Zur Psychopathologie des Alltagslebens. (Vergessen, Versprechen, Vergreifen) nebst Bemerkungen über eine Wurzel des Aberglaubens (1901-002/1901.3)

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  • Diercks, Christine
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Freud, Sigmund: Zur Psychopathologie des Alltagslebens. (Vergessen, Versprechen, Vergreifen) nebst Bemerkungen über eine Wurzel des Aberglaubens (1901-002/1901.3). In: Andorfer, Peter; Blatow, Arkadi; Diercks, Christine; Huber, Christian; Kaufmann, Kira; Liepold, Sophie; Roedelius, Julian; Rohrwasser, Michael; Stoxreiter, Daniel (2022): Sigmund Freud Edition: Digitale Historisch-Kritische Gesamtausgabe, Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage, Wien. [3.4.2023], file:/home/runner/work/frd-static/frd-static/data/editions/plain/sfe-1901-002__1901.3.xml
§ 1

Zur Psychopathologie des Alltagslebens

§ 2

(Vergessen, Versprechen, Vergreifen) nebst Bemerkungen über eine Wurzel des Aberglaubens.

§ 3

Von

§ 4

Dr. SIGM. FREUD

§ 5

in Wien.

§ 6

"Nun ist die Luft von solchem Spuk so voll, Dass niemand weiss, wie er ihn meiden soll." Faust, II. T., V. Akt

§ 7

I.

§ 8

Vergessen von Eigennamen.

§ 9

Im Jahrgange 1898 dieser Zeitschrift habe ich unter dem Titel „Zum psychischen Mechanismus der Vergesslichkeit“ einen kleinen Aufsatz veröffentlicht, dessen Inhalt ich hier wiederholen und zum Ausgang für weitere Erörterungen nehmen werde. Ich habe dort den häufigen Fall des zeitweiligen Vergessens von Eigennamen an einem praegnanten Beispiel aus meiner Selbstbeobachtung der psychologischen Analyse unterzogen und bin zum Ergebnis gelangt, dass dieser gewöhnliche und praktisch nicht sehr bedeutsame Einzelvorfall von Versagen einer psvchischen Function — des Erinnerns — eine Aufklärung zulässt, welche weit über die gebräuchliche Verwertung des Phänomens hinausführt.

§ 10

Wenn ich nicht sehr irre, würde ein Psycholog, von dem man die Erklärung forderte, wie es zugehe, dass Einem so oft ein Name nicht einfällt, den man doch zu kennen glaubt, sich begnügen zu antworten, dass Eigennamen dem Vergessen leichter unterliegen als andersartiger Gedächtnisinhalt. Er würde die plausibeln Gründe für solche Bevorzugung der Eigennamen anführen, eine anderweitige Bedingtheit des Vorganges aber nicht vermuten.

§ 11

Für mich wurde zum Anlass einer eingehenderen Beschäftigung mit dem Phänomen des zeitweiligen Namenvergessens die Beobachtung gewisser Einzelheiten, die sich zwar nicht in allen Fällen, aber in einzelnen deutlich genug erkennen lassen. In solchen Fällen wird nämlich nicht nur vergessen, sondern auch falsch erinnert. Dem sich um den entfallenen Namen Bemühenden kommen andere — Ersatznamen — zum Bewusstsein, die zwar sofort als unrichtig erkannt werden, sich aber doch mit grosser Zähigkeit immer wieder aufdrängen. DerVorgang, der zur Reproduction des gesuchten Namens führen soll, hat sich gleichsam verschoben und so zu einem unrichtigen Ersatz geführt. Meine Voraussetzung ist nun, dass diese Verschiebung nicht psychischer Willkür überlassen ist, sondern gesetzmässige und berechenbare Bahnen einhält. Mit anderen Worten, ich vermute, dass der oder die Ersatznamen in einem aufspürbaren Zusammenhang mit dem gesuchten Namen stehen, und hoffe, wenn es mir gelingt, diesen Zusammenhang nachzuweisen, dann auch Licht über den Hergang des Namenvergessens zu verbreiten.

§ 12

In dem 1898 von mir zur Analyse gewählten Beispiele war es der Name des Meisters, welcher im Dom von Orvieto die grossartigen Fresken von den „letzten Dingen" geschaffen, den zu erinnern ich mich vergebens bemühte. Anstatt des gesuchten Namens — Signorelli — drängten sich mir zwei andere Namen von Malern auf — Botticelli und Boltraffio, die mein Urteil sofort und entschieden als unrichtig abwies. Als mir der richtige Name von fremder Seite mitgeteilt wurde, erkannte ich ihn sogleich und ohne Schwanken. Die Untersuchung, durch welche Einflüsse und auf welchen Associationswegen sich die Reproduction in solcher Weise — von Signorelli auf Botticelli und Boltraffio — verschoben hatte, führte zu folgenden Ergebnissen:

§ 13

a) Der Grund für das Entfallen des Namens Signorelli ist weder in einer Besonderheit dieses Namens selbst noch in einem psychologischen Charakter des Zusammenhanges zu suchen, in welchen derselbe eingefügt war. Der vergessene Name war mir ebenso vertraut wie der eine der Ersatznamen — Botticelli — und ungleich vertrauter als der andere der Ersatznamen — Boltraffio —, von dessen Träger ich kaum etwas anderes anzugeben wüsste als seine Zugehörigkeit zur mailändischen Schule. Der Zusammenhang aber, in dem sich das Namenvergessen ereignete, erscheint mir harmlos und führt zu keiner weiteren Aufklärung: Ich machte mit einem Fremden eine Wagenfahrt von Ragusa in Dalmatien nach einer Station der Hercegowina; wir kamen auf das Reisen in Italien zu sprechen, und ich fragte meinen Reisegefährten, ob er schon in Orvieto gewesen und dort die berühmten Fresken des *** besichtigt habe.

§ 14

b) Das Namenvergessen erklärt sich erst, wenn ich mich an das in jener Unterhaltung unmittelbar vorhergehende Thema erinnere, und giebt sich als eine Störung des neu auftauchenden Themas durch das vorhergehende zu erkennen. Kurz, ehe ich an meinen Reisegefährten die Frage stellte, ob er schon in Orvieto gewesen, hatten wir uns über die Sitten der in Bosnien und in der Hercegowina lebenden Türken unterhalten. Ich hatte erzählt, was ich von einem unter diesen Leuten praktizirenden Kollegen gehört hatte, dass sie sich voll Vertrauen in den Arzt und voll Ergebung in das Schicksal zu zeigen pflegen. Wenn man ihnen ankündigen muss, dass es für den Krankenkeine Hilfe giebt, so antworten sie: Herr, was ist da zu sagen? Ich weiss, wenn er zu retten wäre, hättest Du ihn gerettet. Erst in diesen Sätzen finden sich die Worte und Namen: Bosnien, Hercegowina, Herr vor, welche sich in eine Associationsreihe zwischen Signorelli und Botticelli Boltraffio einschalten lassen.

§ 15

c) Ich nehme an, dass der Gedankenreihe von den Sitten der Türken in Bosnien etc. die Fähigkeit, einen nächsten Gedanken zu stören, darum zukam, weil ich ihr meine Aufmerksamkeit entzogen hatte, ehe sie noch zu Ende gebracht war. Ich erinnere nämlich, dass ich eine zweite Anekdote erzählen wollte, die nahe bei der ersten in meinem Gedächtnis ruhte. Diese Türken schätzen den Sexualgenuss über alles und verfallen bei sexuellen Störungen in eine Verzweiflung, welche seltsam gegen ihre Resignation bei Todesgefahr absticht. Einer der Patienten meines Kollegen hatte ihm einmal gesagt: „Du weisst ja, Herr, wenn das nicht mehr geht, dann hat das Leben keinen Wert.“ Ich unterdrückte die Mitteilung dieses charakteristischen Zuges, weil ich das heikle Thema nicht im Gespräch mit einem Fremden berühren wollte. Ich that aber noch mehr; ich lenkte meine Aufmerksamkeit auch von der Fortsetzung der Gedanken ab, die sich bei mir an das Thema „Tod und Sexualität“ hätten knüpfen können. Ich stand damals unter der Nachwirkung einer Nachricht, die ich wenige Wochen vorher während eines kurzen Aufenthaltes in Trafoi erhalten hatte. Ein Patient, mit dem ich mir viel Mühe gegeben, hatte wegen einer unheilbaren sexuellen Störung seinem Leben ein Ende gemacht. Ich weiss bestimmt, dass mir auf jener Reise in die Hercegowina dieses traurige Ereignis und alles, was damit zusammenhängt, nicht zur bewussten Erinnerung kam. Aber die Uebereinstimmung TrafoiBoltraffio nötigt mich anzunehmen, dass damals diese Reminiscenz trotz der absichtlichen Ablenkung meiner Aufmerksamkeit in mir zur Wirksamkeit gebracht worden ist.

§ 16

d) Ich kann das Vergessen des Namens Signorelli nicht mehr als ein zufälliges Ereignis auffassen. Ich muss den Einfluss eines Motivs bei diesem Vorgang anerkennen. Es waren Motive, die mich veranlassten, mich in der Mitteilung meiner Gedanken (über die Sitten der Bosnier etc.) zu unterbrechen, und die mich ferner beeinflussten, die daran sich knüpfenden Gedanken, die bis zur Nachricht in Trafoi geführt hätten, in mir vom Bewusstwerden auszuschliessen. Ich wollte also etwas vergessen, ich hatte etwas verdrängt. Ich wollte allerdings etwas anderes vergessen als den Namen des Meisters von Orvieto; aber dieses andere brachte es zustande, sich mit diesem Namen in associative Verbindung zu setzen, so dass mein Willensakt das Ziel verfehlte, und ich das eine wider Willen vergass, während ich das andere mit Absicht vergessen wollte. Die Abneigung zu erinnern richtete sich gegen den einenInhalt; die Unfähigkeit zu erinnern trat an einem anderen hervor. Es wäre offenbar ein einfacherer Fall, wenn Abneigung und Unfähigkeit zu erinnern denselben Inhalt beträfen. — Die Ersatznamen erscheinen mir auch nicht mehr so völlig unberechtigt wie vor der Aufklärung: sie mahnen mich (nach Art eines Compromisses) eben so sehr an das, was ich vergessen, wie an das, was ich erinnern wollte, und zeigen mir, dass meine Absicht, etwas zu vergessen, nicht ganz gelungen ist.

§ 17

e) Sehr auffällig ist die Art der Verknüpfung, die sich zwischen dem gesuchten Namen und dem verdrängten Thema (von Tod und Sexualität etc., in dem die Namen Bosnien, Hercegowina, Trafoi vorkommen) hergestellt hat Das hier eingeschaltete, aus der Abhandlung des Jahres 1898 wiederholte Schema sucht diese Verknüpfung anschaulich darzustellen.

§ 18

§ 19

Der Name Signorelli ist dabei in zwei Stücke zerlegt worden. Das eine Silbenpaar ist in einem der Ersatznamen unverändert wiedergekehrt (elli), das andere hat durch die Uebersetzung Signor — Herr mehrfache und verschiedenartige Beziehungen zu den im verdrängten Thema enthaltenen Namen gewonnen, ist aber dadurch für die Reproduction verloren gegangen. Sein Ersatz hat so stattgefunden, als ob eine Verschiebung längs der Namenverbindung „Hercegowina und Bosnien“ vorgenommen worden wäre, ohne Rücksicht auf den Sinn und auf die acustische Abgrenzung der Silben zu nehmen. Die Namen sind also bei diesem Vorgang ähnlich behandelt worden wie die Schriftbilder eines Satzes, der in ein Bilderrätsel (Rebus) umgewandelt werden soll. Von dem ganzen Hergang, der anstatt des Namens Signorelli auf solchen Wegen die Ersatznamen geschaffen hat, ist dem Bewusstsein keine Kunde gegeben worden. Eine Beziehungzwischen dem Thema, in dem der Name Signorelli vorkam, und dem zeitlich ihm vorangehenden verdrängten Thema, welche über diese Wiederkehr gleicher Silben (oder vielmehr Buchstabenfolgen) hinausginge, scheint zunächst nicht auffindbar zu sein.

§ 20

Es ist vielleicht nicht überflüssig zu bemerken, dass die von den Psychologen angenommenen Bedingungen der Reproduktion und des Vergessens, die in gewissen Relationen und Dispositionen gesucht werden, durch die vorstehende Aufklärung einen Widerspruch nicht erfahren. Wir haben nur für gewisse Fälle zu all den längst anerkannten Momenten, die das Vergessen eines Namens bewirken können, noch ein Motiv hinzugefügt, und überdies den Mechanismus des Fehlerinnerns klar gelegt. Jene Dispositionen sind auch für unseren Fall unentbehrlich, um die Möglichkeit zu schaffen, dass das verdrängte Element sich associativ des gesuchten Namens bemächtige und es mit sich in die Verdrängung nehme. Bei einem anderen Namen mit günstigeren Reproductionsbedingungen wäre dies vielleicht nicht geschehen. Es ist ja wahrscheinlich, dass ein unterdrücktes Element allemal bestrebt ist, sich irgendwo anders zur Geltung zu bringen, diesen Erfolg aber nur dort erreicht, wo ihm geeignete Bedingungen entgegenkommen. Andere Male gelingt die Unterdrückung ohne Funktionsstörung, oder, wie wir mit Recht sagen können, ohne Symptome.

§ 21

Die Zusammenfassung der Bedingungen für das Vergessen eines Namens mit Fehlerinnern ergiebt also: 1. eine gewisse Disposition zum Vergessen desselben, 2. einen kurz vorher abgelaufenen Unterdrückungsvorgang, 3. die Möglichkeit, eine äusserliche Association zwischen dem betreffenden Namen und dem vorher unterdrückten Element herzustellen. Letztere Bedingung wird man wahrscheinlich nicht sehr hoch veranschlagen müssen, da bei den geringen Ansprüchen an die Association eine solche in den allermeisten Fällen durchzusetzen sein dürfte. Eine andere und tiefer reichende Frage ist es, ob eine solche äusserliche Association wirklich die genügende Bedingung dafür sein kann, dass das verdrängte Element die Reproduction des gesuchten Namens störe, ob nicht doch notwendig ein intimerer Zusammenhang der beiden Themata erforderlich wird. Bei oberflächlicher Betrachtung würde man letztere Forderung abweisen wollen und das zeitliche Aneinanderstossen bei völlig disparatem Inhalt für genügend halten. Bei eingehender Untersuchung findet man aber immer häufiger, dass die beiden durch eine äusserliche Association verknüpften Elemente (das verdrängte und das neue) ausserdem einen inhaltlichen Zusammenhang besitzen, und auch in dem Beispiel Signorelli lässt sich ein solcher erweisen.

§ 22

Der Wert der Einsicht, die wir bei der Analyse des Beispiels Signorelli gewonnen haben, hängt natürlich davon ab, ob wir diesen Fall für ein typisches oder für ein vereinzeltes Vorkommnis erklären müssen. Ich muss nun behaupten, dass das Namenvergessen mit Fehlerinnern ungemein häufig so zugeht, wie wir es im Falle: Signorelli aufgelöst haben. Fast allemal, da ich dies Phänomen bei mir selbst beobachten konnte, war ich auch imstande, es mir in der vorerwähnten Weise als durch Verdrängung motiviert zu erklären. Ich muss auch noch einen anderen Gesichtspunkt zu Gunsten der typischen Natur unserer Analyse geltend machen. Ich glaube, dass man nicht berechtigt ist, die Fälle von Namenvergessen mit Fehlerinnern principiell von solchen zu trennen, in denen sich unrichtige Ersatznamen nicht eingestellt haben. Diese Ersatznamen kommen in einer Anzahl von Fällen spontan, in anderen Fällen, wo sie nicht spontan aufgetaucht sind, kann man sie durch Anstrengung der Aufmerksamkeit zum Auftauchen zwingen, und sie zeigen dann die nämlichen Beziehungen zum verdrängten Element und zum gesuchten Namen, wie wenn sie spontan gekommen wären. Für das Bewusstwerden der Ersatznamen scheinen zwei Momente massgebend zu sein, erstens die Bemühung der Aufmerksamkeit, zweitens eine innere Bedingung, die am psychischen Material haftet. Ich könnte letztere in der grösseren oder geringeren Leichtigkeit suchen, mit welcher sich die benötigte äusserliche Association zwischen den beiden Elementen herstellt. Ein guter Teil der Fälle von Namenvergessen ohne Fehlerinnern schliesst sich so den Fällen mit Ersatznamenbildung an, für welche der Mechanismus des Beispieles: Signorelli gilt. Ich werde mich aber gewiss nicht der Behauptung erkühnen, dass alle Fälle von Namenvergessen in die nämliche Gruppe einzureihen seien. Es giebt ohne Zweifel Fälle von Namenvergessen, die weit einfacher zugehen. Wir werden den Sachverhalt wohl richtig dargestellt haben, wenn wir aussprechen: Neben dem einfachen Vergessen von Eigennamen kommt auch ein Vergessen vor, welches durch Verdrängung motiviert ist.

§ 23

II.

§ 24

Vergessen von fremdsprachigen Worten.

§ 25

Der gebräuchliche Sprachschatz unserer eigenen Sprache scheint innerhalb der Breite normaler Funktion gegen das Vergessen geschützt1)1). Anders steht es bekanntlich mit den Vocabeln.kommnis erklären müssen. Ich muss nun behaupten, dass das Namenvergessen mit Fehlerinnern ungemein häufig so zugeht, wie wir es im Falle: Signorelli aufgelöst haben. Fast allemal, da ich dies Phänomen bei mir selbst beobachten konnte, war ich auch imstande, es mir in der vorerwähnten Weise als durch Verdrängung motiviert zu erklären. Ich muss auch noch einen anderen Gesichtspunkt zu Gunsten der typischen Natur unserer Analyse geltend machen. Ich glaube, dass man nicht berechtigt ist, die Fälle von Namenvergessen mit Fehlerinnern principiell von solchen zu trennen, in denen sich unrichtige Ersatznamen nicht eingestellt haben. Diese Ersatznamen kommen in einer Anzahl von Fällen spontan, in anderen Fällen, wo sie nicht spontan aufgetaucht sind, kann man sie durch Anstrengung der Aufmerksamkeit zum Auftauchen zwingen, und sie zeigen dann die nämlichen Beziehungen zum verdrängten Element und zum gesuchten Namen, wie wenn sie spontan gekommen wären. Für das Bewusstwerden der Ersatznamen scheinen zwei Momente massgebend zu sein, erstens die Bemühung der Aufmerksamkeit, zweitens eine innere Bedingung, die am psychischen Material haftet. Ich könnte letztere in der grösseren oder geringeren Leichtigkeit suchen, mit welcher sich die benötigte äusserliche Association zwischen den beiden Elementen herstellt. Ein guter Teil der Fälle von Namenvergessen ohne Fehlerinnern schliesst sich so den Fällen mit Ersatznamenbildung an, für welche der Mechanismus des Beispieles: Signorelli gilt. Ich werde mich aber gewiss nicht der Behauptung erkühnen, dass alle Fälle von Namenvergessen in die nämliche Gruppe einzureihen seien. Es giebt ohne Zweifel Fälle von Namenvergessen, die weit einfacher zugehen. Wir werden den Sachverhalt wohl richtig dargestellt haben, wenn wir aussprechen: Neben dem einfachen Vergessen von Eigennamen kommt auch ein Vergessen vor, welches durch Verdrängung motiviert ist.

1) Ob die Häufigkeit der Anwendung allein diesen Schutz erklären kann, ist mir zweifelhaft. Ich habe wenigstens beobachtet, dass Vornamen, die doch nicht die beschränkte Zugehörigkeit der Eigennamen teilen, dem Vergessen ebenso leicht unterliegen, wie letztere. Eines Tages kam ein junger Mann in meine Ordination, jüngerer Bruder einer Patientin, den ich ungezählte Male gesehen hatte und dessen Person ich mit dem Vornamen zu bezeichnen gewohnt war. Als ich dann von seinem Besuch erzählen wollte, hatte ich seinen, wie ich wusste, keineswegs ungewöhnlichen Vornamen vergessen und konnte ihn durch keine Hilfe zurückrufen. Ich ging dann auf die Strasse, um Firmenschilder zu lesen uud erkannte den § 26

II.

§ 27

Vergessen von fremdsprachigen Worten.

§ 28

Der gebräuchliche Sprachschatz unserer eigenen Sprache scheint innerhalb der Breite normaler Funktion gegen das Vergessen geschützt1)1). Anders steht es bekanntlich mit den Vocabeln.einer fremden Sprache. Die Disposition zum Vergessen derselben ist für alle Redeteile vorhanden, und ein erster Grad von Functionsstörung zeigt sich in der Ungleichmässigkeit unserer Verfügung über den fremden Sprachschatz je nach unserem Allgemeinbefinden und dem Grade unserer Ermüdung. Dieses Vergessen geht in einer Reihe von Fällen nach demselben Mechanismus vor sich, den uns das Beispiel: Signorelli enthüllt hat. Ich werde zum Beweise hierfür eine einzige, aber durch wertvolle Eigentümlichkeiten ausgezeichnete Analyse mitteilen, die den Fall des Vergessens eines nicht substantivischen Wortes aus einem lateinischen Citat betrifft. Man gestatte mir, den kleinen Vorfall breit und anschaulich vorzutragen.

1) Ob die Häufigkeit der Anwendung allein diesen Schutz erklären kann, ist mir zweifelhaft. Ich habe wenigstens beobachtet, dass Vornamen, die doch nicht die beschränkte Zugehörigkeit der Eigennamen teilen, dem Vergessen ebenso leicht unterliegen, wie letztere. Eines Tages kam ein junger Mann in meine Ordination, jüngerer Bruder einer Patientin, den ich ungezählte Male gesehen hatte und dessen Person ich mit dem Vornamen zu bezeichnen gewohnt war. Als ich dann von seinem Besuch erzählen wollte, hatte ich seinen, wie ich wusste, keineswegs ungewöhnlichen Vornamen vergessen und konnte ihn durch keine Hilfe zurückrufen. Ich ging dann auf die Strasse, um Firmenschilder zu lesen uud erkannte denNamen, sowie er mir das erste Mal entgegentrat. Die Analyse belehrte mich darüber, dess ich zwischen dem Besucher und meinem eigenen Bruder eine Parallele gezogen hatte, die in der verdrängten Frage gipfeln wollte: Hätte sich mein Bruder im gleichen Falle ähnlich gegen eine kranke Schwester benommen? Die äusserliche Verbindung zwischen dem Gedanken über die fremde und über die eigene Familie war durch den Zufall ermöglicht worden, dass die Mütter hier und dort den gleichen Vornamen: Amalia tragen. Ich verstand dann auch nachträglich die Ersatznamen: Daniel und Franz, die sich mir aufgedrängt hatten, ohne mich aufzuklären. Es sind dies, wie auch Amalia, Namen aus den Räubern von Schiller, an welche sich ein Scherz des Wiener Spaziergängers Daniel Spitzer knüpft. — Ein unterdrückter Gedanke über die eigene Person oder die eigene Familie wird häufig zum Motiv des Namenvergessens, als ob man beständig Vergleiche zwischen sich selbst und den Fremden anstellte. Das seltsamste Beispiel dieser Art hat mir als eigenes Erlebnis ein Herr Lederer berichtet. Er traf auf seiner Hochzeitsreise in Venedig mit einem ihm oberflächlich bekannten Herrn zusammen, den er seiner jungen Frau vorstellen musste. Da er aber den Namen des Fremden vergessen hatte, half er sich das erste Mal mit einem unverständlichen Gemurmel. Als er dann dem Herrn, wie in Venedig unausweichlich, ein zweites Mal begegnete, nahm er ihn beiseite und bat ihn, ihm doch aus der Verlegenheit zu helfen, indem er ihm seinen Namen sage, den er leider vergessen habe. Die Antwort des Fremden zeugte von überlegener Menschenkenntnis: Ich glaube es gerne, dass Sie sich meinen Namen nicht gemerkt haben. Ich heisse wie Sie Lederer! — Man kann sich einer leicht unangenehmen Empfindung nicht erwehren, wenn man seinen eigenen Namen bei einem Fremden wiederfindet. Ich verspürte sie unlängst recht deutlich, als sich mir in der ärztlichen Sprechstunde ein Herr S. Freud vorstellte. § 29

Im letzten Sommer erneuerte ich — wiederum auf der Ferienreise die Bekanntschaft eines jungen Mannes von akademischer Bildung, der, wie ich bald merkte, mit einigen meiner psychologischen Publicationen vertraut war. Wir waren im Gespräch — ich weiss nicht mehr wie — auf die sociale Lage des Volksstammes gekommen, dem wir beide angehören, und er, der Ehrgeizige, erging sich in Bedauern darüber, dass seine Generation, wie er sich äusserte, zur Verkümmerung bestimmt sei, ihre Talente nicht entwickeln und ihre Bedürfnisse nicht befriedigen könne. Er schloss seine leidenschaftlich bewegte Rede mit dem bekannten Vergil'schen Vers, in dem die unglückliche Dido ihre Rache an Aeneas der Nachwelt überträgt: Exoriare . . . ., vielmehr er wollte so schliessen, denn er brachte das Citat nicht zustande und suchte eine offenkundigeLücke der Erinnerung durch Umstellung von Worten zu verdecken: Exoriar(e) ex nostris ossibus ultor! Endlich sagte er geärgert: „Bitte machen Sie nicht ein so spöttisches Gesicht, als ob Sie sich an meiner Verlegenheit weiden würden, und helfen Sie mir lieber. An dem Vers fehlt etwas. Wie heisst er eigentlich vollständig?“

§ 30

Gerne, erwiderte ich und citierte, wie es richtig lautet:

§ 31

"Exoriar(e) aliquis nostris ex ossibus ultor" !

§ 32

„Zu dumm, ein solches Wort zu vergessen Uebrigens von Ihnen hört man ja, dass man nichts ohne Grund vergisst. Ich wäre doch zu neugierig zu erfahren, wie ich zum Vergessen dieses unbestimmten Pronomen aliquis komme“.

§ 33

Ich nahm diese Herausforderung bereitwilligst an, da ich einen Beitrag zu meiner Sammlung erhoffte. Ich sagte also: Das können wir gleich haben. Ich muss Sie nur bitten, mir aufrichtig und kritiklos alles mitzuteilen, was Ihnen einfällt, wenn Sie ohne bestimmte Absicht Ihre Aufmerksamkeit auf das vergessene Wort richten1)1).

§ 34

„Gut, also da komme ich auf den lächerlichen Einfall, mir das Wort in folgender Art zu zerteilen: a und liquis“.

§ 35

Was soll das? — „Weiss ich nicht“. Was fällt Ihnen weiter dazu ein? — „Das setzt sich so fort: Reliquien — Liquidation — Flüssigkeit — Fluid. Wissen Sie jetzt schon etwas?“

§ 36

Nein, noch lange nicht. Aber fahren Sie fort.

§ 37

„Ich denke,“ fuhr er höhnisch lachend fort, „an Simon von Trient, dessen Reliquien ich vor zwei Jahren in einer Kirche in Trient gesehen habe. Ich denke an die Blutbeschuldigung, die gerade jetzt wieder gegen die Juden erhoben wird, und an die Schrift von Kleinpaul, der in all diesen angeblichen Opfern Incarnationen, sozusagen Neuauflagen des Heilands sieht.“

§ 38

Der Einfall ist nicht ganz ohne Zusammenhang mit dem Thema, über das wir uns unterhielten, ehe Ihnen das lateinische Wort einfiel.

§ 39

„Richtig. Ich denke ferner an einen Zeitungsartikel in einem italienischen Journal den ich kürzlich gelesen. Ich glaube, er war überschrieben: Was der h. Augustinus über die Frauen sagt. Was machen Sie damit?“

§ 40

Ich warte.

§ 41

„Also jetzt kommt etwas, was ganz gewiss ausser Zusammenhang mit unserem Thema steht.“

§ 42

Enthalten Sie sich gefälligst jeder Kritik und —

§ 43

„Ich weiss schon. Ich erinnere mich eines prächtigen alten Herrn, den ich vorige Woche auf der Reise getroffen. Ein wahres Original. Er sieht aus wie ein grosser Raubvogel. Er heisst, wenn Sie es wissen wollen, Benedikt.“Doch wenigstens eine Aneinanderreihung von Heiligen und Kirchenvätern: Der heilige Simon, St. Augustinus, St. Benedictus. Ein Kirchenvater hiess, glaube ich, Origines. Drei dieser Namen sind übrigens auch Vornamen, wie Paul im Namen Kleinpaul.

1) Dies ist der allgemeine Weg, um Vorstellungselemente, die sich verbergen, dem Bewusstsein zuzuführen. Vgl. meine „Traumdeutung“, p. 69. § 44

„Jetzt fällt mir der heilige Januarius ein und sein Blutwunder — ich finde, das geht mechanisch so weiter.“

§ 45

Lassen Sie das, der heilige Januarius und der heilige Augustinus haben beide mit dem Kalender zu thun. Wollen Sie mich nicht an das Blutwunder erinnern?

§ 46

„Das werden Sie doch kennen? In einer Kirche zu Neapel wird in einer Phiole das Blut des heiligen Januarius aufbewahrt, welches durch ein Wunder an einem bestimmten Festtage wieder flüssig wird. Das Volk hält viel auf dieses Wunder und wird sehr aufgeregt, wenn es sich verzögert, wie es einmal zur Zeit einer französischen Occupation geschah. Da nahm der kommandierende General — oder irre ich mich? war Garibaldi? — den geistlichen Herrn bei Seite und bedeutete ihm mit einer sehr verständlichen Geberde auf die draussen aufgestellten Soldaten, er hoffe, das Wunder werde sich sehr bald vollziehen. Und es vollzog sich wirklich . . .“

§ 47

Nun und weiter? Warum stocken Sie?

§ 48

„Jetzt ist mir allerdings etwas eingefallen . . . das ist aber zu intim für die Mitteilung . . Ich sehe übrigens keinen Zusammenhang und keine Nötigung, es zu erzählen.“

§ 49

Für den Zusammenhang würde ich sorgen. Ich kann Sie ja nicht zwingen zu erzählen, was Ihnen unangenehm ist; dann verlangen Sie aber auch nicht von mir zu wissen, auf welchem Wege Sie jenes Wort „aliquis“ vergessen haben.

§ 50

„Wirklich? Glauben Sie? Also ich habe plötzlich an eine Dame gedacht, von der ich leicht eine Nachricht bekommen könnte, die uns beiden recht unangenehm wäre.“

§ 51

Dass ihr die Periode ausgeblieben ist?

§ 52

„Wie können Sie das erraten?“

§ 53

Das ist nicht mehr schwierig. Sie haben mich genügend darauf vorbereitet. Denken Sie an die Kalenderheiligen, an das Flüssigwerden des Blutes zu einem bestimmten Tage, den Aufruhr, wenn das Ereignis nicht eintritt, die deutliche Drohung, dass das Wunder vor sich gehen muss, sonst . . Sie haben ja das Wunder des heiligen Januarius zu einer prächtigen Anspielung auf die Periode der Frau verarbeitet.

§ 54

„Ohne dass ich es gewusst hätte. Und Sie meinen wirklich, wegen dieser ängstlichen Erwartung hätte ich das Wörtchenaliquis“ nicht reproducieren können?“

§ 55

Das scheint mir unzweifelhaft. Erinnern Sie sich doch an Ihre Zerlegung in a—liquis und an die Associationen: Reliquien, Liquidation, Flüssigkeit. Soll ich noch denals Kind hingeopferten heiligen Simon, auf den Sie von den Reliquien her kamen, in den Zusammenhang einflechten?

§ 56

„Thun Sie das lieber nicht. Ich hoffe, Sie nehmen diese Gedanken, wenn ich sie wirklich gehabt habe, nicht für Ernst. Ich will Ihnen dafür gestehen, dass die Dame eine Italienerin ist, in deren Gesellschaft ich auch Neapel besucht habe. Kann das aber nicht alles Zufall sein?“

§ 57

Ich muss es Ihrer eigenen Beurteilung überlassen, ob Sie sich alle diese Zusammenhänge durch die Annahme eines Zufalls aufklären können. Ich sage Ihnen aber, jeder ähnliche Fall, den Sie analysieren wollen, wird Sie auf ebenso merkwürdige „Zufälle“ führen.

§ 58

Ich habe mehrere Gründe, diese kleine Analyse, für deren Ueberlassung ich meinem damaligen Reisegenossen Dank schulde, zu schätzen. Erstens, weil mir in diesem Falle gestattet war, aus einer Quelle zu schöpfen, die mir sonst versagt ist. Ich bin zumeist genötigt, die Beispiele von psychischer Funktionsstörung im täglichen Leben, die ich hier zusammenstelle, meiner Selbstbeobachtung zu entnehmen. Das weit reichere Material, das mir meine neurotischen Patienten liefern, suche ich zu vermeiden, weil ich den Einwand fürchten muss, die betreffenden Phänomene seien eben Erfolge und Aeusserungen der Neurose. Es hat also besonderen Wert für meine Zwecke, wenn sich eine nervengesunde fremde Person zum Objekt einer solchen Untersuchung erbietet. In anderer Hinsicht wird mir diese Analyse bedeutungsvoll, indem sie einen Fall von Wortvergessen ohne Ersatzerinnern beleuchtet und meinen vorhin aufgestellten Satz bestätigt, dass das Auftauchen oder Ausbleiben von unrichtigen Ersatzerinnerungen eine wesentliche Unterscheidung nicht begründen kann.1)1)

1) Feinere Beobachtung schränkt den Gegensatz zwischen der Analyse: Signorelli und der: aliquis betreffs der Ersatzerinnerungen um Einiges ein. Auch hier scheint nämlich das Vergessen von einer Ersatzbildung begleitet zu sein. Als ich an meinen Partner nachträglich die Frage stellte, ob ihm bei seinen Bemühungen, das fehlende Wort zu erinnern, nicht irgend etwas zum Ersatz eingefallen sei, berichtete er, dass er zunächst die Versuchung verspürt habe, ein ab in den Vers zu bringen: nostris ab ossibus (vielleicht das unverknüpfte Stück von a-liquis) und dann, dass sich ihm das Exoriare besonders deutlich und hartnäckig aufgedrängt habe. Als Skeptiker setzte er hinzu, offenbar weil es das erste Wort des Verses war. Als ich ihn bat, doch auf die Associationen von Exoriare aus zu achten, gab er mir Exorcismus an. Ich kann mir also sehr wohl denken, dass die Verstärkung von Exoriare in der Reproduktion eigentlich den Wert einer solchen Ersatzbildung hatte. Dieselbe wäre über die Association: Exorcismus von den Namen der Heiligen her erfolgt. Indess sind dies Feinheiten, auf die man keinen Wert zu legen braucht. — Es erscheint nun aber wohl möglich, dass das Auftreten irgend einer Art von Ersatzinnerung ein konstantes, vielleicht auch nur ein charakteristisches und verräterisches Zeichen des tendenziösen, durch Verdrängung motivierten Vergessens ist. Diese Ersatzbildung bestände auch dort, wo das Auftauchen unrichtiger Ersatzbildungen ausbleibt, in der Verstärkung eines Elementes,welches dem vergessenen benachbart ist. Im Beispiele: Signorelli war z. B. solange mir der Name des Malers unzugänglich blieb, die visuelle Erinnerung an den Cyclus von Fresken und an sein in der Ecke eines Bildes angebrachtes Selbstporträt überdeutlich, jedenfalls weit intensiver als visuelle Erinnerungsspuren sonst bei mir auftreten. In einem anderen Falle, der gleichfalls in der Abhandlung von 1898 mitgeteilt ist, hatte ich von der Adresse eines mir unbequemen Besuches in einer fremden Stadt den Strassennamen hoffnungslos vergessen, die Hausnummer aber — wie zum Spott — überdeutlich gemerkt, während sonst das Erinnern von Zahlen mir die grösste Schwierigkeit bereitet. § 59

Der Hauptwert des Beispieles: aliquis ist aber in einem anderen seiner Unterschiede von dem Falle: Signorelli gelegen. Im letzteren Beispiel wird die Reproduction des Namens gestört durch die Nachwirkung eines Gedankenganges, der kurz vorher begonnen und abgebrochen wurde, dessen Inhalt aber in keinem deutlichen Zusammenhang mit dem neuen Thema stand, in dem der Name Signorelli enthalten war. Zwischen dem verdrängten und dem Thema des vergessenen Namens bestand blos die Beziehung der zeitlichen Contiguität: dieselbe reichte hin, damit sich die beiden durch eine äusserliche Association in Verbindung setzen konnten.1)1) Im Beispiele: aliquis hingegen ist von einem solchen unabhängigen verdrängten Thema, welches unmittelbar vorher das bewusste Denken beschäftigt hätte und nun als Störung nachklänge, nichts zu merken. Die Störung der Reproduction erfolgt hier aus dem Inneren des angeschlagenen Themas heraus, indem sich unbewusst ein Widerspruch gegen die im Citat dargestellte Wunschidee erhebt. Man muss sich den Hergang in folgender Art construieren: Der Redner hat bedauert, dass die gegenwärtige Generation seines Volkes in ihren Rechten verkürzt wird; eine neue Generation, weissagt er wie Dido, wird die Rache an den Bedrängern übernehmen. Er hat also den Wunsch nach Nachkommenschaft ausgesprochen. In diesem Momente fährt ihm ein widersprechender Gedanke dazwischen. „Wünschest du dir Nachkommenschaft wirklich so lebhaft? Das ist nicht wahr. In welche Verlegenheit kämest du, wenn du jetzt die Nachricht erhieltest, dass du von der einen Seite, die du kennst, Nachkommen zu erwarten hast? Nein, keine Nachkommenschaft, wiewohl wir sie für die Rache brauchen.“ Dieser Widerspruch bringt sich nun zur Geltung, indem er genau wie im Beispiel: Signorelli eine äusserliche Association zwischen einem seiner Vorstellungselemente und einem Elemente des beanstandeten Wunsches herstellt, und zwar diesmal auf eine höchst gewaltsame Weise durch einen gekünstelt erscheinenden Associationsumweg. Eine zweite wesentliche Uebereinstimmung mit dem Beispiel: Signorelli ergiebt sich daraus, dass der Widerspruch aus verdrängten Quellen stammt und von Gedanken ausgeht, welche eine Abwendung der Aufmerksamkeit hervorrufen würden. — Soviel über die Verschiedenheit und über die innere Verwandtschaft der beiden Paradigmata des Namenvergessens. Wir haben einen zweiten Mechanismus des Vergessens kennen gelernt, die Störung eines Gedankens durch einen aus dem Verdrängten kommenden inneren Widerspruch. Wir werden diesem Vorgang, der uns als der leichter verständliche erscheint, im Laufe dieser Erörterungen noch wiederholt begegnen.

1) Ich möchte für das Fehlen eines inneren Zusammenhanges zwischen den beiden Gedankenkreisen im Falle Signorelli nicht mit voller Ueberzeugung einstehen. Bei sorgfältiger Verfolgung der verdrängten Gedanken über das Thema von Tod und Sexualleben stösst man doch auf eine Idee, die sich mit dem Thema des Cyclus von Orvieto nahe berührt. § 60

III.

§ 61

Ueber die Deckerinnerungen.

§ 62

In einer zweiten Abhandlung (1899 in dieser Zeitschrift veröffentlicht) habe ich die tendenziöse Natur unseres Erinnerns an unvermuteter Stelle nachweisen können. Ich bin von der auffälligen Thatsache ausgegangen, dass die frühesten Kindheitserinnerungen des Menschen häufig bewahrt zu haben scheinen, was gleichgiltig und nebensächlich ist, während von wichtigen, eindrucksvollen und affectreichen Eindrücken dieser Zeit (häufig, gewiss nicht allgemein!) sich im Gedächtnis des Erwachsenen keine Spur vorfindet. Da es bekannt ist, dass das Gedächtnis unter den ihm dargebotenen Eindrücken eine Auswahl trifft, stände man hier vor der Annahme, dass diese Auswahl im Kindesalter nach ganz anderen Principien vor sich geht als zur Zeit der intellektuellen Reife. Eingehende Untersuchung weist aber nach, dass diese Annahme überflüssig ist. Die indifferenten Kindheitserinnerungen verdanken ihre Existenz einem Verschiebungsvorgang; sie sind der Ersatz in der Reproduction für andere wirklich bedeutsame Eindrücke, deren Erinnerung sich durch psychische Analyse aus ihnen entwickeln lässt, deren directe Reproduction aber durch einen Widerstand gehindert ist. Da sie ihre Erhaltung nicht dem eigenen Inhalt, sondern einer associativen Beziehung ihres Inhaltes zu einem anderen, verdrängten, verdanken, haben sie auf den Namen „Deckerinnerungen“, mit welchem ich sie ausgezeichnet habe, begründeten Anspruch.

§ 63

Die Mannigfaltigkeit in den Beziehungen und Bedeutungen der Deckerinnerungen habe ich in dem erwähnten Aufsatze nur gestreift, keineswegs erschöpft. An dem dort ausführlich analysierten Beispiel habe ich eine Besonderheit der zeitlichen Relation zwischen der Deckerinnerung und dem durch sie gedeckten Inhalt besonders hervorgehoben. Der Inhalt der Deckerinnerung gehörte dort nämlich einem der ersten Kinderjahre an, während die durch sie im Gedächtnis vertretenen Gedankenerlebnisse, die fast unbewusst geblieben waren, in späte Jahre des Betreffenden fielen. Ich nannte diese Art der Verschiebung eine rückgreifende oder rückläufige. Vielleicht noch häufiger begegnet man dem entgegengesetzten Verhältnis, dass ein indifferenter Eindruck der jüngsten Zeit sich als Deckerinnerung im Gedächtnis festsetzt, der diese Auszeichnung nur der Vergeht, welche eine Abwendung der Aufmerksamkeit hervorrufen würden. — Soviel über die Verschiedenheit und über die innere Verwandtschaft der beiden Paradigmata des Namenvergessens. Wir haben einen zweiten Mechanismus des Vergessens kennen gelernt, die Störung eines Gedankens durch einen aus dem Verdrängten kommenden inneren Widerspruch. Wir werden diesem Vorgang, der uns als der leichter verständliche erscheint, im Laufe dieser Erörterungen noch wiederholt begegnen.

§ 64

III.

§ 65

Ueber die Deckerinnerungen.

§ 66

In einer zweiten Abhandlung (1899 in dieser Zeitschrift veröffentlicht) habe ich die tendenziöse Natur unseres Erinnerns an unvermuteter Stelle nachweisen können. Ich bin von der auffälligen Thatsache ausgegangen, dass die frühesten Kindheitserinnerungen des Menschen häufig bewahrt zu haben scheinen, was gleichgiltig und nebensächlich ist, während von wichtigen, eindrucksvollen und affectreichen Eindrücken dieser Zeit (häufig, gewiss nicht allgemein!) sich im Gedächtnis des Erwachsenen keine Spur vorfindet. Da es bekannt ist, dass das Gedächtnis unter den ihm dargebotenen Eindrücken eine Auswahl trifft, stände man hier vor der Annahme, dass diese Auswahl im Kindesalter nach ganz anderen Principien vor sich geht als zur Zeit der intellektuellen Reife. Eingehende Untersuchung weist aber nach, dass diese Annahme überflüssig ist. Die indifferenten Kindheitserinnerungen verdanken ihre Existenz einem Verschiebungsvorgang; sie sind der Ersatz in der Reproduction für andere wirklich bedeutsame Eindrücke, deren Erinnerung sich durch psychische Analyse aus ihnen entwickeln lässt, deren directe Reproduction aber durch einen Widerstand gehindert ist. Da sie ihre Erhaltung nicht dem eigenen Inhalt, sondern einer associativen Beziehung ihres Inhaltes zu einem anderen, verdrängten, verdanken, haben sie auf den Namen „Deckerinnerungen“, mit welchem ich sie ausgezeichnet habe, begründeten Anspruch.

§ 67

Die Mannigfaltigkeit in den Beziehungen und Bedeutungen der Deckerinnerungen habe ich in dem erwähnten Aufsatze nur gestreift, keineswegs erschöpft. An dem dort ausführlich analysierten Beispiel habe ich eine Besonderheit der zeitlichen Relation zwischen der Deckerinnerung und dem durch sie gedeckten Inhalt besonders hervorgehoben. Der Inhalt der Deckerinnerung gehörte dort nämlich einem der ersten Kinderjahre an, während die durch sie im Gedächtnis vertretenen Gedankenerlebnisse, die fast unbewusst geblieben waren, in späte Jahre des Betreffenden fielen. Ich nannte diese Art der Verschiebung eine rückgreifende oder rückläufige. Vielleicht noch häufiger begegnet man dem entgegengesetzten Verhältnis, dass ein indifferenter Eindruck der jüngsten Zeit sich als Deckerinnerung im Gedächtnis festsetzt, der diese Auszeichnung nur der Verknüpfung mit einem früheren Erlebnis verdankt, gegen dessen directe Reproduktion sich Widerstände erheben. Dies wären vorgreifende oder vorgeschobene Deckerinnerungen. Das Wesentliche, was das Gedächtnis bekümmert, liegt hier der Zeit nach hinter der Deckerinnerung. Endlich wird der dritte noch mögliche Fall nicht vermisst, dass die Deckerinnerung nicht nur durch ihren Inhalt, sondern auch durch Contiguität in der Zeit mit dem von ihr gedeckten Eindruck verknüpft ist, also die gleichzeitige oder anstossende Deckerinnerung.

§ 68

Ein wie grosser Teil unseres Gedächtnisschatzes in die Kategorie der Deckerinnerungen gehört, und welche Rolle bei verschiedenen neurotischen Denkvorgängen diesen zufällt, das sind Probleme, in deren Würdigung ich weder dort eingegangen bin, noch hier eintreten werde. Es kommt mir nur darauf an, die Gleichartigkeit zwischen dem Vergessen von Eigennamen mit Fehlerinnern und der Bildung der Deckerinnerungen hervorzuheben.

§ 69

Auf den ersten Anblick sind die Verschiedenheiten der beiden Phänomene weit auffälliger, als ihre etwaigen Analogien. Dort handelt es sich um Eigennamen, hier um complete Eindrücke, um entweder in der Realität oder in Gedanken Erlebtes; dort um ein manifestes Versagen der Erinnerungsfunction, hier um eine Erinnerungsleistung, die uns befremdend erscheint, dort um eine momentane Störung — denn der eben vergessene Name kann vorher hundert Male richtig reproduciert worden sein und es von morgen an wieder werden — hier um dauernden Besitz ohne Ausfall, denn die indifferenten Kindheitserinnerungen scheinen uns durch ein langes Stück unseres Lebens begleiten zu können. Das Rätsel scheint in beiden Fällen ganz anders orientiert zu sein. Dort ist es das Vergessen, hier das Merken, was unsere wissenschaftliche Neugierde rege macht. Nach einiger Vertiefung merkt man, dass trotz der Verschiedenheit im psychischen Material und in der Zeitdauer der beiden Phänomene, die Uebereinstimmungen weit überwiegen. Es handelt sich hier wie dort um das Fehlgehen des Erinnerns, es wird nicht das vom Gedächtnis reproduciert, was correcterweise reproduciert werden sollte, sondern etwas anderes zum Ersatz. Dem Falle des Namenvergessens fehlt nicht die Gedächtnisleistung in der Form der Ersatznamen. Der Fall der Deckerinnerungsbildung beruht auf dem Vergessen von anderen wesentlichen Eindrücken. In beiden Fällen giebt uns eine intellektuelle Empfindung Kunde von der Einmengung einer Störung, nur jedesmal in anderer Form. Beim Namenvergessen wissen wir, dass die Ersatznamen falsch sind; bei den den Deckerinnerungen verwundern wir uns, dass wir sie überhaupt besitzen. Wenn dann die psychologische Analyse nachweist, dass die Ersatzbildung in beiden Fällen auf die nämliche Weise durch Verschiebung längs einer oberflächlichen Association zustande gekommen ist, so tragen gerade die Verschiedenheiten im Material,in der Zeitdauer und in der Centrierung der beiden Phänomene dazu bei, unsere Erwartung zu steigern, dass wir etwas wichtiges und allgemeingiltiges aufgefunden haben. Dieses allgemeine würde lauten, dass das Versagen und Irregehen der reproducierenden Function weit häufiger, als wir vermuten auf die Einmengung eines parteiischen Factors, einer Tendenz hinweist, welche die eine Erinnerung begünstigt, weil sie einer anderen entgegen zu arbeiten bemüht ist.

§ 70

IV.

§ 71

Das Versprechen.

§ 72

Wenn das gebräuchliche Material unserer Rede in der Mutterspache gegen das Vergessen geschützt erscheint, so unterliegt dessen Anwendung um so häufiger einer anderen Störung, die als „Versprechen“ bekannt ist. Das beim normalen Menschen beobachtete Versprechen macht den Eindruck der Vorstufe für die unter pathologischen Bedingungen auftretenden sogen. „Paraphasien“.

§ 73

Ich befinde mich hier in der ausnahmsweisen Lage, eine Vorarbeit würdigen zu können. Im Jahre 1895 haben Meringer und C. Mayer eine Studie über „Versprechen und Verlesen“ publiciert, an deren Gesichtspunkte die meinigen nicht heranreichen. Der eine der Autoren, der im Texte das Wort führt, ist nämlich Sprachforscher und ist von linguistischen Interessen zur Untersuchung veranlasst worden, den Regeln nachzugehen, nach denen man sich verspricht. Er hoffte aus diesen Regeln auf das Vorhandensein „eines gewissen geistigen Mechanismus“ schliessen zu können, „in welchem die Laute eines Wortes, eines Satzes, und auch die Worte untereinander in ganz eigentümlicher Weise verbunden und verknüpft sind“, (p. 10).

§ 74

Die Autoren gruppieren die von ihnen gesammelten Beispiele des „Versprechens“ zunächst nach rein descriptiven Gesichtspunkten als Vertauschungen (z. B. die Milo von Venus anstatt Venus von Milo), Vorklänge oder Anticipationen (z. B. es war mir auf der Schwest . . . auf der Brust so schwer), Nachklänge, Postpositionen (z. B. „lch fordere Sie auf, auf das Wohl unseres Chefs aufzustossen“ für anzustossen), Contaminationen (z. B. „Er setzt sich auf den Hinterkopf“ aus: „Er setzt sich einen Kopf auf“ und: „Er stellt sich auf die Hinterbeine“), Substitutionen (z. B. „Ich gebe die Präparate in den Briefkasten“ statt Brütkasten, zu welchen Hauptkategorien noch einige minder wichtige (oder für unsere Zwecke minder bedeutsame) hinzugefügt werden. Es macht bei dieser Gruppierung keinen Unterschied, ob die Umstellung, Entstellung, Verschmelzung u. s. w. einzelne Laute des Wortes, Silben oder ganze Worte des intendierten Satzes betrifft.

§ 75

Zur Erklärung der beobachteten Arten des Versprechens stellt Meringer eine verschiedene psychische Wertigkeit derin der Zeitdauer und in der Centrierung der beiden Phänomene dazu bei, unsere Erwartung zu steigern, dass wir etwas wichtiges und allgemeingiltiges aufgefunden haben. Dieses allgemeine würde lauten, dass das Versagen und Irregehen der reproducierenden Function weit häufiger, als wir vermuten auf die Einmengung eines parteiischen Factors, einer Tendenz hinweist, welche die eine Erinnerung begünstigt, weil sie einer anderen entgegen zu arbeiten bemüht ist.

§ 76

IV.

§ 77

Das Versprechen.

§ 78

Wenn das gebräuchliche Material unserer Rede in der Mutterspache gegen das Vergessen geschützt erscheint, so unterliegt dessen Anwendung um so häufiger einer anderen Störung, die als „Versprechen“ bekannt ist. Das beim normalen Menschen beobachtete Versprechen macht den Eindruck der Vorstufe für die unter pathologischen Bedingungen auftretenden sogen. „Paraphasien“.

§ 79

Ich befinde mich hier in der ausnahmsweisen Lage, eine Vorarbeit würdigen zu können. Im Jahre 1895 haben Meringer und C. Mayer eine Studie über „Versprechen und Verlesen“ publiciert, an deren Gesichtspunkte die meinigen nicht heranreichen. Der eine der Autoren, der im Texte das Wort führt, ist nämlich Sprachforscher und ist von linguistischen Interessen zur Untersuchung veranlasst worden, den Regeln nachzugehen, nach denen man sich verspricht. Er hoffte aus diesen Regeln auf das Vorhandensein „eines gewissen geistigen Mechanismus“ schliessen zu können, „in welchem die Laute eines Wortes, eines Satzes, und auch die Worte untereinander in ganz eigentümlicher Weise verbunden und verknüpft sind“, (p. 10).

§ 80

Die Autoren gruppieren die von ihnen gesammelten Beispiele des „Versprechens“ zunächst nach rein descriptiven Gesichtspunkten als Vertauschungen (z. B. die Milo von Venus anstatt Venus von Milo), Vorklänge oder Anticipationen (z. B. es war mir auf der Schwest . . . auf der Brust so schwer), Nachklänge, Postpositionen (z. B. „lch fordere Sie auf, auf das Wohl unseres Chefs aufzustossen“ für anzustossen), Contaminationen (z. B. „Er setzt sich auf den Hinterkopf“ aus: „Er setzt sich einen Kopf auf“ und: „Er stellt sich auf die Hinterbeine“), Substitutionen (z. B. „Ich gebe die Präparate in den Briefkasten“ statt Brütkasten, zu welchen Hauptkategorien noch einige minder wichtige (oder für unsere Zwecke minder bedeutsame) hinzugefügt werden. Es macht bei dieser Gruppierung keinen Unterschied, ob die Umstellung, Entstellung, Verschmelzung u. s. w. einzelne Laute des Wortes, Silben oder ganze Worte des intendierten Satzes betrifft.

§ 81

Zur Erklärung der beobachteten Arten des Versprechens stellt Meringer eine verschiedene psychische Wertigkeit derSprachlaute auf. Wenn wir den ersten Laut eines Wortes, das erste Wort eines Satzes innervieren, wendet sich bereits der Erregungsvorgang den späteren Lauten, den folgenden Worten zu, und soweit diese Innervationen mit einander gleichzeitig sind, können sie einander abändernd beeinflussen. Die Erregung des psychisch intensiveren Lautes klingt vor oder hallt nach und stört so den minderwertigen Innervationsvorgang. Es handelt sich nun darum zu bestimmen, welche die höchstwertigen Laute eines Wortes sind. Meringer meint: „Wenn man wissen will, welchem Laute eines Wortes die höchste Intensität zukommt, so beobachte man sich beim Suchen nach einem vergessenen Wort, z. B. einem Namen. Was zuerst wieder in’s Bewusstsein kommt, hatte jedenfalls die grösste Intensität vor dem Vergessen (p. 160). Die hochwertigen Laute sind also der Anlaut der Wurzelsilbe und der Wortanlaut und der oder die betonten Vokale.“ (p. 162.)

§ 82

Ich kann nicht umhin, hier einen Widerspruch zu erheben. Ob der Anlaut des Namens zu den höchstwertigen Elementen des Wortes gehöre oder nicht, es ist gewiss nicht richtig, dass er im Falle des Wortvergessens zuerst wieder in’s Bewusstsein tritt; die obige Regel ist also unbrauchbar. Wenn man sich bei der Suche nach einem vergessenen Namen beobachtet, so wird man verhältnismässig häufig die Ueberzeugung äussern müssen, er fange mit einem bestimmten Buchstaben an. Diese Ueberzeugung erweist sich nun ebenso oft als unbegründet wie als begründet. Ja, ich möchte behaupten, man proclamiert in der Mehrzahl der Fälle einen falschen Anlaut. Auch in unserem Beispiel: Signorelli ist bei dem Ersatznamen der Anlaut und sind die wesentlichen Silben verloren gegangen; gerade das minderwertige Silbenpaar elli ist im Ersatznamen Botticelli dem Bewusstsein wiedergekehrt.

§ 83

Wenn man der Vermutung Raum giebt, dass ein ähnlicher Mechanismus wie der für’s Namenvergessen nachgewiesene auch an den Erscheinungen des Versprechens Anteil haben könne, so wird man zu einer tiefer begründeten Beurteilung der Fälle von Versprechen geführt. Die Störung in der Rede, welche sich als Versprechen kundgiebt, kann erstens verursacht sein durch den Einfluss eines anderen Bestandteils derselben Rede, also durch das Vorklingen oder Nachhallen, oder durch eine zweite Fassung innerhalb des Satzes oder des Zusammenhanges, den auszusprechen man intendiert — hierher gehören alle oben Meringer und Mayer entlehnten Beispiele —; zweitens aber könnte die Störung analog dem Vorgang im Falle: Signorelli zustande kommen durch Einflüsse ausserhalb dieses Wortes, Satzes oder Zusammenhanges, von Elementen her, die auszusprechen man nicht intendiert, und von deren Erregung man erst durch eben die Störung Kenntnis erhält. In der Gleichzeitigkeit der Erregung läge das Gemeinsame, in der Stellung innerhalb oder ausserhalb desselben Satzes oder zusammenhanges das Unterscheidende für die beiden Entstehungsarten des Versprechens. Der Unterschied erscheint zunächst nicht so gross, als er für gewisse Folgerungen aus der Symptomatologie des Versprechens in Betracht kommt. Es ist aber klar, dass man nur im ersteren Falle Aussicht hat, aus den Erscheinungen des Versprechens Schlüsse auf einen Mechanismus zu ziehen, der Laute und Worte zur gegenseitigen Beeinflussung ihrer Articulation mit einander verknüpft, also Schlüsse, wie sie der Sprachforscher aus dem Studium des Versprechens zu gewinnen hoffte. Im Falle der Störung durch Einflüsse ausserhalb des nämlichen Satzes oder Redezusammenhanges würde sich es vor allem darum handeln, die störenden Elemente kennen zu lernen, und dann entstände die Frage, ob auch der Mechanismus dieser Störung die zu vermutenden Gesetze der Sprachbildung verraten kann.

§ 84

Man darf nicht behaupten, dass Meringer und Mayer die Möglichkeit der Sprechstörung durch „compliciertere psychische Einflüsse“, durch Elemente ausserhalb desselben Wortes, Satzes oder derselben Redefolge übersehen haben. Sie mussten ja bemerken, dass die Theorie der psychischen Ungleichwertigkeit der Laute strenge genommen nur für die Aufklärung der Lautstörungen, sowie der Vor- und Nachklänge ausreicht. Wo sich die Wortstörungen nicht auf Lautstörungen reducieren lassen, z. B. bei den Substitutionen und Contaminationen von Worten haben auch sie unbedenklich die Ursache des Versprechens ausserhalb des intendierten Zusammenhanges gesucht und diesen Sachverhalt durch schöne Beispiele erwiesen. Ich citiere folgende Stellen:

§ 85

(p. 62.) „ "Ru. erzählt von Vorgängen, die er in seinem Innern für „Schweinereien“ erklärt. Er sucht aber nach einer milden Form und beginnt: „Dann aber sind Thatsachen zum Vorschwein gekommen . . .“ Mayer und ich waren anwesend und Ru. bestätigte, dass er „Schweinereien“ gedacht hatte. Dass sich dieses gedachte Wort bei „Vorschein“ verriet und plötzlich wirksam wurde, findet in der Aehnlichkeit der Wörter seine genügende Erklärung." “ —

§ 86

(p. 73.) „ "Auch bei den Substitutionen spielen wie bei den Contaminationen und in wahrscheinlich viel höherem Grade die „schwebenden“ oder „vagierenden“ Sprachbilder eine grosse Rolle. Sie sind, wenn auch unter der Schwelle des Bewusstseins, so doch noch in wirksamer Nähe, können leicht durch eine Aehnlichkeit des zu sprechenden Complexes herangezogen werden und führen dann eine Entgleisung herbei oder kreuzen den Zug der Wörter. Die „schwebenden“ oder „vagierenden“ Sprachbilder sind wie gesagt, oft die Nachzügler von kürzlich abgelaufenen Sprachprocessen (Nachklänge)."

§ 87

(p. 97.) „ "Eine Entgleisung ist auch durch Aehnlichkeit möglich, wenn ein anderes ähnliches Wort nahe unter der Bewusstseinsschwelle liegt, ohne dass es gesprochen zu wer-" "den bestimmt wäre. Das ist der Fall bei den Substitutionen. — So hoffe ich, dass man beim Nachprüfen meine Regeln wird bestätigen müssen. Aber dazu ist notwendig, dass man (wenn ein anderer spricht) sich Klarheit darüber verschafft, an was Alles der Sprecher gedacht hat.1)1) Hier ein lehrreicher Fall. Klassendirektor Li. sagte in unserer Gesellschaft: „Die Frau würde mir Furcht einlagen.“ Ich wurde stutzig, denn das l schien mir unerklärlich. Ich erlaubte mir, den Sprecher auf seinen Fehler „einlagen“ für „einjagen“ aufmerksam zu machen, worauf er sofort antwortete: „Ja, das kommt daher, weil ich dachte: ich wäre nicht in der Lage u. s. f."

§ 88

"Ein anderer Fall. Ich frage R. v. Schid., wie es seinem kranken Pferde gehe. Er antwortet: Ja, das draut . . dauert vielleicht noch einen Monat. Das „draut“ mit seinem r war mir unverständlich, denn das r von dauert konnte unmöglich so gewirkt haben. Ich machte also R. v. S. aufmerksam, worauf er erklärte, er habe gedacht, „das ist eine traurige Geschichte.“ Der Sprecher hatte also zwei Antworten im Sinne und diese vermengten sich."

§ 89

Es ist wohl unverkennbar, wie nahe die Rücksichtnahme auf die „vagierenden“ Sprachbilder, die unter der Schwelle des Bewusstseins stehen und nicht zum gesprochen werden bestimmt sind, und die Forderung sich zu erkundigen, an was der Sprecher alles gedacht habe, an die Verhältnisse bei unseren „Analysen“ herankommen. Auch wir suchen unbewusstes Material und zwar auf dem nämlichen Wege, nur dass wir von den Einfällen des Befragten bis zur Auffindung des störenden Elementes einen längeren Weg durch eine complexe Associationsreihe zurückzulegen haben.

§ 90

Ich verweile noch bei einem anderen interessanten Verhalten, für das die Beispiele Meringer’s Zeugnis ablegen. Nach der Einsicht des Autors selbst ist es irgend eine Aehnlichkeit eines Wortes im intendierten Satz mit einem anderen nicht intendierten, welche dem letzteren gestattet, sich durch die Verursachung einer Entstellung, Mischbildung, Compromissbildung (Contamination) im Bewusstsein zur Geltung zu bringen.

§ 91

lagen, dauert, Vorschein. jagen, traurig, schwein.

§ 92

Nun habe ich in meiner Schrift über die „Traumdeutung“2)2) dargethan, welchen Anteil die Verdichtungsarbeit an der Entstehung des sog. manifesten Trauminhaltes aus den latenten Traumgedanken hat. Irgend eine Aehnlichkeit der Dinge oder der Wortvorstellungen zwischen zwei Elementen des unbewussten Materials wird da zum Anlass genommen, um ein Drittes, eine Misch- oder Compromissvorstellung zu schaffen, welche im Trauminhalt ihre beiden Componenten vertritt, und die infolge diesesUrsprungs so häufig mit widersprechenden Einzelbestimmungen ausgestattet ist. Die Bildung von Substitutionen und Contaminationen beim Versprechen ist somit ein Beginn jener Verdichtungsarbeit, die wir in eifrigster Thätigkeit am Aufbau des Traumes beteiligt finden.

1) Von mir hervorgehoben. 2) Die Traumdeutung. Leipzig und Wien, 1900. § 93

In einem kleinen für weitere Kreise bestimmten Aufsatz (Neue freie Presse vom 23. Aug. 1900: „Wie man sich versprechen kann“) hat Meringer eine besondere praktische Bedeutung für gewisse Fülle von Wortvertauschungen in Anspruch genommen, für solche nämlich, in denen man ein Wort durch sein Gegenteil dem Sinne nach ersetzt. „ "Man erinnert sich wohl noch der Art, wie vor einiger Zeit der Präsident des österreichischen Abgeordnetenhauses die Sitzung eröffnete: „Hohes Haus! Ich constatiere die Anwesenheit von so und soviel Herren und erkläre somit die Sitzung für „geschlossen! Die allgemeine Heiterkeit machte ihn erst aufmerksam, und er verbesserte den Fehler. Im vorliegenden Falle wird die Erklärung wohl diese sein, dass der Präsident sich wünschte, er wäre schon in der Lage, die Sitzung, von der wenig Gutes zu erwarten stand, zu schliessen, aber — eine häufige Erscheinung — der Nebengedanke setzte sich wenigstens teilweise durch, und das Resultat war „geschlossen“ für „eröffnet“, also das Gegenteil dessen, was zu sprechen beabsichtigt war. Aber vielfältige Beobachtung hat mich belehrt, dass man gegensätzliche Worte überhaupt sehr häufig mit einander vertauscht; sie sind eben schon in unserem Sprachbewusstsein associiert, liegen hart nebeneinander und werden leicht irrtümlich aufgerufen."

§ 94

Nicht in allen Fällen von Gegensatzvertauschung wird es so leicht, wie hier im Beispiel des Präsidenten, wahrscheinlich zu machen, dass das Versprechen in Folge eines Widerspruchs geschieht, der sich im Innern des Redners gegen den geäusserten Satz erhebt. Wir haben den analogen Mechanismus in der Analyse des Beispiels: aliquis gefunden; dort äusserte sich der innere Widerspruch im Vergessen eines Wortes anstatt seiner Ersetzung durch das Gegenteil. Wir wollen aber zur Ausgleichung des Unterschiedes bemerken, dass das Wörtchen aliquis eines ähnlichen Gegensatzes, wie ihn „schliessen“ zu „eröffnen“ ergiebt, eigentlich nicht fähig ist, und dass „eröffnen“ als gebräuchlicher Bestandteil des Redeschatzes dem Vergessen nicht unterworfen sein kann.

§ 95

Zeigen uns die letzten Beispiele von Meringer und Mayer, dass die Sprechstörung ebensowohl durch den Einfluss vorund nachklingender Laute und Worte desselben Satzes entstehen kann, die zum Ausgesprochenwerden bestimmt sind, wie durch die Einwirkung von Worten ausserhalb des intendierten Satzes, deren Erregung sich sonst nicht verraten hätte, so werden wir zunächst erfahren wollen, ob man die beiden Klassen von Versprechen scharf sondern, und wie man ein Beispiel der einen von einem Fall der anderen Klasse unterscheiden kann.An dieser Stelle der Erörterung muss man aber der Aeusserungen Wundt’s gedenken, der in seiner eben erscheinenden umfassenden Bearbeitung der Entwicklungsgesetze der Sprache (Völkerpsychologie, I. Band, I. Teil p. 371 u. ff., 1900) auch die Erscheinungen des Versprechens behandelt. Was bei diesen Erscheinungen und anderen, ihnen verwandten, niemals fehlt, das sind nach Wundt gewisse psychische Einflüsse. „ "Dahin gehört zunächst als positive Bedingung der ungehemmte Fluss der von den gesprochenen Lauten angeregten Laut- und Wortassociationen. Ihm tritt der Wegfall oder der Nachlass der diesen Lauf hemmenden Wirkungen des Willens und der auch hier als Willensfunction sich bethätigenden Aufmerksamkeit als negatives Moment zur Seite. Ob jenes Spiel der Association darin sich äussert, dass ein kommender Laut anticipiert oder die vorausgegangenen reproduciert, oder ein gewohnheitsmässig eingeübter zwischen andere eingeschaltet wird, oder endlich darin, dass ganz andere Worte, die mit den gesprochenen Lauten in associativer Beziehung stehen, auf diese herüberwirken — alles dies bezeichnet nur Unterschiede in der Richtung, und allenfalls in dem Spielraum der stattfindenden Associationen, nicht in der allgemeinen Natur derselben. Auch kann es in manchen Fällen zweifelhaft sein, welcher Form man eine bestimmte Störung zuzurechnen, oder ob man sie nicht mit grösserem Rechte nach dem Princip der Complication der Ursachen1)1), auf ein Zusammentreffen mehrerer Motive zurückzuführen habe." “ (p. 380 und 381.)

§ 96

Ich halte diese Bemerkungen Wundt’s für vollberechtigt und sehr instruktiv. Vielleicht könnte man mit grösserer Entschiedenheit als Wundt betonen, dass das positiv begünstigende Moment der Sprechfehler — der ungehemmte Fluss der Associationen und das negative — der Nachlass der hemmenden Aufmerksamkeit regelmässig mit einander zur Wirkung gelangen, so dass beide Momente nur zu verschiedenen Bestimmungen des nämlichen Vorganges werden. Mit dem Nachlass der hemmenden Aufmerksamkeit tritt eben der ungehemmte Fluss der Associationen in Thätigkeit; noch unzweifelhafter ausgedrückt: durch diesen Nachlass.

§ 97

Unter den Beispielen von Versprechen, die ich selbst gesammelt, finde ich kaum eines, bei dem ich die Sprechstörung einzig und allein anf das, was Wundt „Contactwirkung der Laute“ nennt, zurückführen müsste. Fast regelmässig entdecke ich überdies einen störenden Einfluss von etwas ausserhalb der intendierten Rede, und das Störende ist entweder ein einzelner, unbewusst gebliebener Gedanke, der sich durch das Versprechen kundgiebt und oft erst durch eingehende Analyse zum Bewusstsein gefördert werden kann, oder es ist ein allgemeinerespsychisches Motiv, welches sich gegen die ganze Rede richtet.

1) Von mir hervorgehoben. § 98

Beispiel a): Ich will gegen meine Tochter, die beim Einbeissen in einen Apfel ein garstiges Gesicht geschnitten hat, citieren:

§ 99

"Der Affe gar possierlich ist, Zumal wenn er vom Apfel frisst."

§ 100

Ich beginne aber: Der Apfe . . . Dies scheint eine Contamination von „Affe“ und „Apfel“ (Compromissbildung) oder kann auch als Anticipation des vorbereiteten „Apfel“ aufgefasst werden. Der genauere Sachverhalt ist aber der: Ich hatte das Citat schon einmal begonnen und mich das erstemal dabei nicht versprochen. Ich versprach mich erst bei der Wiederholung, die sich als notwendig ergab, weil die Angesprochene, von anderer Seite mit Beschlag belegt, nicht zuhörte. Diese Wiederholung, die mit ihr verbundene Ungeduld, des Satzes ledig zu werden, muss ich in die Motivierung des Sprechfehlers, der sich als eine Verdichtungsleistung darstellt, mit einrechnen.

§ 101

b) Meine Tochter sagt: Ich schreibe der Frau Schresinger . . . Die Frau heisst Schlesinger. Dieser Sprachfehler hängt wohl mit einer Tendenz zur Erleichterung der Articulation zusammen, denn das l ist nach wiederholtem r schwer auszusprechen. Ich muss aber hinzufügen, dass sich dieses Versprechen bei meiner Tochter ereignete, nachdem ich ihr wenige Minuten zuvor „Apfe“ anstatt „Affe“ vorgesagt hatte. Nun ist das Versprechen in hohem Grade ansteckend, ähnlich wie das Namenvergessen, bei dem Meringer und Mayer diese Eigentümlichkeit bemerkt haben. Einen Grund für diese psychische Contagiosität weiss ich nicht anzugeben.

§ 102

c) „Ich klappe zusammen wie ein Tassenmescher Taschenmesser“, sagt eine Patientin zu Beginn der Stunde, die Laute vertauschend, wobei ihr wieder die Articulationsschwierigkeit („Wiener Weiber Wäscherinnen waschen weisse Wäsche — Fischflosse“ und ähnliche Prüfworte) zur Entschuldigung dienen kann. Auf den Sprechfehler aufmerksam gemacht, erwidert sie prompt: „Ja, das ist nur, weil Sie heute „Ernscht“ gesagt haben.“ Ich hatte sie wirklich mit der Rede empfangen: „Heute wird es also Ernst“ (weil es die letzte Stunde vor dem Urlaub werden sollte) und hatte das „Ernst“ scherzhaft zu „Ernscht“ verbreitert. Im Laufe der Stunde verspricht sie sich immer wieder von neuem, und ich merke endlich, dass sie mich nicht blos imitiert, sondern dass sie einen besonderen Grund hat, im Unbewussten bei dem Worte Ernst als Namen zu verweilen.1)1)

1) Sie stand nämlich, wie sich zeigte, unter dem Einfluss von unbewussten Gedanken über Schwangerschaft und Kinderverhütung. Mit den Worten: „zusammengeklappt wie ein Taschenmesser“, welche sie bewusst als Klage vorbrachte, wollte sie die Haltung des Kindes im Mutterleibe beschreiben. Das Wort „Ernst“ in meiner Anrede hatte sie an den Namen(S. Ernst) der bekannten Wiener Firma in der Kärthnerstrasse gemahnt, welche sich als Verkaufsstätte von Schutzmitteln gegen die Conception zu annoncieren pflegt. § 103

d) „Ich bin so verschnupft, ich kann nicht durch die Ase nathmen — Nase athmen“ passiert derselben Patientin ein anderes Mal. Sie weiss sofort, wie sie zu diesem Sprechfehler kommt. „Ich steige jeden Tag in der Hasenauergasse in die Tramway, und heute früh ist mir während des Wartens auf den Wagen eingefallen, wenn ich eine Französin wäre, würde ich Asenauer aussprechen, denn die Franzosen lassen das H im Anlaut immer weg.“ Sie bringt dann eine Reihe von Reminiscenzen an Franzosen, die sie kennen gelernt hat, und langt nach weitläufigen Umwegen bei der Erinnerung an, dass sie als 14 jähriges Mädchen in dem kleinen Stück „Kurmärker und Picarde“ die Picarde gespielt und damals gebrochen Deutsch gesprochen hat. Die Zufälligkeit, dass in ihrem Logierhaus ein Gast aus Paris angekommen ist, hat die ganze Reihe von Erinnerungen wachgerufen. Die Lautvertauschung ist also Folge der Störung durch einen unbewussten Gedanken aus einem ganz fremden Zusammenhang.

§ 104

e) Aehnlich ist der Mechanismus des Versprechens bei einer anderen Patientin, die mitten in der Reproduktion einer längst verschollenen Kindererinnerung von ihrem Gedächtnis verlassen wird. An welche Körperstelle die vorwitzige und lüsterne Hand des Anderen gegriffen hat, will ihr das Gedächtnis nicht mitteilen. Sie macht unmittelbar darauf einen Besuch bei einer Freundin und unterhält sich mit ihr über Sommerwohnungen. Gefragt, wo denn ihr Häuschen in M. gelegen sei, antwortet sie: an der Berglende anstatt Berglehne.

§ 105

f) Eine andere Patientin, die ich nach Abbruch der Stunde frage, wie es ihrem Onkel geht, antwortet: Ich weiss nicht, ich sehe ihn jetzt nur in flagranti. Am nächsten Tage beginnt sie: „Ich habe mich recht geschämt, Ihnen eine so dumme Antwort gegeben zu haben. Sie müssen mich natürlich für eine ganz ungebildete Person halten, die beständig Fremdwörter verwechselt. Ich wollte sagen: en passant.“ Wir wussten damals noch nicht, woher sie die unrichtig angewendeten Fremdworte genommen hatte. In derselben Sitzung aber brachte sie als Fortsetzung des vortägigen Themas eine Reminiscenz, in welcher das Ertapptwerden in flagranti die Hauptrolle spielte. Der Sprechfehler am Tage vorher hatte also die damals noch nicht bewusst gewordene Erinnerung anticipiert.

§ 106

g) Gegen eine Andere muss ich an einer gewissen Stelle der Analyse die Vermutung aussprechen, dass sie sich zur Zeit, von welcher wir eben handeln, ihrer Familie geschämt und ihrem Vater einen uns noch unbekannten Vorwurf gemacht habe. Sie erinnert sich nicht daran, erklärt es übrigens für unwahrscheinlich. Sie setzt aber das Gespräch mit Bemerkungen über ihre Familie fort: „Man muss ihnen das eine lassen: Es sind dochbesondere Menschen, sie haben alle Geiz — ich wollte sagen Geist.“ Das war denn auch wirklich der Vorwurf, den sie aus ihrem Gedächtnis verdrängt hatte. Dass sich in dem Versprechen gerade jene Idee durchdrängt, die man zurückhalten will, ist ein häufiges Vorkommnis (Vgl. den Fall von Meringer: zum Vorschwein gekommen). Der Unterschied liegt nur darin, dass die Person bei Meringer etwas zurückhalten will, was ihr bewusst ist, während meine Patientin das Zurückgehaltene nicht weiss, oder wie man auch sagen kann, nicht weiss, dass sie etwas, und was sie zurückhält.

§ 107

h) „Wenn Sie Teppiche kaufen wollen, so gehen Sie nur zu Kaufmann in der Mathäusgasse. Ich glaube, ich kann Sie dort auch empfehlen“, sagt mir eine Dame. Ich wiederhole: Also bei Mathäus . . . . bei Kaufmann will ich sagen.“ Es sieht aus wie Folge von Zerstreutheit, wenn ich den einen Namen an Stelle des anderen wiederhole. Die Rede der Dame hat mich auch wirklich zerstreut gemacht, denn sie hat meine Aufmerksamkeit auf anderes gelenkt, was mir weit wichtiger ist als Teppiche. In der Mathäusgasse steht nämlich das Haus, in dem meine Frau als Braut gewohnt hatte. Der Eingang des Hauses war in einer anderen Gasse, und nun merke ich, dass ich deren Namen vergessen habe und ihn mir erst auf einem Umweg bewusst machen muss. Der Name Mathäus, bei dem ich verweile, ist mir also ein Ersatzname für den vergessenen Namen der Strasse. Er eignet sich besser dazu als der Name Kaufmann, denn Mathäus ist ausschliesslich ein Personenname, was Kaufmann nicht ist, und die vergessene Strasse heisst auch nach einem Personennamen: Radetzky.

§ 108

i) Folgenden Fall könnte ich ebenso gut bei den später zu besprechenden „Irrtümern“ unterbringen, führe ihn aber hier an, weil die Lautbeziehungen, auf Grund deren die Wortersetzung erfolgt, ganz besonders deutlich sind. Eine Patientin erzählt mir ihren Traum: Ein Kind hat beschlossen, sich durch einen Schlangenbiss zu töten. Es führt den Entschluss aus. Sie sieht zu, wie es sich in Krämpfen windet u. s. w. Sie soll nun die Tagesanknüpfung für diesen Traum finden. Sie erinnert sofort, dass sie gestern abends eine populäre Vorlesung über erste Hilfe bei Schlangenbissen mit angehört. Wenn ein Erwachsener und ein Kind gleichzeitig gebissen worden sind, so soll man zuerst die Wunde des Kindes behandeln. Sie erinnert auch, welche Vorschriften für die Behandlung der Vortragende gegeben hat. Es käme sehr viel darauf an, hat er auch geäussert, von welcher Art man gebissen worden ist. Hier unterbreche ich sie und frage: Hat er denn nicht gesagt, dass wir nur sehr wenig giftige Arten in unserer Gegend haben, und welche die gefürchteten sind?„Ja, er hat die Klapperschlange hervorgehoben“. Mein Lachen macht sie dann aufmerksam, dass sie etwas Unrichtiges gesagt hat. Sie korrigiert jetzt aber nicht etwa den Namen, sondern sie nimmt ihre Aussage zurück. „Ja so, die kommt jabei uns nicht vor; er hat von der Viper gesprochen. Wie gerate ich nur auf die Klapperschlange?“ Ich vermutete, durch die Einmengung der Gedanken, die sich hinter ihrem Traum verborgen hatten. Der Selbstmord durch Schlangenbiss kann kaum etwas anderes sein als eine Anspielung auf die schöne Kleopatra. Die weitgehende Lautähnlichkeit der beiden Worte, die Uebereinstimmung in den Buchstaben Kl . . p . . r in der nämlichen Reihenfolge und in dem betonten a sind nicht zu verkennen. Die gute Beziehung zwischen den Namen Klapperschlange und Kleopatra erzeugt bei ihr eine momentane Einschränkung des Urteils, derzufolge sie an der Behauptung, der Vortragende habe sein Publikum in Wien in der Behandlung von Klapperschlangenbissen unterwiesen, keinen Anstoss nimmt. Sie weiss sonst so gut wie ich, dass diese Schlange nicht zur Fauna unserer Heimat gehört. Wir wollen es ihr nicht verübeln, dass sie an die Versetzung der Klapperschlange nach Egypten ebenso wenig Bedenken knüpfte, denn wir sind gewöhnt, alles Aussereuropäische, Exotische zusammenzuwerfen, und ich selbst musste mich einen Moment besinnen, ehe ich die Behauptung aufstellte, dass die Klapperschlange nur der neuen Welt angehört.

§ 109

Weitere Bestätigungen ergeben sich bei Fortsetzung der Analyse. Die Träumerin hat gestern zum ersten Mal die in der Nähe ihrer Wohnung aufgestellte Antoniusgruppe von Strasser besichtigt. Dies war also der zweite Traumanlass (der erste der Vortrag über Schlangenbisse). In der Fortsetzung ihres Traumes wiegte sie ein Kind in ihren Armen, zu welcher Scene ihr das Gretchen einfällt. Weitere Einfälle bringen Reminiscenzen anArria und Messalina“. Das Auftauchen so vieler Namen von Theaterstücken in den Traumgedanken lässt bereits vermuten, dass bei der Träumerin in früheren Jahren eine geheim gehaltene Schwärmerei für den Beruf der Schauspielerin bestand. Der Anfang des Traumes: „Ein Kind hat beschlossen, sein Leben durch einen Schlangenbiss zu enden“, bedeutet wirklich nichts anderes als: Sie hat sich als Kind vorgenommen, einst eine berühmte Schauspielerin zu werden. Von dem Namen Messalina zweigt endlich der Gedankenweg ab, der zu dem wesentlichen Inhalt dieses Traumes führt. Gewisse Vorfälle der letzten Zeit haben in ihr die Besorgnis erweckt, dass ihr einziger Bruder eine nicht standesgemässe Ehe mit einer Nicht-Arierin, eine Mésalliance eingehen könnte.

§ 110

Bei dem psychotherapeutischen Verfahren, dessen ich mich zur Auflösung und Beseitigung neurotischer Symptome bediene, ist sehr häufig die Aufgabe gestellt, aus den wie zufällig vorgebrachten Reden und Einfällen des Patienten einen Gedankeninhalt aufzuspüren, der sich zwar zu verbergen bemüht ist, aber doch nicht umhin kann, sich in mannigfaltigster Weise unabsichtlich zu verraten. Dabei leistet oft das Versprechen diewertvollsten Dienste, wie ich an den überzeugendsten und andererseits sonderbarsten Beispielen darthun könnte. Die Patienten sprechen z. B. von ihrer Tante und nennen sie consequent, ohne das Versprechen zu merken, „meine Mutter“, oder bezeichnen ihren Mann als ihren „Bruder“. Sie machen mich auf diese Weise aufmerksam, dass sie diese Personen mit einander „identificiert“, in eine Reihe gebracht haben, welche für ihr Gefühlsleben die Wiederkehr desselben Typus bedeutet. Andere Male reicht eine ungewöhnlich klingende Wortfügung, eine gezwungen erscheinende Ausdrucksweise hin, um den Anteil eines verdrängten Gedankens an der anders motivierten Rede des Patienten aufzudecken.

§ 111

In groben wie in solchen feineren Redestörungen, die sich eben noch dem „Versprechen“ subsummieren lassen, finde ich also nicht den Einfluss von Contactwirkungen der Laute, sondern den von Gedanken ausserhalb der Redeintention massgebend für die Entstehung des Versprechens und hinreichend zur Aufhellung des zu Stande gekommenen Sprechfehlers. Die Gesetze, nach denen die Laute verändernd auf einander einwirken, möchte ich nicht anzweifeln; sie scheinen mir aber nicht wirksam genug, um für sich allein die correcte Ausführung der Rede zu stören. In den Fällen, die ich genauer studiert und durchschaut habe, stellen sie blos den vorgebildeten Mechanismus dar, dessen sich ein ferner gelegenes psychisches Motiv bequemerweise bedient, ohne sich aber an den Machtbereich dieser Beziehungen zu binden. In einer grossen Reihe von Substitutionen wird beim Versprechen von solchen Lautgesetzen völlig abgesehen. Ich befinde mich hierbei in voller Uebereinstimmung mit Wundt, der gleichfalls die Bedingungen des Versprechens als zusammengesetzte und weit über die Contactwirkungen der Laute hinausgehende vermutet.

§ 112

Wenn ich diese „entfernteren psychischen Einflüsse“ nach Wundt’s Ausdruck für gesichert halte, so weiss ich andrerseits von keiner Abhaltung, um auch zuzugeben, dass bei beschleunigter Rede und einigermassen abgelenkter Aufmerksamkeit die Bedingungen für’s Versprechen sich leicht auf das von Meringer und Mayer bestimmte Mass einschränken können. Bei einem Teil der von diesen Autoren gesammelten Beispiele ist wohl eine compliciertere Auflösung wahrscheinlicher. Ich greife etwa den vorhin angeführten Fall heraus:

§ 113

Es war mir auf der Schwest . . . Brust so schwer.

§ 114

Geht es hier wohl so einfach zu, dass das schwe das gleichwertige Bru als Vorklang verdrängt? Es ist kaum abzuweisen, dass die Laute schwe ausserdem durch eine besondere Relation zu dieser Vordringlichkeit befähigt werden. Diese könnte dann keine andere sein als die Association: Schwester— Bruder, etwa noch: Brust der Schwester, die zu anderen Gedankenkreisen hinüberleitet. Dieser hinter der Scene unsichtbareHelfer verleiht dem sonst harmlosen schwe die Macht, deren Erfolg sich als Sprechfehler äussert.

§ 115

Für anderes Versprechen lässt sich annehmen, dass der Anklang an obscöne Worte und Bedeutungen das eigentlich Störende ist. Die absichtliche Entstellung und Verzerrung der Worte und Redensarten, die bei unartigen Menschen so beliebt ist, bezweckt nichts anderes, als beim harmlosen Anlass an das Verpönte zu mahnen, und diese Spielerei ist so häufig, dass es nicht wunderbar wäre, wenn sie sich auch unabsichtlich und wider Willen durchsetzen sollte. Beispiele wie: Eischeissweibchen für Eiweissscheibchen, Apopos Fritz für Apropos, Lokuskapitäl für Lotuskapitäl u. s. w. vielleicht noch die Alabüsterbachse (Alabasterbüchse) der hl. Magdalena gehören wohl in diese Kategorie.1)1) — „Ich fordere Sie auf, auf das Wohl unseres Chefs aufzustossen“, ist kaum etwas anderes als eine unbeabsichtigte Parodie als Nachklang einer beabsichtigten. Wenn ich der Chef wäre, zu dessen Feierlichkeit der Festredner diesen Lapsus beigetragen hätte, würde ich wohl daran denken, wie klug die Römer gehandelt haben, als sie den Soldaten des triumphierenden Imperators gestatteten, den inneren Einspruch gegen den Gefeierten in Spottliedern laut zu äussern. — Meringer erzählt von sich selbst, dass er zu einer Person, die als die älteste der Gesellschaft mit dem vertraulichen Ehrennamen „Senexl“ oder „altes Senexl“ angesprochen wurde, einmal gesagt habe: „Prost Senex altesl!“ Er erschrak selbst über diesen Fehler (p. 50). Wir können uns vielleicht seinen Affekt deuten, wenn wir daran mahnen, wie nahe „Altesl“ an den Schimpf „alter Esel“ kommt.“ Auf die Verletzung der Ehrfurcht vor dem Alter (di. auf die Kindheit reduziert: vor dem Vater) sind grosse innere Strafen gesetzt.

§ 116

Ich hoffe, die Leser werden den Wertunterschied dieser Deutungen, die sich durch nichts beweisen lassen, und der Beispiele, die ich selbst gesammelt und durch Analysen erläutert habe, nicht vernachlässigen. Wenn ich aber Stillen immer noch an der Erwartung festhalte, auch die scheinbar einfachen Fälle von Versprechen würden sich auf Störung durch eine unterdrückte Idee ausserhalb des intendierten Zusammenhanges zurückführen lassen, so verlockt mich dazu eine sehr beachtenswerte Bemerkung von Meringer. Dieser Autor sagt, es ist merkwürdig, dass niemand sich versprochen haben will. Es giebt sehr gescheute und ehrliche Menschen, welche beleidigt sind, wenn man ihnen sagt, sie hätten sich versprochen. Ich getraue mich nicht, diese Behauptung so allgemein zu nehmen, wie sie durch das „niemand“ von Meringer hingestellt wird. Die Spur Affekt aber, die am Nachweis des Versprechens hängt und offenbar von der Natur des Schämens ist, hat ihre Bedeutung.Sie ist gleichzusetzen dem Aerger, wenn wir einen vergessenen Namen nicht erinnern, und der Verwunderung über die Haltbarkeit einer scheinbar belanglosen Erinnerung, und weist alle male auf die Beteiligung eines Motivs am Zustandekommen der Störung hin.

1) Bei einer meiner Patientinnen setzte sich das Versprechen als Symptom so lange fort, bis es auf den Kinderstreich, das Wort ruinieren durch urinieren zu ersetzen, zurückgeführt war. § 117

Das Verdrehen von Namen entspricht einer Schmähung, wenn es absichtlich geschieht, und dürfte in einer ganzen Reihe von Fällen, wo es als unabsichtliches Versprechen auftritt, dieselbe Bedeutung haben. Jene Person, die nach Mayer’s Bericht einmal „Freuder“ sagte anstatt Freud, weil sie kurz darauf den Namen „Breuer“ vorbrachte (p. 38), ein andermal von einer Freuer-Breud’schen Methode (p. 28) sprach, war wohl ein Fachgenosse und von dieser Methode nicht sonderlich entzückt. Einen gewiss nicht anders aufzuklärenden Fall von Namensentstellung werde ich weiter unten beim Verschreiben mitteilen. In diesen Fällen mengt sich als störendes Moment eine Kritik ein, welche bei Seite gelassen werden soll, weil sie gerade in dem Zeitpunkte der Intention des Redners nicht entspricht. In anderen und weit bedeutsameren Fällen ist es Selbstkritik, innerer Widerspruch gegen die eigene Aeusserung, was zum Versprechen, ja zum Ersatz des Intendierten durch seinen Gegensatz nötigt. Man merkt dann mit Erstaunen, wie der Wortlaut einer Beteuerung die Absicht derselben aufhebt, und wie der Sprechfehler die innere Unaufrichtigkeit blosgelegt hat.1)1) Das Versprechen wird hier zu einem mimischen Ausdrucksmittel.

§ 118

Man gelangt von hier aus zu jenen Redestörungen, die nicht mehr als Versprechen beschrieben werden, weil sie nicht das einzelne Wort, sondern Rythmus und Ausführung der ganzen Rede beeinträchtigen, wie z. B. das Stammeln und Stottern der Verlegenheit. Aber hier wie dort ist es der innere Konflikt, der uns durch die Störung der Rede verraten wird. Ich glaube wirklich nicht, dass jemand sich versprechen würde in der Audienz bei Seiner Majestät, in einer ernstgemeinten Liebeswerbung, in einer Verteidigungsrede um Ehre und Namen vor den Geschworenen, kurz in all den Fällen, in denen man ganz dabei ist, wie wir so bezeichnend sagen. Selbst bis in die Schätzung des Stils, den ein Autor schreibt, dürfen wir und sind wir gewöhnt, das Erklärungsprinzip zu tragen, welches wir bei der Ableitung des einzelnen Sprechfehlers nicht entbehren können. Eine klare und unzweideutige Schreibweise belehrt uns, dass der Autor hier mit sich einig ist, und wo wir gezwungenen und gewundenen Ausdruck finden, der, wie so richtig gesagt wird, nach mehr als einem Scheine schielt, da können wir den Anteil eines nicht genugsam erledigten, komplizierenden Gedankens erkennen, oder die erstickte Stimme der Selbstkritik des Autors heraushören.

1) Durch solches Versprechen brandmarkt z. B. Anzengruber im „G’wissenswurm“ den heuchlerischen Erbschleicher. § 119

V.

§ 120

Verlesen und Verschreiben.

§ 121

Dass für die Fehler im Lesen und Schreiben die nämlichen Gesichtspunkte und Bemerkungen Geltung haben wie für die Sprechfehler, ist bei der inneren Verwandschaft dieser Funktionen nicht zu verwundern. Ich werde mich hier darauf beschränken, einige sorgfältig analysierte Beispiele mitzuteilen, und keinen Ver such unternehmen, das Ganze der Erscheinungen zu umfassen.

§ 122

A. Verlesen.

§ 123

a) Ich durchblättere im Cafehaus eine Nummer der Leipziger Illustrierten", die ich schräg von mir halte, und lese als Unter schrift eines sich über eine Seite erstreckenden Bildes: Eine Hochzeitsfeier in der Odyssee. Aufmerksam geworden und verwundert, rücke ich mir das Blatt zurecht und korrigiere jetzt: Eine Hochzeitsfeier an der Ostsee. Wie komme ich zu diesem unsinnigen Lesefehler? Meine Gedanken lenken sich sofort auf ein Buch von Ruths „Experimentaluntersuchungen über Musikphantome etc.“, das mich in der letzten Zeit viel beschäftigt hat. weil es nahe an die von mir behandelten psychologischen Probleme streift. Der Autor verspricht für nächste Zeit ein Werk, welches Analyse und Grundgesetze der Traumphänomene" heissen wird. Kein Wunder, dass ich, der ich eben eine Traumdeutung" ver öffentlicht habe, mit grösster Spannung diesem Buch entgegen sehe. In der Schrift Ruth’s über Musikphantome fand ich vorne im Inhaltsverzeichnis die Ankündigung des ausführlichen induk tiven Nachweises, dass die althellenischen Mythen und Sagen ihre Hauptwurzeln in Schlummer- und Musikphautomen, in Traumphänomenen und auch in Delirien haben. Ich schlug damals sofort im Text nach, um herauszufinden, ob er auch um die Zurückführung der Szene, wie Odyssens vor Nausikan or scheint, auf den gemeinen Nacktheitstraum wisse. Mich hatte ein Freund auf die schöne Stelle in G. Keller's Grünem Heinrich aufmerksam gemacht, welche diese Episode der Odyssee als Objektivierung der Träume des fern von der Heimat irrenden Schiffers aufklärt, und ich hatte die Beziehung zum Exhibitions traum der Nacktheit hinzugefügt (p. 170). Bei Ruths ent deckte ich nichts davon. Mich beschäftigen in diesem Fall offenbar Prioritätsgedanken.

§ 124

b) Wie kam ich dazu, eines Tages aus der Zeitung zu lesen: Im Fass durch Europa, anstatt: zu Fuss?" Diese Auflösung bereitete mir lange Schwierigkeiten. Die nächsten Einfalle deuteten allerdings: Es müsse das Fass des Diogenes gemeint sein, und in einer Kunstgeschichte hatte ich unlängst etwas fiber die Kunst zur Zeit Alexander's gelesen. Es lag dann nahe, an die bekannte Rede Alexander's zu denken: Wenn ich nicht Alexander wäre, möchte ich Diogenes sein. Auch schwebte mir etwas von einem gewissen Hermann Zeitung vor, der in einerKiste verpackt sich auf Reisen begeben hatte. Aber weiter wollte sich der Zusammenhang nicht herstellen, und es gelang, mir nicht, die Seite in der Kunstgeschichte wieder aufzuschlagen auf welcher mir jene Bemerkung in's Auge gefallen war, Erst Monate später fiel mir das bei Seite geworfene Rätsel plötzlich wieder ein, und diesmal zugleich mit seiner Lösung. Ich er innerte mich an die Bemerkung in einem Zeitungsartikel, was für sonderbare Arten der Beförderung die Leute jetzt wählten, um nach Paris zur Weltausstellung zu kommen, und dort war auch, wie ich glaube, scherzhaft mitgeteilt worden, dass irgend ein Herr die Absicht habe, sich von einem anderen Herrn in einem Fass nach Paris rollen lassen. Natürlich hätten diese Leute kein anderes Motiv, als durch solche Thorheiten Aufsehen zu machen. Hermann Zeitung war in der That der Name desjenigen Mannes, der für solche aussergewöhnliche Beförderungen das erste Beispiel gegeben hatte. Dann fiel mir ein, dass ich einmal einen Patienten behandelt, dessen krankhafte Angst vor der Zeitung sich als Reaction gegen den krankhaften Ehrgeiz auflöste, sich gedruckt und als berühmt in der Zeitung erwähnt zu sehen. Der macedonische Alexander war gewiss einer der ehr geizigsten Männer, die je gelebt. Er klagte ja, dass er keinen Homer finden werde, der seine Thaten besinge. Aber wie konnte ich nur nicht daran denken, dass ein anderer Alexander mir näher stehe, dass Alexander der Name meines jüngeren Bruders ist! Ich fand nun sofort den anstüssigen und der Verdrängung bedürftigen Gedanken in Betreff dieses Alexander's und die ak tuelle Veranlassung für ihn. Mein Bruder ist Sachverständiger in Dingen, die Tarife und Transporte angehen, und sollte zu einer gewissen Zeit für seine Lehrthätigkeit an einer kommer ziellen Hochschule den Titel Professor erhalten. Für die gleiche Beförderung bin ich an der Universität seit mehreren Jahren vorgeschlagen, ohne sie erreicht zu haben. Unsere Mutter äusserte damals ihr Befremden darüber, dass ihr kleiner Sohn eher Pro fessor werden sollte als ihr grosser. So stand es zur Zeit, als ich die Lösung für jenen Leseirrtum nicht finden konnte. Dann erhoben sich Schwierigkeiten auch bei meinem Bruder: seine Chancen Professor zu werden fielen noch unter die meinigen. Da aber wurde mir plötzlich der Sinn jenes Verlesens offenbar; es war, als hätte die Minderung in den Chancen des Bruders ein Hindernis beseitigt. Ich hatte mieli so benommen, als läse ich die Ernennung des Bruders zum Professor in der Zeitung, und sagte mir dabei: Merkwürdig, dass man wegen solcher Dummheiten (wie er sie als Beruf betreibt) in der Zeitung stehen (d. h. zum Professor ernannt werden) kann! Die Stelle über die hellenistische Kunst im Zeitalter Alexander's schlug ich dann ohne Mühe auf und überzeugte mich zu meinem Erstaunen, dass ich während des vorherigen Suchens wiederholt auf derselben Seite gelesen und jedesmal wie unter der Herrschaft einer nega tiven Hallucination den betreffenden Satz übergangen hatte. Dieser

§ 125

Der Doppelsinn des Wortes Beförderung" ist in diesem Falle die Associationsbrücke zwischen den zwei Gedankenkreisen, dem unwichtigen, der durch die Zeitungsnotiz angeregt wird, und dem interessanteren, aber anstössigen, der sich hier als Störung des zu Lesenden geltend machen darf. Man ersieht aus diesem Beispiel, dass es nicht immer leicht wird, Vorkommnisse wie diesen Lesefehler aufzuklären. Gelegentlich ist man auch ge nötigt, die Lösung des Rätsels auf eine günstigere Zeit zu ver schieben. Je schwieriger sich aber die Lösungsarbeit erweist, desto sicherer darf man erwarten, dass der endlich aufgedeckte störende Gedanke von unserem bewussten Denken als fremdartig und gegensätzlich beurteilt werden wird.

§ 126

e) Ich erhalte eines Tages einen Brief aus der Nähe Wien's. der mir eine erschütternde Nachricht mitteilt. Ich rufe auch sofort meine Frau an und fordere sie zur Teilnahme daran auf, dass die arme Wilhelm M. so schwer erkrankt und von den Aerzten aufgegeben ist. An den Worten, in welche ich mein Bedauern kleide, muss aber etwas falsch geklungen haben, denn meine Frau wird misstrauisch, verlangt den Brief zu sehen und äussert als ihre Ueberzeugung, so könne es nicht darin stehen, denn niemand nenne eine Frau nach dem Namen des Mannes, und überdies sei der Korrespondentin der Vorname der Frat. sehr wohl bekannt. Ich verteidige meine Behauptung hart näckig und verweise auf die so gebräuchlichen Visitkarten, auf denen eine Frau sich selbst mit dem Vornamen des Mannes bezeichnet. Ich muss endlich den Brief zur Hand nehmen, und wir lesen darin thatsächlich, der arme W. M.", ja sogar, was ich ganz übersehen hatte: der arme Dr. W. M" Mein Ver sehen bedeutete also einen, sozusagen krampfhaften, Versuch, die traurige Neuigkeit von dem Manne auf die Frau zu überwälzen. Der zwischen Artikel, Beiwort und Name eingeschobene Titel passte schlecht zu der Forderung, es müsste die Frau gemeint sein. Darum wurde er auch beim Lesen beseitigt. Das Motiv dieser Verfälschung war aber nicht, dass mir die Frau weniger sym pathisch wäre als der Mann, sondern das Schicksal des armen Mannes hatte meine Besorgnisse um eine andere, mir nahe stehende Person rege gemacht, welche eine der mir bekannten Krankheitsbedingungen mit diesem Falle gemeinsam hatte.

§ 127

B. Verschreiben.

§ 128

a) Auf einem Blatte, welches kurze tägliche Aufzeichnungen meist von geschäftlichem Interesse enthält, finde ich zu meiner Ueberraschung aitten unter den richtigen Daten des Monats September eingeschlossen das verschriebene Datum ,,Donnerstag, 20. Okt." Es ist nicht schwierig, diese Anticipation aufzuklären und zwar als Ausdruck eines Wunsches. Ich bin wenige Tage vorher frisch von der Ferienreise zurückgekehrt und fühle mich bereit für ausgiebige ärztliche Beschäftigung, aber die Anzahl der Patienten ist noch gering. Bei meiner Ankunft fand ich einen Brief von einer Kranken vor, die sich für den 20. Oktober ankündigte. Als ich die gleiche Tageszahl im September niederschrieb, kann ich wohl gedacht haben: Die X. sollte doch schon da sein; wie schade um den vollen Monat! und in diesem Gedanken rückte ich das Datum vor. Der störende Gedanke ist in diesem Falle kaum ein anstössiger zu nennen; dafür weiss ich auch sofort die Auflösung des Schreibfehlers, nachdem ich ihn erst bemerkt habe.

§ 129

b) Ich erhalte die Correktur meines Beitrags zum Jahres bericht für Neurologie und Psychiatrie und muss natürlich mit besonderer Sorgfalt die Autornamen revidieren, die, weil verschie denen Nationen angehörig, dem Setzer die grössten Schwierig keiten zu bereiten pflegen. Manchen fremd klingenden Namen finde ich wirklich noch zu corrigieren, aber einen einzigen deutschen Namen hat merkwürdiger Weise der Setzer gegen mein Manuscript verbessert und zwar mit vollem Rechte. Ich hatte nämlich Buckrhard geschrieben, woraus der Setzer Burckhard erriet. Ich hatte die Abhandlung eines Geburts helfers über den Einfluss der Geburt auf die Entstehung der Kinderlähmungen selbst als verdienstlich gelobt, wüsste auch nichts gegen deren Autor zu sagen, aber den gleichen Namen wie er trägt auch ein Schriftsteller in Wien, der mich durch eine unverständige Kritik über meine Traumdeutung" geärgert hat. Es ist gerade so, als hätte ich mir bei der Niederschrift des Namen Burckhard, der den Geburtshelfer bezeichnete, etwas Arges über den anderen B., den Schriftsteller, gedacht, denn Namenverdrehen bedeutet häufig genug, wie ich schon beim Versprechen erwähnt habe, Schmähung.1)1)

§ 130

c) Ein anscheinend ernsterer Fall von Verschreiben, den ich vielleicht mit ebensoviel Recht dem Vergreifen" einordnen könnte: Ich habe die Absicht, mir aus der Postsparcassa die Summe von 300 Kronen kommen zu lassen, die ich einem zum Kurgebrauch abwesenden Verwandten schicken will. Ich

1) Vgl. etwa die Stelle im Julius Caesar III 3: Cinna. Ehrlich, mein Name ist Cinna, Bürger. Reisst ihn in Stücke! er ist ein Verschworener. Cinna. Ich bin Cinna der Poet! Ich bin nicht Cinna der Ver Bürger. Es thut nichts: sein Name ist Cinna, reisst ihm den Namen § 131

§ 132

schworene!

§ 133

§ 134

aus dem Herzen nnd lasst ihn laufen.bemerke dabei, dass mein Conto auf 4380 Kr. lautet und nehme mir vor, es jetzt auf die runde Summe von 4000 Kr. herunter zusetzen, die in der nächsten Zeit nicht angegriffen werden soll. Nachdem ich den Check ordnungsgemäss ausgeschrieben und die der Zahl entsprechenden Ziffern ausgeschnitten habe, merke ich plötzlich, dass ich nicht 380 Kr., wie ich wollte, sondern gerade 438 bestellt habe, und erschrecke über die Unzuverlässigkeit meines Thuns. Den Schreck erkenne ich bald als unberechtigt; ich bin ja jetzt nicht ärmer worden, als ich vorher war. Aber ich muss eine ganze Weile darüber nachsinnen, welcher Einfluss hier meine erste Intention gestört hat, ohne sich meinem Be wusstsein anzukündigen. Ich gerate zuerst auf falsche Wege, will die beiden Zahlen, 380 und 438 von einander abziehen, weiss aber dann nicht, was ich mit der Differenz anfangen soll. Endlich zeigt mir ein plötzlicher Einfall den wahren Zusammen hang. 438 entspricht ja zehn Procent des ganzen Conto von 4380 Kr.! 10 pCt. Rabatt hat man aber beim Buchhandler! Ich besinne mich, dass ich vor wenigen Tagen eine Anzahl medizinischer Werke, die ihr Interesse für mich verloren haben, ausgesucht, um sie dem Buchhändler gerade für 300 Kronen anzubieten. Er fand die Forderung zu hoch und versprach in den nächsten Tagen endgiltige Antwort zu sagen. Wenn er mein Angebot annimmt, so hat er mir gerade die Summe ersetzt, welche ich für den Kranken verausgaben soll. Es ist nicht zu verkennen, dass es mir um diese Ausgabe leid thut. Der Affekt bei der Wahrnehmung meines Irrtums lässt sich besser verstehen als Furcht, durch solche Ausgaben arm zu werden. Aber beides, das Bedauern wegen dieser Ausgabe und die an sie geknüpfte Verarmungsangst, sind meinem Bewusstsein völlig fremd; ich habe das Bedauern nicht verspürt, als ich jene Summe zusagte, und fande die Motivierung desselben lächerlich. Ich würde mir eine solche Regung wahrscheinlich gar nicht zutrauen, wenn ich nicht durch die Uebung in Psychoanalysen bei Patienten mit dem Verdrängten im Seelenleben ziemlich vertraut wäre, und wenn ich nicht vor einigen Tagen einen Traum gehabt hätte, welcher die nämliche Lösung erforderte1)1).

§ 135

Wundt giebt eine bemerkenswerte Begründung für die leicht zu bestätigende Thatsache, dass wir uns leichter ver schreiben als versprechen (1. c. p. 374). Im Verlaufe der nor malen Rede ist fortwährend die Hemmungsfunktion des Willens dahin gerichtet, Vorstellungsverlauf und Artikulationsbewegung mit einander in Einklang zu bringen. Wird die den Vorstellun gen folgende Ausdrucksbewegung durch mechanische Ursachen verlangsamt wie beim Schreiben... so treten daher solche Anticipationen besonders leicht ein."

§ 136

§ 137

1) Es ist dies jener Traum, den ich in einer kurzen Abhandlung, „Ueber den Traum", No. VIII der Grenzfragen des Nerven- und Seelen lebens", herausgegeben von Löwenfeld und Kurella 1901. zum Para digma genommen habe.

§ 138

Die Beobachtung der Bedingungen, unter denen das Ver lesen auftritt, giebt Anlass zu einem Zweifel, den ich nicht un erwähnt lassen möchte, weil er nach meiner Schätzung der Aus gangspunkt einer fruchtbaren Untersuchung werden kann. Es ist jedermann bekannt, wie häufig beim Vorlesen die Auf merksamkeit des Lesenden den Text verlässt und sich eigenen Gedanken zuwendet. Die Folge dieses Abschweifens der Auf merksamkeit ist nicht selten, dass er überhaupt nicht anzugeben weiss, was er gelesen hat, wenn man ihn im Vorlesen unter bricht und befragt. Er hat dann wie automatisch gelesen, aber er hat fast immer richtig vorgelesen. Ich glaube nicht, dass die Lesefohler sich unter solchen Bedingungen merklich vor mehren. Von einer ganzen Reihe von Funktionen sind wir auch gewöhnt anzunehmen, dass sie automatisch. also von kaum be wusster Aufmerksamkeit begleitet, am exaktesten vollzogen wer den. Daraus scheint zu folgen, dass die Aufmerksamkeitsbe dingung der Sprech-, Lese- und Schreibfehler anders zu be stimmen ist, als sie bei Wundt lautet (Wegfall oder Nachlass der Aufmerksamkeit). Die Beispiele, die wir der Analyse unter zogen haben, gaben uns eigentlich nicht das Recht, eine quan titative Verminderung der Aufmerksamkeit anzunehmen; wir fanden, was vielleicht nicht ganz dasselbe ist eine Störung der Aufmerksamkeit durch einen fremden, Anspruch erhebenden Gedanken.

§ 139

VI. Vergessen von Eindrücken und Vorsätzen.

§ 140

Wenn jemand geneigt sein sollte, den Stand unserer gegen- w&rtigen Kenntnis vom Seelenleben zu iiberschatzen, so braucht man ihn nur an die Gedachtnisfunction zu mahnen, um ihn zur Bescheidenheit zu zwingen. Keine psychologische Theorie hat es noch vermocht, von dem fundamentalen Ph&nomen des Er- innerns und Vergessens im Zusammenhange Rechenschaft zu geben; ja, die vollst&ndige Zergliederung dessen, was man als thats&chlich beobachten kann, ist noch kaum in Angriff ge- nommen. Vielleicht ist uns heute das Vergessen ratselhafter geworden als das Erinnern, seitdem uns das Studium des Traumes und pathologischer Ereignisse gelehrt hat, dass auch das plotzlich wieder im Bewusstsein auftauchen kann, was wir fur lang6t vergessen gesch&tzt haben. Wir sind allerdings im Besitze einiger weniger Gesichts- punkte, fur welche wir allgemeine Anerkennung erwarten. Wir nehmen an, dass das Vergessen ein spontaner Vorgang ist, dem man einen gewissen zeitlichen Ablauf zuschreiben kann. Wir heben hervor, dass beim Vergessen eine gewisse Auswahl unter den dargebotenen Eindriicken stattfindet und ebenso unter den Einzelheiten eines jeden Eindrucks oder Erlebnisses. Wir kennen einige der Bedingungen fur die Haltbarkeit im Ge

§ 141

Die Beobachtung der Bedingungen, unter denen das Ver lesen auftritt, giebt Anlass zu einem Zweifel, den ich nicht un erwähnt lassen möchte, weil er nach meiner Schätzung der Aus gangspunkt einer fruchtbaren Untersuchung werden kann. Es ist jedermann bekannt, wie häufig beim Vorlesen die Auf merksamkeit des Lesenden den Text verlässt und sich eigenen Gedanken zuwendet. Die Folge dieses Abschweifens der Auf merksamkeit ist nicht selten, dass er überhaupt nicht anzugeben weiss, was er gelesen hat, wenn man ihn im Vorlesen unter bricht und befragt. Er hat dann wie automatisch gelesen, aber er hat fast immer richtig vorgelesen. Ich glaube nicht, dass die Lesefohler sich unter solchen Bedingungen merklich vor mehren. Von einer ganzen Reihe von Funktionen sind wir auch gewöhnt anzunehmen, dass sie automatisch. also von kaum be wusster Aufmerksamkeit begleitet, am exaktesten vollzogen wer den. Daraus scheint zu folgen, dass die Aufmerksamkeitsbe dingung der Sprech-, Lese- und Schreibfehler anders zu be stimmen ist, als sie bei Wundt lautet (Wegfall oder Nachlass der Aufmerksamkeit). Die Beispiele, die wir der Analyse unter zogen haben, gaben uns eigentlich nicht das Recht, eine quan titative Verminderung der Aufmerksamkeit anzunehmen; wir fanden, was vielleicht nicht ganz dasselbe ist eine Störung der Aufmerksamkeit durch einen fremden, Anspruch erhebenden Gedanken.

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VI. Vergessen von Eindrücken und Vorsätzen.

§ 143

Wenn jemand geneigt sein sollte, den Stand unserer gegen- w&rtigen Kenntnis vom Seelenleben zu iiberschatzen, so braucht man ihn nur an die Gedachtnisfunction zu mahnen, um ihn zur Bescheidenheit zu zwingen. Keine psychologische Theorie hat es noch vermocht, von dem fundamentalen Ph&nomen des Er- innerns und Vergessens im Zusammenhange Rechenschaft zu geben; ja, die vollst&ndige Zergliederung dessen, was man als thats&chlich beobachten kann, ist noch kaum in Angriff ge- nommen. Vielleicht ist uns heute das Vergessen ratselhafter geworden als das Erinnern, seitdem uns das Studium des Traumes und pathologischer Ereignisse gelehrt hat, dass auch das plotzlich wieder im Bewusstsein auftauchen kann, was wir fur lang6t vergessen gesch&tzt haben. Wir sind allerdings im Besitze einiger weniger Gesichts- punkte, fur welche wir allgemeine Anerkennung erwarten. Wir nehmen an, dass das Vergessen ein spontaner Vorgang ist, dem man einen gewissen zeitlichen Ablauf zuschreiben kann. Wir heben hervor, dass beim Vergessen eine gewisse Auswahl unter den dargebotenen Eindriicken stattfindet und ebenso unter den Einzelheiten eines jeden Eindrucks oder Erlebnisses. Wir kennen einige der Bedingungen fur die Haltbarkeit im Gedächtnis und für die Erweckbarkeit dessen, was sonst vergessen würde. Bei unzähligen Anlässen im täglichen Leben können wir aber bemerken, wie unvollständig und unbefriedigend unsere Erkenntnis ist. Man höre zu, wie zwei Personen, die gemein sam äussere Eindrücke empfangen, z. B. eine Reise mit einander gemacht haben, eine zeitlang später ihre Erinnerungen aus tauschen. Was dem einen fest im Gedächtnis geblieben ist, das hat der andere oft vergessen, als ob es nicht geschehen wäre, und zwar ohne dass man ein Recht zur Behauptung hätte, der Eindruck sei für den Einen psychisch bedeutsamer gewesen als für den Anderen. Eine ganze Anzahl der die Auswahl für's Ge dächtnis bestimmenden Momente entzieht sich offenbar noch unserer Kenntnis.

§ 144

33

§ 145

In der Absicht, zur Kenntnis der Bedingungen des Ver gessens einen kleinen Beitrag zu liefern, pflege ich die Fälle, in denen mir das Vergessen selbst widerfährt, einer psycho logischen Analyse zu unterziehen. Ich beschäftige mich in der Regel nur mit einer gewissen Gruppe dieser Falle, mit jenen nämlich, in denen das Vergessen mich in Erstaunen setzt, weil ich nach meiner Erwartung das Betreffende wissen sollte. Ich will noch bemerken, dass ich zur Vergesslichkeit im allgemeinen (für Erlebtes, nicht für Gelerntes!) nicht neige, und dass ich durch eine kurze Periode meiner Jugend auch aussergewöhn licher Gedächtnisleistungen nicht unfähig war. In meiner Schulknabenzeit war es mir selbstverständlich, die Seite des Buches, die ich gelesen hatte, auswendig hersagen zu können, und kurz vor der Universität war ich imstande, populäre Vor träge wissenschaftlichen Inhalts unmittelbar nachher fast wort getren niederzuschreiben. In der Spannung vor dem letzten medicinischen Rigorosam muss ich noch Gebrauch von dem Rest dieser Fähigkeit gemacht haben, denn ich gab in einigen Gegenständen den Prüfern wie automatisch Antworten, die sich getren mit dem Text des Lehrbuches deckten, welchen ich doch welchen ich doch nur einrnal in der grossten Hast durchflogen hatte.

§ 146

Die Verfügung über den Gedächtnisschatz ist seither bei mir immer schlechter geworden, docli habe ich mich bis in die letzte Zeit hinein iiberzeugt, dass ich mit Hilfe eines Kunst- griffes weit mehr erinnern kann, als ich mir sonst zutraue. Wenn z. B. ein Patient in der Sprechstunde sich darauf beruft, dass ich ihn schon einmal gesehen haoe, und ich mich weder an die Thatsache noch an den Zeitpunkt erinnern kann, so helfe ich mir, indem ich rate, d. h. mir rasch eine Zahl von Jahren, von der Gegenwart an gerechnet, einfallen lasse. Wo Auf- schreibungen oder die sichere Angabe des Patienten eine Con- trole meines Einfalles ermoglichen, da zeigt es sich, dass ich selten um mehr als ein Halbjahr bei iiber 10 Jahren geirrt habe.1)1) Aehnlich, wenn ich einen entfernteren Bekannten treffe,den ich aus Höflichkeit nach seinen kleinen Kindern frage. Er zählt er von den Fortschritten derselben, so suche ich mir ein fallen zu lassen, wie alt das Kind jetzt ist, controliere durch die Auskunft des Vaters und gehe höchstens um einen Monat, bei älteren Kindern um ein Vierteljahr fehl, obwohl ich nicht angeben kann, welche Anhaltspunkte ich für diese Schätzung hatte. Ich bin zuletzt so kühn geworden, dass ich meine Schätzung immer spontan vorbringe, und laufe dabei nicht Gefahr, den Vater durch die Blosstellung meiner Unwissenheit über seinen Sprössling zu kränken. Ich erweitere so mein bewusstes Erinnern durch Anrufen meines jedenfalls weit reichhaltigeren unbewussten Gedächtnisses.

1) Gewöhnlich pflegen dann im Laufe der Besprechung die Einzelheiten des damaligen ersten Besuches bewusst aufzutauchen. § 147

Ich werde also über auffällige Beispiele von Vergessen, die ich an mir selbst beobachtet, berichten. Ich unterscheide Vergessen von Eindrücken und Erlebnissen, also von Wissen, und Vergessen von Vorsitzen, also Unterlassungen. Das einförmige Ergebnis der ganzen Reihe von Beobachtungen kann ich voran stellen: In allen Fällen erwies sich das Vergessen als begründet durch ein Unlustmotiv.

§ 148

A. Vergessen von Eindrücken und Kenntnissen.

§ 149

a) Im Sommer gab mir meine Frau einen an sich harmlosen Anlass zu heftigem Aerger. Wir sassen an der Table d'hôte einem Herrn aus Wien gegenüber, den ich kannte, und der sich wohl auch an mich zu erinnern wusste. Ich hatte aber meine. Gründe, die Bekanntschaft nicht zu erneuern. Meine Frau, die nur den ansehnlichen Namen ihres Gegenüber gehört hatte, ver riet zu sehr, dass sie seinem Gespräch mit den Nachbarn zu hörte, denn sie wandte sich von Zeit zu Zeit an mich mit Fragen, die den dort gesponnenen Faden aufnahmen. Ich wurde ungeduldig und endlich gereizt. Wenige Wochen später führte ich bei einer Verwandten Klage über dies Verhalten meiner Frau. Ich war aber nicht imstande, auch nur ein Wort der Unterhaltung jenes Herrn zu erinnern. Da ich sonst eher nachtragend bin und keine Einzelheit eines Vorfalls, der mich geärgert hat, vergessen kann, ist meine Amnesie in diesem Falle wohl durch Rücksichten auf die Person der Ehefrau motiviert. Aehnlich erging es mir erst vor kurzem wieder. Ich wollte mich gegen einen intim Bekannten über eine Aeusserung meiner Frau lustig machen, die erst vor wenigen Stunden ge fallen war, fand mich aber in diesem Vorsatz durch den be merkenswerten Umstand gehindert, dass ich die betreffende Aeusserung spurlos vergessen hatte. Ich musste erst meine Frau bitten, mich an dieselbe zu erinnern. Es ist leicht zu verstehen, dass dies mein Vergessen in den Rahmen der typischen Urteilsstörung gehört, welcher wir unterliegen, wenn es sich um unsere nächsten Angehörigen handelt.

§ 150

b) Ich hatte es übernommen, einer fremd in Wien angewahrung ihrer Dokumente und Gelder zu besorgen. Als ich mich dazu erbot, schwebte mir mit ungewöhnlicher visueller Lebhaftigkeit das Bild einer Auslage in der Stadt vor, in welcher ich solche Kassen gesehen haben musste. Ich konnte mich zwar an den Namen der Strasse nicht erinnern, fühlte mich aber sicher, dass ich den Laden auf einem Spaziergang durch die Stadt auffinden werde, denn meine Erinnerung sagte mir, dass ich unzählige Male an ihm vorübergegangen sei. Zu meinem Aerger gelang es mir aber nicht, diese Auslage mit den Kassetten aufzufinden, obwohl ich die innere Stadt nach allen Richtungen durchstreifte. Es blieb mir nichts anderes übrig, meinte ich, als mir aus einem Adresskalender die Kassenfabrikanten heraus zusuchen, um dann auf einem zweiten Rundgang die gesuchte Auslage zu identificieren. Es bedurfte aber nicht so viel: unter den im Kalender angezeigten Adressen befand sich eine, die sich mir sofort als die vergessene enthüllte. Es war richtig, dass ich ungezählte Male an dem Auslagefenster vorübergegangen war, jedesmal nämlich, wenn ich die Familie M. besucht hatte, die seit langen Jahren in dem nämlichen Hause wohnte. Seit dem dieser intime Verkehr einer völligen Entfremdung gewichen war, pflegte ich, ohne mir von den Gründen Rechenschaft zu geben, auch die Gegend und das Haus zu meiden. Auf jenem Spaziergang durch die Stadt hatte ich, als ich die Kassetten in der Auslage suchte, jede Strasse in der Umgebung begangen, dieser einen aber war ich, als ob ein Verbot darauf läge, aus gewichen. Das Unlustmotiv, welches in diesem Fall meine Unorientiertheit verschuldet, ist hier greifbar. Der Mechanismus des Vergessens ist aber nicht mehr so einfach wie im vorigen Beispiel. Meine Abneigung gilt natürlich nicht dem Kassen fabrikanten, sondern einem Anderen, von dem ich nichts wissen will, und überträgt sich von diesem Anderen auf die Gelegen heit, wo sie das Vergessen zustande bringt. Ganz ähnlich hatte im Falle Burckhard der Groll gegen den Einen den Schreib fehler im Namen hervorgebracht, wo es sich um den Andern handelte. Was hier die Namensgleichheit leistete, die Verknüpfung zwischen zwei im Wesen verschiedenen Gedankenkreisen herzustellen, das konnte im Beispiel von dem Auslagefenster die Contiguitat im Raum, die untrennbare Nachbarschaft, ersetzen. Uebrigens war dieser letzte Fall fester gefügt; es fand sich noch eine zweite inhaltliche Verknüpfung vor, denn unter den Gründen der Entfremdung mit der im Hause wohnenden Familie hatte das Geld eine grosse Rolle gespielt.

§ 151

c) Ich werde von dem Bureau B. & R. bestellt, einen ihrer Beamten ärztlich zu besuchen. Auf dem Wege zu dessen Wohnung beschäftigt mich die Idee, ich müsste schon wieder holt in dem Hause gewesen sein, in welchem sich die Firma befindet. Es ist mir, als ob mir die Tafel derselben in einem niedrigen Stockwerk aufgefallen wäre, während ich in einem höheren einen ärztlichen Besuch zu machen hatte. Ich kann 3*mich aber weder daran erinnern, welches dieses Haus ist, noch wen ich dort besucht habe. Obwohl die ganze Angelegenheit gleichgiltig und bedeutungslos ist, beschäftige ich mich doch mit ihr und erfahre endlich auf dem gewöhnlichen Umwege, indem ich meine Einfälle dazu sammle, dass sich einen Stock über den Lokalitäten der Firma B. & R. die Pension Fischer befindet, in welcher ich häufig Patienten besucht habe. Ich kenne jetzt auch das Haus, welches die Bureaux und die Pension beherbergt. Rätselhaft ist mir noch, welches Motiv bei diesem Vergessen im Spiele war. Ich fin le nichts für die Erinnerung Anstössiges an der Firma selbst oder an Pension Fischer oder an den Patienten, die dort wohnten. Ich vermute auch. dass es sich um nicht sehr Peinliches handeln kann; sonst wäre es mir kaum gelungen, mich des Vergessenen auf einem Umwege wieder zu bemächtigen, ohne äussere Hilfsmittel wie im vorigen Beispiel heranzuziehen. Es fällt mir endlich ein, dass mich eben vorhin, als ich den Weg zu dem neuen Patienten antrat, ein Herr auf der Strasse gegrüsst hat, den ich Mühe hatte zu er kennen. Ich hatte diesen Mann vor Monaten in einem an scheinend schweren Zustand gesehen und die Diagnose der pro gressiven Paralyse über ihn verhängt, dann aber gehört, dass er hergestellt sei, so dass mein Urteil unrichtig gewesen wäre. Wenn nicht etwa hier eine der Remissionen vorliegt, die sich auch bei Dementia paralytica finden. so dass meine Diagnose doch noch gerechtfertigt wäre! Von dieser Begegnung ging der Einfluss aus, der mich an die Nachbarschaft der Bureaux von B & R. vergessen liess, und mein Interesse, die Lösung des Vergessenen zu finden, war von diesem Fall strittiger Diagnostik her übertragen. Die associative Verknüpfung aber wurde bei geringem inneren Zusammenhang der wider Erwarten Genesene war auch Beamter eines grossen Bureau's, welches mir Kranke zuzuweisen pflegte durch eine Namensgleichheit besorgt. Der Arzt, mit welchem gemeinsam ich den fraglichen Paralytiker gesehen hatte, hiess auch Fischer wie die in dem Haus be Andliche vom Vergessen betroffene Pension.

§ 152

d) Ein Ding verlegen heisst ja nichts anderes als ver gessen, wohin man es gelegt hat, und wie die meisten mit Schriften und Büchern hantierenden Personen bin ich auf meinem Schreibtisch wohl orientiert und weiss das Gesuchte mit einem Griff hervorzuholen. Was anderen als Unordnung erscheint, ist für mich historisch gewordene Ordnung. Warnm habe ich aber un längst einen Bücherkatalog, der mir zugeschickt wurde, so ver legt, dass er unanffindbar geblieben ist? Ich hatte doch die Absicht, ein Buch, das ich darin angezeigt fand, Ueber die Sprache zu bestellen, weil es von einem Autor herrührt, dessen geistreich belebten Stil ich liebe, dessen Einsicht in der Psycho logie und dessen Kenntnisse in der Kulturhistorie ich zu schätzen weiss. Ich meine, gerade darum habe ich den Katalog verlegt. Ich pflege nämlich Bücher dieses Autors zur Aufklärung untermeinen Bekannten zu verleihen, und vor wenigen Tagen hat mir jemand bei der Rückstellung gesagt: „Der Stil erinnert mich ganz an den Thrigen, und auch die Art zu denken ist dieselbe." Der Redner wusste nicht, an was er mit dieser Bemerkung rührte. Vor Jahren, als ich noch jünger und anschlussbedürftiger war, hat mir ungefähr das Nämliche ein älterer Kollege gesagt, dem ich die Schriften eines bekannten medizinischen Autors ange priesen hatte. Ganz Ihr Stil und Ihre Art". So beeinflusst hatte ich diesem Autor einen um näheren Verkelir werbenden Brief geschrieben, wurde aber durch eine kühle Antwort in meine Schranken zurückgewiesen. Vielleicht verborgen sich ausserdem noch frühere abschreckende Erfahrungen hinter dieser letzten, denn ich habe den verlegten Katalog nicht wiedergefanden und bin durch dieses Vorzeichen wirklich abgehalten worden, das angezeigte Buch zu bestellen, obwohl ein wirkliches Hinder nis durch das Verschwinden des Kataloges nicht geschaffen worden ist. Ich habe ja die Namen des Buches und des Autors im Gedächtnis behalten.1)1)

§ 153

e) Im Sommer dieses Jahres erklärte ich einmal meinem Freunde Fl., mit dem ich in regem Gedankenaustausch über wissenschaftliche Fragen stelle: Diese neurotischen Probleme sind nur dann zu lösen, wenn wir uns ganz und voll auf den Boden der Annahme einer ursprünglichen Bisexualität des In dividuums stellen. Ich erhielt zur Antwort: Das habe ich Dir schon vor 2 Jahren in Br. gesagt, als wir jenen Abendspazier gang machien. Du wolltest damals nichts davon hören. Es ist nun schmerzlich, so zum Aufgeben seiner Originalität aufgefordert zu werden. Ich konnte mich an ein solches Gespräch und an diese Eröffnung meines Freundes nicht erinnern. Einer von uns beiden musste sich da täuschen; nach dem Prinzip der Frage: cui prodest? musste ich das sein. Ich habe im Laufe der nächsten Wochen in der That alles so erinnert, wie mein Freund es in mir erwecken wollte; ich weiss selbst, was ich damals zur Antwort gab: Dabei halte ich noch nicht, ich will mich darauf nicht einlassen. Aber ich bin seither um ein Stück toleranter geworden, wenn ich irgendwo in der medizinischen Litteratur auf eine der wenigen Ideen stosse, mit denen man meinen Namen verknüpfen kann, und wenn ich dabei die Erwähnung meines Namens vermisse.

§ 154

Ausstellungen an seiner Ehefrau Freundschaft, die in's Gegenteil umgeschlagen hat Irrtum in ärztlicher Diagnostik - Zurückweisung durch Gleichstrebende-Entlehnung von Ideen; es ist wohl kaum zufällig, dass eine Anzahl von Beispielen des Vergessens, die ohne Absicht gesammelt worden sind, zu ihrer Auflösung des Eingehens auf so peinliche Themata bedürfen. Ich vermute vielmehr, dass jeder andere, der sein eigenes Vergessen einer Prüfung nach den Motiven unterziehen will, eine ähnliche Musterkarte von Widerwärtigkeiten aufzeichnen können wird. Die Neigung zum Vergessen des Unangenehmen scheint mir ganz allgemein zu sein; die Fähigkeit dazu ist wohl bei verschiedenen Personen verschieden gut ausgebildet. Manches Ableugnen, das uns in der ärztlichen Thätigkeit begegnet, ist wahrscheinlich auf Vergessen zurückzuführen. Unsere Auffassung eines solchen Vergessens beschränkt den Unterschied zwischen dem und jenem Benehmen allerdings auf rein psychologische Verhältnisse und gestattet uns, in beiden Reactionsweisen den Ausdruck desselben Motivs zu sehen. Von all den zahlreichen Beispielen der Verleugnung unangenehmer Erinnerungen, die ich bei Angehörigen von Kranken gesehen habe, ist mir eines als besonders seltsam im Gedächtnis geblieben. Eine Mutter in formierte mich über die Kinderjahre ihres nervenkranken, in der Pubertät befindlichen Sohnes und erzählte dabei, dass er wie seine Geschwister bis in späte Jahre an Bettnässen gelitten habe, was ja für eine nenrotische Krankengeschichte nicht bedeutungs los ist. Einige Wochen später, als sie sich Auskunft über den Stand der Behandlung holen wollte, hatte ich Anlass, sie auf die Zeichen konstitutioneller Krankheitsveranlagung bei dem jungen Manne aufmerksam zu machen, und beriet mich hierbei auf das anamnestisch erhobene Bettnässen. Zu meinem Erstaunen bestritt sie die Thatsache sowohl für dies als auch für die anderen Kinder, fragte mich, woher ich das wissen könne, und hörte endlich von mir, dass sie selbst es mir vor kurzer Zeit. e zählt habe, was also auch vergessen worden war.1)1)

1) Für vielerlei Zufälligkeiten, die man seit Th. Vischer der „Tücke des Objekts“ zuschreibt, möchte ich ähnliche Erklärungen vorschlagen. 1) In den Tagen, während ich mit der Niederschrift dieser Seiten be schäftigt war, ist mir folgender, fast unglaublicher Fall von Vergessen widerfahren. Ich revidiers am 1. Januar mein ärztlichos Buch, um moine Honorarrechnungen aussenden zu können, stosse dabel im Juni auf den Namen M 1 und kann mich an eine zu ihm gehörige Person nicht. trinnern. Mein Befremden wächst, indem ich beim Weiterblattern bemerke. dass ich den Fall in einem Sanatorium behandelt, und dass ich ihn durch Wochen täglich besucht habe. Einen Kranken, mit dem man sich unter solchen Bedingungen beschäftigt, vergisst man als Arzt nicht nach kaum sechs Monaten. Sollte es ein Mann, ein Paralytiker, ein Fall ohne Interesse gewesen sein, frage ich mich? Endlich bei dem Vermerk über das em plangene Honorar kommt mir all die Kenntnis wieder, die sich der Er innerung entziehen wollte. M. war ein 14 jähriges Mädchen gewesen. der merkwürdigste Fall meiner letzten Jahre, welcher mir eine Lehre hinterlassen, an die ich kaum je vergessen werde, und dessen Ausgang mir die peinlichsten Stunden bereitet hat. Das Kind erkrankte an unzwei deutiger Hysterie, die sich auch unter meinen Händen rasch und gründlich besserte. Nach dieser Besserung wurde mir das Kind von den Eltern ent zogen; es klagte noch über abdominale Schmerzen, denen die Hauptrolle im Symptombild der Hysterie zugefallen war. Zwei Monate später war es an Sarkom der Unterleibsdrüsen gestorben. Die Hysterie, zu der das Kind nebstbei praedisponiert war, hatte die Tumorbildung zur provocieren den Ursache genommen, und ich hatte, von den lärmenden, aber harmlosen Erscheinungen der Hysterie gefesselt, vielleicht die ersten Anzeichen der schleichenden unheilvollen Erkrankung übersehen. § 155

Man findet also auch bei gesunden, nicht neurotischen Menschen reichlich Anzeichen dafür, dass sich der Erinnerung an peinliche Eindrücke, der Vorstellung peinlicher Gedanken, ein Widerstand entgegensetzt. Die volle Bedeutung dieser That sache lässt sich aber erst ermessen, wenn man in die Psychologie neurotischer Personen eingeht. Man ist genötigt, ein solches elementares Abwehrbestreben gegen Vorstellungen, welche Unlustempfindungen erwecken können, ein Bestreben, das sich nur dem Fluchtreflex bei Schmerzreizen an die Seite stellen lässt, zu einem der Hauptpfeiler des Mechanismus zu machen, welcher die hysterischen Symptome trägt. Man möge gegen die An nahme einer solchen Abwehrtendenz nicht einwenden, dass wir es im Gegenteil häufig genug unmöglich finden, peinliche Er innerungen, die uns verfolgen, los zu werden und peinliche Affectregungen wie Rene, Gewissensvorwürfe zu verscheuchen. Es wird ja nicht behauptet, dass diese Abwehrtendenz sich über all durchzusetzen vermag, dass sie nicht im Spiel der psychischen Kräfte auf Factoren stossen kann, welche zu anderen Zwecken das Entgegengesetzte anstreben und ihr zum Trotz zu Stande bringen. Als das architectonische Princip des seeli schen Apparates lässt sich die Schichtung, der Auf bau aus einander überlagernden Instanzen erraten, und es ist sehr wohl möglich, dass dies Abwehrbestreben einer niedrigeren psychischen Instanz angehört, von höheren Instanzen aber gehemmt wird. Es spricht jedenfalls für die Existenz und Mächtigkeit dieser Tendenz zur Abwehr, wenn wir Vorgänge wie die in unseren Beispielen von Vergessen auf sie zurück führen können. Wir sehen, dass manches um seiner selbst willen vergessen wird; wo dies nicht möglich ist, verschiebt die Abwehrtendenz ihr Ziel und bringt wenigstens etwas anderes, minder bedeutsames, zum Vergessen, welches in associative Ver knüpfung mit dem eigentlich anstössigen geraten ist.

§ 156

Der hier entwickelte Gesichtspunkt, dass peinliche Er innerungen mit besonderer Leichtigkeit dem motivierten Ver gessen verfallen, verdiente auf mehrere Gebiete bezogen zu werden, in denen er heute noch keine oder eine zu geringe Be achtung gefunden hat. So erscheint er mir noch immer nicht genügend scharf betont bei der Würdigung von Zeugenaussagen vor Gericht ¹), wobei man offenbar der unter Eidstellung des Zeugen einen allzu grossen purificierenden Einfluss auf dessen psychisches Kräftespiel zutraut. Dass man bei der Entstehung der Traditionen und der Sagengeschichte eines Volkes einem solchen Motiv, das dem Nationalgefühl Peinliche aus der Er innerung auszumerzen, Rechnung tragen muss, wird allgemein zugestanden. Vielleicht würde sich bei genauerer Verfolgung eine vollständige Analogie herausstellen zwischen der Art, wie

§ 157

1) Vgl. Hans Gross, Criminalpsychologie 1898.Völkertraditionen und wie die Kindheitserinnerungen des einzelnen Individuums gebildet werden.

§ 158

Ganz ähnlich wie beim Namenvergessen kann auch beim Vergessen von Eindrücken Fehlerinnern eintreten, das dort, wo es Glauben findet, als Erinnerungstäuschung bezeichnet wird. Die Erinnerungstäuschung in pathologischen Fällen in der Paranoia spielt sie geradezu die Rolle eines constituierenden Momentes bei der Wahnbildung hat eine ausgedehnte Litte- ratur wachgerufen, in welcher ich durchgängig den Hinweis auf eine Motivirang derselben vermisse. Da auch dieses Thema der Neurosenpsychologie angehört, entzieht es sich in unserm Zu sammenhange der Behandlung. Ich werde dafür ein sonderbares Beispiel einer eigenen Erinnerungstäuschung mitteilen, bei dem die Motivierung durch unbewusstes verdrängtes Material und die Art und Weise der Verknüpfung mit demselben deutlich genug kenntlich werden.

§ 159

Als ich die späteren Abschnitte meines Buches über Traum deutung schrieb, befand ich mich in einer Sommerfrische ohne Zugang zu Bibliotheken und Nachschlagebüchern und war ge nötigt, mit Vorbehalt späterer Correctur, allerlei Beziehungen und Citate aus dem Gedächtnis in das Manuscript einzutragen. Beim Abschnitt über das Tagtrimmen fiel mir die ausgezeichnete Figur des armen Buchhalters m ,,Nabab von Alph. Daudet ein, mit welcher der Dichter wahrscheinlich seine eigene Träumerei geschildert, Ich glaubte michi eine der Phantasien, die dieser Mann Mr. Jocelyn nannte ich ihn auf seinen Spaziergängen durch die Strassen von Paris ausbrütet, deutlich zu erinnern und begann sie aus dem Gedächtnis zu reprodu cieren. Wie also Herr Jocelyn auf der Strasse sich kühn einem durchgehenden Pford entgegenwirft, es zum Stehen bringt, der Wagenschlag sich öffnet, eine hohe Persönlichkeit dem Coupé entsteigt, Herrn Jocelyn die Hand drückt und ihm sagt: „Sie sind mein Retter, Ihnen verdanke ich mein Leben. Was kann ich für Sie thun?

§ 160

Etwaige Ungenauigkeiten in der Wiedergabe dieser Phantasie, tröstete ich mich, würden sich leicht zu Hause verbessern lassen, wenn ich das Buch zur Hand nehme. Als ich dann aber den Nabab durchblätterte, um die druckbereite Stelle meines Mann scriptes zu vergleichen, fand ich zu meiner grössten Be schämung und Bestürzung nichts von einer solchen Träumerei des Herrn Jocelyn darin, ja der arme Buchhalter trug gar nicht diesen Namen, sondern hiess Mr. Joyeuse. Dieser zweite Irr tum gab dann bald den Schlüssel zur Klärung des ersten, der Erinnerungstäuschung. Joyeux: (wovon der Name die femi nins Form darstellt) so und nicht anders müsste ich ja meinen eigenen Namen: Freud in's Französische übersetzen, Woher konnte also die falschlich erinnerte Phantasie sein, die ich Daudet zugeschrieben hatte? Sie konnte nur ein eigenes Pro dukt sein, ein Tagtraum, den ich selbst gemacht, und der mirnicht bewusst geworden, oder der mir einst bewusst gewesen, und den ich seither gründlich vergessen. Vielleicht dass ich ihn selbst in Paris gemacht, wo ich oft genug einsam und voll Sehnsucht durch die Strassen spaziert bin, eines Helfers und Protectors sehr bedürftig, bis Meister Charcot mich dann in seinen Verkehr zog. Den Dichter des Nabab" habe ich dann wiederholt im Hause Charcot's gesehen. Das Aergerliche an der Sache ist nur, dass ich kaum irgend einem anderen Vor stellungskreis so feindselig gegenüberstehe, wie dem des Frotegiert werdens. Was man in unserem Vaterlande davon sieht, verdirbt Einem alle Lust daran, und meinem Charakter sagt die Situation des Protect onskindes überhaupt wenig zu. Ich habe immer un gewöhnlich viel Neigung dazu verspürt, selbst der brave Mann zu sein". Und gerade ich musste dann an solche, übrigens nie erfüllte, Tagträume gemahnt werden! Ausserdem ist der Vorfall auch ein gutes Eeispiel dafür, wie die zurück gehaltene in der Paranoia siegreich hervorbrechende Be ziehung zum eigenen Ich uns in der objectiven Erfassung der Dinge stört und verwirrt.

§ 161

B. Das Vergessen von Vorsätzen.

§ 162

Keine andere Gruppe von Phänomenen eignet sich besser zum Beweis der These, dass die Geringfügigkeit der Aufmerksamkeit für sich allein nicht hinreiche, die Fehlleistung zu erklären, als die des Vergessens von Vorsätzen. Ein Vorsatz ist ein Impuls. zur Handlung, der bereits Billigung gefunden hat, dessen Aus führung aber auf einen geeigneten Zeitpunkt verschoben wurde. Nun kann in dem so geschaffenen Intervall allerdings eine der artige Veränderung in den Motiven eintreten, dass der Vorsatz nicht zur Ausführung gelangt, aber dann wird er nicht ver gessen, sondern revidiert und aufgehoben. Das Vergessen von Vorsitzen, dem wir alltäglich und in allen möglichen Situationen unterliegen, pflegen wir uns nicht durch eine Neuerung in der Motivengleichung zu erklären, sondern lassen es gemeinhin un erklärt, oder wir suchen eine psychologische Erklärung in der Annahme, gegen die Zeit der Ausführung hin habe sich die er forderliche Aufmerksamkeit für die Handlung nicht mehr bereit gefunden, die doch für das Zustandekommen des Vorsatzes uner lässliche Bedingung war, damals also für die nämliche Handlung zur Verfügung stand. Die Beobachtung unseres normalen Ver haltens gegen Vorsätze lässt uns diesen Erklärungsversuch als willkürlich abweisen. Wenn ich des Morgens einen Vorsatz fasse, der abends ausgeführt werden soll, so kann ich im Laufe des Tages einigemal an ihn geahnt werden. Er braucht aber tagsüber überhaupt nicht mehr bewusst zu werden. Wenn sich die Zeit der Ausführung nähert, fällt er mir plötzlich ein und veranlasst mich, die zur vorgesetzten Handlung nötigen Vor bereitungen zu treffen. Wenn ich auf einen Spaziergang einen Brief mitnehme, weicher noch heute befördert werden soll, sobrauche ich ihn als normales und nicht nervöses Individuum keineswegs die ganze Strecke über in der Hand zu tragen und unterdessen nach einem Briefkasten auszuspähen, in den ich ihn werfe, sondern ich pflege ihn in die Tasche zu stecken, meiner Wege zu gehen, meine Gedanken frei schweifen zu lassen, und ich rechne darauf, dass einer der nächsten Briefkästen meine Aufmerksamkeit erregen und mich veranlassen wird, in die Tasche zu greifen und den Brief hervorzuziehen. Das normale Verhalten bei gefasstem Vorsatz deckt sich vollkommen mit dem experimentell zu erzeugenden Benehmen von Personen, denen man eine sog. posthypnotische Suggestion auf lange Sicht in der Hypnose eingegeben hat ¹). Man ist gewöhnt, das Phänomen in folgender Art zu beschreiben: Der suggerierte Vor satz schlummert in den betreffenden Personen, bis die Zeit seiner Ausführung herannaht. Dann wacht er auf und treibt zur Handlung,

§ 163

In zweierlei Lebenslagen giebt sich auch der Laie Rechen schaft davon, dass das Vergessen in Bezug auf Vorsätze keines wegs den Anspruch erheben dart, als ein nicht weiter zurück führbares psychisches Elementarphänomen zu gelten, sondern zum Schluss auf uneingestandene Motive berechtigt. Ich meine: im Liebesverhältnis und in der Militärabliängigkeit. Ein Lisb haber, der das Rendezvous versäumt hat, wird sich vergeblich vor seiner Dame entschuldigen, er habe leider ganz daran ver gessen. Sie wird nicht versäumen ihn zu antworten: einem Jahr hättest Du nicht vergessen. Es liegt Dir eben nichts mehr an mir." Selbst wenn er nach der oben erwähnten „Vor psychologischen Erklärung griffe und sein Vergessen durch ge häufte Geschäfte entschuldigen wollte, würde er nur erreichen. dass die Dame so scharfsinnig geworden, wie der Arzt in der Psychoanalyse zur Antwort gabe: Wie merkwürdig. dass sich solche geschäftliche Störungen früher nicht ereignet haben." Gewiss will auch die Dame die Möglichkeit des Ver gessens nicht in Abrede stellen; sie meint nur, und nicht mit Unrecht, aus dem unabsichtlichen Vergessen sei ungefähr der nämliche Schluss auf ein gewisses Nichtwollen zu ziehen wie aus der bewussten Ausflucht.

§ 164

Aehnlich wird im militärischen Dienstverhältnis der Unter schied zwischen der Unterlassung durch Vergessen und der in Folge von Absicht prinzipiell und zwar mit Recht vernach lässigt. Der Soldat darf an nichts vergessen, was der militä rische Dienst von ihm fordert. Wenn er doch daran vergisst, obwohl ihm diese Forderung bekannt ist, so geht dies so zu, dass sich den Motiven, die auf Erfüllung der militärischen Forderung dringen, andere Gegenmotive entgegenstellen. Der Einjährige etwa, der sich beim Rapport entschuldigen wollte,

§ 165

Vgl. Bernheim. Neue Studien uber Hypnotismus, Suggestion und Psychotherapie, 1892.

§ 166

er habe vergessen seine Knöpfe blank zu putzen, ist der Strafe sicher. Aber diese Strafe ist geringfügig zu nennen im Ver gleich zu jener, der er sich aussetzte, wenn er das Motiv seiner Unterlassung sich und seinem Vorgesetzten eingestehen würde: Der elende Gamaschendienst ist mir ganz zuwider". Wegen dieser Strafersparnis, aus ökonomischen Gründen gleichsam, be dient er sich des Vergessens als Ausrede, oder kommt es als Compromiss zu Stande.

§ 167

Frauendienst wie Militärdienst erheben den Anspruch, dass Alles zu ihnen Gehörige dem Vergessen entrückt sei, und er wecken so die Meinung, Vergessen sei zulässig bei unwichtigen Dingen, während es bei wichtigen Dingen ein Anzeichen davon sei, dass man sie wie unwichtige behandeln wolle, ihnen also die Wichtigkeit abspreche. Der Gesichtspunkt der psychischen Wert schätzung ist hier in der That nicht abzuweisen. Kein Mensch vergisst Handlungen auszuführen, die ihm selbst wichtig er scheinen, ohne sich dem Verdachte geistiger Störung auszusetzen. Unsere Untersuchung kann sich also nur auf das Vergessen von mehr oder minder nebensächlichen Vorsätzen erstrecken; für ganz und gar gleichgiltig werden wir keinen Vorsatz erachten: denn in diesem Falle wäre er wohl gewiss nicht gefasst worden. Ich habe nun wie bei den früheren Functionsstörungen die bei mir selbst beobachteten Fälle von Unterlassung durch Vergessen gesammelt und aufzuklären gesucht und hierbei ganz allgemein gefunden, dass sie auf Einmengung unbekannter und uneinge standener Motive-oder, wie man sagen kann, auf einen Gegen willen zurückzuführen waren. In einer Reihe dieser Fälle befand ich mich in einer dem Dienstverhältnisse ähnlichen Lage, unter einem Zwange, gegen welchen ich es nicht ganz aufgegeben hatte, mich zu sträuben, so dass ich durch Vergessen gegen ihn demonstrierte. Dazu gehört, dass ich besonders leicht vergesse, zu Geburtstagen, Jubiläen, Hochzeitsfeiern und Standeserhöhungen zu gratulieren. Ich nehme es mir immer wieder vor und über zeuge mich immer mehr, dass es mir nicht gelingen will. Ich bin jetzt im Begriffe, darauf zu verzichten, und den Motiven, die sich sträuben, mit Bewusstsein Recht zu geben. In einem Uebergangsstadium habe ich einem Freund, der mich bat, auch für ihn ein Glückwunschtelegramm zum bestimmten Termin zu besorgen, vorhergesagt, ich würde an beide vergessen, und es war nicht zu verwundern, dass die Prophezeiung wahr wurde. Es hängt nämlich mit schmerzlichen Lebenserfahrungen zusam dass ich nicht im Stande bin, Anteilnahme zu äussern, wo diese Aeusserung notwendigerweise übertrieben ausfallen muss, da für den geringen Betrag meiner Ergriffenheit der entsprechende Ausdruck nicht zulässig ist. Seitdem ich erkannt, dass ich oft vorgebliche Sympathie bei Anderen für echte genommen habe, befinde ich mich in einer Auflehnung gegen diese Conventionen der Mitgefühlsbezeugung, deren soziale Nützlichkeit ich anderer seits einsehe. Condolenzen bei Todesfällen sind von dieserzwiespaltigen Behandlung anggenommen; wenn ich mich zu ihnen Entschlossen habe, versäume ich sie auch nicht. Wo meine Gefühle bethätigung mit gesellschaftlicher Pflicht nichts mehr zu thun hat, da findet sie ihren Ausdruck auch niemals durch Vergessen. gehemmt.

§ 168

Aehnlich erklären sich durch den Widerstreit einer con ventionellen Pflicht und einer nicht eingestandenen inneren Schätzung die Falle, in denen man Handlungen auszuführen ver gisst, die man einem Anderen zu seinen Gunsten auszuführen ver sprochen hat. Hier trifft es dann regelmässig zu, dass nur der Versprecher an die entschuldigende Kraft des Vergessens glaubt, wahrend der Bittsteller sich ohne Zweifel die richtige Antwort giebt: Er hat kein Interesse daran, sonst hätte er es nicht ver gessen. Es giebt Menschen, die man als allgemein vergesslich bezeichnet und darum in ähnlicher Weise als entschuldigt gelten. lässt wie etwa den Kurzsichtigen, wenn er auf der Strasse nicht grüsst.) Diese Personen vergessen alle kleinen Versprechungen, die sie gegeben, lassen alle Aufträge unausgeführt, die sie empfangen haben, erweisen sich also in kleinen Dingen als un verlässlich und erheben dabei die Forderung, dass man ihnen diese kleineren Vorstösse nicht übel nehmen, d. h. nicht durch ihren Charakter erklären, sondern aut organische Eigentümlich keit zurückführen solle. Ich gehöre selbst nicht zu diesen Leuten und habe keine Gelegenheit gehabt, die Handlungen einer solchen Person zu analysieren, um durch die Auswahl des Vergessens die Motivierung desselben aufzudecken. Ich kann mich aber der Vermutung per analogiam nicht erwehren, dass er ein ange wöhnlich grosses Mass von nicht eingestandener Geringschätzung des Anderen das Motiv ist, welches das constitutionelle Moment für seine Zwecke ausbeutet.

§ 169

Bei anderen Fällen sind die Motive des Vergessens weniger leicht aufzufinden und erregen, wenn gerunden, ein grösseres Befremden. So merkte ich in früheren Jahren, dass ich bei einer grösseren Anzahl von Krankenbesuchen nie an einen anderen Besuch vergesse als bei einem Gratispatienten oder bei einem Collegen. Aus Beschämung hierüber habe ich mir an gewöhnt, die Besuche des Tages schon am Morgen als Vorsatz zu notieren. Ich weiss nicht, ob andere Aerzte auf dem näm lichen Wege zu der gleichen Uebung gekommen sind. Aber man gewinnt so eine Ahnung davon, was den sog. Neurastheniker veranlasst, die Mitteilungen, die er dem Arzt machen will, auf dem berüchtigten Zettel" zu notieren. Angeblich fehlt es ihm an Zutrauen zur Reproduktionsleistung seines Gedächtnisses.

§ 170

1) Fragen sind mit ihrem feinen Verständnis für unbewusste seelische Vorgänge in der Regel eher geneigt, es als Beleidigung anzusehen, wenn man sie auf der Strasse nicht erkennt, also nicht grüsst, als an die nächst Hegenden Erklarungen zu denken, dass der Säumige kurzsichtig sei oder in Gedanken versunken sie nicht bemerkt habe. Sie schliessen, man hätte sie schon bemerkt, wenn man sich etwas aus ihnen machen würde.Das ist gewiss richtig, aber die Scene geht so vor sich: Der Kranke hat seine verschiedenen Beschwerden und Anfragen höchst langatmig vorgebracht. Nachdem er fertig geworden ist, macht er einen Moment Pause, darauf zieht er den Zettel her vor und sagt entschuldigend: Ich habe mir etwas aufgeschrieben, weil ich mir so gar nichts merke. In der Regel findet er auf dem Zettel nichts Neues. Er wiederholt jeden Punkt und be autwortet ihn selbst: Ja, darnach habe ich schon gefragt. Er demonstriert mit dem Zettel wahrscheinlich nur eines seiner Symptome, die Häufigkeit, mit der seine Vorsätze durch Ein mengung dunkler Motive gestört werden.

§ 171

Ich rühre ferner an Leiden, an welchen auch der grössere Teil der mir bekannten Gesunden krankt, wenn ich zugestehe, dass ich besonders in früheren Jahren sehr leicht und für lange Zeit vergessen habe, entlehnte Bücher zurückzugeben, oder dass es mir besonders leicht begegnet, Zahlungen durch Vergessen aufzuschieben. Unlängst verliess ich eines Morgens die Tabak trafik, in welcher ich meinen täglichen Cigarreneinkauf gemacht hatte, ohne ihn zu bezahlen. Es war eine höchst harmlose Unterlassung, denn ich bin dort bekannt und konnte daher er warten, am nächsten Tag an die Schuld gemahnt zu werden. Aber die kleine Versäumnis, der Versuch, Schulden zu machen, steht gewiss nicht ausser Zusammenhang mit den Budget erwägungen, die mich den Vortag über beschäftigt hatten. In Bezug auf das Thema von Geld und Besitz lassen sich die Spuren eines zwiespältigen Verhaltens auch bei den meisten sog. anständigen Menschen leicht nachweisen. Die primitive Gier des Säuglings, der sich aller Objekte zu bemächtigen sucht [um sie zum Munde zu führen), zeigt sich vielleicht allgemein als nur unvollständig durch Cultur und Erziehung überwunden). Ich fürchte, ich bin mit allen bisherigen Beispielen einfach banal geworden. Es kann mir aber doch nur recht sein, wenn ich auf Dinge stosse, die jedermann bekannt sind, und die jeder in der nämlichen Weise versteht, da ich blos vorhabe, das All tägliche zu sammeln und wissenschaftlich zu verwerten. Ich sehe nicht ein, weshalb der Weisheit, die Niederschlag der ge meinen Lebenserfahrung ist, die Aufnahme unter die Erwerbungen der Wissenschaft versagt sein sollte. Nicht die Verschiedenheit

§ 172

und das Streben nach weitreichendem Zusammenhang machen den wesentlichen Charakter der wissenschaftlichen Arbeit aus. Für die Vorsätze von einigem Belang haben wir allgemein gefunden, dass sie dann vergessen werden, wenn sich dunkle Motive gegen sie erheben. Bei noch weniger wichtigen Vor sätzen erkennt man als zweiten Mechanismus des Vergessens, dass ein Gegenwille sich von wo anders her auf den Vorsatz überträgt, nachdem zwischen jenem Andern und dem Inhalt des Vorsatzes eine äusserliche Association hergestellt worden ist. Hierzu gehört folgendes Beispiel: Ich lege Wert auf schönes Löschpapier und nehme mir vor, auf meinem heutigen Nach mittagsweg in die Stadt nenes einzukaufen. Aber an vier auf einanderfolgenden Tagen vergesse ich daran, bis ich mich be frage, welchen Grund diese Unterlassung hat. Ich finde ihn dann leicht, nachdem ich mich besonnen habe, dass ich zwar „Löschpapier" zu schreiben, aber Fliesspapier" zu sagen ge wöhnt bin.. Fliess" ist der Name meines Freundes in Berlin, der mir in den nämlichen Tagen Anlass einem qualenden besorgten Gedanken gegeben hat. Diesen Gedanken kann ich nicht los werden, aber die Abwehrneigung (vgl. Seite 39) äussert sich, indem sie sich mittelst der Wortgleichheit auf den indifferenten und darum wenig resistenten Vorsatz überträgt.selben Spaziergang trete ich aber bei meinem Wiener Verleger, der auch das Traumbuch publiciert hat, ein, mache eine Bestellung und sage dann, wie von einem plötzlichen Einfall getrieben: Sie wissen doch, dass ich den Traum" ein zweites Mal ge schrieben habe?" - Ah, da würde ich doch bitten." - Be ruhigen Sie sich, nur ein kurzer Aufsatz für die Löwenfeld Kurella'sche Sammlung." Es war ihm aber doch nicht recht; er besorgte, der Vortrag würde dem Absatz des Buches schaden. Ich widersprach und fragte endlich: Wenn ich mich früher an Sie gewendet hätte, würden Sie mir die Publication untersagt haben? Nein, das keineswegs." Ich glaube selbst, dass ich in meinem vollen Recht gehandelt und nichts anderes gethan habe, als was allgemein üblich ist; doch scheint es mir gewiss, dass ein ähnliches Bedenken, wie es der Verleger äusserte, das Motiv meiner Zögerung war, die Correctur abzusenden. Dies Bedenken geht auf eine frühere Gelegenheit zurück, bei welcher ein anderer Verleger Schwierigkeiten erhob, als ich, wie unver meidlich, einige Blätter Text aus einer früheren, in anderem Ver lag erschienenen Arbeit über cerebrale Kinderlähmung unver ändert in die Bearbeitung desselben Themas im Handbuch von Nothnagel hinübernahm. Dort findet aber der Vorwurf aber mals keine Anerkennung; ich hatte auch damals meinen ersten Verleger (identisch mit dem der Traumdeutung") loyal von meiner Absicht verständigt. Wenn aber diese Erinnerungsreihe noch weiter zurückgeht, so rückt sie mir einen noch früheren Anlass vor, den einer Uebersetzung aus dem Französischen, bei welchem ich wirklich die bei einer Publication in Betracht kommenden Eigentumsrechte verletzt habe. Ich hatte dem über setzten Text Anmerkungen beigefügt, ohne für diese Anmerkungen. die Erlaubnis des Autors nachgesucht zu haben, und habe einige Jahre später Grund zur Annahme bekommen, dass der Autor mit dieser Eigenmächtigkeit unzufrieden war.

§ 173

Es giebt ein Sprichwort, welches die populäre Kenntnis ver rät, dass das Vergessen von Vorsitzen nichts Zufälliges ist. Was man einmal zu thun vergessen hat, das vergisst man dann noch öfter."

§ 174

VII. Das Vergreifen.

§ 175

Der dankenswerten Arbeit von Meringer und Mayer entnehme ich noch die Stelle (p. 98): „Die Sprechfehler stehen nicht ganz allein da. Sie ent sprechen den Fehlern, die bei anderen Thätigkeiten des Menschen sich oft einstellen und ziemlich thöricht Vergesslichkeiten" genannt werden."

§ 176

Ich bin also keinesfalls der erste, der Sinn und Absicht hinter den kleinen Functionsstörungen des täglichen Lebens Gesunder vermutet.

§ 177

Wenn die Fehler beim Sprechen, das ja eine motorische Leistung ist, eine solche Auffassung zugelassen haben, so liegtselben Spaziergang trete ich aber bei meinem Wiener Verleger, der auch das Traumbuch publiciert hat, ein, mache eine Bestellung und sage dann, wie von einem plötzlichen Einfall getrieben: Sie wissen doch, dass ich den Traum" ein zweites Mal ge schrieben habe?" - Ah, da würde ich doch bitten." - Be ruhigen Sie sich, nur ein kurzer Aufsatz für die Löwenfeld Kurella'sche Sammlung." Es war ihm aber doch nicht recht; er besorgte, der Vortrag würde dem Absatz des Buches schaden. Ich widersprach und fragte endlich: Wenn ich mich früher an Sie gewendet hätte, würden Sie mir die Publication untersagt haben? Nein, das keineswegs." Ich glaube selbst, dass ich in meinem vollen Recht gehandelt und nichts anderes gethan habe, als was allgemein üblich ist; doch scheint es mir gewiss, dass ein ähnliches Bedenken, wie es der Verleger äusserte, das Motiv meiner Zögerung war, die Correctur abzusenden. Dies Bedenken geht auf eine frühere Gelegenheit zurück, bei welcher ein anderer Verleger Schwierigkeiten erhob, als ich, wie unver meidlich, einige Blätter Text aus einer früheren, in anderem Ver lag erschienenen Arbeit über cerebrale Kinderlähmung unver ändert in die Bearbeitung desselben Themas im Handbuch von Nothnagel hinübernahm. Dort findet aber der Vorwurf aber mals keine Anerkennung; ich hatte auch damals meinen ersten Verleger (identisch mit dem der Traumdeutung") loyal von meiner Absicht verständigt. Wenn aber diese Erinnerungsreihe noch weiter zurückgeht, so rückt sie mir einen noch früheren Anlass vor, den einer Uebersetzung aus dem Französischen, bei welchem ich wirklich die bei einer Publication in Betracht kommenden Eigentumsrechte verletzt habe. Ich hatte dem über setzten Text Anmerkungen beigefügt, ohne für diese Anmerkungen. die Erlaubnis des Autors nachgesucht zu haben, und habe einige Jahre später Grund zur Annahme bekommen, dass der Autor mit dieser Eigenmächtigkeit unzufrieden war.

§ 178

Es giebt ein Sprichwort, welches die populäre Kenntnis ver rät, dass das Vergessen von Vorsitzen nichts Zufälliges ist. Was man einmal zu thun vergessen hat, das vergisst man dann noch öfter."

§ 179

VII. Das Vergreifen.

§ 180

Der dankenswerten Arbeit von Meringer und Mayer entnehme ich noch die Stelle (p. 98): „Die Sprechfehler stehen nicht ganz allein da. Sie ent sprechen den Fehlern, die bei anderen Thätigkeiten des Menschen sich oft einstellen und ziemlich thöricht Vergesslichkeiten" genannt werden."

§ 181

Ich bin also keinesfalls der erste, der Sinn und Absicht hinter den kleinen Functionsstörungen des täglichen Lebens Gesunder vermutet.

§ 182

Wenn die Fehler beim Sprechen, das ja eine motorische Leistung ist, eine solche Auffassung zugelassen haben, so liegtes nahe, auf die Fehler unserer sonstigen motorischen Ver richtungen die nämliche Erwartung zu übertragen. Ich habe hier zwei Gruppen von Fällen gebildet; alle die Fälle, in denen der Fehleffect das Wesentliche scheint, also die Abirrung von der Intention, bezeichne ich als Vergreifen, die anderen, in denen eher die ganze Handlung unzweckmässig erscheint, be nenne ich Symptom- und Zufallshandlungen". Die Scheidung ist aber wiederum nicht reinlich durchzuführen; wir kommen ja wohl zur Einsicht, dass alle in dieser Abhandlung gebrauchten Einteilungen nur descriptiv bedeutsame sind und der inneren Einheit des Erscheinungsgebietes widersprechen.

§ 183

48

§ 184

Das psychologische Verständnis des Vergreifens erfährt offenbar keine besondere Förderung, wenn wir es der Ataxie und speciell der corticalen Ataxie" subsummieren. Versuchen wir lieber die einzelnen Beispiele auf ihre jeweiligen Bedingungen zurückzuführen. Ich werde wiederum Selbstbeobachtungen hier zu verwenden, zu denen sich die Anlässe bei mir nicht besonders häufig finden.

§ 185

a) In früheren Jahren, als ich Hausbesuche bei Patienten noch häufiger machte als gegenwärtig, geschah es mir oft, dass ich vor der Thüre, an die ich klopfen oder läuten sollte, an gekommen, die Schlüssel meiner eigenen Wohnung aus der Tasche zog, um sie dann fast beschämt wieder einzustecken. Wenn ich mir zusammenstelle, bei welchen Patienten dies der Fall war, so muss ich annehmen, die Fehlhandlung-Schlüssel herausziehen anstatt zu läuten - bedeutete eine Huidigung für das Haus, wo ich in diesen Missgriff vertiel. Sie war aquivalent dem Gedanken: Hier bin ich wie zu Hanse", denn sie trng sich nur zu, wo ich den Kranken lieb gewonnen hatte. An meiner eigenen Hansthür länte ich natürlich niemals. Die Fehl handlung war also eine symbolische Darstellung eines doch eigentlich nicht für ernsthafte, bewusste Annahme bestimmten Gedankens, denn in der Realität weiss der Nervenarzt genau, dass der Kranke ihm nur so lange anhänglich bleibt, als er noch Vorteil von Ihm erwartet, und dass er selbst zum Zweck der psychischen Hilfeleistung ein übermässig warmes Interesse für seine Patienten bei sich gewähren lässt.

§ 186

b) In einem bestimmten Hause, wo ich seit sechs Jahren zwei mal täglich zu festgesetzten Zeiten vor einer Thüre im zweiten Stock auf Einlass warte, ist es mir während dieses langen Zeit raums zweimal (mit einem kurzen Intervall) geschehen, dass ich um einen Stock höher gegangen bin, also mich verstiegen" habe. Das eine mal befand ich mich in einem ehrgeizigen Tag traum, der mich höher und immer höher steigen" liess. Ich überhörte damals sogar, dass sich die fragliche Thür geöffnet hatte, als ich den Fuss auf die ersten Stufen des dritten Stock werks setzte. Das andere mal ging ich wiederum ,in Gedanken versunken" zu weit; als ich es bemerkte, umkehrte und die mich beherrschende Phantasie zu erhaschen suclite, fand ich, dass ichmich über eine (phantasierte) Kritik meiner Schriften ärgerte, in welcher mir der Vorwurf gemacht wurde, dass ich immer zu weit ginge", und in die ich nun den wenig respectvollen Aus druck verstiegen" einzusetzen hatte.

§ 187

c) Auf meinem Schreibtische liegen seit vielen Jahren neben einander ein Reflexhammer und eine Stimmgabel. Eines Tages eile ich nach Schluss der Sprechstunde fort, weil ich einen be stimmten Stadtbahnzug erreichen will, stecke bei vollem Tages licht anstatt des Hammers die Stimmgabel in die Rocktasche und werde durch die Schwere des die Tasche herabziehenden Gegen standes auf meinen Missgriff aufmerksam gemacht. Wer sich über so kleine Vorkommnisse Gedanken zu machen nicht ge wöhnt ist, wird ohne Zweifel den Fehlgriff durch die Eile des Moments erklären und entschuldigen. Ich habe es trotzdem vor gezogen, mir die Frage zu stellen, warum ich eigentlich die Stimmgabel anstatt des Hammers genommen. Die Eilfertigkeit hätte ebensowohl ein Motiv sein können, den Griff richtig aus zuführen, um nicht Zeit mit der Correctur zu versäumen.

§ 188

Wer hat zuletzt nach der Stimmgabel gegriffen? lautet die Frage, die sich mir da aufdrängt. Das war vor wenigen Tagen ein idiotisches Kind, bei dem ich die Aufmerksamkeit auf Sinneseindrücke prüfte, und das durch die Stimmgabel so ge fesselt wurde, dass ich sie ihm nur schwer entreissen konnte. Soll das also heissen, ich sei ein Idiot? Allerdings scheint es so, denn der nächste Einfall, der sich an Hammer associiert, lautet Chamer" (hebräisch: Esel).

§ 189

Was soll aber dieses Geschimpfe? Man muss hier die Situation befragen. Ich eile zu einer Consultation in einem Ort an der Westbahnstrecke, zu einer Kranken, die nach der brieflich mitgeteilten Anamnese vor Monaten vom Balkon herabgestürzt ist und seither nicht gehen kann. Der Arzt, der mich einlädt, schreibt, er wisse trotzdem nicht, ob es sich um Rückenmarksverletzung oder um traumatische Neurose Hysterie - handle. Das soll ich nun entscheiden. Da wäre also eine Mahnung am Platze, in der heikeln Differentialdiagnose be sonders vorsichtig zu sein. Die Collegen meinen ohnedies, man diagnosticiere viel zu leichtsinnig Hysterie, wo es sich um ernstere Dinge handle. Aber die Beschimpfung ist noch nicht gerechtfertigt! Ja, es kommt hinzu, dass die kleine Bahnstation der nämliche Ort ist, an dem ich vor Jahren einen jungen Mann gesehen, der seit einer Gemütsbewegung nicht ordentlich gehen konnte. Ich diagnosticierte damals Hysterie und nahm den Kranken später in psychische Behandlung, und dann stellte es sich heraus, dass ich freilich nicht unrichtig diagnosticiert hatte, aber auch nicht richtig. Eine ganze Anzahl der Symptome des Kranken war hysterisch gewesen, und diese schwanden auch prompt im Laufe der Behandlung. Aber hinter diesen wurde nun ein für die Therapie unantastbarer Rest sichtbar, der sich nur auf eine multiple Sclerose beziehen liess. Die den Kranken nach mir sahen, hatten es leicht, die organische Affection zu erkennen; ich hätte kaum anders vorgehen und anders urteilen können, aber der Eindruck war doch der eines schweren Irrtums; das Versprechen der Heilung, das ich ihm gegeben hatte, war natürlich nicht zu halten. Der Missgriff nach der Stimmgabel anstatt nach dem Hammer liess sich also 80 Worte übersetzen: Du Trottel, Du Esel, nimm dich diesmal zusammen, dass Du nicht wieder eine Hysterie diagnosticierst, wo eine unheilbare Krankheit vorliegt, wie bei dem armen Mann an demselben Ort vor Jahren! Und zum Glück für diese kleine Analyse, wenn auch zum Unglück für meine Stimmung, war dieser selbe Mann mit schwerer spastischer Lähmung wenige Tage vorher und einen Tag nach dem idiotischen Kind in meiner Sprechstunde gewesen.

§ 190

Man merkt, es ist diesmal die Stimme der Selbstkritik, die sich durch das Fehlgreifen vernehmlich macht. Zu solcher Ver wendung als Selbstvorwurf ist der Fehlgriff ganz besonders ge eignet. Der Missgriff hier will den Missgriff, den man anderswo begangen hat, darstellen.

§ 191

c) Selbstverständlich kann das Fehlgreifen auch einer ganzen Reihe anderer dunklen Absichten dienen. Hier ein erstes Bei spiel: Es kommt sehr selten vor, dass ich etwas zerschlage. Ich bin nicht besonders geschickt, aber infolge der anatomischen Integrität meiner Nervmuskelapparate sind Gründe für so un geschickte Bewegungen mit unerwünschtem Erfolg bei mir offen bar nicht gegeben. Ich weiss also kein Object in meinem Hause zu erinnern, dessen Gleichen ich je zerschlagen hätte. Ich bin durch die Enge in meinem Studierzimmer oft genötigt, in den unbequemsten Stellungen mit einer Anzahl von antiken Thon- und Steinsachen, von denen ich eine kleine Sammlung habe, zu hantieren, so dass Zuschauer die Besorguis ausdrücken, ich würde etwas herunterschleudern und zerschlagen. Es ist aber niemals geschehen. Warum habe ich also unlängst den marmornen Deckel meines einfachen Tintengefässes zu Boden geworfen, so dass er zerbrach?

§ 192

Mein Tintenzeug besteht aus einer Platte von Untersberger Marmor, die für die Aufnahme des gläsernen Tintenfässchens ausgehöhlt ist; das Tintenfass trägt einen Deckel mit Knopf aus demselben Stein. Ein Kranz von Bronzestatuetten und Terra cotta-Figürchen ist hinter diesem Tintenzeug aufgestellt. Ich setze mich an den Tisch, um zu schreiben, mache mit der Hand, welche den Federstiel hält, eine merkwürdig angeschickte, ausfahrende Bewegung, und werfe so den Deckel des Tintenfasses, der bereits auf dem Tische lag, zu Boden. Die Erklärung ist nicht schwer zu finden. Einige Stunden vorher war meine Schwester im Zimmer gewesen, um sich einige neue Erwerbungen anzusehen. Sie fand sie sehr schön und äusserte dann: „Jetzt sieht Dein Schreibtisch wirklich hübsch aus, nur das Tintenzeug passt nicht dazu. Du musst ein schöneres haben.“ Ich begleitete dieSchwester hinaus und kam erst nach Stunden zurück. Dann aber habe ich, wie es scheint, an dem verurteilten Tintenzeug die Exekution vollzogen. Schloss ich etwa aus den Worten der Schwester, dass sie sich vorgenommen habe, mich zur nächsten festlichen Gelegenheit mit einem schöneren Tintenzeug zu be schenken, und zerschlug das unschöne alte, um sie zur Verwirk lichung ihrer angedeuteten Absicht zu nötigen? Wenn dem so ist, so war meine schleudernde Bewegung nur scheinbar un geschickt; in Wirklichkeit war sie höchst geschickt und ziel bewusst und verstand es, allen wertvolleren, in der Nähe befind lichen Objekten schonend auszuweichen.

§ 193

Ich glaube wirklich, dass man diese Beurteilung für eine aanze Reihe von anscheinend zufällig ungeschickten Bewegungen gnnehmen muss. Es ist richtig, dass diese etwas gewaltsames, schleuderndes, wie spastisch-ataktisches zur Schau tragen, aber sie erweisen sich als von einer Intention beherrscht und treffen ihr Ziel mit einer Sicherheit, die man den bewusst willkürlichen Bewegungen nicht allgemein nachrühmen kann. Beide Charaktere, die Gewaltsamkeit wie die Treffsicherheit haben sie übrigens mit den motorischen Aeusserungen der hysterischen Neurose und zum Teil auch mit den motorischen Leistungen des Somnambulis mus gemeinsam, was wohl hier wie dort auf die nämliche unbe kannte Modifikation des Innervationsvorganges hinweist.

§ 194

Das Fallenlassen von Objekten, Umwerfen, Zerschlagen der selben scheint sehr häufig zum Ausdruck unbewusster Gedanken gänge verwendet zu werden, wie man gelegentlich durch Analyse beweisen kann, häufiger aber aus den abergläubisch oder scherz haft daran geknüpften Deutungen im Volksmunde erraten möchte. Es ist bekannt, welche Deutungen sich an das Ausschütten von Salz, Umwerfen eines Weinglases, Steckenbleiben eines zu Boden gefallenen Messers u. dgl. knüpfen. Welches Anrecht auf Be achtung solche abergläubische Deutungen haben, werde ich erst an späterer Stelle erörtern; hierher gehört nur die Bemerkung, dass die einzelne ungeschickte Verrichtung keineswegs einen konstanten Sinn hat, sondern je nach Umständen sich dieser oder jener Absicht als Darstellungsmittel bietet.

§ 195

Wenn dienende Personen gebrechliche Gegenstände durch Fallenlassen vernichten, so wird man an eine psychologische Er klärung hiefür gewiss nicht in erster Linie denken, doch ist auch dabei ein Beitrag dunkler Motive nicht unwahrscheinlich. Nichts liegt dem Ungebildeten ferner als die Schätzung der Kunst und der Kunstwerke. Eine dumpfe Feindseligkeit gegen deren Er zeugnisse beherrscht unser dienendes Volk, zumal wenn die Gegenstände, deren Wert sie nicht einsehen, eine Quelle von Arbeitsanforderung für sie werden. Leute von derselben Bildungs stufe und Herkunft zeichnen sich dagegen in wissenschaftlichen Instituten oft durch grosse Geschicklichkeit und Verlässlichkeit in der Handhabung heikler Objekte aus, wenn sie erst begonnenhaben, sich mit ihrem Herrn zu identificieren und sich zum wesentlichen Personal des Instituts zu rechnen.

§ 196

Sich selbst fallen lassen, einen Fehltritt machen, ausgleiten. braucht gleichfalls nicht immer als rein zufälliges Fehlschlagen motorischer Aktion gedeutet zu werden. Der sprachliche Doppel sun dieser Ausdrücke weist bereits auf die Art von vorhaltenen Phantasien hin, die sich durch solches Aufgeben des Körper gleichgewichts darstellen können. Ich erinnere mich an eine Anzahl von leichteren nervösen Erkrankungen bei Frauen und Mädchen, die nach einem Fall ohne Verletzung aufgetreten waren, und als tranmatische Hysteris zufolge des Schrecks beim Falle aufgefasst worden. Ich bekam schon damals den Eindruck. als ob die Dinge anders zusamenhingen, als wäre das Fallen bereits eine Veranstaltung der Neurose und ein Ausdruck derselben un bewussten Phantasien sexuellen Inhalts gewesen, die man als die bewegenden Kräfte hinter den Symptomen vermuten darf. Sollte dasselbe nicht auch ein Sprichwort sagen wollen, welches lautet: Wenn eine Jungfrau füllt, fallt sie auf den Rücken" ?

§ 197

e) Dass zufällige Aktionen eigentlich absichtliche sind, wird auf keinem anderen Gebiete eher Glauben finden als auf den der sexuellen Bethätigung, wo die Grenze zwischen beiderlei Arten sich wirklich zu verwischen scheint. Dass eine scheinbar ungeschickte Bewegung höchst raffiniert zu sexuellen Zwecken ausgenutzt werden kann, davon habe ich vor einigen Jahren an mir selbst ein schönes Beispiel erlebt. Ich traf in einem be freundeten Hause ein als Gast angelangtes junges Mädchen, welches ein längst für erloschen gehaltenes Wohlgefallen bei mir erregte und mich darum heiter, gesprächig und zuvorkommend stimmte. Ich habe damals auch nachgeforscht, auf welchen Bahnen dies zuging: ein Jahr vorher hatte dasselbe Mädchen. mich kühl gelassen. Als nun der Onkel des Mädchens, ein sehr alter Herr. in's Zimmer trat, sprangen wir beide auf, um ihm einen in der Ecke stehenden Stuhl zu bringen. Sie war belendor als ich, wohl auch dem Objekt niher; so hatte sie sich zuerst des Sessels bemächtigt und trag ihn mit der Lehne nach rück wärts, beide Hände auf die Sesselränder gelegt, vor sich hin. Indem ich später hinzutrat und den Anspruch, den Sessel zu tragen, doch nicht aufgab, stand ich plötzlich dicht hinter ihr, hatte beide Arme von rückwärts um sie geschlungen, und die Hände trafen sich einen Moment lang vor ihrem Schoss. Ich löste natürlich die Situation ebenso rasch, als sie entstanden war. Es schien auch Keinem aufzufallen, wie geschickt ich diese unnehmen früherer Jahre wiederholt und sexuelle Absichten unter der Maske der Ungeschicklichkeit verfolgt. Aus meinen Psycho analysen Neurotischer weiss ich, dass die sogenannte Naivität junger Leute und Kinder häufig nur solch eine Maske ist, um das Unanständige unbeirrt durch Genieren aussprechen oder thun zu können.

§ 198

f) Die Effecte, die durch das Fehlgreifen normaler Menschen zustande kommen, sind in der Regel von harmlosester Art. Gerade darum wird sich ein besonderes Interesse an die Frage knüpfen, ob Fehlgriffe von erheblicher Tragweite, die von bedeutsamen Folgen begleitet sein können, wie z. B. die des Arztes oder Apothekers, nach irgend einer Richtung unter unsere Gesichtspunkte fallen.

§ 199

Da ich sehr sehr selten in die Lage komme, ärztliche Ein griffe vorzunehmen, habe ich nur über ein Beispiel von ärzt lichem Vergreifen aus eigener Erfahrung zu berichten. Bei einer sehr alten Dame, die ich seit Jahren zweimal täglich be suche, beschränkt sich meine ärztliche Thätigkeit beim Morgen besuch auf zwei Akte: ich träufle ihr ein paar Tropfen Augen wasser in's Auge und gebe ihr eine Morphiuminjection. Zwei Fläschchen, ein blaues für das Collyrium und ein weisses mit der Morphinlösung, sind regelmässig vorbereitet. Während der beiden Verrichtungen beschäftigen sich meine Gedanken wohl meist mit etwas anderem; das hat sich eben schon so oft wieder holt, dass die Aufmerksamkeit sich wie frei benimmt. Eines Morgens bemerkte ich, dass der Automat falsch gearbeitet hatte; das Tropfröhrchen hatte in's weisse anstatt in's blaue Fläschchen eingetaucht und nicht Collyrium, sondern Morphin in's Auge geträufelt. Ich erschrak heftig und beruhigte mich dann durch die Ueberlegung, dass einige Tropfen einer zweiprocentigen Morphinlösung auch im Bindehautsack kein Unheil anzurichten vermögen. Die Schreckempfindung war offenbar anderswoher abzuleiten.

§ 200

Bei dem Versuch, den kleinen Fehlgriff zu analysieren, fiel mir zunächst die Phrase ein: sich an der Alten vergreifen", die den kurzen Weg zur Lösung weisen konnte. Ieli stand unter dem Eindrucke eines Traumes, den mir am Abend vorher ein junger Mann erzählt hatte, dessen Inhalt sich nur auf sexu ellen Verkehr mit der eigenen Mutter deuten liess.") Die Sonder barkeit, dass die Sage keinen Anstoss an dem Alter der Köni gin Jocaste nimmt, schien mir gut zu dem Ergebnis zu stimmen, dass es sich bei der Verliebtheit in die eigene Mutter niemals um deren gegenwärtige Person handelt, sondern um ihr jugend liches Erinnerungsbild aus den Kinderjahren. Solche Incon gruenzen stellen sich immer heraus, wo eine zwischen zwei

§ 201

¹) Des Oedipus-Traumes, wie ich ihn zu nennen pflege, weil er den Schlüssel zum Verständnis der Sage von König Oedipus enthält. Im Text des Sophokles ist die Beziehung auf einen solchen Traum der Jocaste in den Mund gelegt. (Vgl. Traumdeutung", p. 182.)Zeiten schwankende Phantasie bewusst gemacht und dadurch an eine bestimmte Zeit gebunden wird. In Gedanken solcher Art versunken kam ich zu meiner über neunzigjährigen Patientin. und ich muss wohl auf dem Wege gewesen sein, den allgemein menschlichen Charakter der Oedipusfabel als das Correlat des Verhängnisses, das sich in den Orakeln äussert, zu erfassen, denn ich vergriff mich dann bei oder an der Alten." Indes dies Vergreifen war wiederum harmlos: ich hatte von den beiden möglichen Irrtümern, die Morphinlösung für's Auge zu verwen den, oder das Augenwasser zur Injection zu nehmen, den bei weitem harmloseren gewählt. Es bleibt immer noch die Frage, ob man bei Fehlgriffen, die schweren Schaden stiften können. in ähnlicher Weise wie bei den hier behandelten eine unbewusste Absicht in Erwägung ziehen darf.

§ 202

Hier lässt mich denn, wie zu erwarten steht, das Material im Stiche, und ich bleibe auf Vermutungen und Annäherungen angewiesen. Es ist bekannt, dass bei den schwereren Fällen von Psychonenrose Selbstbeschädigungen gelegentlich als Krank heitssymptoms auftreten, und dass der Ausgang des psychischen Conflictes in Selbstmord bei ihnen niemals auszuschliessen ist. Ich habe nun erfahren und werde es eines Tages durch gut aufge klärte Beispiele belegen, dass viele scheinbar zufällige Schädig ungen, die solche Kranke treffen, eigentlich Selbstbeschädig ungen sind, indem eine beständig lauernde Tendenz zur Selbst bestrafung, die sich sonst als Selbstvorwurf äussert, oder ihren Beitrag zur Symptombildung stellt, eine zufällig gebotene äussere Situation geschickt ausnutzt, oder ihr etwa noch bis zur Er reichung des gewünschten schädigenden Effectes nachhilft. Solche Vorkommnisse sind auch bei mittelschweren Fällen keineswegs selten, und sie verraten den Anteil der unbewussten Absicht durch eine Reihe von besonderen Zügen, z. B. durch die auffällige Fassung, welche die Kranken bei dem angeb lichen Unglücksfalle bewahren).

§ 203

Wer an das Vorkommen von halb absichtlicher Selbst beschädigung wenn der ungeschickte Ausdruck gestattet ist - glaubt, der wird dadurch vorbereitet anzunehmen, dass es ausser dem bewusst absichtlichen Selbstmord auch halb absicht liche Selbstvernichtung mit unbewusster Absicht giebt, die eine Lebensbedrohung geschickt auszunutzen und sich als zufällige Verunglückung zu maskieren weiss, Eine solche braucht keineswegs selten zu sein. Denn die Tendenz zur Selbst vernichtung ist bei sehr viel mehr Menschen in einer gewissen Stärke vorhanden, als bei denen sie sich durchsetzt; die Selbst

§ 204

1) Die Selbstbeschädigung, die nicht voll auf Selbstvernichtung hin zielt, hat in unserem gegenwärtigen Kulturzustand überhaupt keine andere Wahl, als sich hinter der Zufälligkeit zu verbergen, oder sich durch Simu lation einer spontanen Erkrankung durchzusetzen. Früher einmal war sie ein gebräuchliches Zeichen der Trauer: zu anderen Zeiten konnte sie Ileen der Frömmigkeit und Weltentsagung Ausdruck geben.beschädigungen sind in der Regel ein Compromiss zwischen diesem Trieb und den ihr noch entgegenwirkenden Kräften, und auch wo es wirklich zum Selbstmord kommt, da ist die Neigung dazu eine lange Zeit vorher in geringerer Stärke oder als un bewusste und unterdrückte Tendenz vorhanden gewesen.

§ 205

Auch die bewusste Selbstmordabsicht wählt ihre Zeit, Mittel und Gelegenheit; es ist ganz im Einklang damit, wenn die un bewusste einen Anlass abwartet, der einen Teil der Verursachung auf sich nehmen und sie durch Inanspruchnahme der Abwehr kräfte des Individuums von ihrer Bedrückung frei machen kann ¹). Es sind keineswegs müssige Erwägungen, die ich da vorbringe; mir ist mehr als ein Fall von anscheinend zufälligem Verun glücken (zu Pferde oder aus dem Wagen) bekannt geworden, dessen nähere Umstände den Verdacht auf unbewusst zugelassenen Selbstmord rechtfertigen. Da stürzt z. B. während eines Offiziers wettrennens ein Offizier vom Pferd und verletzt sich so schwer, dass er mehrere Tage nachher erliegt. Sein Benehmen, nach dem er zu sich gekommen, ist in manchen Stücken auffällig. Noch bemerkenswerter ist sein Benehmen vorher gewesen. Er ist tief verstimmt durch den Tod seiner geliebten Mutter, wird von Weinkrämpfen in der Gesellschaft seiner Kameraden be fallen, er äussert Lebensüberdruss gegen seine vertrauten Freunde, will den Dienst quittieren, um an einem Kriege in Afrika An teil zu nehmen, der ihn sonst nicht berührt); früher ein schneidiger Reiter, weicht er jetzt dem Reiten aus, wo es nur möglich ist. Vor dem Wettrennen endlich, dem er sich nicht entziehen kann, Aussert er eine trübe Ahnung; wir werden uns bei unserer Auffassung nicht mehr verwundern, dass diese Ahnung Recht behielt. Man wird mir entgegenhalten, es sei ja ohne Weiteres verständlich, dass ein Mensch in solcher nervöser

§ 206

1) Der Fall ist dann schliesslich kein anderer als der des sexuellen Attentats auf eine Frau, bei dem der Angriff des Mannes nicht durch die volle Muskelkraft des Weibes abgewehrt werden kann, weil ihm ein Teil der unbewussten Regungen der Angegriffenen fördernd entgegen kommt. Man sagt ja wohl, eine solche Situation lähme die Kräfte der Fran; man braucht dann nur noch die Gründe für diese Schwächung hinzuzufügen. Insoferne ist der geistreiche Richterspruch des Sancho Pansa, den er als Gouverneur auf seiner Insel fällt, psychologisch ungerecht. (Don Quijote IL T. Kap. XLV.) Eine Frau zerrt einen Mann vor den Richter, der sie angeblich gewaltsam ihrer Ehre beraubt hat, Sancho entschädigt sie durch die volle Geldbörse, die er dem Angeklagten abnimmt, und giebt ihm nach dem Abgange der Frau die Erlaubnis, ihr nachzueilen und ihr die Börse wieder zu entreissen. Sie kommen beide ringend wieder, und Frau berühmt sich, der Bösewicht nicht im Star gewesen sei, sich der Börse zu bemächtigen. Darauf Sancho: Hättest Du Deine Ehre halb so ernsthaft verteidigt wie diese Börse, so hätte sie Dir der Mann nicht rauben können.

§ 207

2) Dass die Situation des Schlachtfeldes eine solche ist, wie sie der be wussten Selbstmordsabsicht entgegenkommt, die doch den direkten Weg scheut, ist einleuchtend. Vgl. im Wallenstein" die Worte des schwe dischen Hauptmanns über den Tod des Max Piccolomini: Man sagt, er wollte sterben."Depression das Tier nicht zu meistern versteht wie in gesunden Tagen. Ich bin ganz einverstanden; nur möchte ich den Mechanismus dieser motorischen Hemmung durch die Nervosität in der hier betonten Selbstvernichtungsabsicht suchen.

§ 208

Wenn so ein Wüten gegen die eigene Integrität und das eigene Leben hinter anscheinend zufälliger Ungeschicklichkeit und motorischer Unzulänglichkeit verborgen sein kann, so braucht man keinen grossen Schritt mehr zu thun, um die Uebertragung der nämlichen Auffassung auf Fehlgriffe möglich zu finden, welche Leben und Gesundheit Anderer ernstlich in Gefahr bringen. Was ich an Belegen für die Triftigkeit dieser Auf fassung vorbringen kann, ist der Erfahrung an Neurotikern ent nommen, deckt sich also nicht völlig mit dem Erfordernis. Ich werde über einen Fall berichten, in dem mich nicht eigentlich ein Fehlgriff, sondern, was man eher eine Symptom- oder Zu fallshandlung nennen kann, auf die Spur brachte, welche dann die Lösung des Conflicts bei dem Patienten ermöglichte. Ich übernahm es einmal, die Dhe eines sehr intelligenten Mannes zu bessern, dessen Misshelligkeiten mit seiner ihn zärtlich liebenden jungen Frau sich gewiss auf reale Begründungen berufen konnten, aber wie er selbst zugab, durch diese nicht voll erklärt wurden. Er beschäftigte sich unablässig mit dem Gedanken der Scheidung, den er dann wieder verwarf, weil er seine beiden kleinen Kinder zärtlich liebte. Trotzdem kam er immer wieder auf den Vorsatz zurück und versuchte kein Mittel, um sich die Situation erträg lich zu gestalten. Solches Nichtfertig werden mit einem Conflict gilt mir als Beweis dafür, dass sich unbewusste und verdrängte Motive zur Verstärkung der mit einander streitenden bewussten be reit gefunden haben, und ich unternehme es in solchen Fällen, den Conflict durch psychische Analyse zu beenden. Der Mann er zählte mir eines Tages von einem kleinen Vorfall, der ihn auf's äusserste erschreckt hatte. Er hetzte" mit seinem älteren Kind, dem weitaus geliebteren, hob es hoch und liess es nieder und ein mal an solcher Stelle und so hoch, dass das Kind mit dem Scheitel fast an den schwer herabhängenden Gasluster ange stossen hätte. Fast, aber doch eigentlich nicht oder gerade eben noch! Dem Kind war nichts geschehen, aber es wurdo vor Schreck schwindlig. Der Vater blieb entsetzt mit dem Kinde im Arme stehen, die Mutter bekam einen hysterischen Anfall. Die besondere Geschicklichkeit dieser unvorsichtigen Bewegung, die Heftigkeit der Reaction bei den Eltern legten es mir nahe, in dieser Zufälligkeit eine Symptomhandlung zu suchen, welche eine böse Absicht gegen das geliebte Kind zum Ausdruck bringen. sollte. Den Widerspruch gegen die aktuelle Zärtlichkeit dieses Vaters zu seinem Kinde konnte ich mildern, wenn ich den Impuls zur Schädigung in die Zeit zurückverlegte, da dieses Kind das einzige und so klein gewesen war, dass sich der Vater noch nicht zärtlich für dasselbe zu interessieren brauchte. Dann hatte ich es leicht anzunehmen, dass der von seiner Frau wenigbefriedigte Mann damals den Gedanken gehabt oder den Vorsatz gefasst: Wenn dieses kleine Wesen, an dem mir gar nichts liegt, stirbt, dann bin ich frei und kann mich von der Frau scheiden lassen. Ein Wunsch nach dem Tode dieses jetzt so geliebten Wesens musste also unbewusst weiterbestehen Von hier ab war der Weg zur unbewussten Fixierung dieses Wunsches leicht zu finden. Eine mächtige Determinierung ergab sich wirklich aus der Kindheitserinnerung des Patienten, dass der Tod eines kleinen Bruders, den die Mutter der Nachlässigkeit des Vaters zur Last legte, zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen den Eltern mit Scheidungsandrohung geführt hatte. Der weitere Verlauf der Ehe meines Patienten bestätigte meine Combination auch durch den therapeutischen Erfolg.

§ 209

VIII. Symptom- und Zufallshandlungen.

§ 210

Die bisher beschriebenen Handlungen, in denen wir die Ausführung einer unbewussten Absicht erkannten, traten als Störungen anderer beabsichtigter Handlungen auf und deckten sich mit dem Vorwand der Ungeschicklichkeit. Die Zufalls handlungen, von denen jetzt die Rede sein soll, unterscheiden sich von denen des Vergreifens nur dadurch, dass sie die An lehnung an eine bewusste Intention verschmähen und also des Vorwandes nicht bedürfen. Sie treten für sich auf und werden zugelassen, weil man Zweck und Absicht bei ihnen nicht ver mutet, Man führt sie aus, ohne sich etwas bei ihnen zu denken", nur rein zufällig", wie um die Hände zu beschäftigen", und man rechnet darauf, dass solche Auskunft der Nachforschung nach der Bedeutung der Handlung ein Ende bereiten wird. Um sich dieser Ausnahimsstellung erfreuen zu können, müssen diese Handlungen, die nicht mehr die Entschuldigung der Ungeschick lichkeit in Anspruch nehmen, eine bestimmte Bedingung er füllen; sie müssen unauffällig und ihre Effekte müssen gering fügig sein.

§ 211

Ich habe eine grosse Anzahl solcher Zufallshandlungen bei mir und Anderen gesammelt, und meine nach gründlicher Unter suchung der einzelnen Beispiele, dass sie eher den Namen von Symptomhandlungen verdienen. Sie bringen etwas zum Ausdruck, was der Thäter selbst nicht in ihnen vermutet, und was er in der Regel nicht mitzuteilen, sondern für sich zu be halten beabsichtigt. Sie spielen also ganz so wie alle anderen bisher betrachteten Phänomene die Rolle von Symptomen.

§ 212

Die reichste Ausbeute an solchen Zufalls- oder Symptom handlungen erhält man allerdings bei der psychoanalytischen Behandlung der Neurotiker. Ich kann es mir nicht versagen, an zwei Beispielen dieser Herkunft zu zeigen, wie weit und wie fein die Determinierung dieser unscheinbaren Vorkommnisse durch unbewusste Gedanken getrieben ist. Die Grenze der Symptom handlungen gegen das Vergreifen ist so wenig scharf, dass ichbefriedigte Mann damals den Gedanken gehabt oder den Vorsatz gefasst: Wenn dieses kleine Wesen, an dem mir gar nichts liegt, stirbt, dann bin ich frei und kann mich von der Frau scheiden lassen. Ein Wunsch nach dem Tode dieses jetzt so geliebten Wesens musste also unbewusst weiterbestehen Von hier ab war der Weg zur unbewussten Fixierung dieses Wunsches leicht zu finden. Eine mächtige Determinierung ergab sich wirklich aus der Kindheitserinnerung des Patienten, dass der Tod eines kleinen Bruders, den die Mutter der Nachlässigkeit des Vaters zur Last legte, zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen den Eltern mit Scheidungsandrohung geführt hatte. Der weitere Verlauf der Ehe meines Patienten bestätigte meine Combination auch durch den therapeutischen Erfolg.

§ 213

VIII. Symptom- und Zufallshandlungen.

§ 214

Die bisher beschriebenen Handlungen, in denen wir die Ausführung einer unbewussten Absicht erkannten, traten als Störungen anderer beabsichtigter Handlungen auf und deckten sich mit dem Vorwand der Ungeschicklichkeit. Die Zufalls handlungen, von denen jetzt die Rede sein soll, unterscheiden sich von denen des Vergreifens nur dadurch, dass sie die An lehnung an eine bewusste Intention verschmähen und also des Vorwandes nicht bedürfen. Sie treten für sich auf und werden zugelassen, weil man Zweck und Absicht bei ihnen nicht ver mutet, Man führt sie aus, ohne sich etwas bei ihnen zu denken", nur rein zufällig", wie um die Hände zu beschäftigen", und man rechnet darauf, dass solche Auskunft der Nachforschung nach der Bedeutung der Handlung ein Ende bereiten wird. Um sich dieser Ausnahimsstellung erfreuen zu können, müssen diese Handlungen, die nicht mehr die Entschuldigung der Ungeschick lichkeit in Anspruch nehmen, eine bestimmte Bedingung er füllen; sie müssen unauffällig und ihre Effekte müssen gering fügig sein.

§ 215

Ich habe eine grosse Anzahl solcher Zufallshandlungen bei mir und Anderen gesammelt, und meine nach gründlicher Unter suchung der einzelnen Beispiele, dass sie eher den Namen von Symptomhandlungen verdienen. Sie bringen etwas zum Ausdruck, was der Thäter selbst nicht in ihnen vermutet, und was er in der Regel nicht mitzuteilen, sondern für sich zu be halten beabsichtigt. Sie spielen also ganz so wie alle anderen bisher betrachteten Phänomene die Rolle von Symptomen.

§ 216

Die reichste Ausbeute an solchen Zufalls- oder Symptom handlungen erhält man allerdings bei der psychoanalytischen Behandlung der Neurotiker. Ich kann es mir nicht versagen, an zwei Beispielen dieser Herkunft zu zeigen, wie weit und wie fein die Determinierung dieser unscheinbaren Vorkommnisse durch unbewusste Gedanken getrieben ist. Die Grenze der Symptom handlungen gegen das Vergreifen ist so wenig scharf, dass ichdiese Beispiele auch im vorigen Abschnitt hätte unterbringen können.

§ 217

a) Eine junge Frau erzählt als Einfall während der Sitzung, dass sie sich gestern beim Nägelschneiden in's Fleisch ge schnitten, während sie das feine Häutchen im Nagelbett abzu tragen bemüht war." Das ist so wenig interessant, dass man sich verwundert fragt, wozu es überhaupt erinnert und erwähnt wird, und auf die Vermutung gerät, man habe es mit einer Symptomhandlung zu thun. Es war auch wirklich der Ringfinger, an dem das kleine Ungeschick vorfiel, der Finger, an dem man den Ehering trägt. Es war überdies ihr Hochzeitstag, was der Verletzung des feinen Häutchens einen ganz bestimmten, leicht zu erratenden Sinn, verleiht. Sie erzählt auch gleichzeitig einen Traum, der auf die Ungeschicklichkeit ihres Mannes und auf ihre Anaesthesie als Frau anspielt. Warum war es aber der Ringfinger der linken Hand, an dem sie sich verletzte, da man doch den Ehering an der rechten Hand trägt? Ihr Mann ist Jurist, Doktor der Rechte", und ihre geheime Neigung hatte als Mädchen einem Arzt (scherzhaft: „Doktor der Linke") gehört. Eine Ehe zur linken Hand hat auch ihre bestimmte Bedeutung. b Eine unverheiratete junge Dame erzählt: Ich habe gestern ganz unabsichtlich eine 100 Guldennote in zwei Stücke gerissen und die Hälfte davon einer mich besuchenden Dame gegeben. Soll das auch eins Symptomhandlung sein?" Die genauere Er forschung deckt folgende Einzelheiten auf. Die Hundertgulden note: Sie widmet einen Teil ihrer Zeit und ihres Vermögens wohlthätigen Werken. Gemeinsam mit einer anderen Dam sorgt sie für die Erziehung eines verwaisten Kindes. Dis 100 Gulden sind der ihr zugeschickte Beitrag jener Dame, den sie in ein Couvert einschloss und vorläufig auf ihren Schreib tisch niederlegte.

§ 218

Die Besucherin war eine angesehene Dame, der sie bei einer anderen Wohlthätigkeitsaktion beisteht. Diese Dame wollte eine Reihe von Namen von Personen notieren, an die man sich um Unterstützung wenden könnte. Es fehlte an Papier, da griff meine Patientin nach dem Convert auf ihrem Schreibtisch und riss es, ohne sich an seinen Inhalt zu erinnern, in zwei Stücke, von denen sie eines selbst behielt, um ein Duplikat der Namens liste zu haben, das andere ihrer Besucherin übergab. Man be merke die Harmlosigkeit dieses unzweckmässigen Vorgehens. Eine Hundertguldennote erleidet bekanntlich keine Einbusse an ihrem Werte, wenn sie zerrissen wird, falls sie sich aus den Rissstücken vollständig zusammensetzen lässt. Dass die Dame das Stück Papier nicht wegwerfen würde, war durch die Wichtigkeit der darauf stehenden Namen verbürgt, und ebensowenig litt es einen Zweifel, dass sie den wertvollen Inhalt zurückstellen würde, sobald sie ihn bemerkt. Welchem unbewussten Gedanken sollte aber diese Zufalls handlung, die sich durch ein Vergessen ermöglicht, Ausdruckgeben? Die besuchende Dame hatte eine ganz bestimmte Be ziehung zu unserer Kur. Es war dieselbe, die mich seinerzeit dem leidenden Mädchen als Arzt empfohlen, und wenn ich nicht irre, hält sich meine Patientin zum Dank für diesen Rat ver pflichtet. Soll die halbierte Hundertguldennote etwa ein Honorar für diese Vermittlung darstellen? Das bliebe noch recht be fremdlich.

§ 219

Es kommt aber anderes Material hinzu. Einige Tage vorher hatte eine Vermittlerin ganz anderer Art bei einer Verwandten angefragt, ob das gnädige Fräulein wohl die Bekanntschaft eines gewissen Herrn machen wolle, und am Morgen, einige Stunden vor dem Besuche der Dame, war der Werbebrief des Freiers eingetroffen, der viel Anlass zur Heiterkeit gegeben hatte. Als nun die Dame das Gespräch mit einer Erkundigung nach dem Befinden meiner Patientin eröffnete, konnte sie wohl gedacht. haben: Den richtigen Arzt hast Du mir wohl empfohlen, wenn du mir aber zum richtigen Mann (und dahinter: zu einem Kind) verhelfen könntest, wäre ich Dir doch dankbarer". Von diesem verdrängt gehaltenen Gedanken aus flossen ihr die beiden Ver mittlerinnen in Eins zusammen, und sie überreichte der Be sucherin das Honorar, das ihre Phantasie der Anderen zu geben. bereit war. Völlig verbindlich wird diese Lösung, wenn ich hinzufüge, dass ich ihr erst am Abend vorher von solchen Zufalls oder Symptomhandlungen erzählt hatte. Sie bediente sich dann der nächsten Gelegenheit, um etwas Analoges zu produzieren. Eine Grappierung der so überaus häufigen Zufalls- und Symptomhandlungen könnte man vornehmen, je nachdem sie gewohnheitsmässig, regelmässig unter gewissen Umständen, oder vereinzelt erfolgen. Die ersteren (wie das Spielen mit der Uhr kette, das Zwirbeln am Bart etc.), die fast zur Charakteristik der betreffenden Personen dienen können, streifen an die mannig faltigen Ticbewegungen, und verdienen wohl im Zusammenhange mit letzteren behandelt zu werden. Zur zweiten Gruppe rechne ich das Spielen, wenn man einen Stock, das Kritzeln, wenn man einen Bleistift in der Hand hält, das Klimpern mit Münzen in der Tasche, das Kneten von Teig und anderen plastischen Stoffen, allerlei Hantierungen an seiner Gewandung u. dgl. mehr. Unter diesen spielenden Beschäftigungen verbergen sich während der psychischen Behandlung regelmässig Sinn und Bedeutung, denen ein anderer Ausdruck versagt wird. Gewöhnlich weiss die be treffende Person nichts davon, dass sie dergleichen thut, oder dass sie gewisse Modificationen an ihrem gewöhnlichen Tändeln vorgenommen hat, und übersieht und überhört auch die Effecte dieser Handlungen. Sie hört z. B. das Geräusch nicht, das sie beim Klimpern mit Geldstücken hervorbringt, und benimmt sich wie erstaunt und ungläubig, wenn man sie darauf aufmerksam macht. Ebenso ist alles, was man, oft ohne es zu merken, mit seinen Kleidern vornimmt, bedeutungsvoll und der Beachtung des Arztes wert. Jede Veränderung des gewohnten Aufzuges,jede kleine Nachlässigkeit wie etwa ein nicht schliessender Knopf, jede Spur von Entblössung will etwas besagen, was der Eigen tümer der Kleidung nicht direkt sagen will, meist gar nicht zu sagen weiss. Die Deutungen dieser kleinen Zufallshandlungen, sowie die Beweise für diese Deutungen ergeben sich jedesmal mit zureichender Sicherheit aus den Begleitumständen während der Sitzung, aus dem eben behandelten Thema und aus den Ein fällen, die sich einstellen, wenn man die Aufmerksamkeit auf die anscheinende Zufälligkeit lenkt. Wegen dieses Zusammenhanges unterlasse ich es, meine Behauptungen durch Mitteilung von Beispielen mit Analyse zu unterstützen; ich erwähne diese Dinge aber, weil ich glaube, dass sie bei normalen Menschen dieselbe Bedeutung haben wie bei meinen Patienten.

§ 220

Ich kann etwa aus meiner psychotherapeutischen Erfahrung einen Fall erzählen, in dem die mit einem Klumpen Brotkrume spielende Hand eine beredte Aussage ablegte. Mein Patient war ein noch nicht 13 j., seit fast zwei Jahren schwer hysterischer Knabe, den ich endlich in psycho-analytische Behandlung nahm, nachdem ein längerer Aufenthalt in einer Wasserheilanstalt sich erfolglos erwiesen hatte. Er musste nach meiner Voraussetzung sexuelle Erfahrungen gemacht haben und seiner Altersstufe ent sprechend von sexuellen Fragen gequält sein; ich hütete mich aber, ihm mit Aufklärungen zur Hilfe zu kommen, weil ich wieder einmal eine Probe auf meine Voraussetzungen anstellen wollte. Ich durtte also neugierig sein, auf welchem Wege sich das Gesuchte bei ihm andeuten würde. Da fiel es mir auf, dass er eines Tages irgend etwas zwischen den Fingern der rechten Hand rollte, damit in die Tasche führ, dort weiter spielte, es wieder hervorzog n. s. w. Ich fragte nicht, was er in der Hand habe; er zeigte es mir aber, indem er plötzlich die Hand öffnete. Es war Brotkrume, die zu einem Klumpen zusammengeknetet war. In der nächsten Sitzung brachte er wieder einen solchen Klumpen mit, formte aber aus ihm, während wir das Gespräch führten, mit unglaublicher Ruschheit und bei geschlossenen Augen Figuren, die mein Inter esse erregten. Es waren unzweifelhaft Männchen mit Kopf, zwei Armen, zwei Beinen, wie die rohesten prähistorischen Idole, und einem Fortsatz zwischen beiden Beinen, den er in eine lange Spitze auszog. Kaum dass dieser gefertigt war, knetetą er das Männchen wieder zusammen; später liess er es bestehen, zog aber einen ebensolchen Fortsatz an der Rückenfläche und an anderen Stellen aus, um die Bedeutung des ersten zu verhüllen. Ich wollte ihm zeigen, dass ich ihn verstanden habe, ihm aber dabei die Ausflucht benehmen, dass er sich bei dieser Menschen formenden Thätigkeit nichts gedacht habe. In dieser Absicht, fragte ich ihn plötzlich, ob er sich an die Geschichte jenes römischen Königs erinnere, der dem Abgesandten seines Sohnes eine pantomimische Antwort im Garten gegeben. Der Knabe wollte sich nicht an das erinnern, was er doch vor so vielkürzerer Zeit als ich gelernt haben musste. Er fragte, ob das die Geschichte von dem Sklaven sei, auf dessen glattrasiertem Schädel man die Antwort geschrieben habe. Nein, das gehört in die griechische Geschichte, sagte ich und erzählte: Der König Tarquinius Priscus hatte seinen Sohn Sextus veranlasst, sich in eine feindliche latinische Stadt einzuschleichen. Der Sohn, der sich unterdess Anhang in dieser Stadt verschafft hatte, schickte einen Boten an den König mit der Frage, was nun weiter ge schehen solle. Der König gab keine Antwort, sondern ging in seinen Garten, liess sich dort die Frage wiederholen und schlug schweigend die grössten und schönsten Mohnköpfe ab. Dem Boten blieb nichts übrig als dieses dem Sextus zu berichten, der den Vater verstand und es sich angelegen sein liess, die angesehensten Bürger der Stadt durch Mord zu beseitigen.

§ 221

Während ich redete, hielt der Knabe in seinem Kneten inne, und als ich mich anschickte zu erzählen, was der König in seinem Garten that, schon bei den Worten schlug schweigend" hatte er mit einer blitzschnellen Bewegung seinem Männchen den Kopf abgerissen. Er hatte mich also verstanden und ge merkt, dass er von mir verstanden worden war. Ich konnte ihn nun direct befragen, gab ihm die Auskünfte, um die es ihm zu thun war, und wir hatten binnen kurzem der Neurose ein Ende gemacht.

§ 222

Von den vereinzelten Zufallshandlungen will ich ein Bei spiel mitteilen, welches auch ohne Analyse eine tiefere Deutung zuliess, das die Bedingungen trefflich erläutert, unter denen solche Symptome vollkommen unauffällig produziert werden können, und an das sich eine praktisch bedeutsame Bemerkung anknüpfen lässt. Auf einer Sommerreise traf es sich, dass ich einige Tage an einem gewissen Orte auf die Ankunft meines Reisegefährten zu warten hatte. Ich machte unterdes die Be kanntschaft eines jungen Mannes, der sich gleichfalls einsam zu fühlen schien und sich bereitwillig mir anschloss. Da wir in demselben Hôtel wohnten, fügte es sich leicht, dass wir alle Mahlzeiten gemeinsam einnahmen und Spaziergänge miteinander machten. Am Nachmittag des dritten Tages teilte er mir plötz lich mit, dass er heute abends seine mit dem Eilzug anlangende Frau erwarte. Mein psychologisches Interesse wurde nun rege, denn es war mir an meinem Gesellschafter bereits am Vormittag aufgefallen, dass er meinen Vorschlag zu einer grösseren Partie zurückgewiesen und auf unserem kleinen Spaziergang einen ge wissen Weg als zu steil und gefährlich nicht hatte begehen wollen. Auf dem Nachmittagsspaziergang behauptete er plötz lich, ich müsste doch hungrig sein, ich sollte doch ja nicht seinetwegen die Abendmahlzeit aufschieben, er werde erst nach der Ankunft seiner Frau mit ihr zu Abend essen. Ich verstand den Wink und setzte mich an den Tisch, während er auf den Bahnhof ging. Am nächsten Morgen trafen wir uns in der Vor lalle des Hôtels. Er stellte mir seine Frau vor und fügte hinzu:Sie werden doch mit uns das Frühstück nehmen? Ich hatte noch eine kleine Besorgung in der nächsten Strasse vor und versicherte, ich würde bald nachkommen. Als ich dann in den Frühstückssaal trat, sah ich, dass das Paar an einem kleinen Fenstertisch Platz genommen hatte, auf dessen einer Seite sie beide sassen. Auf der Gegenseite befand sich nur ein Sessel, aber über dessen Lehne hing der grosse und schwere Loden mantel des Mannes herab, den Platz verdeckend. Ich verstand sehr wohl den Sinn dieser gewiss nicht absichtlichen, aber darum um so ausdrucksvolleren Lagerung. Es hiess: Für Dich ist hier kein Platz, Du bist jetzt überflüssig. Der Mann bemerkte es nicht, dass ich vor dem Tische stehen blieb, ohne mich zu setzen, wohl aber die Dame, die ihren Mann sofort anstiess und ihm zuflüsterte: Du hast ja dem Herrn den Platz verlegt.

§ 223

Bei diesem wie bei anderen ähnlichen Erlebnissen habe ich mir gesagt, dass die unabsichtlich ausgeführten Handlungen un vermeidlich zur Quelle von Missverständnissen im menschlichen Verkehr werden müssen. Der Thäter, der von einer mit ihnen verknüpften Absicht nichts weiss, rechnet sich dieselben nicht. an und hält sich nicht verantwortlich für sie. Der Andere hin gegen erkennt, indem er regelmässig auch solche Handlungen seines Partners zu Schlüssen über dessen Absichten und Ge sinnungen verwertet, mehr von den psychischen Vorgängen des Fremden, als dieser selbst zuzugeben bereit ist und mitgeteilt zu haben glaubt. Letzterer aber entrüstet sich, wenn ihm diese aus seinen Symptomhandlungen gezogenen Schlüsse vorgehalten werden, erklärt sie für grundlos, da ihm das Bewusstsein für die Absicht bei der Ausführung fehlt, und klagt über Missver ständnis von Seiten des anderen. Genau besehen beruht ein solches Missverständnis auf einem Zufein- und Zuvielverstehen. Je nervöser zwei Menschen sind, desto eher werden sie ein ander Anlass zu Entzweiungen bieten, deren Begründung jeder für seine eigene Person ebenso bestimmt leugnet, wie er sie für die Person des anderen als gesichert annimmt. Und dies ist wohl die Strafe für die innere Unaufrichtigkeit, dass die Menschen unter den Vorwänden des Vergessens, Vergreifens und der Un absichtlichkeit Regungen den Ausdruck gestatten, die sie besser sich und anderen eingestehen würden, wenn sie sie schon nicht beherrschen können. Man kann in der That ganz allgemein be haupten, dass jedermann fortwährend psychische Analyse an seinen Nebenmenschen betreibt und diese infolgedessen besser kennen lernt als jeder einzelne sich selbst. Der Weg zur Be folgung der Mahnung vot asaray führt durch das Studium seiner eigenen scheinbar zufälligen Handlungen und Unterlassungen.

§ 224

IX. Irrtümer.

§ 225

Die Irrtümer des Gedächtnisses sind vom Vergessen mit Fehlerinnern nur durch den einen Zug unterschieden, dass der Irrtum (das Fehlerinnern) nicht als solcher erkannt wird, sondernSie werden doch mit uns das Frühstück nehmen? Ich hatte noch eine kleine Besorgung in der nächsten Strasse vor und versicherte, ich würde bald nachkommen. Als ich dann in den Frühstückssaal trat, sah ich, dass das Paar an einem kleinen Fenstertisch Platz genommen hatte, auf dessen einer Seite sie beide sassen. Auf der Gegenseite befand sich nur ein Sessel, aber über dessen Lehne hing der grosse und schwere Loden mantel des Mannes herab, den Platz verdeckend. Ich verstand sehr wohl den Sinn dieser gewiss nicht absichtlichen, aber darum um so ausdrucksvolleren Lagerung. Es hiess: Für Dich ist hier kein Platz, Du bist jetzt überflüssig. Der Mann bemerkte es nicht, dass ich vor dem Tische stehen blieb, ohne mich zu setzen, wohl aber die Dame, die ihren Mann sofort anstiess und ihm zuflüsterte: Du hast ja dem Herrn den Platz verlegt.

§ 226

Bei diesem wie bei anderen ähnlichen Erlebnissen habe ich mir gesagt, dass die unabsichtlich ausgeführten Handlungen un vermeidlich zur Quelle von Missverständnissen im menschlichen Verkehr werden müssen. Der Thäter, der von einer mit ihnen verknüpften Absicht nichts weiss, rechnet sich dieselben nicht. an und hält sich nicht verantwortlich für sie. Der Andere hin gegen erkennt, indem er regelmässig auch solche Handlungen seines Partners zu Schlüssen über dessen Absichten und Ge sinnungen verwertet, mehr von den psychischen Vorgängen des Fremden, als dieser selbst zuzugeben bereit ist und mitgeteilt zu haben glaubt. Letzterer aber entrüstet sich, wenn ihm diese aus seinen Symptomhandlungen gezogenen Schlüsse vorgehalten werden, erklärt sie für grundlos, da ihm das Bewusstsein für die Absicht bei der Ausführung fehlt, und klagt über Missver ständnis von Seiten des anderen. Genau besehen beruht ein solches Missverständnis auf einem Zufein- und Zuvielverstehen. Je nervöser zwei Menschen sind, desto eher werden sie ein ander Anlass zu Entzweiungen bieten, deren Begründung jeder für seine eigene Person ebenso bestimmt leugnet, wie er sie für die Person des anderen als gesichert annimmt. Und dies ist wohl die Strafe für die innere Unaufrichtigkeit, dass die Menschen unter den Vorwänden des Vergessens, Vergreifens und der Un absichtlichkeit Regungen den Ausdruck gestatten, die sie besser sich und anderen eingestehen würden, wenn sie sie schon nicht beherrschen können. Man kann in der That ganz allgemein be haupten, dass jedermann fortwährend psychische Analyse an seinen Nebenmenschen betreibt und diese infolgedessen besser kennen lernt als jeder einzelne sich selbst. Der Weg zur Be folgung der Mahnung vot asaray führt durch das Studium seiner eigenen scheinbar zufälligen Handlungen und Unterlassungen.

§ 227

IX. Irrtümer.

§ 228

Die Irrtümer des Gedächtnisses sind vom Vergessen mit Fehlerinnern nur durch den einen Zug unterschieden, dass der Irrtum (das Fehlerinnern) nicht als solcher erkannt wird, sondernGlauben findet. Der Gebrauch des Ausdruckes „Irrtum“ scheint aber noch an einer anderen Bedingung zu hängen Wir sprechen von Irren" anstatt von ,falsch Erinnern", wo in dem zu re producierenden psychischen Material der Charakter der objectiven Realität hervorgehoben werden soll, wo also etwas anderes er innert werden soll, als eine Thatsache meines eigenen psychi schen Lebens, vielmehr etwas, was der Bestätigung oder Wider legung durch die Erinnerung Anderer zugänglich ist. Den Gegensatz zum Gedächtnisirrtum in diesem Sinn bildet die Unwissenheit.

§ 229

In meinem Buche Die Traumdeutung (1900") habe ich mich einer Reihe von Verfälschungen an geschichtlichem und über haupt thatsächlichem Material schuldig gemacht, auf die ich nach dem Erscheinen des Buches mit Verwunderung aufmerksam ge worden bin. Ich habe bei näherer Prüfung derselben gefunden. dass sie nicht meiner Unwissenheit entsprungen sind, sondern sich auf Irrtümer des Gedächtnisses zurückleiten, welche sich durch Analyse aufklären lassen.

§ 230

a) Auf p. 266 bezeichne ich als den Geburtsort Schiller's die Stadt Marburg, deren Name in der Steiermark wiederkehrt. Der Irrtum findet sich in der Analyse eines Traumes während einer Nachtreise, aus dem ich durch den vom Conducteur aus gerufenen Stationsnamen Marburg geweckt wurde. Im Traum inhalt wird nach einem Buch von Schiller gefragt. Nun ist Schiller nicht in der Universitätsstadt Marburg, sondern in dem schwäbischen Marbach geboren. Ich behaupte auch, dass ich dies immer gewusst habe.

§ 231

b) Auf p. 135 wird Hannibal's Vater Hasdrubal ge nannt. Dieser Irrtum war mir besonders ürgerlich, hat mich aber in der Auffassung solcher Irrtümer am meisten bestärkt. In der Geschichte der Barkiden dürften wenige der Leser des Buches besser Bescheid wissen als der Verfasser, der diesen Fehler niederschrieb und ihn bei drei Correcturen übersah. Der Vater Hannibal's hiess Hamilkar Barkas. Hasdrubal war der Name von Hannibal's Bruder, übrigens auch der seines Schwagers und Vorgängers im Commando.

§ 232

c) Auf p. 177 und p. 370 behaupte ich, dass Zeus seinen Vater Kronos entmannt und ihn vom Throne stürzt. Diesen Greuel habe ich aber irrtümlich um eine Generation vorgeschoben; die griechische Mythologie lässt ihn von Kronos an seinem Vater Uranos verüben.

§ 233

Wie ist es nun zu erklären, dass mein Gedächtnis in diesen Punkten Ungetreues lieferte, während es mir sonst, wie sich Leser des Buches überzeugen können, das entlegenste und un gebräuchlichste Material zur Verfügung stellte? Und ferner, dass ich bei drei sorgfältig durchgeführten Correcturen wie mit Blindheit geschlagen an diesen Irrtümern vorbeiging?

§ 234

Man hat von Lichtenberg gesagt, wo er einen Witz ge macht habe, dort liege ein Problem verborgen. Aehnlich kannman über die hier angeführten Stellen meines Buches behaupten, wo ein Irrtum vorliegt, da steckt eine Verdrängung dahinter. Richtiger gesagt: eine Unaufrichtigkeit, eine Entstellung, die schliesslich auf Verdrängtem fasst. Ich bin bei der Analyse der dort mitgeteilten Träume durch die blosse Natur der Themata, auf welche sich die Traumgedanken beziehen, genötigt gewesen, einerseits die Analyse irgendwo vor ihrer Abrundung abzu brechen, andererseits einer indiskreten Einzelheit durch eine leise Entstellung die Schärfe zu benehmen. Ich konnte nicht anders und hatte auch keine andere Wahl, wenn ich überhaupt Bei spiele und Belege vorbringen wollte; meine Zwangslage leitete sich mit Notwendigkeit aus der Eigenschaft der Träume ab, Ver drängtem d. h. Bewusstseinsunfähigem Ausdruck zu geben. Es dürfte trotzdem genng übrig geblieben sein, woran empfindlichere Seelen Anstoss genommen haben. Die Entstellung oder Ver schweigung der mir selbst noch bekannten fortsetzenden Gedanken hat sich nun nicht spurlos durchführen lassen. Was ich unter drücken wollte, hat sich oftmals wider meinen Willen den Zu gang in das von mir Aufgenommene erkämpft und ist darin als von mir unbemerkter Irrtum zum Vorschein gekommen. In allen drei hervorgehobenen Beispielen liegt übrigens das nämliche Thema zu Grunde; die Irrtümer sind Abkömmlinge verdrängter Gedanken, die sich mit meinem verstorbenen Vater beschäftigen,

§ 235

ad. a) Wer den auf p. 266 analysierten Traum durchliest, wird teils unverhüllt erfahren, teils aus Andeutungen erraten können, dass ich bei Gedanken abgebrochen habe, die eine unfreundliche Kritik am Vater enthalten hätten. In der Fortsetzung dieses Zuges von Gedanken und Erinnerungen liegt nun eine ärgerliche Geschichte, in welcher Bücher eine Rolle spielen und ein Ge schäftsfreund des Vaters, der den Namen Marburg führt, den selben Namen, durch dessen Anruf in der gleichnamigen Süd bahnstation ich aus dem Schlaf geweckt wurde. Diesen Herrn Marburg wollte ich bei der Analyse mir und den Lesern unter schlagen; er rächte sich dadurch, dass er sich dort einmengte, wo er nicht hingehört, und den Namen des Geburtsortes Schiller's aus Marbach in Marburg veränderte.drückten Phantasien fälschten nun an der Stelle, wo ich in der Analyse abbrach, den Text meines Buches, indem sie mich nötigten, den Namen des Bruders für den des Vaters zu setzen. ad. c) Dem Einfluss der Erinnerung an diesen selben Bruder schreibe ich es zu, dass ich die mythologischen Greuel der griechischen Götterwelt um eine Generation vorgeschoben habe. Von den Mahnungen des Bruders ist mir lange Zeit eine im Gedächtnis geblieben: Vergiss nicht, in Bezug auf Lebens führung, eines", hatte er mir gesagt, dass Du nicht der zweiten sondern eigentlich der dritten Generation vom Vater aus ange hörst." Unser Vater hatte sich in späteren Jahren wieder ver heiratet und war um so vieles älter als seine Kinder zweiter Ehe. Ich begehe den besprochenen Irrtum im Buche gerade, wo ich von der Pietät zwischen Eltern und Kindern handle.

§ 236

Es ist auch einige Male vorgekommen, dass Freunde und Patienten, deren Träume ich berichtete, oder auf die ich in den Traumanalysen anspielte, mich aufmerksam machten, die Um stände der gemeinsam erlebten Begebenheit seien von mir un genat erzählt worden. Das wären nun wiederum historische Irr tümer. Ich habe die einzelnen Fälle nach der Richtigstellung nachgeprüft und mich gleichfalls überzeugt, dass meine Er innerung des Sachlichen nur dort ungetreu war, wo ich in der Analyse etwas mit Absicht entstellt oder verhehlt hatte. Auch hier wieder ein unbemerkter Irrtum als Ersatz für eine absichtliche Verschweigung oder Verdrängung.

§ 237

Von diesen Irrtümern, die der Verdrängung entspringen, heben sich scharf andere ab, die auf wirklicher Unwissenheit beruhen. So war es z. B. Unwissenheit, wenn ich auf einem Ausflug in die Wachau den Aufenthalt des Revolutionärs Fischhof berührt zu haben glaubte. Die beiden Orte haben nur den Namen gemein; das Emmersdorf Fischhof's liegt in Kärnthen. Ich wusste es aber nicht anders.

§ 238

Man wird vielleicht nicht geneigt sein, die Klasse von Irrtümern, für die ich hier die Aufklärung gebe, für sehr zahl reich oder besonders bedeutungsvoll zu halten, Ich gebe aber zu bedenken, ob man nicht Grund hat, die gleichen Gesichts punkte auch auf die Beurteilung der ungleich wichtigeren Ur teilsirrtümer der Menschen im Leben und in der Wissen schaft auszudehnen. Nur den auserlesensten und ausgeglichen sten Geistern scheint es möglich zu sein, das Bild der wahr genommenen äusseren Realität vor der Verzerrung zu bewahren, die es sonst beim Durchgang durch die psychische Indivi dualität des Wahrnehmenden erfährt.

§ 239

X.

§ 240

Determinismus. — Zufalls- und Aberglauben. —

§ 241

Gesichtspunkte.

§ 242

Als das allgemeine Ergebnis der vorstehenden Einzelerörterungen kann man folgende Einsicht hinstellen: Gewisse drückten Phantasien fälschten nun an der Stelle, wo ich in der Analyse abbrach, den Text meines Buches, indem sie mich nötigten, den Namen des Bruders für den des Vaters zu setzen. ad. c) Dem Einfluss der Erinnerung an diesen selben Bruder schreibe ich es zu, dass ich die mythologischen Greuel der griechischen Götterwelt um eine Generation vorgeschoben habe. Von den Mahnungen des Bruders ist mir lange Zeit eine im Gedächtnis geblieben: Vergiss nicht, in Bezug auf Lebens führung, eines", hatte er mir gesagt, dass Du nicht der zweiten sondern eigentlich der dritten Generation vom Vater aus ange hörst." Unser Vater hatte sich in späteren Jahren wieder ver heiratet und war um so vieles älter als seine Kinder zweiter Ehe. Ich begehe den besprochenen Irrtum im Buche gerade, wo ich von der Pietät zwischen Eltern und Kindern handle.

§ 243

Es ist auch einige Male vorgekommen, dass Freunde und Patienten, deren Träume ich berichtete, oder auf die ich in den Traumanalysen anspielte, mich aufmerksam machten, die Um stände der gemeinsam erlebten Begebenheit seien von mir un genat erzählt worden. Das wären nun wiederum historische Irr tümer. Ich habe die einzelnen Fälle nach der Richtigstellung nachgeprüft und mich gleichfalls überzeugt, dass meine Er innerung des Sachlichen nur dort ungetreu war, wo ich in der Analyse etwas mit Absicht entstellt oder verhehlt hatte. Auch hier wieder ein unbemerkter Irrtum als Ersatz für eine absichtliche Verschweigung oder Verdrängung.

§ 244

Von diesen Irrtümern, die der Verdrängung entspringen, heben sich scharf andere ab, die auf wirklicher Unwissenheit beruhen. So war es z. B. Unwissenheit, wenn ich auf einem Ausflug in die Wachau den Aufenthalt des Revolutionärs Fischhof berührt zu haben glaubte. Die beiden Orte haben nur den Namen gemein; das Emmersdorf Fischhof's liegt in Kärnthen. Ich wusste es aber nicht anders.

§ 245

Man wird vielleicht nicht geneigt sein, die Klasse von Irrtümern, für die ich hier die Aufklärung gebe, für sehr zahl reich oder besonders bedeutungsvoll zu halten, Ich gebe aber zu bedenken, ob man nicht Grund hat, die gleichen Gesichts punkte auch auf die Beurteilung der ungleich wichtigeren Ur teilsirrtümer der Menschen im Leben und in der Wissen schaft auszudehnen. Nur den auserlesensten und ausgeglichen sten Geistern scheint es möglich zu sein, das Bild der wahr genommenen äusseren Realität vor der Verzerrung zu bewahren, die es sonst beim Durchgang durch die psychische Indivi dualität des Wahrnehmenden erfährt.

§ 246

X.

§ 247

Determinismus. — Zufalls- und Aberglauben. —

§ 248

Gesichtspunkte.

§ 249

Als das allgemeine Ergebnis der vorstehenden Einzelerörterungen kann man folgende Einsicht hinstellen: Gewisse Unzulänglichkeiten unserer psychischen Leistungen deren gemeinsamer Charakter sogleich näher bestimmt werden soll und gewisse absichtslos erscheinende Verrichtungen er weisen sich, wenn man das Ver fahren der psychoanalytischen Untersuchung auf sie anwendet, als wohl motiviert und durch dem Be wusstsein unbekannte Motive determiniert.

§ 250

Um in die Klasse der so zu erklärenden Phänomene ein gereiht zu werden, muss eine psychische Fehlleistung folgenden Bedingungen genügen:

§ 251

a) Sie darf nicht über ein gewisses Maass hinausgehen, welches von unserer Schätzung festgesetzt ist und durch den Ausdruck innerhalb der Breite des Normalen" bezeich net wird.

§ 252

b) Sie muss den Charakter der momentanen und zeitweiligen Störung an sich tragen. Wir müssen die nämliche Leistung vorher correcter ausgeführt haben, oder uns jederzeit zutrauen, sie correcter auszuführen. Wenn wir von anderer Seite corri giert werden, müssen wir die Richtigkeit der Correctur und die Unrichtigkeit unseres eigenen psychischen Vorganges sofort er kennen.

§ 253

c) Wenn wir die Fehlleistung überhaupt wahrnehmen, dürfen wir von einer Motivierung derselben nichts in uns ver spüren, sondern müssen versucht sein, sie durch Unaufmerk samkeit zu erklären oder als Zufälligkeit" hinzustellen.

§ 254

Es verbleiben somit in dieser Gruppe die Fülle von Ver gessen und die Irrtümer bei besserem Wissen, das Versprechen, Verlesen, Verschreiben, Vergreifen und die sog. Zufallshand lungen. Die gleiche Zusammensetzung mit der Vorsilbe ver deutet für die meisten dieser Phänomene die innere Gleichartig keit sprachlich an. An die Aufklärung dieser so bestimmten psychischen Vorgänge knüpft aber eine Reihe von Bemerkungen an, die zum Teil ein weitergehendes Interesse erwecken dürfen.

§ 255

1. Indem wir einen Teil unserer psychischen Leistungen als unaufklärbar durch Zielvorstellungen preisgeben, verkennen wir den Umfang der Determinierung im Seelenleben. Dieselbe reicht hier und noch auf anderen Gebieten weiter, als wir es vermuten. Ich habe im Jahre 1900 in einem Aufsatz des Litterarhistorikers R. M. Meyer in der Zeit" ausgeführt und an Beispielen erläutert gefunden, dass es unmöglich ist, absichtlich und willkürlich einen Unsinn zu komponieren. Seit längerer Zeit weiss ich, dass man es nicht zu Stande bringt, sich eine Zahl nach freiem Be lieben einfallen zu lassen, ebensowenig wie etwa einen Namen. Untersucht man die scheinbar willkürlich gebildete, etwa mehr stellige, wie im Scherz oder Uebermut ausgesprochene Zahl, so erweist sich deren strenge Determinierung, die man wirklich nicht für möglich gehalten hätte. Ich will nun zunächst ein Beispiel eines willkürlich gewählten Vornamens kurz erörternund dann ein analoges Beispiel einer gedankenlos hingeworfenen" Zahl ausführlicher analysieren.

§ 256

a) Im Begriffe, die Krankengeschichte einer meiner Patientinnen für die Publikation herzurichten, erwäge ich, welchen Vor namen ich ihr in der Arbeit geben soll. Die Auswahl scheint sehr gross; gewiss schliessen sich einige Namen von vorne herein aus, in erster Linie der echte Name, sodann die Namen meiner eigenen Familienangehörigen, an denen ich Anstoss nehmen würde, etwa noch andere Frauennamen von besonders seltsamem Klang; im übrigen aber brauchte ich um einen solchen Namen nicht verlegen sein. Man sollte erwarten und ich erwarte selbst, dass sich mir eine ganze Schar weiblicher Namen zur Verfügung stellen wird. Anstatt dessen taucht ein einzelner auf, kein zweiter neben ihm, der Name Dora. Ich frage nach seiner Deter minierung. Wer heisst denn nur sonst Dora? Ungläubig möchte ich den nächsten Einfall zurückweisen, der lautet, dass das Kindermädchen meiner Schwester so heisst. Aber ich besitze soviel Selbstzucht oder Uebung im Anslysieren, dass ich den Einfall festhalte und weiterspinne. Da fällt mir auch sofort eine kleine Begebenheit des vorigen Abends ein, welche die gesuchte Determinierung bringt. Ich sah auf dem Tisch im Speisezimmer meiner Schwester einen Brief liegen mit der Aufschrift: An Frl. Rosa W." Erstaunt frage ich, wer so heisst, und werde belehrt, dass die vermeintliche Dora eigentlich Rosa heisst, und diesen ihren Namen beim Eintritt in's Haus ablegen musste, weil meine Schwester den Ruf Rosa" auch auf ihre eigene Person beziehen kann. Ich sage bedauernd: Die armen Leute, nicht einmal ihren Namen können sie beibehalten! Wie ich mich jetzt besinne, wurde ich dann für einen Moment still und begann an allerlei ernsthafte Dinge zu denken, die in's Unklare verliefen, die ich mir jetzt aber leicht bewusst machen könnte. Als ich dann am nächsten Tag nach einem Namen für eine Person suchte, die ihren eigenen nicht beibehalten durfte, fiel mir kein anderer als ,,Dora" ein. Die Ausschliesslichkeit beruht hier auf fester inhaltlicher Verknüpfung, denn in der Geschichte meiner Patientin rührte ein auch für den Verlauf der Kur ent scheidender Einfluss von der im fremden Haus dienenden Person, von einer Gouvernante her.

§ 257

3) In einem Briefe an meinen Freund in B. kündige ich ihm an, dass ich jetzt die Korrekturen der Traumdeutung abge schlossen habe und nichts mehr an dem Werk ändern will, möge es auch 2467 Fehler enthalten". Ich versuche sofort, mir diese Zahl aufzuklären und füge die kleine Analyse noch als Nach schrift dem Briefe an. Am besten citiere ich jetzt, wie ich da mals geschrieben, als ich mich auf frischer That ertappte.

§ 258

„Noch rasch einen Beitrag zur Psychopathologie des Alltags lebens. Du findest im Brief die Zahl 2467 als übermütige Will kürschätzung der Fehler, die sich im Traumbuch finden werden. Es soll heissen: irgend eine grosse Zahl und da stellt sich diese

§ 259

ein. Nun giebt es aber nichts Willkürliches, Undeterminiertes im Psychischen. Du wirst also auch mit Recht erwarten, dass das Unbewusste sich beeilt hat, die Zahl zu determinieren, die von dein Bewussten frei gelassen wurde. Nun hatte ich gerade vor her in der Zeitung gelesen, dass ein General E. M. als Feldzeug meister in den Ruhestand getreten. Du musst wissen, der Mann interessiert mich. Während ich als militärärztlicher Eleve diente, kam er einmal, damals Oberst, in den Krankenstand und sagte zum Arzt: Sie müssen mich aber in 8 Tagen gesund machen, denn ich habe etwas zu arbeiten, worauf der Kaiser wartet." Damals nahm ich mir vor, die Laufbahn des Mannes zu verfolgen, und siehe da, heute (1899) ist er am Ende derselben, Feldzeugmeister und schon im Ruhestande. Ich wollte ausrechnen, in welcher Zeit er diesen Weg zurückgelegt, und nahm an, dass ich ihn 1882 im Spital gesehen. Das wären also 17 Jahre. Ich erzähle meiner Frau davon und sie bemerkt: Da müsstest Du also auch schon im Ruhestande sein ?" Und ich protestiere: Davor be wahre mich Gott. Nach diesem Gespräch setze ich mich an den Tisch, um Dir zu schreiben. Der frühere Gedankengang sotzt sich aber fort und mit guten Recht. Es war falsch gerechnet: ich habe einen festen Punkt dafür in meiner Erinnerung. Meine Grossjährigkeit, mainen 24. Geburtstag also, habe ich im Militär arrest gefeiert (weil ich mich eigenmächtig absentiert hatte). Das war also 1880; es sind 19 Jahre her. Da hast Du nun die Zahl 24 in 2467! Nimm nun meine Alterszahl 43 and gieb. 24 Jahre hinzu, so bekommst Du die 671 D. h. auf die Frage, ob ich auch schon in den Ruhestand treten will, habe ich mir im Wunsch noch 24 Jahre Arbeit zugelegt. Offenbar bin ich gekränkt darüber, dass ich es in dem Intervall, durch das ich den Oberst M verfolgt, selbst nicht weit gebracht habe, und doch wie in einer Art von Triumph darüber, dass er jetzt schon fertig ist, während ich noch Alles vor mir habe. Da darf man doch mit Recht sagen, dass nicht einmal die absichtslos hinge worfene Zahl 2467 ihrer Determinierung aus dem Unbewussten entbehrt."

§ 260

II. Diese Einsicht in die Determinierung scheinbar willkürlich gewählter Namen und Zahlen kann vielleicht zur Klärung eines anderen Problems beitragen. Gegen die Annahme eines durch gehenden psychischen Determinismus berufen sich bekannt lich viele Personen auf ein besonderes Ueberzeugungsgefühl für die Existenz eines freien Willens. Dieses Ueberzeugungsgefühl besteht und weicht auch dem Glauben an den Determinismus nicht. Es muss wie alle normalen Gefühle durch irgend etwas berechtigt sein. Es äussert sich aber, soviel ich beobachten kann, nicht bei den grossen und wichtigen Willensentscheidungen; bei diesen Gelegenheiten hat man vielmehr die Empfindung des psychischen Zwanges und beruft sich auf sie (Hier stehe ich, ich kann nicht anders"). Hingegen möchte man gerade bei den belanglosen, indifferenten Entschliessungen versichern, dass man ebensowohl anders hätte handeln können, dass man aus freiem, nicht motiviertem Willen gehandelt hat. Nach unseren Analysen braucht man nun das Recht des Ueberzeugungsgefühles vom freien Willen nicht zu bestreiten. Führt man die Unterscheidung der Motivierung aus dem Bewussten von der Motivierung aus dem Unbewussten ein, so berichtet uns das Ueberzeugungsgefühl, dass die bewusste Motivierung sich nicht auf alle unsere moto rischen Entscheidungen erstreckt. Minima non curat praetor. Was aber so von der einen Seite frei gelassen wird, das em pfängt seine Motivierung von anderer Seite, aus dem Unbe wussten, und so ist die Determinierung im Psychischen doch lückenlos durchgeführt.

§ 261

III. Wenngleich dem bewussten Denken die Kenntnis von der Mo tivierung der besprochenen Fehlleistungen nach der ganzen Sach lage abgehen muss, so wäre es doch erwünscht, einen psycho logischen Beweis für deren Existenz aufzufinden; ja es ist aus Gründen, die sich bei näherer Kenntnis des Unbewussten er geben, wahrscheinlich, dass solche Beweise irgendwo auffindbar sind. Es lassen sich wirklich auf zwei Gebieten Phänomene nachweisen, welche einer unbewussten und darum verschobenen Kenntnis von dieser Motivierung zu entsprechen scheinen. a) Es ist ein auffälliger und allgemein bemerkter Zug im Verhalten der Paranoiker, dass sie den kleinen, sonst von uns vernachlässigten Details im Benehmen der Anderen die grösste Bedeutung beilegen, dieselben deuten und zur Grundlage weit gehender Schlisse machen Der letzte Paranoiker z. B., den ich gesehen habe, schloss auf ein allgemeines Einverständnis in seiner Umgebung, weil die Leute bei seiner Abreise auf dem Bahnhof eine gewisse Bewegung mit der einen Hand gemacht. hatten. Ein anderer hat die Art notiert, wie die Leute auf der Strasse gehen, mit den Spazierstöcke fuchteln u. dgl. ¹)

§ 262

Die Kategorie des Zufälligen, der Motivierung nicht Be dürftigen, welche der Normale für einen Teil seiner eigenen psychischen Leistungen und Fehlleistungen gelten lässt, verwirft der Paranoiker also in der Anwendung auf die psychischen Acusserungen der Anderen. Alles, was er an den Anderen be merkt, ist bedeutungsvoll, alles ist deutbar. Wie kommt er nur dazu? Er projiciert wahrscheinlich in das Seelenleben der Anderen, was im eigenen, unbewusst vorhanden ist, hier wie in so vielen Almlichen Fällen. In der Paranoia drängt sich eben so vielerlei zum Bewusstsein durch, was wir bei Normalen und Neurotikern erst. durch die Psychoanalyse als im Unbewassten vorhanden nach weisen). Der Paranoiker hat also hierin in gewissem Sinne Rocht, er erkennt etwas, was dem Normalen entgeht, er sieht schärfer als das normale Dankvermögen, aber die Verschiebung des so erkannten Sachverhaltes auf andere macht seine Er kenntnis wertlos, Die Rechtfertigung der einzelnen paranoischen Deutungen wird man dann hoffentlich von mir nicht erwarten. Das Stück Berechtigung aber, welches wir der Paranoia bei dieser Auffassung der Zufallshandlungen zugestelien, wird uns das psychologische Verständnis der Ueberzeugung erleichtern. welche sich beim Paranoikor an alle diese Deutungen geknüpft hat. Es ist eben etwas Wahres daran; auch unsere nicht als krankhaft zu bezeichnenden Urteilsirrtümer erwerben das ihnen zugehörige Ueberzeugungsgefühl auf keine andere Art. Dies Gefühl ist für ein gowiesos Stück des irrtümlichen Ge dankenganges oder für die Quelle, aus der er stammt, berechtigt und wird dann von uns auf den übrigen Zusammenhang ausge dehnt.

§ 263

8. Ein anderer Hinweis auf die unbewusste und verschobene Kenntnis der Motivirung bei Zufalls- und Fehlleistungen finder sich in den Phänomenen des Aberglaubens. Ich will meine Meinung durch die Discussion des kleinen Erlebnisses klar legen, welches für mich der Ausgangspunkt dieser Ueberlegungen war.

§ 264

¹) Von anderen Gesichtspunkten ausgehend, hat man diese Beurteilung unwesentlicher und aufälliger Aeusserungen bei Anderen zum Beziehungs wahn gerechnet.

§ 265

) Die durch Analyse bewusst zu machenden Phantasieen der Hyste riker von sexuellen und grausamen Misshandlungen decken sich z. B. ge. legentlich bis in's Einzelne mit den Klagen verfolgter Paranoiker. Es ist bemerkenswert, aber nicht unverständlich, wenn der identische Inhalt uns auch als Realität in den Veranstaltungen Perverser zur Befriedigung ihrer Gelüste entgegentritt.

§ 266

Von den Ferien zurückgekehrt, richten sich meine Gedanken alsbald auf die Kranken, die mich in dem neu beginnenden Arbeitsjahr beschäftigen sollen. Mein erster Weg gilt einer sehr alten Dame, bei der ich (siehe oben) seit Jahren die nämlichen ärztlichen Manipulationen zwei Mal täglich vornehme. Wegen dieser Gleichförmigkeit haben sich unbewusste Gedanken sehr häufig auf dem Wege zu der Kranken und während der Beschäftigung mit ihr Ausdruck geschafft. Sie ist über 90 Jahre alt; es liegt also nahe, sich zu Beginn eines jeden Jahres zu fragen, wie lange sie wohl noch zu leben hat. An dem Tage, von dem ich erzähle, habe ich Eile, nehme also einen Wagen, der mich vor ihr Haus führen soll. Jeder der Kutscher auf dem Wagenstandplatz vor meinem Hause kennt die Adresse der alten Frau, denn jeder hat mich schon oftmals dahin geführt. Heute ereignet es sich nun, dass der Kutscher nicht vor ihrem Hause, sondern vor dem gleichbezifferten in einer nahegelegenen und wirklich ähnlich aussehenden Parallelstrasse Halt macht. Ich merke den Irrtum und werfe ihn dem Kutscher vor, der sich entschuldigt. Hat das nun etwas zu bedeuten, dass ich vor ein Haus geführt werde, in dem die alte Dame nich vorfinde Für mich gewiss nicht, aber wenn ich abergläubisch wäre, würde ich in dieser Begebenheit ein Vorzeichen erblicken, einen Fingerzeig des Schicksals, dass dies Jahr das letzte für die alte Frau sein wird. Recht viele Vorzeichen, welche die Geschichte aufbewahrt hat, sind in keiner besseren Symbolik begründet gewesen. Ich er kläre allerdings den Vorfall für eine Zufälligkeit ohne weiteren Sinn.

§ 267

Ganz anders läge der Fall, wenn ich den Weg zu Fuss ge macht und dann in Gedanken", in der Zerstreutheit" vor das Haus der Parallelstrasse anstatt vor's richtige gekommen wäre. Das würde ich für keinen Zufall erklären, sondern für eine der Deutung bedürftige Handlung mit unbewusster Absicht. Diesem Vergehen müsste ich wahrscheinlich die Deutung geben, dass ich die alte Dame bald nicht mehr anzutreffen erwarte Ich unterscheide mich also von einem Abergläubischen in

§ 268

folgendem: Ich glaube nicht, dass ein Ereignis, an dessen Zustande kommen mein Seelenleben unbeteiligt ist, mir etwas Verborgenes über die zukünftige Gestaltung der Realität lehren kann; ich glaube aber, dass eine unbeabsichtigte Aeusserung meiner eigenen Seelenthätigkeit mir allerdings etwas Verborgenes enthüllt, was wiederum nur meinem Seelenleben angehört; ich glaube zwar an äusseren (realen) Zufall, aber nicht an innere (psychische) Zu fälligkeit. Der Abergläubische umgekehrt: er weiss nichts von der Motivierung seiner zufälligen Handlungen und Fehlleistungen, er glaubt, dass es psychische Zufälligkeiten giebt; dafür ist er geneigt, dem äusseren Zufall eine Bedeutung zuzuschreiben, die sich im realen Geschehen äussern wird, im Zufall ein Ausdrucks mittel für etwas draussen ihm Verborgenes zu sehen. Die Unterschiede zwischen mir und dem Abergläubischen sind zwei: erstens projiciert er eine Motivirung nach aussen, die ich innen suche; zweitens dentet er den Zufall durch ein Geschehen, den ich auf einen Gedanken zurückführe. Aber das Verborgene bei ihm ent spricht dem Unbewussten bei mir, und der Zwang, den Zufall nicht als Zufall gelten zu lassen, sondern ihn zu deuten, ist uns beiden gemeinsam.

§ 269

Ich nehme nun an, dass diese bewusste Unkenntnis und un bewusste Kenntnis von der Motivirung der psychischen Zufällig keiten eine der psychischen Wurzeln des Aberglaubens ist. Weil der Abergläubische von der Motivirung der eigenen zu fälligen Handlungen nichts weiss, und weil die Thatsache dieser Motivirung nach einem Platz in seiner Anerkennung drängt, ist er genötigt, sie durch Verschiebung in der Aussenwelt unter zubringen. Besteht ein solcher Zusammenhang, so wird er kaum auf diesen einzelnen Fall beschränkt sein. Ich glaube in der That, dass ein grosses Stück der mythologischen Weltauffassung, die weit bis in die modernsten Religionen hinein reicht, nichts anderes ist als in die Aussenwelt projicierte Psycho logie. Die dunkle Erkenntnis psychischer Factoren und Ver hältnisse ¹) des Unbewussten spiegelt sich es ist schwer, es anders zu sagen, die Analogie mit der Paranoia muss hier zur Hilfe genommen werden in der Construction einer übersinn lichen Realität, welche von der Wissenschaft in Psychologie des Unbewussten zurückverwandelt werden soll. Man könnte. sich getrauen, die Mythen vom Paradies und Sündenfall, von Gott, vom Guten und Bösen, von der Unsterblichkeit und dgl. in solcher Weise aufzulösen, die Metaphysik in Metapsycho logie umzusetzen. Die Kluft zwischen der Verschiebung des Paranoikers und der des Abergläubischen ist minder gross, als sie auf den ersten Blick erscheint. Als die Menschen zu denken begannen, waren sie bekanntlich genötigt, die Aussenwelt anthro pomorphisch in eine Vielheit von Persönlichkeiten nach ihrem Gleichnis aufzulösen; die Zufälligkeiten, die sie abergläubisch deuteten, waren also Handlungen, Aeusserungen von Personen, und sie haben sich demnach genau so benommen wie die Paranoiker, welche aus den unscheinbaren Anzeichen, die ihnen. die anderen geben, Schlüsse ziehen, und wie die Gesunden alle, welche mit Recht die zufälligen und unbeabsichtigten Handlungen ihrer Nebenmenschen zur Grundlage der Schätzung ihres Charakters machen. Der Aberglaube erscheint nur so sehr deplaciert in unserer modernen, naturwissenschaftlichen, aber noch keineswegs abgerundeten Weltanschauung; in der Welt anschauung vorwissenschaftlicher Zeiten und Völker war er be rechtigt und consequent.

§ 270

Der Römer, der eine wichtige Unternehmung aufgab, wenn ihm ein widriger Vogelflug begegnete, war also relativ im Recht;

§ 271

¹) Die natürlich nichts vom Charakter einer Erkenntnis hat.er handelte consequent nach seinen Voraussetzungen. Wenn er aber von der Unternehmung abstand, weil er an der Schwelle seiner Thür gestolpert war (Un Romain retournerait"), so war er uns Ungläubigen auch absolut überlegen, ein besserer Seelen kundiger, als wir uns zu sein bemühen. Denn dies Stolpern konnte ihm die Existenz eines Zweifels, einer Gegenströmung in seinem Innern beweisen, deren Kraft sich im Momente der Aus führung von der Kraft seiner Intention abziehen konnte. Des vollen Erfolges ist man aber nur dann sicher, wenn alle Seelen kräfte einig dem gewünschten Ziel entgegenstreben. Wie ant wortet Schiller's Tell, der so lange gezaudert, den Apfel vom Haupt seines Knaben zu schiessen, auf die Frage des Vogts, wozu er den zweiten Pfeil eingesteckt?

§ 272

Mit diesem zweiten Pfeil durchbohrt' ich Euch, Wenn ich mein liebes Kind getroffen hätte, Und Euer wahrlich hätt' ich nicht gefehlt."

§ 273

IV. Als ich unlängst Gelegenheit hatte, einem philosophisch ge bildeten Collegen einige Beispiele von Namenvergessen mit Analyse vorzutragen, beeilte er sich zu erwidern: Das ist sehr schön, aber bei mir geht das Namenvergessen anders zu. So leicht darf man es sich offenbar nicht machen; ich glaube nicht, dass mein College je vorher an eine Analyse bei Namenver gessen gedacht; er konnte auch nicht sagen, wie es bei ihm anders zugehe. Aber seine Bemerkung trifft doch ein Problem, welches Viele in den Vordergrund zu stellen geneigt sein werden. Trifft die hier gegebene Auflörung der Fehl- und Zufalls handlungen allgemein zu oder nur vereinzelt, und wenn letzteres, welches sind die Bedingungen, unter denen sie zur Erklärung der auch anderswie ermöglichten Phänomene herangezogen wer den darf? Bei der Beantwortung dieser Frage lassen mich meine Erfahrungen im Stiche. Ich kann nur davon abmahnen, den aufgezeigten Zusammenhang für selten zu halten, denn so oft ich bei mir selbst und bei meinen Patienten die Probe angestellt, hat er sich wie in den entgeteilten Beispielen sicher nachweisen lassen oder haben sich wenigstens gute Gründe, ihn zu ver muten, ergeben. Es ist nicht zu verwundern, wenn es nicht alle Male gelingt, den verborgenen Sinn der Symptomhandlung zu finden, da die Grösse der inneren Widerstände, die sich der Lösung widersetzen, als entscheidenden Faktor in Betracht kommt. Man ist auch nicht imstande, bei sich selbst oder bei den Patienten jeden einzelnen Traum zu deuten; es genügt, um die Allgemeingiltigkeit der Theorie zu bestätigen, wenn man nur ein Stück weit in den verdeckten Zusammenhang einzudringen vermag. Der Traum, der sich beim Versuche, ihn am Tage nach her zu lösen, refractär zeigt, lässt sich oft eine Woche oder einen Monat später sein Geheimnis entreissen, wenn eine unter dess erfolgte reale Veränderung, die mit einander streitenden psychischen Wertigkeiten herabgesetzt hat. Das nämliche gilt für die Lösung der Fehl- und Symptomhandlungen; das Beispielvon Verlesen „Im Fass durch Europa suf Seite 27 hat mir die Gelegenheit gegsben zu zeigen, wie ein anfänglich unlösbares Symptom der Analyse zugänglich wird, wenn das reale Interesse an dem verdrängten Gedanken nachgelassen hat. So lange die Möglichkeit bestand, dass mein Bruder den beneideten Titel vor mir erhielte, widerstand das genannte Verlesen allen widerholten Bemühungen der Analyse; nachdem es sich herausgestellt hatte, dass diese Bevorzugung unwahrscheinlich sei, klärte sich mir plötzlich der Weg, der zur Auflösung desselben führte. Es wäre also unrichtig, von all den Fällen, welche der Analyse widerstehen, zu behaupten, sie seien durch emen anderen als den hier aufgedeckten psychischen Mechanismus entstanden; es brauchte für diese Annahme noch andere als negative Beweise. Auch die bei Gesunden wahrscheinlich allgemein vorhandene Be reitwilligkeit, an eine andere Erklärung der Fehl- und Symptom handlungen zu glauben, ist jeder Beweiskraft bar; sie ist, wie selbst verständlich, eine Aeusserung derselben seelischen Kräfte, die das Geheimnis hergestellt haben und die sich darum auch für dessen Bewahrung einsetzen, gegen dessen Aufhellung aber sträuben.

§ 274

Auf der anderen Seite dürfen wir nicht übersehen, dass die verdrängten Gedanken und Regungen sich den Ausdruck in Symptom- und Fehlhandlungen ja nicht selbständig schaffen. Die technische Möglichkeit für solches Ausgleiten der Inner vationen muss unabhängig von ihnen gegeben sein; diese wird dann von der Absicht des Verdrängten, zur bewussten Geltung zu kommen, gerne ausgenützt. Welche Structur- und Funktionsrelationen es sind, die sich solcher Absicht zur Verfügung stellen, das haben für den Fall der sprachlichen Fehlleistung (vgl. Seite 14) ein gehende Untersuchungen der Philosophen und Philologen fest zustellen sich bemüht. Unterscheiden wir so an den Bedin gungen der Fehl- und Symptomhandlung das unbewusste Motiv von dem ihm entgegenkommenden physiologischen und psycho physischen Relationen, so bleibt die Frage offen, ob es innerhalb der Breite der Gesundheit noch andere Momente giebt, welche. wie das unbewusste Motiv und an Stelle desselben auf dem Wege dieser Relationen die Fehl- und Symptomhandlungen zu erzeugen vermögen. Es liegt nicht auf meinem Wege, diesedies Gebiet besser von anderer Seite einzudringen vermag Man kann sich hier mehrere Fragen vorlegen, die ich wenigstens anführen und in ihrem Umfang umschreiben will. 1. Welches Inhalts und welcher Herkunft sind die Gedanken und Regungen, die sich durch die Fehl- und Zufallshandlungen andeuten? 2. Welches sind die Bedingungen dafür, dass ein Gedanke oder eine Regung genötigt und in den Stand gesetzt werde, sich dieser Vorfälle als Ausdrucksmittels zu bedienen? 3. Lassen sich constante und eindeutige Beziehungen zwischen der Art der Fehlhandlung und den Qualitäten des durch sie zum Aus druck Gebrachten nachweisen?

§ 275

Ich beginne damit, einiges Material zur Beantwortung der letzten Frage zusammenzutragen. Bei der Erörterung der Bei spiele von Versprechen haben wir es für nötig gefunden, über den Inhalt der intendierten Rede hinauszugehen, und haben die Ursache der Redestörung ausserhalb der Intention suchen müssen. Dieselbe lag dann in einer Reihe von Fällen nahe und war dem Bewusstsein des Sprechenden bekannt. In den scheinbar einfachsten und durchsichtigsten Beispielen war es eine gleichberechtigt klingende andere Fassung desselben Ge dankens, die dessen Ausdruck störte, ohne dass man hätte an geben können, warum die eine unterlegen, die andere durchge drungen war (Contaminationen von Meringer und Mayer). In einer zweiten Gruppe von Fällen war das Unterliegen der einen Fassung motiviert durch eine Rücksicht, die sich aber nicht stark genug zur völligen Zurückhaltung er vies (zum Vor schwein gekommen"). Auch die zurückgehaltene Fassung war klar bewusst. Von der dritten Gruppe erst kann man ohne Ein schränkung behaupten, dass hier der störende Gedanke von dem intendierten verschieden ist, und kann hier eine, wie es scheint, wesentliche Unterscheidung aufstellen. Der störende Gedanke ist entweder mit dem gestörten durch Gedankenassociation verbun den (Störung durch inneren Widerspruch), oder er ist ihm wesensfremd und durch eine befremdende äusserliche Association ist gerade das gestörte Wort mit dem störenden Gedanken, der oft unbewusst ist, verknüpft. In den Beispielen, die ich aus meinen Psychoanalysen bei Patienten gebracht habe, steht die ganze Rede unter dem Einfluss gleichzeitig activ gewordener, aber völlig unbewusster Gedanken, die sich entweder durch die Störung selbst verraten (Klapperschlange - Kleopatra) oder einen indirecten Einfluss äussern, indem sie ermöglichen, dass die einzelnen Teile der bewusst intendierten Rede einander stören (Ase nathmen: wo Hasenauerstrasse, Reminiscenzen an eine Französin dahinter stehen). Die zurückgehaltenen oder unbewussten Gedanken, von denen die Sprechstörung ausgeht, sind der mannigfaltigsten Herkunft. Eine Allgemein von heit enthüllt uns diese Ueberschau also nach keiner Richtung. Die vergleichende Prüfung der Beispiele von Verlesen und Verschreiben führt zu den nämlichen Ergebnissen. EinzelneFälle scheinen wie beim Versprechen einer weiter nicht moti vierten Verdichtungsarbeit ihr Entstehen zu danken (z. B. der Apfe). Man möchte aber gern erfahren, ob nicht doch beson dere Bedingungen erfüllt sein müssen, damit eine solche Ver dichtung, die in der Traumarbeit regelrecht, in unserem wachen Denken fehlerhaft ist, Platz greife, und bekommt hierüber aus den Beispielen selbst keinen Aufschluss. Ich würde es aber ab lehnen, hieraus den Schluss zu ziehen, es gebe keine solchen Bedingungen als etwa den Nachlass der bewussten Aufmerksam keit, da ich von anderswoher weiss, dass sich gerade automa tische Verrichtungen durch Correctheit und Verlässlichkeit aus zeichnen. Ich möchte eher betonen, dass hier, wie so häufig in der Biologie, die normalen oder dem Normalen angenäherten Verhältnisse ungünstigere Objecte der Forschung sind, als die pathologischen. Was bei der Erklärung dieser leichtesten Stör ungen dunkel bleibt, wird nach meiner Erwartung durch die Aufklärung schwererer Störungen Licht empfangen.

§ 276

Auch beim Verlesen und Verschreiben fehlt es nicht an Beispielen, welche eine entferntere und complicertere Moti vierung erkennen lassen. Im Fass durch Europa" ist eine Lese störung, die sich durch den Einfluss eines entlegenen, wesens fremden Gedankens aufklärt, welcher einer verdrängten Regung von Eifersucht und Ehrgeiz entspringt und den Wechsel" des Wortes ,,Beförderung zur Verknüpfung mit dem gleichgiltigen und harmlosen Thema, das gelesen wurde, benutzt. Im Falle Burckhard ist der Name selbst ein solcher Wechsel"

§ 277

Es ist unverkennbar, dass die Störungen der Sprachfunc tionen leichter zustande kommen und weniger Anforderungen an die störenden Kräfte stellen als die anderer psychischer Leistungen.

§ 278

Auf anderem Boden steht man bei der Prüfung des Ver gessens in eigentlichen Sinne, d. h. des Vergessens von ver gangenen Erlebnissen (das Vergessen von Eigennamen und Fremdworten, wie in den Abschnitten I und II könnte man als Entfallen, das von Vorsätzen als Unterlassen" von diesem Vergessen sensu strictiori absondern). Die Grundbedingungen des normalen Vorgangs beim Vergessen sind unbekannt. Man wird auch daran gemahnt, dass nicht alles vergessen ist, was man dafür hält. Unsere Erklärung hat es hier nur mit jenen Fällen zu thun, in denen das Vergessen bei uns ein Befremden er weckt, insofern es die Regel verletzt, dass Unwichtiges ver gessen, Wichtiges aber vom Gedächtnis bewahrt wird. Die Ana lyse der Beispiele von Vergessen, die uns nach einer besonderen Aufklärung zu verlangen scheinen, ergiebt als Motiv des Ver gessens jedesmal eine Unlust, etwas zu erinnern, was peinliche Empfindungen erwecken kann. Wir gelangen zur Vermutung, dass dieses Motiv im psychischen Leben sich ganz allgemein zu äussern strebt, aber durch andere gegenwirkende Kräfte ver hindert wird, sich irgendwie regelmässig durchzusetzen. Umfang und Bedeutung dieser Erinnerungsunlust gegen peinliche Eindrücke scheinen der sorgfältigsten psychologischen Prüfung wert zu sein; auch die Frage, welche besonderen Bedingungen das allgemein angestrebte Vergessen in einzelnen Fällen ermög lichen, ist aus diesem weiteren Zusammenhange nicht zu lösen.

§ 279

Beim Vergessen von Vosätzen tritt ein anderes Moment in den Vordergrund; der beim Verdrängen des peinlich zu Erinnernden nur vermutete Conflict wird hier greifbar, und man erkennt bei der Analyse der Beispiele regelmässig einen Gegen willen, der sich dem Vorsatze widersetzt, ohne ihn aufzuheben. Wie bei früher besprochenen Fehlleistungen erkennt man auch hier zwei Typen des psychischen Vorgangs; der Gegenwille kehrt sich entweder direct gegen den Vorsatz (bei Absichten von einigem Belang), oder er ist dem Vorsatz selbst wesensfremd und stellt seine Verbindung mit ihm durch eine äusserliche Association her (bei fast indifferenten Vorsätzen)..

§ 280

Derselbe Conflict beherrscht die Phänomene des Vergreifens. Der Impuls, der sich in der Störung der Handlung äussert, ist häufig ein Gegenimpuls, doch noch öfter ein überhaupt fremder, der nur die Gelegenheit benützt, sich bei der Ausführung der Handlung durch eine Störung derselben zum Ausdruck zu bringen. Die Fälle, in denen die Störung durch einen inneren Widerspruch erfolgt, sind die bedeutsameren und betreffen auch die wichtigeren Verrichtungen.

§ 281

Der innere Conflict tritt dann bei den Zufalls- oder Symptom handlungen immer mehr zurück. Diese vom Bewusstsein gering geschätzten oder ganz übersehenen motorischen Aeusserungen dienen so mannigfachen unbewussten oder zurückgehaltenen Regungenen zum Ausdruck; sie stellen meist Phantasien oder Wünsche symbolisch dar.

§ 282

Zur ersten Frage, welcher Herkunft die Gedanken und Regungen seien, die sich in den Fehlleistungen zum Ausdruck bringen, lässt sich sagen, dass in einer Reihe von Fällen die Herkunft der störenden Gedanken von unterdrückten Regungen des Seelenlebens leicht nachzuweisen ist. Egoistische, eifer süchtige, feindselige Gefühle und Impulse, auf denen der Druck der moralischen Erziehung lastet, bedienen sich bei Gesunden nicht selten des Weges der Fehlleistungen, um ihre unleugbar vorhandene aber von höheren seelischen Instanzen nicht aner kannte Macht irgendwie zu äussern. Das Gewährenlassen dieser Fehl- und Zufallshandlungen entspricht zum guten Teil einer bequemen Duldung des Unmoralischen. Unter diesen unterdrückten Regungen spielen die mannigfachen sexuellen Strömungen keine geringfügige Rolle. Es ist ein Zufall des Materials, wenn gerade sie so selten unter den durch die Analyse aufgedeckten Gedanken in meinen Beispielen erscheinen. Da ich vorwiegend Beispiele aus meinem eigenen Seelenleben der Analyse unterzogen habe, so war die Auswahl von vorneherein parteiisch und auf den Ausschluss des Sexuellen gerichtet.Andere Male scheinen es höchst harmlose Einwendungen und Rücksichten zu sein, aus denen die störenden Gedanken entspringen.

§ 283

Wir stehen nun vor der Beantwortung der zweiten Frage, welche psychologischen Bedingungen dafür gelten, dass ein Gedanke seinen Ausdruck nicht in voller Form, sondern in gleichsam parasitärer als Modification und Störung eines andern suchen müsse. Es liegt nach den auffälligsten Beispielen von Fehlhandlung nahe, diese Bedingung in einer Beziehung zur Bewusstseinsfähigkeit zu suchen, in dem mehr oder minder ent schieden ausgeprägten Charakter des Verdrängten. Aber die Verfolgung durch die Reihe der Beispiele löst diesen Charakter in immer mehr verschwommene Andeutungen auf. Die Neigung, über etwas als zeitraubend hinwegzukommen, die Erwägung, dass der betreffende Gedanke nicht eigentlich zur intendierten Sache gehört, scheinen als Motive für die Zurückdrängung eines Gedankens, der dann auf den Ausdruck durch Störung eines anderen angewiesen ist, dieselbe Rolle zn spielen wie die moralische Verurteilung einer unbotmässigen Gefühlsregung oder die Abkunft von völlig unbewussten Gedankenzügen. Eine Ein sicht in die allgemeine Natur der Bedingtheit von Fehl- und Zufallsleistungen lässt sich auf diese Weise nicht Einer einzigen bedeutsamen Thatsache wird man bei diesen gewinnen. Untersuchungen habhaft; je harmloser die Motivierung der Fehl leistung ist, je weniger anstössig und darum weniger bewusst seinsunfähig der Gedanke ist, der sich in ihr zum Ausdruck bringt, desto leichter wird auch die Auflösung des Phänomens, wenn man ihm seine Aufmerksamkeit zugewendet hat; die leichtesten Fälle des Versprechens werden sofort bemerkt and spontan korrigiert. Wo es sich um Motivierung durch wirklich verdrängte Regungen handelt, da bedarf es zur Lösung einer sorgfältigen Analyse, die selbst zeitweise auf Schwierigkeitenfindet man hier wie dort; die Situation ist die nämliche, dass unbewusste Gedanken sich auf ungewöhnlichen Wegen, über äusserliche Associationen, als Modification von anderen Gedanken zum Ausdruck bringen. Die Ungereimtheiten, Absurditäten und Irrtümer des Trauminhaltes, denen zufolge der Traum kaum als Product psychischer Leistung anerkannt wird, entstehen auf die selbe Weise, freilich mit freierer Benutzung der vorhandenen Mittel, wie die gemeinen Fehler unseres Alltagslebens; hier wie dort löst sich der Anschein incorrecter Function durch die eigentümliche Interferenz zweier oder mehrerer correcter Leistungen. Aus diesem Zu sammentreffen ist ein wichtiger Schluss zu ziehen: Die eigentümliche Arbeitsweise, deren auffälligste Leistung wir im Trauminhalt erkennen, darf nicht auf den Schlafzustand des Seelenlebens zurückgeführt werden, wenn wir in den Fehl handlungen so reichliche Zeugnisse für ihre Wirksamkeit während des wachen Lebens besitzen. Derselbe Zusammenhang verbietet uns auch, tiefgreifenden Zerfall der Seelenthätigkeit, krankhafte Zustände der Function als die Bedingung dieser uns abnorm und fremdartig erscheinenden psychischen Vorgänge anzusehen ¹).

§ 284

Die richtige Beurteilung der sonderbaren psychischen Arbeit, welche die Fehlhandlungen wie die Traumbilder entstehen lässt, wird uns erst ermöglicht, wenn wir erfahren haben, dass die psychoneurotischen Symptome, speciell die psychischen Bildungen der Hysterie und der Zwangsneurose, in ihrem Mechanismus alle wesentlichen Züge dieser Arbeitsweise wiederholen. An dieser Stelle schlösse sich also die Fortsetzung unserer Unter suchungen an. Für uns hat es aber noch ein besonderes Inter esse, die Fehl-, Zufalls- und Symptomhandlungen in dem Lichte dieser letzten Analogie zu betrachten. Wenn wir sie den Leistungen der Psychoneurosen, den neurotischen Symptomen gleichstellen, gewinnen zwei oft wiederkehrende Behauptungen, dass die Grenze zwischen nervöser Norm und Abnormität eine fliessende, und dass wir alle ein wenig nervös seien, Sinn und Unterlage. Man kann sich vor aller ärztlicher Erfahrung ver schiedene Typen von solcher blos angedeuteter Nervosität - von formes frustes der Neurosen - construieren: Fälle, in denen nur wenige Symptome, oder diese selten oder nicht heftig auf treten, die Abschwächung also in die Zahl, in die Intensität, in die zeitliche Ausbreitung der krankhaften Erscheinungen ver legen; vielleicht würde man aber gerade den Typus nicht er raten, welcher als der häufigste den Uebergang zwischen Ge sundheit und Krankheit zu vermitteln scheint. Der uns. vor liegende Typus, dessen Krankheitsäusserungen die Fehl- und Symptomhandlungen sind, zeichnet sich nämlich dadurch aus, dass die Symptome in die mindest wichtigen psychischen Leistungen verlegt sind, während alles, was höherenWert beanspruchen kann frei von Störung vor sich geht Dig gegenteilige Unberhringluig der Symptome, ihr Hervortretau den wichtigsten individuellen und aocie.len Leishmgen, so dggg; sie Nahrungsaufnahme und Sexualver'kehr, Berufsurbeit und— Geselligkeit zu stören vermögen, kommt den schweren“ Fiingvon Neulose zu und charakterisiert diese besser als etwa digManmgfaltigkeit oder die Lebhettigkeib der Krankheitsiiuseerungen.

§ 285

Der gemelnsame Charakter aber del leichtesten me der; schwersten Fälle, an dem auch die Fehl- und Zufallshandlungp; Anteil haben, liegt in der Bückfi'lhrbarkeit der Phäno-. mens auf nnvollkommen untel'dll'icktes psychi80heuMaterial, das vom Bewusstsein abgedrängt, doch nicht ' jeder Fähigkeit sich zu äussern beraubt werden ist

§ 286