Ergänzungen und Zusatzkapitel zur Traumdeutung (1900-001/1925.3)

Über das Werk

  • Herausgegeben von
  • Diercks, Christine
  • Rohrwasser, Michael
  • Konzept für die Edition und die Datenbank, Richtlinien, Quellenforschung, Signaturen, Referenzsystem
  • Diercks, Christine
  • Quellenforschung, Digitalisierung der Datenquellen, Bildbearbeitung, Faksimile-Ausgabe, Bibliografie
  • Blatow, Arkadi
  • Diplomatische Umschrift, Lektorat
  • Diercks, Christine
  • Huber, Christian
  • Kaufmann, Kira
  • Liepold, Sophie
  • Technische Umsetzung der Datenbank und der digitalen Instrumente
  • Roedelius, Julian
  • Datenexport aus Drupal und TEI Serialisierung
  • Andorfer, Peter
  • Stoxreiter, Daniel

Freud, Sigmund: Ergänzungen und Zusatzkapitel zur Traumdeutung (1900-001/1925.3). In: Andorfer, Peter; Blatow, Arkadi; Diercks, Christine; Huber, Christian; Kaufmann, Kira; Liepold, Sophie; Roedelius, Julian; Rohrwasser, Michael; Stoxreiter, Daniel (2022): Sigmund Freud Edition: Digitale Historisch-Kritische Gesamtausgabe, Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage, Wien. [3.4.2023], file:/home/runner/work/frd-static/frd-static/data/editions/plain/sfe-1900-001__1925.3.xml
§ 1

ERGÄNZUNGEN UND ZUSATZKAPITEL ZUR TRAUMDEUTUNC?

§ 2

§ 3

Im vorhzrgzhendzn II. Bande dieser Gesnmtausgabe gßlangte, wie am angzgaäm, der Ten der ersten Auflagz der ,Traumdeunmg“ (1900) zum Abdruck. Die hier folgendßn „Ergänzungen und Zusatzkapizel“ warm größtenteils (ohne allerdings, wie es hier der Fall ist, vom Tm der I. Anflug: geschildert zu Min) in den spät“er Auflagm der „Traundzutung' emv halten, gehen aber zum Teil üb5r dan Inhall der lztzten (siebentm) Auf lage (1922) außh hinaux. Die Ergänzungen sind abschnitthin furtlaufznd numerierz und es unweisen im II. Band: auf sie, ebenso wie auf die Zusatzkapitel, bmndm Zeichen [EI usw. und Zuulzknpilal A mm].

§ 4

§ 5

ERGÄNZUNGEN ZU ABSCI-INITT I:

§ 6

„DIE WISSENSCHAFTLICHE LITERATUR DER TRAUMPROBLEME“

§ 7

1

§ 8

Welche Auffassung der Traum in den Urzeiten der Menschheit bei den primitiven Völkern gefunden und welchen Einfluß er auf die Bildung ihrer Anschauungen von der Welt und von der Seele genommen haben mag, das ist ein Thema von so hohem Interesse, daß ich es nur ungern von der Bearbeitung in diesem Zusammenhange ausschließe. Ich verweise auf die bekannten Werke von Sir ]. Lubbock, H. Spencer, E. B. Tyler u. a. und füge nur hinzu, daß uns die Tragweite dieser Probleme und Spekulationen erst hegreiflieh werden kann, nachdem wir die uns vorschwebende Aufgabe der „Traumdeutung“ erledigt haben.

§ 9

Ein Nachklang der urzeitlicbeu Auffassung des Traumes liegt offenbar der Traumschätzung bei den Völkern des klassischen Altertums zugrunde.‘ Es war bei ihnen Voraussetzung, daß die Träume mit der Welt übermenschlicher Wesen, an die sie glaubten, in Beziehung stünden und 0Ffenbarungen von seiten der Götter und Dämonen hrächten. Ferner drängte sich ihnen auf, daß die Träume eine für den Träumer bedeutsame Absicht hätten, in der Regel, ihm die Zukunft zu verkünden. Die außerordentliche Verschiedenheit in dem Inhalt und dem Eindruck der Träume machte es

§ 10

,) Das Folgende nach Büchsenschiitz‘ sorgfältiger Darstellung (Traum und

§ 11

Traumdeutung im Altertum. Berlin 1868), ,x

§ 12

§ 13

.; Ergänzungen zur Trtmma'eutwlg

§ 14

allerdings schwierig, eine einheitliche Aulfissung derselben durchzuführen und nötigte zu mannigfachen Unterscheidungen und Gruppenbilduugeu der Träume, je nach ihrem Wert und ihrer Zuverlässigkeit. Bei den einzelnen Philosophen des Altertums war die Beurteilung des Traumes natürlich nicht unabhängig von der StellungY die sie der Mantik überhaupt einzuräumen bereit waren. 9

§ 15

Zu Aristoteles: Anstatt der Szzlle „war wohl einen tiefen Sinn £nthiillt, wenn man davon di; richtige Übersetzung zriflz“:

§ 16

d. h. der Traum entstammt keiner übernatürlichen 0Ffenbarung, sondern folgt aus den Gesetzen des allerdings mit der Gottheit verwandten menschlichen Geistes. Der Traum wird definiert als die Seelentätigkeit des Schlafenden, insofern er schläft.

§ 17

Weiter unten die Notiz:

§ 18

Über die Beziehung des Traumes zu den Krankheiten handelt der griechische Arzt H i p p o k r a t e s in einem Kapitel seines berühmten Werkes.

§ 19

Der zum Satz dieses Abschnitts: ist in späteren Auflagen wzggzbli'zbzm Es handzlt sich übrigens nicht um eine, sondern um zwei Schriften der Aristoteles.

§ 20

5

§ 21

Gruppe (Griechische Mythologie und Religionsgeschichte, p. 590) gibt eine solche Einteilung der Träume nach M a k rob i u s und A r t e mi d o r o 5 wieder: „Man teilte die Träume in zwei Klassen. Die eine sollte nur durch die Gegenwart (oder Vergangenheit) beeinflußt, für die Zukunft aber bedeutungslos sein; sie umfaßte die év6mmz, insomnia, die unmittelbar die gegebene Vorstellung oder ihr Gegenteil wiedergeben, :. B. den Hunger oder dessen Stillung, und die <pavraiuparm, welche die gegebene Vorstellung phantastisch erweitern, wie z. B. der Alpdruck, Ephialtes. Die andere Klasse dagegen galt als bestimmend für die Zukunft; zu ihr gehören: 1) die direkte Weissegung, die

§ 22

§ 23

Zu Abschnitt 1 5

§ 24

man im Traume empfängt (xpv;pzuqtb;, oraculum), 9) das Voraussagen eines bevorstehenden Ereignisses (äpap.an, visio), 5) der symbolische, der Auslegung bedürftige Traum (bvetP°& Somnium). Diese Theorie hat sich viele Jahrhunderte hindurch erhalten.“

§ 25

Mit dieser wechselnden Einschätzung der Träume stand die Aufgabe einer „Traumdeutung“ im Zusemmenhange. Da man von den Träumen im‘ellgemeinen wichtige Aufschlüsse erwartete, aber nicht alle Träume unmittelbar verstand und nicht wissen kannte, ob nicht ein bestimmter unverständlicher Traum doch Bedeutsames ankündigte, war der Anstoß zu einer Bemühung gegeben, welche den unverständlichen Inhalt des Traumes durch einen einsichtlichen und dabei bedeutungsvollen ersetzen konnte. Als die größte Autorität in der Traumdeutung galt im späteren Altertum A r t e m i d o r o 5 aus D a l d i s, dessen ausführliches Werk uns für die verloren gegangenen Schriften des nämlichen Inhaltes entschädigen muß.‘

§ 26

4„

§ 27

Zur zitierten Äußerung Burdachs:

§ 28

J. H. Fichte (I, 54.1) spricht im selben Sinne direkt von Ergänzungsträumen und nennt diese eine von den geheimen Wohlteten selbstheilender Natur des Geistes.

§ 29

5 Zur Abhängigkeit du Traum vom Wachlebm:

§ 30

Am unzweideutigsten nimmt zu dieser Frage der Philosoph I. G. E. Maaß (Uber die Leidenschaften, 1805) Stellung: „Die Erfahrung bestätigt unsere Behauptung, daß wir am häufigsten

§ 31

;) Die weiteren Schick-de der Trnumdeutung im Mittelalnr lieh: bei Diapgln und in den Spezielunterluehnmgen von M. Förlter, Gottlnrd u. .. Uhr die Traumdeutung bei den Juden hmdel.n Almoli, Amxam, Löwinger low-ie neueltenl, mit Berüchinl-rtigung du pryelmnnnlyn'adzm Sundpunktei, Luxor. Kenntnis der unbirehen Traumdeutung vennitteln Drexl, r. Sohn-„ und der Missionir rmmi, der inpnnilchun Miurn und Iwnyl. der chinnilchen Socket, tler indilcl-nm Negeluin.

§ 32

§ 33

6 Ergänzungen zur Traumdeutung

§ 34

von den Dingen träumen, auf welche unsere wärmsten Leidenschaften gerichtet sind. Hieraus sieht man, daß unsere Leidenschaften auf die Erzeugung unserer Träume Einfluß haben müssen. Der Ehrgeizige träumt von den (vielleicht nur in seiner Einbildung) errungenen oder noch zu erringenden Lorbeeren, indes der Verliebte sich in seinen Träumen mit dem Gegenstand seiner süßen Hoffnungen beschäftigt . .. Alle sinnlichen Begierden und Verabscheuungen, die im Henen schlurnmern, können, wenn sie durch irgendeinen Grund angeregt werden, bewirken, daß aus den mit ihnen vergesellschafteten Vorstellungen ein Traum entsteht oder daß sich diese Vorstellungen in einen bereits vorhandenen Traum einmischen.“ (Mitgeteilt von W i n t e r s t e i n im „Zbl. für Psychoanalyse“.)

§ 35

Zum Traumged/ichmis:

§ 36

V a s c h id e behauptet auch, es sei oft bemerkt worden, daß man im Traume fremde Sprachen geläufiger und reiner spreche als im Wachen.

§ 37

Zur Hypzrmnzsie der Traum.

§ 38

Einen hypermnestischen Traum, welcher sich durch die besondere Eigentümlichkeit auszeichnet, daß sich in einem darauffolgenden Traum die Agnoszierung der zuerst nicht erkannten Erinnerung vollzieht7 erzählt der M a r q u is d’H e r v e y d e S t. D e nis (nach V a s (: hi d e, p. 259): „Ich träumte einmal von einer jungen Frau mit goldblondern Haar, die ich mit. meiner Schwester plaudern sah, während sie ihr eine Stickereiarbeit zeigte. Im Traume kam sie mir sehr bekannt vor, ich meinte sogar, sie zu wiederholten Malen gesehen zu haben. Nach dem Erwachen habe ich dieses Gesicht noch lebhaft vor mir, kann es aber absolut nicht erkennen. Ich schlafe nun wieder ein; das Traumbild wiederholt sich. In diesem neuen Traume spreche ich

§ 39

§ 40

Zu Abschnitt 1 7

§ 41

nun die blonde Dame an und frage sie, ob ich nicht schon das Vergnügen gehabt, sie irgendwo zu trefl'en. ,Gewiß,‘ antwortet die Dame, ,erinnern Sie sich nur an das Seebad von Pomic.‘ Sofort wachte ich wieder auf und weiß mich nun mit aller Sicherheit an die Einzelheiten zu besinnen, mit. denen dieses anmutige Traumgesicht verknüpft war.“

§ 42

Demelbe Autor (bei Vaschide, p. 955) berichtet:

§ 43

Ein ihm bekannter Musiker hörte einmal im Traum eine Melodie, die ihm völlig neu erschien. Erst mehrere Jahre später fand er dieselbe in einer alten Sammlung von Musikstücken auf» gezeichnet, die vorher in der Hand gehabt zu haben er sich noch immer nicht erinnert.

§ 44

8

§ 45

Zur Ärgfdzclamg dcr Herkunft unerkath Traumelemtnts:

§ 46

Ich habe selbst an eigenen Träumen erfahren, wie sehr man mit der Aufdeckung der Herkunft einzelner Traumelemente vom Zufalle abhängig bleibt. So verfolgte mich durch Jahre vor der Abfassung dieses Buches das Bild eines sehr einfach gestalteten Kirchturmes, den gesehen zu haben ich mich nicht erinnern konnte. Ich erkannte ihn dann plötzlich, und zwar mit voller Sicherheit, auf einer kleinen Station zwischen Salzburg und Reichenhall. Es war in der zweiten Hälfie der neunziger Jahre, und ich hatte die Strecke im Jahre 1886 zum erstenmal befahren. In späteren Jahren, als ich mich bereits intensiv mit dem Studium der Träume beschäftigte, wurde das häufig wiederkehrende Traum— hild einer gewissen merkwürdigen Lokalität mir geradezu lästig. Ich sah in bestimmter örtlicher Beziehung zu meiner Person, zu meiner Linken, einen dunklen Raum, aus dem mehrere groteske Sandsteinfignren hervorleuchteten. Ein Schimmer von Erinnerung, dem ich nicht recht glauben wollte, sagte mir, es sei ein Ein— gang in einen Bierkeller; es gelang mir aber weder aufzuklären, was dieses Traumhild bedeuten wolle, noch woher es stamme.

§ 47

§ 48

8 Ergänzungen zur Traumdeutung

§ 49

Im Jahre 1907 kam ich zufällig nach Padua, das ich zu meinem Bedauern seit 1895 nicht wieder hatte besuchen können. Mein erster Besuch in der schönen Universität55tadt war unbefriedigend geblieben; ich hatte die Fresken G i o t t o s in der M a d o n n a d el 1’ A r e n a nicht besichtigen können und machte mitten auf der dahin führenden Straße Kehrt, als man mir mitteilte, das Kirchlei.n sei an diesem Tage gesperrt. Bei meinem zweiten Besuche, zwölf Jahre später, gedachte ich mich zu entschädigen und suchte vor allem den Weg zur Madonna dell’ Arena auf. An der zu ihr führenden Straße, linker Hand von meiner Wegrichtung, wahrscheinlich an der Stelle, wo ich 1895 umgekehrt war, entdeckte ich die Lukalität, die ich so oft im Trauma gesehen hatte, mit den in ihr enthaltenen Sandsteinfiguren. Es war in der Tat der Eingang in einen Restaurationsgarten.

§ 50

9

§ 51

Die Bemerkung „der gegznwärtig in Wun lehrt“ wurde später, wohl mit Recht, gestrichzn, umso mehr, als der Bene/fand.: gestorben war.

§ 52

10

§ 53

Zur Wiederkehr von Erinnerungen im Traum:

§ 54

Aus späterer Erfahrung füge ich hinzu, daß gar nicht so selten harmlose und unwichtige Beschäftigungen des Tages vom Traume wiederholt werden, etwa: Koffer packen, in der Küche Speisen zubereiten u. dgl. Bei solchen Träumen betont der Träumer selbst aber nicht den Charakter der Erinnerung, sondern den der „Wirklichkeit“. „Ich habe das alles am Tage wirklich getan.“

§ 55

1 1 Zum Traum von Simon:

§ 56

Ri858nhafte Personen im Traume lassen annehmen, daß es sich um eine Szene aus der Kindheit des Träumers handelt.

§ 57

Die obige Deutung auf eine Reminiszenz an Gullivers Reisen ist übrigens ein gutes Beispiel dafür, wie eine Deutung nicht

§ 58

§ 59

Zu Abschnitt I g

§ 60

sein soll. Der Traumdeuter soll nicht seinen eigenen Witz spielen lassen und die Anlehnung an die Einfiille des Träumers hinten—

§ 61

setzen. 1 9

§ 62

Zur ärztlichen Verwertung der Träumz:

§ 63

Außer dieser diagnostischen Verwertung der Träume (z. B. bei H i p p 0 k r a t e s) muß man ihrer therapeutischen Bedeutung im Altertum gedenken.

§ 64

Bei den Griechen gab es Traumorakel, welche gewöhnlich Genesung suchende Kranken aufzusuchen pflegten. Der Kranke ging in den Tempel des Apollo oder des Äskulap, dort wurde er verschiedenen Zeremonien unterworfen, gehadet, geriehen, geräuchert, und so in Exaltation versetzt, legte man ihn im Tempel auf das Fell eines geopferten Widders. Er schlief ein und träumte von Heilmitteln, die ihm in natürlicher Gestalt oder in Symbolen und Bildern gezeigt wurden, welche dann die Priester deuteten.

§ 65

Weiteres über die Heilträume der Griechen bei Lehma nn I, 74, Bouché-Leclerq, Hermann, Gottesd. Alten. d. GL 8 4.1, Privataltert. S 58, 16, Böttinger in Sprengels Beitr. z. Gesch. d. Med. II, p. 165 ff., W. Lloyd, Magnetism and Mesmerism in antiquity, London, 1877, D 5 l l i n g e r, Heidentum und Judentum, p. 150.

§ 66

15

§ 67

Zu Maurly Vold:

§ 68

Näheres über die seither in zwei Bänden veröffentlichten Traumprotokolle dieses Forschers siehe unten.

§ 69

14 Zu den hypruzgogisßhzn Halluzinatianzn: H. Silberer hat an schönen Beispielen gezeigt, wie sich selbst abstrakte Gedanken im Zustande der Schläfrigkeit in anschaulich»plastische Bilder umsetzen, die das nämliche ausf

§ 70

§ 71

10 Ergänzungen zur Traumdeutung

§ 72

drücken wollen. (Jahrbuch von B 1 e u l e r-F r e u (1, Band I, 1909.)

§ 73

Ich werde auf diese Befunde in anderem Zusammenhange zurückkommen.

§ 74

15

§ 75

Zur Abwendung von der Außenwelt:

§ 76

Man vergleiche hiezu das „De’sinte’rét“, in dem C 1 a p a r & cl e (1905) den Mechanismus des Einschlafens findet.

§ 77

16 Zu Maurys Alliterationsträumen: An späterer Stelle wird uns der Sinn solcher Träume, die von Worten mit gleichen Anfangsbuchstaben und ähnlichem Anlaute erfüllt sind, zugänglich werden.

§ 78

1 7

§ 79

Im Amehluß an die Würdigung des Trauma: bei Havelaek Ellis:

§ 80

J . S u l 1 y (p. 569) vertritt dieselbe Auffassung des Traumes in einer noch weiter ausgreifenden und tiefer eindringenden Weise. Seine Aussprüche verdienen um so mehr Beachtung, wenn wir hinzunehmen, daß er wie vielleicht kein anderer Psychologe von der verhüllten Sinnigkeit des Traumes überzeugt war. „Now our dreams are 11 means of canserving these suecessive permnalilies. When asleep we go back to the old ways of looking at things and of feeling about them, to impulses and activities which lang ago dominatea'

§ 81

u s.“ 1 8

§ 82

Andere Beurteilungen der Inkahärenz:

§ 83

Bei Vaschide, der uns eine bessere Kenntnis des Buches von d’H e r v e y vermittelt, finden wir, daß sich dieser Autor in folgender Art. über die scheinbare Inkohärenz der Träume äußert. „L’image du réue est la capie de l’ide'e. Le principal es): l’idée; la vision n’est qu’aeeessaire. Ceci e'tabli, il faut savair suivre la

§ 84

§ 85

Zu Abschnitt 1 „

§ 86

marche des idées, il faut savoir analyser le tissu des réves; l’in— cohe'rence devient alors campre'hensiblz, les cancepiians les plus fantasques devimnznt des faits simples et parfuitement logiques“ (p. 146). Und (p. 14.7): „Les réuzs les plus bizarre: rrouvßnt méme une zzplimtion des plus logiques quand an mit Zur analyser.“

§ 87

J. Stärcke hat darauf aufmerksam gemacht, daß eine ähnliche Auflösung der Trauminkobärenz von einem alten Autor, Wolf D a vi d s o n, der mir unbekannt war, 1799 verteidigt worden ist (p. 13,6): „Die sonderbaren Sprünge unserer Vorstellungen im Traume haben alle ihren Grund in dem Gesetze der Assoziation, nur daß diese Verbindung manchmal sehr dunkel in der Seele vergeht, so daß wir oft einen Sprung der Vorstellung zu beobachten glauben, wo doch keiner ist.

§ 88

19

§ 89

Zur Einschätzung des Traumzs:

§ 90

Der geistreiche Mystiker D u P tel, einer der wenigen Autoren, denen ich die Vernachlässigung in früheren Auflagen dieses Buches abbitten möchte, äußert, nicht das Wachen, sondern der Traum sei die Pforte zur Metaphysik, soweit sie den Menschen betrifft (Philosophie der Mystik, p. 59).

§ 91

90 Zur Disku.uinn iü>er die scheinbar: Dauer der Träume: Weitere Literatur und kritische Erörterung dieser Probleme in der Pariser Dissertation der T o b u w o l s k a (1900). 91 Zur geistigm Überleinung im Trauma: Vgl. die Kritik bei H. Ellis, World of Dreams, p. 968. 99 Zur :zhirchzn Würdigung der Traumlebens:

§ 92

lm Gegensatz hiezu meint P la to, diejenigen seien die besten, denen das, was andere wachend tun, nur im Traume einfalle.

§ 93

§ 94

1 „ Ergänzungen zur Traumdeutung

§ 95

9 5 Ebzmiazu .

§ 96

Es ist nicht ohne Interesse zu erfahren, wie sich die heilige Inquisition zu unserem Problem gestellt. Im Tractatus de Officio sanctissimae Inquisitienis des Thomas C a r e ii 8, Lyoner Ausgabe, 1659, ist folgende Stelle: „Spricht jemand im Traum Ketzereien aus, so sollen die I.nquisitoren daraus Anlaß nehmen, seine Lebens» führung zu untersuchen, denn im Schlafe pflegt das wiederzukommen, was unter Tags jemand beschäftigt hat.“ (Dr. E 11 ni g e r, S. Urban, Schweiz.)

§ 97

94

§ 98

Zum Wert des Trauma; fiir die Seßsterkermtnis:

§ 99

,l. E. E r d man n äußert: „Mir hat nie ein Traum offenbart, was von einem Menschen zu halten sei, allein was ich von ihm halte und wie ich hinsichtlich seiner gesinnt bin, das habe ich bereits einigemal aus einem Traume gelernt zu meiner eigenen großen Überraschung.“ Und ähnlich meint .l. H. F i c h t e: „Der Charakter unserer Träume bleibt ein weit neuerer Spiegel unserer Gesamtstimmung, als was wir davon durch die Selbstbeobachtung des Wachens erfahren.“

§ 100

95

§ 101

Über das psychi.rch Unterdrücktl:

§ 102

Ganz ähnlich äußert sich der Dichter Analole Fran ce (Lys range): Ce que nous ua)/ans la nuit, ce sont les restes malhzureuz de ce que nous avons nz'glige' dans la vßille. Le réue est souvent la revanßhe des ChOSBS qu’on mz'prise ou le reprnche des étre.r

§ 103

abandonnz’s. 9 6

§ 104

Zum Thema: Traum und Geisteskrankheitzn:

§ 105

Spätere Autoren, die solche Beziehungen behandeln, sind: Féré, Ideler, Laségue, Pichon, Régis, Vespa, Gießler, Kazodowsky, Pachantoni u. a.

§ 106

§ 107

Zu Abschnitt 1 ; 5

§ 108

97

§ 109

Zusatz 1909:

§ 110

Es bedarf einer Rechtfertigung, daß ich die Literatur der Traumprobleme nicht auch über den Zeitabschnitt vom ersten Erscheinen bis zur zweiten Auflage dieses Buches fortgeführt habe. Dieselbe mag dem Leser wenig befriedigend erscheinen; ich bin nichstdestoweniger durch sie bestimmt werden. Die Motive, die mich überhaupt zu einer Darstellung der Behandlung des Traumes in der Literatur veranlaßt hatten, waren mit der vorstehenden Einleitung erschöpft; eine Furlsetzung dieser Arbeit hätte mich außerordentliche Bemühung gekostet und —— sehr wenig Nutzen oder Belehrung gebracht. Denn der in Rede stehende Zeitraum von neun Jahren hat weder an tatsächlichem Material nach an Gesichtspunkten für die Auffassung des Traumes Neues oder Wertvolles gebracht. Meine Arbeit ist in den meisten seither veröffentlichten Publikationen unerwähnt und unben'icksichtigt geblieben; am wenigsten Beachtung hat sie natürlich beiden sogenannten „Traumforschem" gefunden, die von der dem wissen- ' schaftlichen Menschen eigenen Abneigung, etwas Neues zu erlernen, hiemit ein glänzendes Beispiel gegeben haben, „Lv; savants ne sont pas curizur,‘f meint der Spötter Anatole Fre n ce. Wenn es in der Wissenschaft ein Recht zur Bevanche gibt, so. wäre ich wohl berechtigt, auch meinerseits die Literatur seit dem Erscheinen dieses Buches zu vernachlässigen. Die wenigen Berichterstattungen, die sich in wissenschaftlichen Journalen gezeigt haben, sind so voll von Unverstand und Mißverständnissen, daß ich den Kritikern mit nichts anderem als mit der Aufforderung, dieses Buch noch einmal zu lesen, antworten könnte. Vielleicht dürfte die Auf— forderung auch lauten: es überhaupt zu lesen.

§ 111

In den Arbeiten jener Ärzte, welche sich zur Anwendung des psychoanalytischen Heilverfahrens entschlossen haben, und anderer sind reichlich Träume veröffentlicht und nach meinen Anweisungen gedeutet worden. Soweit diese Arbeiten über die Bestätigung

§ 112

§ 113

14 Ergänzunan zur Ihmmdzurung

§ 114

meiner Aufstellungen hinausgehen, habe ich deren Ergebnisse in den Zusammenhang meiner Darstellung eingetragen. Ein zweites Literaturverzeichnis am Ende stellt die wichtigsten Veröffentlichungen seit dem ersten Erscheinen dieses Buches zusammen. Das reichhaltige Buch von Sante de Sanctis über die Träume, dem bald nach seinem Erscheinen eine Übersetzung ins Deutsche zuteil geworden ist, hat sich mit meiner „Traum« deutung“ zeitlich gekreuzt, so daß ich von ihm ebensowenig Notiz nehmen konnte wie der italienische Autor von mir. Ich mußte dann leider urteilen, daß seine fleißige Arbeit überaus arm an Ideen sei, so arm, daß man aus ihr nicht einmal die Möglichkeit der bei mir behandelten Probleme ahnen könnte. Ich habe nur zweier Erscheinungen zu gedenken, die nahe an meine Behandlung der Traumproblerne streifen. Ein jüngerer Philosoph, H. S web oda, der es unternommen hat, die Entdeckung der biologischen Periodizität (in Reihen von 95 und 28 Tagen), die von Willi. F ließ herrührt, auf das psychische Geschehen auszudehnen, hat in einer phantasievollen Schrift‘ mit diesem Schlüssel unter anderem auch das Rätsel der Träume lösen wollen. Die Bedeutung der Träume wäre dabei zu kurz gekommen; das Inhaltsmaterial derselben würde sich durch das Zusammentreffen all jener Erinnerungen erklären, die in jener Nacht gerade eine der biologischen Perioden zum ersten- oder n4eninal vollenden. Eine persönliche Mitteilung des Autors ließ mich zuerst annehmen, daß er selbst diese Lehre nicht mehr ernsthaft vertreten wolle. Es scheint, daß ich mich in diesem Schluß geirrt habe, ich werde an anderer Stelle einige Beobachtungen zu der Aufstellung SW obodas mitteilen, die mir aber ein überzeugendes Ergebnis nicht gebracht haben. Bei weitem erfreulicher war mir der Zufall, an unerwarteter Stelle eine Auffassung des Traumes zu finden, die sich mit dem Kern der

§ 115

x) n. 5w ob n a a, Die Perioden des menschlichen Organismus, 1304.

§ 116

§ 117

Zu Abschnitt I 15

§ 118

meinigen völlig deckt. Die Zeitverhältnisse schließen die Möglichkeit aus, daß jene . ußerung durch die Lektüre meines Buches beeinflußt werden sei; ich muß also in ihr die einzige in der Literatur nachweisbare Übereinstimmung eines unabhängigen Denkers mit dem Wesen meiner Traumlehre begrüßen. Das Buch, in dem sich die von mir ins Auge gefaßte Stelle über das Träumen findet, ist 1900 in zweiter Auflage unter dem Titel „Phantasien eines Realisten“ von Lynkeus veröffentlicht worden.

§ 119

Zusatz 1914:

§ 120

Die vorstehende Rechtfertigung ist im Jahre 1909 niedergeschrieben werden. Seither hat sich die Sachlage allerdings geändert; mein Beitrag zur „Traumdeutung“ wird in der Literatur nicht mehr übersehen. Allein die neue Situation macht mir die Fortsetzung des vorstehenden Berichtes erst recht unmöglich. Die „Traumdeutung“ hat eine ganze Reihe neuer Behauptungen und Probleme gebracht, die nun von den Autoren in verschiedenster Weise erörtert worden sind. Ich kann diese Arbeiten doch nicht darstellen, ehe ich meine eigenen Ansichten entwickelt habe, auf welche die Autoren sich beziehen. Was mir an dieser neuesten Literatur wertvoll erschien, habe ich darum im Zusammenhange meiner nun folgenden Ausführungen gewürdigt.

§ 121

§ 122

ERGÄNZUNGEN ZU ABSCHNITT II „DIE METHODE DER TRAUMDEUTUNG“

§ 123

1 Zu den Träumen bei Dichtern:

§ 124

In einer Novelle „G r a (! iv a“ des Dichters W. J e n s e n entdeckte ich zufällig mehrere artifizielle Träume, die vollkommen korrekt gebildet Waren und sich deuten ließen, als wären sie nicht erfunden, sondern von realen Personen geträumt werden. Der Dichter bestätigte auf Anfrage von meiner Seite, daß ihm meine Traumlehre fremd geblieben war. Ich habe diese Über» einstimmung zwischen meiner Forschung und dem Schaffen des Dichters als Beweis für die Richtigkeit meiner Traumanalyse verwertet. („Der Wahn und die Träume in W. Jensens ,Gradiva‘“, erstes Heft der von mir herausgegebenen „Schriften zur angewandten Seelenkunde“, 1906, dritte Auflage 1994.. Ges. Schriften,

§ 125

Bd. IX.) 2

§ 126

Zur Traumdeutung mittels Symbolik.

§ 127

A r i st 0 t e l e s hat sich dahin geäußert, der beste Traumdeuter sei der, welcher Ähnlichkeiten am besten auffasse: denn die Traumbilder seien, wie die Bilder im Wasser, durch die Bewegung verzerrt, und der treffe am besten, der in dem verzerrten Bild das Wahre zu erkennen vermöge (Büchsenschütz, p- 65)

§ 128

5 Zu Artemidarvs von Daldis:

§ 129

A r t e mid o r o 5 aus D al d is, wahrscheinlich zu Anfang des

§ 130

§ 131

Zu Abschnitt II ' 17

§ 132

zweiten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung geboren, hat uns die vollständigste und sorgfältigste Bearbeitung der Traumdeutung in der griechisch-römischen Welt überliefert. Er legte, wie Th. G o mperz hervorhebt, Wert darauf, die Deutung der Träume auf Beobachtung und Erfahrung zu gründen und sonderte seine Kunst strenge von anderen, trügerischen Künsten. Das Prinzip seiner Deutungskunst ist. nach der Darstellung von Go mperz identisch mit der Magie, das Prinzip der Assoziation. Ein Traum— ding bedeutet das, woran es erinnert. Wohlverstanden, woran es den Traumdeuter erinnert! Eine nicht zu beherrschende Quelle der Willkür und Unsicherheit ergibt sich dann aus dem Umstand, daß das Traumelement den Deuter an verschiedene Dinge und jeden an etwas anderes erinnern kann. Die Technik, die ich im folgenden auseinandersetze, weicht von der antiken in dem einen wesentlichen Punkte ab, daß sie dem Träumer selbst die Deutunge— arbeit auferlegt„ Sie will nicht berücksichtigen, was dem Traumdeuter, sondern was dem Träumer zu dem betreffenden Element des Treumes einflillt. — Nach neueren Berichten des Missionärs T fi n k d i i t (Anthropns 1915) nehmen aber auch die modernen Traumdeuter des Orients die Mitwirkung des Träumers ausgiebig in Anspruch. Der Gewährsmann erzählt von den Traumdeutem bei den mesupotamischen Arahem: „Pour interpréter „unteth 1171 sange, les aniromanciens les plus habiles s’infarmmt de nem: qui les Consultant de toutes les circonstances qu’ils regardznt ne'czrsaires pour la bonn; explicatinn . . . En un mat, nos oniro— manciens ne laz'ssent aucunz circonstance leur z'chapper ei ne donnent l’intzrprz'tatian désire'e avant d’auoir parfaitemznt sai.ri et regu toutes les intzrrogalz'ans de'sirables.“ Unter diesen Fragen befinden sich regelmäßig solche um genaue Angaben über die nächsten Femilienangehörigen (Eltern, Frau, Kinder) sowie die typische Formel: habisn'ne in hac nacte capulam con/'ugalzm ante vzl past samnium? —— „L’ide’z dominante dans l’intzrprétatz'on des songes consz'ste & e.tpliquer le révz par son oppas .“

§ 133

Fund. m. 1

§ 134

§ 135

18 Ergänzungen zur Traumdeutung

§ 136

4 Wzireres übzr die Traumdeutung der Alten:

§ 137

Dr. Alfred Bobitsek macht mich darauf aufmerksam, daß die orientalischen Traumhücher, von denen die unsrigen klägliche Abklatsche sind, die Deutung der Traumelemeute meist nach dem Gleichklang und der Ähnlichkeit der Worte vornehmen. Da diese Verwandtschaften bei der Übersetzung in unsere Sprache verloren gehen müssen, würde daher die Unbegreiflichkeit der Ersetzungen in unseren populären „Traumbüchern“ stammen. —— Über diese außerordentliche Bedeutung des Wortspieles und der Wortspielerei in den alten orientalischen Kulturen mag man sich aus den Schriften Hugo Wi n c kl e r s unterrichten. Das schönste Beispiel einer Traumdeutung, welches uns aus dem Altertum überliefert ist, beruht auf einer Wortspielerei. A r t e m i d o r o s erzählt (p. 255): „Es scheint mir aber auch A r i s t a n d r o 5 dem A l e x a n d r o s von Makedonien eine gar glückliche Auslegung gegeben zu haben, als dieser Tyro s eingeschlossen hielt und helagerte und wegen des großen Zeitverlustes, unwillig und hetrübt, das Gefühl hatte, er sehe einen Satyro s auf seinem Schilde tanzen; zufällig befand sich A r i s t a n d r o s in der Nähe von Tyros und im Geleite des Königs, der die Syrier hekfieg'te. Indem er nun das Wort Satyros in aä und Tüpa; zerlegte, bewirkte er, daß der König die Belagerung nachdrücklicher in Angriff nahm, so daß er Herr der Stadt wurde.“ (EE: — Tüpog = dein ist Tyros.) —— Übrigens hängt der Traum so innig am sprachlichen Ausdruck, daß F e r e n e z i mit Recht bemerken kann, 'jede Sprache habe ihre eigene Traumsprache. Ein Traum ist in der Regel unübersetzbar in andere Sprachen und ein Buch wie das vorliegende, meinte ich7 darum auch. Nichtsdestoweniger ist es Dr. A. A. Brill in New York gelungen, eine englische Übersetzung der „Traumdeutung“ zu schaffen (London 1915, George Allen & Co,). Lopez Ballesteros hat 1995 eine

§ 138

§ 139

Zu Abschnitt II 19

§ 140

spanische Übertragung gegeben, eine russische erschien 1913 in Moskau, eine ungarische und eine französische sind in Vorbereitung,

§ 141

5

§ 142

Zur Verwandlung der Vorstelbulgzn in Traumbilda;

§ 143

H. Silb erer hat aus der direkten Beobachtung dieser Umsetzung von Vorstellungen in Gesichtsbilder wichtige Beiträge zur Deutung der Träume gewonnen. (Jahrbuch f. psychoanalyt. Forschungen I u. II, 1909 u. ff.)

§ 144

6

§ 145

Zur Methode der kriziklosm Selbszbzobaclltung:

§ 146

Die hier geforderte Einstellung auf anscheinend „freisteigenrle“ Einfälle mit Verliebt auf die sonst gegen diese geübte Kritik scheint manchen Personen nicht leicht zu werden. Die „unge— wollten Gedanken“ pflegen den heftigsten Widerstand, der sie am Auflauchen hindern will, zu entfesseln. Wenn wir aber unserem großen Dichterphilosophen Fr. S chiller Glauben schenken, muß eine ganz ähnliche Einstellung auch die Bedingung der dichterischen Produktion enthalten. An einer Stelle seines Briefwechsels mit K ö r n e r, deren Aufspürung Otto R a n k zu danken ist, antwortet Schiller auf die Klage seines Freundes über seine mangelnde Produktivität: „Der Grund deiner Klage liegt, wie mir scheint, in dem Zwange, den dein Verstand deiner Imagination auflegt. Ich muß hier einen Gedanken hinwerfen und ihn durch ein Gleichnis versinnlichen. Es scheint nicht gut und dem Schöpfungswerke der Seele nachteilig zu sein, wenn der Verstand die zuströmenden Ideen, gleichsam an den Toren schon7 zu scharf mustert. Eine Idee kann, isoliert betrachtet, sehr unbeträchtlich und sehr sbenteuerlich sein, aber vielleicht wird sie durch eine, die nach ihr kommt, wichtig, vielleicht kann sie in einer gewissen Verbindung mit anderen, die vielleicht ebenso abgeschmackt scheinen, ein sehr zweckmäßiges Glied abgeben: —

§ 147

§ 148

20 Ergänzungen zur Traumdeutung

§ 149

Alles das kann der Verstand nicht beurteilen, wenn er sie nicht so lange festhält, bis er sie in Verbindung mit diesen anderen angeschaut hat, Bei einem schöpferischen Kopfe hingegen, däucht mir, hat der Verstand seine Wache von den Toren zurückgezogen, die Ideen stürzen péle-mélz herein, und alsdann erst übersieht und mustert er den großen Haufen. — Ihr Herren Kritiker, und wie Ihr Euch sonst nennt, schämt oder fürchtet Euch vor dem augenblicklichen, vorübergehenden Wahnwitze, der sich bei allen eigenen Schöpfern findet und dessen längere oder kürzere Dauer den denkenden Künstler von dem Träumer unterscheidet. Daher Eure Klagen über Unfmchtbarkeit, weil Ihr zu früh verwerft und zu strenge senden.“ (Brief vom 1. Dezember 1788.)

§ 150

Und doch ist ein „solches Zurückziehen der Woche von den Toren des Verstandes“, wie S chiller es nennt, ein derartiges sich in den Zustand der kritiklusen Selbstheobachtung Versetzen keineswegs schwer.

§ 151

7

§ 152

Zum Traum von Irma: Injzktian:

§ 153

Es ist dies der erste Traum, den ich einer eingehenden Deutung unterzog.

§ 154

§ 155

Ergänzungen zu Abschnitt III „Der Traum ist eine Wunscherfüllung“

§ 156

1 Zur Note über die Durstträume

§ 157

Vgl. dazu Jesaias, 29, 8: „Denn gleich wie einem Hungrigen träumet, daß er esse, wenn er aber aufwacht, so ist seine Seele noch leer; und wie einem Durstigen träumet, daß er trinke wenn er aber aufwacht, ist er matt und durstig“ . . .

§ 158

2 Zum Satze: Die Träume der kleinen Kinder sind simple Wunscherfüllungen, habe ich später

§ 159

ein einschränkendes häufig hinzugesetzt. Die Erfahrung hat gezeigt, daß schon bei vier- bis fünfjährigen Kindern entstellte, der Deutung bedürftige Träume vorkommen, was unseren theoretischen Ansichten über die Bedingungen der Traumentstellung gut entspricht.

§ 160

3 Korrektur zur Bemerkung über die sexuelle Unkenntnis der Kinder:

§ 161

Eingehendere Beschäftigung mit dem Seelenleben der Kinder belehrt uns freilich, daß sexuelle Triebkräfte in infantiler Gestaltung in der psychischen Tätigkeit des Kindes eine genügend große, nur zu lange übersehene Rolle spielen, und läßt uns an dem Glücke der Kindheit, wie die Erwachsenen es späterhin konstruieren, einigermaßen zweifeln. (Vgl. des Verfassers „Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie“ 1905 und 5. Aufl. 1922. Ges. Schriften, Bd. V.)

§ 162

4

§ 163

Über andere Träume von infantilem Charakter:

§ 164

Es soll nicht unerwähnt bleiben, daß sich bei kleinen Kindern bald kompliziertere und minder durchsichtige Träume einzustellen pflegen, und daß andererseits Träume von so einfachem infantilen Charakter unter Umständen auch bei Erwachsenen häufig vorkommen. Wie reich an ungeahntem Inhalt Träume von Kindern im Alter von vier bis fünf Jahren bereits sein können, zeigen die Beispiele in meiner „Analyse der Phobie eines fünfjährigen Knaben“ (Jahrbuch von Bleuler-Freud I., 1909) und in Jungs „Über Konflikte der kindlichen Seele“ (ebenda II. Bd., 1910). Analytisch gedeutete Kinderträume siehe noch bei v. HugHellmuth, Putnam, Raalte, Spielrein, Tausk; andere bei Banchieri, Busemann, Doglia und besonders bei Wigam, der die Wunscherfüllungstendenz derselben betont. Anderseits scheinen sich bei Erwachsenen Träume vom infantilen Typus besonders häufig wieder einzustellen, wenn sie unter ungewöhnliche Lebensbedingungen versetzt werden. So berichtet Otto Nordenskjöld in seinem Buche „Antarctic 1904 über die mit ihm überwinterte Mannschaft (Bd. I, p. 336): „Sehr bezeichnend für die Richtung unserer innersten Gedanken waren unsere Träume, die nie lebhafter und zahlreicher waren als gerade jetzt. Selbst diejenigen unserer Kameraden, die sonst nur ausnahmsweise träumten, hatten jetzt des Morgens, wenn wir unsere letzten Erfahrungen aus dieser Phantasiewelt miteinander austauschten, lange Geschichten zu erzählen. Alle handelten sie von jener äußeren Welt, die uns jetzt so fern lag, waren aber oft unseren jetzigen Verhältnissen angepaßt. Ein besonders charakteristischer Traum bestand darin, daß sich einer der Kameraden auf die Schulbank zurückversetzt glaubte, wo ihm die Aufgabe zuteil wurde, ganz kleinen Miniaturseehunden, die eigens für Unterrichtszwecke angefertigt waren, die Haut abzuziehen. Essen und Trinken waren übrigens die Mittelpunkte, um die sich unsere Träume am häufigsten drehten. Einer von uns, der nächtlicherweise darin exzellierte, auf große Mittagsgesellschaften zu gehen, war seelenfroh, wenn er des Morgens berichten konnte, ,daß er ein Diner von drei Gängen eingenommen habe‘; ein anderer träumte von Tabak, von ganzen Bergen Tabak; wieder andere von dem Schiff, das mit vollen Segeln auf dem offenen Wasser daherkam. Noch ein anderer Traum verdient der Erwähnung: Der Briefträger kommt mit der Post und gibt eine lange Erklärung, warum diese so lange habe auf sich warten lassen, er habe sie verkehrt abgeliefert und erst nach großer Mühe sei es ihm gelungen, sie wieder zu erlangen. Natürlich beschäftigte man sich im Schlaf mit noch unmöglicheren Dingen, aber der Mangel an Phantasie in fast allen Träumen, die ich selbst träumte oder erzählen hörte, war ganz auffallend. Es würde sicher von großem psychologischen Interesse sein, wenn alle diese Träume aufgezeichnet würden. Man wird aber leicht verstehen können, wie ersehnt der Schlaf war, da er uns alles bieten konnte, was ein jeder von uns am glühendsten begehrte.“ Nach Du Prel (p. 251) zitiere ich noch: „Mungo Park, auf einer Reise in Afrika dem Verschmachten nahe, träumte ohne Aufhören von wasserreichen Tälern und Auen seiner Heimat. So sah sich auch der von Hunger gequälte Trenck in der Sternschanze zu Magdeburg von üppigen Mahlzeiten umgeben, und George Back, Teilnehmer der ersten Expedition Franklins, als er infolge furchtbarer Entbehrungen dem Hungertode nahe war, träumte stets und gleichmäßig von reichen Mahlzeiten.“

§ 165

5

§ 166

Zum Träumen der Tiere:

§ 167

Ein ungarisches, von F e r e n c zi angezogenes Sprichwort behauptet vollständiger, daß „das Schwein von Eicheln, die Gans von Mais träumt“. Ein jüdisches Sprichwort lautet: „Wovon träumt das Huhn? — Von Hirse.“ (Sammlung jüd. Sprichw. u. Redensarten, herausg. v. Bernstein, 2. Aufl., S. 1 16.)

§ 168

6

§ 169

Zur Wunscherfüllung des Traumes:

§ 170

Es liegt mir fern zu behaupten, daß noch niemals ein Autor vor mir daran gedacht habe, einen Traum von einem Wunsch abzuleiten. (Vgl. die ersten Sätze des nächsten Abschnittes.) Wer auf solche Andeutungen Wert legt, könnte schon aus dem Altertum den unter dem ersten Ptolemäus lebenden Arzt Herophilos anführen, der nach Büchsenschütz (p. 33) drei Arten von Träumen unterschied: gottgesandte, natürliche, welche entstehen, indem die Seele sich ein Bild dessen schafft, was ihr zuträglich ist und was eintreten wird, und gemischte, die von selbst durch Annäherung von Bildern entstehen, wenn wir das sehen, was wir wünschen. Aus der Beispielsammluug von Scherner weiß J. Stärcke einen Traum hervorzuheben, der vom Autor selbst als Wunscherfüllung bezeichnet wird (p. 259). Scherner sagt: „Den wachen Wunsch der Träumerin erfüllte die Phantasie sofort einfach darum, weil er im Gemüte derselben lebhaft bestand.“ Dieser Traum steht unter den „Stimmungsträumen“; in seiner Nähe befinden sich Träume für „männliches und weibliches Liebessehnen“ und für „verdrießliche Stimmung“. Es ist, wie man sieht, keine Rede davon, daß Scherner dem Wünschen für den Traum eine andere Bedeutung zuschrieb als irgendeinem sonstigen Seelenzustand des Wachens, geschweige denn, daß er den Wunsch mit dem Wesen des Traumes in Zusammenhang gebracht hätte.

§ 171

ERGÄNZUNGEN ZU ABSCHNITT IV „DIE TRAUMENTSTELLUNG“

§ 172

1 Nachtrag zur Wunsrherfiillang in der Literatur: Schon der Neuplatoniker Platin sagte: „Wenn die Begierde sich regt, dann kommt die Phantasie und präsentiert uns gleichsam das Objekt derselben“ (Du Prel, p. 976).

§ 173

2

§ 174

Zur Mahnung, Angstlräume nicht vor ihrer Deutung zu beurteilen:

§ 175

Es ist ganz unglaublich, mit welcher Hsrtnäckigkeit sich Leser und Kritiker dieser Erwägung verschließen und die grundlegende Unterscheidung vun manifestem und latentem Trauminhalt unbeachtet lassen. —— Keine der in der Literatur niedergelegten Äußerungen kommt aber dieser meiner Aufstellung so sehr entgegen wie eine Stelle in J. Sullys Aufsatz: „Dreams as a revelatian“, deren Verdienst dadurch nicht geschmälert werden soll, daß ich sie erst hier anführe: „It would seem then, after all, that dreams are not the after nansense they have been said to be by such authorilies as Chaucer, Shakexpeare and Milton. The ehaotz‘c aggregatians of our nightfancy have a signifikante and eammunicaze new knowledge. Like some letter in eipher, the dream—insoription when scrutinised clasely loser its first look of balderdash and mkes on the aspect of a serious, intellegible message. Or, ta vary the figure slightly, we may say that, like some palimpsest, the

§ 176

§ 177

26 Ergänzungen zur Traumdng

§ 178

dream discloses bein;th its worthlzss surface-characters traces of an old and previous communication“ (p. 564).

§ 179

5 lWitzzilung einzs Traumzs, der die Traumzauur in ausgezeichneter Weise verdeutlicht;

§ 180

Frau Dr. H. v. H u g-Hellrn uth hat im Jahre 1915 (Internat. Zeitschr. f. ärztl. Psychoanalyse III) einen Traum mitgeteilt, der vielleicht wie kein anderer geeignet ist, meine Namengebung zu rechtfertigen. Die Traumentstellung arbeitet in diesem Beispiel mit demselben Mittel wie die Briefzensur, um die Stellen auszulöschen, die ihr anstößig erscheinen. Die Briefzensur macht solche Stellen durch Überstreichen unlesbar, die Traumzensur ersetzt sie durch ein unverständliches Gemurmel.

§ 181

Zum Verständnis des Traumes sei mitgeteilt, daß die Träumerin, eine hochangesehene, feingebildete Dame, fünfzig Jahre zählt, Witwe eines vor ungefähr zwölf Jahren verstorbenen höheren Offiziers und Mutter erwachsener Söhne ist, deren einer zur Zeit des Traumes im Felde steht.

§ 182

Und nun der Traum von den „L i e b e s d i e n s t e 11“. „Sie geht ins Garnisonsspital Nr. 1 und sagt dem Posten beim Tor, sie müsse den Oberarzt . . . (sie nennt einen ihr unbekannten Namen) sprechen, da sie im Spitale Dienst tun wolle. Dabei betont sie das Wort ,Dienst‘ so, daß der Unteroffizier sofort merkt, es handle sich um ,Liebesdienste‘. Da sie eine alte Frau ist, läßt er sie nach einigem Zögern passieren. Statt aber zum Oberarzt zu kommen, gelangt sie in ein großes, düsteres Zimmer, in dem viele Offiziere und Mili 'rzte an einem langen Tisch stehen und sitzen. Sie wendet sich mit ihrem Antrag an einen Stabsarzt, der sie nach wenigen Worten schon versteht. Der Wortlaut ihrer Rede im Traum ist: ,Ich und zahlreiche andere Frauen und junge Mädchen Wiens sind bereit, den Soldaten, Mannschaft und Offiziere ohne Unterschied, . . ,‘ Hier folgt im Traum ein Gemurmel. Daß dasselbe aber von allen Anwesenden richtig ver

§ 183

§ 184

Zu Abschnitt IV 27

§ 185

standen wird, zeigen ihr die teils verlegenen, teils hämischen Mienen der Offiziere. Die Dame fährt fort: ,Ich weiß, daß unser Entschluß befremdend klingt, aber es ist uns bitterernst. Der Soldat im Feld wird auch nicht gefragt, ob er sterben will oder nicht.‘ Ein minutenlanges peinliches Schweigen folgt. Der Stabs— arzt legt ihr den Arm um die Mitte und sagt: ,Gnädige Frau, nehmen Sie den Fall, es würde tatsächlich dazu kommen, . . .‘ (Gemurmel). Sie entzieht sich seinem Arm mit dem Gedanken: Es ist doch einer wie der andere, und erwidert: ,Mein Gott, ich bin eine alte Frau und werde vielleicht gar nicht in die Lage kommen. Übrigens, eine Bedingung müßte eingehalten werden: die Berücksichtigung des Alters; daß nicht eine ältere Frau einem ganz jungen Burschen . . . (Gemurmel); das wäre entsetzlich.‘ -— Der Stabsarzt: ,Ich verstehe vollkommen.‘ Einige Offiziere, der— unter einer, der sich in jungen Jahren um sie beworben hatte, lachen hell auf, und die Dame wünscht zu dem ihr bekannten Oberarzt geführt zu werden, damit alles ins Reine gebracht werde. Dabei fällt ihr zur größten Bestünung ein, daß sie seinen Namen nicht kennt. Der Stahsarzt weist sie trotzdem sehr höflich und respektvoll an, über eine sehr schmale eiserne Wendeltreppe, die direkt von dem Zimmer aus in die oberen Stockwerke führt“ in den zweiten Stock zu gehen. Im Hinaufsteigen hört sie einen Offizier sagen: ,Das ist ein kolossaler Entschluß, gleichgültig, ob eine jung oder alt ist; alle Achtung!‘

§ 186

Mit dem Gefühle, einfach ihre Pflicht zu tun, geht sie eine endlose Treppe hinauf.

§ 187

Dieser Traum wiederholt sich innerhalb weniger Wochen noch zweimal mit — wie die Dame bemerkt — ganz unbedeutenden und recht sinnlosen Abänderungen.“

§ 188

4.

§ 189

Zur Überhimpensatiorl der Feindseligkeit im Onkeltrwm:

§ 190

Solche heuchlerische Träume sind weder bei mir nach bei anderen seltene Vorkommnisse. Während ich mit der Bearbeitung

§ 191

§ 192

aß Ergänzungm zur Traumdeutung

§ 193

eines gewissen wissenschaftlichen Problems beschäftigt bin, sucht mich mehrere Nächte kurz nacheinander ein leicht verwirrender Traum heim, der die Versöhnung mit einem längst beiseite geschobenen Freunde zum Inhalt hat. Beim vierten oder fünften Male gelingt es mir endlich, den Sinn dieser Träume zu erfassen. Er liegt in der Aufmunterung, doch den letzten Rest von Rücksicht für die betreffende Person aufzugeben, sich von ihr völlig frei zu machen, und hatte sich in so heuchlerischer Weise ins Gegenteil verkleidet. Von einer Person habe ich einen „heuclr lerischen Ödipustraum“ mitgeteilt, in dem sich die feindseligen Regungen und Tudeswünsche der Traumgedanken durch manifeste Zärtlichkeit ersetzen. („Typisches Beispiel eines verkappten Ödipue traumes.“) Eine andere Art von heuchlerischen Träumen wird an anderer Stelle (siehe Abschnitt VI „Die Traumarbeit“) erwähnt

§ 194

werden. 5

§ 195

Ausführung über Gegenwunschtriiume:

§ 196

Fasse ich die sehr häufig vorkommenden Träume solcher Art, die meiner Lehre direkt zu widersprechen scheinen, indem sie das Versagen eines Wunsches oder das Eintreflen von etwas ofienhar Ungewünschtem zum Inhalt haben, als „Gegerp wunschträume“ zusammen, so sehe ich, daß sie sich allgemein auf zwei Prinzipien zurückführen lassen, von denen das eine noch nicht erwähnt werden ist, obwohl es im Leben wie im Träumen der Menschen eine große Rolle spielt. Die eine Triebkraft dieser Träume ist der Wunsch, daß ich Unrecht haben soll. Diese Träume ereignen sich regelmäßig im Laufe meiner Behandlungen, wenn sich der Patient im Widerstand gegen mich befindet, und ich kann mit großer Sicherheit darauf rechnen, einen solchen Traum hervorzurufen, nachdem ich dem Kranken die Lehre, der Traum sei eine Wunscherfüllung, zuerst vorgetragen habe.‘ Ja, ich darf erwarten, daß es manchem meiner

§ 197

1) Ähnliche „Gegenwunschn-äume" wurden mir in den letzten Jahren wiederholt

§ 198

§ 199

Zu Abschnitt IV 99

§ 200

Leser ebenso ergehen wird; er wird sich bereitwillig im Traume einen Wunsch Versagen, um sich nur den Wunsch, daß ich Unrecht haben möge, zu erfüllen. Der letzte Kurtraum dieser Art, den ich mitteilen will, zeigt wiederum das nämliche. Ein junges Mädchen, welches sich die Fortsetzung meiner Behandlung mühsam erkämpft hat, gegen den Willen ihrer Angehörigen und der zu Rate gezogénen Autoritäten, träumt: Zu Hause verbiete man ihr, weiter zu mir zu kommen. Sie beruft sich dann bei mir auf ein ihr gegebenes Versprechen, sie im Notfalle auch umsonst zu behandeln, und ich sage ihr: In Geldsachen kann ich keine Rücksi c h t ü h e n.

§ 201

Es ist wirklich nicht leicht, hier die Wunscherfüllung nachzuweisen, aber in all solchen Fällen findet sich außer dem einen Rätsel noch ein anderes, dessen Lösung auch das erste lösen hilft. Woher stammen die Worte, die sie mir in den Mund legt? Ich habe ihr natürlich nie etwas Ähnliches gesagt7 aber einer ihrer Brüder, und gerade jener, der den größten Einfluß auf sie hat, war so liebenswürdig, über mich diesen Ausspruch zu tun. Der Traum will also erreichen, daß der Bruder Recht behalte, und. diesem Bruder Recht verschaffen will sie nicht nur im Traume; es ist der Inhalt ihres Lebens und das Motiv ihres Krankseins.

§ 202

Ein Traum, welcher der Theorie von der Wunscherfüllung auf den ersten Blick besondere Schwierigkeiten bereitet, ist von einem Arzt (Aug. Stärcke) geträumt und gedeutet werden:

§ 203

„Ich habe und sehe an meinem linken Zeige— finger einen syphilitischen Primäraffekt an der letzten Phalange.“

§ 204

Man wird sich vielleicht von der Analyse dieses Traumes durch die Erwägung abhalten lassen, daß er ja bis auf seinen uner

§ 205

von meinen Hören berichtet, al.! deren Reaktion auf iin- ente: Zusammentreffen mit der „Wunschdieon'e del Trauma“.

§ 206

§ 207

50 Ergänzungen zur Traumdeutung

§ 208

wünschten Inhalt klar und kohärent erscheint. Allein, wenn man die Mühe einer Analyse nicht scheut, erfährt man, daß „Primär— affekt“ gleichzusetzen ist einer „prima aflzctia“ (erste Liebe)7 und daß das widerliche Geschwür nach den Worten Stärckes „sich als Vertreter von mit großem Affekt belegten Wunscherfüllnngen“ erweist.‘

§ 209

Das andere Motiv der Gegenwunschträume liegt so nahe, daß man leicht in Gefahr kommt, es zu übersehen, wie mir selbst durch längere Zeit geschehen ist. In der Sexualkonstitution so vieler Menschen gibt es eine masochistische Komponente, die durch die Verkehrnng ins Gegenteil der aggressiven, sadistischen entstanden ist. Man heißt solche Menschen „ideelle“ Masochisten, wenn sie die Lust nicht in dem ihnen zugefügten körperlichen Schmerz, sondern in der Demütigung und seelischen Peinigung suchen. Es leuchtet ohne weiteres ein, daß diese Personen Gegenwnnsch- und Unlustlräurne haben können, die für sie doch nichts anderes als Vi'unscherfüllungen sind, Befriedigung ihrer masochistischen Neigungen: Ich setze einen solchen Traum hieher: Ein junger Mann, der in früheren Jahren seinen älteren Bruder, dem er homosexuell zugetan war, sehr gequält hat, träumt nun nach gründlicher Charakterwandlnng einen aus drei Stücken bestehenden Traum: I. Wie ihn sein älterer Bruder „sekkiert“. Il. Wie zwei Erwachsene in homosexueller Absicht miteinander schön tun. III. Der Bruder hat das Unternehmen verkauft, dessen Leitung er sich für seine Zukunft vorbehalten hat. Aus letzterem Traume erwacht er mit den peinlichsten Gefühlen, und doch ist es ein mesochistischer Wunschtraurn, dessen Über» setzung lauten könnte: es geschähe mir ganz recht, wenn der Bruder mir jenen Verkauf antäte, zur Strafe für alle Quälereien, die er von mir ausgestanden hat.

§ 210

.\, Zentralblatt für Psychoanalyse n, 19„/„.

§ 211

§ 212

Zu Abschnitt [V 5 i

§ 213

6 Zur Auflösung der Unlurztriz'ume: Ich verweise darauf, daß dies Thema hier nicht erledigt ist und noch später behandelt werden wird.

§ 214

7

§ 215

Zur Grundformzl des Trauma:

§ 216

Ein großer unter den lebenden Dichtern, der, wie mir gesagt wurde, von Psychoanalyse und Traumdeutung nichts wissen will, findet doch aus eigenem eine fast identische Formel für das Wesen des Traumes: „Unbefugtes Auflauchen unterdrückter Sehnsuchtswünsche unter falschem Antlitz und Namen“ C. Spitteler, Meine frühesten Erlebnisse (Süddeutsche Monatshefte, Oktober 1915).

§ 217

Vorgreifend führe ich hier die von Otto Rank herrührende Erweiterung und Modifikation der obigen Grundformel an: „Der Traum stellt regelmäßig auf der Grundlage und mit Hilfe verdrängten infantil-sexuellen Materials aktuelle, in der Regel auch erotische Wünsche in verhüllter und symbolisch eingekleideter Form als erfüllt dar.“ („Ein Traum, der sich selbst deuten“)

§ 218

Ich habe an keiner Stelle gesagt, daß ich diese Rankscbe Formel zur meinigen gemacht habe. Die kürzere, im Text ent— haltene Fassung scheint mir zu genügen. Aber daß ich die Ranksche Modifikation überhaupt erwähnte, hat genügt, um der Psychoanalyse den ungezählte Male wiederholten Vorwurf einzutragen: sie behaupte, alle Träume haben sexuellen Inhall„ Wenn man diesen Satz so versteht, wie er verstanden werden will, so beweist er nur, wie wenig Gewissenhaftigkeit Kritiker bei ihren Geschäften zu verbrauchen pflegen, und wie gerne Gegner die klarsten Äußerungen übersehen, wenn sie ihrer Neigung zur Aggression nicht taugen, denn wenige Seiten vorher hatte ich die mannigfaltigen Wunscherfüllungen der Kinderträume erwähnt (eine Landpartie oder Seefahrt zu machen, eine ver

§ 219

§ 220

5; Ergänzungen zur Traumdeutung

§ 221

versäumte Mahlzeit nachzuholen usw.), an anderen Stellen von den Hungerträumen, den Träumen auf Durstreiz, auf Exkretionsreiz, von den reinen Bequemlichkeitsträumen gehandelt. Selbst Rank stellt keine absolute Behauptung auf. Er sagt „in der Regel auch erotische Wünsche“7 und dies ist für die meisten Träume Erwachsener durchaus zu bestätigen.

§ 222

Anders sieht es aus, wenn man „sexuell“ in dem nun in der Psychoanalyse gebräuchlichen Sinne von „Eros“ gebraucht. Aber das interessante Problem, ob nicht alle Träume von „libidinösen“ Triebkräflen (im Gegensatz zu „destruktiven“) geschaffen werden, haben die Gegner kaum vor Augen gehabt.

§ 223

§ 224

ERGÄNZUNGEN ZU ABSCHN1TT V „DAS TRAUMMATERIAL UND DIE TRAUMQUELLEN“

§ 225

1

§ 226

Einschaltung über die angeblich: periodische P7iederkzhr der Erinnerungsv materials in Träumen:

§ 227

Hingegen konnte ich mich nicht davon überzeugen, daß zwischen dem erregenden Tageseindruck und dessen Wiederkehr im Traume ein regelmäßiges Intervall von biologischer Bedeutsamkeit (als erstes dieser Art nennt H. S W ob 0 da achtzehn Stunden) eingeschoben ist.

§ 228

H. Swobnda hat, wie in den Ergänzungen zum ersten Abschnitt (S. 14.) mitgeteilt, die von W. F ließ gefundenen biologischen Intervalle von 25 und 98 Tagen in weitem Ausmaß auf das seelische Geschehen übertragen und insbesondere behauptet, daß diese Zeiten für das Auflauchen der Traumelemente in den Träumen entscheidend sind. Die Traumdeutung würde nicht wesentlich abgeändert, wenn sich solches nachweisen ließe, aber für die Herkunft des Traummateriels ergäbe sich eine neue Quelle. Ich habe nun neuerdings einige Untersuchungen an eigenen Träumen angestellt, um die Anwendbarkeit der „Periodenlehre“ auf das Traummaterial zu prüfen, und habe hiezu besonders aufl“ällige Elemente des Trauminheltes gewählt, deren Auftreten im Leben sich zeitlich mit Sicherheit bestimmen ließ.

§ 229

I. Traum vom 1./9. Oktober 1910.

§ 230

(Bruchstück) . . . Irgendwo in Italien. Drei Töchter zeigen

§ 231

Freu a. m. 5

§ 232

§ 233

54 Ergänzungen zur Traumdeutung

§ 234

mir kleine Kostbarkeiten, wie in einem Antiquarhden, setzen sich mir dabei auf den Schoß. Bei einem der Stücke sage ich: Das haben Sie ja von mir, [eh sehe dabei deutlich eine kleine Profil7na.rke mit den scharfgeschnittenen Zügen Savnnaralas.

§ 235

Wann habe ich zuletzt das Bild S a v 0 n a r 0 l a 5 gesehen? Ich war nach dem Ausweis meines Reisetagebuches am 4.. und 5. September in Florenz; dort dachte ich daran, meinem Reise— begleiter das Medaillon mit den Zügen des fenatischen Mönches im Pflaster der Piazza Signoria an der Stelle, wu er den Tod durch Verbrennen fand, zu zeigen, und ich meine, am 5., vormittags, machte ich ihn auf dasselbe aufmerksam. Von diesem Eindruck bis zur Wiederkehr im Traume sind allerdings 27 + 1 Tage verflossen, eine „weibliche Periode“ nach Fließ. Zum Unglück für die Beweiskraft dieses Beispieles muß ich aber erwähnen, daß an dem Traumtage selbst der tüchtige, aber düster blickende Kollege bei mir war (das erstemal seit meiner Bückkunft), für den ich vor Jahren schon den Schere namen „Rabbi Savonarola“ aufgebracht habe. Er stellte mir einen Unfallkranken vor, der in dem Pontebbazug verunglückt war, in dem ich selbst acht Tage vorher gereist war, und leitete so meine Gedanken zur letzten Italienreise zurück. Das Erscheinen des auf? fälligen Elementes „S a v n n a r o l a“ im Trauminhalt ist durch diesen Besuch des Kollegen am Traumtage aufgeklärt, das achtundzwanzigtägige Intervall wird seiner Bedeutung für dessen Herleitung Verlustig.

§ 236

ll. Traum vom 10./11. Oktober.

§ 237

Ich arbeite wieder einmal Chemie im Universitätslaboratorium. Hofrat L. lädt mich ein, an einen anderen Ort zu kommen, und geht auf dem Karridar voran, eine Lampe oder sonst ein Instrw ment wie scharfsinnig (”) (soharfsichtig?) in der erhobenen Hand vor sich hintragend, in eigentilmlicher Haltung mit vorgestrecktem

§ 238

§ 239

Zu Abschnitt V 55

§ 240

Kopf. PVir kommen dünn über einen freien Pütz . . . (Rest ver« gessen).

§ 241

Das Auffälligste in diesem Trauminhalt ist die Art, wie Hofrat L. die Lampe (oder Lupe) vor sich hintx'ägt, das Auge spähend in die Weite gerichtet. Li habe ich viele Jahre lang nicht mehr gesehen, aber ich weiß jetzt schon, er ist nur eine Ersatzperson für einen anderen, größeren, für den Archimed es nahe bei der Arethusaquelle in S y r a k u s, der genau so wie er im Traume dasteht und so den Brennspiegel handhabt, nach dem Belagerungsheer der Römer spähend. Wann habe ich dieses Denkmal zuerst (und zuletzt) gesehen? Nach meinen Aufzeichnungen war es am 17. September abends und von diesem Datum bis zum Traume sind tatsächlich 15+ 10:95 Tage verstrichen, eine „männliche Periode“ nach F l i e ß.

§ 242

Leider hebt das Eingehen auf die Deutung des Traumes auch hier ein Stück von der Unerläßlichkeit dieses Zusammenhanges auf, Der Traumanlaß war die am Traumtag erhaltene Nachricht, daß die Klinik, in deren Hörsaal ich als Gast meine Vorlesungen abhalte, demnächst anderswohin verlegt werden solle. Ich nahm an, daß die neue Lokalität sehr unbequem gelegen sei, sagte mir, es werde dann sein, als ob ich überhaupt keinen Hörsaal zur Verfügung habe, und von da an müßten meine Gedanken bis in den Beginn meiner Dozentenzeit zurückgegangen sein, als ich wirklich keinen Hörsaal hatte und mit meinen Bemühungen, mir einen zu verschaffen, auf geringes Entgegenkommen bei den hochvermögenden Herren Hofräten und Professoren stieß. Ich ging damals zu L., der gerade die Würde des Dekans bekleidete, und den ich für einen Gönner hielt, um ihm meine Not zu klagen. Er versprach mi: Abhilfe, ließ aber dann nichts weiter von sich hören. Im Traum ist er der Archimedes, der mir gibt, 1:96 am) und mich selbst in die andere Lokalität geleitet. Daß den Traumgedanken weder Rachsucht noch Größenbewußtsein fremd sind, wird der Deutungskundige leicht erraten. Ich muß

§ 243

5.

§ 244

§ 245

56 Ergänzrmgm zur Tramndzutung

§ 246

aber urteilen, daß ohne diesen Traumanlaß der Arcbimedes kaum in den Traum dieser Nacht gelangt wäre; es bleibt mir unsicher, ob der" starke und noch rezente Eindruck der Statue in Siracusa sich nicht auch bei einem anderen Zeitintervall geltend gemacht hätte.

§ 247

III. Traum vom 2,/5. Oktober 1910.

§ 248

(Bruchstück) . . . Etwas von Prof. Os- er, der selbst das Menu für mich gcmacht hat, was sehr beruhigend wirkt (anderes vergessen).

§ 249

Der Traum ist die Reaktion auf eine Verdauungsstörung dieses Tages7 die mich erwägen ließ, ob ich mich nicht wegen Bestimmung einer Diät an einen Kollegen wenden solle. Daß ich im Traum den im Sommer verstorbenen 05er dazu bestimme, knüpft an den sehr kurz vorher (1. Oktober) erfolgten Tod eines anderen von mir hochgeschätzten Universitätslehrers an. Wann ist aber Oser gestorben, und wenn habe ich seinen Tod erfahren? Nach dem Ausweis des Zeitungsblattes am 22. August; da ich damals in Holland weilte, wohin ich die Wiener Zeitung regelmäßig nachsenden ließ, muß ich die Todesnachricht am 94. oder 25. August gelesen haben. Dieses Intervall entspricht aber keiner Periode mehr, es umfaßt 7+5o+2=59 Tage oder vielleicht 40 Tage. Ich kann mich nicht besinnen, in der Zwischenzeit von 0 5 er gesprochen oder an ihn gedacht zu haben.

§ 250

Solche für die Periodenlehre nicht mehr ohne weitere Bear— beitung brauchbare Intervalle ergeben sich nun aus meinen Träumen ungleich häufiger als die regulären. Konstant finde ich nur die im Text behauptete Beziehung zu einem Eindrucke des Traumtages selbst.

§ 251

Auch H. Ellis, der dieser Frage Aufmerksamkeit geschenkt hat, gibt an, daß er eine solche Periodizität der Reproduktion in seinen Träumen „trotz des Achtens darauf“ nicht finden konnte. Er erzählt einen Traum, in welchem er sich in Spanien befand

§ 252

§ 253

Zu Abschnitt V 57

§ 254

und nach einem Ort: Daraus, Varaus oder Zaraus fahren wallte. Erwacht, konnte er sich an einen solchen Ortsnamen nicht erinnern und legte den Traum beiseite. Einige Mnnate später fand er tatsächlich den Namen Zaraus als den einer Station zwischen S a n S e b a s t i a n und B i l b a 0, welche er 250 Tage vor dem Traume mit dem Zuge passiert hatte (p. 997).

§ 255

9

§ 256

Einschaltung über die Rolle „unter Eindrücke für“ die Traumbildung:

§ 257

Einen wichtigen Beitrag, der die Rolle des Rezenten für die Traumbildung betrifft, bringt 0. PG tzl in einer an Anknüpfungen überreichen Arbeit. (Experimentell erregte Traumbilder in ihren Beziehungen zum indirekten Sehen. Zeitschr. für die ges. Neurologie und Psychiatrie, XXXVII, 1917.) Pötzl ließ von verschiedenen Versuchspersonen in Zeichnung fixieren, was sie von einem tachistoskopisch expcnierten Bild bewußt aufgefaßt hatten. Er kümmerte sich dann um den Traum der Versuchsperson in der folgenden Nacht und ließ geeignete Anteile dieses Traun-nes gleichfalls durch eine Zeichnung darstellen. Es ergab sich dann unverkennbar, daß die nicht von der Versuchspersun aufgefaßten Einzelheiten des expcuierten Bildes Material für die Traumbildung geliefert hatten, während die bewußt wahrgenommenen und in der Zeichnung nach der Exposition fixierten im manifesten Trauminhalt nicht wieder erschienen waren. Das von der Traumarbeit aufgenommene Material wurde von ihr in der bekannten „will« kürlichen“, richtiger: selbstherrlichen Art im Dienste der traumbildenden Tendenzen verarbeitet. Die Anregungen der Pötzlschen Untersuchung gehen weit über die Absichten einer Traumdeutung, wie sie in diesem Buche versucht wird, hinaus. Es sei noch mit einem Wert darauf hingewiesen, wie weit diese neue Art, die Traumbildung experimentell zu studieren, von der früheren groben Technik absteht, die darin bestand, schlafstörende Reize in den Trauminhalt einzuführen.

§ 258

V

§ 259

L

§ 260

§ 261

58 Ergänmngen zur Traumdeutung

§ 262

5

§ 263

Zum Salze, daß sich der Traum nie mit Kleinigkeiten abgibt:

§ 264

H. Ellis, der liebenswürdigste Kritiker der „Traumdeutung“, schreibt (p. 169): „Da ist der Punkt, von dem an viele von uns nicht mehr imstande sein werden, F. weiter zu folgen.“ Allein H. Ellis hat keine Analysen von Träumen angestellt und will nicht glauben, wie unberechtigt das Urteilen nach dem manifesten Trauminhalt ist.

§ 265

4.

§ 266

Zur Anmerkung über den „harndosen“ Marktrraum:

§ 267

Mit diesem Traume trat die Patientin in die psychoanalytische Behandlung ein. Ich lernte erst später verstehen, daß sie mit ihm das initiale Trauma wiederholte, von dem ihre Neurose ausging, und habe seither das gleiche Verhalten bei anderen Personen gefunden, die in ihrer Kindheit sexuellen Attentaten ausgesetzt waren und nun gleichsam deren Wiederholung im Traume herbeiwünschten.

§ 268

5

§ 269

Der vor dieszm. Zeitth xtzhznde Traumbericht ist in späteren Auflagen aus guten Gründen nicht wiederholt worden. Träumz dieser Art sind typi.tßhzr Nuzur und untsprrchrn nicht Erinnerungen, sondern Phantnsien, deren Sinn unschwer zu „raten ist.

§ 270

Zur Sehnmcht nach Rom:

§ 271

Ich habe seither längst erfahren, daß auch zur Erfüllung solcher lange für unerteichbar gehaltenen Wünsche nur etwas Mut erfordert wird, und bin dann ein eifriger Rompilger geworden.

§ 272

7 Zu: Winckzlmann oder Hannibal: Der Schriftsteller, bei dem ich diese Stelle las, muß wohl Jean Paul gewesen sein.

§ 273

§ 274

Zu Abschnitt V 59

§ 275

8

§ 276

Zum Namen Hamilkar Burkas:

§ 277

In der ersten Auflage stand hier der Name: Hasdrubal, ein befremdender Imum, dessen Aufklärung ich in meiner „Psychopathologie des Alltagslebens“ (10. Aufl., 1924, Ges. Schriften, Bd. IV, S. 945, 24,5) gegeben habe.

§ 278

9

§ 279

Zu M ussz' na:

§ 280

Diese Bevorzugung wird wohl auch durch den Zufall des gleichen Gehunsdatums, genau hundert Jahre später, auhuklären sein.

§ 281

10 Zu Emmzrxdnrf:

§ 282

Ein Irrtum, aber diesmal keine Fehlleistung! Ich erfuhr später, daß das Emmersdorf der Wa ch au nicht identisch ist mit dem gleichnamigen Asyl des Revolutionärs F i s c h h 0 f.

§ 283

1 1 FMvit Et dis:ipati um::

§ 284

Der ungebetene Biograph, den ich gefunden habe, Dr. Fritz Wittels, hält mir vor, daß ich in obige1n Denkspruch den Namen Jehuveh ausgelassen habe.

§ 285

12

§ 286

Zur zweiten Sun: Liz: remlulionärzn Traum:

§ 287

An diesem Teil des Traumes hat H. Silberer in einer inhaltsreichen Arbeit (Phantasie und Mythos, 1910) zu zeigen versucht, daß die Trauma-beit nicht nur die latenten Traum— gedanken, sondern auch die psychischen Vorgänge bei der Traumhildung wiederzugeben vermöge. („Das funktionale Phänomen“) Ich meine aber, er übersieht. dabei, daß die „psychischen Vor

§ 288

gange bei der Traumbildung“ für mich einGedankenmflterial

§ 289

§ 290

4.0 Ergänzungen w Traumdeutung

§ 291

sind, wie alles andere. In diesem übermütigen Traum bin ich offenbar stolz darauf, diese Vorgänge entdeckt zu haben.

§ 292

15

§ 293

Zu den Harmhwizrigkeitzn des Kinder:

§ 294

Aus den Psychoanalysen an Neurotischen haben wir auch den intimen Zusammenhang des Bettnässens mit dem Charakterzug des Ehrgeizes erkannt.

§ 295

14

§ 296

Zur Mzhrdzutigkzit dz.i Traumes:

§ 297

Die Übereinanderschichtung der Bedeutungen des Traumes ist eines der heikelsten, aber auch inhaltsreichsten Probleme der Traumdeutung. Wer an diese Möglichkeit vergißt, wird leicht irregehen und zur Aufstellung unhaltbarer Behauptungen über das Wesen des Traumes verleitet werden. Doch sind über dieses Thema noch viel zu wenige Untersuchungen angestellt worden. Bisher hat nur die ziemlich regelmäßige Symbolschichtung im Harnreiztraume eine gründliche Würdigung durch 0. Rank erfahren (s. u.).

§ 298

15

§ 299

Zur Deutung somalischer Traumreize:

§ 300

Ich möchte jedermann raten, die in zwei Bänden gesammelten, ausführlichen und genauen Protokolle experimentell erzeugter Träume von Mourly Vold durchzuleseu, um sich zu überzeugen, wie wenig Aufklärung der Inhalt des einzelnen Traumes in den angegebenen Versuchsbedingungen findet, und wie gering überhaupt der Nutzen sulcher Experimente für das Verständnis der Traumprobleme ist.

§ 301

16

§ 302

Zur Reaktion der Schlafznden auf Reize:

§ 303

Vgl. hiezu K. Landau er, Handlungen des Schlafenden (Zeitschr. f. d. ges. Neurologie und Psychiatrie, XXXIX, 1918). Es gibt für jeden Beobachter sichtbare, sinnvolle Handlungen des

§ 304

§ 305

Zu Abschnitt V ,„

§ 306

Schlafenden. Der Schläfer ist nicht absolut verblödet, im Gegen— teil: er vermag logisch und willensstark zu handeln.

§ 307

17

§ 308

Ein anderes Beispiel von Beseitigung des Reim durch den Traum:

§ 309

In einem anderen Traume gelang es mir auf ähnliche Weise, eine diesmal von einer Sinnesreizung drohende Schlafstörung abzuwehren, aber es war nur ein Zufall, der mich in den Stand setzte, den Zusammenhang des Traumes mit dem zufälligen Traumreiz zu entdecken und solcher Art den Traum zu verstehen. Eines Morgens erwachte ich, es war im Hochscmmer, in einem tirolischen Höhenon, rnit dem Wissen, geträumt zu haben: Der Papst ist gestorben. Die Deutung dieses kurzen, nicht visuellen Traumes gelang mir nicht. Ich erinnerte mich nur der einen Anlehnung für den Traum, daß in der Zeitung kurze Zeit vorher ein leichtes Unwohlsein Sr. Heiligkeit gemeldet worden war. Aber im Laufe des Vormittags fragte meine Frau: „Hast du heute morgens das fürchterliche Glockenläuten gehört?“ Ich wußte nichts davon, daß ich es gehört hatte, aber ich verstand jetzt meinen Traum. Er war die Reaktion meines Schlafbedürfnisses auf den Lärm gewesen, durch den die frommen Tiroler mich wecken wollten. Ich richte mich an ihnen durch die Folgerung, die den Inhalt des Traumes bildet, und schlief nun ganz ohne Interesse für das Geläute weiter.

§ 310

18

§ 311

Eine Analogie zu Napoleons Schladllentraum:

§ 312

Ein junger Advokat, der, voll von seinem ersten großen Konkurs, des Nachmittags einschläft, henimmt sich ganz ähnlich wie der große Napoleon. Er träumt von einem gewissen G. Reich in Hussiatyn, den er aus dem Konkurs kennt, aber Hussiatyn drängt sich weiter gehieterisch auf; er muß erwachen und hört seine Frau, die an einem Bronchialkatarrh leidet, heftig — hnsten.

§ 313

§ 314

49 Ergänzungen zur Traumdeutung

§ 315

19 Nach „der Wuruch zu schlafen" ist einzuschaltm: . auf den sich das bewußte Ich eingestellt hat und. der nebst der Traumzensur und der später zu erwähnenden „sekundären Bearbeitung“ dessen Beitrag zum Träumen darstellt . , .

§ 316

20

§ 317

Zur Bedzuzung der Allgemzimtimmung für den Traum:

§ 318

Dabei kann diese Stimmung selbst im Trauma erhalten bleiben oder überwunden werden, so daß sie, wenn unlustvoll, ins Gegenteil umschlägt.

§ 319

91

§ 320

Zur Bulle dcr samatistlwn Reize:

§ 321

Bank hat in einer Reihe von Arbeiten gezeigt, daß gewisse, durch Organreiz hervorgerufene Wecktri-iume (die Harnreib und Pollutionsträume) besonders geeignet sind, den Kampf zwischen dem Schlafbedürfnis und den Anforderungen des organischen Bedürfnisses sowie den Einfluß des letzteren auf den Trauminhalt zu demonstrieren.

§ 322

29

§ 323

Zur Einleitung über typische Träume:

§ 324

Der Satz7 daß unsere Methode der Traumdeutung unanwendbar wird, wenn wir nicht über das Assoziationsmaterial des Träumers verfügen, fordert die Ergänzung, daß unsere Deutungsarbeit in einem Falle von diesen Assoziationen unabhängig ist7 nämlich dann, wenn der Träumer symbolische Elemente im Trauminhalt verwendet hat. Wir bedienen uns dann, streng genommen, einer zweiten, auxiliären, Methode der Traumdeutung. (S. u.)

§ 325

95 Anstatt dizs.es Abschnitte: habe ich in späteren Auflagm eingesetzt; Wir werden also mit ganz besonderen Erwartungen daran

§ 326

§ 327

Zu Abschnitt V 45

§ 328

gehen, unsere Technik der Traumdeutung an diesen typischen Träumen zu versuchen und uns nur sehr ungern eingestehen,j daß unsere Kunst sich gerade an diesem Material nicht recht; bewährt. Bei der Deutung der typischen Träume Versagen in der: Regel die Einf'a'lle des Träumers, die uns sonst zum Verständnis‘ des Traumes geleitet haben, oder sie werden unklar und man“ reichend, so daß wir unsere Aufgabe mit ihrer Hilfe nicht löseni können.

§ 329

Woher dies rührt, und wie wir diesem Mangel unserer Technik abhelfen, wird sich an einer späteren Stelle unserer Arbeit ergeben. Dann wird dem Leser auch verständlich werden, warum ich hier nur einige aus der Gruppe der typischen Träume behandeln kann und die Erörterung der anderen auf jenen späteren Zusammen— hang verschiebe.

§ 330

24

§ 331

Zu den Exhibitiamtriz'umzn:

§ 332

Eine Anzahl interessanter Nacktheitsträume bei Frauen, die sich ohne Schwierigkeiten auf die infantile Exhibitionslust zurückführen ließen, aber in manchen Zügen von dem oben behandelten „typischen“ Nacktheitstraum abweichen, hat Ferenczi mitgeteilt.

§ 333

95 Zu Darstellung vom „Geheimnis“: Dasselbe bedeutet, aus begreiflichen Gründen, im Traume die Anwesenheit der „ganzen Familie“.

§ 334

26

§ 335

Zum unlergegarlgenen Kinderseelmlebzn:

§ 336

Vgl. hiezu: Analyse der Phobie eines fünfiährigen Knaben im Jahrbuch für psychoanalytische und psychopathologische For— schungen, Bd. I, 1909 (Ges. Schriften, Bd, VIII), und „Über infantile Sexualtheorien“ in „Sammlung kleiner Schriften zur Neu— rosenlehre“, zweite Folge (Ges. Schriften, Bd. V).

§ 337

§ 338

44 Ergänalngzn zur Traumdeutung

§ 339

97

§ 340

Zur Feindnliglreiz gegen neue Geschwister:

§ 341

Der 5'/,jährige Hans, dessen Phobie Gegenstand der Analyse in der vorhin erwähnten Veröflentlichung ist, ruft im Fieber kurz nach der Geburt einer Schwester: „Ich will aber kein Schwesterchen haben.“ In seiner Neurose, i‘/, Jahre später, gesteht er den Wunsch, daß die Mutter das Kleine beim Baden in die Wanne fallen lassen möge, damit es sterbe, unnmwunden ein. Dabei ist Hans ein gutartiges, zärtliches Kind, welches bald auch diese Schwester liebgewinnt und sie besonders gern protegiert.

§ 342

28

§ 343

Zur Wirkung des Todes kleiner Geschwister:

§ 344

Solche in der Kindheit erlebte Sterbefälle mögen in der Familie bald vergessen werden sein, die psychoanalytische Erforschung zeigt doch, daß sie für die spätere Neurose sehr bedeutungsvoll geworden sind.

§ 345

99

§ 346

Bzmerkung zum ganzen Thema des Verhaltnis gegen Geschwister:

§ 347

Beobachtungen, die sich auf das ursprünglich feindselige Verhalten von Kindern gegen Geschwister und einen Elternteil beziehen, sind seither in großer Anzahl gemacht und in der psychoenalytischen Literatur niedergelegt worden. Besonders echt und naiv hat der Dichter Spitteler diese typische kindliche Einstellung aus seiner frühesten Kindheit geschildert: „Übrigens war noch ein zweiter Adolf da. Ein kleines Geschöpf, von dem man behauptete, er wäre mein Bruder, von dem ich aber nicht begrii‘f, wozu er nützlich sei, noch weniger, weswegen man solch ein Wesen aus ihm mache wie von mir selber. Ich genügte für mein Bedürfnis, was brauchte ich einen Bruder? Und nicht bloß unnütz war er, sondern mitunter sogar hinderlich. Wenn ich die Großmutter belästig‘te, wollte er sie ebenfalls belästigen, wenn ich im Kinderwagen gefahren wurde, saß er gegenüber und

§ 348

§ 349

Zu Abschnitt V 4.5

§ 350

nahm mir die Hälfie Platz weg, so daß wir uns mit den Füßen stoßen mußten.“

§ 351

50 Zur Kritik am neugzborcnzn Schwest:rchmz In die nämlichen Worte kleidet der dreieinhalbjähx'ige Hans die vemichtende Kritik seiner Schwester (l. c,). Er nimmt an, daß sie wegen des Mangels der Zähne nicht sprechen kann.

§ 352

51

§ 353

Zur Vorszzllung des Kinder vom Termin:

§ 354

Von einem hochbegehten zehnjährigen Knaben hörte ich nach dem plötzlichen Tode seines Vaters zu meinem Erstaunen folgende Äußerung: Daß der Vater gestorben ist, verstehe ich, aber warum er nicht zum Nachtruahl nach Hause kommt, kann ich mir nicht erklären. , Weiteres Material zu diesem Thema findet sich in der von Frau Dr. v. H u g-H e 1 l m u t h redigierten Rubrik „Kinderseele“ von „Im & g 0“, Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften, Ed. l—VY 1919w—1918.

§ 355

52

§ 356

Unterschied von „_fartsein" und „wzsn'n".

§ 357

Die Beobachtung eines psychoanalytisch geschulten Vaters erhascht auch den Moment, in dem sein geistig huehentwickeltes vierjähriges Töchterchen den Unterschied zwischen „fortsein“ und „totsein“ anerkannt. Das Kind machte Schwierigkeiten beim Essen und fühlte sich von einer der Aufwärteri.nnen in der Pension unfreundlich beobachtet. „Die Josefine soll tot sein,“ äußerte sie‘ darum gegen den Vater. „Warum gerade tot sein?“ fragte der Vater beschwichtigend. „Ist es nicht genug, wenn sie weggeht?“ „Nein,“ antwortete das Kind, „dann kommt sie wieder.“ Für die uneingeschränkte Eigenliebe (den Nenißmus) des Kindes ist jede Störung ein crimen lazsue majestat'is, und wie die drakonische

§ 358

§ 359

45 Ergänzungen zur Traumdzuzung

§ 360

Gesetzgebung, setzt das Gefühl des Kindes auf alle solche Vergehen nur die eine nicht dosierbare Strafe,

§ 361

55 Zu den Träumen vom, Tod des glez'chgzschlzchtll'chen Elternmibzs: Der Sachverhalt wird häufig durch das Auftreten einer Strafv tendenz verhüllt, welche in moralischer Reaktion mit dem Ver— lust des geliebten Elternteiles droht.

§ 362

54

§ 363

Zur Entmßnnung des Vaters durch Zeus:

§ 364

Wenigstens in einigen mythologischen Darstellungen. Nach anderen wird die Entmannung nur von Kronos an seinem Vater Uranus vollzogen.

§ 365

Über die mythologische Bedeutung dieses Motivs vgl. Otto R ank, „Der Mythus von der Geburt des Helden“, 5. Heft der „Schriften zur angew. Seelenkuncle“, 1909 und „Das Inzestmotiv in Dichtung und Sage“, 1912, Kap. IX, 2.

§ 366

55

§ 367

Zur ersten Erwähnung des Ödipuslmmplezes:

§ 368

Keine der Ermittlungen der psychoanalytischen Forschung hat so erbitterten Widerspruch, ein so grimmiges Sträuben und * so ergötzliche Verrenkungen der Kritik hervorgerufen wie dieser Hinweis auf die kindlichen, im Unbewußten erhalten gebliebenen Inzestneigungen. Die letzte Zeit hat selbst einen Versuch gebracht, den Inzest, allen Erfahrungen trotzend, nur als „symbolisc “ gelten zu lassen. Eine geistreiche Überdeutung des Ödipusmythus gibt, auf einer Briefstelle S c h o p e n h a u e r s fußend, Ferenczi in der „Imago“ I, 1919. — Der hier zuerst in der „Traumdeutung“'berührte „Ödipuskomplex“ hat durch weitere Studien eine ungeahnt große Bedeutung für das Verständnis der Menschheitsgeschichte und der Entwicklung von Religion und Sittlichkeit gewonnen. S. Totem und Tabu, 1915 (Ges. Schriften,

§ 369

Bd. X).

§ 370

§ 371

Zu Absrhnizt V 47

§ 372

56 Zum Hamlet:

§ 373

Die obenstehenden Andeutungen zum analytischen Verständnis des H a m le t hat dann E. J o n es vervollständigt und gegen andere in der Literatur niedergelegte Auffassungen verteidigt. (Das Problem des H a m 1 e t und der Ö di p u skomplex 191 1.) — Weitere Bemühungen um die Analyse des Macheth in meinem Aufsatze „Einige Charaktertypen aus der psychnanalytischen Arbeit“, Image IV, 1916 (Ges. Schriften, Bd. X), und bei L. I e k e 1 s, Shakespeares M a c h et 10, Image V, 1918.

§ 374

57 Zum Egaismus der Träume:

§ 375

Als Ernest J ones in einem wissenschaftlichen Vortrag vor einer amerikanischen Gesellschaft vom Egoismus der Träume sprach, erhob eine gelehrte Dame gegen diese unwissenschaftliche Verallgemeinerung den Einwand, der Autor könne doch nur über die Träume von Österreichern urteilen und dürfe über die Träume von Amerikanern nichts aussagen. Sie sei für ihre Fersen sicher, daß alle ihre Träume streng altruistisch seien.

§ 376

Zur Entschuldigung dieser rassestulzen Dame sei übrigens bemerkt, daß man den Satz, die Träume seien durchaus egcistisch, nicht mißverstehen darf. Da alles, was überhaupt im vorhewußten Denken vorkommt, in den Traum (Inhalt wie latente Traumgedanken} übertreten kann, ist diese Möglichkeit auch den altruistischen Regungen offen. In derselben Weise wird eine zärtliche oder verliebte Regung für eine andere Person, die im Unhe— wußten vorhanden ist, im Traume erscheinen können. Das Richtige an obigen-1 Satz schränkt sich also auf die Tatsache ein, daß man unter den unbewußten Anregungen des Traumes sehr häufig egoistische Tendenzen findet, die im Wachleben überwunden scheinen.

§ 377

§ 378

48 Ergänzungen zur Traumdeutung

§ 379

58

§ 380

Zur Wirkung der Bewegungsspizk:

§ 381

Die analytische Untersuchung hat uns erraten lassen, daß an der Vorliebe der Kinder für gymnasu'sche Darstellungen und an deren Wiederholung im hysterischen Anfall außer der Organlust noch ein anderes Moment beteiligt ist, das (oft unbewußte) Erinnerungsbild des (an Menschen oder Tieren) beobachteten Sexualverkehrs.

§ 382

59

§ 383

Der Abschnitt über die typischen Bzwzgung:triiume ist in späteren Auflagen als allzu unzureichend ausgelassen werden.

§ 384

4.0

§ 385

Ergänzung zum Prüfungstraum:

§ 386

Eine weitere Aufklärung der Prüfungsträume danke ich einer Bemerkung von Seite eines kundigen Kollegen, der einmal in einer wissenschaftliehen Unterhaltung hervorhob, daß seines Wissens der Maturatraum nur bei Personen vorkomme, die diese Prüfung bestanden haben, niemals bei solchen, die an ihr gescheitert sind. Der ängstl.iche Prüfungstraum, der, wie sich immer mehr bestätigt, dann auftritt, wenn man vom nächsten Tage eine verantwortliche Leistung und die Möglichkeit einer Blamage erwartet, wurde also eine Gelegenheit aus der Vergangenheit herausgesucht haben, bei welcher sich die große Angst als unberechtigt erwies und durch den Ausgang widerlegt wurde. Es wäre dies ein sehr auflälliges Beispiel von Mißverständnis des Trauminhaltes durch die wache Instanz. Die als Empörung gegen den Traum aufgefaßte Einrede: Aber ich bin ja schon Doktor u. dgl., wäre in Wirklichkeit der Trost, den der Traum spendet, und der also lauten vn'irde: Fürchte dich doch nicht vor morgen; denke daran, welche Angst du vor der Maturitätsprüfung gehabt hast„ und es ist dir doch nichts geschehen. Heute bist du ja

§ 387

§ 388

Zu Abschnitt V 49

§ 389

schon Doktor usw. Die Angst aber, die wir dem Traume anrechnen, stammte aus den Tagesresten.

§ 390

Die Proben auf diese Erklärung, die ich bei mir und anderen anstellen konnte, haben, wenngleich sie nicht zahlreich genug waren, gut gestimmt. Ich bin z. B. als Rigomsant in gerichtlicher Medizin durchgefallen; niemals hat dieser Gegenstand mir im Traume zu schafien gemacht, während ich häufig genug in Botanik, Zoologie oder Chemie geprüft wurde, in welchen Fächern ich mit. gut hegründeter Angst zur Prüfung gegangen, der Strafe aber durch Gunst des Schicksals oder des Prüfers entgangen bin. Im Gymnasialprüfungstraume werde ich regelmäßig aus Geschichte geprüft, wo ich damals glänzend bestanden habe, aber allerdings nur, weil mein liebenswürdiger Professor —— der einäugige Helfer eines anderen Traumes, vgl. Bd. II, S. 18 —— nicht übersehen hatte, daß auf dem Prüfungszettel, den ich ihm zurückgab, die mittlere von drei Fragen mit dem Fingemagel durchgestiichen war, zur Mahnung, daß er auf dieser Frage nicht bestehen solle. Einer meiner Patienten, der von der Matura zurückgetreten war und sie später nachgetragen hatte, dann aber bei der Offiziersprüfung durchgefallen und nicht Offizier geworden ist, berichtet mir, daß er oft genug von der ersteren, aber nie von der letzteren Prüfung träumt.

§ 391

Die Prüfungsträuzne setzen der Deutung bereits jene Schwierigkeit entgegen, die ich vorhin als charakteristisch für die meisten der typischen Träume angegeben habe. Das Material an Assoziationen, welches uns der Träumer zur Verfügung stellt, reicht für die Deutung nur selten aus. Man muß sich das bessere Verständnis solcher Träume aus einer größeren Reihe von Beispielen zusammentragen. Vor kurzem gewann ich den sicheren Eindruck, daß die Einrede: Du bist ja schon Doktor u. dgl., nicht nur den Trost verdeckt, sondern auch einen Vorwurf andeutet. Derselbe hätte gelautet: Du bist jetzt schon so alt, schon so weit im Leben, und machst noch immer solche Dummheiten, Kindereien. Dies Gemenge von Selbstkritik und Trost würde dem latenten Inhalt

§ 392

Freud.Ill. .

§ 393

§ 394

50 Ergänzungen zur Traumdeutung

§ 395

der Prüfungsträume entsprechen. FA ist dann nicht weiter auf— fällig, wenn die Vorwürfe wegen der „Dummheiten“ und „Kindereien“ sich in den zuletzt analysierten Beispielen auf die Wiederholung heanständeter sexueller Akte bezogen.

§ 396

W. Stekel, von dem die erste Deutung des „Maturatraumes“ herrührt, vertritt die Meinung, daß er sich regelmäßig ,auf sexuelle Erprobung und sexuelle Reife beziehe. Meine Erfahrung hat dies oft bestätigen können.

§ 397

41 Auch dieser Abschnitt in in :pä'tzrm Auflagen weggeblieben.

§ 398

§ 399

ERGÄNZUNGEN ZU ABSCHNITT VI „DIE TRAUMARBEIT“

§ 400

l Zur Verdichtung im Traum:

§ 401

Hinweise auf die Verdichtung im Traum finden sich bei zahlreichen Autoren. Du Prel äußert an einer Stelle (p. 85), es sei absolut sicher, daß ein Verdichtungsprozeß der Vorstellungs

§ 402

reihe stattgefunden habe. 9

§ 403

Zum Trzpymrleigm im ,.schänm“ Traum:

§ 404

Man denke zur Würdigung dieser Darstellung des Dichters an die im Abschnitt über Symbolik mitgeteilte Bedeutung der Stiegenträurne,

§ 405

5

§ 406

Zur Bemerkung über da: witzigen Anmhzin der Träume:

§ 407

Immerhin gab mir dieser Vorwurf Anlaß, die Technik des Witzes mit der Traunmrbeit zu vergleichen, was in dem 1905 veröffentlichten Buche „Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten“ geschehen ist (Ges. Schriften, Bd. DI).

§ 408

4.

§ 409

Einschaltung eints andern: Traumzr mit Warmzubildung: 6) Marcinowski: „Heute früh erlebte ich zwischen Traum und Wachen eine sehr hübsche Wortverdichtung. Im Ablauf einer Fülle von kaum erinnerbaren Traumbmchstücken stutzte ich gewissermaßen über ein Wort, das ich halb wie ,.

§ 410

§ 411

59 Ergiimungen zur Traumdeutung

§ 412

geschrieben, halb wie gedruckt vor mir sehe. Es lautet: ,erzefilisc’h‘ und gehört zu einem Satz, der außerhalb jedes Zusammenhanges völlig isoliert in mein bewußtes Erinnern hinüberglitt; er lautete: ,Das wirkt erzefi'lz'sch auf die Geschlechtsempfi'ndung.‘ Ich wußte sofort, daß es eigentlich ,erzieherisch‘ heißen solle, schwankte auch einigemal hin und her, ob es nicht richtiger ,erzifilisch‘ hieße, Dabei fiel mir das Wort Syphilis ein, und ich zerbrach mir, noch im Halbschlaf zu analysieren beginnend, den Kopf, wie das wohl in meinen Traum hinein» käme, da ich weder persönlich noch von Berufs wegen irgendwelche Berührungspunkte mit dieser Krankheit habe. Dann fiel mir ein ,erzihlerisch‘, das e erklärend, und zu gleicher Zeit erklärend, daß ich gestern abend von unserer ,Erziel'ierin‘ veranlaßt wurde, über das Problem der Prostitution zu sprechen, und ich hatte ihr dabei tatsächlich, um ,erzieherisch‘ auf ihr nicht ganz nurmal entwickeltes Empfindungsleben einzuwirken, das Buch von Hesse ,Über die Prostitution‘ gegeben, nachdem ich ihr mancherlei über das Problem erzählt hatte. Und nun wurde mir auf einmal klar, daß das Wort ,Sy'philis‘ nicht im wörtlichen Sinne zu nehmen sei, senden] für Gift stand, in Beziehung natürlich zum Geschlechtsleben. Der Satz lautet also in der Übersetzung ganz logisch: ,Durch meine E r z ä h l u n g habe ich auf meine Erzieherin erzieherisch auf deren Empfindungsleben einwirken wollen, aber habe die Befürchtung, daß es zu gleicher Zeit v e r g i ft e n d Wirken könne.‘ E r z e filiseh : erzäh — (erzieh —) (erzefilisch)f‘

§ 413

5

§ 414

lf'arrneztbildung und Verdichtung:

§ 415

Die Analyse unsinniger Wonbildungen im Traume ist besonders dazu geeignet, die Verdichtungsleistung der Traumarbeit aufzu— zeigen. Man möge aus der hier verwendeten geringen Auswahl von Beispielen nicht den Schluß ziehen, daß solches Material

§ 416

§ 417

Zu Abschnitt VI 55

§ 418

selten oder gar nur ausnahmsweise zur Beobachtung kommt. Es ist vielmehr sehr häufig, allein die Abhängigkeit der Traumdeutung von der psychoanaly‘tischen Behandlung hat die Folge, daß die wenigsten Beispiele angemerkt und mitgeteilt werden, und daß die mitgeteilten Analysen meist nur für den Kenner der Neurosenpatholog-ie verständlich sind. So ein Traum von Dr. v. Karpinska (Internat. Zeitschr. f. Psychoanalyse II, 1914), der die sinnlose Wortbildung „Svingnum elvi“ enthält. Erwähnenswert ist noch der Fall, daß im Traum ein an sich nicht bedeutungsloses Wort erscheint, das aber, seiner eigentlichen Bedeutung entfremdet, verschiedene andere Bedeutungen zusammenfaßt, zu denen es sich wie ein „sinnloses“ Wort verhält. Dies ist in dem Traum von der „Kategorie“ eines zehnf jährigen Knaben der Fall, den V. Tausk (Zur Psychologie der Kindersexualität, Internat. Zeitschr. für Psychoanalyse I, 1915) mitteilt. „Kategorie“ bedeutet hier das weibliche Genitale und „k a t e g o r i e r e n“ soviel wie urinieren.

§ 419

6 Zur Herkunft der Traumrzdzn:

§ 420

Bei einem an Zwangsvorstellungen leidenden jungen Marine mit übrigens intakten und hochentvvickelten intellektuellen Funktionen fand ich unlängst die einzige Ausnahme von dieser Regel. Die Reden, die in seinen Träumen vorkamen, stammten nicht von gehörten oder selbst gehaltenen Reden ab, sondern entsprechen dem unentstellten Wortlaute seiner Zwangsgedanken, die ihm im Wachen nur abgeändert zum Bewußtsein kamen.

§ 421

7 Die Traumzntxtellung bei PopperrLynkeus:

§ 422

Da ich die Zurückführung der Traumentstellung auf die Zensur als den Kern meiner Traumaui‘fassung bezeichnen darf, schalte ich hier das letzte Stück jener Erzählung „Träumen wie Wachen“

§ 423

§ 424

54 Ergänzungen zur Traumdeutung

§ 425

aus den „Phantasien eines Realisten“ von Lynkeus (Wien, 2. Aufl., 1900) ein, in dem ich diesen Hauptcharakter meiner Lehre wiederfinde:

§ 426

„Von einem Marine, der die merkwürdige Eigenschaft hat, niemals Unsinn zu träumen.“ — — — —

§ 427

„Deine herrliche Eigenschaft7 zu träumen wie zu wachen, beruht auf deinen Tugenden, auf deiner Güte, deiner Gerechtig» keit, deiner Wahrheitsliebe; es ist die moralische Klarheit deiner Natur, die mir alles an dir verständlich macht.“

§ 428

„Wenn ich es aber recht bedenke,“ erwiderte der andere, „so glaube ich beinahe, alle Menschen seien so wie ich beschaffen, und gar niemand träume jemals Unsinn! Ein Traum, an den man sich so deutlich erinnert, daß man ihn nacherzählen kann, der also kein Fiebertraum ist, hat immer Sinn und es kann auch gar nicht anders sein! Denn was miteinander in Widerspruch steht, könnte sich ja nicht zu einem Ganzen gruppieren, Daß Zeit und Raum oft durcheinander gerüttelt werden, henimmt dem wahren Inhalt des Traumes gar nichts, denn sie sind beide gewiß ohne Bedeutung für seinen wesentlichen Inhalt gewesen. Wir machen es ja oft im Wachen auch so; denke an das Märchen, an so viele kühne und sinnvolle Phantasiegehilde, zu denen nur ein Unverstä diger sagen würde: ,Das ist widersinnig! Denn das ist nicht möglich!”

§ 429

„Wenn man nur die Träume immer richtig zu deuten wüßte, so wie du das eben mit dem meinen getan hast!“ sagte der Freund.

§ 430

„Das ist gewiß keine leichte Aufgabe, aber es müßte bei einiger Aufmerksamkeit dem Träumenden selbst wohl immer gelingen. —— Warum es meistens nicht gelingt? Es scheint bei Euch etwas Verstecktes in den Träumen zu liegen, etwas Unkeusches eigener und höherer Art, eine gewisse Heimlichkeit in eurem Wesen, die schwer auszudenken ist; und darum scheint Euer Träumen so oft ohne Sinn, sogar ein Widersinn zu sein.

§ 431

§ 432

Zu Abschnitt VI 55

§ 433

Es ist aber im tiefsten Grunde durchaus nicht so; ja, es kann gar nicht so sein, denn es ist immer derselbe Mensch, ob er wacht oder träumt.“

§ 434

8

§ 435

Zur Synthese von Träumen:

§ 436

Ich habe die vollständige Analyse und Synthese zweier Träume seither in dem „Bruchstück einer Hysterieanalyse“, 1905 (Ges. Schriften, Bd. VIII) gegeben. Als die vnllständigste Deutung eines längeren Traumes muß die Analyse von O. R a n k, „Ein Traum, der sich selbst deutet“, anerkannt werden.

§ 437

9 Zu dm „Kollatzralzn" :

§ 438

Ich habe diesen Namen spät” fallen kam. und die entsprechende Szelk folgender An abgeändert:

§ 439

Dem anderen Teil ist man gewohnt, geringe Bedeutung zuzuschreiben. Man legt auch keinen Wert auf die Behauptung, daß alle diese Gedanken an der Traumbildung beteiligt gewesen seien, ‘. vielmehr können sich Einfiille unter ihnen finden, welche an Erlebnisse nach dem Traume, zwischen den Zeitpunkten des Träumens und des Deutens, anknüpfen. Dieser Anteil umfaßt alle die Verbindungswege, die vom manifesten Trauminhalt bis zu den latenten Traumgedanken geführt haben, aber ebenso die vermittelnden und annähernden Assoziationen, durch welche man “ während der Deutungsarbeit zur Kenntnis dieser Verbindungs— !

§ 440

wege gekommen ist. 10

§ 441

Zur Bedeutung der Teilung eine; Traum in zwa' Stiz'drz:

§ 442

Sicherlich gilt dies für die in eine Pollution auslaufende Traumreihe einer Nacht, in welcher das sometische Bedürfnis sich einen fortschreitend deutlicheren Ausdruck erzwingt.

§ 443

11 Zur Durstellung von Gegensätzen: Aus einer Arbeit von K. Abel, Der Gegensinn der Urworte,

§ 444

§ 445

56 Ergänzungm zur Traumdzutung

§ 446

1884, (siehe mein Referat im Jahrbuch f. PSA. II, 1910 [Ges. Schriften, Bd. X1)7 erfuhr ich die überraschende, auch von anderen Sprachforschern bestätigte Tatsache, daß die ältesten Sprachen sich in diesem Punkte ganz ähnlich benehmen wie der Traum. Sie haben anfänglich nur ein Wort für die beiden Gegensätze an den Enden einer Qualitätem oder Tätigkeitsreihe (starkschwach, altjung, femnah, binden-trennen) und bilden gesonderte Bezeichnungen für die beiden Gegensätze erst sekundär durch leichte Modifikationen des gemeinsamen Urwortes. Abel weist diese Verhältnisse im großen Ausmaße im Altägyptischen nach, zeigt aber deutliche Reste derselben Entwicklung auch in den semitischen und indogermanischen Sprachen auf.

§ 447

19 Zur Darstellung des „Gleichwie“: Vergleiche die Bemerkung des Aristoteles über die Eignung zum Traumdeuter (s. oben Ergänzung 9 auf S, 16).

§ 448

1 Zur Bildung von Mischpersonzn: 5 Es kann aber auch vorkommen, daß die Bildung einer solchen Mischperson mißlingt. Dann wird die Szene des Traumes der einen Person zugeschrieben und die andere —— in der Regel wichtigere , tritt als sonst unbeteiligte Anwesende daneben hin. Der Träumer erzählt etwa: Meine Mutter war auch dabei (Stekel). Ein solches Element des Trauminhaltes ist dann einem Determinativum in der Hieroglyphenschrift zu vergleichen, welches nicht zur Aussprache, sondern zur Erläuterung eines anderen Zeichens bestimmt ist. 14 Zum Egnismw Äzr Träume vgl. ni‘z Korrzktur 37 zu Almhn. V(S. 47). 15 Zum Vorkammen des sigma Ich: im Traume:

§ 449

Daß das eigene Ich in einem Traume mehrmals vorkommt

§ 450

§ 451

Zu Abschnitt VI 57

§ 452

oder in verschiedenen Gestaltungen auftritt, ist im Grunde nicht verwunderlicher, als daß es in einem bewußten Gedanken mehr— mals und an verschiedenen Stellen oder in anderen Beziehungen enthalten ist. Z. B. im Satze: Wenn ich daran denke, was für gesundes Kind ich war.

§ 453

16

§ 454

Ein Beispiel einer „Mischrälumlichlrzil“:

§ 455

Ein Träumer schafft sich eine Mischlokalität aus zwei Örtlichkeiten, in denen „Kur“ gemacht wird, aus meinem Ordinationszimmer und dem öflentlichen Lokal, in dem er zuerst seine Frau kennen gelernt hat.

§ 456

17

§ 457

Ein Beispizl einer phantastischen Mischpers‘an:

§ 458

In einem von F eren czi mitgeteilten Traume kam ein Mischgebilde vor, das aus der Person eines Arztes und aus einem Pferde zusammengesetzt war und überdies ein Nachthemd anhatte. Das Gemeinsame dieser drei Bestandteile ergab sich aus der Analyse, nachdem das Nachthemd als Anspielung auf den Vater der Träumerin in einer Kindheitsszene erkannt war. Es handelte sich in allen drei Fällen um Objekte ihrer geschlechtlichen Neugierde. Sie war als Kind von ihrer Kindsfrau öfters in das militärische Gestüt mitgenommen werden, wo sie Gelegenheit hatte, ihre — damals noch ungehemmte — Neugierde ausgiebig zu befriedigen.

§ 459

18 Zur Umkehrung im Traum:

§ 460

Es ist ferner bemerkenswert, wie häufig die Umkehrung gerade in Träumen benötigt wird, die von verdrängten homof sexuellen Regungen eingegeben werden.

§ 461

19 Weiteres über die Umkzhmng im Traum:

§ 462

Die Umkehrung, Verwandlung ins Gegenteil, ist übrigens eines

§ 463

§ 464

58 Ergänzungen zur Traumdeutung

§ 465

der beliebtesten, der vielseitigsten Verwendung fähigen Der» stellungsmittel der Traumarbeit. Sie dient zunächst dazu, der Wunscherf‘iilllung gegen ein bestimmtes Element der Traumgedanken Geltung zu verschaffen. Wäre es doch umgekehrt gewesen! ist oftmals der beste Ausdruck für die Reaktion des Ichs gegen ein peinliches Stück Erinnerung. Ganz besonders wertvoll wird die Umkehrung aber im Dienste der Zensur, indem sie ein Maß von Entstellung des Darzustellenden zustande bringt, welches das Verständnis des Traumes zunächst geradezu Iähmt. Man darf darum, wenn ein Traum seinen Sinn hartnäckig ver— weigert, jedesmal den Versuch der Umkehrung mit bestimmten Stücken seines manifesten Inhaltes wagen, worauf nicht selten alles sofort klar wird,

§ 466

Neben der inhaltlichen Umkehrung ist die zeitliche nicht zu übersehen. Eine häufige Technik der Traumentstellung besteht darin7 den Ausgang der Begebenheit oder den Schluß des Gedankenganges zu Eingang des Traumes darzustellen und am Ende desselben die Voraussetzungen des Schlusses oder die Ursachen des Geschehens nachzutragen. Wer nicht an dieses technische Mittel der Traumentstellung gedacht hat, steht dann der Aufgabe der Traumdeutung ratlos gegenüber.1

§ 467

Ja in manchen Fällen erhält man den Sinn des Traumes erst, wenn man an dem Trauminhalt eine mehrfache Umkehrung,

§ 468

1)Derselhen Technik der zeitlichen Umkehrung bedient sich manchmal der hysberische Anfall, um seinen Sinn dem Zulcl1auer zu verlangen. Ein hystgrischel Mädchen hat n B. in einem Anfalle einen kleinen l\omnn darzustellen, den sie sich im Anschluß an eine Begegnung in der Stadthelm im Unhewußten phantasiert hat. Wie der Betrefende, durch die Schönheit ihres Fuße. angezogen, sie, während sie liest, anspricht, wie sie dann mit ihm geht und eine stürmische Liehemene erlebt, Ihr Anfall setzt mit der Darstellung diem Liebenzene durch die Körperzuckungen ein (dnhei Lipyenhewegungen fürs Küssen, Ver—schränkung der Arme fiir die Um— nrmung), dmuf eilt sie ins andere Zimmer, setzt sich auf einen smhl, hebt das Kleid. um den Fuß zu zeigen tut, als ab lie in einem Buche lmn würde, und spricht mich an (gibt mir Antwort). VgL hiezu die Bemerkung des Artemidarin: „Bei tler Auslegung van Traumgelchicllten muß men lie einmal vom Anfang gegen das Ende, das andere Mal vom Ende gegen den Anfang hin ine Auge fassen . . .“

§ 469

§ 470

Zu Abschnitt VI 59

§ 471

nach verschiedenen Reletinnen, vorgenommen hat. So :. B. ver— birgt sich im Trauma eines jungen Zwengsneurotikers die Erinnerung an den infantilen Todeswunsch gegen den gefürchteten Vater hinter folgendem Wortlaut: Sein Vater schimpft mit ihm, weil er so spät nach Hause kommt. Allein der Zusammenhang der psychoenalytischen Kur und die Einflille des Träumers beweisen, daß es zunächst leuten muß: Er ist böse auf den Vater und sodann, daß ihm der Vater auf alle Fälle zu früh (d. h. zu bald) nach Hause kam. Er hätte es vorgezngen, daß der Vater überhaupt nicht nach Hause gekommen wäre, was mit dem Tudeswunsch gegen den Vater identisch ist (vgl. Ges. Schriften II, S. 956 n. dieser Bd. S. 4.5). Der Träumer hatte sich nämlich als kleiner Knabe während einer längeren Abwesenheit des Vaters eine sexuelle Aggression gegen eine andere Person zuschulden kommen lassen und war mit der Drohung gestreft werden: Na wart’, bis der Vater zurückkommt!

§ 472

90

§ 473

Zur Darnzlb4ng da Trauminhaln durch formale Chamkme des Traumes:

§ 474

Die Form des Traumes oder des Träumens wird in ganz überraschender Häufigkeit zur Darstellung des verdeckten Inhaltes verwendet.

§ 475

Glossen über den Traum, anscheinend harmlose Bemerkungen zu demselben, dienen oft dazu, ein Stück des Geträumten in der raffiniertesten Weise zu verhüllen, während sie es doch eigentlich verraten. So 1. B. wenn ein Träumer äußert: Hier ist der Traum verwis eh!? und die Analyse eine infentile Reminiszenz an das Belauschen einer Person ergibt, die sich nach der Defiikation reinigt. Oder in einem anderen Falle, der ausführliche Mitteilung verdient. Ein junger Mann hat einen sehr deutlichen Traum, der ihn an bewußt gebliebene Phantasien seiner Knobenjahre mahnt: Er befindet sich abends in einem Sommerlwtel1 irrt sich in der

§ 476

I

§ 477

\

§ 478

§ 479

60 Ergänzungen zur Traumdeutung

§ 480

Zimmernummer und kommt in einen Raum, in dem sich eine ältere Dame und ihre zwei Töchter entkleiden, um zu Bette zu gehen. Ersetzt fort: Dann sind einige Lücken im Traum, da fehlt etwas, und am Ende war ein Mann im Zimmer, der mich hinauswerfen wollte, mit dem ich ringen mußte. Er bemüht sich vergebens, den Inhalt und die Absicht jener knabenhaften Phantasie zu erinnern, auf die der Traum offenbar anspielt, Aber man wird endlich aufmerksam, daß der gesuchte Inhalt durch die Äußerung über die undeutliche Stelle des Traumes bereits gegeben ist. Die „Lücken“ sind die Genitalölfnungen der zu Bette gehenden Frauen: „da fehlt etwas“ beschreibt den Hauptcharakter des weiblichen Genitales. Er brannte in jenen jungen Jahren vor Wißbegierde, ein weibliches Genitale zu sehen, und war noch geneigt, an der infantilen Sexualtheorie, die dem Weihe ein männliches Glied zuschreibt, festzuhalten.

§ 481

In ganz ähnliche Form kleidete sich eine analoge Reminiszenz eines anderen Träumers ein. Er träumt: Ich gehe mit Frl. K. in das Volksgartenreszaurant. . ., dann kommt eine dunkle Stelle, eine Unterbrechung . . ., dann befinde ich mich in einem Bordellsalon, in dem ich zwei oder drei Frauen sehe, eine in Hemd und Höschen.

§ 482

Analyse: Frl. K. ist die Tochter seines früheren Chefs, wie er selbst zugibt, ein Schwesterersatz. Er hatte nur selten Gelegenheit, mit ihr zu sprechen, aber einmal fiel eine Unterhaltung zwischen ihnen vor, in der „man sich gleichsam in seiner Geschlechtlicbkeit erkannte, als ob man sagen würde: Ich bin ein Mann und du ein Weib“. Im angegebenen Restaurant war er nur einmal in Begleitung der Schwester seines Schwagers, eines Mädchens, des ihm vollkummen gleichgültig war. Ein andermal begleitete er eine Gesellschaft von drei Damen bis zum Eingange in dieses Restaurant. Die Damen waren seine Schwester, seine Schwägerin und die bereits erwähnte Schwester seines Schwagers, alle drei ihm höchst gleichgültig, aber alle drei der

§ 483

§ 484

Zu Abschnitt VI 61

§ 485

Schwesterreihe angehörig. Ein Bordell hat er nur selten besucht, vielleicht zwei— oder dreimal in seinem Leben.

§ 486

Die Deutung stützte sich auf die „dunkle Stelle“, „Unter— brechung“ im Tmume, und behauptete, daß er in knabenhafter Wißbegierde einigemal, allerdings nur selten, das Genitale seiner um einige Jahre jüngeren Schwester inspiziert habe. Einige Tage später stellte sich die bewußte Erinnerung an die vom Trauma angedeutete Untat ein.

§ 487

Alle Träume derselben Nacht gehören ihrem Inhalt nach zu * dem nämlichen Ganzen; ihre Sonderung in mehrere Stücke„I deren Gruppierung und Anzahl, all das ist sinnreich und darf,( als ein Stück Mitteilung aus den latenteu Traumgedanken auf—\ gefaßt werden. Bei der Deutung von Träumen, die aus mehreren‘} Hauptstücken bestehen, oder überhaupt solchen, die derselben? Nacht angehören, darf man auch an die Möglichkeit nicht ver—‘, gessen, daß diese verschiedenen und aufeinanderfolgenden Träume , dasselbe bedeuten, die nämlichen Regungeu in verschiedenem

§ 488

Material zum Ausdruck bringen. Der zeitlich vorangehende dieser homologen Träume ist dann häufig der entstelltere, schüchterne,

§ 489

der nachfolgende ist dreister und deutlicher.

§ 490

Schon der biblische Traum des Pharao von den Ähren und von den Kühen, den Josef deutete, war von dieser Art. Er findet sich bei Josephus (Jüdische Altertilmer, Buch II, Kap. 5 und 6) ausführlicher als in der Bibel berichtet. Nachdem der König den ersten Traum erzählt hat, sagt er: „Nach diesem ersten Traumgesicht wachte ich beunruhigt auf und dachte nach, was dasselbe wohl bedeuten möge, schlief jedoch hierüber allmählich wieder ein und hatte nun einen noch viel seltsameren Traum, der mich noch mehr in Furcht und Verwirrung gesetzt hat.“ Nach Anhören der Traumerzählung sagt Josef: „Dein Traum, 0 König, ist dem Anschein nach wohl ein zweifacher, allein beide Gesichte haben nur eine Bedeutung.“

§ 491

I ung, der in seinem „Beitrag zur Psychologie des Gerüchtes“

§ 492

§ 493

65 Ergänzungen zur Traumdeutung

§ 494

erzählt, wie der versteckt erotische Traum eines Schulmädchens von ihren Freundinnen ohne Deutung verstanden und in Abänderungen weitergeführt wurde, bemerkt zu einer dieser Traumerzählungen, „daß der Schlußgedanke einer langen Reihe von Traumbildem genau das enthält, was schon im ersten Bild der Serie darzustellen versucht worden war. Die Zensur schiebt den Komplex so lange wie möglich weg durch immer wieder erneute symbolische Verdeckungen, Verschiebungen, Wendungen ins Hanniose usw.“ (1. c. p. 87). Scherner hatte diese Eigentümlichkeit der Traumdarstellung gut gekannt und beschreibt sie im Anschluß an seine Lehre von den Organreizen als ein besonderes Gesetz (pa 166). „Endlich aber beobachtet die Phantasie in allen von bestimmten Nervenreizen ausgehenden symbolischen Traumbildungen das gemeingültige Gesetz, daß sie bei Beginn des Traumes nur in den {ernsten und freiesten Andeutungen des Reizohjektes malt, am Schlusse aber, wo der malerische Erguß sich erschöpft hatte, den Reiz selbst, respektive sein betreffendes Organ oder dessen Funktion in Nacktheit hinstellt, womit der Traum, seinen organischen Anlaß selbst bezeichnend, das Ende erreicht — — ——.“

§ 495

Eine schöne Bestätigung dieses Schernerschen Gesetzes hat Otto Rank in seiner Arbeit; „Ein Traum, der sich selbst deutet“, geliefert. Der von ihm dort mitgeteilte Traum eines Mädchens setzte sich aus zwei auch zeitlich gesonderten Träumen einer Nacht zusammen, von denen der zweite mit einer Pollution abschloß, Dieser Pollutionstraum gestattete eine bis ins einzelne durchgeführte Deutung unter weitgehendexn Verzicht auf die Beiträge der Träumerin, und die Fülle der Beziehungen zwischen den beiden Trauminhalten ermöglichte es zu erkennen, daß der erste Traum in schüchtemer Darstellung dasselbe zum Ausdruck brachte wie der zweite, so daß dieser, der Pollutionstraum, zur vollen Aufklärung des ersteren verhelfen hatte. Rank erörtert von diesem Beispiele aus mit gutem Recht die

§ 496

§ 497

Zu Abschnitt VI 65

§ 498

Bedeutung der Pollutionsträume für die Theorie des Träumens überhaupt. 91

§ 499

mm die Kritik „Das ist ja nur ein Traum“ und über den. „Trman im Traum“:

§ 500

Was die häufig während eines Traumes aufiauchende Urteilsäußerung: „Das ist ja nur ein Traum“ bedeute, und welcher psychischen Macht sie zuzuschreiben sei, werde ich an anderer Stelle (5, u.) erörtern. Ich nehme hier vorweg, daß sie zur Entwertung des Geträumten dienen soll. Das in der Nähe liegende, interessante Problem, was dadurch ausgedrückt wird, wenn ein gewisser Inhalt im Traum selbst als „get-räumt“ bezeichnet wird, das Rätsel des „Traumes_im Traume“, hat W. Stekel durch die Analyse einiger überzeugender Beispiele in ähnlichem Sinne gelöst. Das „Geträumte“ des Traumes soll wiederum entwertet, seiner Realität beraubt werden; was nach dem Erwachen aus dem „Traum im Traume“ weiter geträumt wird, das will der Traumwunsch an die Stelle der susgelöschten Realität setzen. Man darf also annehmen, daß das „G e t r ä u m t e“ die Darstellung der Realität, die wirkliche Erinnerung, der fortsetzende Traum im Gegenteil die Darstellung des bloß vom Träumer Gewünschten enthält. Der Einschluß eines gewissen Inhaltes in einen „Traum im Träume“ ist also gleichzusetzen dem Wunsche, ‘ daß das so als Traum Bezeichnete nicht hätte geschehen sollen. Mit anderen Worten: wenn eine bestimmte Begebenheit von der Traumarbeit selbst in einen Traum gesetzt wird, so bedeutet dies die entschiedenste Bestätigung der Realität dieser Begebenheit, die stärkste Bejshung derselben. Die Traumarbeit verwendet das Träumen selbst als eine Form der Ablehnung und bezeugt damit die Einsicht, daß der Traum eine Wunscherfüllung ist.

§ 501

92 Note zur %rzzwzüleuziglrzit:

§ 502

Vgl. Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten, 1905

§ 503

§ 504

64- Ergänzungen zur Traumdeutung

§ 505

(Ges. Schriften, Bd. IX), und die „Wonbrücken“ in den Lösungen neurotischer Symptome. 95

§ 506

Zur Würdigung der Zwe'uieutiglreiz Im“ der Traumdeutung:

§ 507

Es ist im allgemeinen bei der Deutung eines jeden Traumelementes zweifelhaft, ob es:

§ 508

a) im positiven oder negativen Sinne genommen werden soll

§ 509

(Gegensatzrelation);

§ 510

b) historisch zu deuten ist (als Reminiszenz);

§ 511

n) symbolisch oder ob

§ 512

ti) seine Verwertung vorn Wortlaute ausgehen soll.

§ 513

Trotz dieser Vieldeutigkeit darf man sagen, daß die Darstellung’ der Traumarbeit, die ja nicht beabsichtigt verstanden zu werden7 dem Übersetzer keine größeren Schwierigkeiten zumutet7 als etwa die alten Hiernglyphenschreiber ihren Lesern

§ 514

24

§ 515

Der Name des Kompom'sten:

§ 516

Hugo Wolf.

§ 517

Q5

§ 518

Einsphallung über die von Silberer direkt benbachtete Darstellung von Gedanken durch Traumbilder:

§ 519

Herbert S i l h e r e r hat einen guten Weg gezeigt, wie man die bei der Traumbildung vor sich gehende Umsetzung der Gedanken in Bilder direkt beobachten und somit dies eine Moment der Traumarheit isoliert studieren kann. Wenn er sich im Zustande der Ermüdlmg und Schlaftrunkenheit eine Denkanstrengung aufv erlegte, so ereignete es sich ihm häufig, daß ihm der Gedanke entschlüpfte und dafür ein Bild auftrat, in dem er nun den Ersatz des Gedankens erkennen konnte. S i l b e r e r nennt diesen Ersatz nicht ganz zweckmäßig einen „autosymlaolischen“. Ich gebe hier einige Beispiele aus der Arbeit von S i l b e r e r wieder, auf welche ich wegen gewisser Eigenschaften der beobachteten Phänomene noch an anderer Stelle zurückkummeu werde.

§ 520

§ 521

Zu Abschnitt VI 65

§ 522

„Beispiel Nr. 1. Ich denke daran, daß ich vorhabe, in einem Aufsatze eine holprige Stelle euszubessern.

§ 523

Symbol: Ich sehe mich, ein Stück Holz glatthobeln.“

§ 524

„Beispiel Nr. 5. Ich suche mir den Zweck gewisser metaphysischer Studien, die ich eben zu betreiben vorhobe, zu vergegenwärtigen. Dieser Zweck besteht darin, so denke ich mir, daß man sich auf der Suche nach den Daseinsgründen zu immer höheren Bewußtseinsforrnen oder Daseinsschichten durcharbeitet.

§ 525

Symbol: Ich fahre mit einem langen Messer unter eine Torte, wie um ein Stück davon zu nehmen.

§ 526

Deutung: Meine Bewegung mit dem Messer bedeutet das ,Durcharbeiten‘, von dem die Rede ist . . . Die Erklärung des Syrnbolgrundes ist die folgende; Es fällt mir bei Tisch hie und da das Zersohneiden und Verlegen einer Torte zu, ein Geschäft, welches ich mit einem langen, biegsamen Messer verrichte, was einige Sorgfalt erheischt. Insbesondere ist das reinliche Herausheben der geschnittenen Tortenteile mit gewissen Schwierigkeiten verbunden; das Messer muß behutsam unt er die betreffenden Stücke geschoben werden (das langsame ,Durcharbeiten‘, um zu den Gründen zu gelangen). Es liegt aber noch mehr Symbolik in dem Bild. Die Torte des Symbols war nämlich eine Dobos— Torte, also eine Torte, bei welcher das schneidende Messer durch verschiedene S c h i c h te n zu dringen hat (die Schichten des Bewußtseins und Denkens).“

§ 527

„Beispiel Nr. 9. Ich verliere in einem Gedankengang den Faden. Ich gebe mir Mühe, ihn wieder zu finden, muß aber erkennen, daß mir der Ankniipfungspunkt vollends entfallen ist.

§ 528

Symbol: Ein Stück Schriftsatz; dessen letzte Zeilen herausgefallen sind.“

§ 529

26

§ 530

Zur Dzulung „Kraut und Rüben“:

§ 531

Diese Darstellung ist mir wirklich nicht wieder begegnet, so

§ 532

daß ich an der Berechtigung der Deutung irre geworden bin.

§ 533

Freud. m. 5

§ 534

§ 535

66 Ergänzungm zur Trnnmdzutw.g

§ 536

97 Note zur sy7nbal'uchzn Verwendung der Küche, der Pflanzen u. dgl.: Reichliches Belegmaterial hiezu in den drei Ergänzungsbänden von Ed. F uchs' „Illustr. Sittengeschichte“ (Privatdrucke bei

§ 537

A. Langen, München). 28

§ 538

Dieser kurze Abschnitt ist in späteren Auflagen weggzbliebm.

§ 539

Der vorstehende, wegen seiner symbolischen Elemente hervorgehobene Traum ist ein „biographischer“ zu nennen. Solche Träume kommen in den Psychoanalysen häufig vor, aber vielleicht nur selten außerhalb derselben.

§ 540

ZUSATZKAPITEL A

§ 541

Die Darstellung durch Symbole im Traume — VVeitere typische Träume

§ 542

Die Analyse des letzten biographischen Traumes steht als Beweis dafür, daß ich die Symbolik im Traume von Anfang an erkannt habe. Zur vollen Würdigung ihres Umfangs und ihrer Bedeutung gelangte ich aber erst allmählich durch vermehrte Erfahrung und unter dem Einfluß der Arbeiten W. Stekels,I über die eine Äußerung hier am Platze ist.

§ 543

Dieser Autor, der der Psychoanalyse vielleicht ebensov'iel geschadet als genützt hat, brachte eine große Anzahl von unvermuteten Symbolübersetzungen vor, die anfänglich nicht geglaubt wurden, später aber größtenteils Bestätigung fanden und angenommen werden mußten. Stekels Verdienst wird durch die Bemerkung nicht geschmälert, daß die skeptische Zurückhaltung der anderen nicht ungerechtfertigt war. Denn die Beispiele, auf welche er seine Deutungen stürzte7 waren häufig nicht über

§ 544

!) Wi Stekei, Die Sprache des Trauma, .9„.

§ 545

§ 546

Zu Abschnitt VI 57

§ 547

zeugend und er hatte sich einer Methode bedient, die als wissenschaftlich unzuverlässig zu verwerfen ist. Stekei fand seine Symboldeutungen auf dem Wege der Intuition, kraft eines ihm eigenen Vermögens, die Symbole unmittelbar zu verstehen. Eine solche Kunst ist aber nicht allgemein vorauszusetzen, ihre Leistungsfähigkeit ist jeder Kritik entzogen und ihre Ergebnisse haben daher auf Glaubwürdigkeit keinen Anspruch. Es ist ähnlich, als wollte man die Diagnose der Infektionskrankheiten auf die Geruohseindrücke am Krankenbette gründen, obwohl es unzweifelhaft Kliniker gab, denen der bei den meisten verkün1merte Geruchssinn mehr leistete als anderen und die wirklich imstande waren, einen Abdominaltyphus nach dem Geruch zu diagnostizieren.

§ 548

Die fortschreitende Erfahrung der Psychoanalyse hat uns Patienten auffinden lassen, die ein solches unmittelbares Verständnis der Traumsymbolik in überraschender Weise an den Tag legten. Häufig waren es an Dementia praecox Leidende, so daß eine Zeitlang die Neigung bestand, alle Träumer mit solchem Symbolverständnis dieser Affektion zu verdächtigen, Allein das trifft nicht zu, es handelt sich um eine persönliche Begabung oder Eigentümlichkeit ohne ersichtliche pathologische Bedeutung.

§ 549

Wenn man sich mit der ausgiebigen Verwendung der Symbolik für die Darstellung sexuellen Materials im Traume vertraut gemacht hat, muß man sich die Frage vorlegen, ob nicht viele dieser Symbole wie die „Sigel“ der Stenographie mit ein für allemal festgelegter Bedeutung auftreten, und sieht sich vor der Versuchung, ein neues Traumhuch nach der Chiffriermethode zu entwerfen. Dazu ist zu bemerken: Diese Symbolik gehört nicht dem Traume zu eigen an, sondern dem unbewußten Vorstellen, speziell des Volkes, und ist im Folklore, in den Mythen, Sagen, Redensarten, in der Spruchweisheit und in den umlaufenden Witzen eines Volkes vollständiger als im Traume aufzufinclen. Wir müßten also die Aufgabe der Traumdeutung weit über

§ 550

5.

§ 551

§ 552

ss Ergänzung!!! zur Traumdeutung

§ 553

schreiten, wenn wir der Bedeutung des Symbols gerecht werden und die zahlreichen, großenteils noch ungelösten Probleme erörtem wollten, welche sich an den Begriif des Symbols knüpfen.‘ Wir wollen uns hier darauf beschränken zu sagen, daß die Darstellung durch ein Symbol zu den indirekten Darstellungen gehört, daß wir aber durch allerlei Anzeichen gewarnt werden, die Symboldarstellung unterschiedslos mit den anderen Arten indirekter Darstellung zusammenzuwerfen, ohne noch diese unterscheidenden Merkmale in begriiflicher Klarheit erfassen zu können. In einer Reihe von Fällen ist das Gemeinsame zwischen dem Symbol und dem Eigentlichen, für welches es eintritt, offenkundig, in anderen ist es versteckt; die Wahl des Symbols erscheint dann rätselhaft. Gerade diese Fälle müssen auf den letzten Sinn der Symbolbeziehlmg Licht werfen können; sie weisen darauf hin, daß dieselbe genetischer Natur ist. Was heute symbolisch verbunden ist, war wahrscheinlich in Urzeiten durch hegrifiliche und sprachliche Identität vereint.‘ Die Symbolbeziehung scheint ein Rest und Merkzeichen einstiger Identität. Dabei kann man beobachten, daß die Symbolgemeinschaft in einer Anzahl von Fällen über die Sprachgemeinschaft hinausreicht, wie bereits Schubert (1814.) behauptet hat.5 Eine Anzahl von Symbolen

§ 554

)) Vgl die Arbeiten von Bleuler und seinen Züricher Schülern, M ae d er, Abraham n. a„ über Symbolik, und die nichtirztlichen Autoren, auf welche rie lich beziehen (Kleinpaul u. al. Du Zunefiendrte, wu über diesen Gegenlumd geäußert werden ist, findet sich In der Schrift von o. Rank und n. s acht, Die Bedeutung der Psychoanalyse für die Geistesw'isaenlchaften, igi5, Kap. 1. Ferner E. Jon ea, Die Theorie der Symbolik, Int. Zeittchr. £ Psychoanalyse, v, 1919.

§ 555

r) Biere Auflauung würde eine außerordentliche Unrerniirznng in einer von Dr. l—lem s p e r b e r vorgeungenen Lehre finden. 5 p e rh e r (iiber den Einfluß sexueller Momente auf Entstehung und Entwicklung der Sprache, Imngu 1, mm meinte daß die Urwnrte limtlich lexuelle Dinge bezeichneten und dann diese aexuelle Bedeutung verloren, indem lie auf andere Dinge und Tätigkeiten übergingen, die rnit den sexuellen verglichen wurden.

§ 556

5) 50 nie: 1. B. das auf dem Wasser fahrende Schiff in den Harnuiumen ungarilcher Träume: auf, obwohl diem Sprache die Bezeichnung „ichül'en“ für „urinieren“ fremd ist (F e r e n e z i; vgl, auch s. S.,). In den Träumen von Funmien und anderen Romanen dient du Zimmer zur lymbolischen Damellung der Frau, nhwuhl diese vs er nicht; dein deutmben „Frnuenaimmer“ Analoge: kennen.

§ 557

§ 558

Zu Abschnitt V1 69

§ 559

ist so alt wie die Sprachbildung überhaupt, andere werden aber in der Gegenwart fortlaufend neu gebildet (z. B. das Luftschiff, der Zeppelin).

§ 560

Der Traum bedient sich nun dieser Symbolik zur verkleideten Darstellung seiner latenten Gedenken. Unter den so verwendeten Symbolen sind nun allerdings viele, die regelmäßig oder fast regelmäßig das nämliche bedeuten wollen. Nur möge man der eigentümlichen Plastizität des psychischen Materials eingedenk bleiben. Ein Symbol kann oft genug im Trauminhalt nicht symbolisch, sondern in seinem eigentlichen Sinne zu deuten sein; andere Male kann ein Träumer sich aus speziellem Erinnerungsmaterial das Recht schaffen, alles mögliche als Sexual— symbol zu verwenden, was nicht allgemein so verwendet wird. Wo ihm zur Darstellung eines Inhaltes mehrere Symbole zur Auswahl bereit stehen, wird er sich für jenes Symbol entscheiden, ' das überdies noch Sachbeziehungen zu seinem sonstigen Gedankenmaterial aufweist, also eine individuelle Motivierung neben der| typisch gültigen gestattet.

§ 561

Wenn die neueren Forschungen über den Traum seit S c h am er die Anerkennung der Traumsymbolik unabweisbar gemacht haben, _. selbst H. Ellis bekennt sich dazu, es sei ein Zweifel nicht möglich, daß unsere Träume von Symbolik erfüllt seien, — so ist doch zuzugeben, daß die Aufgflbe einer Traumdeutung durch die Existenz der Symbole im Traume nicht nur erleichtert, sondern auch erschwert wird. Die Technik der Deutung nach den freien Einfällen des Träumers läßt uns für die symbolischen Elemente des Treuminhaltes meist im Stich; eine Rückkehr zur Willkür des Traumdeuters, wie sie im Altertum geübt wurde und in den verwilderten Deutungen von Stekel wieder aufzuleben scheint, ist aus Motiven wissenschaftlicher Kritik ausgeschlossen Somit nötigen uns die im Trauminhalt vorhandenen, symbolisch aufzufflssenden Elemente zu einer kombinierten Technik, welche sich einerseits auf die Assoziationen des Träumen

§ 562

§ 563

70 Ergänzungen zur Traumdeutung

§ 564

stützt, andererseits das Fehlende aus dem Symbolverständnis des Deuters einsetzt. Kritische Vorsicht in der Auflösung der Symbole und sorgfältiges Studium derselben an besonders durchsichtigen Traumbeispielen müssen Zusammentreffen, um den Vorwurf der Willkürlichkeit in der Traumdeutung zu entkräften. Die Unsicherheiten, die unserer Tätigkeit als Deuter des Traumes noch anhaften, rühren zum Teil von unserer unvollkommenen Erkenntnis her, die durch weitere Vertiefung fortschreitend gehoben werden kann, zum anderen Teil hängen sie gerade von gewissen Eigenschaften der Traumsymbole ab. Dieselben sind oft viel- und mehrdeutig, so daß, wie in der chinesischen Schrift, erst der Zusammenhang die jedesmal richtige Auffassung ermöglicht. Mit dieser Vieldeutigkeit der Symbole verbindet sich dann die Eignung des Traumes, Überdeutungen zuzulassen, in einem Inhalt verschiedene, mit ihrer Natur nach sehr abweichende Gedankenbildungen und Wunschregungen darzustellen.

§ 565

Nach diesen Einschränkungen und Verwahrungen führe ich an: Der Kaiser und die Kaiserin (König und Königin) stellen wirklich zumeist die Eltern des Träumers der, Prinz oder Prinzessin ist er selbst. Dieselbe hohe Autorität wie dem Kaiser wird aber auch großen Männern zugestanden, darum erscheint in manchen Träumen z. B. Goethe als Vatersymbol. (Hitscbmann.) ——- Alle in die Länge reichenden Objekte, Stücke, Baumstämn1e, Schirme (des der Erektion vergleichbaren Aufspannens wegenl), alle länglichen und scharfen Waffen: Messer, Dolche, Piken, wollen das männliche Glied vertreten. Ein häufiges, nicht recht verständliches Symbul desselben ist die Nagelfeile (des

§ 566

Reibens und Schabens wegen?). — Dosen, Schachteln, Kästen, Schränke, Öfen entsprechen dem Frauenleib, aber auch Höhlen, Schiffe und alle Arten von Gefäßen. — Zimmer im Trauma

§ 567

sind zumeist Frauenzimmer, die Schilderung ihrer verschiedenen Eingänge und Ausgänge, macht an dieser Auslegung gerade nicht

§ 568

§ 569

Zu Abschnitt VI 71

§ 570

irre.x Das Interesse, ob das Zimmer „ofl'en“ oder „verschlossen“ ist, wird in diesem Zusammenhange leicht verständlich. (Vgl. den Traum Doras im „Bruchstück einer Hysterieanalyse“.) Welcher Schlüssel das Zimmer aufsperrt, braucht dann nicht ausdrücklich gesagt zu werden; die Symbolik von Schloß und Schlüssel hat U hland im Lied vom „Grafen Eberstein“ zur anmutigsten Zote gedient. —— Der Traum, durch eine Flucht von Zimmern zu gehen, ist ein Bordell— oder Harernstraum. Er wird aber, wie H. Sachs an schönen Beispielen gezeigt hat, zur Darstellung der Ehe (Gegensatz) verwendet. —— Eine interessante Beziehung zur infantilenf Sexualforschung ergibt sich, wenn der Träumer von zwei Zimmernl träumt, die früher eines waren, oder ein ihm bekanntes Zimmer} einer Wohnung im Traume in zwei geteilt sieht oder das Umge-l kehrte. In der Kindheit hat man das weibliche Geniale (den\ Papa) für einen einzigen Raum gehalten (die infantile Klonken—lx theorie) und erst später erfahren, daß diese Körpertegion zwei; gesonderte Höhlungen und Öffnungen umfaßt. — Stiegen, Leitern, Treppen, respektive das Steigen auf ihnen, und zwar sowohl aufwärts als abwärts, sind symlmlische Darstellungen des Geschlechtsaktes.’ — Glatte Wände, über die man klettert, Fassaden von

§ 571

1)„Ein in einer l>enrian wehnender Patient träumt, er hegegna jemand vom Dienstpersonal und. frage ie. welehe Nummer rie hehe; rie mtwnrtet zu seiner Überraschung: 14. Tatsächlich het er Beziehungen zu dem in Rede rtehen.ien Mädchen nngekn pft und auch mehrrnule Zurnrurnenkiinite mit ihr in reinem Sehlef— zimmer gehabt, Sie heiiirehtete hagreiflichnrweise, daß die Wirtin sie im Verdacht hehe. und machte ihm um rege vor dem Traum rien Ver-uhlng, lich mit ihr in einem tler unbewohnten zimmer zu rreifen. in Wirklichkeit hatte rlieier Zimmer die Nummer „, während im Traum du Weil-: diese Nummer trägt. Ein deutlicherer Beleg für die Identifizierung von Freu und Zimmer läßt sich kaum denken.u (Ernest Jones, Intern. Zeitschr. {. Psychoanalyse n, 1914.) (Vgl. Artemidorul. „Symbnlik der Träume“ [übenetzt von r. s. Krauß, Wien issi, p. im]: „So z. a. bedeutet die Sehlnfstuhe die Gettin, felle eine solche im Heuer ist.“)

§ 572

2) Ich wiederhole hierüher, wer ich an anderer Stelle (Die zukünftigen clieueen der psychaanalyt'ischen Therapie. Zentrulhl. f. Psychoanalyse 1, 191€! [Ges. Schriften, ea, vu), geäußert habe: „Vor einiger Zeit wurde er mir bekannt, daß ein uni ferner stehender Psychologe rich an einen von uns mit der Bemerkung gewendet, wir iiherschätzten doch gewiß die geheime eernelle Bedeutung der Träume. Sein häufigster Trnum sei. eine Stiege hinauflu;teigen, und ein sei doch gewiß nicht: Seruellee dahinter. Durch diesen Einwenri nufnrerkmn gemnnlrt, heizen wir dem Verhrnunen von Stiegen, Treppen, Leitern im Treum Aufmerksamkeit geschenkt und konnten

§ 573

§ 574

79 Ergänzungen zur Trnumdzuzung

§ 575

Häusern, an denen man sich — häufig unter starker Angst — herabläßt, entsprechen aufrechten menschlichen Körpern, wiederholen im Traum wahrscheinlich die Erinnerung an das Emporklettern des kleinen Kindes an Eltern und Pflegepersonen. Die „glatten“ Mauern sind Männer; an den „Vorsprüngen“ der Häuser hält man sich nicht selten in der Traumangst fest. — Tische, gedeckte Tische und Bretter sind gleichfalls Frauen., wohl des Gegensatzes wegen, der hier die Körperwölbungen aufhebt. „Holz“ scheint überhaupt nach seinen sprachlichen Beziehungen ein Vertreter des weiblichen Stoffes (Materie) zu sein, Der Name der Insel Madeira bedeutet im Portugiesischen: Holz. Da „Tisch und Bett“ die Ehe ausmachen, wird im Traum häufig der erstere für das letztere gesetzt, und soweit es angeht, der sexuelle Vorstellungskomplex auf den Eßkomplex Lransponiert. — Von Kleidungsstücken ist der Hut einer Frau sehr häufig mit Sicherheit als Genitale, und zwar des Mannes, zu deuten. Ebenso der Mantel, wobei es dahingestellt bleibt, welcher Anteil an dieser Symbolverwendung dem Wortanklang zukommt. In Träumen der Männer findet man häufig die Krawatte als Symbol des Penis, wohl nicht nur darum, weil sie lange herahhängt und für den Mann charakteristisch ist, sondern auch, weil man sie nach seinem Wohlgefallen auswählen kann, eine Freiheit, die beim Eigentlichen dieses Symbnls von der Natur verwehrt ist.l Personen, die

§ 576

bald feststellen, daß die Stiege (und wu ihr analog in) ein sicheres Knitussymbol dnmtellt. Die Grundlage der Vergleichung ist nicht eehwez aufzufinden; in xhyth— miechen Absätzen, unter zunehmender Atemnot kommt mm auf eine Höhe und kenn dann in ein paar raschen Sprünge): wieder unten sein. So findet sich der Rhythmus dee Knitus im Stiegensteigen wiedee. Vergessen wir nicht, den Speechgebrauch hexeneuziehen. Er zeigt um, deli du „Steigenfl ohne weitem als Ersatzbezeichnung der eexuellen Aktien gebraucht wird. Men pflegt zu lagen, der Mann ist ein „Steiger“, „nachdteigen“. Im Französischen heißt die Stufe der Treppe la Marche; „lm vizu.t mm)-zur“ deckt sich ganz mit unserem „ein alter Steiger“.

§ 577

1) Vgl. im zhl. ft'ir Pl.-13.11, 675, die Zeichnung einer lgiährigen Munienhen: ein Mann mit einer Schlange nie Krawatte. die eich einem Mädchen entgegenwendet. Dazu die Geschichte „Dee thamhaftige“ (Anthropophyteia VI, 554): in eine Badestube trat eine Dame ein, und dort befand eich ein Herr, der kaum du Hemd mzulegen vermochte; er war eehe heechit t. deckte sich aber sofort den Hal: mit dem Vorderteil dee Hemdes zu und sagte: „Bitte um Veneihung, hin ohne Krawatte,"

§ 578

§ 579

z„ Äbsclmitt VI 75

§ 580

dies Symbol im Traume verwenden, treiben im Leben oft großen Luxus mit Krawatten und besitzen förmliche Sammlungen von ihnen. — Alle komplizierten Maschinerien und Apparate der Träume sind mit großer Wabrscheinlichkeit Genitalien — in der Regel männliche, —- in deren Beschreibung sich die Traumsyinbolik so unermüdlich wie die Witzarbeit erweist. Ganz unverkennbar ist es auch, daß alle Waffen und Werkzeuge zu Symbolen des männ— lichen Gliedes verwendet werden: Pflug, Hammer, Flinte, Revolver; Dolch, Säbel usw. — Ebenso sind viele Landschaften der Träume, besonders solche mit Brücken oder mit bewaldeten Bergen, unschwer als Genitalbeschreibungen zu erkennen. Marcinowski hat eine Reihe von Beispielen gesammelt, in denen die Träumer ihre Träume durch Zeichnungen erläuterten, welche die darin vorkommenden Landschaften und Räumlichkeiten darstellen sollten. Diese Zeichnungen machen den Unterschied von manifester und latenter Bedeutung im Traume sehr anschaulich. Während sie, arglos betrachtet, Pläne, Landkarten u. dgl. zu bringen scheinen, enthüllen sie sich einer eindringlicheren Untersuchung als Dar— stellungen des menschlichen Körpers, der Genitalien usw. und ermöglichen erst nach dieser Aufiassuung das Verständnis des Traumes. (Vgl. hiezu Pfisters Arbeiten über Kryptographie und Vexierbilder,) Auch darf man bei unverständlichen Wortneubildungen an Zusammensetzung aus Bestandteilen mit sexueller Bedeutung denken. -— Auch Kinder bedeuten im Trauma ofti nichts anderes als Genitalien, wie ja Männer und Frauen gewohnt sind, ihr Genitale liebkosend als ihr „Kleines“ zu bezeichnen. Den „kleinen Bruder“ hat Stekel richtig als den Penis erkannt.} Mit einem kleinen Kinde spielen, den Kleinen schlagen usw. sind häufig Traumderstellungen der Onanie. —— Zur symbolischen; Darstellung der Kastration dient der Traumarbeit: die Kahlheit, das Haarschneiden, der Zahnausfall und das Köpfen. Als Ver-‘ Wahrung gegen die Kastration ist es aufzufassen, wenn eines der gebräuchlichen Penissymbole im Traume in Doppel— oder Mehr—<

§ 581

§ 582

„ Ergänzungzn zur Trawndzutung

§ 583

zahl vorkommt. Auch das Auftreten der Eidechse im Traume —

§ 584

eines Tieres, dem der abgerissene Schwanz nachwächst — hat dieselbe Bedeutung. (Vgl. den Eidechsentraum Bd. II, S. 1 5.) — Von den Tieren, die in Mythologie und Folklore als Genitalsymbale verwendet werden, spielen mehrere auch im Traum diese Rolle: der Fisch, die Schnecke, die Katze, die Maus (der Genitalbehaarung wegen), vor allem aber das bedeutsamste Symbol des männlichen Gliedes, die Schlange. Kleine Tiere, Ungeziefer, sind die Vertreter von kleinen Kindern, z. B. der unerwünschten Geschwister; mit Ungeziefer behaftet sein, ist oft gleichzusetzen der Gravidilät. — Als ein ganz rezentes Traumsymbol des männlichen Genitales ist das Luftschiff zu erwähnen, welches sowohl durch seine Beziehung zum Fliegen wie gelegentlich durch seine Form solche Verwendung rechtfertigt. — Eine Reihe anderer, zum Teil noch nicht genügend verifizierter Symbole hat Stekel angegeben und durch Beispiele belegt. Die Schriften von Stekel, besonders sein Buch: „Die Sprache des Traumes“, enthalten die reichste Sammlung von Symbolauflösungen, die zum Teil scharfsinnig erraten sind und sich bei der Nachprüfung als richtig erwiesen haben, z. B. in dem Abschnitt über die Symbolik des Todes. Die mangelhafte Kritik des Verfassers und seine Neigung zu Verallgemeinerungen um jeden Preis machen aber andere seiner Deutungen zweifelhafi oder unverwendbar, so daß bei dem Gebrauch dieser Arbeiten Vorsicht dringend anzuraien ist. Ich beschränke mich darum auf die Hervorhebung weniger Beispiele.

§ 585

Rechts und Links sollen nach Stekel im Traum ethisch aufzufassen sein. „Der rechte Weg bedeutet immer den Weg des Rechtes, der linke den des Verbrechens. So kann der linke Homosexualität, Inzest, Perversion, der rechte die Ehe, Verkehr mit einer Birne usw. darstellen. Immer gewertet von dem individuell moralischen Standpunkt des Träumers“ (l. c. p. 4.66). Die Ver

§ 586

3 wandten überhaupt spielen im Traume meistens die Rolle von ,\ Genitalien (p. 4,75). Hier kann ich in dieser Bedeutung nur den

§ 587

§ 588

Zu Abschnitt VI 75

§ 589

Sohn, die Tochter, die jüngere Schwester bestätigen, soweit also das Anwendungsgebiet des „Kleinen“ reicht. Dagegen erkennt man an gesicherten Beispielen die Schwestern als Symbole der Brüste, die Brüder als solche der großen Hemisphären. Das Nichteinholen eines Wagens löst Stekel als das Bedauern über eine nicht einzuholende Altersdiflerenz (p, 4.79). Das Gepäck, mit dem man reist, sei die Sündenlest, von der man gedrückt wird (ibid,). Gerade das Reisegepäck erweist sich aber häufig als unverkennbares Symbol der eigenen Genitalien. Auch den häufig in Träumen vorkommenden Zahlen hat Stekel fixierte Symbolbedeutungen zugewiesen, doch erscheinen diese Auflösungen weder genügend sichergestellt noch allgemein gültig, Wenngleich die Deutung im einzelnen Falle meist als wahrscheinlich anerkannt werden darf. Die Dreizahl ist übrigens ein mehrseitig sichergestelltes Symbol des männlichen Genitales. Eine der Verallgemeinerungen, welche Stekel aufstellt, bezieht sich auf die doppelsinnige Bedeutung der Genitalsymbole. „Wo gäbe es ein Symbol, das — wenn es die Phantasie nur einigermaßen erlaubt — nicht männlich und weiblich zugleich gebraucht werden könnte!“ Der eingeschobene Satz nimmt allerdings viel von der Sicherheit dieser Behauptung zurück, denn die Phantasie erlaubt es eben nicht immer. Ich halte es aber doch für ‘nicht überflüssig, auszusprechen, daß nach meinen Erfahrungen der allgemeine Satz S tekels vor der Anerkennung einer größeren Mannigfaltigkeit zurückzutreten hat. Außer Symbolen, die ebenso häufig für das männliche wie für das weibliche Genitale stehen, gibt es solche, die vorwiegend oder fast ausschließlich eines der Geschlechter bezeichnen, und noch andere, von denen nur die männliche oder nur die weibliche Bedeutung bekannt ist. Lange, feste Gegenstände und Waffen als Symbole des weiblichen Genitales zu gebrauchen oder kohle (Kasten, Schachteln, Dosen usw.) als Symbole des männlichen, gestattet eben die Phantasie nicht. Es ist richtig, daß die Neigung des Traumes und der unbe- !

§ 590

§ 591

76 Ergämmgm zur Traumdzutung'

§ 592

wußten Phantasien, die Sexualsymbcle bisexuell zu verwenden, einen archaischen Zug verrät, da in der Kindheit die Verschieden— heit der Genitalien unbekannt ist und beiden Geschlechtern das nämliche Genitale zugesprochen wird. Man kann aber auch zur irrigen Annahme eines bisexuellen Sexualsymbuls verleitet werden, wenn man daran vergißt, daß in manchen Träumen eine allgemeine Geschlechtsverkehrung vorgenommen wird, so daß das Männliche durch Weibliches dargestellt wird und umgekehrt. Solche Träume drücken z. B. den Wunsch einer Frau aus, lieber ein Mann zu sein.

§ 593

Die Genitalien können auch im Traum durch andere Körper— teile vertreten werden, das männliche Glied durch die Hand oder den Fuß, die weibliche Genitalößnung durch den Mund, das Ohr, selbst das Auge. Die Sekrete des menschlichen Körpers —— Schleim, Tränen, Harn, Sperma usw. — können im Traum für einander gesetzt werden. Diese im Ganzen richtige Aufstellung von W. Stekel hat: eine berechtigte kritische Einschränkung durch Bemerkungen von R. Reitler erfahren (Internationale Zeitschrift f. Psychoanalyse I, 1915). Es handelt sich im wesentlichen um Ersetzung der bedeutungsvollen Sekrete wie des Samens durch ein indiflerentes.

§ 594

Diese in hohem Grade unvollständigen Andeutungen mögen genügen, um andere zu sorgfältigerer Sammelarbeit anzuregen.‘ Eine weit ausführlichere Darstellung der Traumsymbolik habe ich in meinen „Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse“, (1916/17) versucht.

§ 595

Ich werde nun einige Beispiele von der Verwendung solcher Symbole in Träumen anfügen, welche zeigen sollen, wie unmöglich es wird, zur Deutung des Traumes zu gelangen, wenn man sich

§ 596

!) Bei aller Verschiedenhei! der s ch ernerschen Auffassung von der Tnumsymbolik und der hier entwickelten muß ich duch hervorheben, am 5 ch erner als der eigentliche Entdecker der Symbalik im ham-ne anerkannt werden sollte, und daß die Erfahrungen der Psychoanalyse sein für plant-nisch gehaltenes, vor rund fünfzig Jahren (1861)veröffentlidztes Buch nachträglich zu Ehren gebracht haben.

§ 597

§ 598

Zu Abschnitt VI „

§ 599

der Traumsymbolik_ verschließt, wie unabweishnr sich aber eine solche auch in vielen Fällen auidrängt. An derselben Stelle möchte ich aber nachdrücklich davor warnen, die Bedeutung der Symbole für die Traumdeutung zu überschätzen, etwa die Arbeit der Traumübersetzung auf Symbolübersetzung einzuschränken und die Technik der Verwertung von Einflillen des Träumen aufzugeben. Die beiden Techniken der Traumdeutung müssen einander ergänzen; praktisch wie theoretisch verbleibt aber der Vorrang dem zuerst beschriebenen Verfahren, das den Äußerungen des Träumers die entscheidende Bedeutung beilegt, während die von uns vorgenommene Symbolübersetzung als Hilfsmittel hinzutritt.

§ 600

}) Der Hut als Symbol des Mannes (des männlichen

§ 601

Genitales)‘

§ 602

(Teilstück nun dem Traum einer jungen, infolge vun Versuchungllnglt ngonphobischen Fnu)

§ 603

„Ich gehe im Sommer anf der Straße spazieren, trage einen Strnhhut von eigentümlicher Farm, dessen Mittelslüßk nach oben aufgebogen ist, dessen Seitenteile nach abwärts hängen ( Beschreüung hier stockend), und zwar so, daß der eine tiefer steht aLe der andere. Ich bin heiter und in sicherer Stimmung, und wie ich an einem Trupp junger Offiziere varbeigehe, denke ich mir: Ihr könnt mir alle nichts anhaben.“

§ 604

Da sie zu dem Hut im Traume keinen Einfal.l produzieren kann, sage ich ihr: Der Hut ist wohl ein männliches Genitele mit seinem emporgerichteten Mittelstück und den beiden herab— hängenden Seitenteilen. Daß der Hut ein Mann sein soll, ist vielleicht sonderber, aber man sagt ja auch: „Unter die Haube kommen!“ Absichtlich enthalte ich mich der Deutung jenes Details über das ungleiche Herebbängen der beiden Seitenteile, obwohl gerade solche Einzelheiten in ihrer Determinierung der Deutung den Weg weisen müssen. Ich setze fort: Wenn sie also einen

§ 605

;) Au. „Nnchvräge zur Trlumdeutung“, z„mim.u fiir-Pnyclmn-nlyle !, Nr. 5/6, 19„,

§ 606

§ 607

78 Ergänzungen zur Traumdeutung

§ 608

Mann mit so prächtigem Genitale hat, braucht sie sich vor den Offizieren nicht zu fürchten, cl. h. nichts vun ihnen zu wünschen, da sie sonst wesentlich durch ihre Versuchungsphantasien vom Gehen ohne Schutz und Begleitung abgehalten wird. Diese letztere Aufklärung ihrer Angst hatte ich ihr schon zu wiederholten Malen, auf anderes Material gestützt, geben können.

§ 609

Es ist nun sehr beachtenswert, wie sich die Träumerin nach dieser Deutung benimmt. Sie zieht die Beschreibung des Hutes zurück und will nicht gesagt haben, daß die beiden Seitenteile nach abwärts hingen, Ich bin des Gehörten zu sicher, um mich beinen zu lassen, und beharre dabei. Sie schweigt eine Weile und findet dann den Mut, zu fragen, was es bedeute, daß bei ihrem Manne ein Hoden tiefer stehe als der andere, und ab es bei allen Männern so sei. Damit war dies sonderhare Detail des Hutes aufgeklärt und die ganze Deutung von ihr akzeptiert.

§ 610

Das Hutsymbol war mir längst bekannt, als mir die Patientin diesen Traum mitteilte. Aus anderen, aber minder durchsichtigen Fällen glaubte ich zu entnehmen, daß der Hut auch für ein weibliches Genitale stehen kann.‘

§ 611

9) Das Kleine ist das Genitale — das Überfahren— werden ist ein Symbol des Geschlechtsverkehres

§ 612

(Ein anderer Traum derselben ugnxuphuhischen Patientin)

§ 613

„Ihre Mutler schickt ihre kleine Tochter weg, damit sie allein gehen muß. Sie fährt dann mit der Mutter in der Eisenbahn und sieht ihre Kleine direkt auf den Schienenweg zugehen, sa daß sie überfahren werden muß. Man hört die Knuchen krachen (dabei ein unbehagliches Gefühl, aber kein eigentliches Entsetzen). Dann sieht sie sich aus dem Waggonfenster um, ob man nicht hinten die Teile

§ 614

.) Vgl. ein solches Beispiel in der Mitteilung von Kirchgrab „ (Zentralhl. {. PsA. In, 1312, p. 95), Van Stekel (Jahrbuch, Bd. I, p. 475) wird ein Traum mitgeteilt, in welchem der Hut mit schiefstehender Feder in der Mitte den (impoteilten) Mann symbolisiert.

§ 615

§ 616

Zu Abschnitt VI 79

§ 617

sieht. Dann macht sie ihrer Mutter Vizrwiirfe, daß ,sie die Kleine allein hat gehen lassen.

§ 618

Analyse. Die vollständige Deutung des Traumes ist hier nicht leicht zu geben, Er stammt aus einem Zyklus von Träumen und kann nur im Zusammenhange mit diesen anderen voll verstanden werden. Es ist eben nicht leicht, das für den Erweis der Symbolik benötigte Material genügend isoliert zu bekommen. — Die Kranke findet zuerst, daß die Eisenbahnfahrt historisch zu deuten ist, als Anspielung auf eine Fahrt von einer Nervenheil— anstalt weg, in deren Leiter sie natürlich verliebt war. Die Mutter holte sie von dort ab, der Arzt erschien auf dem Bahnhof und überreichte ihr einen Strauß Blumen zum Abschied; es war ihr unangenehm, daß die Mutter Zeugin dieser Huldigung sein mußte. Hier erscheint also die Mutter als Störerin ihrer Liebesbestrebungen, welche Rolle der strengen Frau während ihrer Mädchenjahre wirklich zugefallen war. —— Der nächste Einfall bezieht sich auf den Satz: sie sieht sich um, ob man nicht die Teile von hinten sieht. In der Traumfassade müßte man natürlich an die Teile des überfahreuen und zermalmten Töchterchens denken. Der Einfall weist aber nach ganz anderer Richtung. Sie erinnert, daß sie einmal den Vater im Badezimmer nackt von rückwärts gesehen, kommt auf die Geschlechtsunterschiede zu sprechen und hebt hervor, daß man beim Menue die Genitalien noch von rückwärts sehen könne, beim Weibe aber nicht. In diesem Zusammenhange deutet sie nun selbst, daß das Kleine das Genitale sei, ihre Kleine (sie hat eine vielj'ährige Tochter) ihr eigenes Genitale. Sie macht der Mutter den Vorwurf, daß sie verlangt hätte, sie solle so leben, als ob sie kein Genitale hätte, und findet diesen Vorwurf in dem einleitenden Satz des Traumes wieder: Die Mutter schickte ihre Kleine weg, damit sie allein gehen mußte. In ihrer Phantasie bedeutet das Alleingehen auf der Straße keinen Mann, keine sexuelle Beziehung, haben (wire = zusammengehen), und das mag sie nicht. Nach allen ihren

§ 619

§ 620

80 Ergänzungen zur Traumdeutung

§ 621

Angaben hat sie wirklich als Mädchen unter der Eifersucht der Mutter infolge ihrer Bevorzugung durch den Vater gelitten.

§ 622

Die tiefere Deutung dieses Traumes ergibt sich aus einem anderen Traum derselben Nacht, in dem sie sich mit ihrem Bruder identifiziert. Sie war wirklich ein bubenhaftes Mädel, mußte oft hören, daß an ihr ein Bub verloren gegangen sei. Zu dieser Identifizierung mit dem Bruder wird es dann besonders klar, daß das „Kleine“ das Genitale bedeutet. Die Mutter droht ihm (ihr) mit der Kastration, die nichts anderes als Bestrafung für das Spielen mit dem Gliede sein kann, und somit zeigt die Identifizierung, daß sie selbst als Kind onaniert hat, was ihre Erinnerung bisher nur vom Bruder bewahrt hatte. Eine Kenntnis des männlichen Genitales, die ihr später verloren ging, muß sie nach den Angaben dieses zweiten Traumes damals früh erworben haben. Ferner deutet der zweite Traum auf die infantile Sexualtheorie hin, daß die Mädel durch Kastration aus Buben hervorgehen. Nachdem ich ihr diese Kindermeinung vorgetragen, findet sie sofort eine Bestätigung hiefür in der Kenntnis der Anekdote, daß der Bub das Mädel fragt: Abgeschnitten? worauf das Mädel antwortet: Nein, immer so g'west.

§ 623

Das Wegschicken der Kleinen, des Genitales,im ersten Traum, bezieht sich also auch auf die Kastrationsdrohung. Schließlich grollt sie der Mutter, daß sie sie nicht als Knaben geboren hat.

§ 624

Daß das „Überfahrenwerden“ sexuellen Verkehr symbolisiert, würde aus diesem Traume nicht evident, wenn man es nicht aus zahlreichen anderen Quellen sich8r wüßte.

§ 625

5) Darstellung des Genitales durch Gebäude, Stiegen, Schachte

§ 626

(Traum eines durch reinen Vaterkomplex gehemmten jungen Mama)

§ 627

„Er geht mit seinem Vater an einem Ort spazieren, der gewiß der Prater ist, denn man sieht die Rotunde, vor dieser einen

§ 628

§ 629

Zu Abschnitt VI 81

§ 630

kleineren Vorbau, an dem ein Fesselballon angebracht ist, der aber ziemlich schla f f scheint. Sein Vater fragt ihn, wozu das alles ist; er wundert sich darüber, erklärt es ihm aber. Dann kommen sie in einen Hof, in dem eine große Platte von Blech ausgebreitet liegt. Sein Vater will sich ein großes Stück davon abrei ßen, sieht sich aber vorher um, ob es nicht jemand bemerken kann. Er sagt ihm, er braueht es doch nur dem Aufseher zu sagen, dann kann er sich ohne weiteres davon nehmen. Aus diesem Hof führt eine Treppe in einen Schacht hinunter, dessen Wände weich ausgepolstert sind, etwa wie ein Lederfauteuil. Am Ende dieses Schachtes ist eine längere Plattform und dann beginnt ein neuer Schacht . . .“

§ 631

Analyse. Dieser Träumer gehörte einem therapeutisch nicht günstigen Typus von Kranken an, die bis zu einem gewissen Punkt der Analyse überhaupt keine Widerstände machen und sich von da an fast unzugänglich erweisen. Diesen Traum deutete er fast selbständig. Die Rotande, sagte er, ist mein Genitale, der Fesselballon davor mein Penis, über dessen Schlafi'heit ich zu klagen habe. Man darf also eingehender übersetzen, die Botunde sei das — vom Kind regelmäßig zum Genitale gerechnete —— Gesäß, der kleinere Vorbau der Hodensack. Im Traum fragt ihn der Vater, was das alles ist, d. h. nach Zweck und Verrinhtung der Genitalien. Es liegt nahe, diesen Sachverhalt umzukehren, so daß er der fragende Teil wird. Da eine solche Befragung des Vaters in Wirklichkeit nie stattgefunden hat, muß man den Traumgedanken als Wunsch aufi"5ssen oder ihn etwa konditionell nehmen: „Wenn ich den Vater um sexuelle Aufklärung gebeten hätte.“ Die Fortsetzung dieses Gedankens werden wir bald an anderer Stelle finden.

§ 632

Der Hof, in dem das Blech ausgebreitet liegt, ist nicht in erster Linie symbolisch zu fassen, sondern stammt aus dem Geschäfislokal des Vaters. Aus Gründen der Diskretion habe ich

§ 633

Bund,!!! 6

§ 634

§ 635

52 Ergänmngen m.- Traumdeutung

§ 636

das „Blech“ für das andere Material, mit dem der Vater handelt, eingesetzt, ohne sonst etwas am Wortlaut des Traumes zu ändern. Der Träumer ist in das Geschäfi des Vaters eingetreten und hat an den eher unkorrekten Praktiken, auf denen der Gewinn zum Teil beruht, gewaltigen Anstoß genommen. Daher dürfte die Fortsetzung des obigen Traumgedankens lauten: „(Wenn ich ihn gefragt hätte), würde er mich betragen haben, wie er seine Kunden beträgt.“ Für das Abreißen, welches der Darstellung der geschäftlichen Unredlichkeit dient, gibt der Träumer selbst die zweite Erklärung, es bedeute die Onanie. Dies ist uns nicht nur längst bekannt (siehe Bd. H. S. 549), sondern stimmt auch sehr gut dazu, daß das Geheimnis der Onanie durch das Gegenteil ausgedrückt ist (man darf es ja offen tun). Es entspricht dann allen Erwartungen, daß die onanistische Tätigkeit wieder dem Vater zugeschoben wird, wie die Befragung in der ersten Traumszene. Den Schacht deutet er sofort unter Berufung auf die weiche Polsterung der Wände als Vagina. Daß das Herabsteigen wie sonst das Aufsteigen den Koitusverkehr in der Vagina beschreihen will, setze ich aus anderer Kenntnis ein (vgl. meine Bemerkung im Zentralblatt für Psychoanalyse I, 1, 1910; siehe oben 5. 71, Note).

§ 637

Die Einzelheiten, daß auf den ersten Schacht eine längere Plattform folgt und dann ein neuer Schacht, erklärt er selbst biographisch. Er hat eine Zeitlang koitiert, dann den Verkehr infolge von Hemmungen aufgegeben und hofft ihn jetzt mit Hilfe der Kur wieder aufnehmen zu können. Der Traum wird aber gegen Ende undeutlicher und. dem Kundigen muß es plausibel erscheinen, daß sich schon in der zweiten Traumszene der Einfluß eines anderen Themas geltend mache, auf welches das Geschäft des Vaters, sein betrügerisches Vorgehen, die erste als Schacht dargestellte Vagina deuten, sodaß man eine Beziehung auf die Mutter annehmen kann.

§ 638

§ 639

Zu Abschnitt VI 85

§ 640

4) Das männliche Genitale durch Personen, das weibliche durch eine Landschaft symbolisiert

§ 641

(Traum einer Frau „„ dem Volke, dem. Mann W.chmmn in, miigctuill von B. Dunner.)

§ 642

„. . . Dann sei jemand in die Wohnung eingebrachen und sie habe angstvoll nach einem Wachmann gerufen. Dieser aber sei mit zwei ,Pülehern‘ einlrächtig in eine Kirche‘ gegangen, zu der mehrere“ Stufen emparführten; hinter der Kirche sei ein Berg3 gewesen und oben ein dichter Wald.‘ Der Wachmann sei mit einem Helm, Ringkragen und Mantel5 versehen gewesen. Er habe einen braunen Vollbart gehabt. Die beiden Vaganten, die friedlich mit dem Wachmann gegangen seien, hätten sackartig aufgebunniene Schürzen um die Lenden gehabt.s Vor der Kirche habe zum Berg ein Weg geführt. Dieser sei beiderseits mit Gras und Gestrü'pp verwachsen gewesen, das immer dichter wurde und auf der Höhe des Berges ein ordentlicher Wald geworden sei.“

§ 643

5) Kastrationstränme bei Kindern

§ 644

a) „Ein Knabe von drei Jahren und fünf Monaten, dem die Wiederkehr des Vaters aus dern Felde sichtlich unbequem ist, erwacht eines Morgens verstärt und aufgeregt und wiederholt immerfort die Frage: Warum hat Papi seinen Kopf auf einem Teller getragen? Heute nach! hat Papi seinen Kopf auf einem Teller getragen.“

§ 645

17) „Ein heute an schwerer Zwangsneurose leidender Student erinnert, daß er im sechsten Lebensjahr wiederholt folgenden Traum gehabt hat: Er geht zum Friseur, um sich die Haare schneiden zu lassen. Da kommt eine große Frau mit strengen

§ 646

;) Oder Knpelle = Veginl.

§ 647

„ Symbol des mim.

§ 648

5) Mans veneris.

§ 649

4) Crinel puhis.

§ 650

5) Dämonen in Münch: und Knpuzen sind ml. der Aufklärung einen Fachmann phaflischer Nnmr.

§ 651

5) Die heiden Hilan des Hademlckel.

§ 652

§ 653

&, Ergänzungm zur Traumdzurung

§ 654

Zügen auf ihn zu und schlägt ihm den Kopf ab. Die Frau erkennt er als die Mutter.“

§ 655

6) Zur Harnsymbolik

§ 656

Die hier reproduzierten Zeichnungen stammen aus einer Reihe von Bildern. die F e r e n (: zi in einem ungarischen Witzblatt („Fidibusz“) aufgefunden und in ihrer Brauchbarkeit zur Illustration der Traumtheorie erkannt hat. 0. Bank hat das nebenstehende als „T r a u m der französischen B o n n e“ überschriebene Blatt bereits in seiner Arbeit über die Symbolschichtung im Weektraum usw. (p. 99) verwertet.

§ 657

Erst das letzte Bild, welches das Erwachen der Bonne infolge des Geschreies des Kindes ent.hält, zeigt uns, daß die früheren sieben die Phasen eines Traumes darstellen. » Das erste Bild anerkennt den Reiz, der zum Erwachen führen sollte. Der Knabe hat ein Bedürfnis geäußert und verlangt die entsprechende Hilfeleistung. Der Traum vertauscht aber die Situation im Schlaß zimmer mit der eines Spazierganges. Im zweiten Bild hat sie den Knaben bereits an eine Straßenecke gestellt, er uriniert und ,_ sie darf weiterschlafen. Der Weckreiz hält aber an, ja er verstärkt

§ 658

§ 659

Zu Abschnitt VI 85

§ 660

sich; der Knabe, der sich nicht beachtet findet, brüllt immer kräftiger. Je dringender er das Erwachen und die Hilfeleistung seiner Bonne fordert, desto mehr steigert deren Traum seine Versicherung, daß alles in Ordnung sei und daß sie nicht zu erwachen brauche. Er übersetzt dabei den Weckreiz in die Dimensionen des Symbols, Der Wasserstrom, welchen der urinierende Knabe liefert, wird immer mächtiger. Im vierten Bilde trägt' er bereits einen Kahn, dann eine Gondel, ein Segelschiß, endlich ein großes Dampfschiff! Der Kampf zwischen dem eigensinnigen Schlafbedürfnis und dem unermüdlichen Weckreiz ist hier in geist» reichster Weise von einem mutwilligen Künstler verbildlicht.

§ 661

7) Ein Stiegentraum (Mitgeteilt und gedeutet von Otto Rank)

§ 662

Demselben Kollegen, von dem der (unten S. 106 angeführte) Zahnreiztraum herrührt, verdanke ich den folgenden ähnlich durchsichtigen Pollutionstraum:

§ 663

„Ich jage im Stiegenhaus die Treppe hinunter einem kleinen Mädchen, das mir irgend emas getan hat, nach, um es zu bestrafen. Unten am Ende der Stiege hält mir jemand (eine erwachsene weibliehe Person?) das Kind auf; ich fasse es, weiß aber nicht, ob ich es geschlagen habe, denn plötzlich befand ich mich mitten auf der Stiege, wo ich das Kind (gleichsam wie in der Luft) koitierte. Eigentlich war es kein Koitus, sondern ich rin nur mein Genitale an ihrem äußeren Genitale7 wobei ich dieses sowie ihren sel'1wäl'ts zurückgelegten Kopf überaus deutlieh sah. Während des Sexualakles sah ich links aber mir (auch wie in der Luft) zwei kleine Gemälde hängen, Landschaften, die ein Haus im Grünen darstellten. Auf dem einen kleineren stand unten an Stelle der Namenssignatur des Malers mein eigener Vorname, als wäre es für mich zum Geburtstagsgesehenh bestimmt. Dann hing nach ein Zettel vor beiden Bildern, worauf sand, daß billigere Bilder auch zur Veifügung stehen,- (ich sehe mich dann höchst undeutlieh so

§ 664

§ 665

se Ergänzungen zur Traumdeutung

§ 666

wie oben auf dem Treppenabsatz im Belle liegen) und erwache durch die Empfindung der Nässe, welche von der erfolgten Füllution herrührt.“

§ 667

D e u t u n g: Der Träumer war am Abend des Traumtages im Laden eines Buchhändlers gewesen, wo er während der Wartezeit einige der ausgestellten Bilder besichtigt hatte, die ähnliche Motive wie die Traumbilder darstellten. Bei einem kleinen Bildchen, das ihm besonders gefallen hatte, trat er näher und sah nach dem Namen des Malers, der ihm jedoch völlig unbekannt wait

§ 668

Am selben Abend hatte er später in Gesellschaft von einem böhmischen Dienstmädchen erzählen gehört7 das sich gerühmt hatte, ihr außereheliches Kind sei „auf der Stiege gemacht worden“. Der Träumer hatte sich nach dem Detail dieses nicht alltäglichen Vorkommnisses erkundigt und erfahren7 daß das Dienstrnädchen mit ihrem Verehrer nach Hause in die Wohnung ihrer Eltern gegangen war, wo zu geschlechtlichem Verkehr keine Gelegenheit gewesen wäre, und daß der erregte Mann den Knitus auf der Stiege vollzogen hatte. Der Träumer hatte dazu in scherzhafter Anspielung auf den boshaften Ausdruck für Weinfe'lscherei geäußert: das Kind sei wirklich „auf der Kellerstiege gewachsen".

§ 669

Dies die Tagesanknüpfungen, die ziemlich aufdringlich im Trauminhalt vertreten sind und vom Träumer ohne weiteres reproduziert werden. Ebenso leicht produziert er aber ein altes Stück infantiler Erinnerung, das ebenfalls im Traume Verwendung gefunden hat. Das Stiegenhaus ist das jenes Hauses, in welchem er den größten Teil seiner Kinder-jahre verbracht und wo er insbesondere die erste bewußte Bekanntschaft mit den Sexualproblemen gemacht hatte. In diesem Stiegenhaus hatte er häufig gespielt und war dabei unter anderem auch rittlings längs des Geländers hinuntergerutscht, wobei er sexuelle Erregung verspürt hatte. Im Traume eilt er nun ebenfalls ungemein rasch über die Stiege hinunter, so rasch, daß er nach eigener deutlicher Angabe die einzelnen Stufen gar nicht berührt, sondern, wie man zu

§ 670

§ 671

Zu Abschnitt VI 87

§ 672

sagen pflege „hinunterf liegt“ oder rutscht. Mit Bezug auf das infanti.le Erlebnis scheint dieser Beginn des Traumes den Moment der sexuellen Erregung darzustellen. _, In diesem Stiegenhaus und der dazugehörigen Wohnung hatte der Träumer aber auch mit den Nachbarskindem häufig sexuelle Raufspiele getrieben, wobei er sich in ähnlicher Weise befriedigt hatte, wie es im Traume geschieht.

§ 673

Weiß man aus Freuds sexualsymbolischen Forschungen (siehe „Zentralblatt {. PsA.“, Heft 1, p. 9 f.), daß die Stiege und das Stiegensteigen im Traume fast regelmäßig den Koitus symbolisieren, so wird der Traum völlig durchsichtig. Seine Triebkraft ist, wie ja auch sein Effekt, die Pollution, zeigt, rein libidinöser Natur. Im Schlafzustand erwacht die sexuelle Erregung (im Träume dargestellt durch das Hinuntereilen — rutschen — über die Stiege), deren sadistischer Einschlag auf Grund der Raufspiele in der Verfolgung und Überwältigung des Kindes angedeutet ist. Die libidinöse Erregung steigert sich und drängt zur sexuellen Aktion (dargestellt im Traume durch das Fassen des Kindes und seine Beförderung in die Mitte der Stiege). Bis daher wäre der Traum rein sexualsymbolisch und für den wenig geübten Traumdeuter völlig undurchsichtig. Aber der überstarken libidinösen Erregung genügt diese symbolische Befriedigung nicht, welche die Ruhe des‘Schlafes gewährleistet hätte. Die Erregung führt zum Orgasmus und damit wird die ganze Stiegensymbolik als Vertretung des Koitus entlarvt. — Wenn Freud als einen der Gründe für die sexuelle Verwertung des Stiegensymbols den rhythmischen Charakter beider Aktionen hervorhebt, so scheint dieser Traum besonders deutlich dafür zu sprechen, da nach ausdrücklicher Angabe des Träumers die Rhythmik seines Sexualaktes, das Auf- und Niederreiben, das im ganzen Traum am deutlichsten ausgeprägte Element gewesen war.

§ 674

Noch eine Bemerkung über die beiden Bilder, die, abgesehen von ihrer realen Bedeutung, auch in symbolischem Sinne als

§ 675

§ 676

88 Ergänzungen zur Traumdzuzung

§ 677

„Weibsbilder“ gelten, was schon daraus hervorgeht, daß es sich um ein großes und ein kleines Bild handelt, ebenso wie im Trauminhalt ein großes (erwachsenes) und ein kleines Mädchen vorkommen. Daß auch billigere Bilder zur Verfügung stehen, führt zum Prostituiertenkumplex, wie andererseits der Vorname des Träumers auf dem kleinen Bilde und der Gedanke, es sei ihm zum Geburtstag bestimmt, auf den Elternkornplex hinweisen (auf der Stiege geboren = im Koitus erzeugt).

§ 678

Die undeutliche Schlußszene, wo der Träumer sich selbst oben auf dem Treppenabsatze im Bette liegen sieht und Nässe verspürt, scheint über die infantile Onanie hinaus noch weiter in die Kindheit zurückzuweisen und vermutlich ähnlich lustvolle Szenen von Bettnässen zum Vorbild zu haben.

§ 679

8) Ein modifizierter Stiegentraum

§ 680

Ich mache einem meiner Patienten, einem schwerkranken Ahstinenten, dessen Phantasie an seine Mutter fixiert ist, und der wiederholt vom Treppensteigen in Begleitung der Mutter geträumt hat, die Bemerkung, daß mäßige Masturbation ihm wahrscheinlich weniger schädlich wäre als seine erzwungene Enthaltsamkeit. Diese Beeinflussung provoziert folgenden Traum:

§ 681

„Sein Klavizrlehrer mache ihm %rwürfe, daß er sein Klavierspiel uernaßhlässz'ge, die Elüden mm Mascheles sowie den Gradus ad Parnassum von Clemenli nicht übt.“

§ 682

Er bemerkt hiezu, der Gradus sei ja auch eine Stiege und die Klaviatur selbst sei eine Stiege, weil sie eine Skala enthalte.

§ 683

Man darf sagen, es gibt keinen Vorstellungskreis, der sich der Darstellung sexueller Tatsachen und Wünsche verweigern würde.

§ 684

9) Wirklichkeitsgefühl und Darstellung der Wiederholung

§ 685

Ein jetzt 55iähriger Mann erzählt einen gut erinnerten Traum, den er mit vier Jahren gehabt haben will: Der Notar, bei dem

§ 686

§ 687

Zu Abschnitt VI 89

§ 688

das Testament des Vaters hinterlegt war, — er hatte den Vater im Alter von drei Jahren verloren, — brachte zwei gmße Kaiserbirnen, von denen er eine zum Essen bekam. Die andere lag mg” dem Fensterbretl des Wahnzimmers. Er erwachte mit der Überzeugung von der Realität des Geträumten und verlangte hart— näckig von der Mutter die zweite Birne; sie liege doch auf dem Fensterbrett. Die Mutter lachte darüber.

§ 689

A nalyse. Der Notar war ein invialer alter Herr, der, wie er sich zu erinnern glaubt, wirklich einmal Birnen mithrachte. Das Fensterbrett war so, wie er es im Traume sah. Anderes will ihm dazu nicht einfallen; etwa noch, daß die Mutter kürzlich ihm einen Traum erzählt. Sie hat zwei Vögel auf ihrem Kopfe sitzen, fragt sich, wann sie fortfliegen werden, aber sie fliegen nicht fort, sondern der eine fliegt zu ihrem Munde und saugt aus ihm,

§ 690

Das Versagen der Einfälle des Träumen gibt uns das Recht, die Deutung durch Symbolersetzung zu versuchen. Die beiden Birnen , pornmes ou paires — sind die Brüste der Mutter, die ihn genährt hat; das Fensterbrett der Vorsprung des Busens, analog den Balkonen in: Häusenraum (vgl. S. 71). Sein Wirklichkeits— gefühl nach dem Erwachen hat recht, denn die Mutter hat ihn wirklich gesäugt7 sogar weit über die gebräuchliche Zeit hinaus, und die Mutterbrust wäre noch immer zu haben. Der Traum ist zu übersetzen: Mutter, gib (zeig') mir die Brust wieder, an der ich früher einmal getrunken habe. Das „früher“ wird durch das Essen der einen Birne dargestellt, das „wieder“ durch das Verlangen nach der anderen. Die zeitliche Wiederholung eines Aktes wird im Traum regelmäßig zur zahlenmäßigen Vermehrung eines Objektes.

§ 691

Es ist natürlich sehr auffällig, daß die Symbolik bereits im Traume eines Vierjährigen eine Rolle spielt, aber dies ist nicht Ausnahme, sondem Regel. Man darf sagen, der Träumer verfügt [ über die Symbolik von allem Anfang an. I

§ 692

§ 693

90 Ergänzungen zur Traumdeutung

§ 694

Wie frühzeitig sich der Mensch, auch außerhalb des Traumlebens, der symbolischen Darstellung bedient, mag folgende unbe— einflußte Erinnerung einer jetzt e7jährigen Dame lehren: Sie ist zwischen drei und vier Jahre alt. Das Kindsmädchen treibt sie, ihren um elf Monate jüngeren Bruder und eine im Alter zwischen beiden stehende Cousine auf den Abort, damit sie dort vor dem Spaziergang ihre kleinen Geschäfte verrichten. Sie setzt sich als die älteste auf den Sitz, die beiden anderen auf Töpfe. Sie fragt die Causirie: Hast du auch ein Portemonnaie? Der Walter hat ein Würstchen, ich hab’ ein Portemonnaie. Antwort der Cousine.Ja, ich hab’ auch ein Portemonnaie. Das Kindsrnädchen hat lachend zugehört und erzählt die Unterhaltung der Mama, die mit einer scharfen Zurechtweisung reagiert.

§ 695

Es sei hier ein Traum eingeschaltet, dessen hübsche Symbolik eine Deutung mit geringer Nachhilfe der Träumerin gestattete:

§ 696

10) „Zur Frage der Symbolik in den Träumen

§ 697

Gesunder‘“

§ 698

„Ein von den Gegnern der Psychoanalyse häufig — zuletzt auch von Havelock Ellis“ * vorgebrachter Einwand lautet, daß die Traumsymbolik vielleicht ein Produkt der neurotischen Psyche sei, aber keineswegs fiir die normale Gültigkeit habe. Während nun die psychoanalytische Forschung zwischen normalem und neurotischem Seelenleben überhaupt keine prinzipiellen, sondern nur quantitative Unterschiede kennt, zeigt die Analyse der Träume, in denen ja bei Gesunden und Kranken in gleicher Weise die verdrängten Komplexe wirksam sind, die volle Identität der Mechanismen wie der Symbolik. Ja die unbefangenen Träume Gesunder enthalten oft eine viel einfachere, durchsichtigere und mehr charakteristische Symbolik als die neurotischer Personen, in denen sie infolge der stärker wirkenden Zensur und der hieraus

§ 699

.) Alfred lusn„k im Zentralblatt f. m. n, 1511, p. 540. 2) „The World of Drau-m“, London 19", pt .ss.

§ 700

§ 701

Zu Abschnitt VI 91

§ 702

resultierenden weitergehenden Traumentstellung häufig gequält, 3 dunkel und schwer zu deuten ist. Der in folgendem mitgeteilte } Traum diene zur Illustrierung dieser Tatsache. Er stammt von

§ 703

einem nicht neurotischen Mädchen von eher prüdem und zurück

§ 704

haltendem Wesen; im Laufe des Gespräches erfahre ich, daß sie

§ 705

verlobt ist, daß sich aber der Heirat Hindernisse entgegenstellen,

§ 706

die sie zu verzögern geeignet sind. Sie erzählt mir spontan folgen—

§ 707

den Traum:

§ 708

„[ arrange the centre of a table with flmuers for a birthday.“ (Ich richte die Mitte eines Tisches mit Blumen für einen Geburtstag her.) Auf Fragen gibt sie an, sie sei im Traume wie in ihrem Heim gewesen (das sie zurzeit nicht besitzt) und habe ein Glücksgefühl empfunden.

§ 709

„Die ,populäre‘ Symbolik ermöglicht mir, den Traum für mich zu übersetzen. Er ist der Ausdruck ihrer hräutlichen Wünsche: der Tisch mit dem Blumenmittelstück ist; symbolisch für sie selbst und das Genitale; sie stellt ihre Zukunftswünsche erfüllt dar, indem sie sich bereits mit dem Gedanken an die Geburt eines Kindes beschäftigt; die Hochzeit liegt also längst hinter ihr.

§ 710

„Ich mache sie darauf aufmerksam, daß ,the centre ofa table‘ ein ungewöhnlicher Ausdruck sei7 was sie zugibt, kann hier aber natürlich nicht direkt weiter fragen. Ich vermied es sorgfältig, ihr die Bedeutung der Symbole zu suggerieren, und fragte sie nur, was ihr zu den einzelnen Teilen des Traumes in den Sinn komme. Ihre Zurückhaltung wich im Verlaufe der Analyse einem deutlichen Interesse an der Deutung und einer Offenheit, die der Ernst des Gespräches ermöglichte. * Auf meine Frage, was für Blumen es gewesen seien, antwortete sie zunächst: ,expensiue flowers; one has to pay for them‘ (teuere Blumen, für die man zahlen muß), dann, es seien ,lilies of the ualley, vialets and pinks or carnalians‘ gewesen (Maiglöckchen, wörtlich: Lilien vom Tale, Veilchen und Nelken), Ich nahm an, daß das Wort Lilie in diesem Traume in seiner populären Bedeutung als

§ 711

§ 712

92 Ergänzungen zur Traumdzutung

§ 713

Keuschheitssymbol erscheine; sie bestätigte diese Annahme, indem ihr zu ,Lilie‘ ,purity‘ (Reinheit) einfiel. ,Valley‘, das Tal, ist ein häufiges weibliches Traumsymbol, so wird das zufällige Zusammen— treffen der beiden Symbole in dem englischen Namen für Maiglöckchen zur Traumsymbolik, zur Betonung ihrer kostbaren .Tungfräulichkeit , ezpen.rive flawerr, one has to pay for them * verwendet und zum Ausdruck der Erwartung, daß der Mann ihren Wert zu würdigen wissen werde. Die Bemerkung expan— sive flawers etc.‘ hat, wie sich zeigen wird, bei jedem der drei Blumensymbole eine andere Bedeutung.

§ 714

„Den geheimen Sinn der scheinbar recht asexuellen ,violets‘ suchte ich mir — recht kühn, wie ich meinte — mit einer unbewußten Beziehung zum französischen ,m'ol‘ zu erklären, Zu meiner Überraschung assoziierte die Träumerin ,uialate‘, das englische Wort für vergewaltigen. Die zufällige große Wortähnlich— keit von vialzt und uialate ! in der englischen Aussprache unterscheiden sie sich nur durch eine Akzentverschiedenheit der letzten Silbe —— wird vom Träume benutzt, um ,durch die Blume‘ den Gedanken an die Gewaltsamkeit der Defloration (auch dieses Wort benutzt die Blumensymbolik), vielleicht auch einen masc— chistischen Zug des Mädchens zum Ausdruck zu bringen. Ein schönes Beispiel für die Wortbrücken, über welche die Wege zum Unbewußten führen. Das ,one has to payfar them‘ bedeutet hier das Leben, mit dem sie das Weib- und Mutterwerden bezahlen muß. ‘

§ 715

„Bei ,pinks‘, die sie dann ,carnan'ons‘ nennt, fällt mir die Beziehung dieses Wortes zum ,Fleischlichen‘ auf, Ihr Einfall dazu lautete aber ,colaur‘ (Farbe). Sie fügte hinzu, daß carnatz'ans die Blumen seien, welche ihr von ihrem Verlobten häufig und in gro ße n M e ngen geschenkt werden. Zu Ende des Gespräches gesteht sie plötzlich spontan, sie habe mir nicht die Wahrheit gesagt, es sei ihr nicht ,colour‘, sondern ,incarnation‘ (Fleischwerdung) eingefallen, welches Wort ich erwartet hatte; übrigens

§ 716

§ 717

Zu Abschnitt V] 95

§ 718

ist auch ,colour‘ als Einüll nicht entlegen, sondern durch die Bedeutung von carnation — Fleischfa rbe, also durch den Komplex determiniert. Diese Unaufrichtigkeit zeigt, daß der Widerstand an dieser Stelle am größten war, entsprechend dem Umstand, daß die Symbolik hier am durchsichtigsten ist, der Kampf zwischen Libido und Verdrängung bei diesem phallischen Thema am stärksten war. Die Bemerkung, daß diese Blumen häufige Geschenke des Verlobten seien, ist neben der Doppelbedeutung von carnation ein weiterer Hinweis auf ihren phallischen Sinn im Traume. Der Tagesanlaß des Blumengeschenkes wird benutzt, um den Gedanken von sexuellem Geschenk und Gegengeschenk auszudrücken: sie schenkt ihre Jungfräulichkeit und erwartet dafür ein reiches Liebesleben. Auch hier dürfte das ,ezpensivz flawers, one has to pay for them‘ eine —— wohl wirkliche, finanzielle — Bedeutung haben. , Die Blumensymbolik des Traumes enthält also das jungfräulich-weibliche, das männ— liche Symbol und die Beziehung auf die gewaltsame Defloration. Es sei darauf hingewiesen, daß die sexuelle Blumensymbolik, die ja auch sonst sehr verbreitet ist, die menschlichen Sexualurgane durch die Blüten, die Sexualorgane der Pflanzen symbolisiert; das Blumenschenken unter Liebenden hat vielleicht iiberhaupt diese unbewußte Bedeutung.

§ 719

„ Der Geburtstag, den sie im Traume vorbereitet, bedeutet wohl die Geburt eines Kindes. Sie identifiziert sich mit dem Bräutigam, stellt ihn dar7 wie er sie für eine Geburt herrichtet, also koitiert. Der latente Gedanke könnte lauten: Wenn ich er wäre, würde ich nicht warten, sondern die Braut deflorieren, ohne sie zu fragen, Gewalt brauchen; darauf deutet ja auch das violaze. So kommt auch die sadistische Libidokomponente zum Ausdruck.

§ 720

„In einer tieferen Schichte des Traumes dürfte das ,I arrange etc.‘ eine eutoerotische, also infantile Bedeutung haben.

§ 721

„Sie hat auch eine nur im Traume mögliche Erkenntnis ihrer körperlichen Dürftigkeit: sie sieht sich flach wie einen Tisch; um

§ 722

§ 723

94 Ergänzungen zur Traumdeutung

§ 724

so mehr wird die Kostbarkeit des ,centre‘ (sie nennt es ein andermal ,a centre piece of flowers‘), ihre Jungfi'äulichkeit, hervor gehoben. Auch das Horizontale des Tisches dürfte ein Element zum Symbol beitragen. — Beachtenswert ist die Konzentration des Traumes; nichts ist überflüssig, jedes Wort ist ein Symbol.

§ 725

„Sie bringt später einen Nachtrag zum Traume: ,I decorate the flowers with green crinklecl paper.‘ (Ich verziere die Blumen mit grünem, gehäusele Papier.) Sie fügt hinzu, es sei ,fancy paper‘ (Phantasiepapier), mit dem man die gewöhnlichen Blumen» töpfe verkleide. Sie sagt weiter: ,ta hide unzidy things, whatever was to be seen, which was not pretty to the eye; there is a gap, a little space in the flowers.‘ Also: ,um unsaubere Dinge zu ver— bergen, die nicht hübsch anzusehen sind; ein Spalt, ein kleiner Zwischenraum in den Blumen.‘ ,The paper looks like velvet or mass" (,das Papier sieht wie Samt oder Moos aus‘). Zu ,decorate‘ assoziiert sie ,decorum‘, wie ich es erwartet hatte. Die grüne Farbe sei vorherrschend; sie assoziiert dazu ,hope‘ (Hoffnung), wieder eine Beziehung zur Gravidität. — In diesem Teile des Traumes herrscht nicht die Identifizierung mit dem Menue, sondem es kommen Gedanken von Scham und Offenheit zur Geltung. Sie macht sich schön für ihn, gesteht sich körperliche Fehler ein, deren sie sich schämt und die sie zu korrigieren sucht. Die Einfälle Samt, Moos sind ein deutlicher Hinweis, daß es sich um die crines pubis handelt.

§ 726

„Der Traum ist ein Ausdruck von Gedanken, die das Wache Denken des Mädchens kaum kennt; Gedanken, die sich mit der Sinnenliebe und ihren Organen beschäftigen; sie wird ,für einen Geburtstag zugerichtet‘, d. h. koitiert; die Furcht vor der Defloration, vielleicht auch das lustbetonte Leiden kommen zum Ausdruck; sie gesteht sich ihre körperlichen Mängel ein, überkornpensiert diese durch Überschätzung des Wertes ihrer Jung» fräulichkeit. Ihre Scham entschuldigt die sich zeigende Sinnlichkeit damit, daß diese ja das Kind zum Ziel hat. Auch materielle

§ 727

§ 728

7a Abrehm'zt VI 95

§ 729

ErwägungenY die der Liebenden fremd sind, finden ihren Ausdruck. Der Affekt des einfachen Traumes — das Glücksgefühl — zeigt an, daß hier starke Gefühlskomplexe ihre Befriedigung gefunden haben.“

§ 730

Ferenczi hat mit Recht darauf aufmerksam gemacht, wie leicht gerade „Träume von Ahnungslosen“ den Sinn der Symbole und die Bedeutung der Träume erraten lassen. (Int. Zeitschr. f. PSA. IV, 1916/17.)

§ 731

Die nachstehende Analyse des Traumes einer historischen Persönlichkeit unserer Tage schalte ich hier ein, weil in ihm ein Gegenstand, der sich auch sonst zur Vertretung des männlichen Gliedes eignen vn'irde, durch eine hinzugefügte Bestimmung aufs deutlichste als phallisches Symbol gekennzeichnet wird. Die „unendliche Verlängerung“ einer Reitgerte kann nicht leicht anderes als die Erektion bedeuten. Überdies gibt dieser Traum ein schönes Beispiel dafür, wie ernsthafte und dem Sexuellen fernabliegende Gedanken durch infantil—sexuelles Material zur Darstellung gebracht werden.

§ 732

11) Ein Traum Bismarcks (Von Dr. Hanns Suche)

§ 733

„In seinen ,Gedanken und Erinnerungen‘ teilt Bismarck (Bd. II der Volksausgabe, p. 999) einen Brief mit, den er am 18. Dezember 1881 an Kaiser Wilhelm schrieb. Dieser Brief enthält folgende Stelle: ,Eurer Majestät Mitteilung ermutigt mich zur Erzählung eines Traumes, den ich Früh]ahr 1865 in den schwersten Konfliktstagen ,hatte, aus denen ein menschliches Auge keinen gangharen Ausweg sah. Mir träumte und ich erzählte es sofort am Morgen meiner Frau und anderen Zeugen, daß ich auf einem schmalen Alpenpfad rin7 rechts Abgrund, links Felsen; der Pfad wurde schmäler, so daß das Pferd sich weigerte und Umkehr und Ahsitzen wegen Mangel an Platz unmöglich; da schlug ich mit meiner Gene in der linken Hand gegen die glatte Felswand

§ 734

§ 735

96 Ergänzungzn zur Traumdeutung

§ 736

und rief Gott an; die Gene wurde unendlich lang, die Felswand stürzte wie eine Kulisse und eröffnete einen breiten Weg mit dem Blick auf Hügel und Waldland wie in Böhmen, preußische Truppen mit Fahnen und in mir noch im Traum der Gedanke, wie ich das schleunig Eurer Majestät melden könnte. Dieser Traum erfüllte sich und ich erwachte froh und gestärkt aus ihm/“

§ 737

„Die Handlung des Traumes zerfällt in zwei Abschnitte: im ersten Teil gerät der Träumer in Bedrängnis, aus der er dann im zweiten auf wunderbare Weise erlöst wird. Die schwierige Lage, in der sich Bali und Reiter befinden, ist eine leicht kenntliche Traumdar‘stellung der kritischen Situation des Staatsmannes, die er am Abend vor dem Traume, über die Probleme seiner Politik nachdenkend, besonders bitter empfunden haben mochte. Mit der zur Darstellung gelangten gleichnisweisen Wendung schildert Bismarck selbst in der oben wiedergegebenen Brief— stelle die Trostlosigkeit seiner damaligen Position; sie war ihm also durchaus geläufig und naheliegend. Nebstdem haben wir wohl auch ein schönes Beispiel von S ilberers ,funktionalem Phänomen‘ vor uns. Die Vorgänge im Geiste des Träumers, der bei ieder von seinen Gedanken versuchten Lösung auf unübersteigliche Hindernisse stößt, seinen Geist aber trotzdem nicht von der Beschäftigung mit den Problemen losreißen kann und darf, sind sehr treffend durch den Reiter gegeben, der weder vorwärts noch rückwärts kann. Der Stolz, der ihm verbietet, an ein Nachgeben oder Zurücktreten zu denken, kommt im Traume durch die Worte ,Umkehren oder absitzen . . . unmöglich‘ zum Ausdruck. In seiner Eigenschaft als stets angestrengt Tätiger, der sich für fremdes Wohl plagt, lag es fiir Bismarck nahe, sich mit einem Pferde zu vergleichen, und er hat dies auch bei verschiedenen Gelegenheiten getan, z. B. in seinem bekannten Ausspruch: ,Ein wackeres Pferd stirbt in seinen Sielen.‘ So ausgelegt bedeuten die Worte, daß ,das Pferd sich weigerte‘, nichts anderes, als daß der Übermüdete das Bedürfnis empfinde, sich von den Sorgen der

§ 738

§ 739

Zu Abschnitt VI 97

§ 740

Gegenwert ubzuwenden, oder anders ausgedrückt, daß er im Begriffe stehe, sich von den Fesseln des Realitätsprinzips durch Schlaf und Traum zu befreien. Der Wunscherfüllung, die dann im zweiten Teil so stark zu Wort kommt, wird dann auch hier schon präludiert durch das Wort ,Alpenpfed‘. Bismarck wußte damals wohl schon, daß er seinen nächsten Urlaub in den Alpen * nämlich in Gastein — zubri.ngen werde,- der Traum, der ihn dahin versetzte, befreite ihn also mit einem Schlage von allen lästigen Staatsgeschäften.

§ 741

„Im zweiten Teil werden die Wünsche des Träumers auf doppelte Weise — unverhüllt und greifbar, daneben noch symbolisch — als erfüllt dargestellt. Symbolisch durch das Verschwinden des hemmenden Felsens, an dessen Stelle ein breiter Weg —— also der gesuchte Ausweg in bequemster Form -erscheint, unverhüllt durch den Anblick der vorn"lckenden preußi— schen Truppen. Man braucht zur Erklärung dieser prophetischen Vision durchaus nicht mystische Zusammenhänge zu konstruieren; die Freudsche Wunscherfüllungstheorie genügt vollständig. Bis marck ersehnte schon damals als den besten Ausgang aus den inneren Konflikten Preußens einen siegreichen Krieg mit. Öster« reich. Wenn er die preußischen Truppen in Böhmen, also in Feindesland, mit ihren Fahnen sieht, so stellt ihm der Traum dadurch diesen Wunsch als erfüllt dar, wie es Freud postuliert. Individuell bedeutsam ist nur, daß der Träumen mit dem wir uns hier beschäftigen, sich mit der Traumerfüllung nicht begnügte, sondern auch die reale zu erzwingen wußte. Ein Zug, der jedem Kenner der psychoanalytischen Deutungstechnik auffallen muß, ist die Reitgerte, die ,unendlich lang‘ wird. Gene, Stock, Lanze und Ähnliches sind uns als phallische Symbole geläufig; wenn aber diese Gene noch die auffallendste Eigenschaft des Phallus, die Ausdehnungsfä'higkeit besitzt, so kann kaum ein Zweifel bestehen. Die Übertreibung des Phänomens durch die Verlängerung ins ,Unendliche‘ scheint auf die infantile Überbesetzung zu deuten.

§ 742

r„.m,m 7

§ 743

§ 744

93 Ergänzungen zur Traumdeutung

§ 745

Das In-die—Hand-nehmen der Gerte ist eine deutliche Anspielung auf die Masturbation, wobei natürlich nicht an die aktuellen Verhältnisse des Träumers, sondern an weit zurückliegende Kinderlust zu denken ist. Sehr wertvoll ist hier die von Dr. Stekel gefundene Deutung, nach der links im Traume das Unrecht, das Verbotene, die Sünde bedeutet, was auf die gegen ein Verbot betriebene Kinderonanie sehr gut anwendbar wäre. Zwischen dieser tiefsten, infanti.len Schicht und der obersten, die sich mit den Tagesplänen des Staatsmannes beschäftigt, läßt sich noch eine Mittelschicht nachweisen, die mit beiden anderen in Beziehung steht. Der ganze Vorgang der wunderbaren Befreiung aus einer Not durch das Schlagen auf den Fels rnit der Heranziehung Gottes als Helfer erinnert auffällig an eine biblische Szene, nämlich wie Moses für die dürstenden Kinder Israels aus dem Felsen Wasser schlägt. Die genaue Bekanntschaft mit dieser Stelle dürfen wir bei dem aus einem bibelgläubigen, protestantischen Hause hervorgegangenen Bismarck ohne weiteres annehmen. Mit dem Anführer Moses, dem das Volk, das er befreien will, mit Auflehnung, Haß und Undank lohnt, konnte sich Bismarck in der Konfliktszeit unschwer vergleichen. Dadurch wäre also die Anlehnung an die aktuellen Wünsche gegeben. Anderseits enthält die Bibelstelle manche Einzelheiten, die für die Masturbatione phantasie sehr gut verwertbar sind. Gegen das Gebot Gottes greift Moses zum Stock und für diese Übertretung straft ihn der Herr, indem er ihm verkündet, daß er sterben müsse, ohne das gelobte Land zu betreten. Das verbotene Ergreifen des — im Traume unzweideutig phallischen —— Stockes, das Erzeugen von Flüssigkeit durch das Schlagen damit und die Tcdesdrohung — damit haben wir alle Hauptmomente der infantilen Masturbation beisammen. Interessant ist die Bearbeitung, die jene beiden hete» rogenen Bilder, von denen eines aus der Psyche des genialen Staatsmannes, das andere aus den Regungen der primitiven Kinder seele stammt, durch Vermittlung der Bibelstelle zusammen

§ 746

§ 747

Zu Abschnitt VI 99

§ 748

geschweißt hat, wobei es ihr gelungen ist, alle peinlichen Momente wegzuwischen. Daß das Ergreifen des Stockes eine verbotene, aufrührer‘ische Handlung ist, wird nur mehr durch die linke Hand, mit der es geschieht, symbolisch angedeutet. Im menifesten Trauminhalt wird aber dabei Gott angerufen, wie um recht ostentativ jeden Gedanken an ein Verbot oder eine Heim1ichkeit abzuweisen. Von den beiden Verheißungen Gottes an Moses, daß er das verheißene Land sehen, nicht betreten werde, wird die eine sehr deutlich als erfüllt dargestellt (Blick auf Hügel und Waldland), die andere, höchst peinliche, gar nicht erwähnt. Das Wasser ist wahrscheinlich der sekundären Bearbeitung, welche die Vereinheitlichung dieser Szene mit der vorigen erfolgreich anstrebte, zum Opfer gefallen, statt dessen stürzt der Fels selber.

§ 749

„Den Schluß einer i.nfantilen Masturbationsphentasie, in der das Verbotsmotiv vertreten ist, müßten wir so erwarten, daß das Kind wünscht, die Autoritätspersonen seiner Umgebung möchten nichts von dem Geschehenen erfahren. Im Traume ist dieser Wunsch durch das Gegenteil, den Wunsch, das Vorgefallene dem König sogleich zu melden, ersetzt. Diese Umkehrung schließt sich aber ausgezeichnet und ganz unauffällig der in der obersten Schicht der Traumgedanken und in einem Teile des menifesten Trauminhaltes enthaltenen Siegesphantasie an. Ein solcher Sieges— und Eroberungstraum ist oft der Deckmantel eines erotischen Eroberungswunsches; einzelne Züge des Traumes, wie z. B., daß dem Eindringenden ein Widerstand entgegengesetzt wird, nach Anwendung der sich verlängernden Gene aber ein breiter Weg erscheint, dürften dahin deuten, doch reichten sie nicht hin, um daraus eine bestimmte, den Traum durchziehende Gedanken- und Wunschrichtung zu ergründen. Wir sehen hier ein Musterbeispiel einer durchaus gelungenen Traumentstellung. Das Anstößige wurde überarbeitet, daß es nirgends über das Gewebe hinaus— ragt, das als schützende Decke darübergebreitet ist. Die Folge davon ist, daß jede Entbindung von Angst hintenrieben werden

§ 750

§ 751

§ 752

ion Ergänzungen zur Traurmieutung

§ 753

konnte. Es ist ein Idealfall von gelungener Wunscherfüllung ohne Zensurverletzung, so daß wir begreifen können, daß der Träumer aus solchem Traum floh und gestärkt erwachte.“

§ 754

Ich schließe mit dem

§ 755

19) Traum eines Chemikers,

§ 756

eines jungen Mannes, der sich bemühte, seine onanistischen Gewohnheiten gegen den Verkehr mit dem Weihe aufzugeben.

§ 757

Vorbericht. Am Tage vor dem Traume hat er einem Studenten Aufschluß über die Grignardsche Reaktion gegeben, bei welcher Magnesium unter ketalytischer Jodeinwirkung in absolut reinem Äther aufzulösen ist. Zwei Tage vorher gab es bei der nämlichen Reaktion eine Explosion, bei der sich ein Arbeiter die Hand verbrannte.

§ 758

Traum: I) Er soll Phenylmagnesiumbromid machen, sieht die Apparatur besonders deutlich, hat aber sich selbst fürs Magnesium substituiert. Er ist nun in eigentiimlieh sshwankender Verfassung, sagt sich immer: Es ist alas Richtige, es geht, meine Füße lösen sich schon auf, meine Knie werden weich. Dann grei t er hin, fühlt an seine Füße, nimmt inzwischen ( er weiß nicht wie) seine Beine aus dem Kolben heraus, sagt sich wieder: Das kann nicht sein. — Ja doch, es ist richtig gemacht. Dabei erwacht er partiell, wiederholt sich den Traum, weil er ihn mir erzählen will. Er fürchtet sich direkt vor der Auflösung des T raumes, ist während dieses Halbschlafes sehr erregt und wieder— holt sich beständig: Phenyl, Phenyl.

§ 759

II) Er ist mit seiner ganzen Familie in ***ing, soll um '/,12 Uhr beim Rendezvous am Schottentor mit jener gewissen Dame sein, wacht aber erst um ‘/,12 Uhr auf. Er sagt sich: Es ist jetzt zu spät; bis du hinkommst, ist es ’/,I Uhr. Im nächsten Moment sieht er die garwe Familie um den Tisch versammelt, besonders deutlich die Mutter und das Stubenmiz'a'chen mit dem Suppentupf. Er sagt sich dann: Nun, wenn wir schon essen, kann ich ja nicht mehr fort.

§ 760

§ 761

Zu Abschnitt VI 101

§ 762

Analyse: Er ist sicher, daß schon der erste Traum eine Beziehung zur Dame seines Rendezvous hat (der Traum ist in der Nacht vor der erwarteten Zusammenkunft geträumt). Der Student, dem er die Auskunft gab, ist ein besonders ekelhafter Kerl; er sagte ihm: Das ist nicht das Richtige, weil das Magnesium noch ganz unberührt war, und jener antwortete, als ob ihm gar nichts daran läge: Das ist halt. nicht das Richtige. Dieser Student muß er selbst sein; — er ist so gleichgültig gegen seine Analyse, wie jener für seine Synthese"; — das Er im Traume, das die Operation vollzieht, aber ich. Wie ekelhaft muß er mir mit seiner Gleichgültigkeit gegen den Erfolg erscheinen!

§ 763

Anderseits ist er dasjenige, womit die Analyse (Synthese) gemacht wird. Es handelt sich um das Gelingen der Kur. Die Beine im Traume erinnern an einen Eindruck von gestern abends. Er traf in der Tanzstunde mit einer Dame zusammen, die er erobern will; er drückte sie so fest an sich, daß sie einmal aufschrie. Als er mit dem Druck gegen ihre Beine aufhörte, fühlte er ihren kräftigen Gegendruck auf seinen Unterschenkeln bis oberhalb der Knie, an den im Traume erwähnten Stellen. In dieser Situation ist also das Weib das Magnesium in der Retorte, mit dem es endlich geht. Er ist feminin gegen mich, wie er viril gegen das Weib ist. Geht es mit der Dame, so geht es auch mit der Kur. Das Sichbefühlen und die Wahrnehmungen an seinen Knien deuten auf die Onanie und entsprechen seiner Müdigkeit vom Tage vorher. — Das Rendezvous war wirklich für 1/,19 Uhr verabredet. Sein Wunsch, es zu ver-schlafen und bei den häuslichen Sexualobjekten (d. h. bei der Onanie) zu bleiben, entspricht seinem Widerstände.

§ 764

Zur Wiederholung des Namens Phenyl berichtet er: Alle diese Radikale auf y] haben ihm immer sehr gefallen, sie sind sehr bequem zu gebrauchen: Benzyl, Azetyl usw. Das erklärt nun nichts, aber als ich ihm das Radikal: Schlemihl vorschlage. lacht er sehr und erzählt, daß er während des Sommers ein

§ 765

§ 766

um Ergänzungen zur Traumdeutung

§ 767

Buch von Prévost gelesen, und in diesem war im Kapitel: Les exclus de l’amour, allerdings von den „Schlemiliés“ die Rede, bei deren Schilderung er sich sagte: Das ist mein Fall. — Schlemihlerei wäre es auch gewesen, wenn er das Rendezvous versäumt hätte.

§ 768

Es scheint, daß die sexuelle Traumsymbolik bereits eine direkte experimentelle Bestätigung gefunden hat Phil. Dr. K. Schrötter hat 1912 über Anregung von H, Swoboda bei tief hypnntisierten Personen Träume durch einen suggestiven Auftrag erzeugt, der einen großen Teil des Trauminhaltes festlegte. Wenn die Suggestion den Auftrag brachte, vom normalen oder abnormen Sexualverkehr zu träumen, so führte der Traum diese Aufträge aus, indem er an Stelle des sexuellen Materials die aus der psychoanalytischen Traumdeutung bekannten Symbole einsetzte. So L B. erschien nach der Suggestion, vom homosexuellen Verkehr mit einer Freundin zu träumen, im Traume diese Freundin mit einer schähigen Reisetasche in der Hand, worauf ein Zettel klebte, bedruckt mit den Worten: „Nur für Damen.“ Der Träumerin war angeblich von Symbolik im Traume und Traumdeutung niemals etwas bekanntgegeben werden. Leider wird die Einschätzung dieser bedeutsamen Untersuchung durch die unglück« liche Tatsache gestört, daß Dr. Schrötter bald nachher durch Selbstmord endete. Von seinen Traumexperimenten berichtet bloß eine vorläufige Mitteilung im „Zentralblatt für Psychoanalyse“.

§ 769

Ähnliche Ergebnisse hat 1995 G. Roffenstein veröffentlicht. Besonders interessant erscheinen aber Versuche, die Betlheim und Hartmann angestellt haben, weil bei ihnen die Hypnose ausgeschaltet war. Diese Autoren („Über Fehlreaktionen bei der Korsakaffschen Psychose“, Archiv für Psychiatrie, Bd. 79, 1994) haben Kranken mit solcher Verworrenheit Geschichten grob sexuellen Inhalts erzählt und die Entstehungen beachtet, welche bei der Reproduktion des Enä.hlten auftraten. Es zeigte sich, daß dabei die aus der Traumdeutung bekannten

§ 770

§ 771

Zu Abschnitt VI „5

§ 772

Symbole zum Vorschein kamen (Stiean steigen, stechen und schießen als Symbole des Koitus, Messer und Zigarette als Penissymbole). Ein besonderer Wert wird dem Erscheinen des Symbols der Stiege beigelegt, weil, wie die Autoren mit Recht bemerken, „eine derartige Symbolisierung einem bewußten Entstellungs— wunsch unerreichbar wäre.“

§ 773

Erst nachdem wir die Symbolik im Träume gewürdigt haben, können wir in der oben S. 50 abgebrochenen Behandlung der typischen Träume fortfahren. Ich halte es für gerecht— fertigt, diese Träume im groben in zwei Klassen einzuteileu, in solche, die wirklich jedesmal den gleichen Sinn haben, und zweitens in solche, die trotz des gleichen oder ähnlichen Inhalts doch die verschiedenanigsten Deutungen erfahren müssen. Von den typischen Träumen der ersten Art habe ich den Prüfungs traum bereits eingehender behandelt.

§ 774

Wegen des ähnlichen Aflekteindruckes verdienen die Träumef vom Nichterreichen eines Eisenbahnzuges den Prüfungsträumen angereiht zu werden. Ihre Aufklärung rechtfertigt dann diese Annäherung. Es sind Trostträume gegen eine andere im Schlaf empfundene Angstregung, die Angst zu sterben, „Abreisen“ ist eines der häufigsten und am besten zu begründenden Todessymbole. Der Traum sagt dann tröstend: Sei ruhig, du wirst nicht sterben (abreisen), wie der Prüfungstraurn beschwichtigte: Furchte nichts; es wird dir auch diesmals nichts geschehen. Die Schwierigkeit im Verständnis beider Arten von Träumen rührt daher, daß die Angstempfindung gerade an den Ausdruck des Trostes geknüpft ist. ‘

§ 775

Der Sinn der „Zahnreizträume“, die ich bei meinen Patienten oft genug zu analysieren hatte, ist mir lange Zeit entgangen, weil sich zu meiner Überraschung der Deutung der— selben regelmäßig allzu große Widerstände entgegenstellten.

§ 776

Endlich ließ die übergroße Evidenz keinen Zweifel daran, daß bei Männern nichts anderes als das Onaniegelüste der Pubertäts

§ 777

§ 778

104 Ergänzungen zur Traumdeutung

§ 779

zeit die Triebkraft dieser Träume abgebe. Ich will zwei solcher Träume analysieren, von denen einer gleichzeitig ein „Flugtraum“ ist. Beide rühren von derselben Person her, einem jungen Manne mit starker, aber im Leben gehemmter Homosexualität:

§ 780

Er befindet sich bei einer „F idelio“-Vorstellung irn Parkett der Oper, neben L., einer ihm sympathischen Persönlichkeii, deren Freundschafl er gern erwerben möchte. Plötzlich fliegt er schräg hinweg über das Parkett bis ans Ende, greift sich dann in den Mund und zieht sich zwei Zähne aus.

§ 781

Den Flug beschreibt er selbst, als ob er in die Luft „geworfen“ würde. Da es sich um eine Vorstellung des „Fidelio“ handelt, liegt das Dichterwurt nahe:

§ 782

„Wer ein holdes Weib mungen —“

§ 783

Aber das Erringen auch des holdesten Weibes gehört nicht zu den Wünschen des Träumers. Zu diesen stimmen zwei andere Verse besser:

§ 784

„Wem der große Wurf gelungen Eines Freundes Freund zu sein . . ,

§ 785

Der Traum enthält nun diesen „großen Wurf“, der aber nicht allein Wunscherfüllung ist. Es verbirgt sich hinter ihm auch die Peinliche Überlegung, daß er mit seinen Werbungen um Freundschaft schon so oft Unglück gehabt hat, „hinausgeworfen“ wurde, und die Furcht, dieses Schicksal könnte sich bei dem jungen Menue, neben dem er die „Fidelio“-Vorstellung genießt, wiederholen. Und nun schließt sich daran das für den feinsinnigen Träumer beschämencle Geständnis an, daß er einst nach einer Abweisung von Seite eines Freundes aus Sehnsucht zweimal hintereinander in sinnlicher Erregung onaniert hat.

§ 786

Der andere Traum: Zwei ihm bekannte Universitätsprqfessoren behandeln ihn an meiner Statt. Der eine tut irgend etwas an seinem Gliede; er hat Angst vor einer Operation. Der andere stößt mit einer eisernen Slange gegen seinen Mund, so daß er ein oder zwei Zähne verliert. Er ist mit vier seidenen T üchern gebunden.

§ 787

§ 788

Zu Abschnitt VI 105

§ 789

Der sexuelle Sinn dieses Traumes ist wohl nicht zweifelhaft. Die seidenen Tücher entsprechen einer Identifizierung mit einem ihm bekannten Humosexuellen. Der Träumer, der niemals einen Koitus ausgeführt, auch nie in der Wirklichkeit geschlechtlichen Verkehr mit Männern gesucht hat, stellt sich den sexuellen Verkehr nach dem Vorbilde der ihm einst vertrauten Pubertätsonanie vor.

§ 790

Ich meine, daß auch die häufigen Modifikationen des typischen Zahnreiztraumes, z. B. daß ein anderer dem Träumer den Zahn auszieht und ähnliches, durch die gleiche Aufklärung verständlich werden.‘ Rätselhaft mag es aber scheinen, wieso der „Zahn» reiz“ zu dieser Bedeutung gelangen kann. Ich mache hier auf die so häufige Verlegung von unten nach oben aufmerksam, die im Dienste der Sexualverdrängung steht, und vermöge welcher in der Hysterie allerlei Sensationen und Intentionen, die sich an den Genitalien abspielen sollten, wenigstens an anderen einwandfreien Körperteilen realisiert werden können. Ein Fall von solcher Verlegung ist es auch, wenn in der Symbolik des unbewußten Denkens die Genitalien durch das Angesicht ersetzt werden. Der Sprachgebrauch tut dabei mit, indem er „Hinterbacken“ als Homologe der Wangen anerkennt, „Schamlippen“ neben den Lippen nennt, welche die Mundspalte einrahmen. Die Nase wird in zahlreichen Anspielungen dem Penis gleichgestellt, die Behaarung hier und dert vervollständigt die Ähnlichkeit. Nur ein Gebilde steht außer jeder Möglichkeit von Vergleichung, die filme, und gerade dies Zusammentreffen von Übereinstimmung und Abweichung macht die Zähne für die Zwecke der Darstellung unter dem Drucke der Sexualverdrängung geeignet.

§ 791

Ich will nicht behaupten, daß nun die Deutung des Zahnreiz— traumes als Onanietraum, an deren Berechtigung ich nicht zweifeln

§ 792

,> Das Ausreifien eine! zm„ durch einen anderen ist zumeist ah Kamtiun „ deuten (ähnlich wie das Haarschneider] durch den Friseur; s „im. Es in m untersaheiden zwischen Zn.hnreiztriiumen und Zahnmtträumen überhaupt, wie mich 1. B. c „in (Zenizalbl. f. rm. in, „a) mitgeteilt hat.

§ 793

§ 794

„s Ergänzungen zur Truumdeutung

§ 795

kann, voll durchsichtig geworden ist.‘ Ich gehe so viel, als ich zur Erklärung weiß, und muß einen Rest unaufgelöst lassen. Aber ich muß auch auf einen anderen im sprachlichen Ausdruck enthaltenen Zusammenhang hinweisen. In unseren Landen existiert eine unfeine Bezeichnung für den masturbatorischen Akt: sich einen ausreißen oder sich einen herunterreißen.’ Ich weiß nicht zu sagen, woher diese Redeweisen stammen, welche Verbildlichung ihnen zugrunde liegt, aber zur ersteren von den beiden würde sich der „Zahn“ sehr gut fügen.

§ 796

Da die Träume vom Zahnziehen oder Zahnausfall im Volksglauhen auf den Tod eines Angehörigen gedeutet werden, die Psychoanalyse ihnen aber solche Bedeutung höchstens im oben angedeuteten parodistischen Sinn zugestehen kann, schalte ich hier einen von Otto Rank zur Verfügung gestellten „Zahn reiztraum“ ein:

§ 797

„Zum Thema der Zahnreizträume ist mir von einem Kollegen, der sich seit einiger Zeit für die Probleme der Traumdeutung lebhafter zu interessieren beginnt, der folgende Bericht zu» gekommen:

§ 798

,Mir träumte kürzlich, ieh sei beim Zahnarzt, der mir einen rückwärz'igen Zahn der Unterkiefers uusbohrt. Er arbeitet solange herum7 bis der Zahn unbrauchbar geworden ist. Dann fa_ßt er ihn mit der Zange und zieht ihn mit einer spielenden Leichtig— keit heraus, die mich in Verwunderung setzt. Er sagt, ich solle mir nichts daraus machen, denn das sei gar nicht der eigentlich behandelte Zahn und legt ihn auf den Tisch, wo der de (wie mir nun scheint, ein oberer Schneidezahn) in mehrere Schichten ze;fällt. Ich erhebe mieh vom 0peratiam'st'uhl, trete neugierig

§ 799

1) Nach einer Mitteilung vun u G, Jun 5 haben die Zahnreizträume heiFr-uen die Bedeutung von Gehmsträurnen. E. Jones hat eine gute Bestätigung hiefür erbracht. D.. Gemeinsame diem- Deutung mit der einen vertretenen liegt darin, dm es sich in beiden Fällen (Kannfion _ Geburt) um die Ablösung eines Teiles vom Körperganzen handelt.

§ 800

2) Vgl. hiezu den „biogruphisehen“ Traum in Bd. 11, s. 54,1.

§ 801

§ 802

Zu Abschnitt VI 1o7

§ 803

näher und stelle interessiert eine medizinisehe Frage. Der Arzt erklärt mir, während er die einzelnen Teilstüeke des aufnllend weißen Zahnes sondert und mit einem Imtrument zermalmz (puluerisierl), daß das mit der ;Pubertät zusammenhängt, und daß die Zähne nur vor der Pubertät so leicht herausgehen; bei Frauen sei das hiefür entscheidende Moment die Geburt eines Kindes.

§ 804

Ich merke dann (wie ich glaube im Halbschlaf), daß dieser Traum von einer Pollution begleitet war, die ich aber nicht mit Sicherheit an eine bestimmte Stelle des Traumes einzureihen weiß; am ehesten scheint sie mir noch beim Herausziehen des Zahnes eingetreten zu sein.

§ 805

Ich träume dann weiter einen mir nicht mehr erinnerlichen Vorgang, der damit abschloß, daß ich, Hut und Rock in der Hofinung, man werde mir die Kleidungsstücke naehhringen, irgend— wo (möglicherweise in der Garderobe des Zahnarztes) zurück— lassencl und bloß mit dem Üherrook bekleidet, mich beeilte, einen abgehenden Zug nach zu erreichen, Es gelang mir auch im letzten Moment, auf den rückwärtigen Waggon atgfzuspringen, wo bereits jemand stand. Ich konnte jedoch nicht mehr in das Innere des Wagens gelangen, sondern mußte in einer unbequernen Stellung, aus der ich mich mit schließlißhem Erfolg zu befreien versuchte, die Reise mitmachen. Wir fahren durch einen großen Tunnel, wobei in der Gegenrichtung zwei Züge wie durch unseren Zug hindurchfahren, als ob dieser der Tunnel wäre. Ich schaue wie von außen durch ein Wagganfenster hinein.‘

§ 806

Als Material zu einer Deutung dieses Traumes ergeben sich folgende Erlebnisse und Gedanken des Vortages:

§ 807

I) Ich stehe tatsächlich seit kurzem in zahnäntlicher Behandlung und habe zur Zeit des Traumes kontinuierlich Schmerzen in dem Zahn des Unterkiefers, der im Traume angebohrt wird, und an dem der Ant auch in Wirklichkeit schon länger herumarbeitet, als mir lieb ist. Am Vormittag des Treumtages war ich

§ 808

§ 809

108 Ergänzungen zur Traumdeutung

§ 810

neuerlich wegen der Schmerzen beim Arzt gewesen, der mir nahegelegt hatte, einen anderen als den behandelten Zahn im selben Kiefer ziehen zu lassen, von dem wahrscheinlich der Schmerz her-rühren dürfte. Es handelte sich um einen eben durchbrechenden ,Weisheitsmhn‘. Ich hatte bei der Gelegenheit auch eine darauf bezügliche Frage an sein ärztliches Gewissen gestellt.

§ 811

II) Am Nachmittag desselben Tages war ich genötigt, einer Dame gegenüber meine üble Laune mit den Zahnschmerzen entschuldigen zu müssen, worauf sie mir erzählte, sie habe Furcht, sich eine Wurzel ziehen zu lassen, deren Krone fast gänzlich abgebröckelt sei. Sie meinte, das Ziehen wäre beiden Augenzähnen besonders schmerzhaft und gefährlich, obwohl ihr andererseits eine Bekannte gesagt habe, daß es bei den Zähnen des Oberkiefers (um einen solchen handelte es sich bei ihr) leichter gehe. Diese Bekannte habe ihr auch enählt, ihr sei einmal in der Narkose ein falscher Zahn gezogen worden, eine Mitteilung, welche ihre Scheu vor der notwendigen Operation nur vermehrt habe, Sie fragte mich dann, ob unter Augenzäh.nen Backen— oder Eckzähne zu verstehen seien, und was über diese bekannt sei. Ich machte sie einerseits auf den abergläubischen Einschlag in all diesen Meinungen aufmerksam, ohne jedoch die Betonung des richtigen Kemes mancher volkstümlichen Anschauungen zu ver» säumen. Sie weiß darauf von einem ihrer Erfahrung nach sehr alten und allgemein bekannten Vulksglauben zu berichten, der behauptet: Wenn eine Schwangere Zahnschmerzen hat, so bekommt sie einen Buben.

§ 812

III) Dieses Sprichwort interessierte mich mit Rücksicht auf die von Freud in seiner Traumdeutung (9. Aufl., 1). 195f.) mitgeteilte typische Bedeutung der Zahnreizträume als Onanieersatz, da ja auch in dem Volksspruch der Zahn und das männliche Genitale (Bub) in eine gewisse Beziehung gebracht werden. Ich las also am Abend desselben Tages die betreffende Stelle in der

§ 813

§ 814

Zu Abschnitt VI log

§ 815

Traumdeutung nach und fand dort unter anderem die im folgenden wiedergegebenen Ausführungen, deren Einfluß auf meinen Traum ebenso leicht zu erkennen ist wie die Einwirkung der beiden vorgenannten Erlebnisse. Freud schreibt von den Zahnreizträumen, ,daß bei Männern nichts anderes als das Onaniegelflste der Pubertätszeit die Triebkraft dieser Träume abgebe‘ (p. 1 95). Ferner: ,Ich meine, daß auch die häufigen Modifikationen des typischen Zahnreiztraumes, z. B. daß ein anderer dem Träumer den Zahn auszieht und ähnliches, durch die gleiche Aufklärung verständlich werden. Rätselhaft mag es aber scheinen, wieso der Zahnreiz zu dieser Bedeutung gelangen kann. Ich mache hier auf die so häufige Verlegung von unten nach oben (im vorliegenden Trauma auch vom Unterkiefer in den Oberkiefer) aufmerksam, die im Dienste der Sexualverdrängung steht und ver-möge welcher in der Hysterie allerlei Sensationen und Inten— tionen, die sich an den Genitalien abspielen sollten, wenigstens an anderen einwandfreien Körperstellen realisiert werden können‘ (p. 194), ,Aber ich muß auch auf einen anderen im sprachlichen Ausdruck enthaltenen Zusammenhang hinweisen. In unseren Landen existiert eine unfeine Bezeichnung für den masturbatorischen Akt: sich einen ausreißen oder sich einen herunterreißen‘ (p. 195). Dieser Ausdruck war mir schon in früher Jugend als Bezeichnung für die Onanie geläufig und von hier aus wird der geübte Traumdeuter unschwer den Zugang zum Kindheitsmaterial, das diesem Traume zugrunde liegen mag, finden. Ich erwähne nur noch, daß die Leichtigkeit, mit der im Traume der Zahn, der sich nach dem Ziehen in einen oberen Schneidezahn verwandelt, herausgeht, mich an einen Vorfall meiner KinderZeit erinnert, wo ich mir einen wackligen oberen Vorderzahn leicht und schmerzlos selbst ausriß. Dieses Ereignis, das mir heute noch in allen seinen Einzelheiten deutlich erinnerlich ist, fällt in dieselbe frühe Zeit, in die bei mir die ersten bewußten Onanieversuche zurückgehen (Deckerinnerung).

§ 816

§ 817

, lo Ergänzungm zur Traumdeutung

§ 818

Der Hinweis Freuds auf eine Mitteilung von C. G, Jung, wonach die Zahnreizträume bei Frauen die Bedeutung von G e h u r t s t r ä u m e n haben (Traumdeutung S. 194, Anmkg.), sowie der Volksglaube von der Bedeutung des Zahnschmerzes bei Schwangeren haben die Gegenüberstellung der weiblichen Bedeutung gegeniiber der männlichen (Pubertät) im Traume veranlaßt. Dazu erinnere ich mich eines früheren Traumes, wo mit7 bald nachdem ich aus der Behandlung eines Zahnarztes entlassen werden war, träumte, daß mir die eben eingesetzten Goldkronen herausfielen, worüber ich mich wegen des bedeutenden Kostenaufwandes, den ich damals noch nicht ganz verschment hatte, im Traume sehr ärgerte, Dieser Traum wird mir jetzt im Hin blick auf ein gewisses Erlebnis als Anpreisung der materiellen Vorzüge der Masturbation gegenüber der in jeder Form ökonomisch nachteiligeren Objektliehe verständlich (Goldkronen) und ich glaube, daß die Mitteilung jener Dame über die Bedeutung des Zahnschmerzes bei Schwangeren diese Gedankengänge in mir wieder waehrief.“

§ 819

So weit die ohne weiteres einleuchtende und, wie ich glaube, auch einwandfreie Deutung des Kollegen, der ich nichts hinzuzufügen habe als etwa den Hinweis auf den wahrscheinlichen Sinn des zweiten Traumteiles, der über die Wurtbrücken: Zahn-(ziehenZug; reißen-reisen) den allem Anschein nach unter Schwierigkeiten vollzogenen Übergang des Träumen von der Masturbation zum Geschlechlsverkehr (Tunnel, durch den die Züge in verschiedenen Richtungen hinein- und herausfahren) sowie die Gefahren desselben (Schwangerschaft; Überzieher) darstellt.

§ 820

Dagegen scheint mir der Fall theoretisch nach zwei Richtungen interessant. Erstens ist es beweisend für den von Freud aufgedeckten Zusammenhang, daß die Eiakulation im Traume beim Akt des Zahnziehens erfolgt. Sind wir doch genötigt, die Pollution, in welcher Form immer sie auftreten mag, als eine mastur— hatorische Befriedigung anzusehen, welche ohne Zuhilfenahme

§ 821

§ 822

Zu Abschnitt VI in

§ 823

mechanischer Reizungen zustande kommt. Dazu kommt, daß in diesem Falle die pollutionistische Befriedigung nicht, wie sonst, an einem, wenn auch nur imaginierten Objekte erfolgt, sondern objektlos, wenn man so sagen darf, rein autoerotisch ist und höchstens einen leisen homosexuellen Einschlag (Zahnarzt) erkennen läßt.

§ 824

Der zweite Punkt, der mir der Hervorhebung wert erscheint, ist folgender: „Es liegt der Einwand nahe, daB die Freu tische Auffassung hier ganz überflüssigerweise geltend gemacht zu werden suche, da doch die Erlebnisse des Vortages allein vollkommen hinreichen, uns den Inhalt des Treumes verständlich zu machen. Der Besuch beim Zahnarzt, das Gespräch mit der Dame und die Lektüre der Traumdeutung erklärten hinreichend, daß der auch nachts durch Zahnschmerzen beunruhigte Schläfer diesen Traum produziere; wenn man durchaus wolle, sogar zur Beseitigung des schlafstörenden Schmerzes (mittels der Vorstellung von der Entfernung des schmenenden Zahnes bei gleichzeitiger Übertönung der gefürchteten Schmerzempfindung durch Libido). Nun wird man aber selbst bei den weitestgehenden Zugeständnissen in dieser Richtung die Behauptung nicht ernsthaft vertreten wollen, daß die Lektüre der F re n dschen Aufklärungen den Zusammenhang von Zahnziehen und Masturbationsakt in dem Träumer hergestth oder auch nur wirksam gemacht haben könnte, wenn er nicht, wie der Träumer selbst eingestanden hat (,sich einen ausreißen‘), längst vorgebildet gewesen wäre. Was vielmehr diesen Zusammen— hang neben dem Gespräch mit der Dame belebt haben mag, ergibt die spätere Mitteilung des Träumers, daß er bei der Lektüre der Traumdeutung aus begreiflichen Gründen an diese typische Bedeutung der Zahnreizträume nicht recht glauben mochte und den Wunsch hegte, zu wissen, ob dies für alle derartigen Träume zutrefl'e. Der Traum bestätigt ihm nun das wenigstens für seine eigene Person und zeigt ihm so, warum er daran zweifeln mußte. Der Traum ist also auch in dieser Hinsicht die Erfüllung eines

§ 825

§ 826

1 „ Ergänzungen zur Traumdeutung

§ 827

Wunsches, nämlich sich von der Tragweite und der Haltbarkeit dieser Freudschen Aufiassung zu überzeugen.“

§ 828

Zur zweiten Gruppe von typischen Träumen gehören die, in denen man fliegt oder schwebt, fällt, schwimmt u. dgl. Was bedeuten diese Träume? Das ist allgemein nicht zu sagen. Sie bedeuten, wie wir hören werden, in jedem Falle etwas anderes, nur das Material an Sensationen, das sie enthalten, stammt allemal aus derselben Quelle.

§ 829

Aus den Auskünften, die man durch die Psychoanalysen erhält, muß man schließen, daß auch diese Träume Eindrücke der KinderZeit wiederholen, nämlich sich auf die Bewegungsspiele beziehen, die für das Kind eine so außerordentliche Anziehung haben. Welcher Onkel hat nicht schon ein Kind fliegen lassen7 indem er, die Arme ausstreckend, durchs Zimmer mit ihm eilte, oder Fallen mit ihm gespielt, indem er es auf den Knien schaukelte und das Bein plötzlich streckte, oder es hoch hob und plötzlich tat, als ob er ihm die Unterstützung entziehen wollte. Die Kinder jauchzen dann und verlangen unermüdlich nach Wiederholung, besonders wenn etwas Schreck und Schwindel mit dabei ist; dann schaffen sie sich nach Jahren die Wiederholung im Traume, lassen aber im Traume die Hände weg, die sie gehalten haben, so daß sie nun frei schweben und fallen. Die Vorliebe aller kleinen Kinder für solche Spiele wie für Schaukeln und Wippen ist bekannt; wenn sie denn gymnastische Kunststücke im Zirkus sehen, wird die Erinnerung von neuem sufgefrischt. Bei manchen Knaben besteht dann der hysterische Anfall nur aus Reproduktionen solcher Kunststücke, die sie mit großer Geschicklichkeit ausführen. Nicht selten sind bei diesen an sich harmlosen Bewegungsspielen auch sexuelle Empfindungen wachgerufen werden. Um es mit einem bei uns gebräuchlichen, all diese Veranstaltungen deckenden Worte zu sagen: es ist das „Hetzen“ in der Kindheit, welches die Träume vom Fliegen, Fallen, Schwindel): u. dgl. wiederholen, dessen Lustgefühle jetzt in Angst verkehrt sind. Wie aber jede Mutter weiß,

§ 830

§ 831

Zu Abschnitt VI 1 15

§ 832

ist auch das Hetzen der Kinder in Wirklichkeit häufig genug in Zwist und Weinen ausgegangen.

§ 833

Ich habe also guten Grund, die Erklärung abzulehnen, daß der Zustand unserer Hautgefiihle während des Schlafes, die Sensationvon der Bewegung unserer Lungen u. dgl. die Träume vom Fliegen und Fallen hervorrufen. Ich sehe, daß diese Sensationen selbst aus der Erinnerung reproduziert sind, auf welche der Traum a'ch bezieht7 daß sie also Trauminhalt sind und nicht Traumquellen.‘

§ 834

Dieses gleichartige und aus der nämlichen Quelle stammende Material von Bewegungsempfindungen wird nun zur Darstellung der allemannigfaltigsten Traumgedanken verwendet. Die meist lusthetonten Träume vom“ Fliegen oder Schwehen erfordern die verschiedensten Deutungen, ganz spezielle bei einigen Personen, Deutungen von selbst typischer Natur bei anderen. Eine meiner Patientinnen pflegte sehr häufig zu träumen, daß sie über die Straße in einer gewissen Höhe schwebe, ohne den Boden zu berühren. Sie war sehr klein gewachsen und scheute jede Beschmutzung, die der Verkehr mit Menschen mit, sich bringt. Ihr Schwehetraum erfüllte ihr beide Wünsche, indem er ihre Füße vom Erdboden ahhoh und ihr Haupt in höhere Regionen ragen ließ. Bei anderen Träumerinnen hatte der Fliegetnum die Bedeutung der Sehnsucht: Wenn ich ein Vöglein wär'; andere wurden so nächtlicherweise zu Engeln, in der Enthehrung, bei Tage so genannt zu werden. Die nahe Verbindung des Fliegens mit der Vorstellung des Vogels macht es verständlich, daß der Fliegetraum bei Männern meist eine grohsinnliche Bedeutung hat. Wir werden uns auch nicht verwundern, zu hören, daß dieser oder jener Träumer jedesmal sehr stolz auf sein Fliegenkönnen ist.

§ 835

Dr. Paul Federn (Wien) hat die bestechende Vermutung ausgesprochen, daß ein guter Teil der Fliegeträume Erektionsträume sind, da das merkwürdige und die menschliche Phantasie unaus

§ 836

1) Der ,um: über die Bewegungrtriume m ein Zusammenhang.! halber hier wiederholt. Vgl. Bd. 11, s. „4.

§ 837

Freud, m. u

§ 838

§ 839

1 14 Ergänzungen zur Traumdeutung

§ 840

gesetzt beschäftigende Phänomen der Erektion als Aufhebung der Schwerkraft impnniereu muß. (Vgl. hiezu die geflügelten Phallen der Antike.)

§ 841

Es ist bemerkenswert, daß der nüchterne und eigentlich jeder Deutung abgeneigte Traumexperimentator Mourly Vold gleichfalls die erotische Deutung der Fliege» (Schweine—) Träume ver tritt (Über den Traum, Bd. II, p. 791). Er nennt die Erotik das „wichtigste Motiv zum Schwebetraum“, beruft sich auf das starke Vibrationsgefühl im Körper, welches diese Träume begleitet, und auf die häufige Verbindung solcher Träume mit Erektionen oder Pollutionen.

§ 842

Die Träume vom Fallen tragen häufiger den Angstcharakter. Ihre Deutung unterliegt bei Frauen keiner Schwierigkeit7 da sie fast regelmäßig die symbolische Verwendung des Fallens akzeptieren, welches die Nachgiebigkeit gegen eine erotische Versuchung umschreibt. Die infantilen Quellen des Falltraumes haben wir noch nicht erschöpft; fast alle Kinder sind gelegentlich gefallen und wurden dann aufgehoben und ,geliebkost; wenn sie nachts aus dem Bettchen gefallen waren, von ihrer Pflegeperson in ihr Bett genommen.

§ 843

Personen, die häufig vom Schwimmen träumen, mit großem Belangen die Wellen teilen usw, sind gewöhnlich Bettnässer gewesen und wiederholen nun im Traume eine Lust, auf die sie seit langer Zeit zu verzichten gelernt haben. Zu welcher Darstellung sich die Träume vom Schwimmen leicht bieten, werden wir bald an dem einen oder dem anderen Beispiele erfahren.

§ 844

Die Deutung der Träume vom F euer gibt einem Verbot der Kinderstube recht, welches die Kinder nicht „zündeln“ heißt, damit sie nicht nächtlicherweile das Bett nässen sollen. Es liegt nämlich auch ihnen die Reminiszenz an die Enuresis nocturna der Kinderjahre zugrunde. In dem „Bruchstück einer Hysterieanalyse“ (1905)‘ habe ich die vollständige Analyse und Synthese

§ 845

;) Ges. Schriften, Bd. VIII.

§ 846

§ 847

Zu Abschnitt VI 1 15

§ 848

eines solchen Feuertraumes im Zusammenhange mit der Krankengeschichte der Träumerin gegeben und gezeigt, zur Darstellung welcher Regungen reiferer Jahre sich dieses infantile Material verwenden läßt.

§ 849

Man könnte noch eine ganze Anzahl von „typischen“ Träumen anführen, wenn man darunter die Tatsache der häufigen Wiederkehr des gleichen manifesten Trauminhaltes bei verschiedenen Träumern versteht, so z. B.: Die Träume vom Gehen durch enge Gassen, vom Gehen durch eine ganze Flucht von Zimmern, die Träume vum nächtlichen Räuber, dem auch die Vorsichtsmaß— regeln der Nervösen vor dem Schlafengehen gelten, die von Verfolgung durch wilde Tiere (Stiere, Pferde) oder von Bedrohung mit Messern, Dolchen, Lanzen, die beide letztere für den mani— festen Trauminhalt von Angstleidenden charakteristisch sind u. dgl. Eine Untersuchung, die sich speziell mit diesem Material beschäftigen würde, wäre sehr dankenswert. Ich habe an ihrer Statt zwei Bemerkungen zu bieten, die sich aber nicht ausschließ» lich auf typische Träume beziehen. '

§ 850

Je mehr man sich mit der Lösung von Träumen beschäftigt, desto bereitwilliger muß man anerkennen, daß die Mehrzahl der Träume Erwachsener sexuelles Material behandelt und erotische Wünsche zum Ausdruck bringt. Nur wer wirklich Träume ana— lysiert, d. h. vom manifesten Inhalt derselben zu den latenten Traumgedanken vordring‘t, kann sich ein Urteil hierüber bildeny nie wer sich damit begnügt, den manifesten Inhalt zu registrieren (wie z, B. N äcke in seinen Arbeiten über sexuelle Träume). Stellen wir gleich fest, daß diese Tatsache uns nichts Über— raschendes bringt, sondern in voller Übereinstimmung mit unseren Grundsätzen der Traumerklärung steht. Kein anderer Trieb hat seit der Kindheit so viel Unterdrückung erfahren müssen wie der Sexualtrieb in seinen zahlreichen Komponenten,’ von keinem

§ 851

;) Vgl. des Verf. „Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie“, 1905, 5. Aufl. „„ (Ges, Schriften, aa. V),

§ 852

§ 853

1 16 Ergänzungen zur Traumdeuzung

§ 854

anderen erübrigen so viele und so starke unbewußte Wünsche, die nun im Schlafzustande traumerzeugend wirken. Man darf bei der Traumdeutung diese Bedeutung sexueller Komplexe niemals vergessen, darf sie natürlich auch nicht zur Ausschließlichkeit übertreiben. '

§ 855

An vielen Träumen wird man bei sorgfältiger Deutung feststellen können, daß sie selbst bisexuell zu verstehen sind, indem sie eine unabweisbare Überdeutung ergeben, in welcher sie homosexuelle, d. h. der normalen Geschlechtsbetätigung der träumenden Person entgegengesetzte Regungen realisieren. Daß aber alle Träume bisexuell zu deuten seien, wie W. Stekel‘ und Alf. Adler7 behaupten, scheint mir eine ebenso unbeweisbare wie unwahrscheinliche Verallgemeinerung, welche ich nicht vertreten möchte. Ich wüßte vor allem den Augenschein nicht wegzuschaffen, daß es zahlreiche Träume gibt, welche andere als —— im weitesten Sinne — erotische Bedürfnisse befriedigen, die Hunger und Durstträume, Bequemlichkeitsträume usw. Auch die ähnlichen Aufstellungen, „daß hinter jedem Traum die Todes klausel zu finden sei“ (Stekel), daß jeder Traum ein „Fortschreiten von der weiblichen zur männlichen Linie“ erkennen lasse (Adler), scheinen mir das Maß des in der Traumdeutung Zulässigen weit zu überschreiten. , Die Behauptung, daß alle Träume eine sexuelle Deutung erfordern, gegenwelche in der Literatur unermüdlich polemisiert wird, ist meiner „Traumdeutung“ fremd. Sie ist in sieben Auflagen dieses Buches nicht zu finden und steht in greifbarem Widerspruch zu anderem Inhalt desselben.

§ 856

Daß die auffällig harmlosen Träume durchwegs grobe erotische Wünsche verkörpern, haben wir bereits an anderer Stelle behauptet und könnten wir durch zahlreiche neue Beispiele

§ 857

1) Die Sprache des Traumes, 19„. a.) Der psychische Hermuphrofliü'smu: im Leben und in der Neurnse, Fortschritte der Mann.. 1510, Nr. 15, und spätere Arbeiten im z.mnmm für Psychoanalyse I,

§ 858

1910/11.

§ 859

§ 860

Zu Abschnitt VI 117

§ 861

erhärten. Aber auch viele indifierent scheinende Träume, denen man nach keiner Richtung etwas Besonderes anmerken würde, führen sich nach der Analyse auf unzweifelhaft sexuelle Wunschregungéu oft unerwarteter Art zurück. Wer würde z. B. bei nachfolgendem Traume einen sexuellen Wunsch vor der Deutungsarbeit vermuten? Der Träumer erühlt: Zwischen zwei sinnlichen Palästzn stzht etwas zurücktretencl ein kleines Häuschen, dessen Tore geschlossen sind. Meine Frau führt mich das Stück der Straße bis zu dem Häuschen hin, drückt die Tür ein, und dann schlüpfß ich rasch und leicht in das Innere eines schräg aufsteigenden Hofes.

§ 862

Wer einige Übung im Übersemeu von Träumen hat, wird allerdings sofort daran gemahnt werden, daß das Eindringen in enge Räume, das Öffnen verschlosseuer Türen zur gehräuchlichsten sexuellen Symbolik gehört, und wird mit Leichtigkeit in diesem Trauma eine Darstellung eines Koitusversuches von rückwärts (zwischen den beiden stattlichen Hinterbacken des weiblichen Körpers) finden. Der enge, schräg aufsteigende Gang ist natürlich die Scheide; die der Frau des Träumen zugeschobene Hilfeleistung nötigt zur Deutung, daß in Wirklichkeit nur die Rück— sicht auf die Ehefrau die. Abhaltung von einem solchen Versuche besorgt, und eine Erkundigung ergibt, daß am Traumtag ein junges Mädchen in den Haushalt des Träumers eingetreten ist, welches sein Wohlgefallen erregt und ihm den Eindruck gemacht hat, als würde es sich gegen eine derartige Annäherung nicht zu sehr sträuben. Das kleine Haus zwischen den zwei Palästen ist von einer Reminiszenz an den Hradschin in Prag hergenommen und weist somit auf das nämliche aus dieser Stadt stammende Mädchen hin.

§ 863

Wenn ich gegen Patienten die Häufigkeit des Ödipustraumes, mit der eigenen Mutter geschlechtlich zu verkehren, betone, so bekomme ich zur Antwort: Ich kann mich an einen solchen Traum nicht erinnern. Gleich darauf steigt aber die Erinnerung an einen anderen, unkenntlichen und indifl'erenteu Traum auf,

§ 864

§ 865

i is Ergänzungen zur Traumdeutung

§ 866

der sich bei dem Betreffenden häufig wiederholt hat, und die Analyse zeigt, daß dies ein Traum des gleichen Inhaltes, nämlich wiederum ein Ödipustraum ist. Ich kann versichern, daß die verkappten Träume vom Sexualverkehre mil. der Mutter um ein Vielfaches häufiger sind als die aufrichtigen.‘

§ 867

1) Ein typisches Beispiel eines solchen verkapptun Odinustraurnes habe ich in Nr 1 des Zentralblatces für Psychoanalyse verdffenüicht (s unten), ein anderes rnit ausführlicher Deutung 0 Bank ehendert in Nr 4. Uher andere verhappte ödipusträume, in denen die Symbolik dee Auges hervurtritt, siehe Rank (Internat 7eitschrift für Psychoanalyse I, 1915) Daselhst auch Arbeiten über .,Augent'räume“ und AugenSymbolik von E d er, F erene zi Rei tl er Die Blendung in der ödipussago wie snderwärts als Stellvertretung der Kastration. Den Alten war übrigens auch die symbolische Deutung der unverhüllten Odipustrüume nicht fremd. (Vgl. o. Ra n k, Jehrb. II, p. 554): „So ist von Julius Güsar ein Traum vom gesehlechtlichen Verkehr mit der Mutter überliefert, den die Traumdeuter als günstiges Vorzeichen für die Besitzergreifnng der Erde (Matte r-Erde) ansiegten, Ebenso bekannt ist des den anquiniem gegehene Orakel, demjenigen von ihnen werde die Herrschaft Roms zufallen, der zuerst die Mutt er hüss e (rundum _mntri zulerit), was Brutus als Hin— weis auf die M u t t e r . E r de auftaßte („mm erento eonzigit, stilicet quod m eemmunis matrr nmm'um monalium esrst. Livius I. LXI). Vgl. hiezu den Traum des Hipyias bei Herodot VI, 107: „Die Barbaren aber führte Hippini nach Marathon, nachdem er in der vergangenen Nacht folgendes Traumgesicht gehabt: Es deuchte dem Hippias. er schliefe bei seiner eigenen Mutter. Aus diesem Träume schloß er nun, er würde heimkommeu nach Athen und seine Herrschaft wieder erhalten und im Vaterlande sterben in seinen alten Tagen.“ Diese Mythen und Deutungen weisen auf eine richtige psychologische Erhenntms hin. Ich hohe gefunden, daß die Personen, die sich von der Mutter bevorzugt oder ausgezeichnet wissen, im Lehen jene besondere Zuversicht zu sich selhst, jenen unerschütterlichen Optimismus behunden, die nicht selten als heldenhafl erscheinen und den wirklichen Erfolg erzwingen.

§ 868

Typisches Beispiel eines verkapyten Ddiynstrx—lurnes. Ein Mann träumt: Er hat ein gehrz'mrs Verhältnis mit einer Dann:, die ein anther hll'ruten will. Er in bzsargz, daß dizszr andere der Vzrh" nit entdecken Jaime, so rin/i ent der Heim! nicht: würde, und benimmt sich darum szhr zärtlich gegen den Mann; er schmiegt n'dt an ihn an und kißt ihn, , Die Tatsachen im Leben des Träumers berühren den Inhalt dieses Treumes nur in einem Punkte. Er unterhält ein geheimes Verhältnis mit einer verheirateten Frau. und eine vieldeutige Äußerung ihres Mannes, mit dem er befreundet ist, hat den Verdacht bei ihm geweckt, dali dieser etwas gemerkt haben könnte. Aber in der Wirklichkeit spielt nach etwas anderes, dessen Erwähnung im Tranme vermieden wird und das doch allein den sehlüssel zum Verständnis des Traumes gibt. Das Leben des Ehemannes ist durch ein organisches Leiden bedroht. Seine Frau ist auf die Möglichkeit seines plötzlichen Todes vorbereitet, und unter Träumer beschäftigt sich bewußt mit dem Vorsatzc, nach dem Hinseheiden des Mannes die *nnge Witwe rur Frau zu nehmen, Durch diese üußere Situation findet sich der Träumer in die Konstellation des Odipustraunzes versetrt; sein Wunsch kann den Mann töten, um die Fran zum Weih zu gewinnen; sein Traum gibt diesem Wunsch in heuchleriseher Entstellung Ausdruck. Anstatt des Verheiratetseins

§ 869

§ 870

Zu Abschnitt VI 119

§ 871

Es gibt Träume von Landschaften oder Örtlichkeiten, bei denen ‘ im Traume noch die Sicherheit betont wird: Da war ich schon1 einmal. Dieses „De7'h ua“ hat aber im Traum eine besondere.

§ 872

Bedeutung. Diese Örtlichkeit ist dann immer das Genitale der Mutter; in der Tat kann man von keiner anderen mit solcher Sicherheit behaupten, daß man „dort schon einmal war“. Ein einziges Mal brachte mich ein Zwengsneurotiker durch die Mitteilung eines Traumes in Verlegenheit, in dem es hieß, er besuche eine Wohnung, in der er schon zweimal gewesen sei. Gerade dieser Patient hatte mir aber längere Zeit vorher als Begebenheit aus seinem sechsten Lebensjahre erzählt, er habe damals einmal das Bett der Mutter geteilt und die Gelegenheit dazu mißbraucht, den Finger ins Genitale der Schlafenden einzuführen.

§ 873

Einer großen Anzahl von Träumen, die häufig angsterfüllt sind, oft das Passieren von engen Räumen oder den Aufenthalt im Wasser zum' Inhalt haben, liegen Phantasien über das Intrauterinleben, das Verweilen im Mutterleibe und den Geburtsakt zugrunde. Im folgenden gebe ich den Traum eines jungen Mannes wieder, der in der Phantasie schon die intrauterine Gelegenheit zur Belauschung eines Koitus zwischen den Eltern benutzt.

§ 874

„Er befindet sich in einem tiefen Schacht, in dem ein Fenster ist wie im Semmeringmnnel. Durch dieses sieht er zuerst leere Landschaft und dann komponiert er ein Bild hinein, welches dann auch sofort da ist und die Leere ausfällt. Das Bild stellt einen Acker dar, der vom Imtrument rief aufgewühlt wird, und die schöne Luft, die Idee der gründlichen Arbeit, die dabei ist, die blauschwarzen Schollen machen einen xchänen Eindruck. Dann kommt er weiter, sieht eine Pädagogik aufgeschlagen . . . und wundert sich, daß den sexuellen Gefühlen (des Kindes) darin so viel Aufmerksamkeit geschenkt wird, wobei er an mich denken muß.“

§ 875

mit dem anderen um „ ein, am ein anderer lie erst heiraten will, was „im eigenen geheimen Ahlicht mlrpi-inht, und die feindseligen Wünsche gegen den Mann verbergen sich hinter demonstrativen Zärtlichkeiten, die aus der Erinnerung an seinen kindlichen Verkehr mit dem Vater dummen.

§ 876

§ 877

mo Ergänzungen zur Traumdeutung

§ 878

Ein schöner Wassertraum einer Patientin, der zu einer besonderen Verwendung in der Kur gelangte, ist folgender:

§ 879

In ihrem Sammeraufenlhalt am **See stürzt sie sich ins dunkle Wasser, dort, wo sich der klasse Mond im Wasser spiegelt.

§ 880

Träume dieser Art sind Geburtsträume; zu ihrer Deutung gelangt man, wenn man die im manifesten Traume mitgeteilte Tatsache umkehrl, also anstatt: sich ins Wasser stürzen, — aus dem Wasser herauskommen7 d, h.: geboren werden.‘ Die Lokalität, aus der man geboren wird, erkennt man, wenn man an den mutwilligen Sinn von „la lune“ im Französischen denkt. Der blasse Mond ist dann der weiße Pepe, aus dem das Kind hergekommen zu sein bald errät. Was soll es nun heißen, daß die Patientin sich wünscht, in ihrem Sommeraufentbalt „geboren zu werden“? Ich befrage die Träumerin, die ohne zu zögern antwortet: Bin ich nicht durch die Kur wie neugeboren? So wird dieser Traum zur Einladung, die Behandlung an jenem Sommerorte fcrtzusetzen, d. h. sie dort zu besuchen; er enthält vielleicht auch eine ganz schüchterne Andeutung des Wunsches, selbst Mutter zu werden.2

§ 881

Einen anderen Geburtstraum entnehme ich samt seiner Deutung einer Arbeit von E. Jones: „Sie stand am Meeresufer und beaufsichtlgte einen kleinen Knaben, welcher der ihrige zu sein schien, während er ins Wasser watete. Dies tat er so weit, bis das Wasser ihn bedeckte, so daß sie nur nach seinen Kopf sehen konnte, wie er sich an der Oberfläche auf und nieder bewegte. Die Szene verwandelte sich dann in die gefüllte Halle eines Hotels.

§ 882

;) Über die mytlmlogische Bedeutung der Wassergeburt siehe B n nix: Der Mytlius

§ 883

von der Geburt des Helden, 1909.

§ 884

z) Die Bedeutung der Phantasien und unbewullten Gedanken über das Leben im Mutterleibe habe ich erst spät würdigen gelernt. Sie: enthalten sowohl die Aufklärung fiir die snnderlmxe Angst sa vieler Menschen, lebendig begraben zu werden, als auch die tiefste unbewußte Begründung des Glaubens an ein Fortleben nach dem Tode, welches nur die Projektion in die Zukunft diem unheimlichen Lebens vnr der Geburt darstellt. Der Geburtsnkt ist übrigens d„ erste Angsterlebnis und somit Quelle und Vorbild des Angstaffekxel.

§ 885

§ 886

Zu Abschnitt VI 191

§ 887

Ihr Galle verließ sie und sie trat in ein Gespräßh mit einem Fremden.“

§ 888

„Die zweite Hälfte des Traumes enthüllte sich ohne weiteres bei der Analyse als Darstellung einer Flucht von ihrem Gatten und Anknüpfung intimer Beziehungen zu einer dritten Person. Der erste Teil des Traumes war eine ni‘fenkundige Geburtsphantasie. In den Träumen wie in der Mythologie wird die Ent-‘ bindung eines Kindes aus dem Fruchtwesser gewöhnlich mittels Umkehrung als Eintritt des Kindes ins Wasser dargestellt; neben ‘ vielen anderen bieten die Geburt des Adonis, Osiris, Moses und Bambus gut. bekannte Beispiele hiefür. Das Auf- und Niedertauchen des Kopfes im Wasser erinnert die Patientin sngleich an die Empfindung der Kindesbewegungen, welche sie während ihrer einzigen Schwangerschaft kennen gelernt hatte. Der Gedanke an den ins Wasser steigenden Knaben erweckt eine Träumerei, in welcher sie sich selbst sah, wie sie ihn aus dem Wasser herauszng, ihn in die Kinderstube führte, ihn wusch und kleidete und schließlich in ihr Haus führte“

§ 889

„Die zweite Hälfte des Treumes stellt also Gedanken dar, welche das Fortlaufen betreffen, das zu der ersten Hälfte der verborgenen Traumgedenken in Beziehung steht; die erste Hälfte des Traumes entspricht dem latenten Inhalt der zweiten Hälfte, der Geburtsphantasie. Außer der früher erwähnten Umkehrung greifen weitere Umkehrungen in jeder Hälfte des Traumes Platz. In der ersten Hälfte geht das Kind in das Wasser und dann baumelt sein Kopf; in den zugrunde liegenden Traumgedanken tauchen erst die Kindesbewegungen auf und dann verlä Et das Kind das Wasser (eine doppelte Umkehrung). In der zweiten Hälfte verläßt ihr Gatte sie; in den Traumgedanken verläßt sie ihren Gatten.“ (Übersetzt von 0. Bank.)

§ 890

Einen weiteren Geburtstraum erzählt Abraham von einer jungen, ihrer ersten Entbindung entgegensehenden Frau. Von einer Stelle des Fußbodens im Zimmer führt ein unterirdischer

§ 891

§ 892

111 Ergänzungen zur Traumdeutung

§ 893

Kanal direkt ins Wasser (Geburtsweg —— Fruchtwesser). Sie hebt eine Klappe im Fußboden auf und sogleich erscheint ein in einen bräunlichen Pelz gekleidetes Geschöpf, das beinahe einem Seehund gleicht. Dieses Wesen entpuppt sich als der jüngere Bruder der Träumerin, zu dem sie von jeher in einem mütterlichen Verhältnis gestanden hatte.

§ 894

Rank hat an einer Reihe von Träumen gezeigt, daß die Geburtsträume sich derselben Symbolik bedienen wie die Hamreizträume. Der erotische Reiz wird in ihnen als Harnreiz dargestellt; die Schichtung der Bedeutung in diesen Träumen entspricht einem Bedeutungswandel des Symbols seit der Kindheit.

§ 895

Wir dürfen hier auf das Thema zurückgreifen, das wir (Bd. II, S. 24.9) abgebrochen hatten, auf die Rolle organischer, schlafstörender Reize für die Traumbildung, Träume, die unter diesen Einflüssen zustande gekommen sind, zeigen uns nicht nur die Wunscherfüllungstendenz und den Bequemlichkeitschurakter ganz offen, sondern sehr häufig auch eine völlig durchsichtige Symbolik, da nicht selten ein Reiz zum Erwachen führt, dessen Befriedigung in symbolischer Einkleidung im Träume bereits vergeblich versucht werden war. Dies gilt für die Pollutionsträume wie für die durch Harn- und Stuhldrsng ausgelöslen. Der eigentümliche Charakter der Pollutionsträurne gestattet uns nicht nur, gewisse, bereits als typisch erkannte, aber doch heftig bestrittene Sexualsymbole direkt zu entlarven, sondern vermag uns auch zu überzeugen, daß manche scheinbar harmlose Traumsituation auch nur das symbolische Vorspiel einer grob sexuellen Szene ist, die jedoch meist nur in den relativ seltenen Pollutionsträumen zu direkter Darstellung gelangt, während sie oft genug in einen Angsttraum umschlägt, der gleichfalls zum Erwachen fiihrt.

§ 896

Die Symbolik der Harnreizträume ist besonders durchsichtig und seit jeher erraten worden. Schon Hippokrates vertrat die Auffassung, daß es eine Störung der Blase bedeutet, wenn

§ 897

§ 898

Zu Abrath VI 125

§ 899

man von Fontänen und Brunnen träumt (H. Ellis). Scherner hat die Mannigfaltigkeit der Harnreizsymbolik studiert und auch bereits behauptet, daß „der stärkere Harnreiz stets in die Reizung der Geschlechtssphäre und deren symbolische Gebilde umschlägt , . . Der Harnreiztraum ist oft der Repräsentant des Geschlechtstraumes zugleich.“

§ 900

O. Rank, dessen Ausführungen in seiner Arbeit über die „Symbolschich‘tung im Wecktraum“ ich hier gefolgt bin, hat es sehr wahrscheinlich gemacht, daß eine große Anzahl von „Harn— reizträumen“ eigentlich durch sexuellen Reiz verursacht werden, der sich zunächst auf dem Wege der Regression in der infenu'len Form der Urethralerotik zu befriedigen sucht. Besonders lehrteich sind dann jene Fälle, in denen der so hergestellte Harnreiz zum Erwachen und zur Blasenentleerung führt, worauf aber trotzdem der Traum fortgesetzt wird und sein Bedürfnis nun in unverhüllten erotischen Bildern äußert.‘

§ 901

In ganz analoger Weise decken die Darmreizträunie die dazugehörige Symbolik auf und bestätigen dabei den auch Völker— psychologisch reichlich belegten Zusammenhang von Gold und Kat.Z „So träumt z. B. eine Frau zur Zeit, da sie wegen einer Darmstörung in ärztlicher Behandlung steht, von einem Schatzgräber, der in der Nähe einer kleinen Holzhütte, die wie ein ländlicher Ahnrt aussieht, einen Schatz vergräbt. Ein zweiter Teil des Traumes hat zum Inhalt, wie sie ihrem Kind, einem kleinen Mäderl, das sich beschmutzt hat, den Hintern abwiscl'it.“

§ 902

i) „Die gleichen Symhald-nt-llungen, die im infantilen Sinne dem vnikllen. Traume zugrunde liegen, erlchainen irn ,rezanten‘ Sinne in exquilit „mimBedeutung: Wasser = Urin = Spa-ml = Gebumwnuer; Schiff = ,„niirm (ninieren) :Fruchtheh er (Knien); nlß wurdun=Enun =Koilul Grlvidi t; schwimmen = Urinfülle = „kmh-n der Ungeborenen; Regen = Urinxerern —- Befruchtungsryrnbol; Reisen (mim = Auueeigen) = Auf-„hen „. dem am = e:schlechtlich verkehren (,f—kreuz Hochzeiureüe); Urinieren = rexuelle Entleerung (Pollntion)“. (Rank 1. c.)

§ 903

2) Freud, Churakter und Andnotik; Rank, Die Syrnbollchichhing ulw. Bittner, Internat. Zeitschr. ;. rm. 1. .9i5; n.ik, Intemt. Zeitschr. nr, 1915'

§ 904

§ 905

1 „ Ergänzungen zur Traumdeutung

§ 906

Den Geburtsträumen schließen sich die Träume von „Rettungen“ an. Betten, besonders aus dem Wasser retten, ist gleichbedeutend mit gebären, wenn es von einer Frau geträumt wird, modifiziert aber diesen Sinn, wenn der Träumer ein Mann ist, (Siehe einen solchen Traum bei Pfister: Ein Fall von psychoanalytischer Seelsorge und Seelenheilung. Evangelische Frei— heit, 1909.) * Über das Symbol des „Rettens“ vgl. meinen Vor» trag: Die zukünftigen Chancen der psychoanalytischen Therapie. Zentralblatt f. Psychoanalyse, Nr. 1, 1910 (Ges. Schriften, Bd. VI), sowie: Beiträge zur Psychologie des Liebeslebens, I. Über einen besonderen Typus der Objektwahl beim Marine, Jahrbuch {. PsA., Bd. II, 1910 (Ges. Schriften, Ed. V).1

§ 907

Die Räuber, nächtlichen Einbrecher und Gespenster, vor denen man sich vor dem Zubettgehen fürchtet, und die auch gelegent» lich den Schlafenden heimsuchen, entstammen einer und derselben infantilen Reminiszenz, Es sind die nächtlichen Besucher, die das Kind aus dem Schlafe geweckt haben, um es auf den Topf zu setzen, damit es das Bett nicht nässe, oder die die Decke gehoben haben, um sorgsam nachzuschauen, wie es während des Schlafens die Hände hält. Aus den Analysen einiger dieser Angstträume habe ich noch die Person des nächtlichen Besuchers zur Agnoszierung bringen können. Der Räuber war jedesmal der Vater, die Gespenster werden wohl eher weiblichen Personen im weißen

§ 908

Nachtgewande entsprechen,

§ 909

29

§ 910

Zur Ausnützung der Worte in der Traurrdarszzllung:

§ 911

Daß zu Zwecken der Darstellung im Traume die Drthographie weit hinter dem Wortklang zurücktritt, wird uns nicht gerade wundemehmen, wenn sich z, B. der Reim ähnliche Freiheiten gestatten darf. In einem weitläufigen von Bank mitgeteilten

§ 912

1) Ferner Bank, Belege zur Rettungiphantasiu (Zentralblatt f. em., 1, 1910, p, 551); 1\ e i k, Zur Rettungssyrnholik (ebenda, p. 493]; B .—. nk, Die „Geburtsrettungi— phantasie“ in Traum und Dichtung (Internat. Zeitschr. f. m., 11, ,w),

§ 913

§ 914

z„ Abschnitt VI „5

§ 915

und sehr eingehend analysierten Traum eines jungen Mädchens wird erzählt, daß sie zwischen Feldern spazieren geht, wo sie schöne Gerste- und Kornähren abschneidet. Ein Iugendfreund kommt ihr entgegen, und sie will es vermeiden, ihn anzutreffen. Die Analyse zeigt, daß es sich um einen Kuß in Ehren handelt (Jahrb. 11, p. 491), Die Ähren, die nicht abgerissen, sondern abgeschnitten werden sollen, dienen in diesem Traum als solche und in ihrer Verdichtung mit Ehre, Ehrungen zur Darstellung einer ganzen Reihe von anderen Gedanken.

§ 916

Dafür hat die Sprache in anderen Fällen dem Traume die Darstellung seiner Gedanken sehr leicht gemacht, da sie über eine ganze Reihe von Worten verfügt, die ursprünglich bildlich und konkret gemeint waren und gegenwärtig im abgeblaßten, ahstrakten Sinne gebraucht werden. Der Traum braucht diesen Worten nur ihre frühere volle Bedeutung wiederzugeben oder in den Bedeutungswandel des Wortes ein Stück weit herabzusteigen. Z. B, es träumt jeinand, daß sein Bruder in einem Kasten steckt; bei der Deutungsarbeit ersetzt sich der Kasten durch einen „Schrank“ und der Traumgedanke lautet nun, daß dieser Bruder sich „einschränken“ solle, an seiner Statt nämlich. Ein anderer Träumer steigt auf einen Berg, von dem aus er eine ganz außerordentlich weite Aussicht hat. Er identifiziert sich dabei mit einem Bruder, der eine „Rundschau“ herausgibt, welche sich mit den Beziehungen zum fernsten Osten beschäftigt.

§ 917

In einem Traum des „Grünen Heinrich" wälzt sich ein übermütiges Pferd im schönsten Hafer, von dem jedes Korn aber „ein süßer Mandelkern, eine Bosine und ein neuer Pfennig“ ist, „zusammen in rote Seide gewickelt und mit einem Endchen Schweinsborste eingebunden“. Der Dichter (oder der Träumer) gibt uns sofort die Deutung dieser Traumdarstellung, denn das Pferd fühlt sich angenehm gekitzelt, so daß es ruft: Der Haf er sticht mich.

§ 918

§ 919

126 Ergänzungen zur Traumdeutung

§ 920

Besonders ausgiebigen Gebrauch vom Redensart- und Wortwitztraum macht (nach Henzen) die altnurdische Sagaliteratur, in der sich kaum ein Traumbeispiel ohne Doppelsinn oder Wortspiel findet.

§ 921

50 Beispiele mm Darstellungen: Manche dieser Darstellungen sind fast witzig zu nennen. Man hat den Eindruck, daß man sie niemals selbst ernten hätte,

§ 922

wenn der Träumer sie nicht mitzuteilen wüßte:

§ 923

I) Ein Mann träumt, man frage ihn nach einem Namen, an den er sich aber nicht besinnen könne. Er erklärt selbst7 das wolle heißen: Es fällt mit nicht im Traume ein.

§ 924

2) Eine Patientin erzählt einen Traum, in welchem alle handelnden Personen besonders groß waren. Das will heißen, setzt sie hinzu, daß es sich um eine Begebenheit aus meiner frühen Kindheit handeln muß7 denn damals sind mir natürlich alle Erwachsenen so ungeheuer groß erschienen. Ihre eigene Person trat in diesem Trauminhalt nicht auf,

§ 925

Die Verlegung in die Kindheit wird in anderen Träumen auch anders ausgedrückg indem Zeit in Raum übersetzt wird. Man sieht die betreffenden Personen und Szenen wie weit entfernt am Ende eines langen Weges oder so, als ob man sie mit einem verkehrt gerichteten Opemglas betrachten würde.

§ 926

}) Ein im Wachleben zu abstrakter und unbestimmter Ausdrucksweise geneigter Mann, sonst mit gutem Witz begeht, träumt in gewissem Zusammenbauge, daß er auf einen Bahr:th gehe, wie eben ein Zuér art/comme. Dann werde aber der Perron an den stehenden Zug angenähert, also eine absurde Umkehrung des wirklichen Vorganges. Dieses Detail ist auch nichts anderes als ein Index, der daran mahnt, daß etwas anderes im Traum

§ 927

§ 928

Zu Abschnüt VI 197

§ 929

inhalt umgekehrt werden solle. Die Analyse desselben Traumes führt zu Erinnerungen an Bilderbücher, in denen Männer dargestellt waren, die auf dem Kopfe standen und auf den Händen

§ 930

gingen.

§ 931

4) Derselbe Träumer berichtet ein anderes Mal vun einem kurzen Traum, der fast an die Technik eines Reims erinnert. Sein. Onkel gibt ihm im Automobil einen Kuß. Er fügt unmittelbar die Deutung hinzu, die ich nie gefunden hätte, das heiße: Autoerotism us. Ein Scherz im Wachen hätte ebenso lauten können.

§ 932

5) Der Träumer zieht eine Frau hinter dem Bett hervor. Das heißt: Er gibt ihr den Vorzug.

§ 933

6} Der Träumer sitzt als Offizier an einer Tafel dem Kaiser gegenüber: Er bringt sich in Gegensatz zum Vater.

§ 934

7} Der Träumer behandelt eine andere Person wegen einer Knachenbruches. Die Analyse erweist diesen Bruch als Darstellung eines Ehebruches u. dgl.

§ 935

8} Die Tageszeiten vertreten im Trauminhalt sehr häufig Lebenszeiten der Kindheit. So bedeutet 2. B. um '/46 Uhr früh bei einem Träumer das Alter von 5 Jahren 5 Monaten, den bedeutungsvollen Zeitpunkt der Geburt eines jüngeren Bruders.

§ 936

9) Eine andere Darstellung von Lebenszeiten im Trauma: Eine Frau geht mit zwei kleinen Mädchen, die 1‘/. Jahre auseinander Sl'nd. — Die Träumerin findet keine Familie ihrer Bekanntschaft, für die das zuträfe. Sie deutet selbst, daß beide Kinder ihre eigene Person darstellen, und daß der Traum sie mahnt, die beiden traumatischen Ereignisse ihrer Kindheit seien um soviel voneinander entfernt. (5‘lz und 4% Jahre.)

§ 937

§ 938

„& Ergärmungen zur Traumdeutung

§ 939

In} Es ist nicht zu verwundern, daß Personen, die in psychoanalytischer Behandlung stehen, häufig von dieser träumen und alle die Gedanken und Erwartungen, die sie erregt, im Traume ausdrücken müssen. Das für die Kur gewählte Bild ist in der Regel das einer Fahrt, meist im Automobil, als einem neuartigen und komplizierten Vehikel, im Hinweis auf die Schnelligkeit des Antomobils kommt dann der Spott des Behandelten auf seine Rechnung. Soll das „Unbewußte“ als Element der Wachgedanken im Traume Darstellung finden, so ersetzt es sich ganz zweckmäßigerweise durch „unterirdische“ Lokalitäten, die andere Male, ganz ohne Beziehung zur analytischen Kur, den Frauenleib oder den Mutterleib bedeutet hatten. „Unten“ im Traume bezieht sich sehr häufig auf die Genitalien, das gegensätzliche „oben“ auf Gesicht, Mund oder Brust. Mit wilden Tieren symbolisiert die Traumarbeit in der Regel leidenschaftliche- Triebe, sowohl die des Träumers als auch die anderer Personen, vor denen der Träumer sich fürchtet, also mit einer ganz geringfügigen Verschiebung die Personen selbst, welche die Träger dieser Leidenschaften sind. Von hier ist es nicht weit zu der an den Totemismus anklingenden Darstellung des gefürch— teten Vaters durch böse Tiere, Hunde, wilde Pferde. Man könnte sagen, die wilden Tiere dienen zur Darstellung der vom Ich gefürchteten, durch Verdrängung bekämpften Libido. Auch die Neurose selbst, die „kranke Person“, wird oft vom Träumer abgespalten und als selbständige Person im Traume veranschaulicht,

§ 940

11) (H. Sachs.) „Aus der ,Traumdeutung‘ wissen wir, daß die Traumarbeit verschiedene Wege kennt, um ein Wort oder eine Redewendung sinnlich-anschaulich darzustellen. Sie kann sich z. B. den Umstand, daß der darzustellende Ausdruck zweideutig ist, zunutze machen und, den Doppelsinn als ,Weiche‘ henutzend, statt der ersten, in den Traumgedanken vorkommenden Bedeutung die zweite in den manifesten Trauminhalt aufnehmen.

§ 941

§ 942

Zu Abschnitt VI mg

§ 943

Dies ist bei dem kleinen, im folgenden mitgeteilten Traume geschehen, und zwar unter geschickter Benutzung der dazu tauglichen rezenten Tageseindrücke als Darstellungsmaterial.

§ 944

Ich hatte am Traumtage an einer Erkältung gelitten und des— halb am Abend beschlossen, das Bett, wenn irgend möglich, während der Nacht nicht zu verlassen. Der Traum ließ mich scheinbar nur meine Tagesarbeit fortsetzen; ich hatte mich damit beschäftigt, Zeitungsausschnitte in ein Buch zu kleben, wobei ich bestrebt war, jedem Ausschnitt den passenden Platz anzuweisen. Der Traum lautete:

§ 945

,Ich bemühe mich, einen Ausschnitt in das Buch zu kleben,- er geht aber nicht auf die Seite, was mir großen Schmerz verursacht.‘

§ 946

Ich erwachte und mußte konstruieren, daß der Schmerz des Traumes als realer Leibschmerz andauere, der mich denn auch zwang, meinem Vorsatz untreu zu werden. Der Traum hatte mir als ,Hüter des Schlafes‘ die Erfüllung meines Wunsches, im Bette zu bleiben, durch die Darstellung der Worte ,er geht aber nicht auf die Seite‘ vorgetäuscht.“

§ 947

Man darf geradezu sagen, die Traumarbeit bediene sich zur visuellen Darstellung der Traumgedanken aller ihr zugänglichen Mittel, ob sie der Wachkritik erlaubt oder unerlaubt erscheinen mögen, und setzt sich dadurch dem Zweifel wie dem Gespött aller jener aus, die von Traumdeutung nur gehört und sie nicht selbst geübt haben. An solchen Beispielen ist besonders das Buch von Stekel, „Die Sprache des Traumes“ reich, doch vermeide ich es, von dort die Belege zu entnehmen, weil die Kritiklosigkeit und technische Willkür des Autors auch den nicht in Verurteilen Befangenen unsicher macht.

§ 948

12) Aus einer Arbeit von V. Tausk, Kleider und Farben im Dienste der Traumderstellung (Int. Zeitschr. f. PsA., II, 1914):

§ 949

Freud, m .

§ 950

§ 951

,50 Ergänzungen zur Traumdeutung

§ 952

a) A. träumt, er sehe seine frühere Gouvernante im schwarzen Lüsterkleid, das über dem Gesäß strafi anliegt. — Das heißt, er erklärt diese Frau für lüstern.

§ 953

b) C. sieht im Traum anf der X-er Landstraße ein Mädchen, von weißem Licht umflossen und mit einer weißen Bluse bekleidet.

§ 954

Der Träumer hat auf jener Landstraße mit einem Fräulein Weiß die ersten [ntimitäten ausgetauscht.

§ 955

0) Frau D. träumt, sie sehe den alten Blas el (einen 80jährigen Wiener Schauspieler) in voller Rüstung auf dem Divan liegen. Dann springt er über Tische und Stühle, zieht seinen Degen, sieht sich dabei im Spiegel und fuchtelt mit dem Degen in der Luft herum, als kämpr er gegen einen eingebildelen Feind.

§ 956

Deutung: Die Träumerin hat ein altes Blasenleiden. Sie liegt bei der Analyse auf dem Divan7 und wenn sie sich im Spiegel sieht, dann kommt sie sich insgeheim trotz ihrer Jahre und ihrer Krankheit noch sehr rüstig vor.

§ 957

13} Die „große Leistung“ im Träume.

§ 958

Der männliche Träume!“ sieht sich als gravides Weib im Bene liegend. Der Zustand wird ihm sehr beschwerlich. Er ruft aus: Da will ich doch lieber . . . (in der Analyse ergänzt er, nach einer Erinnerung an eine Pflegeperson: Steine klopfen). Hinter seinem Bett hängt eine Landkarte, deren unterer Rand durch eine Holzleiste gespannt erhalten wird. Er reißt diese Leiste llzrunter, indem er sie an beiden Enden packt, wobei sie aber nicht quer bricht, sondern in zwei Längshiilften zersplittert. Damit hat er sich erleichtert und auch die Geburt befördert.

§ 959

Er deutet ohne Hilfe das Herunterreißen der Leiste als eine große „Leistung“, durch welche er sich aus seiner unbehaglichen Situation (in der Kur) befreit, indem er sich aus seiner weiblichen Einstellung herausreißt . . . Das absurde Detail, daß

§ 960

§ 961

Zu Abschnitt VI 151

§ 962

die Holzleiste nicht nur bricht, sondern der Länge nach splittert, findet seine Erklärung, indem der Träumer erinnert, daß die Verdoppelung im Verein mit der Zerstörung eine Anspielung auf die Kastration enthält. Der Traum stellt sehr häufig die Kastration im trotzigen Wunschgegensatz durch das Vorhandensein von zwei Penissymbolen dar. Die „Leiste“ ist ja auch eine den Genitalien naheliegende Körperregion. Er fügt dann die Deutung zusammen, er überwinde die Kastrationsdrohung, welche ihn in die weibliche

§ 963

Einstellung gebracht hat.1

§ 964

14} In einer von mir französisch durchgeführten Analyse ist ein Traum zu deuten, in dem ich als Elefant erscheine. Ich muß natürlich fragen, wie ich zu dieser Darstellung komme. „Vous me trompez,“ antwortet der Träumen (trompe = Rüssel.)

§ 965

51

§ 966

Ein sondzrbarzr Kindertraum:

§ 967

Ich will mir nicht Versagen, hier noch einen Traum mit sonderbarem Inhalt einzuschalten, der auch noch als Kindertraum bemerkenswert ist und sich durch die Analyse sehr leicht auf— klärt. Eine Dame erzählt: Ich kann mich erinnern, daß ich als Kind wiederholt geträumt habe, der liebe Gott habe einen zugerpitzten Papier/zur auf dem Kap/e. Einen solchen Hut pflegte man mir nämlich sehr oft bei Tische aufzusetzen, damit ich nicht auf die Teller der anderen Kinder hinschauen könne, wie viel sie von dem betreffenden Gericht bekommen haben. Da ich gehört habe, Gott sei allwissend, so bedeutet der Traum, ich wisse alles auch trotz des aufgesetzten Hutes.

§ 968

52

§ 969

Ein anderer Zahlzntrnum:

§ 970

Einen anderen Zshlentraum, der durch durchsichtige Determb nierung oder vielmehr Überdeterminierung ausgezeichnet ist7 verdanke ich mitsamt seiner Deutung Herrn B. Dattner:

§ 971

wu Internat Zeitschr. f. PsA., IL, 1914, 90

§ 972

§ 973

i 59 Ergänzungen zur Traumdeutung

§ 974

„Mein Hausherr, Sicherheitswachmann in Magistratsdiensten, träumt, er stünde auf der Straße' Posten, was eine Wunscherfüllung ist. Da kommt ein Inspektor auf ihn zu, der auf dem Ringkragen die Nummer 22 WM 62 oder 26 trägt. Jedenfalls aber seien mehrere Zweier daraufgewesen. Schon die Zerteilung der Zahl 2262 bei der Wiedergabe des Traumes läßt darauf schließen, daß die Bestandteile eine gesonderte Bedeutung haben. Sie hätten gestern im Amt über die Dauer ihrer Dienstzeit gesprochen, fällt ihm ein. Ursache gab ein Inspektor, der mit 62 Jahren in Pension gegangen sei. Der Träumar hat erst 22 Dienstjahre und braucht noch 2 Jahre 2 Monate, um eine 90°/oige Pension zu erreiohan. Der Traum spiegelt ihm nun zuerst die Erfüllung eines langgehegten Wunsehes, den Inspektorsrang, vor. Der Vorgesetzte mit der 2262 auf dem Kragen ist er selbst, er versieht seinen Dienst auf der Straße, aueh ein Lieblingswunseh, hat seine 2 Jahre und 2 1Wonate abgedient und kann nun iuie der Ö2jährige Inspektor mit voller Pension, aus den) Arme scheiden.“

§ 975

55

§ 976

Zur Zerxtiieklung von Reden:

§ 977

In der gleichen Weise wie der Traum verführt auch die Neuruse. Ich kenne eine Patientin, die daran leidet7 daß sie Lieder oder Stücke von solchen unwillkürlich und widerwillig hört (halluziniert), ohne deren Bedeutung für ihr Seelenleben verstehen zu können. Sie ist übrigens gewiß nicht paranoisch. Die Analyse zeigt dann, daß sie den Text dieser Lieder mittels gewisser Lizenzen mißbräuchlich verwendet hat. „Leise, leise7 fromme Weise.“ Das bedeutet für ihr Unbewußtes: Fromme Waise, untl diese ist sie selbst. „0 du selige, 0 du fröhliche“ ist der Anfang

§ 978

:) Anulyun mi Anderen Zn'hlentzäumen sieh: bei 1 u n g, M „ ci ii n w . ki „. &. Dielelben letzen „fi selzr komplizierte Zahlcnopernlionen voraus, die nhex vom Trümmer mit verblüßmder Sicherheit vollzogen werden. VgL um}. Jon e I, „Über unhewußle Zl'hlenbehnndlung“ (Zentralhl. {. PsA., n, 1912. p. e4if.).

§ 979

§ 980

Zu Abschnitt VI 155

§ 981

eines Weibnachtsliedes; indem sie es nicht bis zu „Weihnachtszeit“ fortsetzt, macht sie daraus ein Brautlied u. dgl. —— Derselhe Entstellungsmechanismus kann sich übrigens auch ohne Halluzination im bloßen Einfall durchsetzen. Warum wird einer meiner Patienten von der Erinnerung an ein Gedicht heimgesucht, das er in jungen Jahren lernen mußte: „Nächtlich am Busento lispeln . , .?“ Weil sich seine Phantasie mit einem Stück dieses Zitats: „Nächtlich am Busen“ begnügt.

§ 982

Es ist bekannt, daß der parudistische Witz auf dieses Stückchen Technik nicht verzichtet hat. Die „Fliegenden Blätter“ brachten einst unter ihren Illustrationen zu deutschen „Klessikern“ auch ein Bild zum Schillerschen „Siegesfest“, zu dem das Zitat von zeitig abgeschlossen war.

§ 983

„Und des frisch erkämpften Weibes Freut sich der Am'd und strickt.“

§ 984

Fortsetzung: Um den Reiz des schönen Leibes Seine Arme hochbegliickt.

§ 985

54Zur Inschrth des Josefsdznkmals: Sie lautet richtig: Saluri publicue uizil nun din szd toms. Das Motiv der Fehlleistung: patriae für publicae hat Wittels

§ 986

wahrscheinlich zutreffend erraten.

§ 987

55

§ 988

Zu der! absurdm Träumen, besonder: von Toten:

§ 989

Die Häufigkeit, mit. welcher im Traume tote Personen wie lebend auftreten, handeln und mit uns verkehren, hat. eine ungebührliche Verwunderuug hervorgerufen und sonderbare Erklärungen erzeugt, aus denen unser Unverständnis für den Traum sehr auf—

§ 990

§ 991

154 Ergänzungtn zur Traumdeutung

§ 992

fällig erhellt. Und doch ist die Aufklärung dieser Träume eine sehr naheliegende. Wie oft kommen wir in die Lage, uns zu denken: Wenn der Vater noch leben würde, was würde er dazu sagen? Dieses Wenn kann der Traum nicht anders darstellen als durch die Gegenwart in einer bestimmten Situation. So träumt z. B. ein junger Mann, dem sein Großvater ein großes Erbe hinterlassen hat, bei einer Gelegenheit von Vorwurf wegen einer bedeutenden Geldausgabe, der Großvater sei wieder am Leben und fordere Rechenschaft von ihm. Was wir für die Auflehnung gegen den Traum halten, der Einspruch aus unserem besseren Wissen, daß der Mann doch schon gestorben sei, ist in Wirklichkeit der Trustgedanke, daß' der Verstorbene das nicht zu erleben brauchte, oder die Befriedigung darüber, daß er nichts mehr dreinzureden hat.

§ 993

Eine andere Art von Absurdität, die sich in Träumen von toten Angehörigen findet, drückt nicht Spott und Hohn aus, sondern dient der äußersten Ablehnung, der Darstellung eines verdränglen Gedankens, den man gerne als das Allemndenkbarste hinstellen möchte. Träume dieser Art erscheinen nur auflösbar, wenn man sich erinnert, daß der Traum zwischen Gewünschtem und Realem keinen Unterschied macht. So träumt 2. Bl ein Mann, der seinen Vater in dessen Krankheit gepflegt und unter dessen Tod schwer gelitten hatte, eine Zeit nachher folgenden unsinnigen Traum: Der Vater war wieder am Leben und sprach mit ihm wie sonst, aber (das Merkwürdige war), er war doch gestorben und wußte es nur nicht. Man versteht diesen Traum, wenn man nach „er war doch gestorben“ einsetzt: infolge des Wunsches de.» Träumers und zu „er wußte es nicht“ ergänzt: daß der Träumer diesen Wunsch hatte. Der Sohn hatte während der Krankenpflege wiederholt den Vater tot gewünscht, d. h. den eigentlich erbarmungsvollen Gedanken gehabt, der Tod möge doch endlich dieser Qual ein Ende machen. In der Trauer nach dem Tode wurde selbst dieser Wunsch des Mitleidens zum unbewußten Vorwurf, als ob er durch ihn wirklich beigetragen hätte, das

§ 994

§ 995

Zu Abschnitt VI 1 55

§ 996

Leben des Kranken zu verkürzen. Durch Erweckung der frühinfantilsten Begungen gegen den Vater wurde es möglich, diesen Vorwurf als Traum auszudrücken, aber gerade wegen der weltenweiten Gegensätzlichkeit zwischen dem Traumerreger und dem Tagesgedanken mußte dieser Traum so absurd ausfallen. (Vgl. hiezu: Formulierungen über die zwei Prinzipien des psychi schen Geschehens. Jahrbuch f. PsA., III, 1911. Ges. Schriften, Bd. V.)

§ 997

Die Träume von geliebten Toten stellen der Traumdeutung überhaupt schwierige Aufgaben, deren Lösung nicht immer befriedigend gelingt. Den Grund hiefür mag man in der besonders stark ausgeprägten Gefüblsambivalenz suchen, welche das Verhältnis des Träumers zum Toten beherrscht. Es ist sehr gewöhnlich, daß in solchen Träumen der Verstorbene zunächst als lebend behandelt wird, daß es dann plötzlich heißt, er sei tot, und daß er in der Fortsetzung des Traumes doch wieder lebt. Das wirkt verwirrend, Ich habe endlich erraten, daß dieser Wechsel von Tod und Leben die Gleichgültigkeit des Träumers darstellen soll („Es ist mir dasselbe, ob er lebt oder gestorben ist“). Natürlich ist diese Gleichgültigkeit keine reale, sondern eine gewünschte, sie soll die sehr intensiven, oft gegensätzlichen Gefühlseinstellungen des Träumers verleugnen helfen, und wird so zur Traumdarstellung seiner Ambivalenz. Für andere Träume, in denen man mit Toten verkehrt, hat oft folgende Regel orientierend gewirkt: Wenn im Traume nicht daran gemahnt wird, daß der Tote — tot ist, so stellt sich der Träumer dem Toten gleich, er träumt von seinem eigenen Tod. Die plötzlich im Traume auftretende Besinnung oder Verwunderung: Aber, der ist ja längst gestorben, ist eine Verwahrung gegen diese Gemeinschaft und lehnt die Todesbedeutung für den Träumer ab. Aber ich gestehe den Eindruck zu, daß die Traumdeutung Träumen dieses Inhaltes noch lange nicht alle ihre Geheimnisse ent» lockt hat.

§ 998

§ 999

156 Ergänzungen zur Traumdeutung

§ 1000

56

§ 1001

Das muß ich dem Doktor zrzählen:

§ 1002

Die noch im Traume enthaltene Mahnung oder der Vorsatz: Das muß ich dem Doktor erzählen, bei Träumen während der psychoanalytischen Behandlung entspricht regelmäßig einem großen Widerstand gegen die Beiehte des Traumes und wird nicht selten vom Vergessen des Traumes gefolgt.

§ 1003

5 7 Zu Marburg:

§ 1004

Schiller ist nicht in einem Marburg, sondern in Mar— bach geboren, wie jeder deutsche Gymnasiast weiß, und wie auch ich wußte. Es ist dies wieder einer jener Irrtümer (vgl. oben S. 59), die sich als Ersatz für eine absichtliche Verfa'lschung an anderer Stelle einschleichen, und deren Aufklärung ich in der „Psychopatholug-ie des Alltagslebens“ versucht habe.

§ 1005

58

§ 1006

Afl'zkte in einem Kindertraum:

§ 1007

Wenn ich nicht sehr irre, so zeigt der erste Traum, den ich von meinem 90 Monate alten Enkel erfahren konnte, den Tate bestand, daß es der Traumarheit gelungen ist, ihren Stoff in eine Wunscherfüllung zu verwandeln, während der dazugehörige Affekt sich auch im Schlafzustand unverändert durchsetzt. Das Kind mit in der Nacht vor dem Tage, an dem sein Vater ins Feld abrücken soll, heftig schluchzend: Papa, Papa—Behi, Das kann nur heißen: Papa und Bebi bleiben beisammen, während das Weinen den bevorstehenden Abschied aus:-kennt. Das Kind war damals sehr wohl imstande, den Begriff der Trennung auszudrücken. „Fort“ (durch ein eigentümlich betontes, lange gezogenes noeh ersetzt) war eines seiner ersten Worte gewesen, und es hatte mehrere Monate vor diesem ersten Traum mit all seinen Spielsachen „für!“ aufgeführt, was auf die früh

§ 1008

§ 1009

Zu Abschnitt V! 157

§ 1010

gelungene Selbstüberwindung, die Mutter {angehen zu lassen, zurückging. 59

§ 1011

Flaviz et dixsipati sum. Die Korrektur dieses Zitats siehe oben 8. 39.

§ 1012

40

§ 1013

Aflelttverkehrung und heuehlerise/xe Träume.

§ 1014

Ein ausgezeichnetes Beispiel einer solchen Affektverkehrung gibt ein von Ferenczi herichteter Traum:‘ „Ein älterer Herr wird bei Nacht von seiner Frau geweckt, die ängstlich darüber wurde, daß er im Schlafe so laut und unbändig lachte. Der Mann erzählte später, folgenden Traum gehabt zu haben: Ich lag in meinem Bene, ein bekannter Herr trat ein, ich wollte das Licht aufdrehen, konnte es aber nieht, versuchte es immer wieder, —— vergebens. Daraufhin stieg meine Frau aus dem Bene, um mir zu helfen, aber auch sie vermochte nichts auszuriehten; weil sie sich aber vor dem Herrn wegen ihres Neglige’s genierte, gab sie es schließlich auf und legte sich wieder ins Bett,- all dies war so komisßh, daß ich Mrüber fürchterlich lachen mußte. Die Frau sagte: ,Was laehst da, war lachst dar“, ich aber lachte nur weiter, bis ich erzuaehte. — Tags darauf war der Herr äußerst niedergeschlagen, hatte Kopfschmerzen, — vom vielen Lachen, das mich erschüttert hat, meinte er.“

§ 1015

„Analytisch betrachtet, schaut der Traum minder lustig aus. Der ,bekannte Herr‘, der eintritt, ist in den latenten Traumgedanken das am Vortage geweckte Bild des Todes als des ,großen Unbekannten‘. Der alte Herr, der an Arteriosklerose leidet, hatte am Vortage Grund, ans Sterben zu denken. Das unbändige Lachen vertritt die Stelle des Weinens und Schluchzens bei der Idee, daß er sterben muß. Es ist das Lebenslicht, das er nicht mehr null drehen kann. Dieser traurige Gedanke mag sich an vor kurzem

§ 1016

1) Internet. Zeitschr. ;. Ptyclmanalyse. IV, 1ng.

§ 1017

§ 1018

158 Ergänzungen zur Traumdeutung

§ 1019

beabsichtigte, aber mißlungene Beischlafversuche angeknüpft haben, bei denen ihm auch die Hilfe seiner Frau im Neglige' nichts half; er merkte, daß es mit ihm schon abwärts geht. Die Traumarbeit verstand es, die traurige Idee der Impotenz und des Sterbens in eine komische Szene und das Schluchzen in Lachen umzuwendeln.“

§ 1020

Es gibt eine Klasse von Träumen, die auf die Bezeichnung als „heuchlerische“ einen besonderen Anspruch haben und die Theorie der Wunscherfüllung auf eine harte Probe stellen. Ich wurde auf sie aufmerksam, als Frau Dr, M. Hilferding in der „Wiener Psychoanalytischen Vereinigung“ den in Nachstehendem abgedruckten Traumbericht Boseggers zur Diskussion brachte

§ 1021

R 0 segge r (in „Waldheimat“ II. Band) erzählt in der Geschichte „Fremd gemacht“ (p. 505): „Ich erfreue mich sonst eines gesunden Schlummers, aber ich habe die Ruhe von so mancher Nacht eingebüßt, ich habe neben meinem bescheidenen Studenten- und Literatendasein den Schatten eines veritabeln Schneiderlebens durch die langen Jahre geschleppt, wie ein Gespenst, ohne seiner los werden zu können.“

§ 1022

„Es ist nicht wahr, daß ich mich tagsüber in Gedanken so häufig und lebhaft mit meiner Vergangenheit beschäftigt hätte. Ein der Haut eines Philisters entsprungener Welt- und Himmels Stürmer hat anderes zu tun. Aber auch an seine nächtlichen Träume wird der flotte Bursche kaum gedacht haben; erst später, als ich gewohnt werden war, über alles nachzudenken oder auch, als sich der Philister in mir wieder ein wenig zu regen begann, fiel es mir auf, wieso ich denn , wenn ich überhaupt träumle — allemal der Schneidergesell’ war und daß ich solchergestalt schon so lange Zeit bei meinem Lehrmeister unentgeltlich in der Werkstatt arbeitete. Ich war mir, wenn ich so neben ihm saß und nähte und bügelte, sehr wohl bewußt, daß ich eigentlich nicht. mehr dorthin gehöre, daß ich mich als Städter mit anderen Dingen zu befassen habe; doch hatte ich stets Ferien, war stets

§ 1023

§ 1024

Zu Absvhm'tz VI 159

§ 1025

auf der Sommerfrische und so saß ich zur Aushilfe beim Lehrmeister. Es war mir oft gar unbehaglich, ich bedauerte den Verlust der Zeit, in welcher ich mich besser und nützlicher zu beschäftigen gewußt hätte. Vom Lehrmeister mußte ich mir mih unter, wenn etwas nicht ganz nach Maß und Schnitt ausfallen wollte, eine Rüge gefallen lassen; von einem Wuchenlnhn jedoch war gar niemals die Rede. Oft, wenn ich mit gekrümmtern Rücken in der dunkeln Werkstatt so dasaß, nahm ich mir vor, die Arbeit zu kündigen und mich fremd zu machen. Einmal tat ich’s sogar, jedoch der Meister nahm keine Notiz davon, und nächstens saß ich dach wieder bei ihm und nähte.“

§ 1026

„Wie mich nach solch langweiligen Stunden das Erwachen beglückte! Und da nahm ich mir vor, wenn dieser zudringliche Traum sich wieder einmal einstellen sollte, ihn mit Energie von mir zu werfen und laut auszurufen: es ist. nur Gaukelspiel, ich liege im Bette und will schlafen . .. Und in der nächsten Nacht saß ich doch wieder in der Schneiderwerkstatt.”

§ 1027

„So ging es Jahre in unheimlicher Regelmäßigkeit fort. Da war es einmal, als wir, der Meister und ich, beim Alpelhofer arbeiteten, bei jenem Bauern, wo ich in die Lehre eingetreten war, daß sich mein Meister ganz besonders unzufrieden mit meinen Arbeiten zeigte. ,Möcht' nur wissen, wo du deine Gedanken hast!‘ sagte er und sah mich etwas finster an. Ich dachte, das Ver— nünftigste wäre, wenn ich jetzt aufstünde, dem Meister bedeutete, daß ich nur aus Gefälligkeit bei ihm sei, und wenn ich dann davnnging. Aber ich tat es nicht. Ich ließ es mir gefallen, als der Meister einen Lehrling aufnahm und mir befahl, demselben auf der Bank Platz zu machen. Ich rückte in den Winkel und nähte. An demselben Tage wurde auch noch ein Geselle aufgenommen, bigott, es war der Böhm, der vor neunzelin Jahren bei uns gearbeitet hatte und damals auf dem Wege vom Wirtshause in den Bach gefallen war. Als er sich setzen wollte, war kein Platz da. Ich blickte den Meister fragend an, und dieser sagte zu mir:

§ 1028

§ 1029

„„ Ergänzungzn zur Traumdeutung

§ 1030

,Du hast ja doch keinen Schick zur Schneiderei, du kannst gehen, du bist fremd gemacht.‘ — So übermächtig war hierüber mein Schreck, daß ich erwachte.“

§ 1031

„Das Morgengrauen schimmerte zu den klaren Fenstern herein in mein trautes Heim. Gegenstände der Kunst umgeben mich; im stilvollen Bücherschrank han-te meiner der ewige Homer, der gigantische Dante, der unvergleichliche Shakespeare, der glorreiche Goethe — die Herrlichen, die Unsterblichen alle. Vom Nebenzimmer her klangen die hellen Stimmchen der erweckenden und mit ihrer Mutter schäkernden Kinder. Mir war zumute, als hätte ich dieses idyllisch süße, dieses friedensmilde und poesiereiche, helldurchgeistigte Leben, in welchem ich das beschauliche menschliche Glück so oft und tief empfand, von neuem wiedergefunden. Und doch wurmte es mich, daß ich mit der Kündigung meinem Meister nicht zuvorgekommen, sondern von ihm ebgedankt worden war.“

§ 1032

„Und wie merkwürdig ist mir das: Mit jener Nacht, da mich der Meister ,fremd gemacht‘ hatte, genieße ich Ruhe, träume nicht mehr von meiner in ferner Vergangenheit liegenden Schneiderzeit, die in ihrer Anspruchslosigkeit ja so heiter war und die doch einen so langen Schatten in meine späteren Lebensjahre hereingeworfen hat.“

§ 1033

In dieser Traumreihe des Dichters, der in seinen jungen Jahren Schneidergeselle gewesen war, fällt es schwer, das Welten der Wunscherfüllung zu erkennen. Alles Erfreuliche liegt im Tagesleben, während der Traum den gespenstigen Schatten einer endlich überwundenen unerfreulichen Existenz fortzuschleppen scheint. Eigene Träume von ähnlicher Art haben mich in den Stand gesetzt, einige Aufklärung über solche Träume zu geben. Ich habe als junger Doktor lange Zeit im chemischen Institut gearbeiteh ohne es in den dort erforderten Künsten zu etwas bringen zu können, und denke darum im Wachen niemals gern an diese unfruchtbere und eigentlich heschämende Episode meines Lernens Dagegen ist es, bei mir ein wiederkehrender Traum geworden,

§ 1034

§ 1035

Zu Abschnitt V] i4.1

§ 1036

daß ich im Laboratorium arbeite, Analysen mache7 Verschiedenes erlebe usw.; diese Träume sind ähnlich unbehaglich wie die Prüfungsträume und niemals sehr deutlich. Bei der Deutung eines dieser Träume wurde ich endlich auf das Wort „Analyse“ aufmerksam, das mir den Schlüssel zum Verständnis hat. Ich bin ja seither „Analytiker“ geworden, mache Analysen, die sehr gelobt werden, allerdings Psychoanalys en. Ich verstand nun: wenn ich auf diese Art von Analysen im Tagesleben stolz geworden bin, mich vor mir selbst rühmen möchte, wie weit ich es gebracht habe, hält mir nächtlicherweile der Traum jene anderen mißglückten Analysen vor, auf die stolz zu sein ich keinen Grund hatte; es sind Strafträume des Empurkömmlings, wie die des Schneidergesellen, der ein gefeierter Dichter geworden war. Wie wird es aber dem Traume möglich, sich in dem Konflikt zwischen Parveniistolz und Selbstkritik in den Dienst der letzteren zu stellen und eine vernünftige Warnung anstatt einer unerlaubten Wunscherfüllung zum Inhalt zu nehmen? Ich erwähnte schon, daß die Beantwortung dieser Frage Schwierigkeiten macht. Wir können erschließen, daß zunächst eine übermi'ztige Ehrgeizphantasie die Grundlage des Traumes bildete, an ihrer Statt ist aber ihre Dämpfung und Beschämung in den Trauminhalt gelangt. Man darf daran erinnern, daß es masochistische Tendenzen im Seelenleben gibt, denen man eine solche Umkehrung zuschreiben darf. Ich könnte nichts dagegen haben, wenn man diese Art von Träumen als Strafträume von den Wunscherfüllungsträumen abtrennte. Ich würde darin keine Einschränkung der bisher ver— tretenen Theorie des Traumes erblicken, sondern bloß ein sprachliches Entgegenknmmen für die Auflassung, welcher das Zusammenfallen von Gegensätzen fremdartig erscheint. Genaueres Eingehen auf einzelne dieser Träume läßt aber noch anderes erkennen. In dem undeutlichen Beiwerk eines meiner Laboratoriumstr'a'ume hatte ich gerade jenes Alter, welches mich in das düsterste und erfolgloseste Jahr meiner ärztlichen Laufbahn versetzte; ich hatte

§ 1037

§ 1038

„„ 'inzungßn zur Traumdeutung

§ 1039

noch keine Stellung und wußte nicht, wie ich mein Leben erhalten sollte, aber dabei fand sich plötzlich, daß ich die Wahl zwischen mehreren Frauen hatte, die ich heiraten sollte! Ich war also wieder jung und vor allem, sie war wieder jung, die Frau, die alle diese schweren Jahre mit mir geteilt hatte. Somit war einer der unablässig nagenden Wünsche des alternden Mannes als der unbewnßte Traumerreger verraten. Der in anderen psychischen Schichten tobende Kampf zwischen der Eitelkeit und der Selbstkritik hatte zwar den Trauminhalt bestimmt, aber der tiefer wur7.elnde Jugendwunsch hatte ihn allein als Traum möglich gemacht. Man sagt sich auch manchmal im Wachen: Es ist ja sehr gut heute, und es war einmal eine harte Zeit; aber es war doch schön damals; du warst ja nach so jung.

§ 1040

Eine andere Gruppe von Träumen, die ich bei mir selbst häufig gefunden und als heuchlerisch erkannt habe, hat zum Inhalt die Versöhnung mit Personen, zu denen die freundschaftlichen Be— ziehungen längst erloschen sind. Die Analyse deckt dann regelmäßig einen Anlaß auf, der mich auffordern könnte, den letzten Rest von Rücksicht auf diese ehemaligen Freunde beiseite zu setzen und sie wie Fremde oder wie Feinde zu behandeln. Der Traum aber gefällt sich darin, die gegensätzliche Relation ausA zumalen.

§ 1041

Bei der Beurteilung von Träumen, die ein Dichter mitteilt, darl man oft genug annehmen, daß er solche als störend empfundene und für unwesentlich erachtete Einzelheiten des Trauminhaltes von der Mitteilung ausgeschlossen hat. Seine Träume geben uns dann Rätsel auf, die bei exakter Wiedergabe des Trauminhaltes bald zu lösen wären.

§ 1042

0. Rank machte mich auch aufmerksam, daß im Grimmschen Märchen vom tapferen Schneiderlein oder „Sieben auf einen Streich“ ein ganz ähnlicher Traum eines Emparkü'mmlings erzählt wird. Der Schneider, der Heros und Schwiegersohn des Königs geworden ist, träumt eines Nachts bei der Prinzessin, seiner

§ 1043

§ 1044

{

§ 1045

Zu Abschnitt V] 145

§ 1046

Gemahlin, von seinem Handwerk; diese, mißtrauisch geworden, bestellt nun Bewaffnete für die nächste Nacht, die das aus dem Traum Gesprochene anhören und sich der Person des Träumers versichern sollen. Aber das Schneiderlein ist gewarnt und weiß jetzt den Traum zu korrigieren.

§ 1047

4.1

§ 1048

Zum Zusammentrzten der Afiektquellen:

§ 1049

Analog habe ich die außerordentlich starke Lustwirkung der tendenziäsen Witze erklärt.

§ 1050

42

§ 1051

Zu den Phantasien im Traum:

§ 1052

Ein gutes Beispiel eines solchen, durch Übereinanderlagerung' mehrerer Phantasien entstandenen Traumes habe ich im „Bruchstück einer Hysterieanalyse“ 1905 analysiert. Übrigens habe ich die Bedeutung solcher Phantasien für die Traumbildung unterschätzt, solange ich vorwiegend meine eigenen Träume bearbeitete, denen seltener Tagträume, meist Diskussionen und Gedankenkonflikte, zugrunde liegen. Bei anderen Personen ist die volle Analogie des nächtlichen Traumes rnit dem Tagtraume oft viel leichter zu erweisen. Es gelingt häufig bei Hysterischen eine Attacke durch einen Traum zu ersetzen; man kann sich dann leicht überzeugen, daß für beide psychische Bildungen die Tagtraumphantasie die nächste Vorstufe ist.

§ 1053

45

§ 1054

Zur scheinbaren Dauer des Trauma:

§ 1055

Unter den Träumen, welche Justine Tobovvolska in ihrer Dissertation über die scheinbare Zeitdauer im Traume gesammelt hat, erscheint mir jener der beweisendste, den Macario (1857) von einem Bühnendichter, Casimir Bonjour, berichtet.“ Dieser Mann wollte eines Abends der ersten Aufführung eines seiner

§ 1056

,) Tohowolsku,p, 53.

§ 1057

§ 1058

1 44 Ergänzungen zur Traumdeutung

§ 1059

Stücke beiwnhnen, war aber so ermüdet, daß er auf seinem Sitz hinter den Kulissen gerade in dem Momente einnickte, als sich der Vorhang hub. In seinem Schlaf machte er nun alle fünf Akte seines Stückes durch und beobachtete alle die versehiedenartigen Zeichen von Ergriffenheit, welche die Zuhörer bei den einzelnen Szenen äußerten. Nach der Beendigung der Vorstellung hörte er dann ganz selig, wie sein Name unter den lebhaftesten Beifalls» bezeigungen verkündet wurde. Plötzlich wachte er auf. Er wollte weder seinen Augen noch seinen Ohren trauen, die Vorstellung war nicht über die ersten Verse der ersten Szene hinausgekommen; er konnte nicht länger als zwei Minuten geschlafen haben. Es ist wohl nicht zu gewagt, für diesen Traum zu behaupten, daß das Durcharbeiten der fünf Akte des Bühnenstüekes und das Achten auf das Verhalten des Publikums bei den einzelnen Stellen keiner Neuproduktion während des Schlafes zu entstammen braucht sondern eine bereits vollzogene Phantasiearbeit in dem angegebenen Sinne wiederholen kann. Die Tobowolska hebt mit anderen Autoren als gemeinsame Charaktere der Träume mit beschleunigtem Vorstellungsablauf hervor, daß sie besonders kohärent erscheinen, gar nicht wie andere 'I‘räurne7 und daß die Erinnerung an sie weit eher eine summarische als eine detaillierte ist. Dies wären aber gerade die Kennzeichen, welche solchen fertigen, durch die. Traumarbeit angerührten Phantasien zukommen müßten, ein Schluß welchen die Autoren allerdings nicht ziehen.

§ 1060

ZUSATZKAPITEL B; Sekundäre Bearbeitung und funktionales Phänomen

§ 1061

Die sekundäre Bearbeitung ist jenes Moment der Traumarbeit, welches von den meisten Autoren bemerkt und in seiner Bedeutung gewürdigt worden ist. In heiterer Verbildlichung schildert H. E ll i 3 dessen Leistung (Einleitung, p. 10):

§ 1062

§ 1063

Zu Abschnitt VI 145

§ 1064

„Wir können uns die Sache tatsächlich so denken, daß das Schlafbewußtsein zu sich sagt: Hier kommt unser Meister, das Wachhewußtsein, der ungeheuer viel Wert auf Vernunft, Logik u. dgl. legt. Schnell! Faß die Dinge an, bringe sie in Ordnung, jede Anordnung genügt —— ehe er eintritt, um vom Schauplatze Besitz zu ergreifen.“

§ 1065

Die Identität dieser Arbeitsweise mit der des wachen Denkens wird besonders klar von Delacroix (p. 596) behauptet:

§ 1066

„Cette function d’interpre'tation n’est pas particuliére au réve; c’est le méme travail de coordination logique que nous faisons sur nos sensations pendant la Wille.“

§ 1067

], Sully vertritt dieselbe Auflassung. Ebenso Tobowolska:

§ 1068

„Sur ces sußcessians incahe'rentes d’hallucinalions, l’esprit s’efferne de faire le méme travail de coordination logiqu qa’il fait pendant la ueille sur les semations, Il relie entre elles par un lien imaginaire toutes ces images de'causues er bouche les e'carts trop grands qui se trouuaient entre elles“ (p. 9}).

§ 1069

Einige Autoren lassen diese ordnende und deutende Tätigkeit noch Während des Träumens beginnen und im Wachen fortgesetzt werden. So Paulhan (p. 54.7):

§ 1070

„Cependant ]”ai souvenz‘ pense’ qu’il pmwaz't y avair une certaine dzä"ormatian, ou plutät reforman'on da réue dans le Souvenir . . . La tendenße syste'mat'isante de l’ilnagination paurrait fort bien achener aprés le re’ueil ce qu’elle a e’bauche' pendant le sommez'l. De la ,forte, la >rapidite' re'elle de la pense'e serait augmente'e en apparence par les perfectionnements dus & l’imagination e'veille'e.“

§ 1071

Leroy et chowolska (p. 592):

§ 1072

„dam le réue, an contraire, l’interpre'lation et la coordination se font non sealement a l’aide des données du réue, mais erwore & l’aide de ßelles de la veille , . .“

§ 1073

Es konnte dann nicht ausbleiben, daß dieses einzig erkannte Moment der Traumbildung in seiner Bedeutung überschätzt wurde, so daß man ihm die ganze Leistung, den Traum geschaffen zu

§ 1074

Freud, m, ,„

§ 1075

§ 1076

146 Ergänzungen zur Traumdeutung

§ 1077

haben, zuschob. Diese Schöpfung sollte sich im Moment des Erwachens vollziehen, wie es Goblot und noch weitergehend Foucault annehmen, die dem Wachdenken die Fähigkeit zu« schreiben, aus den im Schlaf auftauchenden Gedanken den Traum zu bilden.

§ 1078

Leroy et Tobowolska sagen über diese Auffassung: „On a Cru pouuair placer le réuz au moment du reueil et ils ont attribue' & ht peme’e de la veillz la fonction de construire le réve avec le; images präsentzs ihn; la pense'e du sommeil.“

§ 1079

An die Würdigung der sekundären Bearbeitung schließe ich die eines neuen Beitrages zur Traumarbeit, den feinsinnige Beobachtungen von H. Silberer aufgezeigt haben. Silberer hat, wie an anderer Stelle erwähnt,1 die Umsetzung von Gedanken in Bilder gleichsam in flagranti erhascht, indem er sich in Zuständen von Müdigkeit und Schlaftrunkenheit zu geistiger Tätigkeit nötigte. Dann entschwand ihm der bearbeitete Gedanke und an seiner Statt stellte sich eine Vision ein, welche sich als der Ersatz des meist abstrakten Gedankens erwies. (Siehe die Beispiele S. 65.) Bei diesen Versuchen ereignete es sich nun, daß das auftauchende, einem Traumelement gleichzusetzende Bild etwas anderes darstellte als den der Bearbeitung harrenden Gedanken, nämlich die Ermüdung selbst, die Schwierigkeit oder Unlust zu dieser Arbeit, also den subjektiven Zustand und die Funktionsweise der sich mühenden Person anstatt des Gegenstandes ihrer Bemühung. Silberer nannte diesen bei ihm recht häufig eintretenden Fall das „funktionale Phänomen“ zum Unterschiede von dem zu erwartenden „materialen“.

§ 1080

„Z. B.: Ich liege eines Nachmittags äußerst schläfrig auf meinem Sofa, zwinge mich aber, über ein philosophisches Problem nach— zudenken, Ich suche nämlich die Ansichten Kants und Schopenhauers über die Zeit zu vergleichen. Es gelingt mir infolge meiner Schlaftrunkenheit nicht, die Gedankengänge beider neben

§ 1081

n Siehe Seite s..

§ 1082

§ 1083

z„ Abschnitt VI 147

§ 1084

einander festzuhalten, was zum Vergleich nötig wäre. Nach mehreren vergeblichen Versuchen präge ich mir noch einmal die Kantische Ableitung mit aller Willenskraft ein, um sie dann auf die Schopenhauersche Problemstellung anzuwenden. Hierauf lenke ich meine Aufmerksamkeit der letzteren zu; als ich jetzt auf Kant zurückgreifen will, zeigt es sich, daß er mir wieder ent— schwunden ist, vergebens hemühe ich mich, ihn von neuem hervorzuholen. Diese vergebliche Bemühung, die in meinem Kopf irgendwo verlegten Kant-Akten sogleich wiederzufinden, stellt sich mir nun bei geschlossenen Augen plötzlich wie im Traumbild als anschaulich-plastisches Symbol der: Ich verlange eine Auskunft man einem mürrischen Sekrelär, der, über einen Schreib— tisch gebengt, sich durch mein Drängen nicht stören läßt. Sich halb aufrichtend, blickt er mich unwillig und abweisend an.“ (Jehrb. I. p. 514.)

§ 1085

Andere Beispiele, die sich auf das Schminken zwischen Schlaf und Wachen beziehen:

§ 1086

„Beispiel Nr. 9. * Bedingungen: Morgens beim Erwachen. In einer gewissen Schlaftiefe (Dämmenustand) über einen vorherigen Traum nachdenkend, ihn gewissermaßen nach— und austräumend, fühle ich mich dem Wachbewußtsein näher kommend, ich will jedoch in dem Dämmenusbancl noch verbleiben.

§ 1087

Szene: Ich sehreite mit einem Fuß über einen Bach, ziehe ihn aber alsbald wieder zurück, trachte herüben zu bleiben.“ (Jahrb. III, p. 695.)

§ 1088

„Beispiel Nr. 6. —— Bedingungen wie im Beispiele Nr. 4.. (Er will noch ein wenig liegen bleiben, ohne zu versehlafen.) Ich will mich noch ein wenig dem Schlafe hingehen.

§ 1089

Szene: Ich uerabschiede mich von jemand und uereinbare mit ihm (oder ihr), ihn (sie) bald wieder zu trefien.“

§ 1090

Das „funktionale“ Phänomen, die „Darstellung des Zuständlichen anstatt des Gegenständlichen“, beobachtete Silberer wesentlich unter den zwei Verhältnissen des Einschlafens und des Auf—

§ 1091

„'

§ 1092

§ 1093

14.8 Ergänzungen zur Traumdmtung

§ 1094

wachens. Es ist leicht zu verstehen, daß nur der letztere Fall für die Traumdeutung in Betracht kommt. Silberer hat an guten Beispielen gezeigt, daß die Endstücke des manifesten Inhaltes vieler Träume, an die das Erwachen unmittelbar anschließt, nichts anderes darstellen als den Vorsatz oder den Vorgang des Erwachens selbst. Dieser Absicht dient: das Über» schreiten einer Schwelle („Schwellensymbolik“), das Verlassen eines Raumes, um einen anderen zu betreten, das Abreisen, Heimkommen, die Trennung von einem Begleiter, des Einmuchen in Wasser und anderes. Ich kann allerdings die Bemerkung nicht uiiterdrücken, daß ich die auf Schwellensymbolik zu beziehenden Elemente des Traumes in eigenen Träumen wie in denen der von mir analysierten Personen ungleich seltener angetroFfen habe, als man nach den Mitteilungen von Silberer erwarten sollte.

§ 1095

Es ist keineswegs undenkbar oder unwahrscheinlich, daß diese „Sehwellensymbolik“ auch für manche Elemente mitten im Zu? sammenhange eines Traumes aufklärend würde, z. B. an Stellen, wo es sich um Schwankungen der Schlaftiefe und Neigung, den Traum abzubrechen, handelte. Doch sind gesicherte Beispiele für dieses Vorkommen noch nicht erbracht. Häufige-r scheint der Fall der Überdeterminierung vorzuliegen, daß eine Traums‘telle, welche ihren materialen Inhalt aus dem Gefüge der Traumgedanken bezieht, überdies zur Darstellung von etwas Zuständlichem an der seelischen Tätigkeit verwendet wurde.

§ 1096

Das sehr interessante funktionale Phänomen Silberers hat ohne Verschulden seines Entdeckers viel Mißbrauch herbeigeführt, indem die alte Neigung zur abstrakt-symbolischen Deutung der Träume eine Anlehnung an dasselbe gefunden hat. Die Bevorzugung der „funktionalen Kategorie“ geht bei manchen so weit, daß sie vom funktionalen Phänomen sprechen, wo immer intel? lektuelle Tätigkeiten oder Gefühlsvorgänge im Inhalt der Traum? gedanken vorkommen, obwohl dieses Material nicht mehr und

§ 1097

§ 1098

Zu Abschnitt VI 14.9

§ 1099

nicht weniger Anrecht hat, als Tagesrest in den Traum einzugeben, als alles andere.

§ 1100

Wir wollen anerkennen, daß die Silbererschen Phänomene einen zweiten Beitrag zur Traumbildung von Seite des Wachdenkens darstellen, welcher allerdings minder konstant und bedeutsam ist als der erste, unter dem Namen „sekundäre Bearbeitung“ einr geführte. Es hatte sich gezeigt, daß ein Stück der bei Tage tätigen Aufmerksamkeit auch während des Schlafzustandes dem Traume zugewendet bleibt, ihn kontrolliert, kritisiert und sich die Macht vorhehält, ihn zu unterbrechen. Es hat uns nahe gelegen, in dieser wachgebliebenen seelischen Instanz den Zensur zu erkennen, dem ein so starker eindämmender Einfluß auf die Gestaltung des Traumes zutällt. Was die Beobachtungen von Silherer dazugeben, ist die Tatsache, daß unter Umständen eine Art von Selbstbeobachtung dabei mittätig ist und ihren Beitrag zum Trauminhalt liefert. Über die wahrscheinlichen Beziehungen dieser selbstbeobachtenden Instanz, die besonders bei philosophischen Köpfen vordringlich werden mag, zur endopsychischen Wahrnehmung, zum Beachtungswal‘m, zum Gewissen und zum Traumzensor geziemt es sich, an anderer Stelle zu handeln.‘

§ 1101

44

§ 1102

Traumgzdanken und Traumarbßit:

§ 1103

Ich fand es früher einmal so außerordentlich schwierig, die Leser an die Unterscheidung von manifestem Trauminhalt und latenten Traumgedanken zu gewöhnen. Immer wieder wurden Argumente und Einwendungen aus dem ungedeuteten Traum, wie ihn die Erinnerung bewahrt hat, geschöpft und die Forderung der Traumdeutung überhört. Nun da sich wenigstens die Analytiker damit befreundet haben, für den manifesten Traum seinen durch Deutung gefundenen Sinn einzusetzen, machen sich viele

§ 1104

;) Zur Einführung des Nmißmm. Jahrbuch der Plyclmanalyte VI, 1914. (Sex, Schriften, aa, vr.)

§ 1105

§ 1106

150 Ergänzungen zur Traumdeutung

§ 1107

von ihnen einer anderen Verwechslung schuldig, an der sie ebenso hartnäckig festhalten. Sie suchen das Wesen des Traumes in diesem latenten Inhalt und übersehen dabei den Unterschied zwischen latenten Traumgedanken und Traumarbeit. Der Traum ist im Grunde nichts anderes als eine besondere Form unseres Denkens, die durch die Bedingungen des Schlafzustandes ermöglicht wird. Die Traumarbeit ist es, die diese Form herstellt, und sie allein istdas Wesentliche am Traum, die Erklärung seiner Besonderheit, Ich sage dies zur Würdigung der berüchtigten „prospektiven Tendenz“ des Traumes. Daß der Traum sich mit den Lösungsversuchen der unserem Seelenleben vorliegenden Aufgaben beschäftigt, ist nicht merkwürdiger, als daß unser bewußtes Wachleben sich so beschäftigt, und fügt nur hiezu, daß diese Arbeit auch im Vorbewußten vor sich gehen kann, was uns ja bereits bekannt ist.

§ 1108

45 Hier folgten von der vierten Auflage (1914) an zwei Beiträge von Dr. Otto Rank „Traum und Dichtung“ und „Traum und Mythus“, denen die Aufnahme in eine Sammlung meiner Schriften natürlich versagt bleiben muß.

§ 1109

§ 1110

ERGÄNZUNGEN ZU ABSCHNITT VII „ZUR PSYCHOLOGIE DER TRAUMVORGÄNGE“

§ 1111

Zur Mamaßung Spittas:

§ 1112

Das Gleiche bei Foucault und Tannery.

§ 1113

9 Zur Detminierung: Vgl. Psychopathologie des Alltagslebens. 1. Aufl., 1901 u. 1904.. 10. Aufl. 1994. (Ges. Schriften, Bd. IV).

§ 1114

5 Das Mißtrauen der Psychoanalyse.

§ 1115

Der hier so peremptorisch aufgestellte Satz: „Was immer die Fortsetzung der Arbeit stört, ist ein Widerstand“, könnte leicht mißverstanden werden. Er hat natürlich nur die Bedeutung einer technischen Regel, einer Mahnung für den Analytiker. Es soll nicht in Abrede gestellt werden, daß sich während einer Analyse verschiedene Vorfälle ereignen können, die man der Absicht des Analysierten nicht zur Last legen kann. Es kann der Vater des Patienten sterben, ohne daß dieser ihn umgebracht hätte, es kann auch ein Krieg ausbrechen, der der Analyse ein Ende macht. Aber hinter der offenkundigen Übertreibung jenes Satzes steckt doch ein neuer und guter Sinn. Wenn auch das störende Ereignis

§ 1116

§ 1117

15! Ergänzungen zur Traumdeutung

§ 1118

real und vom Patienten unabhängig ist, so hängt es doch oftmals nur von diesem ab, wieviel störende Wirkung ihm eingeräumt wird, und der Widerstand zeigt sich unverkennbar in der bereitwilligen und übermäßigen Ausnützung einer solchen Gelegenheit.

§ 1119

4

§ 1120

Zur tendenziäsen Natur des Zweifeln: und Vergessens:

§ 1121

Als Beispiel für die Bedeutung von Zweifel und Unsicherheit im Traum bei gleichzeitigem Einschrumpfen des Trauminhaltes auf ein einzelnes Element entnehme ich meinen „Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse“ (1916) folgenden Traum, dessen Analyse nach kurzem zeitlichen Aufschub doch gelungen ist:

§ 1122

„Eine skeptische Patientin hat einen längeren Traum, in dem es vorkommt, daß ihr gewisse Personen von meinem Buche über den ‘,Witz‘ erzählen und es sehr loben. Dann wird etwas erwähnt von einem ,Kanal‘, vielleicht ein anderes Buch, in dem Kanal vorkommt, oder sonst etwas mit Kanal.g. sie weiß es nicht. . . es ist ganz unklar.

§ 1123

Nun werden Sie gewiß zu glauben geneigt sein, daß das Element ,Kanal‘ sich der Deutung entziehen wird, weil es selbst so unbestimmt ist. Sie haben mit der vermuteten Schwierigkeit recht, aber es ist nicht darum schwer, weil es undeutlich ist, sondern es ist “undeutlich aus einem anderen Grunde, demselben, der auch die Deutung schwer macht; Der Träumerin fällt zu Kanal nichts ein; ich weiß natürlich auch nichts zu sagen. Eine Weile später, in Wahrheit am nächsten Tage, erzählt sie, es sei ihr etwas eingefallen, was vielleicht dazu gehört. Auch ein Witz nämlich, den sie erzählen gehört hat. Auf einem Schiff zwischen Dover und Calais unterhält sich ein bekannter Schriftsteller mit einem Engländer, welcher in einem gewissen Zusammenhange den. Satz zitiert: Du sublime au ridicule il n’y a q_u’un pas. Der Schriftsteller antwortet: Qui, le pas de Calais,

§ 1124

§ 1125

Zu Abschnitt VII 155

§ 1126

womit er sagen will, daß er Frankreich großartig und England lächerlich findet. Der Pas de Calais ist aber doch ein Kanal, der Ännelkanal nämlich, Canal la Manche. Ob ich meine, daß dieser Einfall etwas mit dem Traum zu tun hat? Gewiß, meine ich, er gibt wirklich die Lösung des rätselhaften Traumelements. Oder wollen Sie bezweifeln, daß dieser Witz bereits vor dem Traum als das Unbewußte des Elements ,Kanal‘ vorhanden war, können Sie annehmen, daß er nachträglich hinzugefunden wurde? Der Einfall bezeugt nämlich die Skepsis, die sich bei ihr hinter aufdringlicher Bewunderung verbirgt, und der Widerstand ist wohl der gemeinsame Grund für beides, sowohl, daß ihr der Einfall so zögernd gekommen, als auch dafür, daß das entsprechende Traum— element so unbestimmt ausgefallen ist. Blicken Sie hier auf das Verhältnis des Traumelements zu seinem Unbewußten. Es ist wie ein Stückchen dieses Unbewußten, wie eine Anspielung darauf; durch seine Isolierung ist es ganz unverständlich geworden.“

§ 1127

5

§ 1128

Zu den Sprachirrtiimern im. Traum:

§ 1129

Solche Korrekturen im Gebrauche fremder Sprachen sind in Träumen nicht selten, werden aber häufiger fremden Personen zugeschoben. Maury (p.14.5) träumte einmal zur Zeit, da er Englisch lernte, daß er einer anderen Person die Mitteilung, er habe sie gestern besucht, mit den Worten machte: I called for you yesterday. Der andere erwiderte richtig: Es heißt: I called on you yesterday.

§ 1130

6

§ 1131

Zum nachträglichen Erinnern vergessener Träume:

§ 1132

E. Jones beschreibt den analogen, häufig vorkommenden Fall, daß während der Analyse eines Traumes ein zweiter derselben Nacht erinnert wird, der bis dahin vergessen war, ja nicht ein

§ 1133

mal vermutet wurde.

§ 1134

§ 1135

154. Ergänzungen zur Traumdeutung

§ 1136

7

§ 1137

Ein anderer Beweis für die Abhängigkeit der Traumvergessen: vom Widerstands:

§ 1138

Die psychoanalytische Erfahrung hat uns noch einen anderen Beweis dafür geschenkt, daß das Vergessen der Träume weit mehr vom Widerstand als von der Fremdheit zwischen dem Wachund dem Schlafzustand, wie die Autoren meinen, abhängt. Es ereignet sich mir wie anderen Analytikern und den in solcher Behandlung stehenden Patienten nicht selten, daß wir durch einen Traum aus dem Schlafe geweckt, wie wir sagen möchten, unmittelbar darauf im vollen Besitze unserer Denktätigkeit den Traum zu deuten beginnen. Ich habe in solchen Fällen oftmals nicht geruht, bis ich das volle Verständnis des Traumes gewonnen ’ hatte, und doch konnte es geschehen, daß ich nach dem Erwachen die Deutungsarbeit ebenso vollständig vergessen hatte wie den Trauminhalt, obwohl ich wußte, daß ich geträumt und daß ich den Traum gedeutet hatte. Viel häufiger hatte der Traum das Ergebnis der Deutungsarbeit mit in die Vergessenheit gerissen, als es der geistigen Tätigkeit gelungen war, den Traum für die Erinnerung zu halten. Zwischen dieser Deutungsarbeit und dem Wachdenken besteht aber nicht jene psychische Kluft, durch welche die Autoren das Traumvergessen ausschließend erklären wollen. — Wenn Morton Prince gegen meine Erklärung des Traumvergessens einwendet, es sei nur ein Spezialfall der Amnesie für abgespaltene seelische Zustände (dissocz'ated states), und die Un— möglichkeit, meine Erklärung für diese spezielle Amnesie auf andere Typen von Amnesie zu übertragen, mache sie auch für ihre nächste Absicht wertlos, so erinnert er den Leser daran, daß er in all seinen Beschreibungen solcher dissoziierter Zustände niemals den Versuch gemacht hat, die dynamische Erklärung für diese Phänomene zu finden. Er hätte sonst entdecken müssen, daß die Verdrängung (resp. der durch sie geschaffene Widerstand) ebensowohl die Ursache dieser Abspaltungen wie der Amnesie für ihren psychischen Inhalt ist.

§ 1139

§ 1140

Zu Abschnitt VII 155

§ 1141

8 Die Bedeutung von aus der Kinderza't bewuhrtcn Träuman

§ 1142

Träume, die in den ersten Kindheitsjahren vorgefallen sind und sich nicht selten in voller sinnlicher Frische durch Dezennien im Gedächtnis erhalten haben, gelangen fast immer zu einer großen Bedeutung für das Verständnis der Entwicklung und der Neurose des Träumers. Ihre Analyse schützt den Arzt gegen Irrtümer und Unsicherheiten, die ihn auch theoretisch verwirren

§ 1143

könnten.

§ 1144

9

§ 1145

Ablehnung irriger Behauptungen über die Traumdeutung.

§ 1146

Andererseits kann ich aber der Behauptung nicht beipflichten, die zuerst von H. Silberer aufgestellt werden ist, daß jeder Traum 4— oder auch nur zahlreiche, und gewisse Gruppen von Träumen — zwei verschiedene Deutungen erfordern, die sogar in fester Beziehung zu einander stehen. Die eine dieser Deutungen, die Silber-er die psychoanalytische nennt, gibt dem Traume einen beliebigen, zumeist infantil—sexuellen Sinn; die andere, bedeutsamere, von ihm die a n a g 0 g i s c h e geheißen, zeigt die ernsthafteren, oft tiefsinnigen, Gedanken auf, welche die Traumarbeit als Stoff übernommen hat. S i l b e r e r hat diese Behauptung nicht durch Mitteilung einer Reihe von Träumen, die er nach beiden Richtungen analysiert hätte, erwiesen. Ich muß dagegen einwenden, daß eine solche Tatsache nicht besteht. Die meisten Träume verlangen doch keine Überdeutung und sind insbesondere einer anagogischen Deutung nicht fähig. Die Mitwirkung einer Tendenz, welche die grundlegenden Verhältnisse der Traumhildung verschleiern und das Interesse von ihren Triebwurzeln ablenken möchte, ist bei der S i 1 b e r e r schen Theorie ebensowenig zu verkennen wie bei anderen theoretischen Bemühungen der letzten Jahre. Für eine Anzahl von Fällen konnte ich die Angaben von Silb ere r bestätigen; die Analyse zeigte

§ 1147

§ 1148

156 Ergänzungen zur Traumdeutung

§ 1149

mir dann, daß die Traumarbeit die Aufgabe vorgefunden hatte, eine Reihe von sehr abstrakten und einer direkten Darstellung unfähigen Gedanken aus dem Wachleben in einen Traum zu verwandeln. Sie suchte diese Aufgabe zu lösen, indem sie sich eines anderen Gedankenmaterials bemächtigte, welches in lockerer, oft. allegorisch zu nennender Beziehung zu den abstrakten Gedanken stand und dabei der Darstellung geringere Schwierig— keiten bereitete. Die abstrakte Deutung eines so entstandenen Traumes wird vom Träumer unmittelbar gegeben; die richtige Deutung des unterschobenen Materials muß mit den bekannten technischen Mitteln gesucht werden.

§ 1150

10

§ 1151

Zur Frage des Denkens ohne Zieluarstellungzn:

§ 1152

Ich bin erst später darauf aufmerksam gemacht werden, daß Ed. v. Hartmann in diesem psychologisch bedeutsamen Punkte die nämliche Anschauung vertritt: „Gelegentlich der Erörterung der Rolle des Unbewußten im künstlerischen Schafl'en (Philos. d. Unbew. Bd. I, Abschn. B, Kap. V) hat Eduard v. Hartmann das Gesetz der von unbewußten Zielvorstellungen geleiteten Ideen— assoziation mit klaren Worten ausgesprochen, ohne sich jedoch der Tragweite dieses Gesetzes bewußt zu sein. Ihm ist es darum zu tun, zu erweisen, daß ,jede Kombination sinnlicher Vorstellungen, wenn sie nicht rein dem Zufall anheimgestellt wird, sondern zu einem bestimmten Ziele führen soll, der Hilfe des Unbewußten bedarf“ und daß das bewußte Interesse an einer bestimmten Gedankenverbindung ein Antrieb für das Unbewußte ist, unter den unzähligen möglichen Vorstellungen die zweckentsprechende herauszufinden. ,Es ist das Unbewnßte, welches den Zwecken des Interesses gemäß wählt: und das gilt für die Ideenassoziation beim abstrakten Denken, als sinnlichen Vorstellen oder künstlerischemKombiuieren und beim witzigen Einfall. Daher ist eine Ein—

§ 1153

§ 1154

Zu Abschnitt VII 157

§ 1155

schränkung der Ideenassoziation auf die hervorrufende und die hervorgerufene Vorstellung im Sinne der reinen Assoziationspsychologie nicht aufrechtzuerhalten. Eine solche Einschränkung wäre ,nur dann tatsächlich gerechtfertigt, wenn Zustände im menschlichen Leben vorkommen, in denen der Mensch nicht nur von jedem bewußten Zweck, sondern auch von der Herr— schaft oder Mitwirkung jedes unbewußten Interesses, jeder Stimmung frei ist. Dies ist aber ein kaum jemals vorkommender Zustand, denn auch, wenn man seine Gedankenfolge anscheinend völlig dem Zufall anheimgibt, oder wenn man sich ganz den un willkürlichen Träumen der Phantasie überläßt, so walten doch immer zu der einen Stunde andere Hauptinteressen, maßgebende Gefühle und Stimmungen im Gemüt als zu der anderen, und diese werden allemal einen Einfluß auf die Ideenassoziation üben‘. (Philos. d. Unbew., 1 1. Aufl., I., 24.6.) Bei halbunbewußten Träumen kommen immer nur solche Vorstellungen, die dem augenblicklichen (unhewußten) Hauptinteresse entsprechen (a. a. O.). ‘Die Hervorhebung des Ein— flusses der Gefühle und Stimmungen auf die freie Gedankenfolge läßt nun das methodische Verfahren der Psychoanalyse auch vom Standpunkte der Hartmannschen Psychologie als durchaus gerechtfertigt erscheinen.“ (N. E. Pohorilles in Internat. Zeitschr. f. ärztl. PsA. I, 1 9 1 5, p. 605 f.) — D u Pr el schließt aus der Tatsache, daß ein Name, auf den wir uns vergeblich besinnen, uns oft plötzlich wieder unvermittelt einf'ällt, es gebe ein unbewußtes und dennoch zielgerichtetes Denken, dessen Resultat als— dann ins Bewußtsein tritt (Philos. d. Mystik, p. 1 07). 1 1

§ 1156

Zur „freien Assoziation" :

§ 1157

Vgl. hiezu die glänzende Bestätigung dieser Behauptung, die C. G. J u n g durch Analysen bei Dementia praecox erbracht hat. („Zur Psychologie der Dementia praecox“, 1 907.)

§ 1158

§ 1159

158 Ergänzlmgen zur Traumdeutung

§ 1160

19

§ 1161

Zur Rechgfertigung der Eillfallstechnik in der Psychoanalyse:

§ 1162

Die hier vorgetragenen, damals sehr unwahrscheinlich klingenden Sätze haben später durch die „diagnostischen Assoziationsstudien“ Jungs und seiner Schüler eine experimentelle Rechtfertigung und Verwertung erfahren.

§ 1163

15

§ 1164

Zur Bedingtheit des Bewußtseins:

§ 1165

Ich habe später gemeint, das Bewußtsein entstehe geradezu an Stelle der Erinnerungsspur. (Siehe zuletzt: Notiz über den Wunderblock, 1995, Ges. Schriften, Bd. VI.)

§ 1166

14

§ 1167

Zum Schema der psychischen Systeme.

§ 1168

Die weitere Ausführung dieses linear aufgerollten Schemas wird mit der Annahme zu rechnen haben, daß das auf wa folgende System dasjenige ist, dem wir das Bewußtsein zuschreiben müssen, daß also W = Bw.

§ 1169

15

§ 1170

Zur Regression:

§ 1171

Die erste Andeutung des Moments der Regression findet sich bereits bei Albertus Magnus. Die Imaginetio, heißt es bei ihm, baut aus den aufbewahrten Bildern der sinnfeilligen Objekte den Traum auf. Der Prozeß vollzieht sich umgekehrt wie im Wachen (nach Die pgen, p. 14.). — Hobbes sagt (im Leviathan, 1651): „In sum, our dreams are the reverse of our waiting imaginatians, the „nation, when we are awake, beginning az one end, and when we dream at another.“ (Nach 1-1. Ellis, p. 119.)

§ 1172

16 Regression und Verdrängung: In einer Darstellung der Lehre von der Verdrängung wäre auszuführen, daß ein Gedanke durch das Zusammenwirken zweier

§ 1173

§ 1174

Zu Abschnitt VII 159

§ 1175

ihn beeinflussenden Momente in die Verdrängung gerät. Er wird von der einen Seite (der Zensur des Bw) weggestoßen, von der anderen (dem Ubw) angezogen, also ähnlich wie man auf die Spitze der großen Pyramide gelangt. (Vgl. den Aufsatz „Die Ver— drängung“, Ges. Schriften, Bd. V.)

§ 1176

17

§ 1177

Weiterer über die Regression:

§ 1178

Über die Regression wollen wir noch bemerken, daß sie in der Theorie der neurotischen Symptombildung eine nicht minder wichtige Rolle wie in der des Tranmes spielt. Wir unterscheiden dann eine dreifache Art der Regression: a) eine topische im Sinne des hier entwickelten Schemas der «],—Systeme, b) eine zeitliche, insofern es sich um ein Rückgreifen auf ältere psychische Bildungen handelt, und c) eine formale, wenn primitive Ausdrucks- und Darstellungsweisen die gewohnten ersetzen. Alle drei Arten von Regression sind aber im Grunde eines und trefl‘en in den meisten Fällen zusammen, denn das zeitlich ältere ist zugleich das formal primitive und in der psychischen Topik dem. Wahrnehmungsende nähere.

§ 1179

Wir können auch das Thema der Regression im Traume nicht verlassen, ohne einem Eindruck Worte zu leihen, der sich uns bereits wiederholt aufgedrängt hat, und der nach einer Vertiefung in das Studium der Psychoneurosen neuerdings verstärkt zurück— kehren wird: Das Träumen sei im ganzen ein Stück Regression zu den frühesten Verhältnissen des Träumers, ein Wiederbeleben seiner Kindheit, der in ihr herrschend gewesenen Triebregungen und verfügbar gewesenen Ausdrucksweisen. Hinter dieser individuellen Kindheit wird uns dann ein Einblick in die phylogene— tische Kindheit, in die Entwicklung des Menschengeschlechts, versprochen, von der die des einzelnen tatsächlich eine abgekürzte, durch die zufälligen Lebensumstände beeinflußte Wiederholung ist. Wir ahnen, wie treffend die Worte Fr. Nietzsches sind,

§ 1180

§ 1181

160 Ergänzungm zur Traumdeutung

§ 1182

daß sich im Traume „ein uraltes Stück Menschtum fortübt, zu dem man auf direktem Wege kaum mehr gelangen kann“, und werden zur Erwartung veranlaßt, durch die Analyse der Träume zur Kenntnis der archaischen Erbschaft des Menschen zu kommen, das seelisch Angebotene in ihm zu erkennen. Es scheint, daß Traum und Neurose uns mehr von den seelischen Alter— tümern bewahrt haben, als wir vermuten konnten, so daß die Psychoanalyse einen hohen Rang unter den Wissenschaften beanspruchen darf, die sich bemühen, die ältesten und dunkelsten Phasen des Menschheitsbeginnes zu rekonstruieren.

§ 1183

18 Weiteres über den Schlefzustwnd: Ein weiteres Eindringen in die Kenntnis der Verhältnisse des Schlafzustandes und der Bedingungen der Halluzination habe ich

§ 1184

in dem Aufsatz „Metapsychologische Ergänzung zur Traumlehre“ (Int. Zschr. f. PSA. IV, 1916/18, Ges. Schriften, Bd. V) versucht.

§ 1185

19

§ 1186

Die Verarbeitung unlm‘tuollen Materials und die Strafträume:

§ 1187

Vielleicht ist es zweckmäßig, dieselbe Frage auch in der Form einer Untersuchung zu behandeln, wie sich der Traum benirnmt, wenn ihm in den Traumgedanken ein Material geboten wird, das einer Wunscherfüllung durchwegs widerspricht, also begründete Sorgen, schmerzliche Erwägungen, peinliche Einsichten. Die Mannigfaltigkeit der möglichen Erfolge läßt sich dann folgender Art gliedern: a) Es gelingt der Traumarbeit, alle peinlichen Vorstellungen durch gegenteilige zu ersetzen und die dazugehörigen unlustigen Afl'ekte zu unterdrücken. Das ergibt dann einen reinen Befriedigungstraum, eine greifbare „Wunscherfüllung“, an der weiter nichts zu erörtern scheint. b) Die peinlichen Vorstellungen gelangen, mehr oder weniger abgeändert, aber doch gut kenntlich, in den manifesten Trauminhalt. Dies ist der Fall, der die Zweifel

§ 1188

§ 1189

Zu Abschnitt VII 1 61

§ 1190

an der Wunschtheorie des Traumes weckt und weiterer Untersuchung bedarf. Solche Träume peinlichen Inhalts können entweder indifferent empfunden werden oder auch den ganzen peinlichen Affekt mitbringen, der durch ihren Vorstellungsinhalt gerecht— fertigt scheint, oder selbst unter Angstentwicklung zum Erwachen führen.

§ 1191

Die Analyse weist dann nach, daß auch diese Unlustträume Wunscherfüllungen sind. Ein nnbewußter und verdrängter Wunsch, dessen Erfüllung vom Ich des Träumers nicht anders als peinlich empfunden werden könnte, hat sich der Gelegenheit bedient, die ihm durch das Besetztbleiben der peinlichen Tagesreste geboten wird, hat ihnen seine Unterstützung geliehen und sie durch diese traumfähig gemacht. Aber während im Falle a der unbewußte Wunsch mit dem bewußten zusammenfie], wird im Falle b der Zwiespalt zwischen dem Unbewußten und dem Bewußten — dem Verdrängten und dem Ich —- hloßgelegt, und die Situation des Märchens von den drei Wünschen, welche die Fee dem Ehepaar freigibt, verwirklicht (s. unten S. 168). Die Befriedigung über die Erfüllung des verdräng'ten Wunsches kann so groß ausfallen, daß sie den an den Tagesresten hängenden peinlichen Affekten das Gleichgewicht hält; der Traum ist dann in seinem Gefühlston indifferent, obwohl er einerseits die Erfüllung eines Wunsches, anderseits die einer Befürchtung ist. Oder es kann geschehen, daß das schlafende Ich einen noch ausgiebigeren Anteil an der Traumbildung nimmt, daß es auf die zustande gekommene Befriedigung des verdrängten Wunsches mit einer heftigen Empörung reagiert und selbst dem Traume unter Angst ein Ende macht. Es ist also nicht schwer zu erkennen, daß die Unlust— und die Angstträume im Sinne der Theorie ebensosehr Wunscherflillungen sind wie die glatten Befriedigungsträume.

§ 1192

Unlustträume können auch „Strafträume“ sein. Es ist zuzugeben, daß man durch ihre Anerkennung zur Theorie des Traumes in gewissem Sinne etwas Neues hinzufügt. Was durch

§ 1193

Freud, III 11

§ 1194

§ 1195

162 Ergänzungen zur‘ Traumdeutung

§ 1196

sie erfüllt wird, ist gleichfalls ein unbewußter Wunsch, der nach einer Bestrafung des Träumers für eine verdrängte unerlaubte Wunschregung. Insofern fügen sich die Träume der hier vertretenen Forderung-, daß die Triebkraft zur Traumbildung von einem dem Unhewußten “angehörigen Wunsche beigestellt werden müßte. Eine feinem psychologische Zergliederung läßt aber den Unter— schied von- den anderen Wunschträumen erkennen. In den Fällen der Gruppe 17 gehörte der unbewußte, traumbildende Wunsch dem Verdrängten an, bei den Strafträumen ist es gleichfalls ein unbewußter Wunsch, den wir aber nicht dem Verdrängten, sondern dem „Ich“ zurechnen -müssen. Die Strafträume weisen also auf die Möglichkeit einer noch weiter gehenden Beteiligung des Ichs an der Traumbildung hin. Der Mechanismus der Traumbildung wird überhaupt weit durchsichtiger, wenn man anstatt des Gegen— satzes von „Bewußt“ 'und „Unbewußt.“ den von „Ich“ und

§ 1197

E„Verdrängt“ einsetzt. Dies kann nicht ohne Rücksicht auf die

§ 1198

Vorgänge bei der Psychoneurose geschehen und ist darum in diesem Buche nicht durchgeführt worden. Ich bemerke nur, daß die Strafträurne nicht allgemein an die Bedingung peinlicher Tagesreste geknüpft sind; Sie entstehen vielmehr am leichtesten unter der gegensätzlichen Voraussetzung, daß die Tagesreste Gedanken befriedigender Natur sind, die aber unerlaubte Befriedigungen ausdrücken. Von diesen Gedanken gelangt dann nichts in den mariifesten Traum als ihr direkter Gegensatz, ähnlich wie es in den Träumen der Gruppe a der Fall war. Der wesentliche Charakter der Strafträume bliebe also, daß bei ihnen nicht der unhewußte Wunsch aus dem Verdrängten (dem System Ubw)

§ 1199

zum Traumbildner wird, sondern der gegen ihn reagierende,

§ 1200

dem Ich angehörige, wenn auch unhewußte (d. h. vorbewußte) Strafwunsch.

§ 1201

Ich will einiges von dem hier Vorgebrachten an einem eigenen Traum erläutern, vor allem die Art, wie die Traumarheit mit einem Tagesrest peinlicher Erwartungen verfährt:

§ 1202

§ 1203

Zu Abschnitt VII 165

§ 1204

„Undeutlicher Anfang. Ich sage meiner Frau, ich habe eine Nachricht für sie, etwas ganz Besonderes. Sie erschrickt und will nichts hören. Ich versichere ihr, im Gegenteil, etwas, was sie sehr freuen wird, und beginne zu erzählen, daß das Offizierskorps unseres Sohnes eine Summe Geldes geschickt hat ( )' 000 K:”), . . . etwas von Anerkennung . . . Verteilung . . . Dabei bin ,ich mit ihr in ein kleines Zimmer gegangen, wie eine Vorralskammer, um etwas herauszusuchen. Plötzlich sehe ich meinen Sohn erscheinen, er ist nicht in Uniform, sondern eher im enganlz'egenden Spartkostiim (wie ein Seehund?), mit kleiner Kappe. Er steigt auf einen Korb, der sich seitlich neben einem Kasten befindet, wie um etwas auf diesen Kasten zu legen.Ich rufe ihn an ,- keine Antwort. Mir scheint, er hat das Gesicht oder die Stirn verbunden, er richtet sich etwas im Munde, schiebt sich etwas ein. Auch haben seine Haare einen grauen SchimmerIch denke: Sollte er so erschöpft sein? Und hat er falsche Zähne? Ehe ich ihn wieder anrufen kann, erwache ich ohne Angst, aber mit Herzklopfen. Meine Nachtuhr zeigt die Stunde 2'/z.“

§ 1205

Die Mitteilung einer vollständigen Analyse ist auch diesmal unmöglich. Ich beschränke mich auf die Hervorhebung einiger entscheidender Punkte. Den Anlaß zum Traum hatten peinigende Erwartungen des Tages gegeben; von dem an der Front Kämpfenden waren wieder einmal Nachrichten durch länger als eine Woche ausgeblieben. Es ist leicht zu ersehen, daß im Traum— inhalt die Überzeugung Ausdruck findet, daß er verwundet oder gefallen ist. Zu Anfang des Traumes merkt man das energische Bemühen, die peinlichen Gedanken durch ihr Gegenteil zu ersetzen. Ich habe etwas Hocherfreuliches mitzuteilen, etwas von Geldsendung, Anerkennung, Verteilung. (Die Geldsumme stammt aus einem erfreulichen Vorkommnis in der ärztlichen Praxis, will also überhaupt vom Thema ablenken.) Aber diese Bemühung mißlingt. Die Mutter ahnt etwas Schreckliches und will mich nicht anhören. Die Verkleidungen sind auch zu dünn, überall schimmert die Beziehung zu dem, was unterdrückt werden soll, durch. Wenn

§ 1206

„'

§ 1207

§ 1208

164. Ergänzungen zur Traumdeutung

§ 1209

der Sohn gefallen ist, werden seine Kameraden seine Habseligkeiten zurückschicken; ich werde, was er hinterläßt, an die Geschwister und andere zu verteilen haben; Anerkennungen werden häufig dem Offizier nach seinem „Heldentod“ verliehen. Der Traum geht also daran, direkt zum Ausdruck zu bringen, was er zunächst verleugnen wollte, wobei sich die wunscherfüllende Tendenz noch durch Entstellungen bemerkbar macht. (Der Wechsel der Örtlichkeit im Traume ist wohl als Schwellensymbolik nach Silberer zu verstehen.) Wir ahnen freilich nicht, was ihm die dazu erforderliche Triebkraft leiht. Der Sohn erscheint aber nicht als einer der „fällt“, sondern als einer der „steigt“. Er ist ja auch ein kühner Bergsteiger gewesen. Er ist nicht in Uniform, sondern im Sportkostüm, d. h. an die Stelle des jetzt gefürchteten Unfalles ist ein früherer getreten, den er im Sport erlitten, als er auf einer Skitour fiel und sich den Oberschenkel brach. Aber die Art, wie er kostümiert ist, so daß er einem Seehund gleicht, erinnert sofort an einen Jüngeren, an unseren kleinen drolligen Enkel; das graue Haar mahnt an dessen vom Kriege arg hergenommenen Vater, unseren Schwiegersohn. Was soll das? Aber genug damit; die Örtlichkeit eine Speisekammer, der Kasten, von dem er sich etwas holen will (etwas darauflegen im Traum), das sind unverkennbare Anspielungen an einen eigenen Unfall, den ich mir zugezogen, als ich über zwei und noch nicht drei Jahre alt war. Ich stieg in der Speisekammer auf einen Schemel, um mir etwas Gutes zu holen, was auf einem Kasten oder Tisch lag. Der Schemel kippte um und traf mich mit seiner Kante hinter dem Unterkiefer. Ich hätte mir auch alle Zähne ausschlagen können. Eine Mahnung meldet sich dabei: Das geschieht dir recht, wie eine feindselige Regung gegen den wackeren Krieger. Die Vertiefung der Analyse läßt mich dann die versteckte Regung finden, die sich an dem gefürchteten Unfall des Sohnes befriedigen könnte. Es ist der Neid gegen die Jugend, den der Gealterte im Leben gründlich erstickt zu haben glaubt, und es

§ 1210

§ 1211

Zu Abschnitt VII 165

§ 1212

ist unverkennbar, daß gerade die Stärke der schmerzlichen Ergriffenheit, wenn ein solches Unglück sich wirklich ereignete, zu ihrer Linderung eine solche verdrängte Wunscherfüllung aufspürt. 20

§ 1213

Zur Einschränkung der vollen Regression:

§ 1214

Mit anderen Worten: es wird die Einsetzung einer „Realitäts— prüfung“ als notwendig erkannt.

§ 1215

2 1 Zur Vergleichung der Wunscherfüllung im Traum und im Wachlzben: Ich habe diesen Gedankengang an anderer Stelle (Formulierungen über die zwei Prinzipien des psychischen Geschehens, Ges. Schriften, Bd. V) weiter ausgeführt und als die beiden Prinzipien das Lust— nnd das Realitätsprinzip hingestellt.

§ 1216

99

§ 1217

Zur Wunscherfüllung durch neurotische Symptome:

§ 1218

Korrekter gesagt: Ein Anteil des Symptoms entspricht der unbewußten Wunscherfüllung, ein anderer der Reaktionsbildung gegen dieselbe.

§ 1219

\ 95

§ 1220

Zum Verhältnis von Traum und Symptom:

§ 1221

Hughlings Jackson hatte geäußert: Findet das Wesen des Traumes, und ihr werdet alles, was man über das Irresein wissen kann, gefunden haben. (Find out all about dreams and you will have found out all about insanity.)

§ 1222

94

§ 1223

Zur Wunscherfiillung bei Hysterie: Vgl. hiezu meine letzten Formulierungen der Entstehung hysterischer Symptome in dem Aufsatz „Hysterische Phantasien und ihre Beziehung zur Bisexualität“ 1908, Ges. Schriften, Bd. V.

§ 1224

§ 1225

166 Ergänzungen zur Traumdeutung

§ 1226

95

§ 1227

Das Wüszn um Schlafen und Träumen.

§ 1228

Dagegen gibt es Personen, bei denen die nächtliche Festhaltung des Wissens, daß sie schlafen und träumen, ganz offenkundig wird, und denen also eine bewußte Fähigkeit, des Traumleben zu lenken, eigen scheint. Ein solcher Träumer ist z. B. mit der Wendung, die ein Traum nimmt, unzufrieden, er bricht ihn, ohne aufzuwachen, ab und beginnt ihn von neuem, um ihn anders fortzusetzen, ganz wie ein populärer Schriftsteller auf Verlangen seinem Schauspiel einen glücklicheren Ausgang gibt. Oder er denkt sich ein anderes Mal im Schlafe, wenn ihn der Traum in eine sexuell erregende Situation versetzt hat: „Das will ich nicht weiter träumen, um mich in einer Pollution zu erschöpfen, sondern hehe es mir lieber für eine reale Situation auf.“

§ 1229

Der Marquis d’Hervey (Vaschide p. 159) behauptete, eine solche Macht über seine Träume gewonnen zu haben, daß er ihren Ablauf nach Belieben beschleunigen und ihnen eine ihm beliebige Richtung geben konnte. Es scheint, daß bei ihm der Wunsch zu schlafen einem anderen vorbewußten Wunsch Raum gegönnt hatte, dem, seine Träume zu beobachten und sich an ihnen zu ergötzen. Mit einem solchen Wunschvorsatz ist der Schlaf ebensowohl verträglich wie mit einem Vorbehalt als Bedingung des Erwachens (Ammenschlaf). Es ist auch bekannt, daß das Interesse am Traum bei allen Menschen die Anzahl der nach dem Erwachen erinnerten Träume erheblich steigert.

§ 1230

Über andere Beobachtungen von Lenkung der Träume sagt Ferenczi: „Der Traum bearbeitet den das Seelenleben gerade beschäftigentlen Gedanken von allen Seiten her, läßt das eine Traumbild bei drohender Gefahr des Mißlingens der Wunscherfüllung fallen, versucht es mit einer neuen Art der Lösung, bis es ihm. endlich gelingt, eine die beiden Instanzen des Seelenlebens kompromissuell befriedigende Wunscherfüllung zu schaffen.“

§ 1231

§ 1232

Zu Abschnitt VII 167

§ 1233

9 6 Zur Traumfunktivn .

§ 1234

Ist dies die einzige Funktion, die wir dem Traume zugestehen können? Ich kenne keine andere. A. Maeder hat zwar den Versuch gemacht, andere, „sekundäre“, Funktionen für den Traum in Anspruch zu nehmen. Er ging von der richtigen Beobachtung aus, daß manche Träume Lösungsversuche von Konflikten enthalten, die späterhin wirklich durchgeführt werden, sich also wie Vorübungen zu Wachtätigkeiten verhalten. Er brachte darum das Träumen in Parallele zu dem Spielen der Tiere und der Kinder, welches als vorübende Betätigung mitgebrachter Instinkte und als Vorbereitung für späteres ernsthafte's Tun aufzufassen ist, und stellte eine function ludique des Träumens auf. Kurze Zeit vor Mae d e r war die „vorausdenkende“ Funktion des Traumes auch von Alf. Adler betont worden. (In einer von mir 1905 veröffentlichten Analyse wurde ein als Vorsatz aufzufassender Traum jede Nacht bis zu seiner Ausführung wiederholt.)

§ 1235

Allein eine leichte Überlegung muß uns lehren, daß diese „sekundäre“ Funktion des Traumes im Rahmen einer Traum— deutung keine Anerkennung verdient. Das Vorausdenken, Fassen von Vorsätzen, Entwerfen von Iösungsversuchen, die dann eventuell im Wachleben verwirklicht werden können, dies und viel anderes sind Leistungen der unbewußten und vorbewußten Tätigkeit des Geistes, welche sich als „Tagesrest“ in den Schlafzustand fortsetzen und dann mit einem unbewußten Wunsch (siehe Bd. II, S. 4.71 f.) zur Traumhildung zusammentreten kann. Die vorausdenkende Funktion des Traumes ist also vielmehr eine Funktion des vorbewußten Wachdenkens, deren Ergebnis uns durch die Analyse der Träume oder auch anderer Phänomene verraten werden kann. Nachdem man so lange den Traum mit seinem manifesten Inhalt zusammenfallen ließ, muß man sich jetzt auch davor hüten, den Traum mit den latenten Traumgedanken zu

§ 1236

verwechseln.

§ 1237

§ 1238

168 Ergänmngen zur Traumdeutung

§ 1239

97

§ 1240

Zur Theorie des Angsttraumes:

§ 1241

„Ein zweites, weit Wichtigeres und tiefer reichendes Moment, welches der Laie gleichfalls vernachlässigt, ist das folgende. Eine Wunscherfüllung müßte gewiß Lust bringen, aber es fragt sich auch, wem? Natürlich dem, der den Wunsch hat. Vom Träumer ist. uns aber bekannt, daß er zu seinen Wünschen ein ganz besonderes Verhältnis unterhält. Er verwirft sie, zensuriert sie, kurz, er mag sie nicht. Eine Erfüllung derselben kann ihm also keine Lust bringen, sondern nur das Gegenteil davon. Die Erfahrung zeigt dann, daß dieses Gegenteil, was noch zu erklären ist, in der Form der Angst auftritt. Der Träumer kann also in seinem Verhältnis zu seinen Traumwünschen nur einer Summation von zwei Personen gleichgestellt werden, die doch durch eine starke Gemeinsamkeit verbunden sind. Anstatt aller weiteren Ausführungen biete ich Ihnen ein bekanntes Märchen, in welchem Sie die nämlichen Beziehungen wiederfinden werden: Eine gute Fee verspricht einem armen Menschenpaer, Mann und Frau, die Erfüllung ihrer drei ersten Wünsche. Sie sind selig und nehmen sich vor, diese drei Wünsche sorgfältig auszuwählen. Die Frau läßt sich aber durch den Duft von Bratwürstchen aus der nächsten Hütte verleiten, sich ein solches Paar Würstchen herzuwünschen. Flugs sind sie auch da.; das ist die erste Wunscherl'üllung. Nun wird der Mann böse und wünscht in seiner Erbitterung, daß die Würste der Frau an der Nase hängen mögen. Das vollzieht sich auch und die Würste sind von ihrem neuen Standort nicht wegzuhringen; das ist nun die zweite Wunscherfüllung, aber der Wunsch ist der des Mannes; der Frau ist diese Wunscherfüllung sehr unangenehm. Sie wissen, wie es im Märchen weitergeht. Da die beiden im Grunde doch eines sind, Mann und Frau, muß der dritte Wunsch lauten, daß die Würstchen von der Nase der Frau weggehen mögen. Wir könnten dieses Märchen noch mehrmals in anderem Zusammenhange verwerten; hier diene es uns

§ 1242

§ 1243

Zu Abschnitt VII 169

§ 1244

nur als Illustration der Möglichkeit, daß die Wunscherfflllung des einen zur Unlust für den anderen führen kann, wenn die beiden miteinander nicht einig sind.“ (Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, XIV, Ges. Schriften, Bd. VII.)

§ 1245

98 Zu den Angstzräumzn der Kinder: Dieses Material ist seither von der psychoanalytischen Literatur in reichlichem Ausmaß heigestellt werden.

§ 1246

29 Einschaltung in die Überschau der Übereimtimmungen mit den Autoren: Die Behauptung von S ully, „der Traum bringe unsere früheren sukzessive entwickelten Persönlichkeiten wieder, unsere alte Art, die Dinge anzusehen, Impulse und Reaktionsweisen, die uns vor langen Zeiten beherrscht haben“, konnten wir im vollen Umfange zu der unsrigen machen. 50 Flectere si nequeo Superos Acheronza movebo: Nach diesem Vers Ve rgils, der das Streben der verdrängten Triebregungsn andeuten soll, habe ich den Satz hingestellt: Die Traum deutung aber ist die Via regia zur Kenntnis des Unbew‘ußten im S'eelenleben.

§ 1247

51 Zusatz zur Anmerkung:

§ 1248

Diese und weitere Aufsätze über Vergessen, Versprechen, Ver— greifen usw. sind seither als „Psychopathologie des Alltagslebens“ gesammelt erschienen (1904., 10. Aufl. 1924. Ges. Schriften, Bd. X.)

§ 1249

59

§ 1250

Zum Ersatz einer topischen Voritellung durch eine dynamische:

§ 1251

Diese Auffassung erfuhr eine Ausgestaltung und Abänderung, nachdem man als den wesentlichen Charakter einer vorbewußten

§ 1252

§ 1253

170 Ergänzungen zur Traumdeutung

§ 1254

Vorstellung die Verbindung mit Wortvorstellungsresten erkannt hatte (Das Unbewußte 1915, Ges. Schriften, Bd. V).

§ 1255

55 Zur Rechtfertigung der Annahme des Unbewußten:

§ 1256

' Ich freue mich, auf einen Autor hinweisen zu können, der aus dem Studium des Traun-ms den nämlichen Schluß über das Verhältnis der bewußten zur unbewußten Tätigkeit gezogen hat.

§ 1257

Du Prel sagt: „Die Frage, was die seele ist, erheischt offenbar eine Voruntersuchung darüber, ob Bewußtsein und Seele identisch seien. Gerade diese Vorfrage nun wird vom Traume verneint, welcher zeigt, daß der Begriff der Seele über den des Bewußtseins hinausragt, wie etwa die Anziehungskraft eines Gestims über seine Leuchtsphäre“ (Philos. d. Mystik, p. 47).

§ 1258

„Es ist eine Wahrheit, die man nicht ausdrücklich genug hervo‘rheben kann, daß Bewußtsein und Seele nicht Begriffe von gleicher Ausdehnung sind“ (p. 506).

§ 1259

54 Der Traum als Form des Ausdrucks von im Wachen unterdrückten

§ 1260

Regungen: Vgl. hiezu den (oben S. 18) mitgeteilten Traum (Em-tupog)

§ 1261

Alexanders des Großen bei der Belagerung von Tyrus.

§ 1262

56

§ 1263

Zur Frage der psychischen Realität:

§ 1264

Hat man die unbewußten Wünsche, auf ihren letzten und wahrsten Ausdruck gebracht, vor sich, so muß man wohl sagen, daß die psychische Realität eine besondere Existenszrm ist, welche mit der materiellen Realität nicht verwechselt werden soll. Es erscheint dann ungerechtfertigt, wenn die Menschen sich sträuben, die Verantwortung für die Immoralität ihrer Träume zu übernehmen. Durch die Würdigung der

§ 1265

§ 1266

Zu Abschnitt VII 171

§ 1267

Funktionsweise des seelischen Apparats und die Einsicht in die Beziehung zwischen Bewußtem und Unbewußtem wird das ethisch Anstößige unseres Traum- und Phantasielebens meist zum Verschwinden gebracht.

§ 1268

„Was der Traum uns an Beziehungen zur Gegenwart (Realität) kundgetan hat, wollen wir dann auch im Bewußtsein aufsuchen und dürfen uns nicht wundern, wenn wir das Ungeheuer, das wir unter dem Vergrößerungsglas der Analyse gesehen haben, dann als Infusionstierchen wiederfinden.“ (H. Sachs.)

§ 1269

§ 1270

ZUSATZKAPITEL C

§ 1271

EINIGE NACHTRÄGE ZUM GANZEN DER TRAUMDEUTUNG

§ 1272

a) Die Grenzen der Deutbarkeit

§ 1273

Die Frage, ob man von jedem Produkt des Traumlebens eine ‘ vollständige und gesicherte Übersetzung in die Ausdrucksweise des Wachlebens (Deutung) geben kann, soll nicht abstrakt be— handelt werden, sondem unter Beziehung auf die Verhältnisse, unter denen man an der Traumdeutung arbeitet.

§ 1274

Unsere geistigen Tätigkeiten streben entweder ein nützliches Ziel an oder unmittelbaren Lustgewinn. Im ersteren Falle sind es intellektuelle Entscheidungen, Vorbereitungen zu Handlungen oder Mitteilungen an andere; im anderen Falle nennen wir sie Spielen und Phantasieren. Bekanntlich ist auch das Nützliche nur ein Umweg zur lustvollen Befriedigung. Das Träumen ist nun eine Tätigkeit der zweiten Art, die ja entwicklungsgeschichtlich die ursprünglichere ist. Es ist irreführend, zu sagen, das Träumen bemühe sich um die bevorstehenden Aufgaben des Lebens oder suche Probleme der Tagesa.rbeit zu _Ende zu führen. Darum kümmert sich das vorbevvußte Denken. Dem Träumen liegt solche nützliche Absicht ebenso ferne wie die der Vorbereitung einer Mitteilung an einen anderen. Wenn sich der Traum mit einer Aufgabe des Lebens beschäftigt, löst er sie so, wie es einem irrationellen Wunsch, und nicht so, wie es einer verständigen Überlegung entspricht. Nur eine nützliche Absicht,

§ 1275

§ 1276

Die Grenzen der Dmtbarkeiz 175

§ 1277

eine Funktion, muß man dem Traum zusprechen, er soll die Störung des Schlafes verhüten. Der Traum kann beschrieben werden als ein Stück Phantasieren im Dienste der Erhaltung des Schlafes.

§ 1278

Es folgt daraus, daß es dem schlafenden Ich im ganzen gleich— gültig ist, was während der Nacht geträumt wird, wenn der Traum nur leistet, was ihm aufgetragen ist, und daß diejenigen Träume ihre Funktion am besten erfüllt haben, von denen man nach dem Erwachen nichts zu sagen weiß. Wenn es so oft anders zugeht, wenn wir Träume erinnern, — auch über Jahre und Jahrzehnte, — so bedeutet dies jedesmal einen Einbruch des verdrängten Unbewußten ins normale Ich. Ohne solche Genug— tuung hat das Verdrängte seine Hilfe zur Aufhebung der drohenden Schlafstörung nicht leihen wollen. Wir wissen, es ist die Tatsache dieses Einbruchs, die dem Traum seine Bedeutung für die Psychopathologie verschafft. Wenn wir sein treibendes Motiv aufdecken können, erhalten wir unvermutete Kunde von den verdrängten Begungen im Unbewußten; anderseits, wenn wir seine Entstellungen rückgängig machen, belauschen wir das vorbewußte Denken in Zuständen innerer Sammlung, die tags— über das Bewußtsein nicht auf sich gezogen hätten.

§ 1279

Niemand kann die Traumdeutung als isolierte Tätigkeit üben; sie bleibt ein Stück der analytischen Arbeit. In dieser wenden wirje nach Bedarf unser Interesse bald dem vorbewußten Trauminhalt, bald dem nnbewußten Beitrag zur Traumbildung zu, vemachlässigen auch oft das eine Element zugunsten des anderen. Es nützte auch nichts, wenn jemand sich vornehmen wollte, Träume außerhalb der Analyse zu deuten. Er würde den Bedingungen der analytischen Situation doch nicht entgehen, und wenn er seine eigenen Träume bearbeitet, unternimmt er seine Selbstanalyse. Diese Bemerkung gilt nicht für den, der auf die Mitarbeit des Träumers verzichtet und die Deutung von Träumen durch intuitives Erfassen erfahren will. Aber solche Traumdeutung ohne Rücksicht auf die Asso—

§ 1280

§ 1281

174 Ergänzungen zur Traumdeutung

§ 1282

ziationen des Träumers bleibt auch im günstigsten Falle ein unwissenschaftliches Virtuosenstück von sehr zweifelhaftem Wert.

§ 1283

Übt man die Traumdeutung nach dem einzigen technischen Verfahren, das sich rechtfertigen läßt, so merkt man bald, daß der Erfolg durchaus von der Widerstandsspannung zwischen dem erwachten Ich und dem verdrängten Unbewußten abhängig ist. Die Arbeit unter „hohem Widerstandsdruck“ erfordert selbst, wie ich an anderer Stelle auseinandergesetzt habe, ein anderes Ver— halten des Analytikers als bei geringem Druck. In der Analyse hat man es durch lange Zeiten mit starken Widerständen zu tun, die noch nicht bekannt sind, die jedenfalls nicht überwunden werden können, solange sie unbekannt bleiben. Es ist also nicht zu verwundern, daß man von den Traumproduktionen des Patienten nur einen gewissen Anteil und auch diesen meist nicht vollständig übersetzen und verwerten kann. Auch wenn man durch die eigene Geübtheit in die Lage kommt, viele Träume zu verstehen, zu deren Deutung der Träumer wenig Beiträge geliefert hat, soll man gemahnt bleiben, daß die Sicherheit solcher Deutung in Frage steht, und wird Bedenken tragen, seine Vermutung dem Patienten aufzudrängen.

§ 1284

Kritische Einwendungen werden nun sagen: Wenn man nicht alle Träume, die man bearbeitet, zur Deutung bringt, soll man auch nicht mehr behaupten, als man vertreten kann, und sich mit der Aussage begnügen, einzelne Träume seien durch Deutung als sinnreich zu erkennen, von anderen wisse man es nicht. Allein gerade die Abhängigkeit des Deutungserfolges vom Wider— stand enthebt den Analytiker einer solchen Bescheidenheit. Er kann die Erfahrung machen, daß ein anfangs unverständlicher Traum noch in derselben Stunde durchsichtig wird, nachdem es gelungen ist, einen Widerstand des Träumers durch eine glückliche Aussprache zu beseitigen. Plötzlich fällt ihm dann ein bisher vergessenes Traumstück ein, das den Schlüssel zur Deutung bringt, oder es stellt sich eine neue Assoziation ein, mit deren

§ 1285

§ 1286

Die Grenzen der Deutbarkeit 175

§ 1287

Hilfe das Dunkel sich lichtet. Es kommt auch vor, daß man nach Monaten und Jahren analytischer Bemühung auf einen Traum zurückgreift, der zu Anfang der Behandlung unsinnig und un— verständlich erschien, und der nun durch die seither gewonnenen Einsichten eine völlige Klärung erfährt. Nimmt man aus der Theorie des Traumes das Argument hinzu, daß die vorbildlichen Traumleistungen der Kinder durchwegs sinnvoll und leicht deutbar sind, so wird man sich zur Behauptung berechtigt finden, der Traum sei ganz allgemein ein deutbares psychisches Gebilde, wenn— gleich die Situation nicht immer die Deutung zu geben gestattet.

§ 1288

Wenn man die Deutung eines Traumes gefunden hat, ist es nicht immer leicht zu entscheiden, ob sie eine „vollständige“ ist, d. h. ob nicht auch andere vorbewul3te Gedanken sich durch denselben Traum Ausdruck verschafft haben. Als erwiesen hat dann jener Sinn zu gelten, der sich auf die Einfälle des Träumers und die Einschätzung der Situation berufen kann, ohne daß man darum den anderen Sinn jedesmal abweisen dürfte. Er bleibt möglich, wenn auch una-wiesen; man muß sich mit der Tatsache einer solchen Vieldeutigkeit der Träume befreunden. Diese ist übrigens nicht jedesmal einer Unvollkommenheit der Deutungsarbeit zur Last zu legen, sie kann ebensowohl an den latenten Traumgedanken selbst haften. Der Fall, daß wir unsicher bleiben, ob eine Äußerung, die wir gehört, eine Auskunft, die wir erhalten haben, diese oder jene Auslegung zulassen, außer ihrem offenbaren Sinn noch etwas anderes andeuten, ereignet sich ja auch im Wachleben und außerhalb der Situation der Traumdeutung.

§ 1289

Zu wenig untersucht sind die interessanten Vorkommnisse, daß derselbe manifeste Trauminhalt gleichzeitig einer konkreten Vor— stellungsreihe und einer abstrakten Gedankenfolge, die an erstere angelehnt ist, Ausdruck gibt. Der Traumarbeit macht es natürlich Schwierigkeiten, die Vorstellungsmittel für abstrakte Gedanken

§ 1290

zu finden.

§ 1291

§ 1292

176 Ergänzungen zur Traumdeutung

§ 1293

b) Die sittliche Perantwortung für den Inhalt der ‘ Träume

§ 1294

Im einleitenden Abschnitt dieses Buches („Die wissenschaftliche Literatur der Traumprobleme“) habe ich dargestellt, in welcher Weise die Autoren auf die peinlich empfundene Tatsache reagieren, daß der zügellose Inhalt der Träume so oft dem sittlichen Ernpfinden des Träumers widerspricht. (Ich vermeide absichtlich, von „kriminellen“ Träumen zu reden, denn ich halte diese über das psychologische Interesse hinausgreifende Bezeichnung für völlig entbehrlich.) Aus der unsittlichen Natur der Träume hat sich begreiflicherweise ein neues Motiv ergeben, die psychische Wertung des Traumes zu verleugnen. Wenn der Traum ein sinnloses Produkt gestörter Seelentätigkeit ist, dann entfällt ja jeder Anlaß, für den anscheinenden Inhalt des Traumes eine Verantwortlich— keit zu übernehmen.

§ 1295

Dies Problem der Verantwortlichkeit für den manifesten Traum— inhalt ist durch die Aufklärungen der „Traumdeutung“ gründlich verschoben, ja eigentlich beseitigt werden.

§ 1296

Wir wissen jetzt, der manifeste Inhalt ist ein Blendwerk, eine Fassade. Es lohnt sich nicht, ihn einer ethischen Prüfung zu unterziehen, seine Verstöße gegen die Moral ernster zu nehmen als die gegen Logik und Mathematik. Wenn vom „Inhalt“ des Traumes die Rede ist, kann man nur den Inhalt der vorbewußten Gedanken und den der verdrängten Wunschregung meinen, die durch die Deutungsarbeit hinter der Traumfassade aufgedeckt werden. Immerhin hat auch diese unsittliche Fassade eine Frage an uns zu stellen. Wir haben doch gehört, daß die latenten Traumgedanken eine strenge Zensur zu bestehen haben, ehe ihnen die Aufnahme in den manifesten Inhalt gestattet wird. Wie kann es also geschehen, daß diese Zensur, die sonst Gering— fügigeres beanständet, gegen die manifest unmoralischen Träume so vollkommen versagt?

§ 1297

§ 1298

Die sitzlichz Verantwortung für den Inhalt der Träume 177

§ 1299

Die Antwort ist nicht nahe bei der Hand, wird vielleicht nicht ganz befriedigend ausfallen können. Man wird zunächst diese Träume der Deutung unterziehen und dann finden, daß einige von ihnen der Zensur keinen Anstoß geboten haben, weil sie im Grunde „ nichts Böses bedeuten. Es sind harmlose Prahlereien, Identifikationen, die eine Maske vortäuschen wollen; sie wurden nicht zensuriert, weil sie nicht die Wahrheit sagten. Andere aber — es sei zugestanden: die größere Anzahl — bedeuten wirklich, was sie ankündigen, sie haben keine Entstellung durch die Zensur erfahren. Sie sind der Ausdruck von unsittlichen, inzestuösen und perversen Regungen oder von mörderischen, sadistischen Gelüsten. Auf manche dieser Träume reagiert der Träumer mit angstvollem Erwachen; dann ist die Situation uns nicht mehr unklar. Die Zensur hat ihre Tätigkeit versäumt, es wird zu spät bemerkt, und die Angstentwicklung ist nun der Ersatz für die unterbliebene Entstellung. In noch anderen Fällen solcher Träume wird auch diese Affektäußerung vermißt. Der anstößige Inhalt wird von der im Schlaf erreichten Höhe der Sexualerregung getragen oder er genießt die Toleranz, die auch der Wachende für einen VVutanfall7 eine Zornesstimmung, ein Schwelgen in grausamen Phantasien üben kann.

§ 1300

Unser Interesse für die Genese dieser manifest unsittlichen Träume erleidet aber eine große Herabsetzung, wenn wir aus der Analyse erfahren, daß die Mehrzahl der Träume, — harmlose, affektlose und Angstträume, — wenn man die Entstellungen der Zensur rückgängig gemacht hat, sich als Erfüllungen unmoralischer — egoistischer, sadistischer, perverser, inzestuöser —- Wunschregungen enthüllen. Diese verkappten Verbrecher sind wie in der Welt des Wachlebens unvergleichlich häufiger als die mit offenem Visier. Der aufrichtige Traum vom sexuellen Verkehr mit, der Mutter, dessen Iokaste im „König Ödipus“ gedenkt, ist eine Seltenheit gegen all die mannigfaltigen Träume, welche die Psychoanalyse in gleichem Sinne deuten muß.

§ 1301

Freud,lll n

§ 1302

§ 1303

178 Ergänzungen zur Traumdeutung

§ 1304

Ich habe über diesen Charakter der Träume, der ja das Motiv für die Traumentstellung abgibt, in diesem Buche so ausführlich gehandelt, daß ich nun rasch über den Sachverhalt hinweg zu dem uns vorliegenden Problem schreiten kann: Muß man die Verantwortlichkeit für den Inhalt seiner Träume übernehmen? Zur Vervollständigung sei nur hinzugefügt, daß der Traum nicht immer unsittliche Wunscherfüllungen bringt, sondern häufig auch energische Reaktionen dagegen in der Form von „Strafträurnen“. Mit anderen Worten, die Traumzensur kann sich nicht nur in Entstehungen und in Angstentwicklung äußern, sondern sie mag sich so weit aufrafl'en, daß sie den unsittlichen Inhalt ganz aus— tilgt und ihn durch einen anderen zur Sühne bestimmten ersetzt, an dem jener aber erkannt werden kann. Das Problem der Verantwortlichkeit für den unsittlichen Trauminhalt besteht aber nicht mehr für uns, wie einst für die Autoren, die nichts von latenten Traumgedanken und vom Verdrängten in unserem Seelenleben wußten. Selbstverständlich muß man sich für seine bösen Tranmregungen verantwortlich halten. Was will man sonst mit ihnen machen? Wenn der — richtig verstandene — Traum— i.nhalt nicht die Eingebung fremder Geister ist, so ist er ein Stück von meinem Wesen. Wenn ich die in mir vorfindlichen Strebungen nach sozialen Maßstäben in gute und böse klassi— fizieren will, so muß ich für beide Arten die Verantwortliohkeit tragen, und wenn ich abwehrend sage, was unbekannt, unbewußt und verdrängt in mir ist, das ist nicht mein „Ich“, so stehe ich nicht auf dem Boden der Psychoanalyse, habe ihre Aufschlüsse nicht angenommen und kann durch die Kritik meiner Nebenmenschen, durch die Störungen meiner Handlungen und die Verwirrungen meiner Gefühle eines Besseren belehrt werden. Ich kann erfahren, daß dies von mir Verleugnete nicht nur in mir „ist“, sondern gelegentlich auch aus mir „vn'rkt“.

§ 1305

Im metapsychologischen Sinne gehört dies böse Verdrängte allerdings nicht zu meinem „Ich“, — wenn ich nämlich ein mora

§ 1306

§ 1307

Die sinliche Verantwortung für den Inhalt der Träume 179

§ 1308

fisch untadeliger Mensch sein sollte, — sondern zu einem „Es“, dem mein Ich aufsitzt. Aber dies Ich hat sich aus dem Es ent— wickelt, es bildet eine biologische Einheit mit ihm, ist nur ein besonders modifizierter, peripherischer Anteil von ihm, unterliegt dessen Einflüssen, gehorcht den Anregungen, die von dem Es ausgehen. Es wäre ein aussiehtsloses Beginnen für irgendeinen vitalen Zweck, das Ich vom Es zu trennen.

§ 1309

Übrigens, wenn ich auch meinem moralischen Hochmut nach— gehen und dekretieren wollte, für alle sittlichen Wertungen darf ich das Böse im Es vernachlässigen und brauche mein Ich nicht dafür verantwortlich zu machen, was nützte es mir? Die Erfahrung zeigt mir, daß ich es doch tue, daß ich gezwungen bin, es irgendwie zu tun. Die Psychoanalyse hat uns einen krankhaften Zustand kennen gelehrt, die Zwangsneurose, in dem sich das arme Ich für allerlei böse Regungen schuldig fühlt, von denen es nichts weiß, die ihm zwar im Bewußtsein vorgehalten werden, zu denen es sich aber unmöglich bekennen kann. Ein wenig davon findet sich bei jedem Normalen. Sein „Gewissen“ ist merkwürdigerweise um so empfindlicher, je moralischer er ist. Man stelle sich dagegen vor, daß ein Mensch desto „anfälliger“ ist, umso mehr an Infektionen und Wirkungen von Traumen leidet, — je gesünder er ist. Das kommt wohl daher, daß das Gewissen selbst eine Reaktionsbildung auf das Böse ist, das im Es verspürt wird. Je stärker dessen Unterdrückung, desto reger das Gewissen.

§ 1310

Dem ethischen Narzißmus des Menschen sollte es genügen, daß er in der Tatsache der Traumentstellung, in den Angst- und Strafträumen ebenso deutliche Beweise seines sittlichen Wesens erhält wie durch die Traumdeutung Belege für Existenz und Stärke seines bösen Wesens. Wer, damit nicht zufrieden, „besser“ sein will, als er geschaffen ist, möge versuchen, ob er es im Leben weiter bringt als zur Heuchelei oder zur Hemmung.

§ 1311

Der Arzt wird es dem Juristen überlassen, für soziale Zwecke eine künstlich auf das metapsychologische Ich eingeschränkte Ver

§ 1312

„"

§ 1313

§ 1314

180 Ergänzungen zur Traumdeutung

§ 1315

antwortlichkeit aufzustellen. Es ist allgemein bekannt, auf welche Schwierigkeiten es stößt, aus dieser Konstruktion praktische Folgen abzuleiten, die den Gefühlen der Menschen nicht widerstreiten.

§ 1316

c) Die okkulte Bedeutung des Traumes

§ 1317

Wenn der Probleme des Traumlebens kein Ende abzusehen ist, so kann sich nur der darüber verwundern, der eben vergißt, daß alle Probleme des Seelenlebens auch am Traume wieder— kehren, vermehrt um einige neue, die die besondere Natur der Träume betreffen. Viele der Dinge, die wir am Traum studieren, weil sie sich uns dort zeigen, haben aber mit dieser psychischen Besonderheit des Traumes nichts oder wenig zu tun. So ist z. B. die Symbolik kein Traumproblem, sondern ein Thema unseres archaischen Denkens, unserer „Grundsprache“ nach des Paranoikers Schreber trefllichem Ausdruck, sie beherrscht den Mythus und das religiöse Ritual nicht minder als den Traum; kaum daß der Traumsymbolik die Eigenheit verbleibt, vorwiegend sexuell Bedeutsames zu verhüllen! Auch der Angsttraum braucht seine Aufklärung nicht von der Traumlehre zu erwarten, die Angst ist vielmehr ein Neurosenproblem, es bleibt nur zu erörtern, wie Angst unter den Bedingungen des Träumens entstehen kann.

§ 1318

Ich meine, es ist mit dem Verhältnis des Traumes zu den angeblichen Tatsachen der okkulten Welt auch nicht anders. Aber da der Traum selbst immer etwas Geheimnisvolles war, hat man ihn mit jenen anderen unerkannten Geheimnissen in intime Beziehung gesetzt. Er hatte wohl auch ein historisches Anrecht darauf, denn in den Urzeiten, als unsere 'Mythologie sich bildete, mögen die Traumbilder an der Entstehung der Seelenvorstellungen beteiligt gewesen sein.

§ 1319

Es soll zwei Kategorien von Träumen geben, die den okkulten Phänomenen zuzurechnen sind, die prophetischen und die tele— pathischen. Für beide spricht eine unübersehbare Masse von Zeug

§ 1320

§ 1321

Diz okkulte Ä'edeutung des Traumes 181

§ 1322

nissen; gegen beide die hartnäckige Abneigung, wenn man will, das Vorurteil der Wissenschaft.

§ 1323

Daß es prophetische Träume in dem Sinne gibt, daß ihr Inhalt irgendeine Gestaltung der Zukunft darstellt, leidet allerdings keinen Zweifel, fraglich bleibt nur, ob diese Vorhersag'en in irgend be— merkenswerter Weise mit dem übereinstimmen, was später wirk— lich geschieht. Ich gestehe, daß mich für diesen Fall der Vorsatz der Unparteilichkeit im Stiche läßt. Daß es irgendeiner psychi— schen Leistung außer einer scharfsinnigen Berechnung möglich sein sollte, das zukünftige Geschehen im Einzelnen vorauszusehen, widerspricht einerseits zu sehr allen Erwartungen und Einstellungen der Wissenschaft und entspricht anderseits allzu getreu uralten, wohlbekannten Menschheitswünschen, welche die Kritik als unberechtigte Anmaßung verwerfen muß. Ich meine also, wenn man die Unzuverlässigkeit, Leichtgläubigkeit und Unglaubwürdigkeit der meisten Berichte zusammenhält mit der Möglichkeit affektiv erleichterter Erinnerungstäuschungen und der Notwendigkeit einzelner Zufallstreffer, darf man erwarten, daß sich der Spuk der prophetischen Wahrträume in ein Nichts auflösen wird. Persönlich habe ich nie etwas erlebt oder erfahren, was ein günstigeres Vorurteil erwecken könnte.

§ 1324

Anders steht es mit den telepathischen Träumen. Hier sei aber vor allem bemerkt, daß noch niemand behauptet hat, das telepa—

§ 1325

thische Phänomen — die Aufnahme eines seelischen Vorganges in einer Person durch eine andere auf anderem Wege als dem der Sinneswahrnehmung —— sei ausschließlich an den Traum

§ 1326

gebunden. Die Telepathie ist also wiederum kein Traumproblem, man braucht sein Urteil über ihre Existenz nicht aus dem Studium der telepathischen Träume zu schöpfen.

§ 1327

Unterwirft man die Berichte über telepathische Vorkommnisse (ungenau: Gedankenübertragung) derselben Kritik, mit der man andere okkulte Behauptungen abgewehrt hat, so behält man doch ein ansehnliches Material übrig, das man nicht so leicht vernach

§ 1328

§ 1329

18! Ergänzungen zur Traumdeutung

§ 1330

lässigen kann. Auch gelingt es auf diesem Gebiete weit eher, eigene Beobachtungen und Erfahrungen zu sammeln, die eine freundliche Einstellung zum Problem der Telepathie berechtigen, wenngleich sie für die Herstellung einer gesicherten Überzeugung noch nicht ausreichen mögen. Man bildet sich vorläufig die Meinung, es könnte wohl sein, daß die Telepathie wirklich existiert und daß sie den Wahrheitskern von vielen anderen, sonst unglaublichen Aufstellungen bildet.

§ 1331

Man tut gewiß recht daran, wenn man auch in Sachen der Telepathie jede Position der Skepsis hartnäckig verteidigt und nur ungern vor der Macht der Beweise zurückweicht. Ich glaube ein Material gefunden zu haben, welches den meisten sonst zulässigen Bedenken entzogen ist: nicht erfüllte Prophezeiungen berufsmäßiger Wahrsager. Leider stehen mir nur wenige solche Beobachtungen zu Gebote, aber zwei unter diesen haben mir einen starken Eindruck hinterlassen. Es ist mir versagt, diese so ausführlich mitzuteilen, daß sie auch auf andere wirken könnten. Ich muß mich auf die Hervorhebung einiger wesentlichen Punkte beschränken.

§ 1332

Den betreffenden Personen war also —— am fremden Ort und von seiten eines fremden Wahrsagen, der dabei irgendeine, wahrscheinlich gleichgültige, Praktik betrieb — etwas für eine bestimmte Zeit vorhergesagt werden, was nicht eingetroffen war. Die Ver— fallszeit der Prophezeiung war längst vorüber. Es war auffällig, daß die Gewährspersonen anstatt mit Spott und Enttäuschung mit offenbar-em Wohlgefallen von ihrem Erlebnis erzählten. Im Inhalte der ihnen gewordenen Verkündigung fanden sich‘gauz bestimmte Einzelheiten, die willkürlich und unverständlich schienen, die eben nur durch ihr Eintreffen gerechtfertigt worden wären. So sagte z. B. der Chiromant der siebenundzwanzigjährigen, aber viel jünger aussehenden Frau, die den Eheriug abgezogen hatte, sie werde noch heiraten und mit zweiunddreißig Jahren zwei Kinder haben. Die Frau war dreiundvierzig Jahre alt, als sie,

§ 1333

§ 1334

Die okkulte Bedeutung des Trauma: 185

§ 1335

schwer krank geworden, mir diese Begebenheit in ihrer Analyse erzählte, sie war kinderlos geblieben. Wenn man ihre Geheimgeschichte kannte, die dem „Professeur“ in der Halle des Pariser Hotels sicherlich unbekannt geblieben war, konnte man die beiden Zahlen der Prophezeiung verstehen. Das Mädchen hatte nach einer ungewöhnlich intensiven Vaterbindung geheiratet und sich dann sehnlichst Kinder gewünscht, um ihren Mann an die Stelle des Vaters rücken zu können. Nach jahrelanger Enttäuschung, an der Schwelle einer Neurose, holte sie sich die Prophezeiung, die —— ihr das Schicksal ihrer Mutter versprach. Auf diese traf es zu, daß sie mit zweiunddreißig Jahren zwei Kinder gehabt hatte. So war es also nur mit Hilfe der Psychoanalyse möglich, die Eigentümlichkeiten der angeblich von außen her erfolgenden Botschafi sinnvoll zu deuten. Dann aber konnte man den ganzen, so ein— deutig bestimmten, Sachverhalt nicht besser aufklären als durch die Annahme, ein starker Wunsch der Befragenden — in Wirklichkeit der stärkste, unbewußte Wunsch ihres Afl'ektlebens und der Motor ihrer keimenden Neurose —— habe sich durch unmittelbare Übertragung dem mit einer ablenkenden Hantierung beschäftigten Wahrsager kundgegeben.

§ 1336

Ich habe auch bei Versuchen im intimen Kreise wiederholt den Eindka gewonnen, daß die Übertragung von stark aflektiv betonten Erinnerungen unschwer gelingt. Getraut man sich, die Einfälle der Person, auf welche übertragen werden soll, einer analytischen Bearbeitung zu unterziehen, so kommen oft Übereinstimmungen zum Vorschein, die sonst unkenntlich geblieben wären. Aus manchen Erfahrungen bin ich geneigt, den Schluß zu ziehen, daß solche Übertragungen besonders gut in dem Moment zustande kommen, da eine Vorstellung aus dem Unbewußten auftaucht, theoretisch ausgedrückt, sobald sie aus dem „Primärvorgang“ in den „Sekundärvorgang“ übergeht.

§ 1337

Bei aller durch die Tragweite, Neuheit und Dunkelheit des Gegenstandes gebotenen Vorsicht hielt ich es doch nicht mehr

§ 1338

§ 1339

184 Ergänzungen zur Traumdeutung

§ 1340

für berechtigt, mit diesen Äußerungen zum Problem der Telepathie zurückzuhalmu. Mit. dem Traum hat dies alles nur so viel zu tun: Wenn es telepethische Botschaften gibt, so ist nicht abzuweisen, daß sie auch den Schlafenden erreichen und von ihm im Traum erfaßt werden können. Je nach der Analogie mit anderem Wahrnehmungs— und Gedankenmaterial darf man es auch nicht abweisen, daß telepathische Botschaften, die während des Tages aufgenommen wurden, erst im Traum der nächsten Nacht zur Verarbeitung kommen. Es wäre dann nicht einmal ein Einwand, wenn das telepathisch vermittelte Material im Traum wie ein anderes verändert und umgestaltet würde. Man möchte gerne mit Hilfe der Psychoanalyse mehr und besser Gesichertes über die Telepathie erfahren.

§ 1341

§ 1342

ERGÄNZUNGEN ZU ABSCHNITT VIII „LITERATURVERZEICHNIS“

§ 1343

1

§ 1344

In den späteren Auflagen dieses Buches ist der Versuch gemacht worden, die Literatur bis zum jeweiligen Datum des Erscheinens fortzuführen. Ich habe aber hier darauf verzichtet. Bekanntlich hat seit dem Bekanntwerden der „Traumdeutung“ die Literatur über den Traum (besonders die analytische) eine große Be

§ 1345

reicherung erfahren.

§ 1346

9 Das angekündigte Buch von Ruths ist meines Wissens nicht erschienen.

§ 1347