DIE FREUD’SCHEa PSYCHOANALYTISCHE METHODE
§ 2„Die eigentümliche Methode der Psychotherapie, die Freud ausübt und als Psychoanalyseb bezeichnet, ist aus dem sogenannten kathartischen Verfahren hervorgegangen, über welches er seiner zeit in den „Studien über Hysterie“ 1895 in Gemeinschaft mit J. Breuer002 berichtet hat. Die kathartische Therapie war eine Erfindung Breuersc, der mit ihrer Hilfe zuerst etwa ein Dezen nium vorher eine hysterische Kranke hergestellt und dabei Ein sicht in die Pathogenese003 ihrer Symptome gewonnen hatte. Infolge einer persönlichen Anregung Breuersd nahm dann Freud das Verfahren wieder auf und erprobte es an einer größerene Anzahl von Kranken.
§ 3Das kathartische Verfahren setzte voraus, daßf der Patient hyp notisierbarsei,g und beruhte auf der Erweiterung des Bewußtseinsh, die in der Hypnose eintritt. Esi setzte sich die Beseitigung der Krankheitssymptome zum Ziele und erreichte dies, indem esj den Patienten sich in den psychischen Zustand zurückversetzen ließk, in welchem das Symptom zum erstenmall aufgetreten war. Es tauchten dann bei dem hypnotisierten Kranken Erinnerungen, Gedanken und Impulse auf, die in seinem Bewußtseinm bisher ausgefallen waren, und wenn er diese seine seelischen Vorgänge unter intensiven Affektäußerungenn dem Arzte mitgeteilt hatte, war das Symptom überwunden, die Wiederkehr desselben auf gehoben. Diese regelmäßigo zu wiederholende Erfahrung erläuterten die beiden Autoren in ihrer gemeinsamen Arbeit dahin, daßp das Symptom an Stelle von unterdrückten und nicht zum Bewußtseinq gelangten psychischen Vorgängen stehe, also eine Umwandlung („Konversion“) der letzteren darstelle. Die therapeutische Wirk samkeit ihres Verfahrens erklärten sie sich aus der Abfuhr des bis dahin gleichsam „eingeklemmten“ Affektes, der an den unter drückten seelischen Aktionen gehaftet hatte („Abreagieren“). Das einfache Schema des therapeutischenEingriffesr komplizierte sich aber nahezu allemals, indem sich zeigte, daßt nicht ein einzelner („traumatischer“) Eindruck, sondern meist eine schwer zu über sehende Reihe von solchen an der Entstehung des Symptoms beteiligt sei.
§ 4Der Hauptcharakter der kathartischen Methode, der sie inu Gegensatz zu allen anderen Verfahren der Psychotherapie setzt, liegt also darin, daßv bei ihr die therapeutische Wirksamkeit nicht einem suggestiven Verbot des Arztes übertragen wird. Sie erwartet vielmehr, daßw die Symptome von selbst verschwinden werden, wenn es dem Eingriff, der sich auf gewisse Voraus setzungen über den psychischen Mechanismusx beruft, gelungen ist, seelische Vorgänge zu einem anderny als dem bisherigen Verlaufez zu bringen, der in die Symptombildung eingemündet hat.
§ 5Die Abänderungen, welche Freud an dem kathartischen Ver fahren Breuersaa vornahm, waren zunächst Änderungen der Technik; diese brachten aber neue Ergebnisse und haben in weiterer Folge zu einer andersartigen, wiewohl der früheren nicht widersprechendenab Auffassung der therapeutischen Arbeit genötigt.
§ 6Hatte die kathartische Methode bereits auf die Suggestion verzichtet, so unternahm Freud den weiteren Schritt, auch die Hypnose aufzugeben. Er behandelt gegenwärtig004 seine Kranken, indem er sie ohne andersartige Beeinflussung eine bequeme Rückenlage auf einem Ruhebett einnehmen läßtac, während er selbst,ad ihrem Anblick entzogen,ae auf einem Stuhle hinter ihnen sitzt. Auch den Verschlußaf der Augen fordert er von ihnen nicht und vermeidet jede Berührung sowie jede andere Prozedur, die an Hypnose mahnen könnte. Eine solche Sitzung verläuft also wie ein Gespräch zwischen zwei gleich wachen Personen, von denen die eine sich jede Muskelanstrengung und jeden ablenken den Sinneseindruck erspart, die sie in der Konzentration ihrer Aufmerksamkeit auf ihre eigene seelische Tätigkeit stören könnten.
§ 7Da das Hypnotisiertwerdenag, trotz aller Geschicklichkeit des Arztes,ah bekanntlich in der Willkür des Patienten liegt,ai und eine großeaj Anzahl neurotischer Personen durch kein Verfahren in Hypnose zu versetzen ist, so war durch den Verzicht auf die Hypnose die Anwendbarkeit des Verfahrens auf eine unein geschränkte Anzahl von Kranken gesichert. Anderseitsak fiel die Erweiterung des Bewußtseinsal weg, welche dem Arzt gerade jenes psychische Material an Erinnerungen und Vorstellungen geliefert hatte, mit dessen Hilfe sich die Umsetzung der Symptome und die Befreiung der Affekte vollziehen ließam. Wenn für diesen Aus fall kein Ersatz zu schaffen war, konnte auch von einer thera peutischen Einwirkung keine Rede sein.
§ 8Einen solchen völlig ausreichenden Ersatz fand nun Freud in den Einfällen der Kranken, das heißtan in den ungewollten, meist als störend empfundenen und darum unter gewöhnlichen Verhältnissen beseitigten Gedanken, die den Zusammenhang einer beabsichtigten Darstellung zu durchkreuzen pflegen. Um sich dieser Einfälle zu bemächtigen, fordert er die Kranken auf, sich in ihren Mitteilungen gehen zulassen,ao „wie man es etwa in einem Gesprächeap tut, bei welchem man aus dem Hundertsten in das Tausendste gerät.“aq Er schärft ihnen, ehe er sie zur detaillierten Erzählung ihrer Krankengeschichte auffordert, ein, alles mit zu sagen, was ihnen dabei durch den Kopf geht, auch wenn sie meinen, es sei unwichtig, oder es gehöre nicht dazu, oder es sei unsinnig. Mit besonderem Nachdruckear aber wird von ihnen ver langt, daßas sie keinen Gedanken oder Einfall darum von der Mit teilung ausschließenat, weil ihnen diese Mitteilung beschämend oder peinlich ist. Bei den Bemühungen, dieses Material an sonst vernachlässigten Einfällen zu sammeln, machte nun Freud die Beobachtungen, die für seine ganze Auffassung bestimmend geworden sind. Schon bei der Erzählung der Krankengeschichte stellen sich bei den Kranken Lücken der Erinnerung heraus, sei es, daßau tatsächliche Vorgänge vergessen worden, sei es, daßav zeitliche Beziehungen verwirrt oder Kausalzusammenhänge zer rissen worden sind, so daßaw sich unbegreifliche Effekte ergeben. Ohne Amnesie irgend einer Art gibt es keine neurotische Kranken geschichte. Drängt man den Erzählenden, diese Lücken seines Gedächtnisses durch angestrengte Arbeit der Aufmerksamkeit aus zufüllen, so merkt man, daßax die hiezuay sich einstellenden Ein fälle von ihm mit allen Mitteln der Kritik zurückgedrängt werden, bis er endlich das direkte Unbehagen verspürt, wenn sich die Erinnerung wirklich eingestellt hat. Aus dieser Erfahrung schließtaz Freud, daßba die Amnesien das Ergebnis eines Vorgangesbb sind, den er Verdrängung heißt,bc und als dessen Motiv er Unlustgefühle erkennt. Die psychischen Kräfte, welche diese Ver drängung herbeigeführt haben, meint er in dem Widerstand, der sich gegen die Wiederherstellung erhebt, zu verspüren.
§ 9Das Moment des Widerstandes ist eines der Fundamente seinerFormelbd aufzählt) beseitigten Einfälle betrachtet er aber als Abkömmlinge der verdrängten psychischen Gebilde (Gedanken und Regungen),be als Entstellungen derselben infolge des gegen ihre Reproduktion bestehenden Widerstandes.
Theorie geworden. Die sonst unter allerlei Vorwänden (wie sie die obige § 10Je größer größerbf der Widerstand, desto ausgiebiger diese Entstellung. In dieser Beziehung der unbeabsichtigten Einfälle zum ver drängten psychischen Material ruht nun ihr Wert für die thera peutische Technik. Wenn man ein Verfahren besitzt, welches ermöglicht, von den Einfällen aus zu dem Verdrängten, von den Entstellungen zum Entstellten zu gelangen, so kann man auch ohne Hypnose das früher Unbewußtebg im Seelenleben dem Bewußtseinbh zugänglich machen.
§ 11Freud hat darauf eine Deutungskunst ausgebildet, welcher diese Leistung zufällt, die gleichsam aus den Erzen der unbeab sichtigten Einfälle den Metallgehalt an verdrängten Gedanken darstellen soll. Objekt dieser Deutungsarbeit sind nicht allein die Einfälle desbi Kranken, sondern auch seine Träume, die den direktesten Zugang zur Kenntnis des Unbewußtenbj eröffnen, seine unbeabsichtigten, wie planlosen Handlungen (Symptomhandlungen) und die Irrungen seiner Leistungen im Alltagsleben (Versprechen,bk Vergreifen u. dgl.bl). Die Details dieser Deutungs- oder Über setzungstechnik sind von Freud noch nicht veröffentlicht worden005. Es sind nach seinen Andeutungen eine Reihe von empirisch gewonnenen Regeln, wie aus den Einfällen das unbewußtebm Material zu konstruieren ist, Anweisungen, wie man es zu verstehen habe, wenn die Einfälle des Patienten versagen, und Erfahrungen über die wichtigstenbn typischen Widerstände, die sich im Laufe einer solchen Behandlung einstellen.bo Ein umfangreiches Buch über „Traumdeutung “,bp 1900 von Freud publiziert, ist als Vorläufer einer solchen Einführung in die Technik anzusehen.
§ 12Man könnte aus diesen Andeutungen über die Technik derschließenbq, daßbr deren Erfinder sich überflüssige Mühe verursacht und Unrecht getan hat, das wenig komplizierte hypnotische Verfahren zu verlassen. Aber einerseits ist die Technik derbs Psychoanalyse viel leichter auszuüben, wenn man sie einmal erlernt hat, als es bei einer Beschreibung den Anschein hat, anderseitsbt führt kein anderer Weg zum Ziele,bu und darum ist der mühselige Weg noch der kürzeste. Der Hypnose ist vorzuwerfen, daßbv sie den Widerstand verdeckt und dadurch dem Arzt den Einblick in das Spiel der psychischen Kräfte ver wehrt hat. Sie räumt aber mit dem Widerstande nicht auf, sondern weicht ihm nur aus und ergibt darumbw nur unvoll ständige Auskünfte und nur vorübergehende Erfolge.
psychoanalytischen Methode § 13Die Aufgabe, welche die psychoanalytische Methode zu lösenläßtbx sich in verschiedenen Formeln ausdrücken, die aber ihrem Wesen nach äquivalent sind. Man kann sagen: Auf gabe der Kur sei, die Amnesien aufzuheben. Wenn alle Erinnerungslücken ausgefüllt, alle rätselhaften Effekte des psy chischen Lebens aufgeklärt sind, ist der Fortbestand, ja eine Neubildung des Leidens unmöglich gemacht. Man kann die Bedingung anders fassen: es seien alle Verdrängungen rückgängig zu machen; der psychische Zustand ist dann derselbe, in dem alle Amnesien ausgefüllt sind. Weittragender ist eine andere Fassung: es handle sich darum,by das Unbewußtebz dem Bewußtseinca zugänglich zu machen, was durch Überwindung der Widerstände geschieht. Man darf aber dabei nicht vergessen, daßcb ein solcher Idealzustandcc auch beim normalen Menschen nicht besteht,cd und daßce man nur selten in die Lage kommen kann, die Behandlung annähernd so weit zu treiben. So wie Gesundheit und Krankheit nicht prinzipiell geschieden, sondern nur durch eine praktisch bestimmbare Summationsgrenze gesondert sind, so wird man sich auch nie etwas anderes zum Ziel der Behandlung setzen als die praktische Genesung des Kranken, die Herstellung seiner Leistungs- und Genußfähigkeitcf. Bei unvollständiger Kur oder unvoll kommenem Erfolgecg derselben erreicht man vor allem eine bedeutende Hebung des psychischen Allgemeinzustandes, während die Symptome, aber mit geminderter Bedeutung für den Kranken,ch fortbestehen können, ohne ihn zu einem Kranken zu stempeln.
bestrebt ist, § 14Das therapeutische Verfahren bleibt,ci von geringen Modifikationen abgesehen,cj das nämliche für alle Symptombilder der vielgestaltigen Hysterie und ebenso für alle Ausbildungen der Zwangsneurose. Von einer unbeschränkten Anwendbarkeit desselben ist aber keine Rede. Die Natur der psychoanalytischenck Methode schafft Indikationen und Gegenanzeigen sowohl von seitencl der zu behandeln den Personencm als auch mit Rücksicht auf das Krankheitsbild. Am günstigsten für die Psychoanalyse sind die chronischen Fälle von Psychoneurosen mit wenig stürmischen oder gefahrdrohenden Symptomen, also zunächst alle Arten der Zwangsneurose, Zwangsdenken und Zwangshandeln, und Fälle von Hysterie, in denen Phobien und Abulien 006 die Hauptrolle spielen, weiterhin aber auch alle somatischen Ausprägungen der Hysterie, insofernecn nicht,co wie bei der Anorexie,cp rasche Beseitigung der Symptome zur Hauptaufgabe des Arztes wird. Bei akuten Fällen von Hysterie wird man den Eintritt eines ruhigeren Stadiums abzuwarten haben; in allen Fällen, bei denen die nervöse Erschöpfung obenan steht, wird man ein Verfahren vermeiden, welches selbst Anstrengung erfordert, nur langsame Fortschritte zeitigtcq und auf die Fortdauer der Symptome eine Zeitlang keine Rücksicht nehmen kann.
§ 15An die Person, die man mit Vorteil der Psychoanalyse untermußcr erstens eines psychischen Normalzustandes fähig sein; in Zeiten der Verworrenheit oder melancholischer Depression ist auch bei einer Hysterie nichts auszurichten. Man darf ferner ein gewisses Maßcs natürlicher Intelligenz und ethischer Entwicklung fordern; bei wertlosen Personen läßtct den Arzt bald das Interesse im Stiche, welches ihn zur Vertiefung in das Seelenlebens des Kranken befähigt. Ausgeprägte Charakterverbildungen, Züge von wirklich degenerativer Konstitution äußerncu sich bei der Kur als Quelle von kaum zu überwindenden Widerständen. Insoweit setzt überhaupt die Konstitution eine Grenze für die Heilbarkeit durch Psychotherapie. Auch eine Altersstufe in der Nähe des fünften Dezenniums schafft ungünstige Bedingungen für die Psycho analyse. Die Masse des psychischen Materials ist dann nicht mehr zu bewältigen, die zur Herstellung erforderliche Zeit wird zu lang,cv und die Fähigkeit, psychische Vorgänge rückgängig zu machen, beginnt zu erlahmen.
ziehen soll, sind mehrfache Forderungen zu stellen. Sie § 16Trotz aller dieser Einschränkungen ist die Anzahl der für dieaußerordentlich großecw und die Erweiterung unseres therapeutischen Könnens durch dieses Verfahren nach den Behauptungen Freudscx eine sehr beträchtliche. Freud beansprucht lange Zeiträume, ein halbescy bis dreicz Jahre für eine wirksame Behandlung; er gibt aber die Auskunft, daßda er bisher infolge verschiedener leicht zu erratender Umstände meist nur in die Lage gekommen ist, seine Behandlung an sehr schweren Fällen zu erproben, Personen mit vieljähriger Krankheitsdauer und völliger Leistungsunfähigkeit, die,db durch alle Behandlungen getäuscht, gleichsam eine letzte Zuflucht bei seinem neuen und viel abgezweifelten Verfahren gesucht haben.dc In Fällen leichterer Erkrankung dürfte sich die Behandlungsdauer sehr verkürzen und ein außerordentlicherdd Gewinn an Vorbeugung für die Zukunft erzielen lassen.“de
Psychoanalyse geeigneten Personen eine