Massenpsychologie und Ich-Analyse (1921-001/1921)

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Freud, Sigmund: Massenpsychologie und Ich-Analyse (1921-001/1921). In: Andorfer, Peter; Blatow, Arkadi; Diercks, Christine; Huber, Christian; Kaufmann, Kira; Liepold, Sophie; Roedelius, Julian; Rohrwasser, Michael; Stoxreiter, Daniel (2022): Sigmund Freud Edition: Digitale Historisch-Kritische Gesamtausgabe, Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage, Wien. [3.4.2023], file:/home/runner/work/frd-static/frd-static/data/editions/plain/sfe-1921-001__1921.xml
§ 1

Prof. Sigm. Freud

§ 2

§ 3

Massenpsychologie und Ich-Analyse

§ 4

§ 5

Internationaler Psychoanalytischer Verlag G. m. b. H.

§ 6

MASSENPSYCHOLOGIE UND ICH-ANALYSE'

§ 7

VON PROF. SIGM. _FREUD

§ 8

INTERNATIONALER PSYCHOANALYTISCHER VERLAG G. M. B. H.

§ 9

LEIPZIG WIEN ZÜRICH 1921

§ 10

Inhalt.

§ 11

I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . 1 II. Le Bon’s Schilderung der Massenseele . . . 5 III. Andere Würdigungen des. kollektiven Seelenlebens . . . . . . . . . . . . . . . 25 IV. Suggestion und Libido ._ . . . . . . . . 37 V. Zwei künstliche Massen: Kirche und. Heer . . 46 VI. Weitere Aufgaben und Arbeitsrichtungen . . . ,57 VII. Die Identifizierung . l. . . . . . . . . . 66 VIII. Verliebthelt und Hypnose . . . . . . . . 78 IX. Der Herdentrieb . . . . . . . . . . . . 89 X. Die Masse und die Urhorde . . . . . . . 100 XI. Eine Stufe im Ich . . . . . . . . . . . 112

§ 12

XII.

§ 13

Nachträge..............122

§ 14

I. Einleitung.

§ 15

Der Gegensatz von Individual- und Sozial- oder Massenpsychologie, der uns auf den ersten Blick als sehr bedeutsam erscheinen mag, verliert bei eingehender Betrachtung sehr viel von seiner Schärfe. Die Individualpsychologie ist zwar auf den einzelnen Menschen eingestellt und verfolgt, auf welchen Wegen derselbe die Befriedigung seiner Triebregungen zu erreichen sucht, allein sie kommt dabei nur selten, unter bestimmten Ausnahmsbedingungen, in die Lage, von den Beziehungen dieses Einzelnen zu anderen Individuen abzusehen. Im Seelenleben des Einzelnen kommt ganz regelmäßig der Andere als Vorbild, als Objekt, als Helfer und als Gegner in Betracht und die Individualpsychologie ist daher von Anfang an auch gleichzeitig Sozialpsychologie in diesem erweiterten, aber durchaus berechtigten Sinne.

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2

§ 17

Das Verhältnis des Einzelnen zu seinen Eltern und Geschwistern, zu seinem Liebesobjekt und zu seinem Arzt, also alle die Beziehungen, welche bis

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her vorzugsweise Gegenstand der psychoanalytischen ' Untersuchung geworden sind, können den Anspruch

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erheben, als soziale Phänomene gewürdigt zu werden, und stellen sich dann in Gegensatz zu gewissen , _ anderen, von uns 11 a r z i B t i s c h genanntén Vor

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gängen, bei denen die Triebbefriedigung sich dem Einfluß anderer Personen entzieht oder auf sie ver- ;,

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ziehtet. Der Gegensatz zwischen sozialen ”und nar— zißtischen — Ble uler würde yielleicht sagen: 'autistischen‘ .— seelischen Akten fällt also durchaus innerhalb des Bereichs der Individualpsjchologie und eignet Sich nicht dazu, sie von

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einer Sozial- oder Massenpsychologie abzutrennen;

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Inden erwähnten Verhältnissen zu Eltern und Geschwistern, zur Geliebten, zum Freundeund zum Arzt erfährt-der Einzelne immer nur den Einfluß einer einzigen oder einer sehr geringen Anzahl von Per

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. sonen, von denen eine jede eine großartige Bedeu- " : ;

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,tung für ihn erworben‘hat. Man hat sich nun ge, wählt, wenn man von Sozial- oder Massenpsyehologie" spricht, von diesen Beziehungen abzuseheti' „

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und ,die gleichzeitige Beeinflussung des Einzelnen

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]. Einleitung 3

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durch eine große Anzahl von Personen, mit denen er durch irgend etwas verbunden ist, während sie ' ihm sonst in vielen Hinsichten fremd sein mögen, als Gegenstand der Untersuchung abzusondern. Die Massenpsychologie behandelt also den einzelnen" Menschen als Mitglied eines Stammes, eines Volkes, einer Kaste, eines Standes, einer Institution oder als Bestandteil eines Menschenhauiens, der sich zu einer gewissen Zeit für einen bestimmten Zweck zur Masse organisiert„ Nach dieser Zerreißung eines natürlichen Zusammenhanges lag es dann nahe, die Erscheinungen, die sich unter diesen besonderen Be: dingungen zeigen, als Äußerungen eines besonderen, weiter nicht zurückführbaren Triebes anzusehen, des sozialen Triebes — herd irisfinct, group mind — der in anderen Situationen nicht zum Ausdruck kommt. Wir dürfen aber wohl den Einwand erheben, es falle uns schwer, dem Moment der_ Zahl eine so große Bedeutung einzuräumen, daß es ihm allein möglich sein sollte, im menschlichen Seelenleben einen neuen und sonst nicht betätigten Trieb zu wecken. Unsere Erwartung wird somit auf zwei— andere Möglichkeiten hingelenkt: daß der soziale Trieb kein ursprünglicher und unzerlegbarer sein mag, und daß die Anfänge seiner Bildung in einem

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4 ’ Massenpsychoiozie und Ich-Analyse

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engeren Kreis wie etwa in dem der Familie gefunden werden können.

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Die Massenpsychologie, obwohl erst in ihren Anfängen befindlich, umfaßt eine noch unübersehbare Fülle von Einzelproblemen und stellt dem Untersucher ungezählte, derzeit noch nicht einmal" gut gesönderte Aufgaben. Die bloße Gruppierung der verschiedenen Formen von Massenbildung und die Beschreibung der von ihnen geäußerten psychischen Phänomene erfordern einen großen Auf? wand von Beobachtung und Darstellung und haben bereits eine reichhaltigeliteratur entstehen lassen. Wer dies schmale Büchlein an dem Umfang der Massenpv5Ychologie mißt, wird ohneweiters, v‘er- ' muten dürfen„,daß hier nur wenige Punkte des ganzen Stoffes behandelt werden sollen, Es werden wirklich auch nur einige Fragen sein, an denen die Tiefenforschung der Psychoanalyse ein besonderes Interessen1mmt

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n.‘ Le Bon’s Schilderung der Massenseiale.

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Zweckmäßiger als eine Definition voranzustellen scheint es,“ mit einein:Hinvveis auf das Erséhei11ungsgebiet zu beginnen und aus diesem einige besonders auffällige und charakteristische Tatsachen herauszugreifen, an welche die Untersuchung anknüpfen kann. Wir erreichen beides durch einen Auszug aus dem mit Recht berühmt gewordenen Buch von Le Bon, Psychologie der M a s s e n *.

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Machen wir uns den Sachverhalt nochmals klar: Wenn die Psychologie, welche die Anlagen, Triebregungen, Motive, Absichten eines einzelnen Menschen bis zu seinen Handlungen und in die Beziehungen zu seinen Nächsten verfolgt, ihre Aufgabe restlos gelöst und alle diese Zusammenhänge durchsichtig gemacht hätte, dann fände sie sich plötzlich '

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‘ Übersetzt von Dr. Rudolf Eisi er, zweite Auflage 1912.

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vor einer neuen Aufgabe, die sich ungelöst vor ihr erhebt. Sie müßte die überraschende Tatsache er— klären, daß‘ dies ihr verständlich gewordene Individuum unter einer bestimmten Bedingung ganz an— ders fühlt, denkt und handelt, als von ihm zu erwarten stand, und diese Bedingung ist die Einreihung in eine Menschenmenge, welche die Eigenschaft einer „psychologischen Masse“ erworben hat. Was ist nun eine „Masse“, wbdurch erwirbt sie die Fähigkeit, das Seelenleben des Einzelnen so entscheidend zu beeinflussen, und worin besteht die seelische Veränderung, die sie dem Einzelnen aufnötigt? . , Diese drei Fragen zu’ beantworten, ist die Aufgabe‘ einer theoretischen Massenpsychologié. Man greift sie offenbar am besten an, wenn man von der dritten ausgeht. Es ist" die Beobachtung der veränderten REaktion des Einzelnen, welche der Massenpsychologie den Stoff 1ieiert;,jedem Erklärungsversuch muß. ja die Beschreibung des zu Erklärenden vorausgehen. . ‘

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Ich lasse nun L e B o n zu Worte kommen. Er sagt (S.- 13); „An ,einer psychologischen Masse ist das Sonderbarste dies: welcher Art auch die sie zusammensetzenden Individuen sein mögen, wie ähnf

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Il. Le Bon's Schilderung der Massenseele ' 7

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lich oder unähnlieh ihre Lebensweise, Beschäftigung, ihr Charakter oder ihre Intelligenz ist, durch den bloßen Umstand ihrer Un1formung zur Masse besitzen sie eine Kollektivseele, vermöge der'en sie in ganz anderer Weise fühlen, denken und handeln, als jedes von ihnen für sich fühlen, denken und handeln würde. Es gibt Ideen und Gefühle, die nur bei den zu Massen verbundenen Individuen auf— treten oder sich in Handlungen umsetzen.yDie psy— chologische Masse ist"ein provisorisches Wesen, das aus heterogenen Elementen besteht, die für einen Augenblick sich niiteinander "verbunden , haben, „genau so wie die Zellen des Organismus durch ihre Vereinigung ein neues Wesen mit ganz anderen Eigenschaften als denen der einzelnen Zellen bilden.“

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Indem wir uns die Freiheit nehmen, die Darstellung L e B dn’s durch unsere Glossen zu unterbrechen, geben wir hier der Bemerkung Raum: Wenn die Individuen in der Masse zu einer Einheit verbunden sind, so muß es wohl etwas geben, was sie an einander bindet, und dies Bindemittel könnte gerade das sein, was für die Masse charakteristisch ist. Allein L e B 0 n beantwortet diese Frage nicht, er geht auf die Veränderung des Individuums in der - Masse ein und beschreibt sie in Ausdrücken, welche

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8 { Massennsycholoeie und Ich-Analyse

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mit den Grundvoraussetzungen unserer Tiefenpsychologie in guter Übereinstimmung stehen.

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(8. 14.) „Leicht ist die Feststellung des Maßes von Verschiedenheit des einer Masse angehörenden vom isolierten Individuum, weniger leicht ist aber die Entdeckung _der Ursachen dieser Verschiedenheit.

§ 51

Um diese Ursachen wenigstens einigermaßen zu finden, muß man sich zunächst der von der modernen Psychologie gemachten Feststellung erinnern, daß nicht bloß im organischen Leben, sondern auch in den intellektuellen Funktionen die unbewußten Phänomene eine überwiegende Rolle spielen. Das bewußte Geistesleben stellt nur einen recht geringen Teil neben dem unbewußten Seelenleben dar. Die feinste Analyse, die schärfste Beobachtung gelangt nur zu einer kleinen Anzahl bewußter Motive des Seelenlebens; Unsere bewußten Akte leitenSich aus einem, besonders durch Vererbungseinflüsse geschaffenen, unbewußten Substrat her. Dieses enthält die zahllosen Ahnen5puren, aus denen sich die Rassenseele- konstituiert. Hinter den eingestandenen Motiven unserer Handlungen gibt es zweifellos die geheimen Gründe, die wir nicht ein— gestehen,-'liinter diesen liegen aber noch geheimere,

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. '“a‘. ...

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die wir nicht einmal kennen. Die Mehrzahl unserer alltäglichen Handlungen ist nur die Wirkung verborgener, uns entgehender Motive.“

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In der Masse, meint L e B o n, verwischen sich die individuellen Erwerbungen der Einzelnen, und damit verschwindet deren Eigenart. Das rassenmäßige Unbewüßte tritt hervor, das Heterogene versinkt im'Homogenen. Wir werden sagen, der psychische Oberhau, der sich bei den Einzelnen So Ver— schiedenartig entwicki'elt hat, wird abgetragen, und - das bei allen gleichartige unbewußte Fundament

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wird bloßgeiegt. '

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Auf diese Weise käme ein durchschnittlicher Charakter der Massenindividuen zustande. Allein L e B o 11 findet, sie zeigen auch neue Eigenschaften, die sie vorher nicht besessen haben, und sucht den Grund dafür 111 drei verschiedenen Momenten.

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(S. 15. ) „Die erste dieser Ursachen besteht darin, daß das Individuum in der Masse schon durch die Tatsache der Menge ein Gefühl unüberwindlicher Macht erlangt, welches ihm gestattet, Trieben zu iröhnen, die es allein notwe'ndig gezügelt hätte. Es wird dies nun umso weniger Anlaß haben, als bei der Anonyniität und demnach auch Unverantwort

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10 Massenpsyohologie “und Ich-“Analyse

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lichkeit der Masse das Verantwortlichkeitsgefühl, welches die Individuen stets zurückhält, völlig schwindet.“ ,

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Wir brauchten von unserem Standpunkt weniger Wert auf das Auftauchen neuer Eigenschaften zu legen. Es genügte uns_zu sagen, das Individuuni komme in der Masse unter Bedingungen, die ihm gestatten, die Verdrängungen seiner unbewußten Triebregungen abzuwerfen. Die anscheinend neuen Eigenschaften, die es dann zeigt, sind eben die Äußerungen dieses Unbewußt‘en, in “dem ja alles Böse der Menschen$eele in der Anlage enthalten ist; das Schwinden des Gewissens oder Verantwortlichkeitsgeiühls unter diesen Umständen macht un3er-em Verständnis' keine Schwierigkeit. Wir hatten längst behauptet, der Kern des sogenannten Gewissens sei „soziale Angst“.

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Eine gewisse Differenz zwischen der Anschauung Le Bon’s und ,der unserigen stellt sich dadurch her, daß sein Begriff des Unbewußten nicht ganz mit dem , von der Psychoanalyse angenommenen zusarnrnentällt. Das Unbewußte L e B on’s enthält vor allem die tiefsten Merkmale der Rassenseele, welche für die Psychoanalyse eigentlich außer Betracht kommt. Wir verkennen zwar nicht, daß der Kern des Ichs', dem die „archaische Erb

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schaft“ der Menschenseele angehört, unbewußt ist, aber wir sondern-außerdem das „unbewußte Verdrängte“ ab.

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„€

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II. Le Bon's Schildecung der Massenseele 11

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welches aus einem Anteil dieser Erbschaft hervorgegangen ist. Dieser Begriff des Verdrängten fehlt bei L e B 0 n.

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(S. 16.) „Eine zweite Ursache, die Ansteckung, trägt ebenso dazu bei, bei den Massen die Äußerung spezieller Merkmale und zugleich deren Richtung zu bewerkstelligen. Die Ansteckung ist ein leicht Eau konstatierendes aber unerklärliches Phänomen, das man den von uns sogleich zu studierenden Phänomenen ' hypnotischer Art zurechnen muß. In der Menge ist jedes Gefühl, jede Handlung ansteckend, und zvirar in so hohem Grade, daß das Individuum sehr leicht sein persönliches Interesse dem Gesamtinteresse opiert. Es ist dies eine seiner Natur durchaus entgegengesetzte: Fähigkeit, deren der Mensch nur als Massenbestandteil fähig ist.“

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Wir werden auj diesen letzten Satz später eine wichtige Vermutung begründen. ‘

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(S.-. ,16.) „Eine dritte, und zwar die wichtigste Ursache bedingt in den zur Masse vereinigten Individuen besondere Eigenschaften, welche denen des isolierten Individuums völlig entgegengesetzt sind. Ich rede hier vonder Suggestibilität, ,von der die erwähnte Ansteckung übrigens nur eine Wirkung ist.

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_ Zinn Verständnis dieser Erscheinung gehört die Vergegenwärtigung gewisser neuer Entdeckungen

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12 Massenpsychoiogie rind Ich-Analyse

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der Physiologie. Wir wissen jetzt, daß ein Mensch mittels mannigfachér Prozeduren in einen solchen Zustand versetzt werden kann, daß er nach Verlust seiner ganzen bewußten Persönlichkeit allen Suggestionen desjenigen gehorcht, der ihn seines Persönlichkeitsbe'wüßtseins beraubt hat, und daß er die zu seinem Charakter und Seinen Gewohnheiten in schärfstem Gegensatz stehenden Handlungen begeht. Nun scheinen sehr sorgfältige Beobachtungen dar— zut'im, daß ein eine Zeitlang im Schoßeéiner tätigen Masse eingebettetes Individuum in Bälde —— durch Ausströmungen, die von ihr ausgehen oder sonst eine unbekannte Ursache ——- in einem Sonderzustand sich befindet, der sich sehr der Faszination näher-t, die den Hypnotisierten unter dem Einfluß des Hypnotisators befällt ..... Die bewußte Persönlichkeit ist völlig geschwunden, Wille und Unterscheidungsvermögen fehlen, alle Gefühle und Gedanken sind

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nach der durch den Hypnotisator hergestellten Rich- ,

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tung orientiert.

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So ungefähr verhält sich auch der Zustand des einer psychologischen Masse angehörenden Individuums. Es ist sich seiner Handlungen nicht mehr bewußt. Wie beim Hypnotisierten können bei ihm, während zugleich gewisse Fähigkeiten aufgehoben

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11. Le Bon's Schildernmg der Massenseele 13

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sind, andere auf einen Grad höchster Stärke gebracht werden. Unter dem Einflusse einer Suggestion wird es sich mit einem unwiderstehliehen Triebe an die Ausführung bestimmter Handlungen machen. Und dieses Ungestüm ist bei den Massen noch unwiderstehlicher als beim Hypnotisierten, weil die für alle Individuen gleiche Suggestion durch Gegenseitigkeit anwächst.“

§ 82

(S. 17.) „Die Hauptmerkmale des in der Masse befindlichen Individuums sind demnach: Schwund de?bewußten Persönlichkeit, Vorherrschaft der unbewußten Persönlichkeit, Orientierung der Gedanken und Gefühle in derselben Richtung durch Suggestion und Ansteckung, Tendenz zur unverzüglichen Verwirklichung der suggerierten Ideen. Das Individuum ist nicht mehr es selbst, es ist ein willenloser Automat geworden.“

§ 83

Ich habe dies Zitat so ausführlich wiedergegeben, um zu hekräitigen, daß L e B o n den Zustand des Individuums in der Masse wirklich für einen hypnotischen erklärt, nicht etwa ihn bloß mit einem solchen vergleicht. Wir- beabsichtigen hier keinen Widerspruch, wollen nur hervorheben, daß die bei- 'den letzten Ursachen der Veränderung des Einzel

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nen in der Masse, die Ansteckung und die höhere 2

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14 Massemsyeholozie und Ich-Analyse

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Suggefierbarkeit offenbar nicht gleichartig sind, da ja die Ansteckung auch eine Äußerung der Suggerierbarkeit sein soll. Auch die Wirkungen der beiden Momente scheinen uns im Text L e B o n’s nicht scharf geschieden. Vielleicht deuten wir seine ' Äußerung ain besten aus, wenn wir die Ansteckung auf die Wirkung der einzelnen Mitglieder der Masse aufeinander beziehen, während die mit den Phänomenen der hypnotischen Beeinflussung gleichgestell- ten Suggestionserscheinungen in der Masse auf eine andere Quelle hinweisen. Auf welche aber? Es muß uns als eine einpfindliche Unvollständigkeit berühren, daß eines der Hauptstücke dieser Angleichung, nämlich die Person, welche für die Masse den Hypnofiseur ersetzt, in der Darstellung L e B o n’s nicht erwähnt wird. Immerhin unterscheidet er von diesem im Dunkeln gelassenen faszinierénden Einfluß die ansteckende Wirkung, die die Einzelnen auf einander ausüben, durch welche die ursprüngliche Suggestion verstärkt wird.

§ 88

Noch ein wichtiger Gesichtspunkt für die Be“urteilung des Massenindividuums: (S. 17.) „Ferner steigt durch die bloße Zugehörigkeit zu einer or—

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ganisierten Masse der Mensch mehrere Stuten aui_

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der Leiter der Zivilisation herab. In seiner Verein

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II. Le Bon’s Schilderung der Massenseele 15

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zelung war er vielleicht ein gebildetes Individuum, in der Masse ist er ein Barbar, d. h. ein Triebwesen. Er besitzt die Spontaneität, die Hettigkeit, die Wildheit und auch den Enthusiasmus und Heroismus primitiver Wesen.“ Er verweilt dann noch besonders bei der Herabsetzung der intellektuellen Leistung, die der Einzelne durch sein Aufgehen in_ der Masse erfährt“.

§ 94

Verlassen wir nun den Einzelnen und wenden wir uns zur Beschreibung der Massenseele, wie L e B o 11 sie entwirft. Es ist kein Zug darin, dessen Ableitung und Unterbringung dern Psychoanalytiker Schwierigkeiten bereiten würde. L e B o 11 weist uns selbst den Weg, indem er auf die Übereinstimmung mit dem Seelenleben der Primitiven und der Kinder hinweist. (S. 19.)

§ 95

Die Masse ist impulsiv, wandelbar und reizbar. Sie wird iast ausschließlich vom Unbewußtefl geleitet* *. Die Impulse, denen die Masse gehorcht, können je nach Umständen edel oder grausam, heroisch oder feige sein, jedenfalls aber sind sie so gebie

§ 96

' Vergleiche das Sehiller’sche Distichon: Jeder, sieht man ihn einzeln. ist letztlich klug und verständig; Sind sie in corpore. gleich wird euch ein Dummkop_f daraus. ** Unbew-ußt wird von Le Bon richtig im Sinne der Deskription gebraucht. wo es nicht allein das „Verdränste" bedeutet.

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2.

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16 Massenpsychologle und Ich-Analyse

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terisch, daß nicht das persönliche, nicht einmal.das Interesse der Selbsterhaltung zur Geltung kommt. (S. 20.) Nichts ist bei ihr vorbedacht. Wenn sie auch die Dinge leidenschaftlich begehrt, so doch nie für lange, sie ist unfähig zu einem Dauerwillen. Sie verträgt keinen Aufschub zwischen ihrem Begehren und der Verwirklichung des Begehrten. Sie hat das Gefühl der Allmacht, für das Individuum in der Masse schWindet der Begriff des Unmöglichen*.

§ 101

Die Masse ist außerordentlich beeinflußbar und leichtgläubig, sie ist kritiklos, das Unwahrseheinliche. existiert für Sie nicht. Sie denkt in Bildern, die einander assoziativ hervorrufen, wie sie sich beim Einzel— nen in Zuständen des freien Phantasierens einstellen, und die von keiner verständigen Instanz an der Übereinstimmung mit der Wirklichkeit gemessen‘ werden. Die Gefühle der Masse sind stets sehr einfach und sehr überschwenglich. Die Masse kennt also weder Zweifel noch Ungewißheit.

§ 102

In der 'Deutungdér Träume“; denen wir ja unse‘re beste Kenntnis vom unbewußten Seelenleben verdanken, befolgen wir die technische Regel, daß von Zweifel und

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Unsicherheit in der Traumerzählung abgesehen und jedes Element des manifesten Traumes als gleich gesichert

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-* Vergleiche "feiern und- Tabu m.. Animist ,um: und. Allmacht der Gedanken.

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“Il. Le Bon’s Schilderung der Massenseele 17

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behandelt wird. Wir leiten Zweifel und Unsicherheit von der Einwirkung der Zensur ab, welcher die Traumarbeit unterliegt, und nehmen an, daß die primären Traumgedanken Zweifel und Unsicherheit als kritische Leistung nicht kennen. Als Inhalte mögen sie natürlich, wie alles andere, in den zum Traum führenden Tagesresten vorkommen. (8. Traumdeutung. 5. Aufl. 1919, S. 386.)

§ 108

Sie geht sofort zum Äußersten, der ausgesprochene Verdacht wandelt sich bei ihr sogleich in un,umstößliche Gewißheit, ein Keim von Antipathie wird zum wilden Haß. (S. 32.)

§ 109

Die nämliche Steigerung aller Geiühlsregungen zum Extremen und Maßlosen gehört auch der Affektivität des Kindes an und findet sich im Traumleben wieder, wo dank der im Unbewußten vorherrschenden Isolierung der einzelnen Geiiihlsregungen ein leiser Ärger vom Tage sich als Todeswunsch gegen die sc;huldige Person zum . Ausdruck bringt oder ein Anflug irgend einer Versuchung zum Anstoß einer im Traum dargestellten verbrecherischen Handlung wird. Zu dieser Tatsache hat Dr. Hanns Sachs die: hübsche Bemerkung gemacht: „Was der Traum uns an Beziehungen zur Gegenwart (Realität) kundgetan hat, wollen wir dann auch im Bewußtsein aufsuchen und dürfen uns nicht wundern, wenn wir das? Ungeheuer, das wir unter dem Vergrößerungsglas der Analyse gesehen haben, als Infusionstierchen wieder— finden.“ (Traumdeutung, S. 457.)

§ 110

Selbst zu allen Extremen geneigt, wird die Masse auch nur durch übermäßige Reize erregt. Wer auf sie

§ 111

§ 112

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§ 113

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§ 114

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§ 115

18 Masssnp sychologie und “Ich-Analyse

§ 116

wirken will, bedari_ keiner logischen Abmessung

§ 117

'seiner Argumente, er muß in den kräftigsten' Bildern

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malen, übertreiben- und immer das Gleiche wieder— holen. ' Da die Masse betreffs des Wahren oder Falschen

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nicht im Zweifel ist und dabei das Bewußtsein ihrer

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großen Kraft hat, ist sie ebenso intolerant wie autoritätsgläubig. Sie resfiektiert die Kraft und läßt sich

§ 121

von der Güte, die für sie nur eine Art von Schwäche ' bedeutet, nur mäßig beeinflussen. Was sie von ihren _ Helden verlangt, ist ,Stärke, selbst Gewalttätigkeit. Sie will beherrscht und unterdrückt werden und" ,‘ _ ihren Herrn fürchten. Im Grunde durchaus konser- 'f'5 vatisi hat sie tiefen Abscheu vor allen Neuerungen ,und Fortschrittén und unbegrenzte Ehriurcht vor der '

§ 122

Tradition. (S. 37.)

§ 123

Um die? Sittlichk'eit der Massen richtig! zu be? urteilen„imuß man in Betracht Ziehen, daß im BeiSammensein' der Massenindivicluen alle individuelleri ' Hemmungen “entfallen und alle gräuSamen, brutalen, E“f'.; _ destrukfiven Inétifl-kte, die; als Überbleihsel der Urzeit im Ein'zelfl°fl.'schilimmern; zur 'fieien Triebbeiriedigung ,geweckt werdiafi:kber die Massen sind,auch _,

§ 124

unter dem E‘influßjfiler. $11ggestion ,hoher Leistungen von Entsaguflgi'*,UnEigenuützigkeit, Hingebung an

§ 125

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1]. Le Bon’s Schilderung der Massenseele 19

§ 127

ein Ideal fähig. Während der persönliche Vorteil beim isolierten Individuum so ziemlich die einzige Triebfeder ist, ist er bei den Massen sehr selten vorherrschend. Man kann von einer Versittlichung des Einzelnen durch die Masse sprechen. (S. 39.) Während die intellektuelle Leistung der Masse immer tief unter der des Einzelnen steht, kann ihr ethisches Verhalten dies Niveau ebenso hoch überragen wie tief darunter herabgehen. . _ ‘ Ein helles Licht auf die Berechtigung, die Massenseele mit der Seele der Primitiven zu identifizieren, werfen einige ’andere Züge der L e B o n’schen Charakteristik. Bei den Massen können die entgegengesetztesten Ideen nebeneinander bestehen und sich miteinander vertragen, ohne daß sich aus deren logischemWiderspruch ein Konflikt ergäbe. Dasselbe ist aber im unbewußten Seelenleben der Einie'lnen, der Kinder und der Neufotiker der Fall, wie die Psychoanalyse längst nachgewiesen hat.

§ 128

Beim kleinen Kinde bestehen 2. "B. ambivalente Getüh_lseinstellungen gegen die ihm nächsten Personen lange Zeit nebeneinander, ohne daß die eine die ihr ent,gegengesetzte in ihrem Ausdruck stört. Kommt es dann endlich zum Konflikt zwischen den beiden, so wird er oft dadurch erledigt, daß das Kind das Objekt wechselt, die eine der ambivalenten Regungen auf ein Ers-atzobjekt

§ 129

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20 -Massenpsycholozie und ich-«Analyse

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verschiebt. Auch aus der Entwibklungsgeschichte einer

§ 132

Neurose beim Erwachsenen kann man erfahren, daß eine

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unterdrückte Regung sich häufig lange Zeit in unbewußten

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oder selbst bewußten Phantasien fortsetzt, deren Inhalt

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natürlich einer herrschenden Strebung direkt zuwider

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läuft, ohne daß sich aus diesem Gegensatz ein Einschreitendes lchs gegen das von ihm Verworiene ergäbe. Die Phan—

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tasie wird eine ganze Wéile über toleriert, bis sich plötz— lich einmal, gewöhnlich infolge einer Steigerung der effek—

§ 138

tiven Besetzung derselben, der Konflikt zwischen ihr und

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dem Ich mit allen seinen Folgen herstellt.

§ 140

' In'1 Fortschritt der Entwicklung vom Kinde zum reifen'Erwachsenen kommt es überhaupt zu einer immer weiter greifenden In t e g r at i o n der Persönlichkeit, zu einer Zusammenfassung der einzelnen unabhängig voneinander in *ihr- gewachsenen Triebregungen und Zielstrebungen. Der analoge Vorgang auf dem Gebiet des Sexualiebens ist uns als Zusammenfassung aller Sexualtrieb'e zur definitii*en Genitalorganisation lange bekannt (Drei Abhandluhgen- Zur Sexiialtheorie 1905). Daß die Ver— einheitlichung des Ichs übrigens dieselben Störungen er— fahren kann wie die der Libido, zeigen vielfache, sehr “bekannte Beisniele, wie 'd-asder Naturforscher, die bihelgläubig-g‘eblieben sind u. a.

§ 141

Fernér unterliegt die Masse der wahrhaft magischen Macht von Worten, die in der Massenseele die furchtbarsten- Stürme hervorrufen und sie auch besän'itigen können..($Q 74.) „Mit Vernunft und "Ar

§ 142

. gumenten kann man gegen gewi35e Worte_und For‘ meln nicht ankäm‘p‘r'en. Man spricht sie mit Andacht

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§ 144

II. Le Bon's Schilderung der Masswseele 21

§ 145

vor den Massen aus, und sogleich werden die Mienen respektvoil und die Köpfe neigen sich. Von vielen

§ 146

werden sie als Naturkräfte oder als übernatürliche .

§ 147

Mächte betrachtet.“ (S. 75.) Man braucht sich dabei nur an die Tabu der Namen bei den Primitiven, an die magischen Kräfte, die sich ihnen an Namen und Worte knüpfen, zu erinnern*.

§ 148

Und endlich: Die Massen haben nie den Wahrheitsdrirst gekannt. Sie-fordern Illusionen, auf die sie nicht verzichten können. Das Irreale hat bei ihnen stets den Vorrang vor dem Realen, das Unwirkliche beeinflußt sie fast ebenso stark wie das Wirkliche. Sie haben die sichtliche Tendenz, zwischen beiden keinen Unterschied zu machen. (5. 47.)

§ 149

Diese Vorherrschaft des Phantasielebens und der vom unerfüllten Wunsch getragenen Illusion haben wir als bestimmend für die Psychologie der Neurosen aufgezeigt. Wir fanden, für die Neurotiker gelte nicht die gemeine objektive, sondern die psychische Realität. Ein hysterisches Symptom gründe sich auf Phantasie anstatt auf die Wiederholung Wirklichen Erlebens, ein zwangsneurotisches Schuld— bewußtsein auf die Tatsache eines bösen Vorsatzes,

§ 150

‘" Siehe Toten: und Tabu.

§ 151

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22 Massenpsychologle und Ich-Analyse

§ 153

der nie zurAusiührung gekommen. Ja wie im Traum und in der Hypnose, tritt in der Seelentätigkeit der Masse die Realitätsprüiung zurück gegen die Stärke der effektiv besetzten Wunschregungen.

§ 154

Was L e B o 11 über die Führer der Massen sagt, ist weniger erschöpfend und läßt das Gesetzmäßige nicht so deutlich durchschimmern. Er meint, sobald“ - lebende Wesen in einer gewissen Anzahl vereinigt sind, einerlei ob eine Herde Tiere oder eine Menschenmenge, stellen sie sich instinktiv unter die Autorität eines Oberhauptes. (S. 86.) Die Masse ist eine folgsame Herde, die nie ohne Herrn zu leben vermag. Sie hat einen solchen Durst zu gehorchen, daß sie sich jedem, der sich zu ihrem Herrn ernennt, instinktiv unterordnet.

§ 155

Kommt so das Bedürfnis der Masse dem Führer entgegen, so muß er ihm doch durch persönliche Eigenschaften entsprechen. Er muß selbst durch einen starken Glauben (an eine Idee) fasziniert sein, ’ um Glauben in der Masse zu erwecken, er muß einen starken, imponierenden Willen besitzen, den die willenlose Masse iron ihm annimmt. L e B an bespricht dann die verschiedenen Arten von Führern und die Mittel, duréh welche sie auf die Masse

§ 156

§ 157

11. Le Bon‘s Schilderung der Massenseele 23

§ 158

wirken. Im ganzen läßt er die Führer durch die Ideen zur Bedeutung kommen, für die sie selbst ianatisiert sind.

§ 159

Diesen Ideen wie den Führern schreibt er über-dies eine geheimnisvolle unwiderstehliehe Macht zu, die er „Prestige“ benennt. Das Prestige ist eine Art Herrschaft, die ein Individuum, ein Werk oder eine Idee über uns übt. Sie lähmt all unsere Fähigkeit zur Kritik und erfüllt uns mit Staunen und Achtung. Sie dürfte ein Gefühl hervorrufen, ähnlich wie das der Faszination der Hypnose. (S. 96.)

§ 160

Er unterscheidet erworbenes oder künstliches und persönliches Prestige. Das erstere wird bei Personen durch Name, Reichtum, Ansehen verliehen, bei" Anschauungen, Kunstwerken u. dgl. durch Tradition. Da es in allen Fällen auf die Vergangenheit zurückgreift, Wird es für das Verständnis dieses rätselhaiten Einflusses wenig leisten. Das persönliche Prestige haftet an wenigen Personen, die durch dasselbe zu Führern werden, und macht, daß ihnen alles wie unter der Wirkung eines magnetischen Zaubers gehorcht. Doch ist jedes Prestige auch vom Erfolg abhängig und geht durch Mißeriolge verloren. (S. 105.)

§ 161

§ 162

_- Museumycholoßimd lsn«Analyse

§ 163

: Man "gewinnt nicht den Eindtmk,- daB bei «Le-» _ Bim die Rolle der Führer- und- die Betonung des ,

§ 164

vorgetragefien Schilderung der ‘Massen‘seele‘ ge- « bracht worde_ti ist ‘ '

§ 165

§ 166

III. Andere Würdigungen des kollektiven Seelenlebens.

§ 167

.Wir haben uns der Darstellung von Le B o n als Einführung bedient, weil sie in der Betonung des unbewußten Se‘elenlebens so sehr mit unserer eigenen Psychologie zusammentritit. Nun müssen .wir aber hinzufügen, daß eigentlich keine der Behauptungen dieses Autors etwas Neues bringt. Alles was er Abträgliches und Hefabsetzendes über die Äußerungen der Massenseele sagt, ist schon vor ihm ebenso bestimmt und ebenso ieindselig von anderen gesagt worden, wird seit den älteSten Zeiten der Literatur von Denkern, ,Staatsmänirern und Dichtern gleichlautend so Wiederholt*. Die beiden Sätze, welche die wichtigsten Ansichten Le B o n’s enthalten, der von der_kollektiven Hemmung der intellektuellen Leistung und der von der Steigerung

§ 168

“ Vergleiche den Text und das Literaturverzelohnis in B_ Kra-äkoviö jun.. Die Psychologie der Kollektivitäten. Aus dem Kroatigchefi übersetzt von Siegmund von _Posavec. Vukova.r 1915. .

§ 169

§ 170

26 Massenpsychologie und Ich -Analyse ,

§ 171

der Aftektivität in der Masse waren kurz vorher von S i ghele formuliert worden*. Im Grunde erübrigen als L e B o n eigentümlich nur die beiden Gesichtspunkte des Unbewußten und des Vergleichs mit dem Seelenleben der Primitiven, auch diese _i natürlich oftmals vor ihm berührt. '

§ 172

Aber noch mehr, die Beschreibung und Würdigung der Massenseele, wie Le B on und die anderen sie geben, ist auch keineswegs unangeiochten geblieben. Kein Zweifel, daß alle die vorhin beschriebenen Phänomene der Massenseele richtig be- £ obachtet werden sind, aber es lassen sich auch '—. andere, geradezu entgegengesetzt wirkende Äußerungen der Massenbildung erkennen, aus denen man dann eine weit höhere Einschätzung der Massenseele ableiten muß. '

§ 173

Auch L e B o 11 war bereit zuzugestehen, daß ‘ die Sittlichkeit der Masse unter Umständen höher sein kann als die der sie zusammensetzenden Ein— 'zelnen, und daß nur die Gesamtheiten hoher Uneigennützigkeit und Hingebung fähig sind.

§ 174

(8. 38.) „Während der persönliche Vorteil beim

§ 175

f..„ MM.;L-MJ-a_‘

§ 176

" Siehe Walter Moede, Die Massen- und Sozialmychologie im kritischen Überblick. Zeitschrift für pädagogische Psychologie

§ 177

und experimentelle Pädagogik von M e u m a n n und 5 ch e 1 h n e r, ‘ XVI.. 191_5.

§ 178

§ 179

III. Andere Würdinungen des kollektiven Seelenlebens 27

§ 180

isolierten Individuum so ziemlich die einzige Triebteder ist, ist er bei den. Massen sehr selten vorherrschend.“

§ 181

Andere machen geltend, daß es überhaupt erst die Gesellschaft ist, welche dem Einzelnen die Normen der Sittlichkeit vorschreibt, während der Einzelne in der Regel irgendwie hinter diesen hohen Ansprüchen zurückbleibt. Oder, daß in Ausnahmezuständen in einer Kollektivität das Phänomen der Begeisterung zustande kommt, welches die großartigsten Masserfleistungen ermöglicht hat.

§ 182

In Betreff der intellektuellen Leistung bleibt zwar bestehen, daß die großen Entscheidungen der Denkerbeit, die tolgenschweren Entdeckungen und Problemlösungen nur dem Einzelnen, der in der Einsamkeit arbeitet, möglich sind. . Aber auch die Massenseele ist genialer geistiger Schöpfungenfähig, wie vor allem die Sprache selbst beweist, sodann das Volkslied, Folklore und anderes. Und überdies bleibt es dahingestellt, wieviel der einzelne Denker oder Dichter den Anregungen der Masse, in welcher er lebt, verdankt, ob er mehr als der Voll. ender einer seelischen Arbeit ist, an der gleichzeitig die anderen mitgetan haben.

§ 183

Angesichts dieser vollkommenen Widersprüche

§ 184

§ 185

28 Massenpsyehologle und Ich-.Analee

§ 186

scheint es ja, daß die Arbeit der Massenpsychologie ergebnislos verlaufen müsse. Allein es ist leicht, einen hoffnungsvolleren Ausweg zu finden. Man hat wahrscheinlich als „Massen“ sehr verschiedene Bildungen zusammengefaßt, die einer Sonderung bedürfen. Die Angaben von Si gb ele, L e B on und anderen beziehen sich auf Massén kurzlebiger Art, die rasch durch ein vorübergehendes Interesse aus verschiedenartigen Individuen zusammengeballt werden. Es ist unverkennbar, daß die Charaktere der revolutionären Massen, besonders der großen französischen Revolution, ihre Schilderungen beeinflußt haben. Die gegensatzlichen Behauptungen stammen aus der Würdigung jener stabilen Massen“ oder Vergesellschattungeh, in denen die Menschen ihr Leben zubringen, die sich in den Institutionen ' der Gesellschaft verkörpern. Die Massen der ersten Art sind den letzteren gleichsam aufgesetzt, wie die kurzen, aber hohen Wellen den langen Dünungen der See. ' ‘ M°Dougall, der _in seinem Buch The Group M ind " von dem nämlichen, oben Aer—

§ 187

wähnten Widerspruch ausgeht, findet die Lösung \

§ 188

desselben im Moment der Organisation. Im einfach* Cambridge. 1920. .

§ 189

§ 190

Ill. Andere Würdimnaen des kollektiven Seelenlebens 29

§ 191

sten Falle, sagt er, besitzt die Masse (group) überhaupt keine Organisation oder eine kaum nennenswerte. Er bezeichnet eine solche Masse als einen Haufen (crowd). Doch gesteht er zu, daß ein Haufen Menschen nicht leicht Zusammenkommt, ohne daß sich in ihm wenigstens die ersten Anfänge einer Organisation bildeten, und daß gerade an diesen einfachen Massen manche Grundtatsachen der Kollektivpsychologie beson-‘ ders leicht zu erkennen sind. (8. 22.) Damit sich aus den zufällig zusammengewehten Mitgliedern eines Menschenhaufens etwas wie eine Masse im psychologischen Sinne bilde, wird als Bedingung erfordert, daß diese Ein2elnen etwas miteinander gemein-haben, ein gemeinsames Interesse an einem Objekt, eine gleichartige Gefühlsrichtung in einer gewissen _Situation und (ich würde einsetzen: infolgedessen) ein gewisses Maß von Fähig- . keit sich untereinander zu beeinflussen. (Some degree of reciprocal influence between the members of the ‘ group) (3. 23.) Je stärker diese Gemeinsainke_iten (this mental homogeneity) sind,_ desto leichter bildet sich aus den Einzelnen eine psychologische Masse und desto auffälliger äußern sich die Kundgebungen einer Ma'ssenseele.

§ 192

§ 193

30 ‘ Messenllsvehologle und Ich-Analyse

§ 194

Das merkwürdigste- und zugleich wichtigste Phänomen der Massenbildung ist nun die bei jedem Einzelnen hervorgerufene Steigerung der Aftektivität (exaltation or intensitication of emotion) (S. 24). Man kann sagen, meint Mc D o u g all, daß -die Affekte der Menschen kaum unter anderen Bedingungen zu solcher Höhe anwachsen, wie es in einer Masse geschehen kann, und zwar ist es eine genußreiche Empfindung für die Beteiligten, sich so schrankenlos ihren Leidenschaften hinzugeben und dabei in der Masse aufzugehen, das Gefühl ihrer individuellen Abgrenzung zu verlieren. Dies Mitfortgerissenwerden der Individuen erklärt Mc D o ug all aus dem von ihm so genannten „principle of direct induction of eumtion by way of the primitive sympathetic response“ (S. 25), d. b. durch die uns bereits» bekannte Gefühlsansteckung. Die Tatsache ist die, daß die wahrgenommenen Zeichen eines Aitektzustandes geeignet sind, bei dem Wahrnehmenden automatisch denselben Affekt hervorzu. rufen. Dieser automatische Zwang wird umso stärker, an je mehr Personen gleichzeng derselbe Affekt bemerkbar ist. Dann schweigt die Kritik des Ein-' ' zelnen und er'läßt sich in denselben 'Aflekt gleiten. Dabei erhöht er aber die Erregung der anderen, die

§ 195

§ 196

[II. Andere Würdieumren des kollektiven Seelenleben-s 31

§ 197

auf ihn gewirkt hatten, und so steigert sich die Afiektladung der Einzelnen durch gegenseitige ,Induktion. Es istunverkenfibar etwas wie ein Zwang dabei wirksam, es den anderen gleichzutun, im Ein— klang mit den Vielen zu bleiben. Die gröberen und einfacheren Gefühlsregungen haben die größere Aussicht, sich aui solche Weise in einer Masse zu verbreiten. (S. 39.)

§ 198

Dieser Mechanismus der Affektsteigerung wird noch durch einige andere, von ,der Masse ausgehende Einflüsse begünstigt. Die Masse macht dem Einzelnen den Eindruck einer unbeschränkten Macht und einer unbesiegbaren Gefahr. Sie hat sich für den Augenblick an die Stelle der gesamten menschlichen Gesellschaft gesetzt, welche die Trägerin der Autorität ist, deren Strafen man gefürchtet, der zuliebe man sich so viele Hemmungen auferlégt hat. Es ist offenbar gefährlich, sich in Widerspruch mit ihr zu setzen,-und man ist sicher, wenn man dem ringsumher sich zeigenden Beispiel folgt, also eventuell sogar „mit den Wölien heult“. Im Gehorsam gegen die neue Autorität darf man sein früheres „Gewissen“ außer Tätigkeit setzen und dabei der Lockung des Lustgewinns nachgehen, den man sicherlich durch die Aufhebung seiner Hemmungen erzielt. Es ist

§ 199

af

§ 200

§ 201

32» Massenpsychologiel und Ich-Analyse

§ 202

also im ganzen nicht so merkwürdig, wenn wir den _

§ 203

Einz‘elnen in der Masse Dinge tun oder gutheißen sehen, von denen er sich in seinen gewohnten Lebensbedingungen abgewendet hätte, und wir

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' . können selbst die Hoffnung fassen, auf diese Weise

§ 205

ein Stück der Dunkelheit zu lichten, die man mit dern Rätselwort der „Suggestion“ zu decken pflegt.

§ 206

Dem Satz von der kollektiven fntelligenzhern

§ 207

mung in der Masse widerspricht auch M6 D o u g a 11 nicht (S. 41). Er sagt, die geringeren Intelligenzen

§ 208

ziehen die größeren auf ihr Niveau herab. Die letzte- ' "::,"i ren werden in ihrer Betätigung gehen1mt, weil die . [.11

§ 209

Steigerung der Affektivität überhaupt ungünstige Bedingungen für korrekte geistige Arbeit schafft, ferner weil die Einzelnen durch die Masse eingeschiichtert sind und ihre Denkarbeit nicht frei ist, und weil

§ 210

bei jedem Einzelnen das Bewußtsein der Verantworti

§ 211

lichkeit für seine Leistung herabgesetzt wird.

§ 212

Das Gesamturteil: über die psychische Leistung einer einfachen, „unorganisierten“ Masse lautet bei

§ 213

M°Dougall nicht freundlicher als bei Le Bon.“

§ 214

Eine solche Masse ist (S. 45): überaus erfagbar, impulsiv, leidenschaftlich, wanke‘hnütig, inkonse£

§ 215

quent, unentsch‘lossen und dabei zum äußersten

§ 216

§ 217

Ill. Andere Würdigungen des kollektiven Seelenlebens 33

§ 218

bereit in ihren Handlungen, zugänglich nur für die gröberen Leidenschaften und einfacheren Gefühle, außerordentlich suggéstibel, leichtsinnig in ihren Überlegungen, heftig in ihren Urteilen, aufnahmsfähig nur für die einfachsten und unvollkommensten Schlüsse und Argumente, leicht zu lenken und zu erschüttern, ohne Selbstbewußtsein, Selbstachtung und Verantwortlichkeitsgefühl, aber bereit, sich von ihrem Kraftbewußtsein zu allen Untaten fortreißen zu lassen, die wir nur von einer absoluten und unverantwortlichen Macht erwarten können. Sie, benimmt sich also eher wie ein ungezogenes Kind oder wie ein 1eidenschaftliclier, nicht beaufsichtigter Wilder in einer ihm fremden Situation; in den schlimmsten Fällen ist ihr Benehmen eher das eines Rüdels von wilden Tieren als von menschlichen Wesen. _

§ 219

Da M°Dougall das Verhalten der hoch organisierten Massen in Gegensatz zu dem hier Geschilderten bringt, werden wir besonders gespannt sein zu erfahren, worin diese Organisation besteht und durch welche Momente sie hergestellt wird. Der Autor zählt fünf dieser „principal conditiöns“ für die Hebung des seelischen Lebens der Masse auf ein höheres Niveau auf.

§ 220

§ 221

34 . Massenpsveholoeie und lchAnalyse

§ 222

Die erste,grundlegende Bedingung ist ein gewisses Maß von Kontinuität im Bestand der Masse. Diese kann eine materielle oder eine formale sein, das erste, wenn dieselben Personen längere Zeit in der Masse verbleiben, das andere, wenn innerhalb der Masse bestimmte Stellungen entwickelt sind, die den einander ablösenden Personen angewieserl werden. .

§ 223

Die zweite, daß sich in dem Einzelnen der Masse eine bestimmte Vorstellung von der Natur, der Funktion, den Leistungen und Ansprüchen der Masse gebildet hat, so daß sich daraus für ihn ein Gefühlsverhältnis zum Ganzen der Masse ergeben kann.-“— , < Die dritte, daß die Masse in Beziehung zu 311€le ren ihr ähnlichen, aber doch von ihr in vielen Punkten abweichenden Massenbildungen " gebracht wird, etwa daß sie mit diesen rivalisiert,

§ 224

. Die vierte, daß die Masse Traditionen, Gebräuche und Einrichtungen besitzt, besonders solche, die sich auf das Verhältnis ihrer Mitglieder

§ 225

zueinander beziehen

§ 226

Die fünfte, daß es in der Masse eine Gliederung . gibt, die sich in der Spezialisierung und Differenziéé

§ 227

§ 228

IIL Andere Würdigungen des kollektiven Seeleniebens 35

§ 229

rung der dem Einzelnen zufallenden Leistung ausdrückt. . ' Durch die Erfüllung dieser Bedingungen werden nach M°Dougall die psychischen Nachteile der Massenbildung aufgehoben. Gegen die kollektive Herabsetzung der Intelligenzleistung . schützt man sich dadurch, daß man die Lösung der intellektuellen Aufgaben der Masse entzieht und sie „ , Einzelnen in ihr vorbehält. Es scheint uns, daß man die Bedingung, die MC Don gall als „Organisation“ der Masse bezeichnet hat, mit mehr Berechtigung anders beschreiben kann. Die Aufgabe besteht darin, der Masse gerade jene Eigenschaften zu verschaffen, diefür das Individuum charakteristisch waren und die bei ihm durch die Mas“senbildung ausgelöscht wurden. Denn das Individuum hatte _— außerhalb. der primitiven Masse __ seine Kontinuität, sein Selbstbewußtsein, seine Traditionen und Gewohnheiten, seine besondere Arbeitsleistung und. Einreihung und hielt sich von anderen gesondert, mit denen es rivalisierte. Diese Eigenart hatte es durch seinen Eintritt in die nicht „organisierte“ Masse für eine Zeit verloren. Erkennt man so als Ziel, die Masse mit den Attributen des Individuums auszu

§ 230

§ 231

r ‘. . " | „_

§ 232

35 . ' Mmanp'wdmlogie und Ich-Analyse

§ 233

Siaitéfl;?gä 1'wirdman ,an eine gehaltreiche Bemerkung Von W. Tr o tte1r * gemahnt, der in der Neigung— zur Maesenbilduflg Eine biolugische Fortführung der. Vielzelligkeit aller höheren Qrganismen erblickt;i

§ 234

IV.

§ 235

‘\

§ 236

Suggestion und Libido.

§ 237

Wir sind von der Grundtatsache ausgegangen, daß ein Einzelner innerhalb einer Masse durch den Einfluß derselben eine oft tieigreiiende Veränderung _seiner seelischen Tätigkeit erfährt. Seine Atfektivität wird außerordentlich gesteigert, seine intellektuelle Leistung merklich eingeschränkt, beide Vorgänge offenbar in der Richtung einer Angleichung an die anderen Massenindividuen; ein Erfolg, der nur durch die Aufhebung der jedem ,Einzelnen eigentümlichen Triebhemmnngen und durch den Verzicht auf die ihm besonderen Ausgestaltungen seiner Neigungen erreicht werden kann. Wir haben gehört, daß diese oft unerwünschten Wirkungen durch eine höhere „Organisation“ der Massen wenigstens teil— weise hintangehalten werden, aber der Grundtatsache der Massenpsychologie, den beiden Sätzen von der Aiiektsteigerung und der Denkhemmung in

§ 238

§ 239

38 Massenn$vofiohzie und ich-Analyse

§ 240

der primitiven Masse ist dadurch nicht widerSprochen werden; Unser Interesse geht nun dahin, für diese seelische Wandlung des Einzelnen in der Masse die psychologische Erklärung zu finden. Rationelle Momente wie die vorhin erwähnte

§ 241

, Einschüchterung des Einzelnen, also die Aktion sei

§ 242

nes Selbsterhaltungsüiebes, decken offenbar die zu

§ 243

heobachtenden Phänomene nicht. Was uns sonst

§ 244

als Erklärung von den Autoren über Soziologie und Massenpsychologie geboten wird, ist immer das nämliche, wenn auch unterwechselnden Namen: das

§ 245

.Zauberwort der S-uggestion. Bei Tarde,

§ 246

hieß sie N a c h a h m u n g, aber wir müssen einem

§ 247

„Autor-recht geben, der uns vorhält, die Nachahmung

§ 248

falie unter denr"‘-Bzégriii „der Suggestion, sei eben eine _Folgé derselben". Bei ]. e B o n wurde alles Befrem

§ 249

dende der sozialen Erscheinungen auf zwei Faktoren

§ 250

zürückgeiiihrt, auf. die gegenseitige Suggestion den

§ 251

Einzelnen unfl'das Prestige der Führer. Aber das ‘ _.

§ 252

Prestige äußert sich wiederum nur in der Wirkung,

§ 253

Su—ggestion hervorzuruien. Bei Mc D o u g a 11 "

§ 254

konnten wir einen Moment lang den Eindruck emp= fangen, daß sein Prinzip der „primären Aiiektinduk

§ 255

" Bru ge ille s. L’essenoe dm phénomene social: la suggestion Revue philosophiuue XXV. 1913.

§ 256

§ 257

IV.‘ Suggestion und Libido 39

§ 258

tion“ die Annahme der Suggestion entbehrlich mache. Aber bei weiterer Überlegung müssen wir doch einsehen, daß dies Prinzip nichts anderes aus— sagt als die bekannten Behauptungen der „Nachahmung“ oder „Ansteckung“, nur unter entschiedener Betonung des aiiektiven Moments. Daß eine derartige Tendenz in uns besteht, wenn wir die Zeichen eines Aiiektzustandes bei einem anderen gewahren, in denselben Ait'ekt zu verfallen, ist un- _ zw‘eifelhaft, aber wie oft widerstehen wir ihr ertolg- , reich, weisen den Affekt ab, reagieren oft in ganz gegensätzlicher Weise? Warum also geben wir dieser Ansteckung in der Masse'regelmäßig nach? Man wird wiederum sagen müssen, es sei der suggestive Einfluß der Masse, der uns nötigt, dieser Nachahmungstendenz zu gehorchen, der den Affekt in _ uns induziert. Übrigens kommen wir auch sonst bei M: D o u gall‘ “nicht um die Suggestion herum; wir hören von ihm wie von anderen: die Massen zeichnen sich durch besondere Suggestibilität aus. Man wird so für die Aussage vorbereitet, die Suggestion (richtiger die Suggerierbarkeit) sei eben ein weiter nicht reduzierbares Urphänomen, eine Grundtatsache des menschlichen Seelenlebens. So hielt es auch B e rn h e i m, von dessen erstaunlichen

§ 259

§ 260

40 Massenpsychologie und Ich-Analyse

§ 261

Künsten ich im Jahre 1889 Zeuge war. Ich weiß mich aber auch damals an eine dumpfe Gegnerschaft gegen diese Tyrännei der Suggestion zu erinnern. Wenn ein Kranker, der sich nicht gefügig zeigte, angeschriéen wurde: Was tun Sie denn? Vous‘vous contresuggestionnez! so sagte ich mir, das sei offenbares Unrecht und Gewalttat. Der Mann habe zu Gegensuggestionen gewiß ein Recht, wenn man ihn mit Suggestionen zu untérwerien versuche. Mein Widerstand nahm dann später die Richtung einer Auflehnung dagegen, daß die Suggestion, die alles erklärte, selbst der Erklärung entzogen sein sollte. Ich wiederholte mit Bezug auf sie die alte Scherzirage ?: _

§ 262

Christoph trug Christum,

§ 263

Christus trug die ganze Welt,

§ 264

Sag’, wo‘hat Christoph Damals hin den, Fuß gestellt?

§ 265

Christophorus Christmn, sed Christus sustulit orbem: Constiterit pedib'us dic ubi Christophorus?

§ 266

Wenn ich nun “nach etwa 30jähriger Fernhaltung wieder an das Rätsel der Suggestion heran

§ 267

' Konrad Richter. Der deutsche S. Christohh. Berlin 1896. Acta Genmanlca V. 1. ‘

§ 268

§ 269

IV. Suggestion und Libido , 41

§ 270

trete, finde ich, daß sich nichts daran geändert hat. Von einer einzigen Ausnahme, die eben den Einfluß _ der Psychoanalyse bezeugt, darf ich .ja bei dieser Behauptung absehen. Ich sehe, daß man sich beson— ders darum bemüht, den Begriff der Suggestion korrekt zu formulieren, also den Gebrauch des Namens konventionell festzulegen *, und dies ist nicht überflüssig, denn das Wort geht einer immer weiteren Verwendung mit aufgelockerter Bedeutung entgegen und wird bald jede beliebige Beeinflussung bezeichnen wie im Englischen, wo „to suggest, suggestion“ unserem „nahelegen“, unserer „An- . regung“ entspricht. Aber über das Wesen der Suggestion, d. h. über die Bedingungen, unter, denen sich Beeinflussungen ohne zureichende logische Begründung herstellen, hat sich eine Aufklärung nicht ergeben. Ich würde mich der Aufgabe nicht entziehen, diese Behauptung durch die: Analyse- der Literatur dieser letzten 30 Jahre zu erhärten, allein ich unterlasse_ es, weil mir bekannt ist, daß in meiner Nähe ,eine ausführliche Untersuchung vorbereitet wird, welche sich eben diese Aufgabe gestellt hat.

§ 271

Anstatt dessen werde ich den Versuch machen,

§ 272

" So M‘Dougali im „Journal of Neurology and PsychoDatl'iologv“. Vol I. No. 1. May 1920: A note on suzgestion;

§ 273

§ 274

42 Massenpsychologle und Ich-Analyse

§ 275

zur Aufklärung der Massenpsychologie den Begriff der Libido zu verwenden, der uns im Studium der Psychoneurosen so gute Dienste geleistet hat.

§ 276

Libido ist ein Ausdruck aus der Afiektivitäts' lehre. Wir heißen so die als quantitative Größe betrachtete — wenn auch derzeit nicht meßbare — Energie solcher Triebe, welche mit alldem zu tun haben, was man als Lie b e zusammenfassen kann. Den Kern des von uns Liebe Geheißenen bildet natürlich, was man gemeinhin Liebe nennt und Was die Dichter besingen, die Geschlechtsliebe mit dem Ziel der geschlechtlichen Vereinigung. Aber wir trennen davon nicht ab, was auch sonst an dem Namen Liebe Anteil hat, einerseits die Selbstliebé, anderer$eits die Eltern- und Kindesliebe, die Freundschaft und die allgemeine Menschenliebe, auch nicht die Hingebung an konkrete Gegenstände und an abstrakte Ideen. Unsere Rechtfertigung liegt darin, daß die psychoanalytische Untersuchung uns. gelehrt

§ 277

hat, alle diese Strebungen seien;der Ausdruck der

§ 278

männlichen Triebregungen, die zwischen den Geschlechtern zur geschlechtlichen Vereinigung hindrängen, in anderen Verhältnissen zwar von diesem sexuellen Ziel abgedrängt oder in der Erreichung desselben aufgehalten werden, dabei aber doch

§ 279

§ 280

1v. 3uzzestion und Libido ' 43

§ 281

immer genug von ihrem ursprünglicheg_ Wesen bewahren, um ihre Identität kenntlich zu erhalten (Selbstaufopferung, Streben nach Annäherung)

§ 282

Wir meinen also, daß die Sprache mit dem Wort „Liebe“ in seinen vielfältigen Anwendungen eine - durchaus berechtigte Zusammenfassung geschaffen hat, und daß wir nichts Besseres tun können, als dieselbe auch unseren wissenschaftlichen Erörterungen und Darstellungen zugrunde zu legen. Durch diesen Entschlüß hat die Psychoanalyse einen Sturm von Entrüstung entfesselt, als ob sie sich einer frevelhaften Neuerung schuldig gemacht hätte. Und doch hat die Psychoanalyse mit dieser „erweiterten“ Auffassung der Liebe nichts Originelles geschaffen. Der „E r 0 s“ des Philosophen Pl & to zeigt in seiner Herkunft, Leistung und Beziehung zur Geschlechtsliebe eine vollkommene Deckung mit der Liebeskraft, der Libido der Psychoanalyse, wie N a c h m a ns o h n und P i i s t e r im Einzelnen dargelegt haben *, und wenn der Apostel Paulus in dem berühmten Brief an die Korinther die Liebe über

§ 283

alles andere preist, hat er sie gewiß im nämlichen'

§ 284

" N achmansohn, Freuds Libidotheorie verglichen mit der Erosiehte Platos. Intern. Zeitschr. f. Psychoanalyse Ill, 1915, Pfis-te r, ebd. VII. 1921.

§ 285

“„...—u...;—

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§ 287

44 Massenpsycholozie und Ich«Analyse

§ 288

„erweiterten“ Sinn verstanden ", Woraus nur zu - lernen ist, daß die Menschen ihre großen Denker nicht immer ernst nehmen, auch wenn sie sie angeblich sehr bewundern.

§ 289

Dieseliebeätriebe werden nun in der Psychoanalyse a potiori und von ihrer Herkunft her Sexualtriebe geheißen. Die Mehrzahl dei: „Gebildeten“ hat diefse Namengebung als Beleidigung, empiiunden‘ und. sich für sie gerächt, indem sie der Psychoanalyse den Vorwurf des „Pansexualismus“ entgegenschleuderte. Wer die Sexualität für etwas die men3chliche Natur Beschämendes und Erniedrigendes hält, dem steht es ja frei, sich der vornehnreren Ausdrücke Eros und Erotik zu bedienen. Ich hätte es auch selbst_von Anfang an_so tun können und hätte nur dadurch viel Wider9p‘ruch erspart. Aber “ich mochte es nicht, denn ich vermeide gern Konzessionen an die Schwachmütigkeit. Man kann nicht wissen, wohin man auf diesem Wege gerät; man gibt zuerst in Worten nach und dann allmählich auch in der Sache. Ich kann nicht finden, daß irgend ein Verdienst daran ist, sich der Sexualität zu schämen; das griechische Wort Eros, das den

§ 290

' „Wenn ich mit Menschen- und mit: EnseIzm1gen redete. und hätte der Liebe nith so wäre ich ein tönend Erz oder eine klingende Schelle". ru. ff.

§ 291

§ 292

IV. Suggestion und Libido 45

§ 293

Schimpi lindern soll, ist doch schließlich nichts anderes als die Übersetzung unseres deutschen Wortes Liebe, und endlich, wer warten kann, braucht keine Konzessionen zu machen.

§ 294

Wir werden es also mit der Voraussetzung versuchen, daß Liebesbeziehungen (inditferent ausgedrückt: Geiiihlsbindungen) auch das Wesen der Massenseele ausmachen. Erinnern wir uns daran, daß von solchen bei den Autoren nicht die Rede ist. Was ihnen entsprechen würde, ist offenbar hinter' dem Schirm, der spanischen Wand, der Suggestion verborgen. Auf zwei flüchtige Gedanken stützen wir zunächst unsere Erwartung. Erstens, daß die Masse offenbar durch irgend eine Macht zusammengehalten wird. Welcher Macht könnte man aber diese Leistung eher zuschreiben als dem Eros, der allés in der Welt zusammenhält? Zweitens, daß man den Eindruck empfängt, wenn der Einzelne m der Masse seine Eigenart aufgibt und sich von den anderen suggerieren läßt, er tue es, weil ein Bedürfnis bei ihm besteht, eher im Einvernehmen mit ihnen als im Gegensatz zu ihnen zu sein, also vielleicht doch „ihnen zuliebe“.

§ 295

§ 296

V?

§ 297

Zwei künstliche Massen: Kirche und Heer.

§ 298

'

§ 299

, Aus der Morphologie der Massen rufen w1r uns ins Gedächtnis, daß man sehr verschiede __ _g

§ 300

„ Arten von Massen und gegensätzliche Richtungen,“ - in ihrer Ausbildung unterscheiden kann. Es gibt. ‘ , sehr flüchtige Massen und höchst dauerhafte; Ühomngene, die aus gleicharügen Individuen bestehen—,' ' und méht homogene, natürliche Massen und künsthehe, die zu ihrem -'Zusa1nmenhalt auch einen äußeren Zwang erfordern; primitive Massen und gegliederte,_. hoch organisierte. AusGründen aber, in '-welche—_ ,die. Einsicht noeh verhith ist, möchten

§ 301

_ wir auf eine Uhterscheidungbesonderen Wert legen, die bei den Autoren“ eher zu wenig beachtet wird; ich meine die von fiihreilosen Massen und von solchen mit Führern. Und recht im Gegensatz zur gewohnten Übung soll unsere Untersuchung nicht eine relativ ehfache'Massenbfldmg zum Ausgangs- "

§ 302

§ 303

V. Zwei künstliche Mass-en: Kirche und Heer 47

§ 304

punkt wählen, sondern an hoch organisierten, dauerhaften, künstlichen Massen beginnen. Die interessantesten Beispiele solcher Gebilde sind die Kirche, die Gemeinschaft der Gläubigen, und die Armee,

§ 305

das Heer. Kirche und Heer sind künstliche Massen, das

§ 306

heißt, es wird ein gewisser äußerer Zwang aufgewendet, um sie vor der Auflösung zu bewahren und Veränderungen in ihrer Struktur hintanzuhalten. Man wird in der Regel nicht befragt oder es wird ‘ einem nicht frei'gestellt, ob man in eine solche Masse eintreten will; der Versuch des Austritts wird gewöhnlich verfolgt oder strenge bestraft oder ist an ganz bestimmte Bedingungen geknüpft. Warum diese Vergesellschaftungen so besonderer Sicherungen bedürfen, liegt unserem Interesse gegenwärtig -ganz ferne. Uns zieht nur der eine Umstand an, daß‘ man an diesen hocharganisie'rten, in solcher Weise vor dem. Zerfall geschützten Massen mit großer Deutlichkeit gewisse Verhältnisse erkennt, die anderswo weit mehr verdeckt sind. _ In der Kirche — wir können mit Vorteil "die katholische Kirche zum Muster nehmen —— gilt wie im Heer; so verschieden beide sonst sein mögen, die

§ 307

nämliche Vorspiegelung (Illusion), daß ein Oberhaupt . {.

§ 308

§ 309

48 ‘ Massmnsyeholcsle und Ich—Amlyse

§ 310

da ist, — in der katholischen Kirche Christus, in der Armee der Feldherr — das alle Einzelnen der Masse _ mit der gleichen Liebe liebt. An dieser Illusion hängt alles; ließe man sie fallen, so zerfielen sofort, soweit der äußere Zwang es gestattete, Kirche wie Heer. Von Christus wird diese gleiche Liebe ausdrücklich ausgesagt: Was ihr getan habt Einem unter diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan, Er steht zu den Einzelnen der gläubigen Masse im Verhältnis eines gütigen älteren Bruders, . ist ihnen ein Vaterersatz. Alle Anforderungen an die Einzelnen leiten sich von dieser Liebe Christi ab. Ein demokratischer Zug geht durch die Kirche, eben weil vor Christus alle gleich sind, alle den gleichen Anteil an seiner Liebe - haben. Nicht ohne tiefen Grund wird die Gleichartigkeit der christlichen Gemeinde mit einer Familie heraui- ' beschworm und nennén sich die Gläübigen‘ßrüder, in Christo, d. h. Brüder durch die Liebe, die Christus ‘ für sie hat. Es ist nicht zu bezweifeln, daß die Bindung jedes'Einzelnen an Christus auch die Ursache ihrer Bindung unter einander ist. Ähnliches gilt für das Heer; der Feldhen° ist der Vater, der alle seine Soldaten gleich liebt, und darum sind sie Kameraden untereinander. Das Heer unterscheidet sich struk

§ 311

§ 312

V. Zwei künstliche Massen: Kirche und Heer 49

§ 313

turell von der Kirche darin, daß es aus einem Stufenbau von solchen Massen besteht. Jeder Hauptmann ist gleichsam der Feldherr und Vater seiner Abteilung, jeder Unteroffizier der seines Zuges. Eine ähnliche Hierarchie ist zwar auch in der Kirche ausgebildet, spielt aber in ihr nicht dieselbe ökonomische Rolle,‘ da man Christus mehr _Wissen und Bekümmern um die Einzelnen zuschreiben darf als dem menschlichen Feldherrn.

§ 314

Gegen diese Auffassung der lihidinösen Struktur einer Armee wird man mit Recht einwenden, daß die Ideen des Vaterlandes, des nationalen Ruhms u. a., die für den Zusammenhalt der Armee so bedeutsam sind, hier keine Stelle gefunden haben. Die Antwort darauf lautet, dies sei ein anderer, nicht mehr so ,einfacher Fall von Massenbindung, und wie die Beispiele großer Heeriiihrer, Caesar, Wallenstein, Napoleon, zeigen, sind solche Ideen für den Bestand einer Armee nicht unentbehrlich. Von dem möglichen Ersatz des Führers durch eine führende Idee und den Beziehungen zwischen beiden wird später kurz die Rede sein. Die Vernachlässigung dieses libidinösen Faktors in der Armee, auch dann, wenn er nicht der einzig wirksanie ist, scheint nicht nur ein theoretischer Mangel, sondern auch eine praktische Gefahr. Der preußische Militarismus, der ebenso unpsychologisch war wie die ,deutsche Wissenschaft, hat dies vielleicht im großen Weltkrieg erfahren müssen. Die Kriegsneürosen, welche die deutsche Armee zersetzten, sind ja bekanntlich als Protest des Einzelnen gegen die ihm in der Armee

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§ 316

50 Mmssenmyehologie und Ich-Analyse

§ 317

Zugemutete Rolle erkannt werden, und nach den Mit— teilungen von E. Simmel* darf man behaupten, daß die lieblose Behandlung des gemeinen Mannes durch seine Vorgesetzten obenan unter den Motiven der Erkrankung stand. Bei besserer Würdigung dieses Libidoanspruches hätten wahrscheinlich die phantastischen Versprechungen der 14 Punkte des amerikanischen Präsidenten nicht so leicht Glauben gefunden und das großartige Instrument wäre den deutschen Kriegsktinstlern nicht in der Hand

§ 318

„ zerbrochen.

§ 319

Merken wir an, daß in diesen beiden künstlichen Massen jeder Einzelne einerseits an den Führer » , (Christus, Feldberrn), andererseits an die anderen ;,1-Ü' Massenindividuen libidinös gebunden ist. Wie sich _ diese beiden Bindungen zueinander verhalten, ob f,_:_, . sie glerchartrg und gleichwertig sind und wie sie' -:,._'.-_ psychologisch zu beschreiben wären, das müssen " wir einer späteren Untersuchung vorbehalten. Wirgetrauen_ uns aber jetzt schon eines leisen Vorwurfes ;f gegen die Autoren, daß sie die Bedeutung des Füh mm für die. Psychologie der Masse nicht genügend?" gewürdigt haben, während uns die Wahl des ersten Untersuchungsobjekts in eine günstigere Lage ge- "‘ bracht hat. Es will uns scheinen, als befinden W11'

§ 320

* Krlezsneurosen und ,Psychisches Traum“ ,München 1918.

§ 321

§ 322

v. Zwei künstliche Massen: Kirche ui1d Heer 51

§ 323

Einzelnen in der Masse, aufklären kann. Wenn für jeden Einzelnen eine so ausgiebige Geiühlsbindung nach zwei Richtungen besteht, so wird es uns nicht schwer werden, aus diesem Verhältnis die beobachtete Veränderung und Einschränkung seiner Persönlichkeit abzuleiten.

§ 324

Einen Wink ebendahin, das Wesen einer Masse bestehe in den in ihr vorhandenen libidinösen Bindungen, erhalten wir auch in dem Phänomen der Panik, welches am besten an militärischen Massen zu studieren ist. Eine Panik entsteht, Wenn eine solche Masse sich zersetzt. Ihr Charakter ist, daß kein Befehl des Vorgesetzten mehr angehört wird, und daß jeder für sich selbst sorgt ohne Rücksicht auf die anderen. Die gegenseitigen Bindungen haben aufgehört und eine riesengroße, sinnlose Angst wird frei. Natürlich wird auch hier wieder der Einwand naheliegen,- es sei vielmehr umgekehrt, indem die Angst so groß gewachsen sei, daß sie sich über alle Rücksichten und Bindungen hinaussetzen konnte. M°Dougall hat sogar (S. 24) den Fall der Panik (allerdings der nicht militärischen) als Musterbäspiel für die von ihm betonte Afiektsteigerung durch Ansteckung (primary induction) verwertet. Allein diese rafionelle Erklärungsweise geht hier

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§ 326

52 _ Massenpsychologie und Iohq\nalyse

§ 327

doch ganz fehl. Es steht eben zur Erklärung, warum die Angst so riesengroß geworden ist. Die Größe der Gefahr kann nicht beschuldigt werden, denn die— selbe Armee, die jetzt der Panik verfällt, kann ähnlich große und größere Gefahren tadellos bestanden haben, und es gehört geradezu zum Wesen der Panik, daß sie nicht im Verhältnis zur drohenden Gefahr steht, oft bei den nichtigsten Anlässen ausbricht. Wenn der Einzelne in panischer Angst für

§ 328

siehselbst zu sorgen unternimmt, so bezeugt er da- mit die Einsicht, daß die affektiven Bindungen auf- '

§ 329

gehört haben, die bis dahin die Gefahr für ihn herab

§ 330

setzten. Nun, da er der Gefahr allein entgegensteht, _ darf er sie allerdings höher einschätzen. Es verhält “3

§ 331

Sich. also;-so, daß die panische Angst die Locke; rung in der libidinösen Struktur der Masse voraus

§ 332

setzt und' m berechtigter Weise auf sie reagiert, nicht

§ 333

umgekehrt, daß die Libidobindungen der Masse an

§ 334

der Angst vor der Gefahr zugrunde geEangen Wären. ,

§ 335

Mit dieseii Bemerkungen wird der Behauptung, daß die Angst in der Masse durch Induktion (Ansteckung) in's Ungeheure wachse. keineswegs wider5prochen. Die M°Doug all’ sche Auffassung ist durchaus zutreffend

§ 336

fiir den Fall, daß “die Gefahr eine real große ist und daß in ' _ '

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der _ Masse keine stafkefl Gefühlsbindungen bestehen, Bedmg‘uugen, die verwirklicht Werden, wenn 2. B. in

§ 338

§ 339

V. Zwei künstliche Massen: Kirche und Heer 53

§ 340

einem Theater oder Unterhaltungslokal Feuer ausbricht. Der lehrreiche und für unsere Zwecke verwertete Fall ist der oben erwähnte, daß ein Heereskörper in Panik gerät, wenn die Gefahr nicht über das gewohnte und oftmals gut vertragene Maß hinaus gesteigert ist. Man wird nicht erwarten dürfen, daß der Gebrauch des

§ 341

Wortes „Panik“ scharf und eindeutig bestimmt sei.

§ 342

Manchmal bezeichnet man so jede Massenangst, andere Male auch die Angst eines Einzelnen, wenn sie über jedes Maß hinausgeht, häufig scheint der Name für den Fall reserviert, daß der Angstausbruch durch den Anlaß nicht gerechtfertigt wird. Nehmen wir das Wort „Panik“ im Sinne der Massenangst, so können wir eine weitgehende Analogie behaupten. Die Angst des lndividuums wird hervorgerufen entweder durch die Größe der Gefahr oder durch das Auflassen von Gefühlsbindungen (Libidobesetzungen); der letztere Fall ist der der neurotischen Angst. (5. Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, XXV., 3. Aufl., 1920.) Ebenso entsteht die Panik durch die Steigerung der Alle betreffenden Gefahr oder durch das Aufhören der die Masse zusammenhaltenden Gefühlsbindungen, und "dieser letzte Fall ist der neu_rotischen Angst analog. (Vgl. hiezu den gedankenreichen, etwas phantastischen Aufsatz von Bela v. Felszeghy: Panik und Pankomplex, „lmago“, VI, 1920.)

§ 343

Wenn man die Panik wie M°Dougall (l. c.) als eine der deutlichsten Leistungen des „group mind“ beschreibt, gelangt man zum Paradoxon, daß sich diese Massenseele in einer ihrer auffälligsten Äußerungen selbst aufhebt. Es ist kein Zweifel möglich, daß die Panik die Zersetzung der Masse bedeutet, sie hat das Aufhöre'n aller Rücksichten zur Folge, welche sonst die Einzelnen der Masse für einander zeigen.

§ 344

mws‘a;.l und:.M ..

§ 345

§ 346

54 Massenmvchologle und Ich-Analyse

§ 347

Der typische Anlaß für den Ausbruch einer Panik ist so ähnlich, wie er in der N e st r 0 y’schen Parodie des H eb b el schen Dramas von Judith und Holoiernes dargestellt wird. Da schreit ein Krieger: „Der Feldherr hat den K0pi Verloren“, und darauf ergreifen alle Assyrer die Flucht. Der Verlust des Führers in irgend einem Sinne, das Irrewerden an ihm bringt die Panik bei gleichbleibender Gefahr zum Ausbruch; mit der Bindung an den Führer schwinden —— in der Regel —— auch die gegenseitigen Bindungen der Massenindividuen. Die Masse zerstiebt wie ein Bologneser Fläschchen, dem man die Spitze abgebrochen hat.

§ 348

Die Zersetzung einer religiösen Masse ist nicht so leicht zu beobachten.. Vor kurzem geriet mir ein von katholischer Seite stammender, vom Bischof von London empiohlener englischer Roman in die Hand

§ 349

mit dem Titel: „When it was dark“, der eine solche _

§ 350

' Möglichkeit und ihre Folgen in geschickter und, wie ich meine, zutrefiender Weise ausmalte. Der ' Roman erzählt wie aus der Gegenwart, daß es einer Verschwörung von Feinden der Persori Christi und des christlichen Glaubens gelingt, eine Grabkammer in Jerusalem auftinden zu lassen, in deren Inschrift Josef von Arimathäa bekennt,

§ 351

§ 352

V. Zwei künstliche Massen: Kirche und Heer _ 55

§ 353

daß er aus Gründen der Pietät den Leichnam Christi am dritten Tag nach seiner Beisetzung heimlich aus seinem Grab entfernt und hier bestattet habe. Damit ist die Auferstehung Christi und seine _ göttliche Natur abgetan und die Folge dieser archäologischen Entdeckung ist eine Erschütterung , der europäischen Kultur und eine außerordentliche Zunahme aller Gewalttaten und Verbrechen, die erst schwindet, nachdem das Komplett der Fälscher enthüllt werden kann.

§ 354

Was bei der hier angenommenen Zersetzung der 'religiösen Masse zum Vorschein kommt, ist nicht ' Angst, für welche der Anlaß fehlt, sondern rücksichtslose und feindselige Impulse gegen andere Personen, die sich bis dahin dank der gleichen Liebe Christi nicht äußern konnten *. Außerhalbdieser Bindung stehen aber auch während des Reiches Christi jene Individuen, die nicht zur Glaubens— gemeinschait gehören, die ihn nicht lieben und die ‘er nicht liebt; darum muß eine Religion, auch wenn sie sich die Religion der Liebe heißt, hart und lieblos gegen diejenigen sein, die ihr nicht angehören. Im Grunde ist ja jede Religion eine solche Reli

§ 355

* Vgl. hlezu die Erklärung ähnlicher Phänomene nach dem Wegiall der landesväterliohe-n Autorität bei P. Federn, Die vaterlose Gesellschaft. Wien» Anzengr-uher-Verlag. 1919.

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§ 357

56 Massensévchoiosie und Ich-Analyse

§ 358

gion der Liebe für alle, die sie umfaßt, und jeder liegt Grausamkeit und Intolerariz gegen die nicht dazugehörigen nahe. Man darf, so schwer es einem auch persönlich fällt, den Gläubigen daraus-keinen zu argen Vorwurf machen; Ungläubige und Indifferente haben es in diesem Punkte psychologisch umso viel leichter. Wenn diese Intoleranz sich heute nich-t mehr so gewalttäüg und grausam kundgibt wie in früheren Jahrhunderten, so wird man daraus kaum auf eine Milderung in den Sitten der Menschen schließen dürfen. Weit eher ist die Ursache davon in der unleugbaren Abschwächung der religiösen Gefühle und der von ihnen abhängigen libidinösen Bindungen zu suchen. Wenn eine andere Massenbindung an die Stelle der religiösen tritt, wie es jetzt der sozialistischen zu gelingen scheint, SQ wird sich dieselbe, Intoleranz gegen die Außenstehenden ergeben wie im Zeitalter der Religionskämpfe, und wenn die Differenzen wissenschaftlicher Anschauungen je eine ähnliche Bedeutung für die Massen gewinnen könnten, würde sich das

§ 359

‘ selbe Resultat auch für diese Motivierung wieder

§ 360

holen.

§ 361

§ 362

V1.

§ 363

Weitere Aufgaben und Arbeitsrichtungen.

§ 364

Wir haben bisher zwei artifizielle Massen untersucht und gefunden, daß sie von zweierlei Gefühlsbindungen beherrscht werden, von denen die eine an den Führer — wenigstens für sie — bestimmender zu sein scheint als die andere, die der Massenindividuen aneinander.

§ 365

Nun gäbe es in der Morphologie der Massen noch viel zu untersuchen und zu beschreiben. “Man hätte von der Feststellung auszugehen, daß eine bloße Menschenmengé noch keine Masse ist, so lange sich jene Bindungen in ihr nicht hergestellt haben, hätte aber das Zugeständnis zu machen, daß in einer beliebigen Menschenmenge sehr“ leicht die Tendenz zur Bildung einer psychologischen Masse hervortritt. Man müßte den verschiedenarügen, mehr ‘ oder minder beständigen Massen, die spontan zustande kommen, Aufmerksamkeit schenken, die Be

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§ 367

58 ' Massenpsychologie und Ich-«Analyse

§ 368

dingungen ihrer Entstehung und ihres Zerfalls studieren. Vor allem würde uns der Unterschied zwi— schen Massen, die einen Führer haben, und führerlosen Massen beschäftigen. Ob nicht die Massen mit Führer die ursprünglicheren und vollständigeren sind, ob in den anderen der Führer nicht durch eine Idee, ein Abstraktüm ersetzt sein kann, wow ja schon die religiösen Massen mit ihrem unaufzeigbaren Oberhaupt die Überleitung bilden, ob nicht eine gemeinsame Tendenz, ein Wunsch, an dem eine Vielheit Anteil nehmen kann, den nämlichen Ersatz leistet. Dieses Abstrakte könnte sich wiederum mehr oder weniger vollkommen in der Person eines gleich

§ 369

_ sam sekundären Führers verkörpern, und aus der 'Beziehung zwischen Idee und Führer ergäben sich

§ 370

interessante Mannigt'altigkeitén. Der Führer oder ,die führende Idee könnten auch sozusagen negativ werden; der Haß gegen eine bestimmte Person oder Institution könnte ebenso einigend wirken und ähnliche _Gefühlsbindnngen hermrrufen. wie die positive Anhänglichkeit. Es fragte sich dann auch, ob der Führer für das Wesen der Masse wirklich unerläßlich ist u.a. m.

§ 371

' Aber all diese Fragen, die zum Teil auch in der Literatur der Massehpsychologie behandelt sein

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§ 373

VI. Weitere Aufgaben und Arbeitsrichtungen 59

§ 374

mögen, werden nicht imstande sein, unser Interesse von den psychologischen Grundproblemen abzulenken, die uns in der Struktur einer Masse geboten werden. Wir werden zunächst von einer Überlegung gefesselt, die uns auf dem kürzesten Weg den Nachweis verspricht, daß es Libidobindungen sind, welche eine Masse charakterisieren.

§ 375

_! Wir halten uns vor, wie sich die Menschen im allgemeinen affektiv zueinander verhalten. Nach dem berühmten S c ho p e n h a u e r’schen Gleichnis von den iriereuden Stachelschweinen verträgt keiner eine allzu intime Annäherung des anderen.

§ 376

„Eine Gesellschaft Stachelschweine drängte sich, an einem kalten Wintertage, recht nahe zusammen, um durch die gegenseitige Wärme, sich vor dem Erfrieren zu schützen. Jedoch bald empianden sie die gegenseitigen Stacheln, welches sie dann wieder voneinander entfernte. Wenn nun das Bedürfnis der Erwärmung sie wieder näher zusamrnenbrachte, wiederholte sich jenes zweite Übel, so daß sie zwischen beiden Leiden hin— und hergeworien wurden, bis sie eine mäßige Entfernung herausgefunden hatten, in der sie es am besten aushalten konnten.“ (Parerga und Paralipomena, II. Teil, XXXL, Gleichnisse und Parabeln.)

§ 377

Nach dem Zeugnis der Psychoanalyse hinterläßt fast jedes intime Gefühlsverhältnis zwischen zwei Personen von längerer Dauer —_ Ehebeziehung,

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§ 379

60 Massenpsychotogie und Ich-Analyse

§ 380

Freundschaft, Eltern- und Kindschait* — einen Bodensatz von ablehnenden, feindseligen Gefühlen, der erst durch Verdrängung beseitigt werden muß. Unverhüllter ist es, wenn jeder Kompagnon mit seinem Gesellschafter hadert, jeder Untergebene gegen seinen Vorgesetzten murrt. Dasselbe geschieht dann, wenn ‘die Menschen zu größeren Einheiten zusammentret'en. Jedesmal, wenn sich zwei Familien durch eine Eheschließung verbinden, hält sich jede _ von ihnen für die bessere oder vornehmere auf Kosten der anderen. Von zwei benachbarten Städten wird jede zur mißgünstigen Konkurrentin' der anderen; jedes Kantönli sieht geringschätzig auf das andere herab. Nächstverwandte Völkerstämme stoßen einander ab, der Süddeutsche mag den Norddeutschen nicht leiden, der Engländer sagt dem Schotten alles Böse nach, der Spanier verachtet den Portugiesen. Daß bei größeren Differenzen sich eine schwer zu überwindende Abneigung ergibt, des Galliers gegen den Germanen, des Ariers gegen den Semiten, des Weißen gegen den Farbigen, hat aufgehört uns zu verwundern.

§ 381

" Vielleicht mit einzige;- Amnahme der Beziehung der Mutter zum Sohn. die auf Narzißmus «gründet. durch spätere Rivailität nich; gestögt und durch einen Ansatz zur sexuellen Objekth verstär t wir .

§ 382

? 27 11 _ 4

§ 383

§ 384

VI. Weitere Aufgaben und Arbeitsrichtungen 61

§ 385

Wenn sich die Feindseligkeit gegen sonst geliebte Personen richtet, bezeichnen wir es als Gefühlsambivalenz und erklären uns diesen Fall in wahrscheinlich allzu rationeller Weise durch die vielfachen Anlässe zu Interessenkonflikten, die sich gerade in so intimen Beziehungen ergeben. In den unverhüllt hervortretenden Abneigungen und Abstoßungen gegen nahestehende Fremde können wir den Ausdruck einer Selbstliebe, eines Narzißmus, er— kennen, der seine Selbstbehauptung anstrebt und sich so benimrnt, als ob das Vorkommen einer Ab“weichung von seinen individuellen Ausbildungen eine Kritik derselben und eine Aufforderung sie umzugestalten mit sich brächte. Warum sich eine so große Empfindlichkeit gerade auf diese Einzelheiten' der Differenzierung geworfen haben sollte, wissen wir nicht; ' es ist aber unverkennbar, daß sich in diesem ganzen Verhalten der Menschen eine Haßbereitschait, eine Aggressivität kui1dgibt, deren Herkunft unbekannt ist, und der man einen elementaren Charakter zusprechen möchte.

§ 386

In einer kürzlich (1920) veröffentlichten Schritt „Jenseits des Lustprinzips" habe ich versucht, die Polarität von Lieben und Hassen mit einem angenommenen Gegensatz von Lebens- und Todestrieben zu verknüpfen,

§ 387

5

§ 388

§ 389

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§ 390

62 _ Maßenpsychdlogie und Ich—Analyse

§ 391

; und die Sexualtriebe als die reinsten Vertreter der ersteren, der Lebenstriebe, hinzustellen.

§ 392

Aber all diese Intoleranz schwindet, zeitweilig oder dauernd, dürch die Massenbildung und in der

§ 393

Masse. Solange die Massenbildung anhält oder so-_ _. :“?

§ 394

weit sie reicht, benehmen sich die Individuen “als Wären sie gleichi'örmig, dulden sie die Eigenart des anderen, stellen sich ihm gleich und verspüren kein Gefühl der Abstoßung gegen ihn. Eine solche Einschränkung des Narzißrnus kann nach unseren theoretischen Anschauungen nur durch ein Moment er. z'eugt werden, durch libidinöse Bindung an andere Personen. Die Selbstfiebe findet nur an der Fremd' fiebé,"Liebe zu Objekten, eine Schranke*. Man wird

§ 395

sofort—die “Frage “aufwerien, ob nicht die Interessen- ‘ ":>

§ 396

gemeins'chaft, an und für sich und ohne jeden libidinösen Beitrag, zur Duldung des anderen und zur ' Rücksidltnahme auf ihn führen muß. Man wird diesem Einwand mit dem Bes'cheid begegnen, daß auf Solche—Weise; eiiiebléibéridé Einschränkung des Narzißmus doch nicht zustande kommt, da diese Toleranz nicht länger anhält als der unmittelbare Vorteil, den man aus der Mitarbeit des anderen zieht,

§ 397

- '- S. zur Einführung des Nadißmus 1914. San-min klei er Schritten zur Neurosml‘ehre. vierte Folge 1918. m u

§ 398

§ 399

VI. Weitere Aufgaben und Arbeitsricht—ungen 63

§ 400

Allein- der praktische Wert dieseriStreitirage ist ge; finger, als man meinen sollte, denn die Erfahrung hat gezeigt, daß sich im Falle der Mitarbeiterschaft

§ 401

regelmäßig libidinöse Bedingungen zwischen den

§ 402

Kameraden herstellen, welche die Beziehung zwischen ihnen über das Vorteilhafte hinaus verlängern ’ und fixieren. Es geschieht in den sozialen Beziehungen der Menschen dasselbe, was der psychoanalytischen Forschung in dem Entwicklungsgang der individuellen Libido bekannt geworden ist. Die Libido lehnt sich an die Befriedigung der-großen Lebensbedürfnisse an und Wählt die daran beteiligten Personen zu ihren ersten Objekten. Und wie beim Einzelnen, so hat auch in der Entwicklung der ganzen

§ 403

Menschheit nur die Liebe als Kulturtaktor im Sinne

§ 404

einer Wendung vom Egoismus zum Altruismus gewirkt. Und zwar sowohl die geschlechtliche Liebe zum Weihe mit all den aus ihr fließenden Nötigungen das zu verschonen, was dem Weihe lieb war,

§ 405

als auch die descxualisierte, sublimiert homosexuelle

§ 406

Liebe zum anderen Manne, die sich aus der gemeinsamen Arbeit ergab. '

§ 407

Wenn also in der Masse Einschränkungen der narzißtischen Eigenfiebe auftreten, die außerhalb'der—' selben nicht wirken, so ist dies ein zwinger'1der Hin—

§ 408

,.

§ 409

hahm‘ißatinittébd!tflüatiib

§ 410

h .

§ 411

5'9'3f'hm

§ 412

64 Massenrpsychologie und Ioh4-nalys-e

§ 413

weis darauf, daß das Wesen der Massenbildung in V —

§ 414

neuartigen libidinösen Bindungen der Massenmitglieder aneinander besteht.

§ 415

_ Nun wird aber unser Interesse _ dringend tragen, welcher Art diese Bindungen in der Masse sind. In "der psychoanalytischen Neurosenlehre haben wir uns bisher fast ausschließlich mit der Bindung solcher Liebestriebe an ihre Objekte beschäftigt, die.

§ 416

noch direkte Sexualziele verfolgen. Um solche Sexual- _

§ 417

ziele kann es sich in der Masse offenbar nicht han

§ 418

dein. Wir haben es hier mit Liebestrieben zu tun,.

§ 419

die ohne-« dar-um minder energisch zu Wirken, doch

§ 420

von ihren ursprünglichen Zielen abgelenkt sind. Nun haben wir bereits im Rahmen der gewöhnlichen

§ 421

sexuellen Objektbes'etzung Erscheinungen bemerkt, die einer Ablenkung des Triebe von seinem Sexualziel entsprechen. Wir haben sie als Grade von Verliebth'eit beschrieben und erkannt, daß sie eine ge

§ 422

wisse Beeinträchtigung des Ichs mit sich bringen. ‘

§ 423

Diesenlirscheinungiäir der—Verliebtheit werden wir jetzt eingehendere Aufmerksamkeit zuwenden, in der begründeten Erwartung, an ihnen Verhältnisse zu finden, die sich auf die Bindungen in den Massen übertragen lassen. Außerdem möchten wir aber wissen, ob diese Art der Objektbesetzung, wie wir

§ 424

§ 425

VI. Weitere Auigahen [.in Arbeitsrichtungen 65

§ 426

sie aus dem Geschlechtsleben kennen, die einzige. Weise der Geiühlsbindung an eine andere Person darstellt, oder ob wir noch andere solche Mechanismen in Betracht zu ziehen haben'. Wir' erfahren tatsächlich aus der Psychoanalyse, daß es noch andere Mechanismen der Gefühlsbindung gibt, die sogenannten ld e n t i f i z i e r u n g e n, ungenügend bekannte, schwer darzustellende Vorgänge, deren Untersuchung uns nun eine gute Weile vom Thema der Massenpsychologie fernhalten wird.

§ 427

§ 428

_ VII.

§ 429

Die Identifizierung.

§ 430

Die Identifizierung ist der Psychoanalyse als früheste Äußerung einer Gefühlsbindung an eineandere Person bekannt. Sie spielt in der Vor

§ 431

' geschichte des Ödipuskomplexes eine Rolle. Der . kleine Knabe legt ein besondereslnteresse für seinen Vater an.den Tag, er möchte so werden und so sein Wie er, in allen Stücken an seine Stelle treten. Sagen Wir ruhig: er nimmt den Vater zu seinem Ideal. Dies Verhalten hat nichts rnit einer passiven oder femininen Einstellung zum Vater (und zum Manne überhaupt) zu tun, es ist vielmehr exquisit männlich. Es verträgt sich sehr wohl mit dern Ödipuskomplex, den es vdrbereiten hilft. ‘ Gleichzeitig mit dieser Identifizierung mit dem Vater oder etwas später, hat der Knabe begonnen, eine richtige Objektbesetzung der Mutter nach dem Anlehnungstypus vorzunehmen. Er zeigt also dann

§ 432

§ 433

VII. Die Identifizierung 67

§ 434

zwei psychologisch verschiedene Bindungen, zur Mutter ein; glatt sexuelle Objektbesetzung, zum Vater eine vorbildliche Identifizierung. Die beiden bestehen eine Weile nebeneinander, ohne gegenseitige Beeinflussung oder Störung. Infolge der unaufhaltsam fortschreitenden Vereinheitlichung des Seelenlebens treffen sie sich endlich und durch dies Zusammenströmen entsteht der normale Ödipuskomplex.‘ Der Kleine merkt, daß ihm der Vater bei der Mutter im Wege steht; seine Identifizierung mit dem Vater nimmt jetzt eine feindselige Tönung an und wird mit dem Wunsch identisch, den Vater auch bei der Mutter 2u- ersetzen. Die Identifizieng ist eben von Anfang an ambivalent, sie kann sich _ ebenso zum Ausdruck der Zärtlichkeit wie zum Wunsch der Beseitigung wenden. Sie benimmt sich wie ein Abkömmling der ersten 0 r ale 11 Phase der Libidoorganisation, in welcher man sich das begehrte und geschätzte Objekt durch Essen einverleibte und es dabei als solches vernichtete. Der Karinibale bleibt bekanntlich auf diesem Standpunkt stehen; er hat seine Feinde zum Fressen lieb, und er frißt nur die, die erlieb hat *. '

§ 435

" 5. Drei Abhändlungen zur Sexualtheorie und Abraham: ..Untersuohungen über die früheste Bränenibazle Entwicklumsbufe

§ 436

§ 437

68 Massennsychoiog‘ie und Ich—Analyse

§ 438

Das Schicksal dieser Vateridentifizierung ver— liert man später leicht aus den Augen. %s kann dann geschehen, daß der Ödipuskomplex eine Umkehrung erfährt, daß der Vater in femininer Einstellung zum Objekte genommen wird, von dem die direkten Sexualtriebe ihre Befriedigung erwarten, und dann ist die Vateridentifizierung zum Vorläufer der Objektbindung an den Vater geworden. Dasselbe gilt mit den entsprechenden Ersetzungen auch für die kleine Tochter.

§ 439

Es ist leicht, den Unterschied einer, solchen Vateridentifizierung von einer Vaterobjektwahl in einer Formel auszusprechen. Im ersten Falle ist der Vater das, was man 3 ein, im zweiten das, was man 11 a b e n möchte. Es ist also der Unterschied, _ob die Bindung am Subjekt oder am Objekt des Ichs angreift. Die erstere. ist darum bereits vor jeder sexuellen Objektwahl möglich. Es ist weit schwieriger, diese Verschiedenheit metapsychologisch anschaulich darzustellen. Man erkennt nur, die Identifizierung strebt danach, das eigene Ich ähnlich zu gestalten wie das andere zum „Vorbild“ genommene.

§ 440

der Libido“. intern. Zeitschr. i. Psychoanalyse IV. 1916. auch in dessen „Klinische Beiträge zur Psychoanalyse.“ intern. 'DSYChoanalYt. Bibliothek Bd. 10, 1921.

§ 441

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§ 442

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§ 443

§ 444

VII. Die Identifizierung. 69

§ 445

Aus einem verwickeltefen Zusammenhange lösen wir die Identifizierung bei einer neurotischen Symptombildung. Das kleine Mädchen, an das wir uns jetzt halten wollen, bekomme dasselbe Leidenssymptom wie seine Mutter, 2. B. denselben quälenden Husten. Das kann nun auf verschiedenen Wegen zugeben. Entweder' ist die Identifizierung dieselbe" aus dem Ödipuskomplex, die ein teindseliges Ersetzenwollen der Mutter bedeutet, und das Symptom drückt die Objektliebe zum Vater aus; es realisiert die Ersetzung der Mutter unter dem Einfluß des Schuldbewußtsejns: Du hast die Mutter sein wollen, jetzt bist du’s wenigstens im Leiden. Das ist dann der komplette Mechanismus der ,hysterischen Symptombildung. Oder aber, das Symptom ist dasselbe wie das der geliebten Person (so wie z. B. Dora im „BruchStück einer Hysterieanalyse“ den Husten des Vaters imitiert); dann können wir den Sachverhalt nur so beschreiben, die Identiiizierungsei an Stelle der Objektwahl getreten, die 0bje'ktwahl sei zur Identifizierung regrediert. Wir haben gehört, daß die Identifizierung die früheste und ursprünglichste Form der Gefühlsbindung ist; unter den Verhältnissen der Symptombildung, also der Verdrängung,

§ 446

§ 447

70 _ Massenpsychologie und Ich-Analyse

§ 448

und der Herrschaft der Mechanismen des Unbewußten kommt es oft vor, daß die Objektwahl wieder zur Identifizierung wird, also das Ich die Eigenschaften des Objekts an sich nimmt. Bemerkenswert ist es, daß das Ich bei diesen Identifizierungen das eine Mal die ungehebte, das andere Mal aber die

§ 449

geliebte Person kopiert. Es muß uns auch auffallen, .

§ 450

daß beide Male die Identifizierung eine partielle,

§ 451

höchst beschränkte ist, nur einen einzigen Zug von '

§ 452

der Objektperson entlehnt.

§ 453

' Es ist ein dritter, besonders häufiger und bedeutsamer Fall der Symptombildung, daß die Iden— tiiizierung vom Objektverhältnis zur kopierten Person ganz absieht. Wenn z. B. eines der Mädchen im Pensionat einen Brief vom geheim Geliebten bekommen hat, der ihre Eifersucht erregt, und aui den sie mit einem hysterischen Anfall reagiert, so werden einige ihrer Freundinnen, die darum wissen, diesen Anfall übernehmen, wie wir Sagen,_ auf dem Wege der psychischen Infektion. Der Mechanismus ist der der Identifizierung auf Grund des" sich in dieselbe Lage" Versetzenkönnens oder Versetze_n, wollens. Die anderen möchten auch ein geheimes Liebesverhältnis haben und akzeptieren unter dem Einfluß des Schuldbewußtseins auch das damit.ver

§ 454

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§ 455

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§ 456

§ 457

VII. Die Identifizierung. ' 71

§ 458

bundene Leid. Es wäre unrichtig, zu behaupten, sie eignen sich das Symptom aus Mitgefühl an. Im Gegenteil, das Mitgefühl entsteht erst aus der Identifizierung, und der Beweis hiefür ist, daß sich solche Infektion oder Imitation auch unter Umständen herstellt, .wo noch geringere vorgängige Sympathie zwischen beiden anzunehmen ist, als unter Pen-‘ sionsfreundinnen zu bestehen pflegt. Das eine Ich hat am anderen eine bedeutsame Analogie in einem Punkte wahrgenommen, in unserem Beispiel in der gleichen Gefühlsbereitschaft, es bildet sich daraufhin eine Identifizierung in diesem Punkte, und unter dem Einfluß der pathogenen Situation verschiebtsich diese Identifizierung zum Symptom, welches das eine Ich produziert hat. Die Identifizierung durch das Symptom Wird so zum Anzeichen für eine Deckungsstelle der beiden Ich, die Verdrängt gehalten werden soll.

§ 459

Das aus diesen drei Quellen Gelernte können wir dahin zusammenfassen, daß erstens die Identifizierung die ursprünglichste Form der Gefühlebindung an ein Objekt ist, zweitens daß sie auf regtess‘ivém Wege zum Ersatz für eine libidinöse Objektbindung wird, gleichsam durch Introjektion des Objekts ins Ich, und daß sie drittens bei jeder

§ 460

§ 461

72 Massenpsychologie und IobAnalyse

§ 462

neu wahrgenommenen Gemeinsamkeit mit einer Person, die nicht Objekt der Sexualtriebe ist, 'entstehen kann. Je bedeutsamer diese Gemeinsamkeit ist, desto erfolgreicher muß diese partielle Identifizierung werden können und so dem Anfang einer neuen Bindung entsprechen.

§ 463

Wir ahnen bereits, daß die gegenseitige Bindung der Massenindividuen' von der Natur einer solchen Identifizierung durch eine wichtige affektive Gemeinsamkeit ist, und können vermuten, diese Gemeinsamkeit liege in der Art der Bindung an den Führer. Eine andere Ahnung kann uns sagen, daß wir weit davon entfernt sind, das Problem der Identifizierung erschöpft zu haben, daß wir vor dem Vorgang stehen, den. die Psychologie „Einfühlung“ heißt, und der den größten Anteil an unserem Verständnis für das Ichfremde anderer Personen hat, Aber wir wollen uns hier auf die nächsten affektiven Wirkungen der Identifizierung beschränken und ihre Bedeutung für unser intellektuelles Leben beiseite lassen. ' _

§ 464

Die psychoanalytische Forschung, die ge— legentlich auch schon die schwierigeren Probleme der Psychosen in Angriff genommen hat, konnte uns auch die Identifizierung in einigen anderen Fällen

§ 465

"Aug-_l„ 't' ' "

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VII. Die Identifizierung 73

§ 468

aufzeigen, die unserem Verständnis nicht ohne weiteres zugänglich sind. Ich werde zwei dieser Fälle äls Stoff für unsere weiteren Überlegungen ausführ—

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lich behandeln. ' Die Genese der männlichen Homosexualität ist

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in einer großen Reihe von Fällen die folgende: Der junge Mann ist ungewöhnlich lange und intensiv im Sinne des Ödipuskomplexes an seine Mutter fixiert gewesen. Endlich kommt doch nach vollendeter Pubertät die Zeit, die Mutter gegen ein anderes Sexualobjekt zu vertauschen. Da geschieht eine plötzliche Wendung; der Jüngling verläßt nicht seine Mutter, sondern identifiziert sich mit ihr, er wandelt sich in sie um und sucht jetzt nach Objekten, die ihm sein Ich ersetzen können, die er so lieben und pflegen kann, wie er es von der Mutter erfahren hatte. Dies ist ein häufiger Vorgang, der beliebig oft bestätigt werden kann und natürlich ganz un? abhängig' von jeder Annahme ist, die man über die organische Triebkraft und. die Motive jener plötz— lichen Wandlung macht. Auffällig ‘an dieser Identifizierung ist ihre Ausgiebigkeit, sie wandelt das Ich in einem höchst wichtigen Stück, im Sexualcharakter, nach dem Vorbild des bisherigen Objekts um. Dabei wird das Objekt selbst aufgegeben, ob

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74 Massenpsychologie und ich-Analyse

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durchaus oder nur in dem Sinne, daß es im _Un- ,

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bewußtexr erhalten bleibt, steht hier außer Diskussion. Die Identifizierung mit dem aufgegebenen oder. verlorenen Objekt zum Ersatz desselben, die Introjektion dieses Objekts ins Ich, ist für uns allerdings keine Neuheit mehr. Ein solcher Vorgang läßt sich gelegentlich am kleinen Kind unmittelbar beobach_ ten. Kürzlich wurde in der Internationalen Zeitschrift für Psychoanalyse eine solche Beobachtung veröffentlicht, daß ein Kind, das unglücklich über den Verlust eines Kätzchens war, frischweg erklärte, es sei jetzt selbst das Kätzchen, dem entsprechend auf allen Vieren kroch, nicht am Tische essen wollte usw.‘ ,

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Ein anderes Beispiel von solcher Introjektion des Objekts hat uns die Analyse der Melancholie gegeben, welche Afiektion ja den realen oder aiiektiven Verlust des geliebten Objekts unter ihre auf. iälligsten Veranlassungen zählt. Ein Hauptcharakter dieser Fälle ist die grausame Selbstherabsetzung des Ichs in Verbindung mit Schonungsloser Selbstkritik und bitteren :Selbstvorwürien. Analysen haben ergeben, daß diese Einschätzung und diese Vorwürfe

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_ ’ Ma-rkuszewiez. Beitrag zum autlätischen Denken bei Kindern. Internationale Zeitschrift für Psychoanalyse, VI., 1920.

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VII. Die Identifizierung 75

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im Grunde dem Objekt gelten und die Rache des Ichs an diesem darstellen. Der Schatten des Objekts ist auf das Ich gefallen, sagte ich an anderer Stelle. Die Introjektion des Objekts ist hier von unverkenn

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barer Deutlichkeit.‘ ' Diese Melancholien zeigen uns aber noch etwas

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anderes, was für unsere späteren Betrachtungen wichtig werden kann. Sie zeigen uns das Ich geteilt, in zwei Stücke zeriällt, von denen das eine gegen das andere wütet. Dies—andere Stück ist das durch Introjektion veränderte, das das verlorene Objekt einschließt. Aber auch das Stück, das sich so grausam betätigt, ist uns nicht unbekannt. Es schließt das Gewissen ein, eine kritische Instanz im Ich, die sich auch in normalen Zeiten dem Ich kritisch gegénübergestellt hat, nur niemals so unerbittlich und so ungerecht. Wir haben schon bei früheren Anlässen die Annahme machen müssen (Narzißmus, Trauer und Melancholie), daß sich in unserem Ich eine solche Instanz entwickelt, welche sich vom anderen Ich absondern und in Konflikte mit ihm geraten kann. Wir nannten sie das „Ichideal“ und schrieben ihr an Funktionen die Selbstbcobachtung, das moralische Gewissen, die Traumzensur und den Haupteiniluß bei der Verdrängung zu. Wir sagten,

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76 Massenpsychologie und ish-Analyse

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sie sei der Erbe des ursprünglichen Narzißmus, in ' dem das kindliche Ich sich selbst genügte. Allmählich nehme sie aus den Einflüssen der Umgebung die Anforderungen auf, die diese an das Ich stelle, denen das Ich nicht immer nachkommen könne, so daß der Mensch, wo er mit seinem Ich selbst nicht zufrieden sein kann, doch seine Befriedigung in dem aus dem Ich differenzierten Ichideal finden dürfe. Im Beobachtungswahn, stellten wir ferner fest, werde der Zerfall dieser Instanz offenkundig und dabei ihre Herkunft aus den Einflüssen der Autoritäten, voran der Eltern, aufgedeckt*. Wir haben aber nicht vergessen anzuführen, daß das Maß der Entfernung dieses Ichideals vom aktuellen Ich für das einzelne Individuum sehr variabel ist, und daß bei vielen diese Differenzierung-innerhälb des Ichs nicht weiter reicht als beim Kinde. _

§ 485

‘ Ehe wir aber diesen Stoff zum Verständnis der ‘ libidinösen Organisation einer Masse verwenden können, müssen wir einige andere der Wechselbeziehungen zwischen Objekt und Ich in Betracht ziehen.

§ 486

Wir wissen sehr gut, daß wir mit diesen der Pathologie entnommenen Beispielen das Wesen der Identi—

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"‘ Zur Einführung des Narzißmus. !. c.

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§ 489

VII. Die Identifizierung 77

§ 490

fizierung nicht erschöpft haben und 30mit am Rätsel der ‘ Massenbildung ein Stück unangerührt lassen. Hier müßte eine viel gründlichere und mehr umfassende psychologische Analyse eingreifen. Von der Identifizierung führt ein Weg über die Nachahmung zur Einfühlung, d. h. zum Verständnis des Mechanismus, durch den uns überhaupt eine Stellungnahme zu einem anderen Seelenlehcn ermöglicht wird. Auch an den Äußerungen einer bestehenden Identifizierung ist noch vieles aufzuklären. Sie hat unter anderem die Folge, daß man die Aggression gegen die Person, mit der" man sich identifiziert hat, einschränkt, sie verschont und ihr Hilfe leistet. Das Studium solcher Ideütifizierungen, wie sie z’.‘ B. der Clang9meinschaft zugrunde liegen, ergab Robertson Smith das überraschende Resultat, daß sie auf der Anerkennung einer gemeinsamen Substanz beruhen (Kinship and Mar— riage, 1885), daher auch durch eine gemeinsam genommene Mahlzeit geschaffen werden können. Dieser Zug gestattet es, eine solche Identifizierung mit der von mir in „Totem und Tabu“ konstruierten Urgeschichte der menschlichen Familie zu verknüpfen.

§ 491

§ 492

VIII. Verliebthelt und Hypnose.

§ 493

Der Sprachgebrauch bleibt selbst in seinen Launen irgend einer Wirklichkeit treu. So nennt er zwar sehr mannigialtige Geiiihlsbéziehüngen„l.iebe“, die mein wir theoretisch als Liebe zusammenfassen, ”zweifelt aber dann wieder, ob diese Liebe die eigent— liche, richtige, wahre sei, und delitet so auf eine ganze Shiienleiter vc'>_n Möglichkeiten inwrhalb der Liebesphänomene hin. Es Wird uns auch nicht schwer, die— selbe in der Beobachtung aufzufinden.

§ 494

In einer Reihe von Fällen ist die Verliebtheit nichts anderes als Objektbesetzung von seiten der Sexualtriebe zum Zweck der direkten Sexualbefriedigung, die auch mit der Erreichung dieses Zieles erlischt; das ist das, was man die gemeine, sinnliche Liebe heißt. ‘Äber wie bekannt, bleibt die libidinöse Situation selten so einfach. Die Sicherheit, mit der man'aui das Wiedererwachen des eben erloschenen

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' VIII. Verliehthelt und Hypnose 79

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Bedürfnisses rechnen konnte, muß wohl das nächste Motiv gewesen sein, dem. Sexualobjekt eine dauernde Besetzung zuzuwenden, es auch in den begierde

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freien Zwischenzeiten zu „lieben“. Aus der sehr merkwürdigen Entwicklungs

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geschichte des menschlichen Liebeslebens kommt ein zweites Moment hinzu. Das Kind hatte, in der ersten, mit fünf Jahren meist schon abgeschlossenen Phase in einem Elternteil ein erstes Liebesobjekt gefunden, auf welches sich alle seine Befriedigung heischenden Sexualtriebe vereinigt hatten. Die dann eintretende Verdrängung erzwang den Verzicht auf die meisten dieser kindlichen Sexualziele und hinterließ eine tiefgreiiende Modifikation des Verhältnisses zu den Eltern. Das Kind blieb iernerhin an die Eltern gebunden, aber mit Trieben, die man „zielgehemmte“ nennen muß. Die Gefühle, die es von nun an für diese geliebten Personen empfindet, werden als „zärtliche“ bezeichnet. Es ist bekannt, daß im Unbewußten die früheren „sinnlichen“ Strebungen mehr oder minder stark erhalten bleiben, so daß die ursprüngliche Vollströmung in gewissem Sinne weiterbesteht“.

§ 500

Mit der Pubertät setzen bekanntlich neue sehr

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" S. Sexualtheorie l. c. 6.

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'80 Massenmsvubhlozle md [dt-Analyse

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intensive Strebungen nach den direkten Sexualzielen an. In ungünstigen Fällen bleiben sie als sinnliche Strömung von den fortdauernden „zärtlichen“ Geiühlsrichtungen geschieden. Man hat dann das Bild vor sich, dessen beide Ansichten von gewissen Rich- tungen der Literatur so gerne idealisiert werden. Der Mann zeigt schwärmerische Neigungen zu hochgeachteten Frauen, die ihn ,aber zum Liebesverkehr nicht reizen, und ist nur patent gegen andere Frauen, die er nicht „liebt“, geringschätzt oder selbst verachtet ". Häufiger indes gelingt dem Heranwachsenden ein gewisses Maß von Synthese der unsinnlichen, himmlischen und der sinnlichen, irdischen Liebe, und ist sein Verhältnis zum Sexualobjekt durch das ZusammenWirken vgn--urrgehefl1hiteii ,mit zielgehemrnten Trieben gekennzeichnet. Nach dem Beitrag der zielgehemmten Zärtlichkeitstriebe kann man die Höhe der Verliebtheit im Gegensatz zum bloß sinnlichen Begehren bemessen.

§ 505

Im Rahmen dieser verliebtheit ist uns von Anfang an dasPhänomen der Sexualüberschätzung aufgefallen, die Tatsache, daß das geliebte Objekt eine gewisse Freiheit von der Kritik genießt, daß alle

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* Uber die allg'enreinste Erniedrigaung des Liebesleben Sammlung, 4. Folse._l918.

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VIII. Verliebtheit und Hypnose 81

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seine Eigenschaften höher eingeschätzt werden als die ungeliebter Personen oder als zu einer Zeit, da es nicht geliebt wurde. Bei einigermaßen wirksamer Verdrängung oder Zurücksetzungl der' sinnlichen Strebungen kommt die Täuschung zustande, daß das ' Objekt seiner seelischen Vorzüge wegen auch sinnlich geliebt wird, während umgekehrt erst das sinnliche Wohlgeiallen ihm diese Vorzüge verliehen haben mag.

§ 510

Das Bestreben, welches hier das Urteil iälscht, ist das der Id e alisj e ru n g. Damit ist uns aber - die Orientierung erleichtert; wir erkennen, daß das

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Objekt so behandelt wird wie das eigene Ich, daß also in der Verliebtheit ein größeres Maß narzißtischer Libido auf das Objekt überfließt. Bei manchen Formen der Liebeswahl wird es selbst augenfällig, daß das Objekt dazu dient, ein eigenes, nicht erreichtes Ichideal zu ersetzen. Man liebt es wegen der Voll— kommenheiten, die man fürs eigene Ich angestrebt hat und die man sich nun auf diesem Umweg zur Befriedigung seines Narzißrnus verschaffen möchte.

§ 512

Nehmen Sexualüberschätzung und Verliebtheit noch weiter zu, so wird die Deutung des Bildes immer unverkennbarer. Die auf direkte Sexualbefriedigung drängenden Strebungen können nun ganz

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82 Massenssyclwlozie und Ida—Analyse

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zurückgedrängt werden, wie es z. B, regelmäßig bei der schwärmerischen Liebe des jünglings geschieht; das Ich wird immer anspruchsloser, bescheidener, das Objekt immer großartiger, wertvoller; es gelangt schließlich in den Besitz der gesamten Selbstliebe des Ichs, so daß dessen Selbstau’t'opferung zur natürlichen Konsequenz wird. Das Objekt hat das Ich sozusagen aufgezehrt. Züge von Demut, Einschränkung des Narzißmus, Selbstschädigung sind in jedem Falle von Verliebtheit vorhanden; im _ extremen Falle werden sie nur gesteigert und durch das Zurücktreten der sinnlichen Ansprüche bleiben _ ' sie alleinherrschend.

§ 516

Dies ist besonders leicht bei unglücklicher, unerfüllbarer Liebe der Fall, da bei jedersemellen Befriedigung doch die Sexualüberschätzung immer wieder eine Herabsetzung erfährt. Gleichzeitig mit dieser „I-Iingabe“ des Ichs an das Objekt, die sich von der sublimierten Hingabe an eine abstrakte Idee schon nicht mehr unterscheidet; 'versagen die dem Ichideal zugeteilten Funktionen gänzlich. Es schweigt die Kritik, die von dieser Instanz ausgeübt wird; alles was das Objekt tut und fordert, ist recht und untadelhait. Das Gewissen findet keine Anwendung auf alles, was zugunsten des Objekts geschieht;

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§ 518

VIII. Von-liebtheit und Hypnose 83

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in der Liebesverblendung wird man reuelos zum Verbrecher. Die ganze Situation läßt sich restlos in eine Formel zusammenfassen; D a s 0 b j e k t h at sich an die Stelle des Ichideals gesetzt '

§ 520

Der Unterschied der Identifizierung von der Verliebtheit in ihren höchsten Ausbildungen, die man Faszination, verliebte Hörigkeit heißt, ist nun leicht zu beschreiben. Im ersteren Falle hat sich das Ich um die Eigenschaften des Objekts bereichert, sich

§ 521

dasselbe nach F e r e n e 2 PS Ausdruck „introji— ; ziert“; im zweiten Fall ist es verarmt, hat sich dem _ Objekt hingegeben, dasselbe an die Stelle seines {_

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wichtigsten Bestandteils gesetzt. Indes merkt man bei näherer Erwägung bald, daß eine solche Darstellung Gegensätze vorspiegelt, die nicht bestehen. Es handelt sich ökonomisch nicht um Verarmui1g

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oder Beréicher-ung, man kann auch die extreme Ver-'

§ 524

liebtheit so beschreiben, daß das Ich sich das Objekt introjiziert habe. Vielleicht trifft eine andere Unterscheidung eher das Wesentliche. Im Falle der Identifizierung ist das Objekt verloren gegangen oder aufgegeben worden; es wird dann im Ich wieder aufgerichtet, das Ich verändert sich partiell nach dem Vorbild des verlorenen Objekts. Im anderen Falle

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84 Massenpsych'btogie und IohäAnaiyse

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ist das Objekt erhalten geblieben und wird als solches von seiten und auf Kosten des Ichs überbesetzt. - Aber auch hiegegen erhebt sich ein Bedenken. Steht es denn fest, daß die Identifizierung das Aufgeben der Objektbesetzung voraussetzt, kann es nicht Identifizierung bei erhaltenem Objekt geben? Und ehe wir uns in die Diskussion dieser heikeln Frage einlassen, kann uns bereits die Einsicht aufdämmem, daß eine andere -Alternaüvedas Wesen dieses Sachverhalte in sich faßt, nämlich 0 b d a s 0 bj ekt an die Stelle des Ichs oder des Ichideals gesetztwird. . Von der Verliebtheit ist offenbar kein weiter Schritt zur Hypnose. Die Übereinstimmungen beider sind augenfällig. Dieselbe demiitige Unterwerfrmg Gefügigkeit, Kritiklosigkeit gegen den Hypnotiseur wie gegen das geliebte Objekt. Dieselbe Aufsaugung der eigenen Initiative; kein Zweifel, der Hypnotiseur ist an die Stelle des lchideals getreten. Alle Verhältnisse sind in der Hypnose nur nach deutlicher und gesteigerter, so daß es zweckmäßiger wäre, die Verliebtheit durch ' die Hypnose zu erläutern als umgekehrt. Der Hypnotiseur ist das, einzige Objekt, kein anderes wird neben ihm beachtet. Daß das Ich traumhaft erlebt, was er fordert und behauptet,

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-' .-.-v,'—lüLH.-ä M....u-g'S. - -..'. .

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VIII. Verliebtheit und Hypnose 85

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mahnt uns daran, daß wir verabsäumt haben, unter den Funktionen des lchideals auch die Ausübung der Realitätsprüfung zu erwähnen‘. Kein Wunder, daß das Ich eine Wahrnehmung für real hält, wenn die sonst mit der Aufgabe der Realitätsprüiung betraute psychische Instanz sich für diese Realität einsetzt. Die völlige Abwesenheit von Strebungen mit ungehemmten Sexualzielen trägt zur extremen Reinheit der Erscheinungen weiteres bei. Die hypnoüsche Beziehung ist eine uneingeschränkte verliebte Hingabe bei Ausschluß sexueller Befriedigung, während eine solche bei. der Verliebtheit doch nur zeitweilig zurückgeschoben ist und als Spätere Zielmöglichkeit im Hintergrunde verbleibt.

§ 532

Anderseits können wir aber auch sagen, die hypnotische Beziehuhg sei — wenn dieser Ausdruck gestattet ist — eine Massenbildung zu zweien. Die Hymose ist kein gutes Vergleichsobjekt mit der Massenbildung, weil sie irielmehr mit dieser identisch ist. Sie isoliert uns aus dem komplizierten Gefüge der Masse ein Element, das Verhalten des Massenindividuuins zum Führer. Durch diese Einschränkung der Zahl scheidet sich die Hypnose von der

§ 533

‘ S. Metapsycholngische Ergänzung zur Traumlehre. Sammlung kleiner Schriften zur Neurosenlehre. Vierte Folge. 1918.

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86 ’ Massenpsychologie und Ich-Analyse

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Massenbildung, wie durch den Wegfall der direkt sexuellen Strebungen von der Verliebtheit. Sie hält insoferne die Mitte zwischen beiden.

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Es ist interessant zu sehen, daß gerade die zielgehemmten Sexualstrebungen so dauerhafte Bindungen der Menschen aneinander erzielen. Dies versteht sich aber leicht aus der Tatsache, “daß sie einer vollen Befriedigung nicht fähig sind, während ungehemmte Sexuals‘trebungen durch die Abfuhr bei der Erreichung des jedesmaligen Sexualziels eine außerordentliche Herabsetzung erfahren. Die sinnliche Liebe ist dazu bestimmt, in der Befriedigung zu erlöschen; um andauern zu können, muß sie mit rein zärtlichen, d. h. zielgehemrhten Komponenten von Anfang an versetzt sein oder eine solche Um—

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'setzung erfahren. > ' '

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Die Hypnose würde uns das Rätsel der libidinöse_n Konstitution einer Masse glatt lösen, wenn sie selbst nicht noch Züge enthielte, die sich der bisherigen rationellen Aufklärung ‘— als Verliebtheit bei Ausschluß direkt sexueller Strebungen --— entziehen. Es ist noch vieles an ihr als unv'erstanden, als mystisch anzuerkennen. Sie enthält einen Zusatz von Lähmung aus dem Verhältnis eines Übermächtigen zu einem Ohnmächtigen, Hilflosen, was etwa

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VIII. Verliebthelt und Hypnose 87

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zur Schreckhypnose der Tiere überleitet. Die Art, wie sie erzeugt wird, ihre Beziehung zum Schlaf, sind nicht durchsichtig, und die rätselhaite Auswahl von Personen, die sich für sie eignen, während andere sie gänzlich ablehnen, weist auf ein noch unbekanntes Moment hin, welches in ihr. verwirklicht wird, und das vielleicht erst die Reinheit der Libidoeinstellungen in ihr ermöglicht. Beachtenswert ist auch, daß häufig das moralische Gewissen der hypnotisierten Person sich selbst bei sonst voller sug— gestiver Geiügigkeit resistent zeigen kann. Aber das mag daher kommen, daß bei der Hypnose, wie sie zumeist geübt wird, ein Wissen erhalten geblieben sein kann, es handle sich nur um ein Spiel, eine unwahre Reproduktion einer anderen, weit lebenswichtigeren Situation. .

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Durch die bisherigen Erörterungen sind wir aber voll darauf vorbereitet, die Formel für die libidinöse Konstitution einer Masse anzugeben. Wenigstens einer solchen Masse, wie wir sie bisher betrachtet haben, die also einen Führer hat und nicht durch allzu viel „Organisation“ sekundär die Eigen, schaften eines Individuums erwerben konnte. Ein e solche prir'näre Masseist eine Anzahl von Individuen, die ein und dasselbe

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88 Massenpswhologle und Ich-Analyse

§ 546

Objekt an die Stelle ihreslchidea’ls gesetzt und sich infolgedessen in ihremlch miteinander identifiziert h a b e 11. Dies Verhältnis läßt eine graphische Darstellungzu:

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Der Herdentrieb.

§ 566

Wir werden uns nur kurze Zeit der Illusion freuen, durch diese Formel das Rätsel der Masse gelöst zu habeanlsbald muß uns die Mahnung beunruhigen, daß wir ja im wesentlichen die Verweisung auf das Rätsel der Hypnose angenommen haben, an dem so vieles noch unerledigt ist. Und nun zeigt uns ein anderer Einwand den weiteren Weg. _ Wir dürfen uns sagen, die ausgiebigen affektiven Bindungen, die_.wir in der Masse erkennen, reichen voll aus, um einen ihrer Charaktere zu er—. klären, den Mangel an Selbständigkeit und Initiative beim Einzelnen, die Gleichariigkeit seiner Reaktion mit der aller anderen, sein Herabsinken zum Massenindividuum sozusagen. Aber die Masse zeigt, wenn wir sie als Ganzes ins Auge fassen, mehr; die Züge von Schwächung der intellektuellen Leistung, von

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90 Massenpsyohologie und Ich-Analyse

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Ungeherhmtheit der Affektivität, die Unfähigkeit zur Mäßigung und zum Aufschub, ,die Neigung zur Überschreitung aller Schranken in der Gefühlsäußerqu und zur vollen Abiuhr derselben in Handlung, dies und alles Ähnliche, was wir bei L e B o 11 so eindrucksvoll geschildert finden, ergibt ein unverkennbares Bild von Regression der seelischen Tätigkeit auf eine frühere Stufe, ' wie wir _sie bei Wilden oder bei Kindern zu finden nicht erstaunt sind. Eine solche Regression gehört insbesondere zum Wesen der gemeinen Massen, während sie, wie wir gehört haben, bei hoch organisierten, künstlichen weitgehend hintangehalten werden kann. Wir erhalten so den Eindruck eines Zustandes“, in dem die vereinzelte Gefühls‘regung und 'der per— sönliche intellektuelle Akt ' des Individuums' zu schwach sind, um sich allein zur Geltung zu bringen, und durchaus auf Bekrättigung durch gleichartige Wiederholung von seiten der anderen warten müssen. Wir werden daran erinnert, wieviel Von diesen Phänomenen der Abhängigkeit zur normalen Konstitution der menschlichen Gesellschaft gehört, wie wenig Originalität und persönlicher Mut sich in ihr findet, wie sehr jeder Einzelne durch die Einstellungen einer Massenseele beherrscht wird, die

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IX. Der Herden-trieb 91

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sich als Rasseneigentümlichkeiten, Standesvorurteile, öffentliche Meinung u. dgl. kundgeben. Das Rätsel des suggestiven' Einflusses vergrößert sich für uns, wenn wir zugeben, daß ein solcher nicht allein vom Führer, sondern auch von jedem Einzelnen auf jeden Einzelnen geübt wird, und wir machen uns den Vorwurf, daß wir die Beziehung zum Führer einseitig herausgehoben, den anderen Faktor der gegenseitigen Suggesfion aber ungehührend zurückgedrängt haben.

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Auf solche Weise zur Bescheidenheit gewiesen, werden wir geneigt sein, auf eine andere Stimme zu horchen, welche uns Erklärung auf einfacheren Grundlagen verspricht. Ich entnehme eine solche dem klugen Buch von W. Trotter über den Herdentrieb, an dem ich nur bedäuere, daß es sich den durch den letzten großen Krieg entfesselten Anflp'a'thien nicht ganz entzogen hat*.

§ 575

T r o t t e r leitet die an der Masse beschriebenen seelischen Phänomene von einem Herdeninstinkt (gregariousness) ab, der dem Menschen wie anderen Tiérarten angeboren zukommt. Diese Herden- _ haftigkeit ist biologisch eine Analogie und gleich- '

§ 576

‘ W. Trotter. Instlncß of the. Herd in Peace and War. London 1916.

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92 Massenpsychologie und IchAA'maiyse

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sam eine Fortführung der Vielzelligkeit, im Sinne der Libidotheorie eine weitere Äußerung der von der Libido ausgehenden Neigung aller gleichartigeir Lebewesen, sich zu immer umfassenderen Einheiten zu vereinigen". Der Einzelne fühlt sich unvollständig (incemplete), wenn er allein ist. Schon die Angst des kleinen Kindes seigeine Äußerung dieses Herdeninstinkts. Widerspruch gegen die Herde ist soviel wie Trennung von ihr und wird darum angstvoll vermieden. Die Herde lehnt aber alles Neue, Ungewohnte ab. Der Herdeninstinkt sei etwas Primäres, nicht weiter Zerlegbares (which cannot be split up). ‘ _ _ _

§ 580

Trotter gibt als die Reihe der,von ihm als primär angenommenen Triebe (oder *lnstinkte):— den Selbäbehauptungs-, ‘Ernährungsfi .Geschlechts- und

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Herdenirieb. Der letztere gerate oft in die Lage, sich

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den anderen gegenüberzustellen. Schuldbewußtsein und Pflichtgeiühl seien die charakteristischen Besitztiimer eines gregarious animal. Vom Herdeninstinkt läßt T r o t t e r auch die verdrängenden Kräfte ausgehen, weiche die Psychoanalyse im Ich aufgezeigt hat, und folgerichtig gleicherweise die Widerstände,

§ 583

" Siehe meinen Aufsatz: Jenseits des Lustnrinzlps. Beih‘eft II zur Internationalen Zeitschrift tür Psychoanalyse, VI., 1920

§ 584

§ 585

IX. Der Herdentrieb 93

§ 586

auf welche der Arzt bei der psychoanalytischen Behandlung stößt. Die Sprache verdanke ihre Bedeu— tung ihrer Eignung zur gegenseitigen Verständigung in der Herde, auf ihr beruhe zum großen Teil die Identifizierung der Einzelnen miteinander.

§ 587

Wie L e B o 11 vorwiegend die charakteristischen flüchtigen Massenbildungen und M C D o u g all die stabilen Vergesellschaitungen, so hat T r o t t e r die allgemeinsten Verbände, in denen der Mensch, dies 5öov arokwmöv lebt, in den Mittelpunkt seines Interesses gerückt und deren psychologische Begründung angegeben. Für T r ot t e r bedarf es aber keiner Ableitung des Herdentriebes, da er ihn als primär und nicht weiter auflösbar bezeichnet. Seine Bemerkung, B ofis Sidis leite den Herdentrieb von derSuggestibilität ab, ist zum Glück für ihn überflüssig; es ist eine Erklärung nach bekanntem, unbefriedigendem Muster, und die Umkehrung dieses Satzes, also daß die Suggestibilität ein Abkömmling des Herdeninstinkts sei, erschiene mir bei weitem einleuchtender.

§ 588

Aber gegen T r o tt e r 5 Darstellung läßt sich mit noch besserem Recht als gegen die anderen einwenden, daß sie auf die Rolle des Führers in der

§ 589

Masse zu wenig Rücksicht nimmt, während wir doch 7

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§ 591

94 Massenmycholngie und Ich-Analyse

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eher zum gegenteiligen Urteil neigen, daß das Wesen der Masse bei Vernachlässigung des Führers nicht zu begreifen sei. Der Herdeninstinktläßt überhaupt für den. Führer keinen Raum, er kommt nur so zu— fällig zur Herde hinzu, und im Zusammenhange damit steht, daß von diesem Trieb aus auch kein Weg zu einem Gottesbedürinis führt; es fehlt der Hirt zur Herde. Außerdem aber kann man "Fr 0 tte r s Darstellung psychologisch untergraben, d. h. man kann_es zum mindesten wahrscheinlich machen, daß der Herdentrieb nicht unzerlegbar, nicht in dem Sinne primär ist wie der Selbsterhaltungstrieb und der Geschlechtstrieb.

§ 593

Es ist natürlich nicht leicht, die Ontogenese des Herderitriebes zu verfolgen. Die Angst deskleinen Kindes, wenn es allein gelassen“ wird, die T r o t t e r bereits als Äußerung des Triebes in Anspruch nehmen Will, legt doch eine andere Deutung näher. Sie, gilt der Mutter, später anderen vertrauten Personen und ist der Ausdruck einer uneriüllten Sehnsucht, mit der das Kind noch nichts anderes anzufangen weiß, als sie in Angst zu verwandeln“. Die Angst des einsamen kleinen Kindes wird auch nicht durch

§ 594

' Siehe Vorlesungen zur Einführung _in die Psychoanalyse. über die Angst.

§ 595

§ 596

IX. Der Hendentrieb 95

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den Anblick eines beliebigen anderen „aus der Herde“ beschwichtigt, sondern im Gegenteil durch das Hinzukommen eines solchen „Fremden“ erst hervorgerufen. Dann merkt man beim Kinde lange nichts von einem Herdeninstinkt oder Massengeiühl. Ein solches bildet sich zuerst in der mehrzähligen Kinderstube aus dem Verhältnis der Kinder zu den Eltern, und zwar als Reaktion auf den anfänglichen Neid, mit dem das ältere Kind das jüngere aufnimmt. Das ältere Kind möchte gewiß das .nachkommende eiiersiichtig verdrängen, von den Eltern fernhalten und es aller Anrechte.berauben, aber angesichts der Tatsache, daß au'ch dieses Kind — wie alle späteren — in gleicher Weise von den Eltern geliebt wird, und infolge der Unmöglichkeit, seine feindselige Einstellung ohne eigenen Schaden festzuhalten, wird es zur Identifizierung mit den anderen Kindern gezwungen, und es bildet sich in der Kinderschar ein Massenoder Gemeinschaftsgeiühl, welches dann in der Schule seine weitere Entwicklung erfährt. Die erste Forderung dieser Reaktionsbildung ist die nach .Gerechtigkeit, gleicher Behandlung für alle. Es ist bekannt, wie laut und unbestechlich sich dieser Anspruch in der Schule äußert. Wenn man schon selbst

§ 598

nicht der Bevorzugte sein kann, so soll doch wenig7.

§ 599

§ 600

96 Massenpsychologl-e nnd Ioh-Ana-ly'se

§ 601

stens keiner von allen bevorzugt werden. Man könnte diese Umwandlung und Ersetzung der Eifersucht durch ein Massengefühl in Kinderstube und Schulzimmer für unwahrscheinlich halten, wenn man nicht den gleichen Vorgang später unter anderen Verhältnissen neuerlich beobachten würde. Man denke an die Schar von schwärmerisch verliebten Frauen und Mädchen, die den Sänger oder Pianisten , nach seiner Produktion umdrängen. Gewiß läge es jeder von ihnen nahe, auf die andere eifersüchtig zu sein, allein angesichts ihrer Anzahl und der damit verbundenen Unmöglichkeit, das Ziel ihrer Verliebtheit. zu erreichen, verzichten sie darauf, und anstatt sich gegenseitig die Haare auszuraut'en, handeln sie wie eine einheitliche Masse, huldigen dem Gäeierten in gemeinsamen Aktionen und wären etwa froh, sich in seinen Lockenschmuck zu teilen. Sie haben sich, ursprünglich Rivalinnen, durch die gleiche Liebe zu dem nämlichén Objekt miteinander identifizieren können. Wenn eine Triebsituation, wie ja gewöhnlich, verschiedener Ausgänge iähig ist, so werden wir uns nicht verwundern, daß jener Ausgang zu- ' .stande kommt, niit dem die Möglichkeit einer gewissen Befriedigung verbunden ist, während ,ein anderer, selbst ein näher liegender, unterbleibt,

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IX. Der Hemdentrieb 97

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weil die realen Verhältnisse ihm die Erreichung dieses Zieles versagen.

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Was man dann später in der Gesellschaft als Gemeingeist, esprit de corps usw. wirksam findet, verleugnet nicht seine Abkunit vom ursprünglichen Neid. Keiner soll sich hervortun wollen, jeder das gleiche sein und haben. Soziale Gerechtigkeit will bedeuten, daß man sich selbst vieles versagt, damit - auch die anderen darauf-verzichten müssen, oder was dasselbe ist, es nicht fordern können. Diese Gleichheitsforderung ist die Wurzel des sozialen Gewissens und des Pflichtgeiühls. In unerwarteter Weise enthüllt sie sich in der Iniektionsangst der Syphilitiker, die wir durch die Psychoanalyse verstehen gelernt haben. Die Angst dieser Armen entspricht ihrem -héftigen Sträuben gegen den unbewußten Wunsch, ihre Infektion auf die anderen auszubreiten, denn warum sollten sie allein infiziert und von so vielem ausgeschlossen sein und die anderen nicht? Auch die schöne Anekdote vom Urteil Salomonis hat denselben Kern. Wenn der einen Frau das Kind gestorben ist, soll auch die andere kein lebendes haben. An diesem Wunsch wird die Verlustträgerin erkannt.

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98 ’ Massenmyntmlozie und lnh-Analvse

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Das soziale Gefühl ruht also auf der Umwendung eines erst feindseligen Gefühls in eine positiv betonte Bindung von der Natur einer Identifizierung. Soweit wir den Hergang bis jetzt durchschauen können, scheint sich diese Umwendung unter dem Einfluß einer gemeinsamen zärtlichen Bindung an eine außer der Masse stehende Person zu vollziehen. Unsere. Analyse der Identifizierung erscheint uns selbst nicht als erschöpfend, aber unserer gegen

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wärtigen Absicht genügt es, wenn wir auf den

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einen Zug, daß die konsequente Durchführung der Gleichstellung gefordert wird, zurückkommen. Wir haben bereits bei der Erörterung der beiden künst

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lichen Massen, Kirche und Armee, gehört, ihre Vor- _

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aussetzun’g sei, daß alle von einem, dem Führer, in gleicher Weise geliebt werden. Nun vergessen Wir aber nicht, daß die Gleichheitsiorderung'der- Masse nur für die Einzelnen derselben, nicht für den Führer gilt. Alle Einzelnen sollten einander gleich sein, aber alle wollen sie von einem beherrscht werden. Viele Gleiche, die sich miteinander identifizieren können, und ein einziger, ihnen allen Überlegener, das ist die Situation, die wir in der lebensfähigen Masse verwirklicht finden. Getrauen wir uns also, die Aussage T r 0 tt e r’s, der Mensch sei ein H e r d e n

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IX. Der Herden-trieb . 99

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tier,_ dahin zu korrigieren, er sei vielmehr ein H o r d e n t i e r,. ein Einzelwesen einer von einem Oberhaupt angeführten Horde.

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X.

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Die Masse und die Urhorde.

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Im Jahre 1912 habe ich die Vermutung von Ch. D a rw in aufgenommen, daß die Urtorm' der menschlichen Gesellschaft die von einem starken Männchen unumschränkt beherrschte Horde war. Ich habe darzulegen versucht, daß die Schicksale dieser Horde unzerstörbare Spuren in der menschlichen Erbgeschichte hinterlassen haben, speziell, daß die Entwicklung des Totemismus, der die Anfänge von Religion, Sittlichkeit und sozialer Gliederung in sich laßt, mit der gewaltsamen Tötung des Oberhauptes und der Umwandlung der Vaterhorde in eine Brüdergemeinde zusammenhängt'. Es ist dies zwar nur eine Hypothese wie so viele andere, mit denen die Prähistoriker das Dunkel der Urzeit aufzuhellen versuchen — eine „just so story“ nannte sie

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“‘ Totem und Tabu. 2. Autia:sze 1920.

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t l --.'..L1

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X. Die Masse und die Urhorde 101

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witzig-ein nicht unhebenswürdiger englischer Kritiker (K r o e g e r) — aber ich meine, es ist ehrenvoll für eine solche Hypothese, wenn sie sich geeignet zeigt,lusammenhang und Verständnis auf immer neuen Gebieten zu schaffen.

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Die menschlichen Massen zeigen uns wiederum das vertraute Bild des überstarken Einzelnen in— mitten einer Schar von gleichen Genossen, das auch in unserer Vorstellung von der Urhorde enthalten ist. Die Psychologie dieser Masse, wie wir sie aus ' den oft erwähnten Beschreibungen kennen, — der Schwund der bewußten Einzelpersönlichkeit, die Orientierung Von Gedanken und Gefühlen nach gleichen Richtungen, die Vorherrschaft der Afiektivität und des unbewußten Seelischen, die Tendenz zur unverzüglichen Ausführung auftauchender Absichten, +— das alles entspricht einem Zustand von Regression zu einer primitiven Seelentätigkeit, wie "man sie gerade der Urliorde zuschreiben möchte.

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Für die Urhorde muß insbesondere gelten, was wir vorhin in der allgemeinen Charakteristik der Menschen beschrieben haben. Der Wille des Einzelnen war zu schwach, er getraute sich nicht der Tat. Es kamen gar keine anderen Impulse zustande als kollektive, es gab nur einen Gemeinwillen, keinen singulä'ren. Die Vorstellung wagte es nicht, sich in Willen umzusetzen, wenn

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102 ' Massenpsyciholbgie und Ich-Anale

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sie sich nicht durch die Wahrnehmung ihrer allgemeinen Verbreitung gestärkt fand. Diese Schwäche der Vorstellung findet ihre Erklärung in der Stärke der allen gemeinsamen Getühlsbindung, aber die Gleichartigkeit der Lebensumstände und das Fehlen eines privaten Eigentums kommen hinzu, um die Gleichförmigkeit der seelischen Akte bei den Einzelnen zu bestimmen; — Auch die exkreméntellen Bedürfnisse schließen, wie man an Kindern und Soldaten merken kann, die Gemeinsamkeit nicht aus. Die einzige mächtige Ausnahme macht der sexuelle Akt, bei dem der Dritte zumindest überflüssig, im äußersten Fall zu einem peinlichen Abwarten verurteilt ist. Über die Reaktion des Sexualbedürinisses (der Genitalbeiried-igung) gegen das Herdenhaite siehe unten.

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Die Masse erscheint uns so als ein Wiederaufleben der Urhorde. So wie der Urmensch in jedem Einzelnen virtuell erhalten ist, sokann sich aus einem beliebigen Menschenhaulen die Urhorde wieder herstellen; soweit die Massenbildung die Menschen habituell beherr3cht, erkennen wir den Fortbestand der Urhorde in ihr. Wir müssen schließen, die Psychologie der Masse sei die älteste Menschenpsychologie; was wir unter Vernachlässigung aller Massenreste als Individualpsychologie isoliert haben, hat sich erst später, allmählich und sozusagen immer noch nur partiell aus der alten Massenpsychologie herausgehoben. Wir werden noch den Versuch

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«‘n.

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X. Die Masse nur] die Urkunde 103

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wagen, den Ausgangspunkt dieser Entwicklung anzugeben.

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Eine nächste Überlegung zeigt uns, in welchem Punkt diese Behauptung einer Berichtigung bedarf. Die Individualpsychologie muß vielmehr ebenso alt sein wie dieMassenpsychologie, denn von Anfang “gab es zweierlei Psychologien, die der Massenindividuen und die des Vaters, Oberhauptes, Führers. Die Einzelnen der Masse waren so gebunden, wie wir sie heute finden, aber der Vater der Urhorde war frei. Seine intellektuellen Akte waren auch in der Vereinzelung stark und unabhängig, sein Wille bedurfte nicht der Bekräftigung durch den anderer. Wir nehmen konsequenterweise an, “daß sein Ich wenig libidinös gebunden war, er liebte niemand außer sich, und die anderen nur insoweit sie seinen Bedürfnissen dienten. Sein Ich gab nichts Überschüssiges an die Objekte ab.

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Zu Eingang der Menschheitsgeschichte war er der Ubermensch, den Nietzsche erst von der Zukunft erwartete. Noch heute bedürfen die Massenindividuen der Vorspiegelung, daß sie in gleicher und gerechter Weise vom Führer geliebt werden, aber der Führer selbst braucht niemand anderen zu lieben, er darf von Herrennatur sein,

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104 Mass;enpsyohologie und Ich-Analyse

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absolut narzißtisch, aber selbstsicher und selbständig. Wir wissen, daß die Liebe den Narzißmus ein— dämmt und könnten nachweisen, wie sie durch diese Wirkung Kulturiaktor geworden ist.

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Der Urvater der Horde war noch nicht unsterblich, wie er es später durch Vergottung wurde. Wenn er starb, mußte er ersetzt werden; an seine Stelle trat wahrscheinlich ein jüngster Sohn, der bis dahin Massenindividuum gewesen war wie ein anderer. Es muß also eine Möglichkeit geben, die Psychologie der Masse in Individualpsychologie umzuwandeln, es muß eine Bedingung gefunden werden, unter der sich Solche Umwandlung leicht— vollzieht, ähnlich wie es den Bienen möglich ist, aus einer Larve im. Bedarfsfalle:eine Königin anstatt einer Arbeiterin zu ziehen. Man kann sich da nur dies eine vorstellen: Der Urvater hatte seine Söhne an der Befriedigung ihrer direkten sexuellen Strebungen verhindert; er zwang sie zur Abstinenz und infolgedessen zu den Gefühlsbindungen an ihn und aneinander, die aus den Strebungen mit gehemmtem Sexualziel hervorgehen konnten. Er zwang sie sozusagen in die Massenpsychologie. Seine sexuelle Eifersucht und Intoleranz sind in letzter Linie die Ursache der Massenpsychologie geworden.

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X. Die Masse und die Urhorde ‘ 105

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Es läßt sich etwa auch annehmen, daß die ver—V triebenen Söhne, vom Vater getrennt, den Fortschritt von der Identifizierung miteinander zur homosexuellen Objekt— liebe machten und so die Freiheit gewannen, den Vater zu töten.

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Für den, der sein Nachfolger wurde, war auch die Möglichkeit der sexuellen Befriedigung gegeben und damit der Austritt aus den Bedingungen der Massenpsychologie eröffnet. Die Fixierung der

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Libido an das Weib, die Möglichkeit der Befriedi‘ gung ohne Aufschub und Aufspeicherung machte der Bedeutung zielgehemrnter Sexualstrebungen ein Ende und ließ den Narzißmus immer zur gleichen Höhe ansteigen. Auf diese Beziehung der Liebe zur Charakterbildung werden wir in einem Nachtrag zurückkommen.

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Heben wir noch als besonders lehrreich hervor, in welcher Beziehung zur Konstitution der Urhorde die veranstaltung steht, mittels deren eine künstliche Masse zusammengehalten wird. Bei,Heer ,und Kirche haben wir gesehen, es ist die Vorspiegelung, daß der Führer alle Einzelnen in gleicher und gerechter Weise liebt. Dies ist aber geradezu die idealistische Umarbeitung der Verhältnisse der Urhorde, in der sich alle Söhne in gleicher Weise vom Urvater' verfolgt wußten und ihn in gleicher Weise iürchteten.

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106 MassenmsYeholozle und Ich-Analyse

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Schon die nächste Form der menschlichen Sozietät, der _totemistische Clan, hat diese Umt'ormung, auf die alle sozialen Pflichten auigebaut sind, zur Voraussetzung. Die unverwüstliche Stärke der Familie als einer natürlichen Massenbildung beruht darauf, daß diese notwendige Voraussetzung der gleichen Liebe des Vaters für sie wirklich zutreffen kann.

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. Aber wir erwarten noch mehr von der Zurückführ'ung der Masse auf die Urhorde. Sie soll uns auch das noch Unverstandene, Geheimnisvölle an der Massenbildung näher bringen, das sich hinter den Rätselworten Hypnose und Suggestion verbirgt. Und ich 'meine, sie kann es auch leisten. Erinnern wir uns daran, daß die Hypnose etwas direkt Unheimliches an sich hat; der Charakter des Un' hei'mlichen deüte’t aber auf etwas dei" Verdrängung veriallenes Altes und Wohlvertrautes hin ". Denken ,wir daran, wie die Hypnose eingeleitet wird. Der Hypnotiseur behauptet im Besitz einer geheimnisvollen Macht zu sein, die dem Subjekt den eigenen Willen raubt, oder, was dasselbe ist, das Subjekt glaubt es‘ von ihm. Diese geheimnisvolle Macht — populär? noch oft als tierischer Magnetismus bezeich, net ——__"i‘nuß dieselbe sein, welche den Primitiven als

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4 Das Unheimliche. image. V. 1919.

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x. Die Masse und die Urhorde 107

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Quelle des Tabu gilt, dieselbe, die von Königen und Häufitlingen ausgeht und die es‘gefährlich macht, sich ihnen zu nähern (Mana). Im Besitz dieser Macht will nun der Hypnotiseur sein und wie bringt er sie zur Erscheinung? Indem er die Person auffordert, ihm in die Augen zu sehen; er hypnotisiert in typischer Weise durch seinen Blick. Gerade der Anblick des Häuptlin‘gs ist aber für den Primitiven gefährlich und unerträglich, wie später der der Gottheit für den Sterblichen. Noch Moses muß den Mittelsmann zwischen seinem Volke und Jehova machen, da das Volk den Anblick Gottes nicht ertrüge, und wenn ei: von der Gegenwart Gottes zurückkehrt, strahlt sein ' Anflitz, ein Teil des „Mana“ hat sich wie beim Mittler * der Primitiven auf ihn übertragen.

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Man kann die Hypnose allerdings auch auf anderen Wegen hervorrufen, was irreführend ist und zu unzulänglichen physiologischen Theorien" Anlaß gegeben hat} z. B. durch das Fixieren eines glänzenden Gegenstandes oder durch das Horchen auf ein monotones Geräusch. In Wirklichkeit dienen diese Verfahren nur der Ablenkung und Fesselung der bewußten "Aufmerksamkeit. Die Situation ist die

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nämliche, als ob der Hypnotiseur der Person gesagt

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' S. Totem und Tabu. und die. dort zitierten Quellen.

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108 Massenpsyeholoßie und Ich-Analyse

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hätte: Nun beschäftigen Sie sich ausschließlich mit

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meiner Person, die übrige Welt ist ganz uninteressant. Gewiß wäre es technisch unzweckmäßig, wenn der Hypnotiseur eine solche Rede hielte; das Subjekt würde durch sie aus seiner unbewußten Einstellung gerissen und zum bewußten Widerspruch aufgereizt werden. Aber während der Hypnotiseur es vermeidet, das bewußte Denken des Subjekts auf seine Absichten zu richten, und die Versuchsperson sich in eine Tätigkeit versenkt, bei der ihr die Welt uninteressant vorkommen muß, geschieht es, daß sie unbewußt wirklich ihre ganze Aufmerksamkeit auf den. Hypnotiseur konzentriert, sich in die Einstellung des Rapports, der Übertragung, zum Hypnotis‘e‘ur begibt. Die indirekten Methoden _.des Hypnotisierens haben -'äis°, Zähnticli Wie manche Techniken des Witzes, den Erfolg, gewisse Verteilungen ' der seelischen Energie, welche den Ablauf des unbewußten Vorgangs stören würden, hintanzuhalten, und sie führen schließlich zum gleichen Ziel wie die direkten Beeinflussungen durch Anstarren oder Streichen. ‘

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Die Situation, daß die Person unbewußt auf den Hypnoti5eur eingestellt ist, während sie sich bewußt mit gleichbleibenden, uninteressanten Wahrnehmungen be—

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X. Die Masse und die Urhorde 109

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sohättigt, findet ein Gegenstück in den Vorkommnissen der psychoanals?tischen Behandlung,'das hier erwähnt zu werden verdient. In jeder Analyse ereignet es sich mindestens einmal,. daß der Patient hartnäckig behauptet, jetzt fiele ihm aber ganz bestimmt nichts ein. Seine freien Assoziationen stocken und die gewöhnlichen Antriebe, sie in Gang zu bringen, schlagen fehl. Durch Drängen erreicht man endlich das Eingeständnis, der Patient denke an die Aussicht aus dem Fenster des Behandluhgsraumes, an die Tapete der Wand, die er vor sich steht, oder an die Oaslampe, die von der Zimmerdecke herabhängt. Man weiß dann 50f0rt, daß er sich in die Übertragung begeben hat, von noch unbewußten Gedanken in Anspruch genommen wird, die sich auf den Arzt beziehen, und sieht die Stockung in den Eintällen des Patienten schwinden, sobald man ihm diese Aufklärung gegeben hat.

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P e r e n e z i hat richtig herausgefunden, daß sich der Hypnotiseur mit dem Schlafgebot, welches oft zur Einleitung der Hypnose gegeben wird, an die Stellédäi-'.Eltern's'e'tz't', Er meinte zwei Arten der Hypnose unterscheiden zu sollen, eine schmeichlefisch begütigende, die er dem Muttervorhild, und eine drohende, die er dem Vater zuschrieb ". Nun bedeutet das Gebot zu schlafen in der Hypnose auch nif:hts anderes als die Aufforderung, alles Interesse von der Welt abzuziehen und auf die Person des Hypnotiséurs zu konzentrieren; es wird auch vom

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' Ferenczi. Intmiektlon. u'nd Ubertrannns‘. Jahrbuch der PSYchoanalee. I. 1909.

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110 Massenpsyoh-ologie und“ Ich—Analyse

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Subjekt so verstanden, denn in dieser Abziehung des Interesses von der Außenwelt liegt die psychologische Charakteristik des Schlafes und auf ihr beruht die Verwandtschaft des Schlafes mit dem hypnotischen Zustand.

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Durch seine Maßnahmen weckt also der Hypnotiseur beim Subjekt ein Stück von dessen- archaischer Erbschaft, die auch den Eltern entgegenkam und im Verhältnis zum Vater eine individuelle Wiederbelebung erfuhr, die Vorstellung von einer übermächtigen und gefährlichen Persönlichkeit, gegen die man sich nur passiv-masochistisch einstellen konnte, an die man seinen Willen verlieren mußte, und mit der allein zu sein, „ihr unter die Augen zu treten“ ein bedenkliche; Wagnis schien. Nur so etwa können wir uns das Verhältnis eines Einzelnen der Urhorde zum Urvater vorstellen. Wie wir aus anderen Reaktionen wissen, hat der Einzelne ein variables Maß von persönlicher Eignung zur Wiederbelebung solch kalter Situationen bewahrt. Ein Wissen, daß die Hypnose doch nur ein Spiel, eine lügenhaite Erneuerung jener alten Eindrücke ist, kann aber erhalten bleiben und für den Widerstand gegen allzu ernsthafte Konsequenzen der hypnotischen Willensauthebung sorgen.

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X. Die Masse und die Urhordß 111

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Der unheimliche, zwanghaite Charakter der Massenbildung, der sich in ihren Suggestionserscheinungen zeigt, kann also wohl mit Recht auf ihre Abkunit von der Urhorde zurückgeführt werden. Der Führer der Masse ist noch immer der geiürchtete Urvater, die Masse will immer noch von unbeschränkter Gewalt beherrscht werden, sie ist im höchsten Grade autoritätssüchtig, hat nach Le B o n’s Ausdruck den Durst nach Unterwerfung. Der Urvater ist das Massenideal, das an Stelle des Ichideals das Ich beherrscht._ Die Hypnose hat ein gutes Anrecht auf die Bezeichnung: eine Masse zu zweit; für die Suggestion erübrigt die Definition einer Überzeugung, die nicht auf Wahrnehmung und Denkarbeit, sondern auf erotische Bindung gegründet ist. ' ‘

§ 675

Es erscheint mir der Hervorhebung wert, daß wir durch die Erörterungen dieses Abschnittes veranlaßt werden, von der Bernheim’schen Auffassung der Hypnose auf die naive ältere derselben zurückzugreifen. Nach Bernheim sind alle hypnotischen Phänomene von dem weiter nicht aufzuklärenden Moment der Suggestion abzuleiten. Wir schließen, daß die Suggestion eine Teilerscheinung des hypnotischen Zustandes ist, der in einer unbewußt erhaltenen Disposition aus der Urge

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schichte der menschlichen Familie seine gute Begründung hat.

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Bu

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XI.

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Eine Stufe im Ich.

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Wenn man, eingedenk der einander ergänzen— den Beschreibungen der Autoren über Massen-psythologie, das Leben der heutigen Einzelmenschen überblickt, mag man vor den Komplikationen, die sich hier zeigen', den Mut zu einer zusammenfassen» den Darstellung verlieren.“ Jeder Einzelne ist ein Bestandteil von vielen Massen, durch Identifizierung vielseitig gebunden, und hat sein Ichideal nach den verschiedensten Vorbildern aufgebaut. Jeder Einzelne hat so Anteil "an vielen Massenseelen, an der seiner Rasse‘, des Standes, der Glaubensgemeinschaft, der Staatlichkeit usw. und kann sich darüber hinaus zu einem Stückchen Selbständigkeit und Originalität erheben. Diese ständigen und dauerhätten Massenbildungen fallen in ihren gleichmäßig anhaltenden Wirkungen der Beobachtung weniger auf als die rasch gebildeten, vergänglichenMassen,

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XI. Eine Stufe im Ich 113

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nach denen L e B o n die glänzende psychologische Charakteristik der Massenseele entworfen hat, und in diesen lärmenden, ephemeren, den anderen gleichsam superponierten Massen begibt sich eben das Wunder, daß dasjenige, was wir eben als die individuelle Ausbildung anerkannt haben, spurlos, wenn auch nur zeitweilig untergeht.

§ 685

Wir haben dies Wunder so verstanden, daß der Einzelne sein Ichideal aufgibt und es gegen das im Führer verkörperte Massenideal ' vertauscht. Das Wunder, dürfen wir berichtigend hinzufügen, ist nicht in allen Fällen gleich groß. Die Sonderung von Ich und Ichideal ist bei vielen Individuen nicht weit vorgeschritten, die beiden fallen noch leicht zusammen, das Ich hat sich oft die frühere narzißtische Selbstgeiälligkeit bewahrt. Die Wahl des Führers wird durch dies Verhältnis sehr erleichtert. Er braucht oft nur die typischen Eigenschaften dieser Individuen in besonders scharfer und reiner Ausprägung zu besitzen und den Eindruck größerer Kraft und libidinöser- Freiheit zu machen, so komint ihm das Bedürfnis nacheinem starkem Oberhaupt entgegen und bekleidet ihn mit der Übermacht, auf die er sonst vielleicht keinen Anspruch hätte. Die anderen, deren Ichideal sich in seiner Person sonst

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114 ' Massenpsyohologie und Ich-Analyse

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nicht ohne Korrektur verkörpert hätte, werden dann „suggestiv“, d. h. durch Identifizierung mitgerissen.

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Wir erkennen, was wir zur Aufklärung der libidinösen Struktur einer Masse beitragen konnten, führt sich auf die Unterscheidung des Ichs vom Ichideal und auf die dadurch ermöglichte doppelte Art der Bindung —— Identifizierung und Einsetzung des Objekts an die Stelle des Ichideals 4—— zurück. Die Annahme einer solchen Stufe im Ich als erster Schritt einer Ichanalyse muß ihre Rechtfertigung allmählich auf den "verschiedensten Gebieten der Psychologie erweisen. In meiner Schrift „Zur Einführung des Narzißmus“ * habe ich zusainmengetragen, was sich zunächst von pathologischem Material zur Stütze dieser Sonderung verwerten ließ., Aber man darf erwarten, daß sich ihre Bedeutung bei weiterer Vertiefung in die Psychologie der Psychosen als eine viel größere enthüllen wird. Denken wir daran, daß das Ich nun in die Beziehung eines Objekts zu dem aus ihm entwickelten Ichideal tritt, und daß möglicherweise alle Wechselwirkungen, die wir zwischen äußerem Objekt und Gesamt-Ich in der Neurosen— lehre kennen gelernt haben, auf diesem neuen Schau

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' Jahrbuch der Psychoanalyse. VI, 1914. —— Sammlung kleiner Schriften zur Neurosenleh-re. 4. Folge.

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N.'„-.L_t-g ,. „ 4

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XI. Eine Stufe im Ich 115

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platz innerhalb des Ichs zur Wiederholung kommen.

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Ich will hier nur einer der von diesem Standpunkt aus möglichen Folgerungen nachgehen und damit die Erörterung eines Problems fortsetzen, das ich an anderer Stelle ungelöst verlassen mußte *. Jede der seelischen Dilierenzierungen, die uns bekannt geworden sind, stellt eine neue Erschwerung der seelischen Funktion dar, steigert deren Labilität und kann der Ausgangspunkt eines Versagens der Funktion, einer Erkrankung werden. So haben wir mit dem Geboren'werden den Schritt vom absolut selbstgenügsamen Narzißmus zur Wahrnehmung einer veränderlichen Außenwelt und zum Beginn der Objekfiindung gemacht, und damit ist verknüpft, . daß wir den neuen Zustand nicht dauernd ertragen, daß wir ihn periodisch rückgängig machen und im Schlaf zum früheren Zustand der Reizlosigkeit und Objektvermeidung zurückkehren. Wir folgen dabei allerdings einem Wink der Außenwelt, die uns durch den periodischen Wechsel von Tag und Nacht zeitweilig den größten Anteil der auf uns wirkenden Reize entzieht. Keiner ähnlichen Einschränkung ist das zweite, fiir die Pathologie bedeutsamere Beispiel

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"‘ Trauer und Melancholie. lnternationeie Zeitschrift für Psycho— analyse, IV, 1916/18. —- Samuiung kleiner Schriften zur Neurosenlehre, 4. Folge.

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116 Massmmvuhol°eie md Ich-Analyse

§ 699

unterworfen. Im Laufe ufiserer Entwicklung haben wir eine Sonderung unseres seelischen Bestandes in ein kohärentes Ich und in ein außerhalb dessen gelassenes, unbewußtes Verdrängtes vorgenommen und wir wissen, daß die Stabilität dieser Neuerwerbung beständigen Erschütterungen ausgesetzt ist. Im Traum und in der Neurose pocht dieses Ausgeschlossene um Einlaß an den von Widerständen bewachten Pforten, und in wacher Gesundheit bedienen wir uns besonderer Kunstgritfe, um das Verdrängte mit Umgehung der Widerstände' und unter Lustgewinn zeitweilig in unser Ich aufzunehmen. Witz und Humor, zum Teil auch das Komische überhaupt, dürfen in diesem Licht betrachtet werden. Jedem. Kenner der Neurosenpsychologie werden . ähnliche Beispiele von geringerer Tragweite einfallen, aber ich eile zu der beabsichtigten An— wendung.

§ 700

Es wäre gut denkbar, daß auch die Scheidung des Ichideals v‘om Ich nicht dauernd vertragen wird und sich zeitweilig zurückbilden muß. Bei allen Verzichten und Einschränkungen, die dem Ich auferlegt werden, ist der periodische Durchbruch der Verbote Regel, wie ja die Institution der Feste zeigt, die ursprünglich nichts anderes sind als vom Gesetz gebo

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§ 702

XI. Eine Stufe im 1011 117

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tene Exzesse und dieser Befreiung auch ihren heiteren Charakter verdanken *. Die Saturnalien der Römer und unser heutiger Karneval treffen in diesem wesentlichen Zug rnit den Festen der Primitiven zusammen, die-in Ausschweifungen jeder Art mit _ , Ubertretung der sonst heiligsten Gebote auszugehen . pflegen. Das Ichideal umfaßt aber die Summe aller Einschränkungen, denen das Ich sich fügen soll, und darum müßte die Einziehung des Ideale ein großartiges Fest für das Ich sein, das dann wieder einmal mit sich selbst zufrieden sein dürfte.

§ 704

Es kommt immer zu einer Empfindung von Triumph, wenn etwas im Ich mit dem Ichideal zusarnh1enfällt. Als Ausdruck der Spannung zwischen Ich und Ideal kann auch das Schuldgefühl (und Minderwertigkeitsgefühl) ‘ verstanden werden.

§ 705

T r otte r läßt die Verdrängung vom Herdentrieb ausgehen. Es “ist eher eine Übersetzung in eine andere Ausdrucksweise als ein Widerspruch, wenn ich in der „Einführung des Narzißmus“ gesagt habe: die Idealbildung , wäre iron seiten des Ichs die Bedingung der Verdrängung.

§ 706

Es gibt bekanntlich Menschen, bei denen das Allgemeingefühl der Stimmung in periodischer Weise schwankt, von einer übermäßigen Gedrücktheit durch einen gewissen Mittelzustand zu einem

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" Totem und Tabu.

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118 Massmpsyuhplogie und Ich-Analyse

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erhöhten Wohlbefinden, und zwar treten diese Schwankungen in sehr verschieden großen Amplituden auf, vom eben Merklichen bis zu jenen Extremen, die als.Melancholie und Manie höchst qualvoll oder störend in das Leben der Betroffenen eingreifen. In typischen Fällen dieser zyklischen Verstimmung scheinen äußere Veranlassungen keine entscheidende Rolle zu spielen; von inneren Motiven findet man bei diesen Kranken nicht mehr oder nichts anderes als bei allen anderen. Man hat sich deshalb gewöhnt, diese Fälle als nicht" psyéhogene zu beurteilen. Von anderen, ganz ähnlichen Fällen zyklischer Verstimmung, die sich aber leicht auf seelische Traumen * zurückiühren, soll später die Rede sein.

§ 711

Die Begründung dieser spontanen Stimmungsschwankungen ist also unbekannt; in den "Mechanismus der Ablösung einer Melancholie durch eine Manie fehlt uns die Einsicht. Somit wären dies die Kranken, für welche unsere Vermutung Geltung haben könnte,\daß ihr Ichideal zeitweilig in’s Ich aufgelöst wird, nachdem es vorher besonders strenge regiert hat.

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Halten wir zur Vermeidung von Unklarheiten fest: Auf dem Boden un'serer Iehanalyse ist es nicht zweifelhaft, daß beim Manischen Ich und lchideal

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\

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x1. Eine Stufe im Ich 119

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zusammengeflosseu sind, so daß die Person sich in einer durch keine Selbstkritik gestörten Stimmung von Triumph und Selbstbeglücktheit des Wegfalls von Hemmungen, Rücksichten und Selbstverwürfen erfreuen kann. Es ist minder evident, aber doch recht wahrscheinlich, daß das Elend des Melancholikers der Ausdruck eines scharfen Zwiespalts zwischen beiden Instanzen des Ichs ist, in, dem das übermäßig empfindliche Ideal seine Verurteilung des Ichs im Kleinheitswahn und in der Selbsterniedrigung schonungslos zum Vorschein bringt. In Frage steht nur, ob man die Ursache dieser ,veränderten Beziehungen zwischen Ich und Ichideal in den oben postulierten periodischen Auflehnungen gegen die neue Institution suchen, oder andere Verhältnisse dafür verantwortlich machen soll. „

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Der Umschlag in Manie ist kein notwendiger Zug im Krankheitsbild der melancholischen Depression. Es gibt einfache, einmalige und auch periodisch wiederholte Melancholien, welche niemals dieses Schicksal haben. Anderseits gibt es Melancholien, bei denen die VeranlasSung offenbar eine ätiologische Rolle spielt. Es sind die nach dem Verlust eines geliebten Objekts, sei es durch den Tod desselben oder infolge von Umständen, die zum Rück

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120 * Massen-nsvuholozle und Ich-Analyse

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zug der Libido vom Objekt genötigt haben. Einesolche psychogene Melancholie kann ebensowohl in Manie ausgehen und dieser Zyklus mehrmals wiederholt werden wie bei einer anscheinend spontanen. Die Verhältnisse sind also ziemlich undurchsichtig, zumal da bisher nur wenige Formen und Fälle von Melancholie der psychoanalytischen Untersuchung unterzogen werden sind ". Wir verstehen bis jetzt nur jene Fälle, in denen das Objekt aufgegeben wurde, weil res sich der Liebe unwürdig gezeigt hatte. Es wird dann durch Identifizierung im Ich wieder aufgerichtet und vom Ichideal streng gerichtet. Die Vorwürfe und Aggressionen gegen das Ob- jekt kommen als melancholische Selbstverwürfe zum Vorschein.. ' '

§ 721

Genauer gesagt: sie verbergen sich hinter den VorWürfen gegen das eigene Ich, verleihen ihnen die Festigkeit, Zähigkeit und Unabweisbeukeit, durch welche sich die Selbstvorwiirfe der Melancholiker auszeichnen.

§ 722

Auch an eine solche Melancholie kann sich derUmschlag in Manie anschließen, so daß diese Mög

§ 723

lichkeit einen von den übrigen Charakteren des Krmkheitsbildes unabhängigen Zug darstellt. "' Vgl. Äbra-ham. Ansätze zur psychoan—aly'dschen Erfor

§ 724

schung und Behandlung des menisch—denressiven Irreselns etc.. 1912, in „Klinische Beiträge zur Psychoanalyse". 1921.

§ 725

§ 726

XI. Eine Struie im Ich 121

§ 727

Ich sehe indes keine Schwierigkeit, das Moment der periodischen Auflehnung des Ichs _ gegen das Ichideal für . beide Arten der Melancholien, die psychogenen wie die spontanen, in Betracht kommen zu lassen. Bei den spontanen kann man annehmen, daß das Ichideal zur Entfaltung einer besonderen Strenge neigt, die dann automatisch seine zeitweilige Aufhebung zur Folge hat. Bei den psychogenen Würde das Ich zur Auflehnung gereizt durch die Mißhandlung von seiten seines Ideals, die es im Fall der Identifizierung mit einem verworfenen Objekt erfährt.

§ 728

§ 729

XII.

§ 730

Nachträge.

§ 731

Im Laufe der Untersuchung, die jetzt zu einem vorläufigen Abschluß gekommen ist, haben sich uns verschiedene Nebenwege eröffnet, die wir zuerst vermieden haben, auf denen uns aber manche nahe Einsicht winkte. Einiges von dem so zurückgestellten wollen wir nun nachholen.

§ 732

A. Die Unterscheidung von Ichidentifizierung und Ichidealersetzung durch das Objekt findet eine interessante Erläuterung an den zwei großen künstlichen Massen, die wir eingangs studiert haben, dem Heer und der christlichen Kirche.

§ 733

Es ist evident, daß der Soldat seinen Vorgesetzten, also eigentlich den Armeeführer, zum Ideal nimmt, während er sich mit seinesgleichen identifiziert und aus dieser Ichgerneinsamkeit die Verpflichtungen der Kameradschaft zur gegenseitigen Hilfeleistung und Güterteilung ableitet. Aber er wird.

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XII. Nachträge 123

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lächerlich, wenn er sich mit dem Feldherrn identifizieren will. Der Jäger in Wallensteins Lager verspottet darob den Wachtmeister:

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Wie er räuspert und wie er spuckt, Das habt ihr ihm glücklich abgeguckt! .. .

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Anders in der katholischen Kirche. Jeder Christ liebt Christus als sein Ideal und fühlt sich den anderen Christén durch Identifizierung verbunden. Aber die Kirche fordert von ihm mehr. Er soll überdies sich mit Christus identifizieren und die anderen Christen lieben, wie Christus sie geliebt hat. Die Kirche fordert also an beiden Stellen die Ergänzung der durch die Massenbildung gegebenen Libidoposition. Die Identifizierung soll dort hinzukommen, wo die Objektwahl stattgefunden hat, und die Objektliebe dort, wo die Identifizierung besteht. Dieses Mehr geht offenbar über die Konstitution der Masse hinaus. Man kann ein guter Christ sein und doch könnte einem die Idee, sich an Christi Stelle zu setzen, wie er alle Menschen liebend zu umfassen, ferne liegen. Man braucht sich ja nicht als schwacher Mensch die Seelengröße und Liebesstärke des Heilands zuzutrauen. Aber diese Weiterentwicklung der Libidoverteilung in der Masse ist wahrscheinlich

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124- Massempsyohologie und Ich-Analyse

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das Moment, auf welches das Christentum den Anspruch gründet, eine höhere Sittlichkeit gewonnen zu haben.

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B. Wir sagten, es wäre möglich, die Stelle in der seelischen Entwicklung der Menschheit anzugeben, an der sich auch für den Einzelnen der Fortschritt von der Massen- zur Individualpsychologie vollzog.

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Das hier folgende steht unter dem Einflusse eines Gedankenaustausches mit Otto Rank.

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Dazu müssen wir wieder kurz auf den wissenschaftlichen Mythus vom Vater der Urhorde zurückgreifen. Er wurde später zum Weltenschöpfer erhöht, mit Recht, denn er hatte alle die Söhne erzeugt, welche die erste Masse zusammensetzten. Er war das Ideal jedes einzelnen von ihnen, gleichzeitig geiürchtet und verehrt, was für später den Begrifi des Tabu ergab. Diese Mehrheit faßte sich einmal zusammen, tötete und zerstückelte ihn. Keiner der Massensieger konnte sich an seine Stelle setzen, oder wenn es einer tat, erneuerten sich die Kämpfe, bis sie einsahen, daß sie alle auf die Erbschaft des Vaters verzichten müßten. Sie bildeten dann die totemistische Brüdergemeinschait, alle mit gleichem Rechte und

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XII. Nachträge 125

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durch die Toternverbote gebunden, die das Andenken der Mordtat erhalten und sühnen sollten. Aber die Unzufriedenheit mit dem Erreichten blieb und wurde die Quelle neuer Entwicklungen. Allmählich näherten sich die zur Brudermasse Verbundenen einer Herstellung des alten Zustandes auf neuem Niveau, der Mann wurde wiederum Oberhaupt einer Familie und brach die Vorrechte der Frauenherrschaft, die sich in der vaterlosen Zeit festgesetzt hatte. Zur Entschädigung mag er damals die Mutter. gottheiten anerkannt haben, deren Priester kastriert wurden zur Sicherung der Mutter nach dem Beispiel, das der Vater der Urhorde gegeben hatte; doch war die neue Familie nur ein Schatten der alten, der Väter waren viele und jeder durch die Rechte des anderen

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beschränkt. Damals mag die sehnsüchtige Entbehrung einen

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Einzelnen bewogen haben, sich von der Masse loszulösen und sich in die Rolle des Vaters zu versetzen. Wer dies tat, war der erste epische Dichter, der Fortschritt wurde in seiner Phantasie vollzogen. Dieser Dichter log die Wirklichkeit um im Sinne seiner Sehnsucht. Er erfand den heroischen Mythus. Heros war, wer allein den Vater erschlagen hatte,

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der im Mythus noch als totemistisches Ungeheuer 9

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erschien. Wie der Vater das erste Ideal des Knaben gewesen war, so schuf jetzt der Dichter im Heros, der den Vater ersetzen will, das erste Ichideal. Die Anknüpfung an den Heros bot wahrscheinlich der jüngste Sohn, der Liebling der Mutter, den sie vor der väterlichen Eifersucht beschützt hatte, und der in Urhordenzeiten der Nachfolger des Vaters geworden war. In der lügenhaften Umdichtung der Urzeit wurde das Weib, das der Kampfpreis und die Verlockung des Mordes gewesen war, wahrscheinlich zur Verführerin und Anstifterin der Untat. Der Heros will die Tat allein vollbracht haben, deren sich gewiß nur die Horde als Ganzes getraut hatte. Doch hat nach einer Bemerkung von Ra uk das Märchen deutliche Spuren des verleugneten Sachverhalts bewahrt. Denn dort kommt es häufig vor, daß der Held, der eine schwierige Aufgabe zu lösen hat — meist ein jüngster Sohn, nicht selten einer, der sich vor dem Vatersurrogat dumm, d. h. ungefährlich gestellt hat — diese Aufgabe doch nur mit Hilfe einer Schar von kleinen Tieren (Bienen, Ameisen) lösen kann. Dies wären die Brüder der Urhorde, wie ja auch in der Traumsymbolik Insekten, Ungeziefer die Geschwister (verächtlich: als kleine Kinder) bedeuten. Jede der Aufgaben in

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XII. Nachträ‘ge 127

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Mythus und Märchen ist überdies leicht als Ersatz der heroischen Tat zu erkennen.

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Der Mythus ist also der Schritt, mit dem der Einzelne aus der Massenpsychologie austritt. Der erste Mythus war sicherlich der psychologische, der Heroenmythus; der erklärende Naturmythus muß weit später aufgekomrnen sein. Der Dichter, der diesen Schritt getan und sich so in der Phantasie von der Masse gelöst hatte, weiß nach einer weiteren Bemerkung von R a n k doch in der Wirklichkeit die Rückkehr zu ihr zu finden. Denn er geht hin und erzählt dieser Masse die Taten seines Helden, die er erfunden. Dieser Held ist im Grunde kein anderer als. er selbst. Er senkt sich somit zur Realität herab und hebt seine Hörer zur Phantasie empor. Die Hörer aber verstehen den Dichter, sie können sich auf Grund der nämlichen sehnsüchtigen Beziehung zum Urvater mit dem Heros identifizieren *.

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Die Lüge des heroischen Mythus gipfelt in der Vergottung des Heros. Vielleicht war der vergottete Heros früher als der Vatergott, der Vorläufer der Wiederkehr des Urvaters als Gottheit. Die Götterreihe liefe dann chronologisch so: Muttergöttin—

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' Vgl. Hanns Sachs. Gemeinsame Tazträume. Autoreferat eines Vortrags auf dem VI. psychoanalytischen Kongreß im Haag, 1920. Internationale Zeitschrift für Psychoanalyse. VI, 1920.

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„.

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Heros—Vatergott. Aber erst mit der Erhöhung des nie vergessenen Urvaters erhielt die Gottheit die Züge, die wir noch heute an ihr kennen.

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In dieser abgekürzten Darstellung ist auf alles Material aus Sage, Mythus, Märchen, Sittengeschichte usw. zur Stütze der Konstruktion verzichtet werden.

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C. Wir haben in dieser Abhandlung viel von direkten und von zielgehemmten Sexualtrieben gesprochen und dürfen hoffen, daß diese "Unterscheidung nicht auf großen Widerstand stoßen wird. Doch wird eine eingehende Erörterung darüber nicht unwillkommen sein, selbst wenn sie nur wiederholt, was zum großen Teil bereits an früheren Stellen gesagt worden ist.

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Das erste, aber auch beste Beispiel zielgehernmter Sexualtriebe hat uns die Libidoentwicklung des Kindes kennen gelehrt. Alle die Gefühle, welche das Kind für seine Eltern und Pflegepersonen empfindet, setzen sich ohne Schranke in die Wünsche fort, welche dem Sexualstreben des Kindes Ausdruck geben. Das Kind verlangt von diesen geliebten Personen alle Zärtlichkeiten, die ihm bekannt sind, will sie küssen, berühren, beschauen, ist neugierig, ihre Genitalien zu sehen und bei ihren intimen Exkretionsverrichtungen anwesend zu sein, es versmicht,

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die Mutter oder Pflegerin zu heiraten, was immer es sich darunter vorstellen mag, setzt sich vor, dem Vater ein Kind zu gebären usw. Direkte Beobach- _ tung sowie die nachträgliche analytische Durchleuchtung der Kindheitsreste lassen über das un— mittelbare Zusammenfließen zärtlicher und eifersüchtiger Gefühle und sexueller Absichten keinen Zweifel und legen uns dar, in wie gründlicher Weise das Kind die geliebte Person zum Objekt aller seiner noch nicht richtig zentrierten Sexualbestrebungen macht. (Vgl. Sexualtheorie.)

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Diese erste Liebesgestaltung des Kindes, die typisch dem Ödipuskömplex zugeordnet ist, erliegt dann, wie bekannt, vom Beginn der Latenzzeit an einem Verdrängungsschub. Was von ihr erübrigt, zeigt sich uns als rein zärtliche Gefühlsbindung, die denselben Personen gilt, aber nicht mehr als „sexuell“ bezeichnet werden solL Die Psychoanalyse, welche die Tiefen des Seelenlebens durchleuchtet, hat es nicht schwer aufzuweisen, daß auch die sexuellen Bindungen der ersten Kinderjahre noch fortbestehen, aber verdrängt und unbewußt. Sie gibt uns den Mut zu behaupten, daß überall, wo wir ein zärtliches Gefühl begegnen, dies der Nachfolger einer voll„sinnlichen“ Objektbindung an die betreffende Per

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son oder ihr Vorbild (ihre Image) ist. Sie kann uns freilich nicht ohne besondere Untersuchung ver_ raten, ob diese vorgängige sexuelle Vollströmung in einem gegebenen Fall noch als verdrängt besteht oder ob sie bereits aufgezehrt ist. Um es noch schärfer zu fassen: es steht fest, daß sie als Form und Möglichkeit noch vorhanden ist und jederzeit wieder durch Regression besetzt, aktiviert werden kann; es fragt sich nur und ist nicht immer zu entscheiden, welche Besetzung und Wirksamkeit sie gegenwärtig noch hat. Man muß sich hierbei gleichmäßig vor zwei Fehlerquellen in Acht nehmen, vor der Scylla der Unterschätzung des verdrängten Unbewußten, wie vor der Charybdis der Neigung, das Normale durchaus mit dem Maß des Pathologischen zu messen.

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Der Psychologie, welche die Tiefe desVerdrängten nicht durchdringen will oder kann, stellen sich die zärtlichen Gefühlsbindungen jedenfalls als Ausdruck von Strebungen dar, die nicht nach dem Sexuellen zielen, wenngleich sie aus solchen, die danach gestrebt haben, hervorgegangen sind.

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Die feindseligen Gefühle, um ein Stück komplizierter aufgebaut, machen hievon keine Ausnahme.

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Wir sind berechtigt zu sagen, sie sind von diesen sexuellen Zielen abgelenkt werden, wenngleich es seine Schwierigkeiten hat, in der Darstellung einer solchen Zielablenkung den Anforderungen der Metapsychologie zu entsprechen. Übrigens halten diese zielgehemmten Triebe immer noch einige der ursprünglichen Sexualziele fest; auch der zärtlich Anhängliche, auch der Freund, der Verehrer sucht die körperliche Nähe und den Anblick der nur mehr im „p a u 1 i n i s c h e n“ Sinne geliebten Person. Wenn wir es wollen, können wir in dieser Zielablenkung einen Beginn von Sublirnierung der Sexualtriebe anerkennen oder aber die Grenze für letztere noch ferner stecken. Die zielgehemmten Sexualtriebe haben vor den ungehemmten einen großen funktionellen Vorteil. Da sie einer eigentlich vollen Befriedigung nicht fähig sind, eignen sie sich besonders dazu, dauernde Bindungen zu schaffen, während die direkt sexuellen jedesmal durch die Befriedigung ihrer Energie verlustig werden und auf Erneuerung durch Wiederanhäufung der sexuellen Libido warten müssen, wobei inzwischen das Objekt gewechselt werden kann. Die gehemmten Triebe sind jedes Maßes von Vermengung mit den ungehemmten fähig, können sich in sie rückverwandeln,

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132 Ma.ssenpsyohologie und Ich-Analyse

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wie sie aus ihnen hervorgegangen sind. Es ist bekannt, wie leicht sich aus Gefühlsbeziehungen ireundschaitlicher Art, auf Anerkennung und Bewunderung gegründet, erotische Wünsche entwickeln (das M 0 li é r e’sche: Embrassez—moi pour l’amour du Grec), zwischen Meister und Schülerin, Künstler und entzückter Zuhörerin, zumal bei Frauen. Ja die Entstehung solcher zuerst absichtsloser Gefühlsbindungen gibt direkt einen viel begangenen Weg zur sexuellen Objektwahl. In der „Frömmigkeit des Grafen von Zinzendorf“ hat Pfister ein überdeutliches, gewiß nicht vereinzeltes Beispiel dafür aufgezeigt, wie nahe es liegt, daß auch intensive religiöse Bindung in brünstige sexuelle Erregung zurückschlägt. Anderseits ist auch die Umwandlung direkter, an sich kurzlebiger, sexueller Strebungen in dauernde, bloß zärtliche Bindung etwas sehr gewöhnliches und die Konsolidierung einer aus verliebter Leidenschaft geschlossenen Ehe beruht zu einem großen Teil auf diesem Vorgang.

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Es wird uns natürlich nicht verwundern zu hören, daß die zielgehemmten Sexualstrebungen sich aus den direkt sexuellen dann ergeben, wenn sich der Erreichung der Sexualziele innere oder äußere Hindernisse entgegenstellen. Die Verdrän

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gung der Latenzzeit ist ein solches inneres — oder besser innerlich gewordenes — Hindernis. Vom Vater der Urhorde haben wir angenommen, daß er durch seine sexuelle Intoleranz alle Söhne zur Abstinenz nötigt und sie so in zielgehemmte Bindungen drängt, während er selbst sich freien Sexualgenuß vorbehält und somit angebunden bleibt. Alle Bin— dungen, auf denen die Masse beruht, sind von der Art der zielgehemmten Triebe. Damit aber haben wir uns der Erörterung eines neuen Themas gemähert, welches die Beziehung der direkten Sexualtriebe zur Massenbildung behandelt.

§ 786

Wir sind bereits durch die beiden letzten Bemerkungen darauf vorbereitet zu finden, daß die direkten Sexualstrebungen der Massenbildung ungünstig sind. Es hat zwar auch in der Entwicklungsgeschichte der Familie Massenbeziehungen der sexuellen Liebe gegeben (die Gruppenehe), aber je bedeutungsvoller die Geschlechtsliebe für das Ich wurde, je mehr Verliebtheit sie entwickelte, desto eindringlicher forderte sie die Einschränkung auf zwei Personen — una cum uno —, die durch die Natur des Genitalziels vorgezeichnet ist. Die polygamen Neigungen wurden darauf angewiesen, sich im Nacheinander des Objektwechsels zu befriedigen.

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>.4M.Ls_,

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Die beiden zum Zweck der Sexualbefriedigung aufeinander angewiesenen Personen demonstrieren gegen den Herdentrieb, das Massengeiühl, indem sie die Einsamkeit aufsuchen. Je ‘verliebter sie sind, desto vollkommener genügen sie einander. Die Ablehnung des Einflusses der Masse äußert sich als Schamgefühl. Die äußerst heftigen Gefühlsregungen der Eifersucht werden aufgeboten, um die sexuelle Objektwahl gegen die Beeinträchtigung durch eine Massenbindung zu schützen. Nur, wenn der zärtliche, also persönliche, Faktor der Liebesbeziehung völlig hinter dem sinnlichen zurücktritt, wird der Liebesverkehr eines Paares in Gegenwart anderer oder gleichzeitige Sexualakte innerhalb einer Gruppe wie bei der Orgie möglich. Damit ist aber eine Regression zu einem frühen Zustand der Geschlechtsbeziehungen gegeben, in dem die Ver— liebtheit noch keine Rolle spielte, die Sexualobjekte einander gleichwertig erachtet wurden, etwa im Sinne von dem bösen Wort B e r n a r d S h a W’s: Verliebtsein heiße, den Unterschied zwischen einem Weib und einem anderen ungebührlich überschätzen.

§ 791

Es sind reichlich Anzeichen dafür vorhanden, daß die Verliebtheit erst spät in die Sexualbeziehungen zwischen Mann und Weib Eingang fand, so daß auch die Gegnerschait zwischen Geschlechtsliebe und Massenbindung eine spät entwickelte ist. Nun kann es den Anséhein haben, als ob diese Annahme unverträglich mit unserem Mythus von der Urfamilie wäre. Die Brüdersclrar soll doch durch die Liebe zu den Müttern und Schwestern zum Vatermord getrieben werden sein, und es ist schwer, sich diese Liebe anders denn als eine ungebrochene, primitive, d. h. als innige Vereinigung von zärtlicher und sinnlicher vorzustellen. Allein bei weiterer Überlegung löst sich dieser Einwand in eine Bestätigung

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XII. Nachträge 135

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auf. Eine der Reaktionen auf den Vatermorcl war doch die Einrichtung der totemistischen Exogamie, das Verbot jeder sexuellen Beziehung mit den von Kindheit an zärt— lich geliebten Frauen der Familie. Damit war der Keil zwischen die zärtlichen und sinnlichen Regungen des Mannes eingetrieben, der heute noch in seinem Liebesleben festsitzt *. Infolge dieser Exogamie mußten sich die sinnlichen Bedürfnisse der Männer mit fremden und ungeliebten Frauen begnügen.

§ 795

In den großen künstlichen Massen, Kirche und Heer, ist fiir das Weib als Sexualobjekt kein Platz. Die Liebesbeziehung zwischen Mann und Weib bleibt außerhalb dieser Organisationen. Auch wo sich Massen bilden, die aus Männern und Weibern gemischt sind, spielt der Geschlechtsunterschied keine Rolle. Es hat kaum einen Sinn zu fragen, ob die Libido, welche die Massen zusammenhält, homosexueller oder heterosexueller Natur ist, denn sie ist nicht nach den Geschlechtern differenziert und sieht insbesondere von den Zielen der Genitalorganisation der Libido völlig ab.

§ 796

Die direkten Sexualstrebungen erhalten auch für das sonst in der Masseaufgehende Einzelwesen ein Stück individueller Betätigung. Wo sie überstark

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' 3. Uber die allgemeinste Erniedrigung des Liebeslebens. 1912, Sammlung kleiner Schritten zur Ne.urosenlehre. 4. Folge.

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werden, zersetzen sie jede Massenbildung. Die katholische Kirche hatte die besten Motive, ihren Gläubigen die Ehelosigkeit zu empfehlen und ihren Priestern das Zölibat aufzuerlegen, aber die Verliebtheit hat oft auch Geistliche zum Austritt aus der Kirche getrieben. In gleicher Weise durchbricht die Liebe zum Weihe die Massenbindungen der Rasse, der nationalen Absonderung und der sozialen Klas— senordnung und vollbringt damit kulturell wichtige Leistungen. Es scheint gesichert, daß sich die homosexuelle Liebe mit den Massenbindungen weit besser verträgt, auch wo sie als ungehemmte Sexualstrebung auftritt; eine merkwürdige Tatsache, deren Aufklärung weit führen dürfte.

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‘ Die psychoanalytische Untersuchung der Psychoneurosen hat uns gelehrt, daß deren Symptome von verdrängten, aber aktiv gebliebenen direkten Sexualstrebungen abzuleiten sind. Man kann diese Formel vervollständigen, wenn man hinzufügt: oder von solchen zielgehemmten, bei denen die Hemmung nicht durchgehends gelungen ist oder einer Rückkehr zum verdrängten Sexualziel den Platz geräumt hat. Diesem Verhältnis entspricht, daß die Neurose asozial macht, den von ihr Betroffenen aus den habituellen Massenbildungen heraus

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hebt. Man kann sagen, die Neurose wirkt in ähnlicher Weise zersetzend auf die Masse wie die Verliebtheit. Dafür kann man sehen, daß dort, wo ein kräitiger Anstoß zur Massenbildung erfolgt ist, die Neurosen zurücktreten und wenigstens für eine Zeitlang schwinden können. Man hat auch mit Recht versucht, diesen Widerstreit von Neurose und Massenbildung therapeutisch zu verwerten. Auch wer das Schwinden der religiösen Illusionen in der heutigen Kulturwelt nicht bedauert, wird zugestehen, daß sie den durch sie Gebundenen den stärksten Schutz gegen die Gefahr der Neurose boten, so lange sie selbst noch in Kraft waren. Es ist auch nicht schwer, in all den Bindungen an mystisch - religiöse oder philosophisch - mystische Sekten und Gemeinschaften den Ausdruck von Schieiheilungen mannigialtiger Neurosen zu erkennen. Das alles hängt mit dem Gegensatz der direkten und der zielgehemmten Sexualstrebungen zusammen.

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Sich selbst überlassen ist der Neurotiker ge— nötigt, sich die großen Massenbildungen, von denen er ausgeschlossen ist, durch seine Symptombildungen zu ersetzen. Er schafft sich seine eigene Phantasiewelt, seine Religion, sein Wahnsystem und wiederholt so die Institutionen der Menschheit in einer

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138 Massenpsyohologie und Ich-Analyse

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Verzerrung, welche deutlich den übermächtigen Beitrag der direkten Sexualstreb'ungen bezeugt *.

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E. Fügen wir zum Schluß eine vergleichende Würdigung der Zustände, die uns beschäftigt haben, vom Standpunkt der Libidotheorie an, der Verliebtheit, Hypnose, Massenbildung und der Neurose.

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Die V e rl i e b t h e it beruht auf dem gleichzeitigen Vorhandensein von direkten und von zielgehemmten Sexualstrebungen, wobei das Objekt einen Teil der narzistischen Ichlibido auf sich zieht. Sie hat nur Raum für das Ich und das Objekt.

§ 811

Die H y p n 0 se teilt mit der Verliebtheit die Einschränkung auf diese beiden Personen, aber sie beruht durchaus auf zielgehemmten Sexualstrebungen und setzt das Objekt an die Stelle des Ichideals.

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Die M a ss e vervielfältigt diesen Vorgang, sie stimmt mit der Hypnose in der Natur der sie zusammenhaltenden Triebe und in der Ersetzung des Ichideals durch das Objekt überein, aber sie fügt die Identifizierung - mit anderen Individuen hinzu, die vielleicht ursprünglich durch die gleiche Beziehung zum Objekt ermöglicht wurde.

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Beide Zustände, Hypnose wie Massenbildung,

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' S. Totem und Tabu, zu Ende des Abschnitß ll: Das Tabu und die Ambivalenz.

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sind Erbniederschläge aus der Phylogenese der menschlichen Libido, die Hypnose als Disposition, .die Masse überdies als direktes Überbleibsel. Die Ersetzung der direkten Sexualstrebungen durch die zielgehemrnten befördert bei beiden die Sonderung von Ich und Ichideal, zu der bei der Verliebtheit schon ein Anfang gemacht ist.

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Die N e u r o s e tritt aus dieser Reihe heraus. Auch sie beruht auf einer Eigentümlichke1t der menschlichen Libidoentwicklung, auf dem durch die Latenzzeit unterbrochenen, doppelten Ansatz der direkten Sexualfunktion. (S. Sexualtheorie, 4. Aufl., 1920, S. 96.) '

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Insoferne teilt sie mit Hypnose und Massenbildung den Charakter einer Regression, welcher der Verliebtheit abgeht. Sie tritt überall dort auf, wo der Fortschritt von direkten zu zielgehemmten Sexualtrieben nicht voll geglückt ist, und entspricht einem K 0 nflikt zwischen den ins Ich aufgenommenen Trieben, welche eine solche Entwicklung durchgemacht haben, und den Anteilen derselben Triebe, welche vom verdrängten Unbewußten her — ebenso wie andere völlig verdrängte Triebregungen — nach ihrer direkten Befriedigung streben. Sie ist inhaltlich ungemein reichhaltig, da sie alle möglichen

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Beziehungen zwischen Ich und Objekt umfaßt, sowohl die, in denen das Objekt beibehalten als auch andere, in denen es aufgegeben oder im Ich selbst aufgerichtet ist, aber ebenso die Konfliktbeziehungen zwischen dem Ich und seinem Ichideal.

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