlastung Iechzexldeu Schuldhe Wunticm und dern zur Aufguhe des lchs uud zux Venchiehung auf die Werk hereiren Nanißmu: hin Im keionilrren lumlynerl er drum in zwei hreii in golextmi$kudnen zwei Kunrrwerke, die beide Anz=ichen und Vorhorm einer Prorlukilunshemrnung im Lehen ihn-rScho I’i‘rdußlcllen:Schlilen„Geistcrsehcr‘ und sh. es,.eures „Sturm“. Die Psychoanalyxe mitwick»ltsiitll „nich den. Gusz neeh dem sie enge"den“; du sie um der Erforschung der Starnngen nrwuchwn in, dic dern ‘nflkolulliencn Bewilt'iznrlz u hewnikerWunecheihansein verd.lnken,aa Verl-nee: ü: «ich den Problemen der kun$llcrischerl Schlipful-ug euch um in.-rien vun der Seile (lbrfiemmnugcu her zu nnhern.

§ 32

VI. DIE AMBIVALENZ DES KINDES Von Dr, HANS GUSTAV GRABER

§ 33

A n 5 de in ln |. nl !: Ambivnlenz bci Blculcr;beiFrflld. Dor llrhnil. Die Elternhimlung Der Geschlechisunccr. schied. nos Lrnlverhnr. Tierphoh.en. Du Uher-lch.

§ 34

VII. PSYCHOANALYSE UND LO GIK Von Dr, I. HERMANN

§ 35

Aus dem ln hnl I.: Duuh n»iile nur drvEnlwi kllmgs

§ 36

xychulome; in .] Biologie: in dcr rohonni Liiereiue.

§ 37

er Umkcbrschnu. Der Abwenllux schein. Der Schrin dcr sinkeni. Über 50p 'men.

§ 38

INTERNATIONALER PSYCHOANALYTISCHER VERLAG Wien vn. Andreargesse 5

§ 39

§ 40

INTERNATIONALER PSYCHOANALYTISCHER VERLAG WIEN VII. ANDREASGASSE 3

§ 41

IMAGO

§ 42

ZEITSCHRIFT FÜR ANWENDUNG DER PSYCHOANALYSE AUF DIE GEISTESWISSENSCHAFTEN

§ 43

Herausgegeben von Prof. Dr. SIGM. FREUD

§ 44

In den Bänden lle (19!2*1923) sind unier anderen folgende Beiträge aus dem Gebiete dar

§ 45

Soziologie, der Völkerpsychologie u.

§ 46

Ahrnhnm: Der Veuöhmmgllag

§ 47

Andre-5-Sslomc': Von frühen Gottesdienst

§ 48

Berny: an Hypothue du „. Urs rung! der Sprndle

§ 49

Eisler: Der Fisch als Sexuahym€ol

§ 50

Felneghy: Panik und kaomplex

§ 51

Freud: Einige übereinsummnngen im Seelenlel>en der Wilden und der Neurutiker

§ 52

$1(nnes; Die Bedeutung des Sdzgs in sme nna Bruch el son: Der Begriffd.Smlcsu. die Solinlpsyd'lologie

§ 53

Kinkel: Zu Fuge der pgdwlogisd'len Grundhan

§ 54

und des Ursprqu der eligian Knlnni: er das ynti:dfle _ Zur ydloululyfisdlcu So1ialn ie

§ 55

Levi: ie Kai! Han in der Bibe _ Sexnnlsymlnli in der bihlisdlen Furndiesgudlirllte ,ls. das Kninszeidlen die Beschneidung

§ 56

Lamm Der Mylhus der Erde

§ 57

7 Du Titanenl'nnfiv in der nllgemelnen Mythologie

§ 58

:

§ 59

der Religionswissenschaft ersd‘nienen:

§ 60

Müller-Bruunschweigz Psydmul;lztisdle Gesid\kpunkke zur Psyälogenese der am]. Pfister: Die Enkwicklung des Apoltels Padua

§ 61

\ - Anwendußqen d. P n d.?idngogik u. Seekorgn 1 RAM:: Die „lahm in Snge und Did-tung

§ 62

le Don jum Gum“ (Zur mi.len Funküon der

§ 63

D.a.gk..m

§ 64

Reik: Das inszeinhen

§ 65

_ Die Couvnde und die P=ydlogenm der V:!geltn..gnlnnlxl

§ 66

_ Ollipus und die Sphillx

§ 67

Röhcim- Zur Plyuholngie der Bundesriken

§ 68

Schrälle Der sexuelle Anteil In der Theologic der Mn„nnnen

§ 69

Silberer: Uber Märdqenuymbolik

§ 70

Sperber: Über den Einfluß sexunller Mumenh .nl Enulchung und Entwicklung der Spml.e

§ 71

Walk: Das Tri»lhwu der Ihen Inder

§ 72

» 1

§ 73

DER POLITISCHE MYTHUS

§ 74

BEITRÄGE ZUR MYTHOLOGIE DER KULTUR Von Dr. EMIL LORENZ

§ 75

In Seiner edlen Winsenlläu idlküt dir W.\ze de. Fiir und Wider liebnvnll nultllrißrend, ein Apotheker m-yilrher

§ 76

Denillat: und wieele.nm — win da; wm night „ zerbenll. ein Burnukmevl»dl — .lov.lert alleine Ged-nknn. ln Bihlinthek eine. politijdam Municth .w!hn dm Buch Fehlen

§ 77

(Klnglmhutor Zeitung)

§ 78

Die.e Durlezllngen verdienm nith nur das lnlemue du Formhln, sie. .in.l el.en„ bmr]xkenawuk fin den Kamm

§ 79

wie den [ebildzlen l.nen.

§ 80

(Trierer Zeitung)

§ 81

In einer Durdllzudllung der Seele van szollllinnun xpv.lrt ermilune‘ndliuh Ielnfühll„en. Gziltn den inneren Antrieb:.von Munnbewzg'ungell ml. und [ladet in den T.innrn .llnm Umnn„ ,few „„ unbewußlc Mulivu wirksam, die er in

§ 82

geilkreirlun Dnrlzgullgeu hin zu 401 Keimzellen nnd Uriomlell mm“ukverfolzl.

§ 83

.

§ 84

(Freie51ilnnen)

§ 85

» '

§ 86

PSYCHOANALYTISCH E PSYCHOTECHNIK Von Dr. FRITZ GIESE

§ 87

l. Psyehonn.lyne und Wirtsduftspsydmlogie (Über erotisierle Reklame). — ll. Psychologische Eignungsprüfung

§ 88

§ 89

INTERNATIONALER PSYCHOANALYTISCHER VERLAG Wie,. vu. Andre.„gnne 5

§ 90

SICM. FREUD GESAMMELTE SCHRIFTEN

§ 91

I

§ 92

Studien über H stenie ,’ Frühe Arbeiten zur Neurosenleäre (;893-98] (Churcn\ ——

§ 93

Queiquee considémfinnl pain: une e'iude wmparaliv._'e d=5 pnmlysies motricei nrgnn. ei 1. nieriquer — Die Abwehr-Neurnpeyehesnn — Uhcr die rechügung, von d. Neurneri.enie einen bufimmken Sg’llipknmenkonl lex nli„An sineurmehubzuirennewü eeuioneei i.n ies ,zur rifik d. An sineumsefWeitnre Beurer ungen iiber die Abwehr. europs&éiosell , L'hr'zrédite' :! \ tiaingie des ne'vmses -— ur Ätiologie der Hysterie — Die Sexualität in der Aiioiugie der Neuronen)

§ 94

II Die Traumrleutung [I.—VI. Knpikl)

§ 95

III

§ 96

DieTmumdeumng (VII. n. VIII. Knpi'ie‘) / Uber

§ 97

rien Traum / Beiträge zur Traumlelne

§ 98

(Märchenstofle in Triiurnen * n Trnum nis Beweir

§ 99

miriei , Tmum und Telepnthie * Bemerkungen zur Thenrie und Prnrir der Traumdeutung)

§ 100

IV zur pryriroperirninsie rien A11.ngrieinenn /Dnr iruererre nn eier Psyd.nnnni,rne / mer Piyriinnrrniyre / znr ceidriniue rier peyriinnnniyrirdren Bewegung

§ 101

V

§ 102

Drei Aiirenriiunger. zur sexuairireerie ,/ Arieirer. run. sexu aHeinen und zurNen.

§ 103

Ina (Meine Ansid-ilen über die Rolle der ' t in der Liolo ' der Neuroseu _ Zur 3:xuellen Aufklärung der nder , Die „kulturelle“ Sexunimnmi und die Newnsiidi „ Uber ininniiie Semllheorien * Beiträge 1. ngdiolngiz de: Lizlmsleben . Über einen bl:sonderen Typus der Objektwnhl heim Mnnne. Über die allgemein-ste Emiedrigung den Li=hellehenl. Du Tni>u der Vir u. _ Die infuntile Gen.ininrgnnruniinn ZweiKin eriu en,cred.niren. usa;intion einer 41ulvr. Kindes * l$ysker che Phnn» ineien und ihre Beziehung zur Bienxunli(ß( , Übgr den i.ynie.iedren Anieii * Cirnrnirier und Amleroük __ Über Triebumselzungen, insbemnder: der Annierotik , Die Digpusitinn zur anngeneurnee , Mitteilung eines der peydronnniyiiednen Theorie widen epreeirenden Fniie. vun Pnrnnni. _ Die psyan eue Sehstörung iu psydno.nuiyiiedrerAuiierunn * ine Beliehun zwischen einem Symlm! uud eineméymplnm „ einer ie Psychug=nue eines Fnii<e von weiblicher Homosexunlilät * „Ein Kind wird gend.iegen« _ Der öknnnmisdle le>lem der Mur—,ndiiernue * inner einige neurotische M chanismen i.ei Eiie„nei.i, Fu» rnnnin u.Humnsexunli , Uber nennt. Erkrankung!» iypen , Funmllierungen über die zwei Prinzipien der

§ 104

peydiisdnen G:sdlellens , DerUntergung des Ödipulirn.u„iexee) / Meta sychologie (Eini Bernerkungcn über d. Begriines Unbewußien in }; P.A. — Triebe u. Triebsdiidcsnle — DieV=rdrängung—Dus Unhawußk= — Mein !ycholng Ergänzung z. Trnumiei.re - Trnner und MEl-ncholio Neurnre und Peydrose)

§ 105

V'I

§ 106

Zur Tednruk (Die Freudrci.e plycho-nulyüsdue Meiiunde , vier Plydlisklier.npie , Die zukünftigen Cheneen dar psydrnunniytinchen Therepie — Ober „wilde" Flydmunalyse , Die Handhabun der Trnunndeutung in der Psychoanalyse —— zur ynmik der Übertragun « Rnirdnisge fiir den Arzt bei der psydrnunniyiie Bei.nndiung ber fnuse reennnnissuncß [,.d ie rnconlé" w rend der ydrnunnlyt'lsiiien Arneir , Zur inlzitung der £h|nrllung , Erinnern, Wiederhnlen u, Durdmrlaeile_n , BemerkungeniiberdieUeinerirngungiiieine—Wegederpeydrn. unalyt Ti.ernpie — ZurVargesdiidltg der annlyl. Tochnik) / Zur Emfülnmng des Nnrzüjmus / Jenseits &. Lusiprinzipe / Madsenp3dlo

§ 107

as E

§ 108

ingie n. id..Arreiyre / Das Id». u. VII v.„1mungen znn Einfniirm.$ in die Peyrinnrnn1yre

§ 109

VIII

§ 110

Krankengesdnirliien(ßrndr 'ukeinernyl:rie nnni ee — Anniyse der Phobie eine: 5jihr. Knnb=n * eher eineni‘eiiv1weugeneuruee—Pnu Bemerkungenübcreinznmlkobio rnpi..bereirrieinenenpeiiv.i>nru— nnin * Aur der G=s idiie einer iniuuiiien Nullwle)

§ 111

IX Der Wirr und seine Beziehung zum Unnewugien/Derwrirnnnridieanurne in w. Jensenn „Greriivn'/ Eine Kim],

§ 112

ineinnrinnernng den Lennnrdn rin Vinci

§ 113

X Toren und Teiru/Ari,eiinrr zur Armen.

§ 114

dung der Psyénoanalgrse (Tnkbutnndsdin

§ 115

nnei !( und Peydrnnnniyse — wung5hnndlun n und

§ 116

eii ionsiihung — Ueber den Gegensinn der ä:worte * 5er Didnier uud dnn Phnuiuieren — Mythologienhe Pnrniinie zu einer phsüsd'ien Zwmgsvurslellllng * Du Motiv der Kind.enwniii « Der Meier de. Midieinugeio — Einige Chuner en nun der psy» dufimnlylildlen Arbeit ' Zeitg=m en über Krieg und Tnd — Eine Sdiwierigkeit der Peyd.nnnni — Eine Kindheiuzrin.nenmg nur „Didriung und Wütheit“ * Dun Unheimlinh= — Eine Teuieienenrnee irn 17. Juinrh.)

§ 117

xx iingrnpirie / Resinrer

§ 118

Naclu—räge / Bi

§ 119

Die Bande IV, V, VI VII er.vrji.n'nzn in. M.;; 1924,xlie „Jerez Li; Ende 1 ,„5

§ 120

§ 121

SIGM. EREUD

§ 122

Mapsenpsychologie . und. Ich—Analyse

§ 123

§ 124

§ 125

„ ’ „HELIOS“ : . w„ „„Pöizleinadarfflal'lmßi .

§ 126

Massenpsjmhologie mid — . (@@ ‘

§ 127

Ich-Analyse

§ 128

V0 11

§ 129

Sigm. Freud

§ 130

Zweite Auflage (6.— 1 o. Tnmd)

§ 131

1995 Internationaler Psychoanalytischer Verlég Leipzig _ Wien ' Züriqh

§ 132

§ 133

Alle Rechte, imhesomioredie darme in die Synchen, vorbehalten

§ 134

Copyrigiit -9=3 by »Intcmationnler Psychoanalyfischer Verlag, Ges. m. b. H., Wiesn

§ 135

Gidmnh M &. Uebel aninn

§ 136

§ 137

I - ; 7 V:. EINLEITUNG Der Gegensatz von Individual— und s„m-—8ue_ Massenpsychologie, der uns “auf den ersten Blick ah“; “ sehr bedeutsam erscheinen mag, verliert bei eingehender Betrachtung sehr viel von seiner Schäjrfe. Die Iuävidual«

§ 138

psychologie ist.’ zwar auf den einzelnen Menschen ein- ' ‘

§ 139

gestellt und verfolgt, auf welchen Wegen derselbe die Befriedigung seiner Triebregungen zu errekhm sucht, allein sie kommt dabei nur selten, unter be-; stimmten Ausnahmsbedingungen, 111 die Lage, von das Beziehungen dieses Einzelnen zu anderen Individuen abzusehen. Im Seelenleben des Einzelnen kommt ganz regelmäßig der Andere als Vqrbild, als Objekt,als Helfer und als Gegner in Betm'cht und die Individual“ psychologie ist daher von Anfang an auch gleichzeitig Sozialpsyehologie in diesem erweiterten; aber. durch- ’ aus berechtigten Sinne. ‘

§ 140

Das Verhältnis des Einzelnen zu seinen Eltern und Geschwistern, zu seinem Uebesobjekt und zu Seinem Arzt, also alle die Beziehungen, welche bisher vonuga-V weise Gegenstand der psychoannlytischén Untersuchung ,

§ 141

Fund. Ml-lm-pvyehalnp'l mdhhpAn-lyn !

§ 142

2 Massmpxy:kologie um! Ich—Analyse

§ 143

geworden sind, können den Anspruch erheben, als soziale Phänomene gewürdigt zu werden, und stellen sich dann in Gegensatz zu gewissen anderen, von uns narzißtisch genannten Vorgängen, bei denen die Triebbefriedigung sich dem Einfluß anderer Personen entzieht oder auf sie verzichtet. Der Gegensatz zwischen sozialen und narzißtischen — Bleuler würde vielleicht sagen: autistischen — seelischen Akten fällt also durchaus innerhalb des Bereichs der Individualpsychologie und eignet sich nicht dazu, sie von einer Sozial— oder Massenpsychologie abzutrennen.

§ 144

In den erwähnten Verhältnissen zu Eltern und Geschwistern, zur Geliebten, zum Freunde und zum _ Arzt erfährt der Einzelne immer nur den Einfluß einer einzigen oder einer sehr geringen Anzahl von Personen, von denen eine jede eine großartige Bedeutung für ihn erworben hat. Man hat sich nun gewöhnt, wenn man von Sozial— oder Massenpsychologie spricht, von diesen Beziehungen abzusehen und die gleichzeitige Beeinflussung des Einzelnen durch eine große Anzahl von Personen, mit denen er durch irgend etwas ver— bunden ist, während sie ihm sonst ’in vielen Hinsichten fremd sein mögen, als Gegenstand der Untersuchung abzusondem. Die Massenpsychologiel behandelt also den einzelnen Menschen als Mitglied eines Stammes, eines Volkes, einer Kaste, eines Standes, einer Institution oder als Bestandteil eines Menschenhaufens, der sich zu einer gewissen Zeit für einen bestimmten Zweck

§ 145

§ 146

‘ ]. Einlrilu'ng - . 7 3

§ 147

zur-» Masse organisiert. Nach dieser Zérreißllng eines natürlichen Zusammenhang$ lag es dann. nahe, die Erscheinungen, die sich unter diesen besonderen Bedingurigen zeigen, als Äußerungen eine: besondaen, weiter nicht zurückfilhrbaren Triebe: anzusdren, des sozialen Triebes — herd ins1:inct, group mind — der in anderen Situationen nicht zum Ausdruck kommt. Wir dürfen aber wohl den Einwand erheben, es falle uns schwer, dem Moment der.Zahl eine so große Bedeutung einzuräurnen, daß es ihm allein moglich sein sollte, im menschlichen Seelenlebeu einen neuen und sonst nicht betätigten Trieb zu wecken. Unsere Erwartung wird somit auf zwei andere Möglichkeiten hingelenkt: daß der soziale Trieb kein ursprünglicher und unzerlegbarer sein mag, und daß die Anfänge seiner— Bildung in einem engem Kreis, wie etwa in dem der Familie, gefunden werden können.

§ 148

Die Massenpsychologie, obwohl erst in ihrem Anfängen befindlich, umfaßt eine noch unübersehbare Fülle von Einzelproblemen und stellt dem. Untersucher ungaählte, derzeit noch nicht einmal gut gesagderte' Aufgaben. Die bloße Gruppierung der verschiedenen Formen von Massenbildung und die Basehra'bnng der von ihnen geäußerten psychischen—Phänomene erfordern einen großen Aufwand von Beobachtung und Dar— stellung und haben bereits eine reichhaltigeLitei-amr entstehen lassen. Wer dies schmale Büchlein anidem Umfang der Massenpsychologie mißt, wird ohueweiters

§ 149

,.

§ 150

§ 151

4 Mm:mfsycho{a£iz “und I:h-Analyri

§ 152

vermuten dürfen, daß hier nur wenige Punkte des

§ 153

' ganzen Stoffes behandelt werden sollen. Es werden wirklich auch nur einige Fragen sein, an denen die Tiefenforschung der Psychoanalyse ein besonderes Interesse nimmt.

§ 154

§ 155

. 11 . . LE BON'S SCHILDERUNG DER MASSENSEELE , '

§ 156

Zweckmäßiger‘als eine Definition vorauzmtéllar _ scheint es; mit einem Hinweis auf das Erscheinungs

§ 157

gebiet zu beginnen mid aus diesem einige besonde’rs . ‘

§ 158

auffällige und nharakteristische Tatsachen herauszue greifen, an welche die Untersuchung anknüpfen kann. _

§ 159

Wir erreichen beides durch; einen Auszug aus ‘dem ,'.'

§ 160

mit Recht berühmt gewordenen Bild! von l..e Bon, Psychologie der Massen.

§ 161

Machen wir uns den Sachverhalt nochizl‘als klar. Wenn die Psychologie, welche\die Anlagen, Trieb— regungen, Motivp, Absichten emes einzelnen Menschen bis zu seinen Handlungen und in die Beziehungen an“: seinen Nächsten verfolgt, ihre Aufgabe restlos gdösl: und alle diese Zusammenhänge durehsichh'g gemaéht hätte, dann fände sie sich platzlieh vor eiueégmm Aufgabe, die sich ungelöst vor ihr erhebt. Sie müßte die überraschende Tatsache erklären, daß dies“ ihr verständlich gewordene Individuum unter eine? lie— stimmten Bedingung ganz anders fühlt, denkt und

§ 162

!) Übersetzt von Dr. Rudolf Eisler, mit: Auflag- x'gm' '

§ 163

6 Mdssmprychalagz'e und [ch-;Analyrz

§ 164

handelt, als von ihm zu erwarten stand, und diese Bedingung ist die Einreihung in eine Menschenmenge, welche die Eigenschaft einer „psychologischen Masse" erworben hat. Was] ist nun eine „Masse“, wodurch erwirbt sie die Fähigkeit, das Seelenleben des Ein— zelnen so entscheidend zu beeinflussen, und worin besteht die seelische Veränderung, die sie dem Ein— zelnen aufnotigt? '

§ 165

Diese drei Fragen zu beantworten, ist die Auf— gabe einer theoretischen Massenpsychologie. Man greift sie offenbar am besten an, wenn man von der dritten ausgeht. Es ist die Beobachtung der veränderten Reaktion des Einzelnen, welche der Massenpsycholog-ie den Stoff liefert; jedem Erklärungsversuch muß ja die Beschreibung des zu Erklärenden vorausgehen.

§ 166

Ich lasse nun Le Eon zu Worte kommen. Er sagt (S. 13): „An einer psychologischen Masse ist das Sonderbarste dies: welcher Art auch die sie zusammensetzenden Individuen sein mögen, wie ähnlich oder unähnlich ihre Lebensweise, Beschäftigung, ihr Charakter oder ihre Intelligenz ist, durch den bloßen Umstand ihrer Umformung zur Masse besitzen sie eine Kolleküvseele, vermöge deren sie in ganz anderer Weise fühlen, denken und handeln, als jedes von ihnen für sich fühlen, denken‘und handeln würde. Es gibt Ideen und Gefühle, die nur bei den zu Massen verbundenen Individuen auftreten oder sich in Hand— lungen umsetzen. Die psychologische Masse ist ein

§ 167

§ 168

„\,

§ 169

II. L: Emi: Sclßild'zm1lg der Murcia-ee]! 7

§ 170

provisorisches Wesen, das aus heterogenen Elementeu besteht, die für einen Augenblick sich miteinander verbunden haben,- genau so wie die Zellm des Organismus durch ihre Vereinigung ein neues Wesen mit

§ 171

ganz anderen Eigenschaften als denen der dnzelnen ' ' "

§ 172

Zellen bilden. “

§ 173

Indem wir uns die Freiheit nehmen, die Darstellung Le Bon’ s durch unsere Giessen zu unterbrechen, geben wir hier der Bemerng Raum: Werin,die Individuen in der Masse zu einer Einheit verbunden sind, so muß es wohl etwas geben, was sie aneinander , bindet, und dies Bindemittel könnte gerade das sein, was für die Masse charakteristisch ist. Allein Le Bon beantwortet diese Frage nicht, er geht auf die Veränderung des Individuum in der Masse ein und be

§ 174

schreibt sie in Ausdrucken, welche mit den Grund- . '

§ 175

voraussetzungen unserer Tiefenpsychologie in guter Übereinstimmung stehen.

§ 176

(5. 14.) „Leicht ist die Feststellung des Maßes von Verschiedenheit das einer Masse Engehörenden vom— isolierten Individuum, weniger;leicht ist aber die Entdeckung der Ursachen dieser Versehiedenheit. '

§ 177

Um diese Ursachen wenigstens einigermaßen ,iu finden, muß, man sich zunächst der von der modernen Psychologie gemachten Feststellung erinnern, daß nicht bloß im organischen Leben, sondern auch in den intellektuellen Funktionen die unbem1ßten Phänomeneeiue überwiegende Rolle spielen. Das bewußte Geistesleben

§ 178

§ 179

8 Marsmfsytkolagi: um! hit-Analyse

§ 180

stellt nur einen 'recht geringen Teil neben dem unbewußten Seelenleben dar. Die feinste Analyse, die schärfste Beobachtung gelangt nur zu einer kleinen Anzahl bewußter Motive des Seelenlebens. Unsere bewußten Akte leiten sich aus einem, besonders durch Vererbungseinflusse geschaffenen, unbewußten Substrat her. Dieses enthält die zahllosen Ahnenspuren, aus denen sich die Rassenseele konstituiert. Hinter den eingestandenen Motiven unserer Handlungen gibt es zweifellos die geheimen Gründe, die wir nicht ein— gestehen, hinter dienen liegen aber noch geheimer-e, die wir nicht einmal kennen. Die Mehrzahl unserer alltäglichen Handlungen ist nur die Wirkung ver— borgener, uns entgehender Motive.“

§ 181

In der Masse, meint Le Bon, verwischen sich die individuellen Erwerbungen der Einzelnen, und da— mit verschwindet deren Eigenart. Das 'rassenrnäßige Unbewußte tritt hervor, das Heterogene' vetsinkt irn Homogenen. Wir würden sagen, der psychische Ober_bau, der sich bei den Einzelnen so verschiedenartig entwickelt hat, 'wird abgetragen, entkräflet und das bei allen gleichartige unbewußte Fundament wird . bloßgelegt (wirksam gemacht).

§ 182

Auf diese Weise käme ein durchschnittlicher Charakter der Massenindividuen zustande. Allein L e B on findet, sie zeigen auch neue Eigenschaften, die sie vor— her nicht besessen haben, und sucht den Grund dafür in" drei verschiedenen Momenten.

§ 183

§ 184

11. Le Ba1fs Schilderung der Mas:mzzla ' g

§ 185

(S. 15.) „Die erste dieser Ursachen besteht darin, daß das Individuum finder Masse schon durch die Tatsaehe der Menge ein Gefühl unüberwindlicher Macht erlangt, welches ihm gestattet, Trieben zu fröhnen, die es allein notwendig gezügelt hätte. Es wird dies nun umso weniger Anlaß haben, als bei der Anonymität und demnach auch Unverantwortlichkeit, der Masse das Verantwortlichkeitsgefühl, welches die Individuen stets zurückhält, völlig schwindet.“

§ 186

Wir brauchten von unserem Standpunkt weniger Wert auf das Auftauchen neuer Eigenschaften zu legen. „ Es genügte uns zu sagen, das Individuum komme in

§ 187

' der Masse unter Bedingungen, die 111m ges'tatten, die Verdrängungen seiner unhewul3ten Triebreg'ungen abzuwerfen. Die' anscheinend neuen Eigenschaften, die es dann zeigt, sind eben die Äußerungen dieses Un— bewußten, in dem ja alles Böse der Mensehenseele in der Anlage enthalten ist; das Schwinden des Gewissens oder Verantwortliéhkeitsgéfühls unter diesen Umständen macht unserem—Verständnis keine Schwierigkeit. Wir hatten längst behauptet, der Kern des sogenannten Gewissens sei „soziale Angst“.'

§ 188

I) Eine gewisse Differenz zwischen der Anschauung Le Bon’s und der unserigen stellt sich ,dadurch her, daß sein Begriff . des Unbewußten nicht ganz mit dem von der Psychoanalyse angenommenen zusammenfällt. Das Unbewußte Le Bon's enthält vor allem die tiefsten Merkmale der Rassenseele, welche für die individuelle Psychoanalyse eigentlich außer Betracht kommt. —Wir

§ 189

§ 190

10 memprytlwhgie und Ich-Analyse

§ 191

(S. 16.) „Eine zweite Ursache, die Ansteckung, trägt ebenso dazu bei, bei den Massen die Äußerung spezieller Merkmale und zugleich deren Richtung zu bewerkstelligeu. Die Ansteckung ist ein leicht zu kon— stah'erencles, aber unerklärliches Phänomen, das man den von uns sogleich zu Studierenden Phänomenen hypno'tischer Art zurechnen muß. In der Menge ist jedes Gefühl, jede Handlung ansteckend, und zwar in so hohem Grade, daß das Individuum sehr leicht sein persönliches Interesse dem Gesantinteresse opfert. Es ist dies eine seiner Natur_durchaus entgegengesetzte Fähigkeit, deren der Mensch nur als Massenbestandteil' fähig ist.“

§ 192

Wir werden auf diesen} letzten Satz später eine wichtige Vermutung begründen. _

§ 193

(S. 16.) „Eine dritte, und zwar die wichtigste Ursache bedingt in den zur Masse vereinigten Individuen besondere Eigenschaften; welche denen des isolierten Individuurns völlig entgegengesetzt sind. Ich rede hier von der Suggestibilität, von der die erwähnte Ansteckung übrigens nur eine Wir kung ist.

§ 194

verkennen zwar nicht, daß der Kern des ichs, (das Es, wie ich es später genannt habe), dem die „arehaische Erbschaft“ der Memchenseele angehört, unbewußt ist, aber wir sondern außer— dem das „unbewußte Verdrängte“ ab, welches aus einem Anteil dieser Erhschafi hervorgegangen ist Dieser Begfifl des Ver— drängten fehlt bei Le Ban.

§ 195

§ 196

I]. L: Ban’s Schilderung der Mar’sm'etle ‘ 1 1

§ 197

Zum Verständnis dieser Erscheinung gehört ,die Vergegenwärfigung gewiser neuer Entdeckmgeu der Physiologie. Wir wissen jetzt, daß ein Mensch mittels mannigfacher Prozeduren in einen solchen Zustand versetzt werden ,kann, daß er nach Verlust seiner ganzen bewußten Persönlichkeit allen Suggestiunen desjenigen gehorcht, der ihn seines Persönlichkeits- ' bem1ßtseins beraubt hat, und daß er die zu seinem Charakter und seinen Gewohnheiten iii schärfsten) Gegensatz stehenden Handlungen begeht. Nun scheinm’ sehr sorgfältige Beobachtungen darzutr_m, daß ein, eine Zeitlang im Schoße einer tätigen Masse eingebettete: Individuum in Bälde —— durch Ausstrümungen; die von ihr ausgehen oder sonst [eine unbekannte Ursache — sich in einem Sondenustnnd befindet, dersich sehr der Faszination nähert, die den Hypnotisierten‘ unter dem Einfluß des Hypnotisators *befällt ; . ; . Die bewußte Persönlichkeit ist vollig geschwunden, Wille und Unterscheidimgsvermögen fehlen, alle Ge fühle und Gedanken sind nach der durch den Hypnotisator hergestellten Richtung orientiert.

§ 198

So ungefähr verhält sich auch der Zustand des einer psychologischen Masse angehörenden Indivian Es ist sich seiner Handlungen nicht mdn- bewußt. Wie beim Hypnotisierten können bei ihm, während zugleich; _ gewisse Fähigkeiten aufgehoben sind, andere auf einéu , Grad höchster Stärke gebracht werden. Unter dem Einflusse einer Suggestion wird es sich mit einem

§ 199

§ 200

19 Masrmprychalngit und biz-Analyst

§ 201

- unwiderstehlichen Triebe an die Ausführung bestimmter Handlungen machen. Und dieses Ungesttlrn ist bei den Massen noch unwiderstehlicher als beim Hypnoti— Sieden, weil die für alle Individuen gleiche Suggestiou durch Gegenseitigkeit anwächst.“

§ 202

(S. 17.) „Die Hauptmerkmale des in der Masse befindlichen Individuums sind demnach: Schwund der bewußten Persönlichkeit, Vorherrschaft der unbewußten Persönlichkeit, Orientierung der Gedanken und Gefiilfle in derselben Richtung durch Suggestion und An— steckung, Tendenz zur unverzüglichen Verwirklichung der suggerierten Ideen. Das Individuum ist nicht mehr es selbst, es ist ein Willenluser Automat geworden.“

§ 203

Ich habe dieses Zitat so ausführlich wiedergegeben, um zu hekräftigen, daß Le Bon den Zustand des Individuums in der Masse wirklich für einen hypnotischen erklärt, nicht etwa ihn bloß mit einem solchen vergleicht. Wir Beabsichügen hier keinen Widerspruch, wollen nur hervorheben, daß die beidén letzten Ursachen der Veränderung des Einzelnen in der Masse, die Ansteckung und die höhere Suggerierbarkeit, offeri— bar nicht gleichartig sind, da ja die Ansteckung auch eine Äußerung der Suggerierharkeit sein soll. Auch die Wirkungen der beiden Momente scheinen uns im Text Le Bon’s nicht scharf geschieden. Vielleicht deuten wir seine Äußerung am besten aus, wenn wir die Ansteckung auf die Wirkung der einzelnen Mit— glieder der Masse aufeinander beziehen, während die,

§ 204

§ 205

I]. L: Ban’: Schilderung dzr Massenseel: 15

§ 206

mit den Phänomenen der hypnotischeu Beeinfiißsuug gleichgestellten Suggestionserscheinungen in' der Masse auf eine andere Quellehinweisen. Auf welche aber? Es muß uns als eine empfindliche Unvollständigkeit berühren, daß eines der Hauptstücke dieser -Angleichmg, nämlich die Person, welche für die Masse den Hypnotiseur ersetzt, in der Darstellung Le Bon's nicht erwähnt wird. Immerhin unterscheidet er ven diesem im Dunkeln gelassenen faszinierenden Einfluß die ansteckende Wirkung, die die Einzelnen auf einander ausüben, durch welche die ursprüngliche 511ggestion verstärkt wird. —

§ 207

Noch ein wichtiger Gesichtspunkt für die Beurteilung des Massenindividuurns: (S. 17.) „Ferner steigt durch die bloße Zugehörigkeit zu einer organisierten Masse der Mensch mehrere Stufen auf der Leiter der Zivilisation herab. In seiner Vereinzelung war er.viel— leicht ein gebildetes Individuum, in der Masse ist er ein Barbar, d. h. ein Triebwesen. Er besitzt die Spontaneität, die Heftigkeit, die Wildheit und auch den Enthusiasmus und Heroismus primitiver Wesen.“ Er verweilt dann_noch besonders bei der Herabsetzung derjintellektuelleq Leistung, die der Einzelne durch sein Aufgehen in der Masse erfährt.‘

§ 208

r) Vergleiche das Schiller‘sehe Distichon: Jeder, sieht man ihn einzeln, ist leidh'ch klug und verständig; Sind sie in corpore, gleich wird_euch ein Dummkopf daraus.

§ 209

§ 210

14 Massenpxyclwlagit und [th-Analyst

§ 211

Verlassen wir nun den Einzelnen und wenden wir uns zur Beschreibung der Masenseele, wie Le Bon sie entwirft. Es ist kein Zug darin, dessen Ableitung und Unterbringung dem Psychoanalytiker Schwierige keiten bereiten würde. Le Bon weist uns selbst den Weg, indem er auf “die Übereinstinunung mit dem Seelenleben der Primitiven und der Kinder hinweist. (S. 19.)

§ 212

Die Masse ist jmpulsiv, wandele und reizbar. Sie wird fast ausschließlich vom Unbewußten geleitet.‘ Die Impulse, denen die Masse gehorcht, können je nach Umständen edel oder grausam, hernisch oder feige sein, jedenfalls aber sind sie so gebieteriseh, daß nicht das persönliche, nicht einmal das Interesse der Selbsterhaltung zur Geltung kommt. (S. 20.) Nichts ist bei ihr vorbedacht. Wénn sie auch die Dinge leidenschaftlich begehrt, so doch nie für lange, sie ist unfähig zu einem Dauerwillen. Sie verträgt keinen Aufsehub zwischen ihrem Begehren und der Verwirklichung des Begehrten. Sie hat das Gefühl der Allmacht, für das Individuum in der Masse schwindet der Begriff des Unmöglichen.’

§ 213

Die Masse ist außerordentlich beeinflußbar und leicht— gläubig, sie ist kritiklos, das Unwehrschéinliche existiert

§ 214

[) Unbewußt wird von Le Bon richtig im Sinne der Deskripu'on gebraucht, wo es nicht allein das „Verdxängte“ bedeutet.

§ 215

:) Vergleiche Totem und Tabu m., Animismus, Magie und Allmacht der Gedanken.

§ 216

§ 217

II..L: Béfi’: Srhila'emflg lief Max::1r‘reelé 15

§ 218

für sie nicht. Sie denkt in Bildern, die einander assoziativ hervorrufen, wie sie sich‘beim Einzelnen in,Zuständ€n des freien Phantasierens einstellen, und. die von keiner * verständigen Instanz an der Übereinstimmmig mit der Wirklichkeit gemessen werden. Die Gefühle der Masse sind stets 'sehr einfach und sehr überschwenglidi. Die » Masse kennt also weder Zweifel noch ,Ungewiflheit.‘

§ 219

Sie geht sofort zum Äußersten, der ausgesprochene Verdacht wandelt sich bei ihr sogleich in mumstbßliche Gewifiheit, ein Keim von Antipathie wird zum wilden Haß. (S. 32.)‘

§ 220

1) In der Deutung der Träume, denen wir' ja unsere beste Kenntms vom unbewußten Seelenleben verdanken, bdni.gen wir die technische Regel, daß von Zweifel und Unsicherheit in der Traumerzählung nbgeseheu und jedes Element des munifemh Traumes als gleich gesidrert behandelt wird. Wirleiten Zweifel und Unsicherheit von der Einwirkung der Zensur ab, welcher die Traumnrheit unterliegt, und nehmen an, daß die primären Tram— gedanken Zweifel und Unsicherheit als kriu'sche Leishing nicht kennen. Als Inhalte mögm sie natürlich, wie alle! aidete, in den zum Traum fiihrénden Tugenresten vnrknmmen. (S Traumdeutung; 5. Aufl. 1919, S 386.)

§ 221

z) Die uimliche Steigerung aller Gefiiirisregrageri nun Ex— tremen und Maßlasen gehört auch derAfl“einzivität des kindes an

§ 222

und findet sich im Tnumlehen wieder, wo dank der im Unbe— , ,

§ 223

wußben vorherrschenden Isolienmg der einzelnen Gefiihlsregungen ein leiser Ärger vom Tage sich als Todeswuusch gegen die schuldige Pemn zum Ausdruck bringt oder ein Anflug irgend' einer Versuchung zum Anstoß einer „im Traum dargestellten,verbrecherischen Handlung wird. Zu dieser Tatsache hat Dr, Hanns Sachs die hübsche Bemerkung gemacht: „Was der Traum uns

§ 224

§ 225

16 Ma:rmp.ryclwlogie und Ich—Analyse

§ 226

Selbst zu allen Extremen geneigt, wird die Masse auch nur durch übermäßige Reize erregt. Wer auf sie wirken will, bedarf keiner logischen Abmessung seiner Argumente, er muß in den kräftigsten Bildern malen, übertreiben und immer das Gleiche wieder— holen.

§ 227

Da die Masse betreffs des Wahren oder Falschen nicht im Zweifel ist und dabei das Bewußtsein ihrer großen Kraft hat, ist sie ebenso intolerant wie autcr ritätsgläubig. Sie respektie'rt die Kraft und läßt sich von der Güte, die für sie nur eine Art von Schwäche bedeutet, nur mäßig beeinflussen. Was sie von ihren Helden verlangt, ist Stärke, selbst Gewalttätigkeit. Sie will beherrscht und unterdrückt werden und ihren Herrn fqrchten. Im Grunde durchaus konservativ, hat sie tiefen Abscheu vor allen Neuerungen und Fortsehritten und 1mbegrenzte Ehrfurcht vor der Tradition. (S 37)

§ 228

Um die Sittlichkeit der Massen richtig zu beurteilen, muß man in Betracht ziehen, daß u'n Beisammensein der Massenindividuen alle individuellen Hemmungen entiallm und alle grausamm, brutalen, destruktiven Instinkte, die als Überbleibsel der Urzeit im]Einzelnen

§ 229

un Beziehungen l\ll‘ Gegeuwnrt (Realität) kundgets.n hat, wollen wir dann auch im Bewußtsein aufsuchen und dürfen uns nicht wundern, wenn wir das ungeheuer, das wir unter dem Ver, größerungsglas der Analyse gesehen haben, als Infusionstierchen wiederfinden." (Traumdeutung, S. 457.).

§ 230

§ 231

I]. L: Ban‘: Schilderung der Mauern-ee]: 17

§ 232

schlummem, zur freiem Triebbefriedigung geweckt werden. Aber die Massen sind auch unter dem Einfluß der Suggestion hoher Leistungen von Entsaglmg, Uneigennützigkeit, Hingebnng an ein Ideal fähig. Während der persönliche Vorteil beim isolierten Individuum so ziemlich die einzige Triebfeder ist, ist er bei den Massen sehr selten vorherrschend. Man kann von einer Versittlichung des Einzelnen durch die Masse sprechen (S. 39). Während die intellektuelle Leistung der Masse immer tief unter der des Einzelnen steht, kann ihr ethisches Verhalten dies Niveau ebenso hoch überragen, wie tief darunter herabgehen.

§ 233

Ein helles Licht auf die Berechtigung, die Massenseele mit der Seele der Primitiven zu idenflfizieren, werfen einige andere Zuge der Le Bon'sehen Charak— teristik. Bei den Massen können die mtgegengesetztesten' Ideen nebeneinander bestehen und sich miteinander vertragen, ohne daß sich aus deren logischem Widerspruch ein Konflikt ergäbe. Dasselbe ist aber im un— bewußten Seele‘nleben der Einzelnen, der Kinder und

§ 234

der Neurotl'ker der Fall, wie die Psychoanalyse längst nachgewiesen hat. '

§ 235

x) Beim kleinen Rinde bestehen 1. B. amhivalente Gefühleeinstellungen gegen die ihm nächsten Penenen lange Zeit neben- ‘ einander, ohne daß die eine die ihr entgegengesetzte in ihren Ausdruck stört. Knmmt es dann endlich zum Konflikt zwischen den beiden, so wird er oft dadurch erledigt, daß das Kind das Objekt wechselt, die eine der ambivalenten Regungen auf ein

§ 236

Freud: Mnuuimdloln|ic „ehem.-i,.- : ,

§ 237

.

§ 238

§ 239

18 Marrmpsyrholagz'e und [nl—Analyre

§ 240

Ferner unterliegt die Masseder wahrhaft magischen Macht von Worten, die in der Massenseele die furchtbarsten Stürme hervorrufen und sie auch besänftigen können (5. 74). „Mit Vernunft und Argmnenten kann man gegen gewisse Worte und Formeln nicht an; kämpfen. Man spricht sie mit Andacht vor den Massen aus, und sogleich werden die Mienen respektvoll und die Köpfe neigen sich. Von vielen werden sie als Naturkräfte oder als übernatiirliche Mächte betrachtet.“

§ 241

Ersaizobjekt verschiebt. Auch aus der Entwicklungsgeschichte einer Neurose beim Erwachsenen kann man erfahren, daß eine unterdrückt: Regung sich häufig lange Zeit in unbewußten oder selbst bewußten Phantasien fortsetzt, deren Inhalt natürlich einer herrschenden Strehung direkt zuwiderläuft, ohne daß sich aus diesem Gegensatz ein Einschreiten des Ichs gegen das von ihm Verworfene ergäbe. Die Phantasie wird eine ganze Weile über toleriert. bis sich plötzlich einmal, gewöhnlich infolge einer Steige rung der aifektiven Besetzung derselben, der Konflikt zwischen ihr und dem Ich mit allen seinen Folgen herstellt.

§ 242

Im Fortschritt der Entwicklung vom Kinde zum reifen Erwachsenen kommt es überhaupt zu einer immer weiter greifenden Integration der Persönlichkeit, zu einer Zusammenfasng der einzelnen. unabhängig voneinander in ihr gewachsenen Trielr regungen und Zielstrebungen. Der analoge Vorgang auf dem Gebiet des Sexuallebens ist uns als Zusammenfasng aller Sexualtriehe zur definitiven Genitzilorganisafion lange bekannt. (Drei Abhandlungen zur Sexualthearie 1905.) Daß die Vereinheitliehung des Iehs übrigens dieselben Störungen erfahren kann wie die der Libido. zeigen vielfache, sehr bekannte Beispiele, wie das der Naturforscher, die bibelgläubig geblieben sind u. a. Die verschiedenen Möglichkeiten eines späteren Zerfalls des Ichs bilden ein besonderes Kapitel der Psychopathologie.

§ 243

§ 244

[I. L: Bari: Schilderung der Masrmnle 19

§ 245

(S. 75.) Man braucht sich dabei nur an die Tabu der Nai'nen bei den Primitiven, an die magischen Kräfte, die sich ihnen: an Namen und Worte lmüpfen, zu erinnem.‘

§ 246

Und endlich: Die Massen haben nie den Wahrheitsdurst gekannt. Sie fordern Illusionen, auf die sie nicht verzichten können. Das Irreale hat bei ihnen stets den Vorrang vor dem Realen, das Unwirkliche beeinflußt sie fast ebenso stark wie das Wirkliche. Sie haben die sichtliche Tendarz, zwischen beiden keinen Unterschied zu machen (S. 47).

§ 247

' Diese Vorherrschaft das Phantasielebens und der vom unerl'nllten Wunsch getragenen Illusion habm' wir als bestimmend für die Psychologie der Neuroseri aufgezeigt. Wir fanden, für die Neurotikér gelte nicht' die gemeine objektive, sondern die psychische Realität. Ein hysterisches Symptom gründe sich auf Phantasie anstatt auf die Wiederholung wirklicher“: Erlebens, ein zwangsneurotisches Schuldbemrßtsein auf die Taßache eines bösen Vorsatzes, der nie zur Ausführung gekommen. Ja wie im Traum und in der Hypnose, tritt in der Seelemätigkeit der Masse die Realitätsprüfung zurück gegen die Stärke der aflektiv besetzten Wunschregungen. '

§ 248

Was Le Bon über die Führer der Massen sagt, ist weniger erschöpfend und läßt das Gesetzmäßige

§ 249

[) Siehe Totem und Tabu.

§ 250

,.

§ 251

§ 252

so Marsmprytlwlogie um! Ich-Analyse

§ 253

nicht so deutlich durchschimmem. Er meint, sobald lebende Wesen in einer gewissen Anzahl vereinigt sind, einerlei ob eine Herde Tiere oder eine Menschenmenge, stellen sie sich instinktiv unter die Autorität eines Oberhauptes (S. 86). Die Masse ist eine folgsame Herde, die nie ohne Herrn zu leben vermag. Sie hat einen solchen Durst zu gehorchen, daß sie sich jedem, der sich zu ihrem Herrn ernennt, instinktiv unterordnet.

§ 254

Kommt so das Bedürfnis der Masse dem Führer entgegen, so muß er ihm doch durch persönliche Eigenschaften entsprechen. Er muß selbst durch einen starken Glauben (an eine Idee) fasziniert sein, um Glauben in der Masse zu erwecken, er muß einen starken, imponierenden Willen besitzen, den die willenlose Masse vonjhm annimmt. Le Bon bespricht dann die verschiedenen Arten von Führem und die Mittel, durch welche sie auf die Masse wirken. Im ganzen läßt er die Führer durch die Ideen zur Bedeutung kommen, für die sie selbst fanatisiert sind.

§ 255

Diesen Ideen wie den Führem schreibt er überdies eine geheimnisvolle, unwiderstehliche Macht zu, die er „Prestige“ benennt. Das Prestige ist eine Art Herrschaft, die ein Individuum, ein Werk oder eine Idee über uns übt. Sie lähmt all unsere Fähigkeit zur Kritik und erfüllt uns mit Staunen und Achtung. Sie dürfte ein Gefühl hervorrufen, ähnlich wie das der Faszination der Hypnose (S. 96). '

§ 256

§ 257

II. Le Ban‘s Schilan der Magma-nl: 2 !

§ 258

Er unterscheidet erwofbenes oder künstlichen und persönliches Prestige. Das erstere wird bei Personeii durch Name, Reichtum, Ansehen verliehen, bei 'Anschaumgen, Kunstwerken u. dgl. durch Traditi0m Da es in allen Fällm auf die Vergangenheit zurückgreift, wird es für das Verständnis dieses rätselhafien Einflusses wenig leisten. Das persönliche Prestige haftet an wenigen Personen, die durch dasselbe'zn Führem werden, und macht, daß ihnen alles wie unter der Wirkung eines magnetischen Zaubers 'gehorcht. Doch ist jedes'Prestige auch vom Erfolg abhängig und geht durch Mißert'olge verloren (3. 105).

§ 259

Man gewinnt nicht den Eindruck, daß bei Le Bon die Rolle der Führer und die Betonung des Prestige in richtigen Einklang mit der so glänzend vorgetrang Schilderung der Massenseele gebracht werden ist. '

§ 260

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§ 261

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§ 262

§ 263

\ III

§ 264

ANDERE WÜRDIGUNGEN DES KOLLEKTIVEN SEELENLEBENS

§ 265

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§ 266

Wir haben uns der Darstellung von Le Bon als Einführung bedient, weil sie iii der Betonung des unbewußten Seelenlebens so sehr mit unserer eigenen Psychologie zusammentrifit Nun müssen wir aber hin— zufügen, daß eigentlich keine der Behauptungen dieses Autors etwas Neues bringt. Alles, was er Abträgljches und Herabsetzendes über die Äußerungen der Massen— seele sagt, ist schon vor ihm ebenso bestimmt und ebenso feindselig von anderen gesagt werden, wird seit den ältesten Zeiten der Literatur von Denkem, Staatsmännem und Dichtem gleichlautend so wiederholt.‘ Die beiden Sätze, welche die wichtigsten An— sichten Le Bon’s enthalten, der von der kollektiven Hemmung der intellektuellen Leistung und der von der Steigerung der Affektivität in der Masse waren

§ 267

I)Vergleiche den Text und das Literaturverzeichnis in H. Krai: kovi c jun.. Die Psychologie der Kollektivitäten. Aus dem Kroatischen übersetzt von Siegmund von Pnsavec. Vukovar 1915.

§ 268

§ 269

\

§ 270

kurz vorher von Sighele formuliert worden.‘ Im Grunde erübrigen als Le Bon eigentürnlich nur die beiden Gesichtspunkte des Unbewußten und des Vergleichs mit dem Seelenleben der Primitiven, auch diese natürlich oftmals vor ihm berührt.

§ 271

Aber noch mehr, die Beschreibung und Würdigung der Massenseele, wie Le Bon und die andern sie ' geben, ist auch keineswegs unangel'ochten geblieben. Kein Zweifel, daß alle die vorhin beschriebenen Phänomene der Massenseele richtig beobachtet werden sind, aber es lassen sich auch andere, geradezu ent— gegengesetzt wirkende Äußerungen der Massenbildung erkennen, aus denen man dann eine weit höhere Einschätzung der Massenseele ableiten muß.

§ 272

Auch Le Bon war bereit zuzugestehen, daß die Sittlichkeit der Masse unter Umständen höher sein kann als die der sie zusammensetzenden Einzelnen, und daß nur die Gesamtheiten hoher Uneigennützig— keit und Hingeng fähig sind.

§ 273

(5. 38) „Während der persönliche Vorteil beim isolierten Individuum so ziemlich die einzige Triebi'eder ist, ist er bei den Massen sehr selten vorherrschend.“

§ 274

Andere machen geltend, daß es überhaupt erst die Gesellschaft ist, welche dem Einzelnen die Normen

§ 275

III. Amine Wiirdig‘ungen de: kollekt. Szclmlebzm‘ 23

§ 276

!) Siehe Walter Moede, Die Massen- und Sozialpsychologie im kritischen Überblick. ,Zeitschrift für pädagogische Psychologie und experimentelle Pädagogik von Meumann und Scheibner. XVI, 1915. \

§ 277

§ 278

24. Ma:rmpryrkalogiz und [dt—Analyse

§ 279

der Sittlichkeit vorschreibt, während der Einzelne in der Regel irgendwie hinter diesen hohen Ansprüchen zurückbleibt. Oder daß in Ausnahmszuständen in einer Kollektivität das Phänomen der Begeisterung zustande kommt, welches die großartigsten Massenleistungen er— möglicht hat.

§ 280

In Betreff der intellektuellen Leistung bleibt zwar bestehen, daß die großen Entscheidungen der Denkarbeit, die folgenschweren Entdeckungen und Problemlösungen nur dem Einzelnen, der in der Einsamkeit arbeitet, m0glich sind. Aber auch die Massenseele ist genialer geistiger Schöpfungen fähig, wie vor allem die Sprache selbst beweist, sodann das Volkslied, Folklore und anderes. Und überdies bleibt es dahin— gestellt, wieviel der einzelne Denker oder Dichter den Anregungen der Mas'se, in welcher er lebt, verdankt, ob er mehr als der Vollender einer seelischen Arbeit' ist, an der gleichzeitig die anderen mitgetan haben.

§ 281

Angesichis dieser vollkommenen Widersprüche scheint es ja, daß die Arbeit der Massenpsychologie ergebnislos verlaufen müsse. Allein es ist leicht, einen hoffnungsvolleren Ausweg zu finden. Man hat wahr— scheinlich als „Massen" sehr verschiedene Bildungen zusammengefaßt, die einer Sonderung bedürfen. Die Angaben von Sigbele, Le Bon und anderen beziehen sich auf Massen kurzlebiger Art, die rasch durch ein vorübergehendes Interesse aus verschiedenartigen Indi

§ 282

' ' viduen zusammengeballt werden. Es ist unverkennbar,

§ 283

§ 284

III. Anden Würdigungen der kallekt. Seelmlebms 2 5

§ 285

daß die Charaktere der revolutionären Massen, besonders der großen französischen Revolution, ihre Schilderungen beeinflußt haben. Die gegens'atzlichen Behauptungen stammen aus der Würdigung jener stabilen Massen oder Vergesellsehaftungen, in denen die Menschen ihr Leben zubringen, die sich in den Institutionen der Gesellschaft verkorpem. Die Massen der ersten Art sind den letzteren gleichsam aufgesetzt, wie die kurzen, aber hohen Wellen den, langen Dünungen der See.

§ 286

MC Dougall, der in seinem Buch The Group Mind‘ von dem nämlichen, oben erwähnten Wider— spruch ausgeht, findet die Lösung desselben im Moment der Organisation. Im einfachsten Falle, sagt er, besitzt die Masse (grau?) überhaupt keine Organisation oder eine kaum nennenswerte. Er bezeichnet eine solche Masse als einen Haufen (crowd). Doch gesteht er zu, daß ein Haufen Menschen nicht leicht zusammenkommt, ohne daß sich in’ihm wenigstens die ersten Anfänge einer Organisation bildeten, und daß—gerade an diesen einfachen Massen manche Grundmtsaeheu der Kollektivpsychologie besonders leicht zu erkmnen sind (S. 22). Damit sich aus den zufällig zusammengewehten Mitgliedern eines Menschenhaufens etwas wie eine Masse im psychologischen Sinne bilde, wird als Bedingung erfordert, daß diese Einzelnen etwas

§ 287

[) Cambridge, rgzo.

§ 288

§ 289

26 „ Marrmfryrlzalogie und Ich-Analyrr

§ 290

miteinander gemein haben, ein gemeinsames Interesse an einem Objekt, eine gleichartige Gefühlsrichtung in einer gewissen Situation und (ich wurde einsetzen: infolgedessen) ein gewisses Maß von Fähigkeit, sich untereinander zu beeinflussen. (Some degree of reci_troeal influence between the memberr of the group) (5. 23). Je stärker diese Gemeinsamkeiten (this mental Iwmogeneily) sind, desto leichter bildet sich aus den Einzelnen eine psychologische Masse und desto aufiälliger äußern sich die Kundgdaungeu einer „Massenseele“.

§ 291

Das merkwürdigste und zugleich wichtigste Phänomen der Massenbildung ist nun die bei jedem Einzelnen hervorgerufene Steigerung der Affektivität

§ 292

' (ezallation or inlmification of matian) (S. _24). Man kann sagen, meint Mc Dougall, daß die Afi'ekte der Menschen kaum unter anderen Bedingungen zu solcher Hohe anwachsm, wie es in a'ner Masse geschehen kann, und zwar ist es eine genuikeiche Empfinde fiir die Beteiligten, sich so schrankenlos ihren Leiden— scha&en hinzugeben imd_ dabei,i_n der Masse aufzu

§ 293

A gehen, das Gefühl ihrer individuellen Abgrenzung zu verlieren. Die: Mid'ortgerisenwerden der Individuen erklärt M°Dougall aus dem von ihm so genannten „prx'm'jäle of dirett indue'lion vf emailen by way of {be frinu'tiue sympalhetie response" (S. 25), d._ 11. durch ‘die uns‘bereits bekannte Gefflhisansteckung. Die Tatsache ist die, daß die wahrgenommenen Zeichen eines

§ 294

§ 295

111. Andere W üra't'gungen der kolltkl. Setlmltbms 27

§ 296

Affektzustandes geeignet sind, bei dem Wahmehmenden automatisch denselben Affekt henorzurufen. Dieser automatische Zwang wird umso stärker, an je mehr Personen gleichzeng derselbe Affekt bemerkbar ist. Dann schweigt die Kritik des Einzelnen und er läßt sich in denselben Affekt gleiten. Dabei erhöht er aber die Erregung der anderen, die auf ihn gewirkt hatten, und so steigert sich die Affektladnng der Einzelnen durch gegenseitige lnduktion. Es ist unverkennbar etwas wie ein Zwang dabei wirksam, es den anderen gleich— zutun, im Einklang mit den Vielen zu bleiben. Die gröberen und einfacheren Gefühlsregungen haben die größere Aussicht, sich auf solche Weise in einer Masse zu verbreiten (S. 39).

§ 297

Dieser Mechanismus der Aflektsteigerung wird noch durch einige andere, von der Masse ausgehende Ein— flüsse begünstigt. Die Masse macht dem Einzelnen den Eindruck einer unbeschränkten Macht und einer unbesiegbaren Gefahr. Sie hat sich fiir den Augenblick an die Stelle der gesamten menschlichen Gesellschaft gesetzt, welche die Trägerin der Autorität ist, deren Strafen man gefürchtet, der zu.liebe man sich so viele Hemmungen auferlegt hat. Es ist offenbar gefährlich, sich in Widerspruch mit ihr zu setzen, und man ist ' sicher, wenn man dem ringsurnher sich zeigenden Beispiel folgt, also eventuell sogar „mit den Wolfen heult“. Im Gehorsam gegen die neue Autorität darf man sein früheres „Gewissen“ außer Tätigkeit setzen und dabei \

§ 298

§ 299

28 Ma:sz@rycbalogie und Ich—Analyse

§ 300

der Lockung des Lustgewinns nachgehen, den man sicherlich durchdie Aufhebung seiner Hemmungen erzielt. Es ist also im ganzen nicht so merkwürdig, wenn wir den Einzelnen in der Masse Dinge tun oder gutheißen sehen, von denen er sich unter seinen ge— wohnten Lebensbedingmgen abgewendet hätte, und wir können selbst die Hoffnung fassen, auf diese Weise ein Stück der Dunkelheit zu lichten, die man mit dem „ Rätselwort der „Suggestion“ zu decken pflegt.

§ 301

Dem Satz von der kollektiven Intelligenzhemmung in der Masse widerspricht auch Mc Dougall nicht ' (S. 41). Er sagt, die geringeren Intelligenzen ziehen die größeren auf ihr Niveau herab. Die letzteren werden in ihrer Betätigung gehernmt, weil die Steigerung der Afiektivi'a'it überhaupt ungünstige Bedingungen für korrekte geistige Arbeit schafft, ferner weil die Einzelnen durch die Masse eingeschüchtert sind und ihre Denkarbeit nicht frei ist, und weil bei jedem Einzelnen das Bewußtsein der Verantwortlichkeit für seine Leistung herabgesetzt wird. '

§ 302

Das Gesamturteil über die psychische Leistung einer einfachen, „unorganisierten“ Masse lautet bei M°»Dougall nicht freundlicher als bei Le Bon. Eine solche Masse ist (S. 45): überaus enegbar, impulsiv, leidenschaftlich, wankelmütig, -inkonsequent, unent— , schlossax und dabei zum Äußersten bereit in ihren Handlungen, zugänglich nur für die grüberen Leidenschaften und einfacheren Gefühle, außerordentlich

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§ 304

111. Andere Würdigungm der kallekt. Stelenleäm 29 ‘

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suggestibel, leichtsinnig in ihren Überlegungen, heftig in ihren Urteilen, aufnahmsfähig nur für die einfachsten , und unvollkommensten Schlüsse und Argumente, leicht zu lenken und zu erschüttem, ohne Selbstbewußtsein, Selbstachtung und Verantwortlichkeitsgefühl, aber bereit, sich von ihrem Kraftbewußtsein zu allen Untaten fort— reißen zu lassen, die wir nur von'einer absoluten und unverantwortlichen Macht erwafien können. Sie be— nimmt sich also eher wie ein ungezogenes Kind oder; wie ein leidenschaftlieher, nicht beaufsichtigter Wilder in einer ihm fremden Situation; in den schlimmsten Fällen ist ihr Benehmen eher das eines Rudels von wilden Tieren als von menschlichen Wesen.

§ 306

Da Mc Dougall das Verhalten der hoch organisierten Massen in Gegensatz zu dem hier Geschüderten bringt, werden wir besonders gespannt sein zu er— fahren, worin diese Organisation besteht und durch welche Momente sie hergestellt wird. Der Autor zählt fünf dieser „prz'na'pal tanditianr" für die Hebung des seelischen Lebens der Masse auf ein höheres Niveau auf.

§ 307

Die erste grundlegende Bedingung ist ein gewisses Maß von Kontinuität im Bestand der Masse! Diese kann eine materielle oder eine formale sein, das erste, wenn dieselben Personen längere Zeit in der Masse verbleiben, das andere, wenn innerhalb der Masse be— stimmte Stellungen entwickelt sind, die den einander abläsenden Personen angewiesen werden. ,

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§ 309

l i r ;

§ 310

30 Marsenpxyclzala‘gie und Ith-Analys:

§ 311

Die zweite, daß sich in dem Einzelnen der Masse eine bestimmte Vorstellung von der Natur, der Funktion, den Leistungen und Ansprüchen der Masse gebildet hat, so daß sich daraus für ihn ein Gefühlsverhältnis zum Ganzen der Masse ergeben kann.

§ 312

Die dritte, daß die Masse in Beziehung zu anderen, ihr ähnlichen, aber doch von ihr in vielen Punkten abweichenden Massenbildungen gebracht wird, etwa daß sie mit diesen rivalisiert.

§ 313

Die vierte, daß die Masse Traditionen, Gebräuche und Einrichtungen besitzt, besonders solche, die sich auf das Verhältnis ihrer Mitglieder zueinander beziehen.

§ 314

Die fünfte, daß es in der Masse eine Gliederung gibt, die sich in der Spezialisieng und Differenzie— rung der dem Einzelnen zufallenden Leistung ausdrückt.

§ 315

Durch die Erfüllung dieser Bedingungen werden nach Mc Dougall die psychischen Nachteile der Massenbildung aufgehoben. Gegen die kollektive Herabsetzung der Intelligenzleistung schützt inan sich dadurch, daß man die Lösung der intellektuellen Aufgaben der Masse entzieht und sie Einzelnen in ihr vorbehält.

§ 316

Es scheint uns, daß man die Bedingung, die MC Douéall als „Organisation“ der Masse bezeichnet hat, mit mehr Berechtigung anders beschreiben kann. Die Aufgabe besteht darin, der Masse gerade jene Eigenschaften zu verschaffen, die für das Individuum charakteristisch waren und die bei ihm durch die Massen— bildung ausgélbscht Wurden. Denn das Individuum

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§ 318

III. Avider: Würdigung!» des kalltkt. Setlnleäm 3 1

§ 319

hatte — außerhalb der primitiven Masse — seine Kontinuität, sein Selbstbewußtgein, seine Traditionen und Gewohnheiten, seine besondere Arbeiisleistnmg _ und Einreihung und hielt sich von anderen gsondert. mit denen es rivalisierte. Diese Eigenart hatte es durch seinen Eintritt in die nicht „organisierte“ Masse für eine Zeit verloren. Erkennt man so als Ziel, die Masse mit den Attributen des Individuums auszustatten, so wird man an eine gehalfieiche Bemerkung von W. Trotter' gemahnt, der in der Neigung zur Massenbildung eine biologische Fortführung der Vielzelligkeit aller hoheren Organismen erblickt.’ ‘ '

§ 320

!) mam- of & Herd in Peine mw». London 1916.

§ 321

z) Ichkannimüegensutzzueinetmmtvenäudnuvuiien nnd schlrfsinnige'n Kritik von Hm: Kelsen (Image WN}. _!91:) nicht zugeben, daß eine solche Aushth_rng (hr „Neuseele‘ mit Organisation eine Hypontuierung derselben, d. h. die Zu

§ 322

erkennung einer Unnbhhgigkeit ven dm sedjschenVurgingeüim individuum bedeute.

§ 323

§ 324

IV SUGGESTION UND LIBIDO

§ 325

Wir sind von der Grundtatsache ausgegangen, daß ein’Einzelner innerhalb einer Masse durch den Einfluß derselben eine oft tiefgreifende Veränderung seiner seelischen Tätigkeit erfährt. Seine Aflektivität wird außerordentlich gesteigert, seine intellektuelle Leistung merklich eingeschränkt, beide Vorgänge offen— bar in der Richtung einer Angleichung an die anderen Massenindividuen; ein Erfolg, der nur durch die Auf— hebung der jedem Einzelnen eigentümlidxen Trieb— hernmungen und durch den Verzicht auf die ihm be— sonderen Ausgestaltungen seiner Neigungen erreicht werden kann. Wir haben gehört, daß diese oft un— erwünschten Wirkungen durch eine höhere „Organi— sation“ der Massen wenigstens teilweise hintangehalten werden, aber der Grundtatsache der Massenpsycho— logie, den beiden Sätzen von der Affektsteigerung und der Denkhemrnung in der primitiven Masse ist da— durch nicht widersprochen werden. Unser Interesse geht nun dahin, für diese seelische Wandlung des Einzelnen in der Masse die psychologische Erklärung zu finden.

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§ 327

IV. Suggertian und Libido 33

§ 328

Rationelle Momente, wie die vorhin erwähnte Einschüchterung des Einzelnen, also die Aktion seines Selbsterhaltungstriehes, decken offenbar die zu be obachtenden Phänomene nicht. Was uns sonst als Erklärung von den Autoren über Soziologie und Massenpsychologie geboten wird, ist immer das nämliche, wenn auch unter wechselnden Namen: das Zauberwort der Suggestion. Bei Tarde hieß sie Nachahmung, aber wir müssen einem Autor recht geben, der uns vorhält, die Nachahmung {alle unter den Begriff der Suggestion, sei eben eine Folge der—

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Vselhen.‘ Bei Le Bon wurde Alles Befremdende der sozialen Erscheinungen auf zwei Faktoren zurück— geführt, auf die gegenseitige Suggestion der.Einzelnen und das Prestige der Führer. Aber das Prestige äußert sich wiederum mir in der Wirkung, Suggestion hervor— zurufen. Bei Mc Dougail konnten wir einen Moment lang den Eindruck empfangen, daß sein Prinzip der „primären Affektinduktion“ die Annahme der Suggestion entbehrlieh mache. Aber bei weiterer Überlegung müssen wir doch einsehen, daß dies Prinzip nichts anderes aussag-t, als die bekannten Behauptungen der „Nachahrnung“ oder „Ansteckung“, nur unter ent— schiedener Betonung des affektiven Moments. Daß eine derartige Tendenz in unsbesteht, wenn wir ein

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1)Brugeilles, L’esse'nce du phénoméne social: La-suggestion. Revue philosophique XXV. 1913.

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mm;: Mu.wmchnin.i. und Ich-My:. :

§ 332

§ 333

34 Marrmpsycholvg-i: und Ich-Analyse

§ 334

Zeichen eines Afl'ektzustandes bei einem anderen gewahren, in denselben Affekt zu verfallen, ist unzweifelhaft, aber wie oft widerstehen wir ihr erfolgreich, weisen den Affekt ab, reagieren oft in ganz gegensätzlicher Weise? Warum also geben wir dieser Ansteckung in der Masse regelmäßig nach? Man wird wiederum sagen müssen, es sei der snggestive Ein— fluß der Masse, der uns notigt, dieser Nachahmungsrenden: zu gehorchen; der den Aflekt in uns induziert. Übrigens kammen wir auch sonst bei Mc Dougall nicht um die Suggestion hentai; wir hören von ihm wie von anderen: die Massen zeichnen sich durch besondere Suggestibiliäf aus.

§ 335

Man wird so für die Aussage vorbereitet, die Suggesfion (richtiger die Suggerierbarkeit) sei eben ein weiter nicht reduzierbares Urphänomn, eine Grund— tatsache des menschlichen Seelenlebens. So hielt es auch Bernheim, von dessen erstaunlichen Künsten ich im Jahre 1889 Zeuge war. Ich weiß mich aber auch damals an eine dumpfe Gegnerschat't gegen diese Tyrannei der Suggestion zu erinnern. Wenn ein Kranker, der sich nicht geft'lgig zeigte, angeschrieen wurde: Was tun Sie denn? Von: van: cantresuggtslinnnez/ so sagte ichmir, das sei ofi'enhares Unrecht und Gewalt— tat. Der Mann habe zu Gegensuggestionen gewiß ein Recht, wenn man ihn mit Suggestionen zu unter— werfen versuche. Mein Widerstand nahm dann später die Richtung einer Auflehnung dagegen, daß die

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§ 337

IV. Suggtrtz'an und Libido 35

§ 338

Suggestion, die alles erklärte, selbst der Erklärung entzogen sein sollte. Ich wiederholte mit Bezug'auf sie die alte Scherzfragez‘

§ 339

Christoph trug Christum,

§ 340

Christus trug die ganze Welt,

§ 341

Sag’, wo hat Christoph

§ 342

Damals hin den Fuß gestellt?

§ 343

Christophorus Christum, sed Christus sustul.it orbem: Constiterit pedibus dic ubi Christophorus?

§ 344

Wenn ich nun nach etwa 3ojähriger Fernhaltung wieder an das Rätsel der Suggestion herantrete, finde ich, daß sich nichts daran geändert hat. Von einer einzigen Ausnahme, die eben den Einfluß der Psychoanalyse bezeugt, darf ich ja bei dieser Behauptung absehen. Ich sehe, daß man sich besonders darum bemüht, den Begriff der Suggestion korrekt zu formu— lieren, also den Gebrauch des Namens konventionell fützulegen,’ und dies ist nicht überflüssig, denn das Wort geht einer immer weiteren Verwendung mit aufgelockexter Bedeutung entgegen und wird bald jede beliebige Beeinflussung bezeichnen wie im Englischen, wo „10 suggzsl, suggzrtion” unserem „nahelegen“, unserer „Anregung“ entspricht. Aber über das Wesen der Suggestion, d. h. über die Bedingungen, unter

§ 345

I) Konrad Richter, Der deutsche St. Christoph. Berlin 1896. Acta Germanica V, I.

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2) 50 MC Dougall im ,Journal of Neurology and Psychopathology“, Vol. 1. No. x. May 1920: A note on suggesu'on.

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3t

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36 Marrenfsytltolagiz und Ich-Analyst

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denen sich Beeinflussungen ohne zureichende logische Begründung herstellen, hat sich eine Aufklärung nicht ergeben. Ich würde mich der Aufgabe nicht entziehen, diese Behauptung durch die Analyse der Literatur dieser letzten 30 Jahre zu erhärten, allein ich unter lasse es, weil mir bekannt ist,» daß in meiner Nähe eine ausführliche Untersuchung vorbereitet wird, welche sich eben diese Aufgabe gestellt hat.

§ 351

Anstatt dessen werde ich den Versuch machen, zur Aufklärung der Massenpsychologie den Begrifl der Libido zu verwenden, der uns im Studium der Psychoneurosen so gute Dienste geleistet hat.

§ 352

Libido ist ein Ausdruck aus der Affektiv-itätslehre. Wir heißen so die als quantitative Größe betrachtete — wenn auch derzeit nicht meßbare —— Energie solcher Triebe, welche mit alldem zu tun haben, was man als Liebe zusammenfassen kann. Den Kern des von uns Liebe Geheißenen bildet natürlich, was man gemeinhin Liebe nennt und was die Dichter b&ingen, die Geschlechtsliebe mit dem Ziel der gesclflechtlichen Vereinigung. Aber wir trennen davon nicht ab, was auch sonst an dem Namen Liebe Anteil hat, einerseits die Selbstliebe, andererseits die Eltem— und Kindesliebe, die Freundschaft und die allgemeine Menschenliebe, auch nicht die Hingebung an konkrete Gegenstände und an abstrakte Ideen. Unsere Rechtfertigung liegt darin, daß die psyehoanalytische Untersuchung uns gelehrt hat, alle diese Strebungen seien der Ausdruck

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§ 354

IV. Suggzrlion und Libido 37

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der nämlichen Triébregungen, die zwischen den Ge— schlechtem zur geschlechfliehen Vereinigung hindrängen, in anderen Verhältnissen zwar von diesem sexuellen Ziel abgedrängt oder in der Erreichung desselben auf— gehalten werden, dabei aber doch immer genug von ihrem ursprünglichen Wesen bewahren, um ihre Identität kenntlich zu erhalten (Selbstaufopferung, Streben nach Annäherung).

§ 356

Wir meinen also, daß die Sprache mit dem Wort „Liebe“ in seinen vielfältigen Anwendungen eine durchaus berechtigte Zusammenfassung geschaffen hat, und daß wir nichts Besseres tun können, als dieselbe auch unseren wissenschaftlichen Erörterungen und Darstellungen zugrunde zu legen. Durch diesenEntschluß hat die Psychoanalyse einen Sturm von Entrnstung entfesselt, als ob sie sich einer frevelhaften Neuerung schuldig gemacht hätte. Und doch hat die Psychoanalyse mit dieser „erweiterten“ Auffassung der Liebe nichts Originelles geschaffen. Der „Eros“ des Philosophen Plata zeigt in seiner Herkunft, Leistung und Beziehung zur Geschlechlsliebe eine vollkommene Deckung mit der Liebeskral't, der Libido der Psychoanalyse, wie Nachmansohn und Pfister im Einzelnen dargelegt haben,‘ und wenn der Apostel Paulus in dem berühmten Brief an die Korinther die Liebe über alles andere

§ 357

!) Nachmznsolm, Frends Libidotheorie verglichen mit der Eroslehre Places. Intern. Zeitschr. f. Psychoanalyse, III., 1915;Pfister, ebd. VII. xgzr.

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38 Maxsmpsytlwlagiz und Ich-Analyse

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preist, hat er sie gewiß im nämlichen „erweiterten“ Sinn verstanden,‘ woraus nur zu lernen ist, daß die Menschen ihre großen Denker nicht immer ernst nehmen, auch wenn sie sie angeblich sehr bewundern.

§ 361

Diese Liebestriebe werden nun in der Psychoanalyse a potiori und von ihrer Herkunft_ her Sexualtriebe geheißen. Die Mehrzahl der „Gebildeten“ hat diese Namengebung als Beleidigung empfunden und sich für sie gerächt, indem sie der Psychoanalyse den Vorwurf des „Pansexualismus“ entgegenschleuderte. Wer die Sexualität für etwas die menschliche Natur Beschä— mendes und Erniedrigendes hält, dem steht 5 ja frei, sich der vomehmeren Ausdrücke Eros und Erotik zu bedienen. Ich hätte es auch selbst von Anfang an so tun können und hätte mir dadurch viel Widerspruch erspart. Aber ich mochte es nicht, denn ich venneide gern Konzessionen an die Schwachmutigkeit. Man kann nicht wissen, wohin man auf diesem Wege gerät; man gibt zuerst in Worten nach und dann allmählich auch in der Sache. Ich kann nicht finden, daß irgend ein Verdienst daran ist, sich der Sexualität zu schämen; das griechische Wort Eros, das den Schimpf lindern soll, ist doch schließlich nichts anderes als die Über— setzung unseres deulschen Wortes Liebe, und endlich, wer warten kann, braucht keine Konzessionen zu machen.

§ 362

[) „Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tünend Erz oder eine klingende Schelle,“ u. R'.

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§ 364

IV. Suggexlz'an und Libido 39

§ 365

Wir werden es also mit der Voraussean versuchen, daß Liebesbeziehungen (indifferent ausgedrückt: Gefühlsbindungen) auch das Wesen der Massenseele ausmachen. Erinnem wir uns daran, daß von solchen ' bei den Autoren nicht die Rede ist. Was ihnen ent— sprechen würde, ist offenbar hinter dem Schirm, der spanischen Wand, der Suggestion verborgen. Auf zwei fluchtige Gedanken stützen wir zunächst unsere Erwartung. Erstens, daß die Masse ofienbar durch irgend eine Macht zusammengehalten wird. Welcher Macht könnte man aber diese Leistung eher zuschreiben als dem Eros, der alles in der Welt zusarnmenhälti Zweitens, daß man den Eindruck empfängt, wenn der Einzelne in der Masse seine Eigenart aufgiht und sich von den Anderen suggerieren läßt, er tue es, weil ein Bedürfnis bei ihm besteht, eher im Einvernehmen mit ihnen als im Gegensatz zu ihnen zu sein, also vielleicht doch „ihnen zuliebe“.

§ 366

§ 367

V ZWEI KÜNSTLICHE MASSEN: KIRCHE UND HEER

§ 368

Aus der Morphologie der Massen rufen wir uns ins Gedächtnis, daß man sehr verschiedene Arten von Massen und gegensätzliche Richtungen in ihrer Ausbildung unterscheiden kann. Es gibt sehr flüchtige Massen und höchst dauerhafte; homogene, die aus gleichartigen Individuen bestehen, und nicht homogene; natürliche Massen und künstliche, die zu ihrem Zusammenhalt auch einen äußeren Zwang erfordern; prirnitive Massen und gegliederte, hoch organisierte. Aus Gründen aber, in welche die Einsicht noch verhüllt ist, möchten wir auf eine Unterscheidung besonderen Wert legen, die bei den Autoren eher zu wenig beachtet wird; ich meine die von führerlosen Massen und von solchen mit Führern. Und recht im Gegensatz zur gewohnten Übung soll unsere Untersuchung nicht eine relativ einfache Massenbildung zum Ausgangspunkt wählen, sondern an hoch organisierten, dauerhaften, künstlichen Massen beginnen. Die interessantesten Bei— spiele solcher Gebilde sind die Kirche, die Gemeinschaft der Gläubigen, und die Armee, das Heer.

§ 369

§ 370

V. an' _bü'nrtlitlr: Massm: Kirrltz um! Hzer 41

§ 371

Kirche und Heer sind künstliche Massen, das heißt, es wird ein gewisser äußerer Zwang aufgewendet, um sievor der Auflösung zu bewahren‘ und Ver— änderungen in ihrer Struktur hintanzuhalten. Man wird in der Regel nicht befragt oder es wird einem nicht freigestellt, ob man in eine solche Masse eintreten will; der Versuch des Austritls wird gewöhnlich verfolgt oder strenge bestraft oder ist an ganz bestimmte Be— dingungen geknüpft. Warum diese Vergesellschaftungen so besonderer Sicherungen bedürfen, liegt unserem Interesse gegenwärtig ganz ferne. Uns zieht nur der eine Umstand an, daß man an diesen hochorganisierten, in solcher Weise vor dem Zerfall geschützten Massen mit großer Deutlichkei’r. gewisse Verhältnisse erkennt, die anderswo weit mehr verdeckt sind.

§ 372

In der Kirche — wir können mit Vorteil die katholische Kirche zum Muster nehmen — gilt wie im Heer, so verschieden beide sonst sein mögen, die nämliche Vorspiegelung (Illusion), daß ein Oberhaupt da ist — in der katholischen Kirche Christus, in der Armee der Feldhe_rr — das alle Einzelnen der Masse mit der gleichen Liebe liebt. An dieser Illusion hängt alles; ließe man sie fallen, so zerfielen sofort, soweit der äußere Zwang es gestattete, Kirche wie Heer. Von Christus wird diese gleiche Liebe ausdrücklich

§ 373

!) Die Eigenschaften „stabil“ und „kiinstli “ scheinen bei den Massen zusammenzufallen oder wenigstens intim zusammenzuhä.ngen.

§ 374

§ 375

42 Marrmpryclmlugie und [plz-Analyst

§ 376

ausgesagt: Was ihr getan habt einem unter diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan. Er steht zu den Einzelnen der gläubigen Masse im Verhältnis eines giitigen älteren Bruders,ist ihnen ein Vaterersatz. Alle Anforderungen an die Einzelnen leiten sich von dieser Liebe Christi ab. Ein demokratischer Zug geht durch die Kirche, eben weil vor Christus alle gleich sind, alle den gleichen Anteil an seiner Liebe haben. Nicht ohne tiefen Grund wird die Gleichartigkeit der christlichen Gemeinde mit einer Familie heraufbc? schweren und nennen sich die Gläubigen Brüder in Christa, d. h. Brüder durch die Liebe, die Christus für sie hat. Es ist nicht zu bezweifeln, daß die Bindung jedes Einzelnen an Christus auch die Ursache ihrer Bindung unter einander ist. Ähnliches gilt für das Heer; der Feldhen' ist der Vater, der alle seine Soldaten gleich liebt, und darum sind sie Kameraden untereinander. Das Heer unterscheidet sich sl.mkturell von der Kirche darin, daß es aus einem Stufenbau von solchen Massen besteht. Jeder Hauptmann ist gleichsam der Feldherr und Vater seiner Abteilung, jeder Unteroffizier der seines Zuges. Eine ähnliche Hierarchie ist zwar auch in der Kirche ausgebildet, spielt aber in ihr nicht dieselbe ökonomische Rolle, da man Christus mehr Wissen und Bekümmem um die Einzelnen zu— schreiben darf als dem menschlichen Feldhen-n. Gegen diese Aufiassung der libidinösen Struktur einer Armee wird man mit Recht einwenden, daß die

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§ 378

V. Zwei kim/lich: Massen: Kin‘lxe und Heer 43

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Ideen des Vaterlandes, des nationalen Ruhms u. a., die für den Zusammenhalt der Armee so bedeutsam sind, hier keine Stelle gefunden haben..Die Antwort darauf lautet, dies sei ein anderer, nicht mehr so einfacher Fall von Massenbindung, und wie die Beispiele" großer Heerfuhrer, Caesar, Wallenstein, Napoleon, zeigen, sind solche Ideen für den Bestand einer Armee nicht unentbehrlich. Von dem möglichen Ersatz des Fahrers durch eine führende Idee und den Beziehungen zwischen beiden wird später kurz die Rede sein. Die Vernachlässigung dieses libidin05en Faktors in der Armee, auch dann, wenn er nicht der einzig wirksame ist, scheint nicht nur ein theoretischer Mangel, sondern auch eine praktisdxe Gefahr. Der preußischeMilitarismus, der ebenso unpsychologisch war wie die deutsche Wissenschaft, hat dies vielleicht im großen Weltkrieg erfahren müssen. Die Kriegsneurosen, welche die deutsche Armee zersetzten, sind ja großeriteils als Protest des Einzelnen gegen die ihm in der Armee zngemutete Rolle erkannt werden, und nach den Mitteilungen von E. Simmel' darf man behaupten, daß die lieblose Behandlung des gemeinen Mannes durch seine Vor— gesetzten obena.n unter den Motiven der Erkrankung stand. Bei besserer Würdigung dises Inbidoanspruches hätten wahrscheirfli'nh die phanmstjschm Versprechungen der 14 Punkte des amerikanischen Präsidenten nicht so

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!) Kriegsnenrosen und „Psychische: Trauma“, Münéhen 1918.

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44 Marmprythnlagi: und [til-Analyse

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leicht Glauben gefunden und das großartige Instrument wäre den deutschen Kriegskunstlem nicht in der Hand zerbrochen. .

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Merken wir an, daß in diesen beiden künstlichen Massen jeder Einzelne einerseits an den Führer (Christus, Feldherrn), andererseits an die anderen Massmindividuen libidinüs gebunden ist. Wie sich diese beidi Bindungen zueinander verhalten, ob sie gleichartig und gleichwertig sind und wie sie psychologisch zu beschreiben wären, das nit!ssen wir einer späteren Untersuchung vorbehalten. Wir genauen uns aber jetzt schon eines leisen Vorwurfes gegen die Autoren, daß sie die Bedeutung des Fahrers für die Psychologie der Masse nicht genügend gewürdigt haben, während uns die Wahl des ersten Untersuchungsobjekis in eine günstigere Lage gebracht hat. Es will uns schein—, als befinden wir uns auf dem richtigen Weg, der die Haupterscheinung der Massenpsychologie, die Unfreiheit des Einzelnen in der Masse, aufklären kann. Wenn für jeden Einzelnen eine so ausgiebige Gefuhlsbindung nach zwei Richtungen besteht, so wird es uns nicht schwer werden, aus :diesem Verhältnis die beobachtete Veränderung und Einschränkung seiner Persönlichkeit abzuleiten.

§ 385

Einen Wink ebendahin, das Wesen einer Masse bestehe in den in ihr vorhandenen libidinbsen Bin— dungen, erhalten wir auch in dem Phänomen der Panik, welches am besten an militärischen Massen zu

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§ 387

V. Zaun” künstliche Massm: Kirche um! Heer 45

§ 388

studieren ist. Eine Panik entsteht, wenn eine solche Masse sich zersetzt. Ihr Charakter ist, daß kein Befehl des Vorgesetzten mehr angehört wird, und daß jeder für sich selbst sorgt ohne Rücksicht auf die anderen. Die gegenseitigen Bindungen haben aufgehört und eine riesengroße, sinnlose Angst wird frei. Natürlich wird auch hier wieder der Einwand naheliegen, es sei vielmehr umgekehrt, indem die Angst so groß gewachsen sei, daß sie sich über alle Rücksichten und Bindungen hinaussetzen konnte. M° Dougall hat_sogar (S. 24) den Fall der Panik (allerdings der nicht militärischen) als Musterbeispiel für die von ihm betonte Affektsteigerung durch Ansteckung (primary induciinn} verwertet. Allein diese rationelle Erklärungsweise geht hier doch ganz fehl. Es steht eben zur Erklärung, warum die Angst so rieseng'roß geworden ist. Die Größe der Gefahr kann nicht beschuldigt werden, denn dieselbe Annee, die jetzt der Panik verfällt, kann ähnlich große und größere Gefahren tadellos bestanden haben, und es gehört geradezu zum Wesen der Panik, daß sie nicht im Verhältnis.znr drohenden Gefahr steht, oft bei den nichtigsten Anlässen ausbricht. Wenn der Einzelne in panischer Angst für sich selbst zu sorgen unternimmt, so bezeugt er damit die Ein— sicht, daß die affektiven Bindungen aufgehört haben, die bis dahin die Gefahr für ihn herabsetzten. Nun, da er der Gefahr allein entgegensteht, darf er sie allerdings hoher einschätzen. Es verhält sich also so,

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§ 390

46 Mas:enpsyclmlagiz um! [th—Analyse

§ 391

daß die panische Angst die Lockerung in der libidi— nissen Struktur der Masse voraussth und in berech— tigter Weise auf sie reagiert, nicht umgekehrt, daß die Libidobindungen der Masse an der Angst vor der Gefahr zugrunde gegangen wären.

§ 392

Mit diesen Bemerkungen wird der Behauptung, daß die Angst in der Masse durch Induktion (An— steckung) ins Ungeheure wachse, keineswegs widersprechen. Die MC Dougall’sche Auffassung ist durch— aus zutreffend für den Fall, daß die Gefahr eine real große ist und daß in der Masse keine starken Ge fühlsbindungen bestehen, Bedingungen, die verwirklicht werden, wenn 2. B. in einem Theater oder Vergnügungslokal Feuer ausbn'cht. Der lehrreiche und für unsere Zwecke verwertete Fall ist der oben erwähnte, daß ein Heereskörper in Panik gerät, wenn die Gefahr nicht über das gewohnte und oftmals gut vertragene Maß hinaus gesteigert ist. Man wird nicht erwarten dürfen, daß der Gebrauch des Wortes „Panik“ scharf und eindeutig bestimmt sei. Manchmal bezeichnet man so jede Massenangst, andere Male auch die Angst eines Einzelnen, wenn sie über jedes Maß hinausgeht, häufig scheint der Name für den Fall reserviert, daß der Angstausbruch durch den Anlaß nicht gerecht— fertigt wird. Nehmen wir das Wort „Panik“ im Sinne der Massenmgst, so können wir eine weitgehende Analogie behaupten. Die Angst des Individuums wird hervorgerufen entweder durch die Große der Gefahr

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§ 394

V. Zwti küm'llichz Maßen : Kirche und Heer 47

§ 395

oder durch das Auflassen von Gefiihlsbindungen (Libido— besetzungen); der letztere Fall ist der der neurotz'schen Angst (S. Vorlesungen zur Einfühng in die Psychoanalyse, XXV., 3. Aufl., 1920). Ebenso entsteht die Panik durch die Steigerung der Alle betreffenden Gr.— fahr oder durch das Aufhören der die Masse zusammen— haltenden Geiühlsbindungen, und dieser letzte Fall ist der neurotisehen Angst analog (Vgl. hiezu den gedankenreichen, etwas phantastischen Aufsatz von Béla v. Felszeghy: Panik und Pankomplex, „Imago“, VI, 1920). ,

§ 396

Wenn man die Panik wie Mc Dougall (l. c.) als eine der deutlichs’ten Leistungen des „group mind“ beschreibt, gelangt man zum Paradoxon, daß sich diese Massenseele in einer ihrer aufl‘älligsten Äußerungen selbst aufhebt. Es ist kein Zweifel möglich, daß die Panik die Zersetzung der Masse bedeutet, sie hat das Auihören aller Rücksichten zur Folge, welche sonst die Einzelnen der Masse für einander zeigen.

§ 397

Der typische Anlaß für den Ausbruch «einer Panik ist so ähnlich, wie er in der Nestroy’schen Parodie des Hebbel’schen Dramas von ]udith und Holol'ernes dargestellt wird. Da schreit ein Krieger: „Der Feldherr hat den Kopf verloren“, und darauf ergreifen alle Assyrer die Flucht. Der Verlust des Fahrers in irgend einem Sinne, das Irrewerden an ihm bringt die Panik bei gleichbleibender Gefahr zum Ausbruch; mit der Bindung an den Führer schwinden — in der

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§ 399

48 Marrmpsythalogit und Irh-Analyr:

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Regel —— auch die gegenseitigen Bindungen der Massenindividuen. Die Masse zersn'ebt wie ein Bologneser Fläschchen, dem man die Spitze abgebrochen hat.

§ 401

Die Zersetzung einer religiösen Masse ist nicht so leicht zu Beobachten. Vor kurzem geriet mir ein von katholischer Seite stammender, vom Bischof von London empfohlener englischer Roman in die Hand mit dem Titel: „ When it wa: dar ", der eine solche Müglichkeit und ihre Folgen in geschickter und, wie ich meine, zutreffender Weise ausmalte. Der Roman erzählt wie aus der Gegenwart, daß es einer Verschwörung von Feinden der Person Christi und des christlichen Glaubens gelingt, eine Grabkammer in Jerusalem auffinden zu lassen, in deren Inschrift Josef von Arimathäa bekennt, daß er aus Gründen der Pietät den Leichnam Chrisfi am dritten Tag nach seiner Beisetzung heimlich aus seinem Grab entfernt und hier bestattet habe. Damit ist die Auferstehung Christi und seine gottliehe Natur abgetan und die Folge dieser archäologischen Entdeckung ist eine Erschlitterung der euro— päischen Kultur und eine außerordentliche Zunahme aller Gewalttaten und Verbrechen, die erst schwindet, nachdem das Komplett der Fälscher enthth werden kann.

§ 402

Was bei der hier angenommenen Zersean der religiösen Masse zum Vorschein kommt, ist nicht Angst, für welche der Anlaß fehlt, sondern rücksichtslose und feindselige Impulse gegen andere Personen, die

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§ 404

V. Zwei kün:tlidze Massen: Kirche und Heer 49

§ 405

sich bis dahin dank der gleichen Liebe Christi nicht äußern konnten.‘ Außerhalb dieser Bindung stehen aber auch während des Reiches Christi jene Individuen, die nicht zur Glaubensgemeinschaft gehören, die ihn nicht lieben und die er nicht liebt; darum muß eine Religion, auch wenn sie sich die Religion der Liebe heißt, hart und lieblos gegen diejenigen sein, die ihr nicht angehören. Im Grunde ist ja jede Religidn eine solche Religion der Liebe für alle, die sie umfaßt, und jeder liegt Grausamkeit und Intoleranz gegen die nicht dazugehörigen nahe. Man darf, so schwer es einem auch persönlich iällt, den Gläubigen daraus keinen zu argen Vorwurf machen; Ungläubige und Indifferente haben es in diesem Punkte psychologisch um so viel leichter. Wenn diese Intoleranz sich heute nicht mehr so gewalttäfig und grausam kund— gibt wie in früheren Jahrhunderten, so wird man daraus kaum auf eine Milderung in den Sitten der Men— schen schließen dürfen. Weit eher ist die Ursache davon in der unleugbaren Abschwächung der reli— giösen Gefühle und der von ihnen abhängigen libi— dinüsen_ Bindungen zu suchen. Wenn eine andere Massenbindung an die Stelle der religiösen tritt, wie es jetzt der sozialistischen zu gelingen scheint, so wird sich dieselbe Intoleranz gegen die Außenstehenden

§ 406

!) Vgl. hiezu die Erklärung ünlichfl Phänomene und?: dem

§ 407

Wegfall der landesväterlichen Autorität bei ?. Federn, Die vaterlose Gesellschafi, Wien, 19194

§ 408

Emmi: Ml-mplyehnlngh und um». 4

§ 409

§ 410

50 Ma:senpsychologiz und [th—Analyse

§ 411

ergeben wie im Zeitalter der Religionskämpfe, und wenn die Differenzen wissenschaftlicher Anschauungen je eine ähnliche Bedeutung für die Massen gewinnen könnten, würde sich dasselbe Resultat auch für diese Motivierung wiederholen.

§ 412

§ 413

VI

§ 414

WEITERE AUFGABEN UND ARBEITSRICHTUNGEN

§ 415

Wir haben bisher zwei artifizielle Massen untersucht und gefunden, daß sie von zweierlei Gefü.hls— bindungen beherrscht werden, von denen die eine an den Führer — wenigstens für sie —— bestimmender zu sein scheint als die andere, die der Massenindividuen aneinander.

§ 416

Nun gäbe es in der Morphologie der Massen noch viel zu untersuchen und zu beschreiben. Man hätte von der Feststellung auszugehen, daß eine bloße Menschenmenge noch keine Masse ist, so lange sich jene Bindungen in ihr nicht hergestellt haben, hätte aber das Zugeständnis zu machen, daß in einer be— liebigen Menschenmenge sehr leicht die Tendenz zur Bildung einer psychologischen Masse hervorhitt. Man müßte den verschiedenarfigen, mehr oder nünder beständigen Massen, die spontan zustande kommen, Auf— merksamkeit schenken, die Bedingungen ihrer Ent— stehung und ihres Zerfalls studieren. Vor allem wurde uns der Unterschied zwischen Massen, die einen Führer

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‘;

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§ 419

52 Mar:mpsyrlmlogie und Iris-Analyse

§ 420

haben und führerlosen Massen beschäftigen. Ob nicht die Massen mit Fahrer die ursprünglicheren und vollständigertän sind, ob in den anderen der Führer nicht durch eine Idee, ein Abstraka ersetzt'sein kann, wozu ja schon die religiösen Massen mit ihrem unaufzeigbaren Oberhaupt die Überleitung bilden, ob nicht eine gemeinsame Tendenz, ein Wunsch, an dem eine Vielheit Anteil nehmen kann, den nämlichen Ersatz leistet. Dieses Abstrakte könnte sich wiederum mehr oder weniger vollkommen in der Person eines gleich— sam sekundären Führen; verkörpern,. und aus der Beziehung zwischen Idee und Führer ergäben sich interessante Mannigi'altigkeiten. Der Fahrer oder die führende Idee könnten auch sozusagen negativ werden; der Haß gegen eine bestimmte Person oder Institution konnte ebenso einigend wirken ,und ähnliche Gefühlsbindungen hervomrfen wie die positive Anhänglich— keit.Es fragt sich damauch, ob der Führer für das Wissen der Masse wirklich unerläßlich ist u. a. m. , Aber all diese anen, die zum Teil auch in der

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, Literatur der Massenpsychologie behandelt sein mögen, „ werden nicht imstande sein, unser Interesse von den psychologischen Grundproblemen abzulenkm,'die uns in der Struktur einer Masse geboten werden. Wir werden zunächst von einer Überlegmg gefesselt, die uns“ auf dem kürzesten Weg den Nachweis verspricht, daß es Libidobindungen sind, welche eine Masse ehmnkterisieren. '

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V]. Weitere Aufgaben und Arbeitnirlltungm 53

§ 424

Wir halten uns vor, wie sich die Menschen im allgemeinen affektiv zueinander verhalten. Nach dem berühmten Schnpenhauer’schen Gleichnis von den frierenden Stachelschweinen verträgt keiner eine allzu intime Annäherung des anderen.‘

§ 425

Nach dem Zeugnis der Psychoanalyse enthält fast jedes intime Gefühlsverhältnis zwischen zwei Personen von längerer Dauer — Ehebeziehung, Freundschaft, Eltem- und Kindsclmft' — einen Bodensatz von ablehnenden, feindseligen Gefühlen, der nur infolge von Verdrängung der Wahrnehmung entgeht. Unverhullter ist es, wenn jeder Kampagnen mit seinem Gesellschafter hadert, jeder Untergebene gegen seinen Vorgesetzten murrt. Dasselbe geschieht dann, wenn die Menschen zu größeren Einheiten zusammentreten. ]edesmal, wenn sich zwei Familien durch eine Eheschließung verbinden,

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1) „Eine Gesellschaft Stachelschweine drängte sich, an einem kalten Wintertage, recht nahe zusammen, um durch die gegenseitige Wärme sich vor dem Erfrieten zu schützen. Jedoch bald empfanden sie die gegenseitigen Stacheln, welches sie dann wieder von einander endemte. Wenn nun das Bedürfnis der Erwärmung sie wieder nüer zusammenhrachte, wiederholte sich jenes zweite Übel, an daß sie zwischen beiden Leiden hin— nud hergcworfen wurden, bis sie eine mäßige Entfernung herausgdimden hatten, in der sie es am besten aushalten konnlzn.“ (Patergn und. Paulipomena, IL Teil, X)QCL, Gleichnisse und Parabehi)

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2) Vielleicht mit einziger Ausnahme der Beziehung der Mutter zum Sohn, die auf Narzißmus gegründet, durch spätere Rivnlität

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nicht gestört und durch einen Ansatz zur sexuellen ob;=nemi verstärkt wird.

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54 Maumpsyr/wlagi: und Ich-Analyse

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hält sich jede von ihnen für die bessere oder vornehmere auf Kosten der anderen. Von zwei benachbarten Städten wird jede zur mißgtinstigen Konkurrentin der anderen; jedes Kantönli sieht geringschätzig auf das andere herab. Nächstverwnndte Völkerstämme stoßen einander ab, der Süddeutsche mag den Norddeutschen nicht leiden, der Engländer sagt dem Schotten alles Base nach, der Spanier verachtet den Portugiesen. Daß bei größeren Differenzen sich eine schwer zu überwindende Ab— neigung ergibt, des Galliers gegen den Germanen' des Ariers gegen den Semiten, des Weißen gegen den Farbigen, hat aufgehört, uns zu verwundem.

§ 432

Wenn sich die Feindseligkeit gegen sonst geliebte Personen richtet, bezeichnen wir es als Gefuhlambivalenz und erklären uns diesen Fall in sicherlich allzu rationeller Weise durch die vielfachen Anlässe zu Interessen— konflikten, die sich gerade in so intimen Beziehungen ergeben. In den unverhüllt hervortretenden Abneigungen und Abstoßungen gegen nahestehende Fremde können wir den Ausdruck einer Selbstüebe, eines Narzißmus, erkennen, der seine Selbstbehauptung ansirebt und sich so benimmt, als ob das Vorkommen einer Abweichung von seinen individuellen Ausbildungen eine Kritik der— selbm und eine Aufforderung, sie umzugätalten, mit sich brächte. Warum sich eine so große Empfindlich— keit gerade auf diese Einzelheiten der Differenzierung geworfen haben sollte, wissen wir nicht ,' es ist aber unverkennbar, daß sich in diesem Verhalten der Menschen

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pvp-«mw ,

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VI. Wahre Aufgaben um! Arbeitrric/ztungm 5 5

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eine Haßbereitschaft, eine Aggressivität kundgibt, deren Herkunft unbekannt ist, und der man einen elementaren Charakter zusprechen möchte.‘ .

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Aber all diese Intoleranz schwindet, zeitweilig oder dauernd, durch die Massenbildung und in der Masse. Solange die Massenbildung anhält oder soweit sie reicht, henehmen sich die Individuen als wären sie gleichföm1ig, dulden sie die Eigenart des anderen, stellen sich ihm gleich und verspüren kein Gefühl der Abstoßung gegen ihn. Eine solche Einschränkung des Narzißrnus kann nach unseren theoretischen Anschauungen nur durch ein Moment erzeugt werden, durch libidinase Bindung an andere Personen. Die Selbs‘rliebe findet nur an der Fremdliebe, Liebe zu Objekten, eine Sehranke.’.Man wird sofort die Frage aufwerfen, ob nicht die Interessengemeinschaf’t an und für sich rind ohne jeden libidi— nösen Beitrag zur Duldung des anderen und zur Rücksichtnahme auf ihn führen muß. Man wird diesem Einwand mit dem Bescheid begegnen, daß auf solche Weise eine bleibende Einschränkung des Narzißmus doch nicht zustande kommt, da diese Toleranz nicht länger anhält, als der unmittelbare Vorteil, den man

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1) In einer kürzlich (1920) veröffentlichten Schrilt ,Jenseits des Lustprinzipsf‘ habe ich versucht, die Polarität vom Lieben und Hessen mit einem angenommenen Gegensatz von Lebens

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und Todestrieben zu verknüpfen, und die Sexualtriebe als die reinsten Vertreter der ersteren, der Lebenstriebe, hinzustellen.

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2) S. Zur Einführung des Narzißmus I914. Sammlung kleiner Schriften zur Neuxosenlehre, vierte Folge 1918.

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56 Masse'nfsyc/wlogie und Ich-Analyre

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aus der Mitarbeit des anderen zieht. Allein der praktische Wert dieser Streitfrage ist geringer, als man meinen sollte, denn die Erfahrung hat gezeigt, daß sich im Falle der Mmbeiterschaft regelmäßig 1ibidinöse Bindungen zwischen den Kameraden herstellen, welche die Beziehung zwischen ihnen über das Vorteilhafte hinaus verlängern und fixieren. Es geschieht in den sozialen Baiehungen der Menschen dasselbe, was der psychoanalytischen Forschung in dem Entwicklungsgang der individuellen Libido bekannt geworden ist. Die Libido lehnt sich an die Befriedigung der großen Lebensbedürfnisse an und wählt die dann beteiligten Personen zu ihren ersten Objekten. Und wie beim Einzelnen, so hat auch in der Entwicklung der ganzen Menschheit nur die Liebe als Kulhufaktor im Sinne einer Wendung vom Egoisrnus zum Altmismus gewirkt. Und zwar sowohl die geschlechtliche Liebe zum Weihe mit all den aus ihr fließenden Notigungen, das zu versehenen, was dem Weihe lieh war, als auch die deceximlisierte, , sublimiert homosexuelle Liebe zum andere! Mama, die sich an die gemeinsame Arbeit knüpfte. WennalsoinderMasseEinschränkungmdernarzißfischen Eigenfiebe auftreten, die außerhalb derselben nicht wirken, so ist dies ein zwingender Hinweis darauf, daß ‘ das Wesen der Massenbildung in neuartigen libidinösen . Bindungen der Massenmitglieder aneinander besteht. _ , Nun wird aber unser Interesse dringend fragen, welcher ,Art diese Bindungen in der Masse sind. In der

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V]. Weitere Aufgaben und Arbzilrricfitungm 57

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psychoanalytischen Neurosenlehre haben wir uns bisher fast ausschließlich niit der Bindung solcher Liebestriebe an ihre Objekte beschäftigt, die noch direkte Sexualziele verfolgen. Um solche Sexualziele kann es sich in der Masse offenbar nicht handeln. Wir haben es hier mit Uebestrieben zu tun, die, ohne darum minder energisch zu wirken, doch von ihren ursprünglichen Zielen ab— geleukt sind. Nun haben wir bereits im Rahmen der gewöhnlichen sexuellen Objektbesetzung Erscheinungen bemerkt, die einer Ablenkung des Triebes von seinem Sexualziel entsprechen. Wir haben sie als Grade von Verliebtheit beschrieben und erkannt, daß sie eine gewisse Beeinn*ächtig1mg des Ichs mit sich bringen. Diesen Erscheinungen der Verliebtheit werden wir jetzt eingehendere Aufmerksamkeit zuwenden, in der begründeten Erwartung, an ihnen Verhältnisse zu finden, die sich“ auf die Bindungen in den Massen übertragen lassen. Außerdem möchten wir aber wissen, ob diese Art der Objektbesetzung, wie wir sie aus dem Ge schlechtsleben kennen, die einzige Weise der Gefühlsbindung an eine andere Person darstellt, oder ob wir noch andere solche Mechanismen in Betracht zu ziehen haben. Wir erfahren tatsächlich aus der Psychnanalyse, daß es noch andere Mechanismen der Gefühlsbindung gibt, die sogenannten Identifizierungen, ungenügend bekannte, schwer darzustellende Vorgänge, deren Untersuchung uns nun eine gute Weile vom Thema der Massenpsychologie femha.lten wird.

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VII DIE IDENTIFIZIERUNG

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Die Identifizierung ist der Psychoanalyse als früheste Äußerung einer Gefühlsbindung an eine andere Person bekannt. Sie spielt in der Vorgeschichte des Ödipus— komplexes eine Rolle. Der kleine Knabe legt ein besonderes Interesse für seinen Vater an den Tag, er möchte so werden und so sein wie er, in allen Stücken an seine Stelle treten. Sagen wir ruhig: er nimmt den Vater zu seinem Ideal. Dies Verhalten hat nichts mit einer passiven oder femim'nen Einstellung zum Vater (und zum Manne überhaupt) zu tun, es ist vielmehr exquisit männlich. Es verträgt sich sehr wohl mit dem Ödipnskomplex, den es vorbereiten hilft.

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Gleichzeitig mit dieser Identifizierung mit dem Vater oder etwas später, hat der Knabe begonnen, eine richtige Objektbesetzung der Mutter nach dem Anlehnungstypus vorzunehmen. Er zeigt also dann zwei psychologisch verschiedene Bindungen, zur Mutter eine glatt sexuelle Objektbesetzung, zum Vater eine vorbildliche Identifizierung. Die beiden bestehen eine Weile nebeneinander, ohne gegenseitige Beeinflussung oder

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VII. Die Idenhfizizrung ’ 59

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Störung. Infolge der unaufhaltsam fortschreitenden Vereinheitlichung des Seelenlebens treffen sie sich endlich und durch dies Zusammenströmen entsteht der normale Ödipuskornplex. Der Kleine merkt, daß ihm der Vater bei der Mutter im Wege steht; seine Identifizierung mit dem Vater nimmt jetzt eine feindselige Tonung an und wird mit dem Wunsch identisch, den Vater auch bei der Mutter zu ersetzen. Die Identifizierung ist eben von Anfang an a.mbivalent, sie kann sich ebenso zum Ausdruck der Zärtlichkeit wie zum Wunsch der Be— seitigung wenden. Sie benimmt sich wie ein Abkömxnling der ersten oralen Phase der Libidoorganisation, in welcher man sich das begehrte und geschätzte Objekt durch Essen einverleibte und es dabei als solches vemichtete. Der Kannibale bleibt bekanntlich auf diesem Standpunkt stehen; er hat seine Feinde zum Fressen lieb, und er frißt die nicht, die er nicht irgend wie lieb haben kann.‘

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Das Schicksal dieser Vateridehtifizierung verliert man später leicht aus den Augen. Es kann dann geschehen, daß der Ödipuskomplex eine Umkehrung erfährt, daß der Vater in femininer Einstellung zum Objekte genommen wird, von dem die direkten

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[) 5. „Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie“ und Abraham: ' „Untersuchungen über die früheste prägenitnle Enhvickluugsstnfe der Libido.“ Intern. Zeitschr. {. Psycheanalyse, IV, 1916, auch in dessen „Klinische Beiträge zansychoaualysc“. Intern. Psychoanalyt. Bibliothek, Bd. ro, 1921.

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.

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60 Massenpsyclwlagi: und Ich-Analsz

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Sexualü'iebe ihre Befriedigung erwarten, und dann ist die Vateridentifizierung zum Vorläufer der Objektbindung an den .Vater geworden. Dasselbe gilt mit den entsprechenden Ersetzungen auch für die kleine Tochter. Es ist leicht, den Unterschied einer solchen Vater identifizierung von einer Vaterobjektwahl in einer Formel auszusprechen. Im ersten Falle ist. der Vater das, was man sein, im zweiten das, was man haben möchte. Es ist also der Unterschied, ob die Bindung am Subjekt oder am Objekt des Ichs angreift. Die erstere ist darum bereits vor jeder sexuellen Objektwahl möglich. Es ist weit schwieriger, diese Verschiedenheit metapsycho— logisch anschaulich darzustellen. Man erkennt nur, die ' Identifizierung strebt danach, das eigene Ich ähnlich zu gestalten wie das andere zum „Vorbild“ genommene. Aus einem verwickelteren Zusammenhange lösen wir dieldentifizierung bei einer neurotischen Symptom_bildung. Das kleine Mädchen, an das wir uns jetzt halten wollen, bekomme dasselbe Leidenssymptom wie _seine Mutter, z. B. denselben quälenden Husten. Das kann nun auf verschiedenen Wegen zugeben. Entweder ist die Identifizierung dieselbe aus dem Ödipuskomplex, die ein feindseliges Ersetzenwollen der Mutter bedeutet, und das Symptom drückt die Objektliebe zum Vater aus; es realisiert die Ersetzung der Mutter unter dem Einfluß des Schuldbewußtseins: Du hast die Mutter sein wollen, jetzt bist du’s wenigstens im Leiden. Das ist dann der komplette Mechanismus der hysterischen

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VI]. Die [z'mlz'fiziemng , 61

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Symptombildung. Oder aber, das Symptom ist dasselbe wie das der geliebten Person (an wie z. B. Dora im „Bruchstüek einer Hysterieanalyse“ den Husten des Vaters imitiert); dann können wir den Sachverhalt nur so beschreiben, die Identifizierung sei an Stelle der Objektwahl getreten, die Objektwahl sei zur Identifizierung regrediert.Wir haben gehört, daß die Identifizierung die früheste und ursprünglichste Form der Gefühlsbindung ist; unter den Verhältnissen der Symptombildung, also der Verdrängung, und der Herrschaft der Mechanismen des Unbewußten kommt es oft vor, daß die Objektwahl wieder zur Identifizierung wird, also das Ich die Eigenschaften des Objekts an sich nimmt. Bemerkenswert ist es, daß das Ich bei diesen Identifizierungen das eine Mal die ungehebte, das andere Mal aber die geliebte Person kopiert. Es muß uns auch auffallen, daß beide Male die Identifizierung eine partielle, höchst beschränkte ist, nur einen einzigen Zug von der Objekt— person entlehnt.

§ 463

Es ist ein dritter, besonders häufiger und bedeut— samer Fall der Symptombildung, daß die Identifizierung vom Objektverhältnis zur kopiertén Person ganz absicht. Wenn z. B. eines der Mädchen im Pensionat einen Brief vom geheim Geliebten bekommen hat, der ihre Eifersucht erregt, und auf den sie mit einem hysterischen Anfall reagiert, so werden einige ihrer Freundinnen, die darum wissen, diesen Anfall übernehmen,

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„„. » J . ' >

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_62 Ma:smpsyrkalogie und ,Id-Analyst

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wie wir sagen, auf dem Wiege der psychischen Infektion. Der Mechanismus ist der der Identifizierung auf Grund des sich in dieselbe Lage Versetzenk0nnens oder Versetzenwollens. Die anderen möchten auch ein geheimas Liebesverhältnis haben und akzeptieren unter dem Einfluß des Schuldbewußtseins auch das damit verbundene Leid. Es wäre unrichtig, zu behaupten, sie eignen sich das Symptom aus Mitgefühl an. Im Gegenteil, das Mitgefühl entstd1t erst aus der Identifizierung, und der Beweis hiefu.r ist, daß sich solche Infektion oder Imilntion auch unter Umständen herstellt, wo noch geringere vorgä.ngige Sympathie zwischen beiden anzunehmen ist, als unter Pensionsi'reundimen zu be stehen pflegt. Das eine Ich hat am anderen eine bedeußame Analogie in einem Punkte wahrgenommen, in unserem Beispiel in der gleichen Gefühlsbereitschaft, ts bildet sich daraufhin eine Identifizierung in diesem Punkte,_und unter dem Einfluß der pathogenen Situation verschiebt ,sich diese Idenfi'fizierung zum Symptom, welches das eine Ich produziert hat. Die Identifizierung durch das Symptom wird so zum Anzeichen für eine Deckungsstelle der beiden Ich, die‘verdxängt gehalten werden soll.

§ 468

Das aus diesen drei Quellen Gelernte können wir dahin zusammenfassen, daß erstens die Identifizierung die ursprünglichste Form der Gefühlsbindung an ein Objekt ist, zweitens daß sie auf regressivem Wege zum Ersatz für eine libidinbse Öbjektbindung wird,

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VII.» Die Identifizierung _ 63

§ 471

gleichsam durch htojektion des Objekts ins Ich, und daß sie drittens bei jeder neu wahrgenommenen Gemeinsamkeit mit einer Person, die nicht Objekt der Sexualtriebe ist, entstehen kann. je bedenlsamer diese Gemeinsamkeit ist, desto erfolgreicher muß diese pertielle Idenfifiziaung werden können und so dem Anfang einer neuen Bindung entsprechen.

§ 472

Wir ahnen bereits, daßdie gegenseitige Bindung der Massenindividuen von der Natur einer solchen Identifizierung durch eine wichtige effektive Gemeinsamkeit ist, und können vermuten, diese Gemeinsamkeit liege in der Art der Bindung an den Führer. Eine andere Ahnung kann uns sagen, daß wir weit davon mtfemt sind, das Problem der Identifizierung erschöpft zu haben, daß wir vor dem Vorgang stehen, den'die ’ Psychologie „Einfühlung“ heißt, und der den größten Anteil an unserem Verständnis fiir das lchfremde anderer Personen hat. Aber wir wollen uns hier auf die nächsten afi'ektiven Wirkungen der ldentifizienmg beschränken und ihre Bedeutung für unser intellektuelle: Leben beiseite lassen.

§ 473

Die psychoarlalytische Forschung, die gelegentlich auch schon die schwierigeren Probleme der Psychosen , in Angriff genommen hat, konnte uns auch die Identifizierung in einigen anderen Fällen aufzeigen, die unserem Verständnis nicht ohne weiteres zugänglich sind. Ich werde zwei dieser Fälle als Stoff für unsere weiteren Überlegungen ausführlich behandeln.

§ 474

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64 ' Marsmpsyclwlagie und Ich—Analyn

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Die Genese der männlichen Homosexualität ist in einer großen Reihe von Fällen die folgende : Der junge Mann ist ungewöhnlich lange und intensiv im Sinne des Ödipusknmplexes an seine Mutter fixiert gewesen. Endlich kommt doch nach vollendeter Pubertät die Zeit, die Mutter gegen ein anderes Sexualobjekt zu vertauschen. Da geschieht eine plötzliche Wendung; der Jüngling verläßt nicht seine Mutter, sondern identi— fiziert sich mit ihr, er wandelt sich in sie um und sucht jetzt nach Objekten, die ihm sein Ich ersetzen können, die er so lieben und pflegen kann, wie er es von der Mutter erfahren hatte. Dies ist ein häufiger Vorgang, der beliebig oft bestätigt werden kann und natürlich ganz unabhängig von jeder Annahme ist, die man‘über die organische Triebkraft und die Motive jener plötzlichen Wandlung macht. Aufiällig an dieser Identifizierung ist ihre Ansgiebigkeit, sie wandelt das Ich in einem höchst wichtigen Stück, im Sexualcharakter, nach dem Vorbild des bisherigen Objekts um. Dabei wird das Objekt selbst aufgegeben, ob durchaus oder nur in dem Sinne, daß es im Unbe wußten erhalten bleibt, steht hier außer Diskussion. Die Identifizierung mit dem aufgegebenen oder verlorenen Objekt zum Ersatz desselben, die Introjektion dieses Objekts ins Ich, ist für uns allerdings keine Neuheit mehr. Ein solcher Vorgang läßt sich gelegentlich am kleinen Kind unmittelbar beobachten. Kürzlich wurde in der Internationalen Zeitschrift für Psychoanalyse

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VII. Die [&nt‘g'fizierung' 65

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eine solche Beobachtung veröffentlicht, daß ein Kind, das unglücklich über den Verlust eines Kätzchens war, frischweg erklärte, es sei jetzt selbst das Kätzchen, dem entsprechend auf allen Vierenkroch, nicht am Tische essen wollte usw.‘

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Ein anderes Beispiel von solcher Introjektion des Objekts hat uns die Analyse der Melancholie gegeben, welche A.Flektiou ja den realen oder affektiven Ver— lust des geliebten Objekts unter ihre aufl‘älllgsten Veranlassungen zählt. Ein Hanptcharakter dieser Fälle ist die grausame Selbstherabsetzung des Ichs in Verbindung mit schonmgsloser Selbstkrin'k und bitteren Selbstverwürfen. Analysen haben ergeben, daß diese Einschätzung und diese Vorwürfe im Grunde dem Objekt gelten und die Rache des Ichs an diesem darstellen. Der Schatten des Objekts ist auf das Ich gefallen, sagte ich an anderer Stelle.’ Die Introjektion des Objekts ist hier von unverkennbarer Deutlichkeit.

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Diese Melancholien zeigen uns aber noch etwas anderes, was für unsere späteren Betrachtungen wichtig werden kann. Sie zeigen uns das Ich geteilt, in zwei Stücke zerlällt, von denen das eine gegen das andere wütet. Dies andere Stück ist das durch Introjektion veränderte, das das verlorene Objekt einschließt. Aber

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]) Marknszewicz, Beitrag zum antistischen Denken bei

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Kindern. Internationale Zeitschrift fiir Psychoanalyse, VI., 1920.

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_ z) Trauer und Melancholie. Sammlung kleiner Schriften zur Neurosenlehre, IV, Folge, 1918.

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Fund: Mmp.y=imin.iu mi ich-Ami,» 5

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66 Massenpsy5halogie imd Ith-Änalyst

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auch das Stück, das sich so grausam betätigt, ist uns nicht unbekannt. Es schließt das Gewissen ein, eine kritische Instanz im Ich, die sich auch in nor— malen Zeiten dem Ich kritisch gegenübergestellt hat, nur niemals so unerbitflich und so ungerecht. Wir haben schon bei früheren Anlässen die Annahme machen müssen (Narzißmus, Trauer und Melancholie), daß sich in unserem Ich eine solche Instanz entwickelt, welche sich vom anderen Ich absondem und in Kon— flikte mit ihm geraten kann. Wir nannten sie das „Ichideal“ und schrieben ihr an Funkfionen die Selbst— beobachtung, das moralische Gewissen, die Traumzensur und den Haupteinfluß bei der Verdrängung zu. Wir sagten, sie sei der Erbe des ursprünglichen Narzißmus, in dem, das kindliche Ich sich selbst genügte. Allmählich nehme sie aus den Einflüssen der Umgebung die Anforderungen auf, die diese an das Ich stelle, denen das Ich nicht immer nachkommen könne, so daß der Mensch, wo er mit seinem Ich selbst nicht zufrieden sein kann, doch seine Befriedigung in dem aus dem Ich diflerenzierten Iclu'deal finden dürfe. Im Beobachtungswahn, stellten wir ferner fest, werde der Zerfall dieser Instanz offenkundig und dabei ihre Herkunft aus den Einflüssen der Autoritäten, voran der Eltern, aufgedeckt; Wir haben aber nicht ver— gessen anzuführen, daß das Maß der Entfernung dieses

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1) Zur Einang dee Nanißmus, ]. c.

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V I]. Die Identifizierung 67

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lchidea_.ls vom aktuellen Ich für das einzelne Individuum sehr variabel ist, und daß bei vielen diese Differenzierung innerhalb des Ichs nicht weiter reicht als beim Kinde.

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Ehe wir aber diesen Stoff zum Verstände der libidinösen Organisation einer Masse verwenden können, müssen wir einige andere Wechselbeziehungen zwischen Objekt und Ich in Betracht ziehen.‘

§ 494

1) Wir wissen sehr gut1 daß wir mit diesen der Pathologie entnommenen Beispielen das Wesen der Identifizierung nicht erschöptt haben und somit am Rätsel der Massenhildung ein Stück unangerilhrt lassen. Hier müßte eine viel gründlichen und mehr umfassende psychologische Analyse eingreifen. Von der Identifizierung fiihrt ein Weg über die Nachahmung zur Einfi\hlung, n h. zum Verständnis des Mechanismus, durch den uns überhaupt eine Stellungnahme zu einem anderen Seelenleben ermöglicht wird. Auch an den Äußerungen einer bestehenden Identifizierung ist noch vieles nufzukl'ären. Sie hat unter anderem die F Olga, daß man die Aggression gegen die Person, mit der man sich identifiziert hat, einschränkt, sie verschont und ihr Hilfe leistet Das Studium solcher Identifizierungen, wie sie z. B. der Clang8meinschafi: zugrunde liegen, ergab Rohertson Smith das über— raschende Resultat, daß sie auf der Anerkennung einer gemeinsamen Substanz beruhen (Kinship and Murriage, 1885), daher auch durch eine gemeinsam genommene Mahlzeit geschafl'en werden können. Dieser Zug gestattet es, eine solche Identifizierung mit der von mir in „Tote-m und Tabu“ konstruierten Urgeschichte der menschlichen Familie zu verknüpfen

§ 495

5t

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§ 497

VIII VERLIEBTHEIT UND HYPNOSE

§ 498

Der Sprachgebrauch bleibt selbst in seinen Launen irgend einer Wirklichkeit treu. So nennt er zwar sehr mannigfalln'ge Gefühlsbeziehungen „Liebe“, die auch wir theoretisch als Liebe zusammenfassen, zweifelt aber dann wieder, ob diese Liebe die eigentliche, richtige, wahre sei, und deutet so auf eine ganze Stufenleiter von Möglichkeiten innerhalb der Liebesphänomene hin. Es wird uns auch nicht schwer, dieselbe in der Beobachtung aufzufinden.

§ 499

. In einer Reihe von Fällen ist die Verliebtheit nichts anderes als Objektbesetzung von seiten der Sexual— triebe zum Zweck der direkten Sexualbefriedigung, die auch mit der Erreichung dieses Zieles erlischt; das ist das, was man die gemeine, sinnliche Liebe heißt. Aber wie bekannt, bleibt die libidinöse Situation selten so einfach. Die Sicherheit, mit der man auf das Wiedererwachen des eben erloschenen Bedürfniéses rechnen konnte,_ muß wohl das nächste Motiv gewesen sein, dem Sexualobjekt eine dauernde Besetzung zuzuwenden, & auch in den begierde£reieu Zwischenzeiteg zu „lieben“.

§ 500

§ 501

VIII. Verlieäthzil und Ifyp1wre 59

§ 502

Aus der sehr merkwürdigen Entwicklungsgeschichte des menschlichen Liebeslebens kommt ein zweites Moment hinzu. Das Kind hatte in der ersten, mit flinf Jahren meist schon abgeschlossenen Phase in einem Elternteil ein erstes Liebesohjekt gefunden, auf welches sich alle seine Befriedigung heischenden Sexualiriebe vereinigt hatten. Die dann eintretende Verdrängung erzwang den Verzicht auf die meisten dieser kindlichen Sexualziele und hinterließ eine üefgreit'ende Modifikation des Verhältnisses zu den Eltern. Das Kind blieb ferner— l1iu an die Eltern gebunden, aber mit Trieben, die man „zielgehemmte“ nennen muß. Die Gefühle, die es von nun an für diese geliebten Personen empfindet, werden als „zärtliche“ bezeichnet. Es ist bekannt, daß im Un— bewußten die früheren „sinnlichen“ Strebungen mehr oder minder stark erhalten bleiben, so daß die ursprüngliche Vollströmung‘in gewissem Sinne weiterbesteht.‘

§ 503

Mit der Pubertät setzen bekannflich neue sehr intensive Sfi'ebungen nach den direkten Sexualzielen an. In ungünstigen Fällen bleiben sie als sinnliche Strömung von den fortdauernden „zärtlichen“ Gefühlsrichtungen geschieden. Man hat. dann das Bild vor sich, dessen beide Ansichten von gewissen Richtungen der Literatur so gerne idealisiert werden. Der Mann zeigt sehwärmerische Neigungen zu hochgeanhteten Frauen, die ihn aber zum Liebesverkehr nicht reizen, und ist

§ 504

I) S. Sexualtheorie !. c.

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70 Massmpgmkalagz'e um! Ich—Analyse

§ 507

nur patent gegen andere Frauen, die er nicht „liebt“, geringschätzt oder selbst verachtet.‘ Häufiger indes gelingt dem Heranwachsenden ein gewisses Maß von Synthese der unsinnlichen, himmlischen und der sinn— lichen, irdischen Liebe, und ist sein Verhältnis zum Sexualobjekt durch das Zusammenwirken von unge— hemmten mit zielgehemmten Trieben gekennzeichnet. Nach dem Beitrag der zielgehernmten Zäxth'chkeitstriebe kann man die Höhe der Verliebtheit im Gegensatz zum bloß sinnlichen Begehren bemessen.

§ 508

Im Rahmen dieser Verliebtheit ist uns von Anfang an das Phänomen der Se:malüberschätzung aufgefallen, die Tatsache, daß das geliebte Objekt eine gewisse Freiheit von der Kritik genießt, daß alle seine Eigenschaften höher eingeschätzt werden als die ungeliebter Personen oder als zu einer Zeit, da es nicht geliebt wurde. Bei einigermaßen wirksamer Verdrängung oder Zurücksetzuug der sinnlichen Strebungen kommt die Täuschung zustande, daß das Objekt ,seiner seelischen Vorzüge wegen auch sinnlich geliebt wird, während umgekehrt erst das sinnliche Wohlgefallen ihm diese Vorzüge verliehen haben mag.

§ 509

Das Bestreben, welches hier das Urteil fälscht, ist das der Idealisierung. Damit ist uns aber die Crim— h'erung erleichtert; wir erkennen, daß das Objekt so behandelt wird wie das eigene Ich, daß also in der

§ 510

I) Über die allgemeinste Erniedrigung des Liebesleben. Sammlung, 4. Folge, 1918.

§ 511

§ 512

VIII. Verliebthzz't um! H„mu 71

§ 513

Verliebtheit ein größeres Maß narzißtischer Libido auf das Objekt überfließt. Bei manchen Formen der Liebes— ' wahl wird es selbst augeni'ällig, daß das Objekt dazu dient, ein eigenes, nicht erreichtés Ichideal zu ersetzen. Man liebt es wegen der Vollkommenheiten, die man fürs eigene Ich angestrebt hat und die man sich nun auf diesem Umweg zur Befriedigung seines Narzißmus verschaffen möchte.

§ 514

Nehmen Sexualtiberschäfzung und Verliebtheit noch weiter zu, so wird die Deutung des Bildes immer unverkennbarer. Die auf direkte Sexualbefriedig‘ur1g drän— genden Strebungen können nun ganz zurückgedrängt werden, wie es z. B. regelmäßig bei der schwärmerisehen Liebe des ]ünglings geschieht; das Ich wird immer an— spruchsloser, bescheidenen das Objekt immer großartiger, wertvoller; es gelangt schließlich in den Besitz der gesamten Selbstliebe des Ichs, so daß dessen Selbstaufopienmg zur natürlichen Konsequenz wird. Das Objekt hat das Ich sozusagen aufgezehrt. Züge von Demut, Einschränkung des Narzißmus, Selbstschädigung sind in jedem Falle von Verliebtheit vorhanden; im extremen Falle werden sie nur gesteigert und durch das Zurücklreten der sinnlichen Ansprüche bleiben sie alleinherrschend.

§ 515

Dies ist besonders leicht bei unglücklicher, unerfiillbarer Liebe der Fall, da bei jeder sexuellen Befrie— digung doch die Sexualiiberschätzung immer wieder eine Herabsetzung erfährt. Gleichzeitig mit dieser

§ 516

§ 517

72 Ma:smfrychalogie und [vll-Analyst

§ 518

„Hingabe“ des Ichs an das Objekt, die sich von der sublimierten Hingabe an eine abstrakte Idee schon nicht mehr unterscheidet, versagen die dem Ichideal zugeteilten Funktionen gänzlich. Es schweigt die Kritik, die von dieser Instanz ausgeübt wird ; alles was das Objekt tut und fordert, ist recht und untadelhalt. Das Gewissen findet keine Anwendung auf alles, was zugunsten des Objekts geschieht,- in der Liebesverblendung wird man reuelos zum Verbrecher. Die ganze Situation läßt sich restlos in eine Formel zusarrunenfassen: Das Objekt hat sich an die Stelle des Ichideals gesetzt.

§ 519

Der Unterschied der Identifizienmg von der Verliebtheit in ihren höchsten Ausbildungen, die man Faszi— nation, verliebte Hörigkeit heißt, ist nun leicht zu be— schreiben. Im ersteren Falle hat sich das Ich um die Eigenschaften des Objekts bereichert, sich dasselbe nach Ferenczi’s Ausdruck „introjizie “; im zweiten Fall ist es verarmt, hat sich dem Objekt hingegeben, dasselbe an die Stelle seines wichtigsten Bestandteils gesetzt. Indes merkt man bei näherer Erwägung bald, daß eine solche Darstellung Gegensätze vorspiegelt, die nicht bestehen. Es handelt sich ökonomisch nicht um Verarmung oder Bereicherung, man kann auch die extreme Valiebtheit so beschreiben, daß das Ich sich das Objekt introjiziert habe. Vielleicht trth eine andere Unterscheidung eher das Wesentliche. Im Falle der Identifizierung ist das Objekt verloren gegangen oder aufgegeben worden; es wird dann im Ich wieder

§ 520

§ 521

VIII. Verliebt/teil und fra/pm; 73

§ 522

aufgedehtet, das Ich verändert sich partiell nach dem Vorbild des verlorenen Objekts. Im anderen Falle ist das Objekt erhalten geblieben und wird als solches von seiten und auf Kosten des Ichs überbesetzt. Aber auch hiegegen erhebt sich ein Bedenken. Steht es denn fest, daß die Identifizierung das Aufgeben der Objektbesetzung voraussetzt, kann es nicht Iden— tifizierung bei erhaltenem Objekt geben? Und ehe wir uns in die Diskussion dieser beiklen Frage ein— lassen, kann uns bereits die Einsicht aul'dämmem, daß eine andere Alternative das Wesen dieses Sachverhalts in sich laßt, nämlich ob das Objekt an die Stelle des Ichs oder des Ichideals gesetzt wird. ’ ‘

§ 523

Von der Verliebtheit ist offenbar kein weiter Schritt zur Hypnose. Die Übereinstimmungen beider sind augenfällig. Dieselbe demütige Unterwerfung, Gefügigkeit, Kritiklosigkeit gegen den Hypnotiseur wie gegen das geliebte Objekt. Dieselbe Aufsaugung der eigenen Ini— tiah‘ve ; kein Zweifel, der Hypnotiseur ist an die Stelle des Ichideals getreten. Alle Verhältnisse sind in der Hypnose nur noch deutlicher und gesteigerter, so daß es zweckmäßiger wäre, die Verliebtheit durch die Hyp— nose zu erläutern als umgekehrt. Der Hypnctiseur ist das einzige Objekt, kein anderes wird neben ihm beachtet. Daß das Ich traumhaft erlebt, was er fordert und behauptet, mahnt uns daran, daß wir verabsäumt haben, unter den Funktionen des Ichideals auch die

§ 524

§ 525

74 Marsmpsyclmlagir und [th-Analyst

§ 526

Ausübung derRealitätspr-ufmg zu erwähnen.‘ Kein Wun— der, daß das Ich eine Wathehmung for real hält, wenn die sonst mit der Aufgabe der Realitätsprüfung betraute psychische Instanz sich fur diese Realität einsetzt. Die völlige Abwesenheit von Strebungen mit ungehemmten Sexualzielen trägt zur extremen Reinheit der Erscheinungen weiteres bei. Die hypnotische Beziehung ist eine uneingeschränkte verliebte Hingabe bei Ausschluß sexueller Befriedigung, während eine solche bei der Verliebtheit doch nur zeitweng zuruekgeschoben ist und als spätere Zielm0glichkeit im Hintergrunde verbleibt.

§ 527

Anderseiis können wir aber auch sagen, die Im)nqfische Beziehung sei —— wenn dieser Ausdruck gestattet ist — eine Massenbildung zu zweien. Die Hypnose ist kein gutes Vergieichsobjekl: rnit der Massenbildung, weil sie vielmehr mit dieser identisch ist. Sie isoliert uns aus dem komplizierten Gefüge der Masse ein Element, das Verhalten des Massenindiv'iduums zum Führer. Durch diese Einschränkung der Zahl scheidet sich die Hypnose von der Massenbildung, wie durch den Wegfall der direkt sexuellen Strebungen von der Verliebtheit. Sie hält insoferne die Mitte zwischen beiden.

§ 528

Es ist interessant zu sehen, daß gerade die ziel— gehemmten Sexualstrebungen so dauerhafte Bindungen

§ 529

I) S. Metnpsyehologisehe Ergänzung zur Tnumlelne. Sammlung kleiner Schriften zur Neurosenlehre, Vierte Folge, 1918. — lndes scheint ein Zweifel an der Berechflg'ung dieser Zuteilung, der eingehende Diskussion erfurdert, zulässig.

§ 530

§ 531

VIII. Verliebtheit und Iiy_pnore 75

§ 532

der Menschen aneinander erzielen. Dies versteht sich aber leicht aus der Tatsache, daß sie einer vollen Befriedigung nicht fähig sind, während ungehernmte Sexualslrebungen durch die Abfuhr bei der Erreichung des jedesmaligen Sexualziels eine außerordentliche Herabsetzung erfahren. Die sinnliche Liebe ist dazu be— stimmt, in der Befriedigung zu erlöschen; um andauern zu können, muß sie mit rein zärtlichen, d. h. zielgehemmten Komponenten von Anfang an versetzt sein oder eine solche Umsetzung erfahren.

§ 533

Die Hypnose wurde uns das Rätsel der libidinösen Konstitution einer Masse glatt lösen, wenn sie selbst nicht noch Züge enthielte, die sich der bisherigen ra.tionellen Aufklärung — als Verliebtheit bei Ausschluß direkt sexueller Strebungen — entziehen. Es ist noch vieles an ihr als unverstanden, als mystisch anzuerkennen. Sie enthält einen Zusatz von Lähmung aus dem Ver— hältnis eines Übermächtigen zu einem Ohr-mächtigen, Hilflosen, was etwa zur Schreckhypnose der Tiere überleitet. Die Art, wie sie erzeugt wird, ihre Beziehung zum Schlaf, sind nicht durchsichtig, und die rätselhafte Auswahl von Personen, die sich für sie eignen, während andere sie gänzlich ablehnen, weist auf ein noch un— bekanntes Moment hiu, welches in ihr verwirklicht wird, und das vielleicht erst die Reinheit der Libidoeinstellungen in ihr ermöglicht. Beachtenswert ist auch, daß häufig das moralische Gewissen der hypnntisierten Person sich selbst bei sonst voller suggestiver Gefügigkeit resistent

§ 534

§ 535

76 Massmptycfiologi: und Ink-Analyse

§ 536

zeigenknnmAberdasmagdaherkömmen,daflbei der Hypnose, wie sie zumeist geübt wird, einWissen erhalten geblieben sein kann, es handle sich nur um ein Spiel, eine unwahre Reproduktion aber anderen, weit lebenswichtigeren Situation.

§ 537

Durch die bisherigen Erorterungen sind wir aber voll darauf vorbereitet, die Formel für die libidinöse Konstitution einer Masse anzugeben. Wenigstens einer solchen Masse, wie wir sie bisher betrachtet haben, die also einen Führer hat und nicht durch allzu viel

§ 538

. „ ' "en“ sekundär die Eigenschaften eines Individuums erwerben konnte. Eine solche primäre Masse ist eine Anzahl von Individuen, die ein und dasselbe Objekt an die Stelle ihres Ichideals gesetzt und sich infolgedessen in ihrem Ich miteinander identifiziert haben. Die: Verhältnis läßt eine graphische Darstellung zu:

§ 539

kann! ' oblekt \ \ !ußeres . \

§ 540

§ 541

lX DER HERDENTRIEB

§ 542

Wir werden uns nur kurze Zeit der Illusion freuen, durch diese Formel das Rätsel der Masse gelöst zu haben. Alsbald muß uns die Mahnung beunrul'nigen, daß wir_ ja im wesentlichen die Verweisung auf das. Rätsel der Hypnose angenommen haben, an dem so vieles noch unerledigt ist. Und nun zeigt uns ein an— derer Einwand den weiteren Weg.

§ 543

Wir dürfen uns sagen, die ausgiebigen affektiven Bindungen, die wir in der Masse erkennen, reichen voll aus, um einen ihrer Charaktere zu erklären, den Mangel an Selbständigkeit und Initiative beim Einzelnen, die Gleichartigkeit seiner Reaktion mit der aller anderen, sein Herabsinken zum Massenindividuum sozusagen. Aber die Masse zeigt, wenn wir sie als Ganzes ins Auge fassen, mehr; die Züge von Schwäcth der intellektuellen Leistung, von Ungehemmtheit der Affek— tivität, die Unfähigkeit zur Mäßigurig und zum Aufschub, die Neigung zur Überschreng aller Schranken in der Gefülflsäußerung und zur vollen Abfuhr derselben in Handlung, dies und alles Ähnliche, was wir bei Le Bon

§ 544

§ 545

78 Masrmprychalogi: und Ich-Analyst

§ 546

so eindrucksvoll geschildert finden, ergibt ein unverkennbares Bild von Regression der seelischen Tätigkeit auf eine frühere Stufe, wie wir sie bei Wilden oder bei Kindern zu finden nicht erstaunt sind. Eine solche Regression gehört insbesondere zum Wesen der ge meinen Massen, während sie, wie wir gehört haben, bei hoch organisierten, künstlichen, weitgehend hintengehalten werden kann. Wir erhalten so den Eindruck eines Zustandes, in , dem die vereinzelte Gefuhlsregnmg und der persOnliche intellektuelle Akt des Individuums zu schwach sind, um sich allein zur Geltung zu bringen, und durchaus auf Bela-äffig1mg durch gleichartige Wiederholung von seiten der anderen warten müssen. Wir werden daran erinnert, wieviel von diesen Phänomenen der Abhängigkeit zur normalen Konstitution der menschlichen 'Ge sellschaft gehört, wie wenig Originalität und persönJicher Mut sich in ihr findet, wie sehr jeder Einzelne durch die Einstellungen einer Massenseele beherrscht wird, die sich als Rasseneigentiirnliehkeiten, Standavorurteile, öffentliche Meinung u. dgl. kundgehen. Das Rätsel des suggßtiven Einflusses vergrößert sich für gms, wenn wir zugeben, daß ein solcher nicht allein vom Fahrer, sondern auch von jedem Einzelnen aui jeden Einzelnen geübt wird, und wir machen uns den Vorwurf, daß wir die Bezieth zum Führer einseng herausgehoben, den anderen Faktor der gegenseitigen Suggestion aber ungebtihrend zurückgedrängt haben.

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§ 548

IX. Der Herdentrt'eb 79

§ 549

Auf solche Weise zur Bescheidenheit gewiesen, werden wir geneigt sein, auf eine andere Stimme zu hcrchen, welche uns Erklärung auf einfacheren Grundlagen verspricht. Ich entnehme eine solche dem klugen Buch von W. Trotter über den Herdentrieb, an dem ich nur bedauere, daß es sich den durch ,den letzten großen Krieg entfesselten Antipathien nicht ganz ent— zogen hat.‘ ' .

§ 550

Trotter leitet die an der Masse beschriebenen seelischen Phänomene von einem Herdeninstinkt (gregariousuess) ab, der dem Menschen wie anderen Tierarten angeboren zukommt. Diese Herdenhaftigkeit ist biologisch eine Analogie und gleichsam eine Fort— führung der Vielzelligkeit, im Sinne der Libidotheorie eine weitere Äußerung der von der Libido ausgehenden Neigung aller gleieharfigen Lebewesen, sich zu immer umfassenderen Einheiten zu vereinigen.” Der Einzelne fühlt sich unvollständig (incornplete), wenn er allein ist. Schon die Angst des kleinen Kindes sei eine Äußerung dieses Herdeninsh'nkts. Widerspruch gegen die Herde ist soviel wie Trennung von ihr und wird darum angst— voll vermieden. Die Herde lehnt aber alles Neue, Un— gewohnte ab. Der Herdeniustinkt sei etwas Primäres, nicht weiter Zerlegbares (Which cannot be split up).

§ 551

]) W. Trauer, Instincts of the Herd in Peace and War. London 1916. Zweite Auflage.

§ 552

1) Siehe meinen Aufsatz: Jenseits des Lnsfprinzips. Beiheft H zur Internationalen zamhnn fiir Psychoanalyse, VI.. 1920.

§ 553

§ 554

80 Marsmfsythvlngi: um! Ich—Analyst

§ 555

Trotter gibt als die Reihe der von ihm als primär angenommenen Triebe (oder _Instinkte): den Selbst— behauptungs—, Ernährungs—, Geschlechts- und Herden— trieb. Der letztere gerate oft in die Lage, sich den anderen gegenüberzustellen. Schuldbewußtsein und Pflichtgefühl seien die eharakteristischen Besitztumer eines gregarious animal. Vom Herdeninstinkt läßt Trotter auch die verdrängenden Kräfte ausgehen, welche die Psychoanalyse im Ich aufgezeigt hat, und folgerichtig gleicherweise die Widerstände, auf welche der Arzt bei der psychoanalytischen Behandlung stößt. Die Sprache verdanke ihre Bedeutung ihrer Eignung zur gegenseitigen Verständigung in der Herde, auf ihr beruhe zum großen Teil/die Identifizierung der Einzelnen miteinander.

§ 556

Wie Le Bon vorwiegend die charakteristischen flüchtigen Massenbildungen und MC Dougall die stabilen Vergesellschafttmgen, so hat Trotter die allgemeinsten Verbände, in denen der Mensch, dies Lü)0v nohrucöv lebt, in den Mittelpunkt seines Interesses gerückt und deren psychologische Begründung angegeben. Für Trotter bedarf es aber keiner Ableitung des Herdentriebes, da er ihn ,als primär und nicht weiter auflösba.r bezeichnet. Seine Be

§ 557

. merkung, Boris Sidis leite den Herdentrieb von der Suggestibilität ab, ist zum Glück für ihn überflüssig; es ist eine Erklärung nach bekanntern, unbe— friedigendern Muster, und die Umkehr dieses Satzes,

§ 558

§ 559

IX'. D:r Hzra’entrz'eb 81

§ 560

also daß die Suggestibilität ein Abkömmling des Herdeninstinkts sei, erschienc mir bei weitem einleuch— tender. .

§ 561

Aber gegen Trotters Darstellung läßt sich mit noch hesserern Recht als gegen die anderen einwenden, daß sie auf die Rolle des Führers in der Masse zu wenig Rücksicht nimmt, während wir doch eher zum gegenteiligen Urteil neigen, daß das Wesen der Masse bei Vernachlässigung des Führers nicht zu begreifen sei. Der Herdeninstinkt läßt überhaupt für den Führer keinen Raum, dieser kommt nur so zufällig zur Herde hinzu, und im Zusammenhange damit steht, daß von diesem ,Trieb aus auch kein Weg zu einem Gottesbedürfnis führt; es fehlt der Hirt zur Herde. Außer— dem aber kann man Trotters Darstellung psy— chologisch untergraben, d. 11. man kann es zum mindesten wahrscheinlich machen, daß der Herdentrieb nicht unzerlegbar, nicht in dem Sinne primär ist wie der Selbsterhaltungsh'ieb und der Geschlechtstrieb. '

§ 562

Es ist natürlich nicht leicht, die Ontogencse' des Herdentriebes zu verfolgen. Die Angst des kleinen Kindes, wenn es allein gelassen wird, die Trotter be reits als Äußerung des Triebes in Anspruch nehmen will, legt doch eine andere Deutung \näher. Sie gilt der Mutter, später anderen vertrauten Personen, und ist der Ausdruck einer un’erfüllten Sehnsucht, mit der das Kind noch nichß anderes anzufangen weiß, als sie

§ 563

Freud: Multnp!yclmlugie „a Ich-Andy» 6

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§ 565

82 Marsmpsychologie und Ich-Analyst

§ 566

in Angst zu .Verwa.ndeln.l Die Angst des eirisamen kleinen Kindes wird auch niizht durch den Anblick eines be— liebigen anderen „aus der Herde“ beschwichtigt, sondern im Gegenteil durch das Hinzukommen eines solchen „Fremden“ erst hervorgerufen. Dann merkt man beim Kinde lange nichts von einem Herdeninsh'nkt oder Massengei'llhl. Ein solches bildet sich zuerst in der mehr— zähligen Kinderstube aus dern Verhätnis der Kinder zu den Eltern, und zwar als Reaktion auf den anfänglichen Neid, mit dem das ältere Kind das jüngere auf— nimmt. Das ältere Kind möchte gewiß das nachkom— mende eifersüchtig verdrängen, von den Eltern fernhalten und es aller Anrechte berauben, aber angesichts der Tatsache, daß auch dieses Kind — wie alle späteren — in gleicher Weise von den Eltern geliebt wird, und infolge der Unmöglichkeit, seine feindselige Einstellung ohne eigenen Schaden festzuhalten, wird es zur Identifizierung mit den anderen Kindern ge— zwungen, und es bildet sich in der Kinderschar ein Massen- oder Gemeinschaftsgefühl, welches dann in der Schule seine weitere Entwicklung erfährt. Die erste Forderung dieser Reaktionsbildung ist die nach Ge rechtigkeit, gleicher Behandlung für alle. Es ist be kannt, wie laut und unbestechlich sich dieser Anspruch in der Schule-äußert. Wenn man schon selbst nicht der Bevorzugte sein kann, so soll doch wenigstens keiner

§ 567

!) Siehe Vorlesungen zur Eiulührung in die Psychoanalyse, über die Angst.

§ 568

§ 569

IX. Der Htrdznlrizb 83

§ 570

von allen bevorzugt werden. Man könnte diese Um— wandlung und Ersetzung der Eifersucht durch ein Massengefüld in Kinderstube und Schulzimmer für un— wahrscheinlich halten, wenn man nicht den gleichen Vorgang später unter anderen Verhältnissen neuerlich beobachten würde. Man denke an die Schar von schwärmerisch verliebten Frauen und Mädchen, die den Sänger oder Pianisten nach seiner Produktion umdrängeu. Gewiß läge es jeder von ihnen nahe, auf die andere eifersüchtig zu sein, allein ang'esichts ihrer Anzahl und der damit verbundenen Unmöglichkeit, das Ziel ihrer Verliebtheit zu erreichen, verzichten sie darauf, und anstatt sich gegenseitig die Haare auszuraufen, handeln sie wie eine einheitliche Masse} huldigen dern Gefeierten in gemeinsamen Aktionen und wären etwa froh, sich in seinen Lockenschmuck zu teilen. Sie haben sich, ursprünglich Rivalinnen, durch die gleiche Liebe zu dem männlichen Objekt miteinander identifizieren können. Wenn eine Triebsituation, wie ja gewöhnlich, verschiedener Ausgänge fähig ist, so werden wir uns nicht verwundern, daß jener Ausgang zustande kommt, mit. dem die Möglichkeit einer gewissen Befriedigung verbunden ist, während ein anderer, selbst ein näher liegender, unterbleibt, weil die realen Verhältnisse ihm die Erreichung dieses Zieles versagen.

§ 571

Was man dann später in der Gesellschaft als Gemeingeist, esprit de corps usw. wirksam findet, ver— leugnet nicht seine Abkunft vom ursprünglichen Neid.

§ 572

(„

§ 573

§ 574

84 Massenpsythalogiz und Ich-Analyst

§ 575

Keiner soll sich hervortun wollen, jeder das gleiche sein und haben. Soziale Gerechtigkeit will bedeuten, daß man sich selbst vieles versagt, damit auch die anderen darauf verzichten müssen, oder was dasselbe ist, es nicht fordern können. Diese Gleichheitsforderimg ist die Wurzel des sozialer. Gewissens u‘nd des Pflichtgefühls. In unerwarteter Weise enthüllt sie sich in der Infekfionsangst der Syphilitflrer, die wir durch die Psychoanalyse verstehen gelernt haben. Die Angst dieser Armen entspricht ihrem heftigen Sträuben gegen den unbewußten Wunsch, ihre Infektion auf die anderen auszubreiten, denn warum sollten sie allein infiziert und von so vielem ausgeschlossen sein und die anderen nicht? Auch die schöne Anekdote vom Urteil Salomonis hat denselben Kern. Wenn der einen Frau das Kind gestorben ist, soll auch die andere kein lebendes haben. An diesem Wunsch wird ,die Verlust— trägerin erkannt.

§ 576

Das soziale Gefühl ruht. also auf der Umwendung eines erst feindseligen Gefuhls in eine positiv betonte Bindung von der Natur einer Identifizierung. Soweit wir den Hergang bis jetzt durchschauen können, scheint sich diese Umwendung unter dem Einfluß einer ge— meinsamen zärtlichen Bindung an eine außer der Masse stehende Person zu vollziehen. Unsere Analyse der Identifizierung erscheint uns selbst nicht als erschöpfend, aber unserer gegenwärtigen Absicht genügt es, wenn wir auf den einen Zug, daß die konsequente

§ 577

§ 578

IX. Der Herdentrizb 85

§ 579

Durchl'ilhrung da Gleichstellung gefordert wird, zurückkommen. Wir haben bereits bei der Erörterung der beiden künstlichen Massen, Kirche und Armee, gehört, , ihre Voraussetzung sei, daß alle von einem, dem Führer, in gleicher Weise geliebt werden. Nun vergessen wir aber nicht, daß die Gleichheitsfordemng der Messe * nur fur die Einzelnen derselben, nicht fur den Führer gilt. Alle Einzelnen sollten einander gleich sein, aber alle wollen sie von einem beherrscht werden. Viele Gleiche, die sich miteinander identifizieren können, und ein einziger, ihnen allen Überlegener, das ist’die Situation, die wir in der lebensl‘ähigen Masse verwirklicht finden. Getranen wir uns also, die Aussage Trotters, der Mensch sei ein Herdentier, dahin zu korrigieren, er sei vielmehr ein Hordentier, ein Einzelwesen einer von einem Oberhaupt angeführten Horde.

§ 580

§ 581

X DIE MASSE UND DIE URHORDE

§ 582

Im]ahre 19 1 2 habeich dieVermutungvonCh. D arwin aufgenommen, daß die Urfonn der menschlichen Gesellschaft die von einem starken Männchen unumschrimkt beherrschte Horde war. Ich habe darzuiegen versucht, daß die Schicksale dieser Horde unzerstorbare Spuren in der menschlichen Erbgeschichte hinterlassen haben, speziell, daß die Entwicklung des Totemismus, der die Anfänge von Religion, Sittlichkeit und sozialer Gliederung in sich faßt, mit der gewaltsamen Tötung des Ober— hauptes und der Umwandlung der Vaterhorde in eine Brüdergemeinde z1.1sa.n1menhängt.x Es ist dies zwar nur eine Hypothese wie so viele andere, mit denen die Prähistoriker das Dunkel der Urzeit aufzuhellen versuchen — eine „just so story‘f nannte sie witzig ein nicht umliebenswürdiger englischer Kritiker — aber ich meine, es ist ehrenvoll für eine solche Hypothese, wenn sie sich geeignet zeigt, Zusammenhang und Verständ— nis auf immer neuen Gebieten zu schaffen.

§ 583

[) Toten und Tabu. 1 Auflage 1920.

§ 584

§ 585

X. Die Marx: und- die Urlmrde 87

§ 586

Die menschlichen Massen zeigen uns wiederum das vertraute Bild des überstarken Einzelnen inmitten einer Schar von gleichen Genossen, das auch in unserer Vorstellung von der Urhorde enthalten ist. Die Psycho— logie dieser Masse, wie wir sie aus den oft erwähnten Beschreibungen kennen, — der Schwnnd der bewußten Einzelpersbnlichkeit, die Orientierung von Gedanken und Gefühlen nach gleichen Richtungen, die Vorherrschaft der Aiiekfivität und des unbewußten Seelischen, die Tendenz zur unverzüglichen Ausführung auftauchender Absichten, — das alles entspricht einem Zustand von Regression zu einer primitiven Seelentätigkeit, wie man sie gerade der Urhorde zuschreiben möchte.l

§ 587

1) Für die Urhorde muß insbesondere gelten. was wir vorhin in der allgemeinen Charakteristik der Menschen beschrieben haben. Der Wille des Einzelnen war zu schwach, er gebaute sich nicht der Tat. & kamen gar keine anderen Impulse zustande als kollektive, es gab nur einen Gemeinwilicn, keinen singulären. Die Vorstellung wagte es nicht, sich in Willen umzusetzen, wenn sie sich nicht durch die Wahrnehmung ihrer allgemeinen Verbreitung _ gestärkt fand. Diese Schwäche der Vorstellung findet ihre Erklärung in der Stärke der allen gemeinsamen Gefiihlsbinduxlg, aber die Gleichartigkeit der Lebensumstände und das Fehlen eines privaten Eigentums kommen hinzu, um die Gleichiörmigkeit der seelischen Akte bei den Einzelnen zu bestimmen. — Auch die exkrementellen Bedürfnisse schließen, wie man an Kindern und Soldaten merken kann, die Gemeinsamkeit nicht aus. Die einzige mächtige Aus-. nahme macht der sexuelle Akt, bei dem der Dritte zumindest überflüssig, im äußersten Fall zu einem peinlichen Ahwarten verurteilt ist. Über die Reaktion des Sexualhedi'irfnisses (der Genita.lhefriedig-ung) gegen das Herdenhafte siehe unten.

§ 588

§ 589

88 Ma.r.rmpsychulogi: und Ich-Analyse

§ 590

Die Masse erscheint uns so als ein Wiederaufleben der Urharde. So wie der Urmensch in jedem Einzelnen virtuell erhalten ist, so kann sich aus einem beliebigen Menschenhaul'en die Urhorde wieder herstellen; soweit die Massenbildung die Menschen habituell beherrscht, erkennen wir den Fortbestand der Urhorde in ihr. Wir müssen schließen, diePsychnlngie derMasse sei die älteste Menschenpsychologie ; was wir unter Vernachlässigung allerNkassenreste als Individualpsychologie isoliert haben, hat sich erst später, allmählich und sozusagen immer noch nur partiell aus der alten Masenpsychologie herausgehoben. Wir werden noch den Versuch wagen, den Ausgangspunkt dieser Entwicklung anzugeben.

§ 591

Eine nächste Überlegung zeigt uns, in welchem Punkt diese Behauptung einer Berichtigung bedarf. Die Individualpsychologie muß vielmehr ebenso alt sein wie die Massenpsychologie, denn von Anfang gab es zweierlei Psychologien, die der Massenindividuen und die des Vaters, Oberhauptes, Führers. Die Einzelnen der Masse waren so gebunden, wie wir sie heute finden, aber der Vater der Urhorde war frei. Seine intellektuellen Akte waren auch in der Vereinzelung stark und unabhängig, sein Wille bedurfte nicht der Bekräfti.gung durch den anderer. Wir nehmen konsequenterweise an, daß sein Ich wenig libidinös gebunden war, er liebte niemand außer sich, und die anderen nur, insoweit sie seinen Bedürfnissen dienten. Sein Ich gab nichts Überschü55iges an die Objekte ab.

§ 592

§ 593

-X. Die Mars: und di: Urlwrd: 89

§ 594

Zn Eingang der Menschheitsgeschichte war er der Übermensch, den Nietzsche erst von der Zukunft erwartete. Noch heute bedürfen die Massenindividuen der Vorspiegelung, daß sie in gleicher und gerechter Weise vom Führer geliebt werden, aber der Führer selbst braucht niemand anderen zu lieben, er darf von Herrennatur sein, absolut narzißtisch, aber selbstsicher und selbständig. Wir wissen, daß die Liebe den Narziß— mus eir1dämmt und könnten nachweisen, wie sie durch diese Wirkung Kulturfaktor geworden ist.

§ 595

Der Urvater der Horde war noch nicht unsterblich, wie er es später durch Vergottung wurde. Wenn er starb, mußte er ersetzt werden; an seine Stelle trat wahrscheinlich ein jüngster Sohn, der bis dahin Massenind.ividuum gewesen war wie ein anderer. Es muß also eine Möglichkeit geben, die. Psychologie der Masse in Individualpsychologie umzuwandeln, es muß eine Bedingung gefunden werden, unter der sich solche Um— wandlung leicht vollzieht, ähnlich wie es den Bienen möglich ist, aus einer Lane irn Bedarfsfalle eine Königin anstatt einer Arbeiterin zu ziehen. Man kann sich da nur dies eine verstehen: Der Urvater hatte seine Söhne an der Befriedigung ihrer direkten sexuellen Strebungen verhindert; er zwang sie zur Absfinenz und infolgedessen zu den Gefühlsbhdmgen an ihn und aneinander, die aus den Strebungen rnit gehernmtem Sexualziel hervorgehen, konnten. Er zwang sie sozusagen in die Massenpsychologie. Seine sexuelle Eifersucht und

§ 596

§ 597

90 Marrenprychologie umz_’ Itk-A1lalyn

§ 598

Intoleranz sind in letzter Linie die Ursache der Massenpsychologie geworden.“

§ 599

Für den, der sein Nachfolger wurde, war auch die Möglichkeit der sexuellen Befriedigung gegeben und damit der Austritt aus den Bedingungen der Massenpsycho— logie eröffnet. Die Fixierung der Libido an das Weib, die Möglichkeit der Befriedigung ohne Aufschub und Aufspeicherung machte derBedeutung zielgehemrnter$exual— strébungen ein Ende und ließ den Narzißmus immer zur gleichen Höhe ansteigen. Auf diese Beziehung der Liebe zur Charakterbildung werden wir in einem Nachtrag zurückkommen.

§ 600

Heben wir noch als besonders 1ehrreich hervor, in welcher Beziehung zur Konstitution der Urhorde die Veranstaltung steht, mittels deren -— abgesehm von Zwangsmitteln — eine künstliche Masse zusammengehalten wird; Bei Heer und Kirche haben wir gesehen, es ist die Vorspiegelung, daß der Führer alle Einzelnen in gleicher und gerechter Weise liebt. Dies ist aber geradezu die idealistische Umarbeitung der Verhältnisse der Urhorde, in der sich alle Söhne in gleicher Weise vom Uniater verfolgt wußten und ihn in gleichm‘ Weise fürchteten. Schon die nächste Form der menschlichen Sozietät, der totemisn'sche Clan, hat diese Umformung,

§ 601

!) Es läßt sich etwa auch annehmen, daß die vertriebenen Söhne, vom Vater getrennt, den Fortschritt von der identifiziemng miteinander zur homosexuellen Objektliebe machten und so die Freiheit gewannen, den Vater zu töten

§ 602

§ 603

‘X. Die Masse und ii: Urharde 191

§ 604

auf die alle sozialen Pflichten aufgebaut sind, zur Voraussetzung. Die unvemustliche Stärke der Familie als einer natürlichen Massenbildung beruht darauf, daß diese notwendige Voraussetzung der gleichen Liebe des Vaters für sie wirklich zutrefl"en kann.

§ 605

Aber wir erwarten noch mehr von der Zurück— führung der Masse auf die Urhorde. Sie soll uns auch das noch Unverstandene, Geheirnnisvolle an der Massenbildung näher bringen, das sich hinter den Rätselworten Hypnose und Suggestinn verbirgt. Und ich meine, sie kann es auch leisten. Erinnern wir uns daran, daß die Hypnose etwas direkt Unheimliches an sich hat; der Charakter des Unheimlichen deutet aber auf etwas der Verdrängung verfallenes Altes und Wohlverh'autes hin! Denken wir daran, wie die Hypnose eingeleitet wird. Der Hypnotiseur behauptet im Besitz einer ge— heimnisvollen Macht zu sein, die demSubjekt den eigenen Willen ranbt, oder, was dasselbe ist, das Subjekt glaubt es von ihm. Diese geheimnisvolle Macht — populär noch oft als tierischer Magnetismus bezeichnet.— muß dieselbe sein, welche den Primitiven als Quelle des Tabu gilt, dieselbe, die von Königen iind Häuptlingen ausgeht und die es gefährlich macht, sich ihnen zu näern (Mana). Im Besitz dieser Macht will nun der Hypnou'seur sein und wie bringt er sie zur Erscheinung? Indem er die Person auffordert, ihm in die Augen zu

§ 606

[) Das Unheimliche. Lmago, V, 1919.

§ 607

§ 608

92 Maxmpsyt/wlagi: um! Ich-Analyu

§ 609

sehen; er hypnotisiert in typischer Weise durch seinen Blick. Gerade der Anblick des Hähptlings ist aber für den Primitiven gefährlich und merträglich, wie später der der Gottheit für den Sterblichen. Noch Moses muß den Mittelsmann' zwischen seinem Volke und }ehova machen, da das Volk den Anblick Gottes nicht ertrüge, und wenn er von der Gegenwart Gottes zurückkehrt, strahlt sein Antlitz, ein Teil des „Mana“ hat sich wie beim Mittler' der Primitiven auf ihn übertragen.

§ 610

Man kann die Hypnose allerdings auch auf anderen Wegen hervorrufen, was il'reführend ist und zu unzulänglichen physiologischen Theorien Anlaß gegeben hat, z. B. durch das Fixieren eines glänzenden Gegenstandes oder durch das Horchen auf ein monotones Geräusch. In Wirklichkeit dienen diese Verfahren nur der Ablenkung und Fesselnng der bewußten Aufmerksamkeit. Die Situation ist die nämliche, als ob der Hypnotiseu: der Person gesagt hätte: Nun beschäftigen Sie sich ausschließlich mit meiner Person, die übrige Welt ist ganz uninteressant. Gewiß wäre es technisch unzweckmäßig, wenn der Hypnotiseur eine solche Rede hielte; das Subjekt wurde durch sie aus seiner unb& wußten Einstellung gerissen und zum bewußten Widerspruch aufgereizt werden. Aber während der Hypno— tiseur es vermeidet, das bewußte Denken des Subjekts auf seine Absichten zu richten, und die Versucbsperson

§ 611

[) S. Totem und Tabu, und die dort zitierten Quellen.

§ 612

§ 613

X. Die Maße und die Urlmra't 93

§ 614

sich in eine Tätigkeit versenkt, bei der ihr die Welt uninteressant vorkommen muß, geschieht es, daß sie unbewußt wirklich ihre ganze Aufmerksamkeit auf den Hypnotiseur konzentriert, sich in die Einstellung des Rapporfs, der Übertragung, zum Hypnotiseur begibt. Die indirekten Methoden des Hypnotisierens haben also, ähnlich wie manche Techniken des Witzes, den Erfolg, gewisse Verteilungen der seelischen Energie, welche den Ablauf des unbéwußten Vorgangs stören würden, hinümzuhalten, und sie führen schließlich zum gleichen Ziel wie die direkten Beeinflussungen durch Austen-ren oder Streichen.‘

§ 615

Ferenczi hat richtig herausgefunden, daß sich der Hypnotiseur mit dem Schlafgehot, welches oft zur

§ 616

!) Die Situation, daß die Person unhevmflt auf den Hypnofiseur eingestellt ist, wärend sie sich bewußt mit gleich— bleibenden, uninteressanten Wahrnehmungen beschäftigt, findet ein Gegenstück in den Vorkommnissen der psychoanalyfischen Behandlung, das hier erwänt zu werden verdient. In jeder Analyse ereignet es sich mindestens einmal, daß der Patient hartnäckig behauptet, jetzt fiele ihm aber ganz bestimmt nicht; ein. Seine freien Assoziationen stecken und die gewöhnlichen Antriebe, sie in Gang zu bringen, schlagen fehl. Durch Drängen erreicht man endlich das Eingeständnis, der Patient denke an die Aussicht uns dem Fenster des Behandlungsranmes, an die Tapete der Wand, die er vor sich sieht, oder an die Gflslampe, die von der ZimmerA‘lecke herahhängt. Man weiß dann snfort, daß er sich in die Übertragung begehen hat, von noch unbewußten Gedanken in Anspruch genommen wird, die sich auf den Arzt beziehen, und sieht die Stockung in den Einfa'llen des Patienten schwindeu, sobald man ihm diese Aufklärung gegeben hat.

§ 617

§ 618

94 Mas:enpryclwlagie und [th—Analyrz

§ 619

Einleitung der Hypnose gegeben wird, an die Stelle der Eltern setzt. Er meinte zwei Arten der Hypnose unterscheiden zu sollen, eine schmeichlerisch begütigende, die er dem Muttervcrbild, und eine drohende, die er dem Vater zuschrieb.‘ Nun bedeutet das Gebot zu schlafen in der Hypnose auch nichts anderes, als die Aufforderung, alles Interesse von der Welt abzuziehen und auf die Person des Hypnotiseurs zu konzentrieren; es wird auch vom Subjekt so verstanden, denn in dieser Abziehung des Interesses von der Außenwelt liegt die psychologische Charakteristik des Schlafes und auf ihr beruht die Verwandtschaft des Schlafes mit dem hypnotischen Zustand.

§ 620

Durch seine Maßnahmen weckt also der Hypnotiseur beim Subjekt ein Stück von dessen archaischer Erbschaft, die auch den Eltern entgegenan und im Verhältnis zum Vater eine individuelleWiederbelebung erfuhr, dieVorstellung von einer übermächtigen und gefährlichen Persönlichkeit, gegen die man sich nur passiv—masochistisch einstellen konnte, an die man seinen Willen verlieren mußte, und mit der allein zu sein, „ihr unter die Augen zu treten“ ein bedenkliches Wag'nis schien. Nur'so etwa können wir uns das Verhältnis eines Einzelnen der Ur— horde zum Urvater vorstellen. Wie wir aus anderen Reaktionen wissen, hat der Einzelne ein variables Maß von persönlicher Eignung zurWiederbelebung solch alter

§ 621

x) Ferenczi,lntrojektion undÜbertmgung.]ahrbuch derPsyeho— analyse, 1. 1909 .

§ 622

§ 623

,X. Die Mars: und die Ur}wrde 95

§ 624

Situationen bewahrt. Ein Wissen, daß die Hypnose doch nur ein Spiel, eine lügenhafte Erneuerung jener alten Eindrücke ist, kann aber erhalten bleiben und für den Widerstand gegen allzu ernsthafte Konsequenzen der hypnotischen Willensaufhebung sorgen.

§ 625

Der unheimliche, zwanghafte Charakter der Massenbildung, der sich in ihren Suggestionserscheinungen zeigt, kann also wohl mit Recht auf ihre Abkunft von der Urhcrde zurückgeführt werden, Der Führer der Masse ist noch immer der gefurchtete Urvater, die Masse will immer noch von unbeschränkter Gewalt beherrscht werden, sie ist im höchsten Grade autoritä’tsslichtig, hat nach Le Bon's Ausdruck den Durst nach Unter— werfung. Der Urvater ist das Massenideal, das an Stelle des Ichideals das Ich beherrscht. Die Hypnose hat ein gutes Anrecht auf die Bezeichnung: eine Masse zu zweit; für die Suggestion erübrigt die Definition einer Über— zeugung, die nicht auf Wahrnehmung und Denkarbeit, sondern auf erotische Bindung gegründet ist.‘

§ 626

!) Es erscheint mir der Hervorhebung wert. daß wir durch die lü-örtehmgen dieses Abschnittes veranlaßt werden, von der Bernheim’schen Auffassung der Hypnose auf die naive ältere derselben zurückzugreifen. Nach Bernheim sind alle hypnatischen Phänomene von dem weiter nicht aufnlkl'iireud9n Moment der Suggestion abzuleiten. Wir schließen, daß die Suggesfion eine Teilerscheiuung des hypnotischen Zustandes ist, der in einer nnbewußt erhaltenen Disposition aus der Urgesehichte der menschlichen Familie seine gute Begründung hat.

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§ 628

XI EINE STUFE IM ICH

§ 629

Wenn man, eingedenk der einander ergänzenden Beschreibungen der Autoren über Massenpsychologie, das Leben der heutigen Einze1menschen überblickt, mag ,man vor den Komplikationen, die sich hier zeigen, den Mut zu einer zusammenfassenden Darstellung verlieren. Jeder Einzelne ist ein Bestandteil von vielen Massen, durch Identifizierung vielseitig gebunden, und hat sein Ichideal nach den verschiedensten Vorbildern aufgebaut. Jeder Einzelne hat so Anteil an vielen Massenseelen, an der seiner Rasse, des Standes, der Glaubensgerneinschaft, der Staatlichkeit usw. “und kann sich darüber hinausyzu einem Stückchen Selbständigkeit und Origi— nalität erheben. Diese ständigen und dauerhaften Massenbildungen fallen in ihren gleichmäßig anhaltenden Wir— kungen der Beobachtung weniger auf als die rasch gebildeten, vergänglichen Massen, nach denen Le Bon die glänzende psychologische Charakteristik der Massenseele entworfen hat, und in diesen lärmenden, ephemeren, den anderen gleichsam superponierten Massen begibt sich eben das Wunder, daß dasjenige, was wir

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XI. Ein: Stufe im Ich 97

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eben als die individuelle Ausbildung anerkannt haben, spurlos, wenn auch nur zeitweilig untergeht.

§ 633

Wir haben dies Wunder so verstanden, daß der Einzelne sein Ichideal aufgibt und es gegen das im Führer verkörperte Massenideal veräuscht. Das Wunder, dürfen wir berichtigend hinzufügen, ist nicht in allen Fällen gleich groß. Die Sondernng von Ich und Ich— ideal ist bei vielen Individual nicht weit vorgeschritten, die beiden fallen noch leicht zusammen, _das Ich hat sich oft die frühere narzißtische Selbstgel'älligkeit be— wahrt. Die Wahl des Führers wird durch dies Verhältnis sehr erleichtert. Er braucht oft nur die typischen Eigenschaften dieser Individuen in besonders scharfer und reiner Ausprägung zu besitzen und den Eindruck größerer Kraft und libidinöser Freiheit zu machen, so kommt ihm das Bedürfnis nach einem starken Oberhaupt ent— gegen und bekleidet ihn mit der Übermacht, auf die er sonst vielleicht keinen Anspruch hätte. Die anderen, deren Ichideal sich in seiner Person sonst nicht ohne Korrektur verkörpert hätte, werden dann „suggestiv“, d. h. durch Identifizierung mitgerissen.

§ 634

Wir erkennen, was wir zur Aufklänmg der libidi— nüsen Struktur einer Masse beitragen konnten, führt sich auf die Unterscheidung des Ichs vom Ichideal und auf die dadurch ermöglichte doppelte Art der Bindung —— Identifizierung und Einsetzung des Objekts an die Stelle des Ichideals — zurück. Die Annahme einer solchen Stufe im Ich als erster Schritt einer Ichanalyse

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Fluid: lll-ulmdinlalil und um,:- "

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98 Massenpsytlwlagi: um! Ich—Analyse

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muß ihre Rechtfertigung allmählich auf den verschie densten Gebieten der Psychologie erweisen. In meiner Schrift „Zur Einführung des Narzißmus‘” habe ich zusammengetragen, was sich zunächst von pathologischem Material zur Stütze dieser Sonderung verwerten ließ. Aber man darf erwarten, daß sich ihre Bedeutung bei weiterer Vertiefung in die Psychologie der Psychosen als eine viel größere enthüllen wird. Denken wir daran, daß das Ich nun in die Beziehung eines Objekts zu dem aus ihm entwickelten Ichidal tritt, und daß mög— licherweise alle Wechselwirkungen, die wir zwischen äußerem Objekt und Gesamt-Ich in der Neurosenlehre kennen gelernt haben, auf diesem neuen Schauplatz innerhalb des Ichs zur Wiederholung kommen.

§ 639

Ich will hier nur einer der von diesem Standpunkt aus möglichen Folgerungen nachgehen und damit die Erörterung eines Problems fortsetzen, das ich an anderer Stelle ungelöst verlassen mußte.’ jede der seelischen Differenzierungen, die uns bekannt geworden sind, stellt eine neue Erschwemng der seelischen Funktion dar, steigert deren Labilität und kann der Ausgangsth einesVersagens der Funkfiou, einer Erkrankung werden. So haben wir mit dem Geborenwerden den Schritt vom

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1) Jahrbuch für Psychoanalyse, VI, 1914. — Sammlung kleiner Schriften zur Neurosenlehre, 4. Folge.

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2) Trauer und Melancholie. Internationale Zeitschrift fiir Psychoanalyse, IV, 1916/18. — Sammlung- kleiner Schriften zur Neuroseu[eine, 4. Folge. ‘

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XI. Eine Stufe im It]; 99

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absolut selbstgenügsamen Narzißmus zur Wahrnehmung einer veränderlichen Außenwelt und zum Beginn der Objektfindung gemacht, und damit ist verknüpft, daß wir den neuen Zustand nicht dauernd ertragen, daß wir ihn periodisch rückgängig machen und im Schlaf zum früheren Zustand der Reizlosigkeit und Objektvermeidung zurückkehren. Wir folgen dabei allerdings einem Wink der Außenwelt, die uns durch den perio— dischen Wechsel von 'Tag und Nacht zeitweilig den größten Anteil der auf uns wirkenden Reize entzieht. Keiner ähnlichen Einschränkung ist das zweite, für die Pathologie bedeutsamere Beispiel unterworfen. Im Laufe unserer Entwicklung haben wir eine Sonde-rung unseres seelischen Bestandes in ein kohärentes Ich und ein außerhalb dessen gelassenes, unbewuißtes Verdrängtes vorgenommen, und wir wissen, daß die Stabilität dieser Neuerwerbung beständigen Erschütterungen ausgesetzt ist. lm Traum und in der Neurose pocht dieses Aus— geschlossene um Einlaß an den von Widerständen be wachten Pforten, und in wacher Gesundheit bedienen wir uns besonderer Kunstgrifl'e, um das Verdrängte mit Umgehung der Widerstände und unter Lustgewinn zeitweilig in unser Ich aufzunehmen. Witz und Humor, zum Teil auch das Komische überhaupt, dürfen in diesem Licht betrachtet werden. jedem Kenner der Neurosenpsychologie werden ähnliche Beispiele von ge— ringerer Tragweite einfallen, aber ich eile zu der be absichtigten Anwendung.

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, 1‘

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100 Massmprychologi: und Ich—Analyst

§ 648

Es wäre gut denkbar, daß auch die Scheidung des Ichideals vorn Ich nicht dauernd vertragen wird und sich zeitweilig zurückbilden muß. Bei allen Verzichten und Einschränkungen, die dem Ich auferlegt werden, ist der periodische Durchbruch der Verbote Regel, wie ja die Institution der Feste zeigt, die ursprünglich nichts anderes sind als vom Gesetz gebotene Exzesse und dieser Befreiung auch ihren heiteren Charakter verdanken.‘ Die Saturna1ien der Römer und unser heutiger Karneval fließen in diesem wesentlichen Zug mit den Festen der Primitiven zusammen, die in Aus— schweifungen jeder Art mit Übertretung der sonst heiligsten Gebote auszugehen pflegen. Das Ichideal umfaßt aber die Summe aller Einschränkungen, denen das Ich sich fügen soll, und darum müßte die Ein— ziehung des Ideals ein großartiges Fest für das Ich sein, das dann wieder einmal mit sich selbst zufrieden sein dürfte.’

§ 649

Es kommt immer zu einer Empfindung von Triumph, wenn etwas im Ich mit dem Ichideal zusamnenfällt. Als Ausdruck der Spannung zwischen Ich und Ideal kann auch das Schuldgefühl (und Minderwertigkeits— gefühl) verstanden werden.

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!) Toten] und Tabu.

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2) Trotter läßt ,die Verdrängung vom Herdentrieb ausgehen. Es ist eher eine Übersetzung in eine andere Ausdrucksweise als

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ein Widerspruch, wenn ich in der „Einlührnng des Narziß'mus“ geiag't habe: die Idealbildungfwäre von seiten des Ichs die Be

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dingung der Verdxängung.

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XI. Ein: Stufe im I:]: 101

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Es gibt bekanntlich Menschen, bei denen das Allgemeingefühl der Stimmung in periodischer Weise schwankt, von einer übermäßigen Gedrucktheit durch einen gewissen Mittelmstand zu einem erhöhten Wohlbefinden, und zwar treten diese Schwankungen in sehr verschieden großen Amphtüdén auf, vom eben Merk— lichen bis zu jenen Extremen, die als Melancholie und Manie höchst qualvoll oder störend in das Leben der Betroffenen eingreifen. In typischen Fällen dieser zyklischen Verstimmung scheinen äußere Veranlassungen keine entscheidende Rolle zu spielen,- von inneren Motiven findet man bei diesen Kranken nicht mehr oder nichts anderes als bei allen anderen. Man hat sich deshalb gewöhnt, diese Fälle als nicht psychogene zu beurteilen. Von anderen, ganz ähnlichen Fällen zykli— scher Versfinunung, die sich aber leicht auf seelische Traumen zurückführen, soll später die Rede sein.

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Die Begründung dieser spontanen Stimmungsschwankungen ist also unbekannt; in den Mechanismus der Ablösung einer Melancholie durch eine Manie fehlt uns die Einsicht. Somit wären dies die Kranken, für welche unsere Vermutung Geltung haben könnte, daß ihr Ichideal zeitweilig ins Ich aufgelöst wird, nachdem es vorher besonders strenge regiert'hat.

§ 658

Halten wir zur Vermeidung von Unklarheiten fest: Auf dem Boden unserer Ichanalyse ist es nicht zweifel— haft, daß beim Mar-rischen Ich und Ichideal zusammen— geflossen sind, so daß die Person sich in einer durch

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102 Massenfsycltologie um! Ich-Analyse

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keine Selbstkritik gestörten Stimmung von Triumph und Selbstbeglticktheit des Weg-falls von Hemmungen, Ruck— sichten und Selbstvorwtufen erfreuen kann. Es ist minder evident, aber doch recht wahrscheinlich, daß das Elend des Melancholikers der Ausdruck“ eines scharfen Zwie— spalts zwischen beiden Instanzen des Ichs ist, in dem das fibennäßig empfindliche Ideal seine Verurteilung des Ichs im Kleinheitswahn und in der Selbstenüedrigimg schmungslos zum Vorschein bringt. In Frage steht nur,. ob man die Ursache dieser veränderten Beziehungen zwischen Ich und Ichidenl in den oben postulierten periodischen Auflehnungen gegen die neue Institution suchen, oder andere Verhältnisse dafur verantwortlich machen soll.

§ 662

Der Umschlag in Manie ist kein notwendiger Zug im Krankheitsbild der melancholischen Depression. Es gibt einfache, einmalige und auch periodisch wiederholte Melancholien, welche niemals dieses Schicksal haben. Anderseim gibt es Melancholien, bei denen die Veranlassung offenbar eine ätiologische Rolle spielt. Es sind die nach dem Verlust eines geliebten Objekts, sei es durch den Tod desselben oder infolge von Umständen, die zum Rückzug der Libido vom Objekt genotigt haben. Eine solche psychog'ene Melancholie kann ebensoon in Mauie ausgehen und dieser Zyklus mehrmals wiederholt werden wie bei einer anscheinend spontanen. Die Vérhältm'sse sind also ziemlich undurchsichtlg, zumal da bisher nur wenige Formen und Fälle

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XI. Eine Stufe im Ich 103

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von Melancholie der psychoanalytischen Untersuchung unterzogen werden sind.‘ Wir verstehen bis jetzt nur jene Fälle, in denen das Objekt aufgegeben wurde, weil es sich der Liebe unwürdig gezeigt hatte. Es wird dann durch Identifizienmg im Ich wieder aufgerichtet und vom Ichideal streng gerichtet. Die Vorwürfe und Agressionen gegen das Objekt kommen als melancholische Selbstverwürfe zum Vorschein.“

§ 666

Auch an eine solche Melancholie kann sich der Umschlag in Manie anschließen, so daß diese Möglichkeit einen von den übrigen Charakteren des Krankheitsbildes unabhängigen Zug darstellt.

§ 667

Ich sehe indes keine Schwierigkeit, das Moment der periodischen Auflehnung des Ichs gegen das Ichideal für beide Arten der Melancholien, die psychogenen wie die spontanen, in Betracht kommen zu lassen. Bei den spon— tanen kann man annehmen, daß das Ichideal zur Entfaltung einer besonderen Strenge neigt, die dann automatisch seine zeitweilige Aufhebung zur Folge hat. Bei den psychogenen würde das Ich zur Auflehnung gereizt durch die Mißhandlung von seiten seines Ideals, die es im Fall der- Identifizierung mit einem verworfenen Objekt erfährt.

§ 668

1) Vgl. Abraham, Ansätze zur psychoanalyfischetu Erforschung und Behandlung des manisch-depressiven Irreseins etc., 1912, in „Klinische Beiträge zur Psychoanalyse“ 1921.

§ 669

z) Genauer gesagt: sie verbergen sich hinter den Vorwürfen gegen das eigene Ich, verleihen ihnen die Festigkeit, Zihigkeit und Unabweisbarkeit, durch welche sich die Selbstvorwürfe der Melancholiker auszeichnen.

§ 670

§ 671

XII NACHTRÄGE

§ 672

Im Laufe der Untersuchung, die jetzt zu einem vorläufigen Abschluß gekommen ist, haben sich uns verschiedene Nebenwege eröffnet, die wir zuerst vermieden haben, auf denen uns aber 'manche nahe Ein— sicht winkte. Einiges von dem solurückgestellten wollen wir nun nachholen.

§ 673

A. Die Unterscheidung von Ichidentifizierung und ‘ Ichidealersetzung durch das Objekt findet eine inter— essante Erläuterung an den zwei großen künstlichen Massen, die wir eingangs studiert, haben, dem Heer und der nhrisflichen Kirche.

§ 674

Es ist eyident, daß der Soldat seinen Vorgesetzten, also- eigentlich den Anneeflihrer, zum Ideal nimmt, während er sich mit seinesgleichen, identifiziert und aus dieser Ichgemeinsamkeii; die Verpflichtungen der Kameradschaft‘znr gegenseifigenHilfeleistung und Güterteilung ableitet. Aber er wird lächerlich, wenn er sich mit dem Feldherrn identifizieren will. Der Jäger in Wallens'teins Lager verspottet darub den Wachtrneister:

§ 675

Wie er räuspert und wie er spuckt, Das habt ihr ihm glücklich abgegucktl.

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§ 677

1

§ 678

XII. Nachträge ' 105

§ 679

Anders, in der katholischen Kirche. jeder Christ liebt Christus als sein ideal und fühlt sich den anderen Christen durch Identifizienmg verbunden. Aber die Kirche fordert von ihrn mehr. Er soll überdies sich mit_ Christus identifizieren und die anderen Christen lieben, wie Christus sie geliebt hat. Die Kirche fordert also an beiden Stellen die Ergänzung der durch die Massen-‘ bildung gegebenen Libidoposition. Die Identifizieng soll dort hinzukommen, wo die Objektwahl stattgefunden hat, und die Objektliebe dort, wo die Identifizierung besteht. Dieses Mehr geht offenbar über die Konstitution der Masse hinaus. Man kann ein guter Christ sein und doch könnte einem die‘ldee, sich an Christi Stelle zu setzen, wie er alle Menschen liebend zu um- ' fassen, ferne liegen. Man braucht sich ja nicht als schwacher Mensch die Seelengroße und Liebesetärke des Heilands znzutrauen. Aber diese Weitérentwicklung der Libidoverteilung in der Masse ist wahrscheinlich das Moment, auf welches das Christentum den An—

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spruch gründet eine höhere Sittlichkeit gewonnen zu

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haben.

§ 682

8 Wir sagten, es wäre möglich, die Stelle in der , seelischen Entwicklung der Menschheit anzugeben, an der sich auch für den Einzelnen der Fortschritt‘von der Massen- zur Individualpsycholog-ie vollzog.’ ' '

§ 683

I) Das hier folgende sheht unter dein Einflüsse ein'es dedmim '

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ausnuscha mit om Rank. (Siehe „Die Don ]uan-Gßtalt“, Image; ' Vu]. :. 19:2).

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106 Massmpsyclmlogi: und Ich-Analyx:

§ 687

Dazu müssen wir wieder kurz auf den wissenschaft— lichen Mythus vom Vater der Urhorde zurückgreifen. Er wurde später zum Weltschöpfer erhöht, mit Recht, denn er hatte alle die Söhne erzeugt, welche die erste Maße zusammensetzten. Er war das Ideal jedes einzelnen von ihnen, gleichzeitig gefürchtet und verehrt, was für später den Begriff des Tabu ergab. Diese Mehrheit faßte sich einmal zusammen, tötete und zer— stückelte ihn. Keiner der Massensieger konnte sich an seine Stelle setzen, oder wenn es einer tat, emeuerten sich die Kämpfe, bis sie einsahen, daß sie alle auf die Erbschaft des Vaters verzichten mußten. Sie bildeten dann die totemistische Brüdergemeinschaft, alle mit gleichem Rechte und durch die Totemverbote gebunden, die das Andenken der Mordtat erhalten und siihnen sollten. Aber die Unzufriedenheit mit dem Erreichten blieb und wurde die Quelle neuer Entwicklungen. Allmählich näherten sich die zur Brudermasse Verbundenen einer Herstellung des alten Zustandes auf neuem Niveau, der Mann wurde wiederum Oberhaupt einer Familie und brach die Vorrechte der Frauerfl1en'sehaft, die sich in der vaterlosen Zeit festgesetzt hatte. Zur Entschädigung mag er damals die Muttergottheiten anerkannt haben, deren Priester kastriert wurden zur Sicherung der Mutter nach dem Beispiel, das der Vater der Urhorde gegeben hatte; doch war die neue Familie nur ein Schatten der alten, der Väter waren viele und jeder durch die Rechte des anderen beschränkt.

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§ 689

XII. Nachträgz _ 107

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Damals mag die sehnsüchtige Entbehrung einen Einzelnen bewegen haben, sich von der Masse loszulösen und sich in die Rolle des Vaters zu versetzen. Wer dies tat, war der erste epische Dichter, der Fortschritt wurde in seiner Phantasie vollzogen. Dieser Dichter log die Wirklichkeit um im Sinne seiner Sehnsucht. Er erfand den heroischen My'thus. Heros war, wer allein den Vater erschlagen hatte, der im Mythii5 noch als totemistisches Ungeheuer erschien. Wie der Vater das erste Ideal des Knaben gewesen war, so schuf jetzt der Dichter im Heros, der den Vater ersetzen will, das erste Ichideal. Die Anknüpfung an den Heros bot wahrscheinlich der jüngste Sohn, der Liebling derMutter, den sie vor der väterlichen Eifersucht beschfitzt hatte, und der in Urhordenzeiten der Nachfolger des Vaters geworden war. In der lügenhaften Umdich'cung der Urzeit wurde das Weib, das der Kampfpreis und die Verlockung des Mordes gewesen war, wahrscheinlich zur Vetführerirfr und Anstifterin der Unlat.

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Der Heros will die Tat allein vollbracht haben, deren sich gewiß nur die Horde als Ganzes gefreut hatte. Doch hat nach einer Bemerkung von Rank das Märchen deutliche Spuren des verleugneten Sachverhalts ' bewahrt. Denn dort kommt es häufig vor, daß der Held, der eine schwierige Aufgabe zu lösen hat —— meist ein jüngster Sohn, nicht selten einer, der sich vor dem Vatersun’ogat dumm, cl. h. ungefä1rlich gestellt hat — diese Aufgabe doch nur mit Hilfe einer Schar von

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108 Massmpsyrhalogv'z und Ich-Analyse

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kleinen Tieren (Bienen, Ameisen) lösen kann. Dies wären die Brüder der Urhorde, wie ja auch in der Traumsymbolik Insekten, Ungeziefer die Geschwister (verächtlich: als kleine Kinder) bedeuten. Jede der Aufgaben in Myflius und Märchen ist überdies leicht als Ersatz der heroischen Tat zu erkennen.

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Der Mythus ist also der Schritt, mit dem der Einzelne aus der Masscnpsycholog-ie austritt. Der erste Mythus war sicherlich der psychologische, der Heroen— mythus; der erklärende Naturmythus muß weit später aufgekommen sein. Der Dichter, der diesen Schritt getan und sich so in der Phantasie von der Masse gelöst hatte, weiß nach einer weiteren Bemerkung von Rank doch in der Wirklichkeit die Rückkehr zu ihr zu finden Denn er geht hin und erzählt dieser Masse die Taten seines Helden, die er erfunden. Dieser Held ist im Grunde kein anderer als er selbst. Er senkt sich somit zur Realität herab und hebt seine Hörer zur Phantasie enipoi'. Die Hörer aber verstehen den Dichter, sie können sich auf Grund der nämlichen sehnsüchtigen Beziehung zum Urvater mit dem Heros idenfifizieren.‘

§ 696

Die Lüge des heroischen Mythus gipfelt in der Vergottung des Heros. Vielleicht war der vergottete Heros früher als der Vatergott, der Vorläufer der Wiederkehr des Urvaters als Gottheit. Die Götterreihe Hefe

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!) Vgl. Hanns Sachs, Gemeinsame Tag1xäurne, Autoreferat eines Vortrags auf dem VL psychoanalytisdnen Kongreß im Haag, 1990. Internationale Zeitschrift für Psychoanalyse, VI, 1920.

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XII. Nachlräg: ') 09

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dann chronologisch so: Muttergöttin—Heros—Vatergott. Aber erst mit der Erhöhung des nie vergessenen Ur Vaters erhielt die Gottheit die Züge, die wir noch heute an ihr kennen.‘

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C. Wir haben in dieser Abhandlung viel von direkten und von zielgehemrnten Sexuallrieben gesprochen und dürfen hoffen, daß diese Unterscheidung nicht auf großen Widerstand stoßen wird. Döch wird eine eingehende Erörterung darüber nicht unwillkommen sein, selbst wenn sie nur wiederholt, was zum großen Teil bereits an früheren Stellen gesagt werden ist.

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Das erste, aber auch beste Beispiel zielgehemmter Sexualtriebe hat uns die Libidoentwicldung des Kindes kennen gelehrt. Alle die Gefühle, welche das Kind für seine Eltern und Pflegepersonen empfindet, setzen sich ohne Schranke in die Wünsche fort, welche dem Sexualstreben des Kindes Ausdruck gehen. Das Kind ver— langt von diesen geliebten Personen alle Mchkeiten, die ihm bekannt sind, will sie küsen, berühren, heschauen, ist neugierig, ihre Geniinlien zu sehen und bei ihren intimen Exkrelionsverrichtungen anwesend zu sein, es verspricht, die Mutter oder Pflegerin zu heiraten, was immer es sich darunter vorstellen mag, setzt sich vor, dem Vater ein Kind zu gebären usw“. Direkte Beobachtung sowie die naéhträgliche analytische Durch

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!) In dieser sbgekürzten Bestellung ist auf alles Material aus Suge, Mythus, Märchen. Sittengeschichte usw. zur Stütze der Konstruktian ven.ichtet werden.

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1 10 Masrmpsyclwlagie um! I:}:«Analyse

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Ieuchtung der Kindheitsreste lassen über das unmittelbare Zusammenfließen zärtlicher und eifersüchtiger Ge fühle und sexueller Absichten keinen Zweifel und legen uns der, in wie gründlicher Weise das Kind die geliebte Person zum Objekt aller seiner noch nicht richtig zentxierten Sexualbesll'ebungen macht. (Vgl. Sexualtheorie.)

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Diese erste Liebesgesmltung des Kindes, die typisch dem Odipuskomplex zugeordnet ist, erliegt dann, wie bekannt, vom Beginn der Latenzzeit an einem Verdrängungsschub. Was von ihr erübrigt, zeigt sich uns als rein zärtliche Gefühlsbindung, die denselben Personen gilt, aber nicht mehr als „sexuell“ bezeichnet werden soll. Die Psychoanalyse, welche die Tiefen des Seelenlebens durchleuchtet, hat es nicht schwer aufzuweisen, daß auch die sexuellen Bindungen der ersten Kinderja.hre noch fortbestehen, aber verdrängt und unbewußt. Sie gibt uns den Mut zu behaupten, daß überall, wo wir ein zärtliches Gefühl begegnen, dies der Nachfolger einer voll„sinnlichen“ Objektbindung an die betrefl'ende Person oder ihr Vorbild (ihre Image) ist. Sie kann uns freilich nicht ohne besondere Untersuchung verraten, ob diese vorgängige sexuelle Vollströmung in einem gegebenen Fall noch als. verdrängt besteht oder ob sie bereits aufgezehrt ist. Um es noch schärfer zu fassen: es steht fest, daß sie als Form und Möglichkeit nochvorhanden ist und jederzeit wieder durch Regressoin besetzt, aktiviert Werden kann; es fragt sich nur und ist nicht immer zu entscheiden, welche Besetzung und

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XII. Nachträgr I r 1

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Wirksamkeit sie gegenwärtig noch hat. Man muß sich hierbei gleichmäßig vor zwei Fehlerquellen in Acht nehmen, vor der Saylla der Unterschätzung des ver-‘ drängten Unhewußten, wie vor der Charybdis der Neigung, das Normale durchaus mit dem Maß des Pathologischen zu messen.

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Der Psychologie, welche die Tiefe des Verdrängten nicht durchdringen will. oder kann} stellen sich die zärtlichen Gefühlsbhdmgeu jedenfalls als Ausdruck von Strebungen dar, die nicht nach dem Sexuellen zielen, wenngleich sie aus solchen, die danach gestrebt haben, hervorgegangen sind.‘

§ 712

Wir sind berechtigt zu sagen, sie sind von diesen sexuellen Zielen ahgelenkt worden, wenngleich es seine Schwierigkeiten hat, in der Darsteng einer solchen Zielablenkung den Anforderungen der—Metapsychologie zu entsprechen. Übrigens halten diese zielgehernmten Triebe immer noch einige der ursprünglichen Sexualziele fest; auch der zärtlich Anhängliche, auch der Freund, der Verehrer sucht die körperliche Nähe und den Anblick der nur mehrim „paulinischen‘f5irme geüebtenPerson. Wenn wir es wollen, können wir in dieser Zielablenkung einen Beginn von Sublimierung der Sexualtriebe an- ' erkennen oder aber die Grenze für letztere noch ferner stecken. Die zielgehennnten Sexualtriebe haben vor den

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!) Die feindseligen Gefühle sind gewiß um zinSrdck komplizierter aufgebaut.

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112 Marrmpsyclwlogz': und Ich-Analyst

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ungehemmteu einen großen funktionellen Vorteil. Da sie einer eigentlich vollen Befriedigung nicht fähig sind, eignen sie sich besonders dazu, dauernde Bindungen zu schaflen, während die direkt sexuellen jedesmal durch die Befriedigung ihrer Energie verlustig werden und auf Erneuerung durch Wiederanhäufung. der sexuellen Libido warten müssen, wobei inzwischen das Objekt gewechselt werden kann. Die 'gehenunteu Triebe sind jedes Maßes von Vermeugung mit den ungehemmten fähig, können sich in sie ruckverwandeln, wie sie aus ihnen hervorgegangen sind. Es ist bekannt, wie leicht sich aus Gefulflsbeziehungen freundscha.ftlicher Art, auf Anerkennung und Bewunderung gegründet, erotische Wünsche entwickeln (das Moliére”schez Embrassez—moi pour l’amour du Gree), zwischen Meister und Schülerin, Künstler und entzflckter Zuhörer-in, zumal bei Frauen. Ja die Entstehung solcher zuerst absichtsloser Gefülflsbindungen gibt direkt einen viel begangenen Weg zur sexuellen Objektwahl. In der „Frömmigkeit des Grafen von Zinzendorf" hat Pfister ein überdeutliehes, gewiß nicht vereinzeltes Beispiel dafür aufgezeigt, wie nahe es liegt, daß auch intensive religiöse Bindung in brilnstige sexuelle Erregung zurückschlägt. Anderseits ist auch die Umwandlung direkter, an sich kurzlebi.ger, sexueller Sirebungen in dauernde, bloß zärtliche Bindung etwas sehr gewöhnliches und die Konsolidierung einer aus verliebter Leidenschaft geschlossenen Ehe beruht zu einem großen Teil auf diesem Vorgang.

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XII. Nachträge 1 I 3

§ 719

Es wird uns natürlich nicht verwundem zu hören, daß die zielgehemmten Sexualstrebungen sich aus den direkt sexuellen dann ergeben, wenn sich der Erreichung derSexualziele innere oder äußere Hindernisse entgegen— stellen. Die Verdrängung der Latenzzeit ist ein solches inneres — oder besser: innerlich gewordenes —Hindernis. Vom Vater der Urhorde haben wir angenommen, daß' er durch seine sexuelle Intoleranz alle Söhne zur Abstinenz nötigt und sie so in zielgehemmte Bindungen drängt, während er selbst sich freien Sexualgenuß vorbehält und somit ungebunden bleibt. Alle Bindungen, auf denen die Masse beruht, sind von der Art der zielgehemrnten Triebe. Damit aber haben wir uns der Erörterung eines neuen Themas genähert, welches die Beziehung der direkten Sexualtriebe zur Massenbildung behandelt.

§ 720

D. Wir sind bereits durch die beiden letzten Be—' merkungen darauf vorbereitet zu finden, daß die direkten Sexualstrebungen der Massenbildung ungünstig sind. Es hat zwar auch in der Enhavicklungsgeschichte der Familie Massenbeziehungen der sexuellen Liebe gegeben (die Gruppenehe), aber je. bedeutungsvoller die Geschlechts— liebe fiir das Ich wurde, je mehr Verliebtheit sie entwickelte, desto eindringlicher forderte sie die Einschränkung auf zwei Personen —— una cum uno —— die durch die Natur des Genitalziels vorgezeichnet‘ ist. Die polygamen Neigungen wurden darauf angewiesen, sich im Nacheina.nder des Objektwechsels zu befriedigen.

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Freud; ll.mpnydinlagh und Ich»Azulyn 8

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] r 4 Massmpsythvlugie ung! Ich-Analyse

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Die beiden zum Zweck der Sexualbefriedigung aufeinander angewiesenen Personen demonstrieren gegen den Herdentrieb, das Massengefühl, indem sie die Ein— samkeit aufsuchen. Je verliebter sie sind, desto vollkommenér genügen sie einander. Die Ablehnung des Einflusses der Masse äußert sich als Schamgefühl. Die \ äußerst heftigen Gefühlsregungen der Eifersucht werden aufgeboten, um die sexuelle Objektwahl gegen die Beeinträchtigung durch eine Massenbindung zu schützen. Nur wenn der zärtliche, also persönliche Faktor der Liebesbeziehung völlig hinter den sinnlichen zurücktritt. wird der Liebesverkehr eines Paares in Gegenwart anderer oder gleichzeitige Sexualakte innerhalb einer Gruppe wie bei der Orgie möglich. Damit ist aber eine Regression zu einem frühen Zustand der Geschlechtsbeziehungen gegeben, in dem die Verliebtheit noch keine Rolle spielte, die Sexualobjekte einander gleich— wen-tig erachtet wurden, etwa im Sinne von dem bösen Wort Bernard Shaw‘s: Verlieblsein heiße, den Unterschied zwischen einem Weib und einem anderen ungebührlich überschätzen.

§ 725

Es sind reichlich Anzeichen dafür vorhanden, daß die Verliebtheit erst spät in die Sexualbeziehungen zwischen Mann unereib Eingang fand, so daß auch die Gegnerschait zwischen Geschlechtsliebe und Massenbindung eine'spät entwickelte ist. Nun kann es den Anschein haben, als ob diese Annahme unverträglich mit unserem Mythus von der Urfanülie wäre. Die Brüder

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XII. Nachlräge 1 I 5

§ 728

schar soll doch durch die Liebe zu den Müttern und Schwestern zum Vatermord getrieben werden sein, und es ist schwer, sich diese Liebe anders denn als eine ungehrochene, primitive, d. in. als innige Vereinigung von zärtlicher und sinnlicher vorzustellen, Allein bei weiterer Überlegung löst sich dieser Einwand in eine Bestätigung auf. Eine der Reaktionen auf den Vater— mord war doch die Einrichtung der totemistischen Exogamie, dä Verbot jeder sexuellen Beziehung mit den von der Kindheit an zärtlich geliebten Frauen der Familie. Damit war der Keil zwischen die zärtlichen und sinnlichen Regungen des Mannes eingetrieben, der heute noch in seinem Liebesleben festsitzt.‘ Infolge dieser Exogamie mußten sich die sinnlichen Bedürfnisse der Männer mit fremden und ungefiebten Frauen begniigen.

§ 729

In den großen künstlichen Massen, Kirche und Heer, ist fiir das Weib als Sexualobjekt kein Platz. Die Liebesbeziehung zwischen Mann und Weib bleibt außerhalb dieser Organisationen. Auch wo sich Massen bilden, die aus Männern und Weibern gemischt sind, spielt der Geschlechtsunterschied keine Rolle. Es hat kaum einen Sinn zu fragen, ob die Libido, welche die Massen zusammenhäk, homosexueller oder heterosexueller Natur ist, denn sie ist nicht nach den Geschlechtern differenziert und sieht insbesondere von den Zielen der Genital— organisation der Libido völlig ab.

§ 730

!) 5. Über die sligemeinste Emiedrigimg des Liebeslebens, 1912, Sammlung kleiner Schriften zur Neurosenlehre, 4. Folge.

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gi:

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HG Masrmfsyc/wlvgi: und [ck—Analyst

§ 734

Die direkten Sexualstrebungen erhalten auch fiir das sonst in der Masse aufgehende Einzelwesen ein Stück individueller Betätigung. Wo sie übersth werden, zersetzen sie jede Massenbildnng. Die katholische Kirche hatte die besten Motive, ihren Gläubigen die Ehelosigkeit zu empfehlen und ihren Priestern das Zölibat aufzu— erlegen, aber die Verliebtheit hat _oft auch Geistliche zum Austritt aus der Kirche getrieben. In gleicher Weise durchbricht die Liebe zum Weihe die Massen— bindungen‘der Rasse, der nationalen Absonderung und der sozialen Klassenordnung und vollbringt damit kulturell wichtige Leistungen. Es scheint gesichert, daß sich die homosexuelle Liebe mit den Massenbindungen weit besser verträgt, auch wo sie als nngehernmte Sexual— sfxebung auftritt; eine merkwürdige Tatsache, deren Aufklärung weit führen dürfte.

§ 735

Die psychoanalytische Untersuchung der Psycho— neurosen hat uns gelehrt, daß deren Symptome von verdrängteil, aber aktiv gebliebenen direkten Sexual— strebungen abzuleiten sind. Man kann diese Formel vervollständigen, wenn man hinzufügt: oder von solchen zielgehemmten, bei denen die Hemmung nicht durch— gehends gelungen ist oder einer Rückkehr zum ver— drängten Sexualziel den Platz geräumt hat. Diesem Verhältnis entspricht, daß die Neurose asozial macht, den von ihr Betroffenen aus den habituellen Massen— bildungen heraushebt. Man kann sagen, die Neurose wirkt in ähnlicher Weise zersetzend auf die Masse wie

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XI]. Naktrig: , 117

§ 738

die Verliebtheit. Dafür kann man sehen, daß dort, wo ein kräftiger Anstoß zur Massenbildung etfqlgt ist, die Neurosen zurücktreten und wenigstens für eine Zeitlang schwinden kamen. Man hat auch mit Recht versucht, diesen Widerstreit von Neumse iind Massenbildung therapeutisch zu verwerten. Auch wer das Schwinden.der religiösen Illusionen in der heutigen Kulturwelt( nicht bedauert, wird zugätehen, daß sie den durch sie Gebundenen den stärksten Schutz gegen die Gefahr der Neurose boten, so lange sie selbst noch in Kraft waren„ Es ist auch nicht schwer, in all den Bindungen an mystisdrreligiose oder philosophischmystische Sekten und Gemeinschäften den Ausdruck von Schiefheilungen mannigl'altiger Neurosen zu er— kennen. Das alles hängt mit dern Gegensatz der direkten und zielgehemmten Sexualsirebungen zu— sammen.

§ 739

Sich selbst überlassen ist der Neurotiker genotigt, sich die großen Massenbildnngen, von denen er ausgeschlossen is't, durch seine Symptombildungen zu er setzen. Er schafl sich seine eigene.thtasiew'elt, seine Religion, sein Wahnsystem und wiederholt so die Institutionen der Menschheit in einer Verzen'uizg, welche deutlich den übermächtigeu Beitrag der direkten Sexualstrebungen bezeugt.‘ .

§ 740

!) 5 Toren: und stu, zu Ende des Abschnitt: 11. Das Tabu und die Amhivalenz.

§ 741

§ 742

118 Masrmfryclmlngie und Ich—Analyse

§ 743

E. Fügen wir zum Schluß eine vergleichende Würdigung der Zustände, die uns beschäftigt haben, vom Standpunkt der Libidotheorie an, der Verliebtheit, Hypnose, Massenbildung und der Neurose.

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Die Verliebtheit beruht auf dem gleichzeitigen Vorhandensein von direkten und von zielgehemmten Sexualstrebungen, wobei das Objekt einen Teil der narzißtischen Ichlibido auf sich zieht. Sie hat nur Raum für das Ich und das Objekt. '

§ 745

Die Hypnose teilt mit der Verliebtheit die Ein— schränkung auf diese beiden Personen, aber sie beruht durchaus auf zielgehemmten Sexualstrebungen und setzt das Objekt an die Stelle des Ichideals.

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Die Masse vervielfältigt diesen Vorgang, sie stimmt mit der Hypnose in der Natur der sie zusammen— haltenden Triebe und in der Ersetzng des Ichideals durch das Objekt überein, aber sie [ügt die Identifizierung mit anderen Individuen hinzu, die vielleicht ursprünglich durch die gleiche Beziehung zum Objekt ermöglicht wurde.

§ 747

Beide Zustände, Hypnose wie Massenbildung, sind Erbaiederschläge aus der Phylogenese der mensch— lichen Libido, die Hypnose als Disposition, die Masse überdies als direktes Überbleibsel. Die Ersetzung der direkten Sexualstrebungen durch die zielgehemmten befördert bei beiden die Sonderung von Ich und Ichideal, zu der bei der Verliebtheit schon ein Anfang gemacht ist.

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§ 749

XII. Nachträg: 1 19

§ 750

Die Neurose tritt aus dieser Reihe heraus. Auch sie beruht auf einer Eigentumlichkeit der menschlichen Libidoentwicklung, auf dem durch die Latenzzeit unter brochenen, doppelten Ansatz der direkten Sexualfunktion. (S. Sexualtheorie, 4. Aufl., 1920, S. 96.) Insofeme teilt sie mit Hypnose und Massenbildung den Charakter einer Regression, welcher der Verliebtheit abgeht. Sie tritt überall dort auf, wo der Fortschritt von direkten zu zielgehemmten Sexualtrieben nicht voll geglilckt ist, und entspricht einem Konflikt zwischen den ins Ich aufgenommen Trieben, welche eine solche Entwicklung durchgemacht haben, und den Anteilen derselben Triebe, welche vom verdrängten ' Unbewußten her — ebenso wie andere völlig ver— drängte Triebregungen — nach ihrer direkten Befrie— digung streben. Sie ist inhaltlich ungemein reichhalüg, da sie alle möglichen Beziehungen zwischen Ich und Objekt umfaßt, sowohl die, in denen das Objekt bei— behalten als auch andere, in denen es aufgegeben oder im Ich selbst aufgerichtet ist, aber ebenso die Konfliktbeziehungen zwischen dem Ich und seinem Ichideal.

§ 751

§ 752

INHALTSVERZEICHNIS:

§ 753

. 5.11. i.Einleihmg. ...... „.......1 11. Le Bon’s Schilderung der Massenscele . . . . . . 5 ]]]. Andere Würdigungen des kollektiven Seelcnlebens . . 22 IV. Suggestion und Libido . . . . . . . . . . 32 V. Zwei künstliche Massen: Kirche und Heer . . . . . 40 VI. Weitere Aufgaben und Arbeitsrichtnngeu _ ,' . . . 51 VII. Die Ideufifizierung . . . . . . . . . . . . . . 58 VIII. Verliebtheit und Hypnose . . . . . . . . . . . 68 D<.,DerHerduib-ieb .............77 X. Die Masse und die Urhorde . . . . . . . . . . 86 XI. Eine Stufe im Ich . . . . . . . . . . . . . . 96

§ 754

XH.Nachtnige..'...............104

§ 755